Beschluss vom Verwaltungsgericht Düsseldorf - 6 L 1700/20
Tenor
Der Antrag wird auf Kosten des Antragstellers abgelehnt.
Der Streitwert wird auf 45.000,- Euro festgesetzt.
1
Gründe
2I.
3Der Antragsgegner betraute nach Zustimmung durch die Bezirksregierung E. den Antragsteller, einen Prüfingenieur, am 8. Mai 2012 mit der Durchführung von Hauptuntersuchungen und Sicherheitsprüfungen gem. § 29 StVZO sowie mit Ein- und Anbauabnahmen gem. § 19 Abs. 3 StVZO im Land Nordrhein-Westfalen. Wegen verschiedener Auffälligkeit widerrief der Antragsgegner die Betrauung am 20. Mai 2015 und betraute ihn erneut mit der o.g. Durchführung, fügte dieser Betrauung allerdings Auflagen bei.
4Gegen den Antragsteller gingen seit seiner ersten Betrauung zahlreiche Beschwerden und Reklamationen zu seiner Prüfingenieurtätigkeit ein, deren Berechtigung er bestreitet. Gegen ihn wurden auch zahlreiche Ermittlungsverfahren geführt, die aber nahezu ausnahmslos ohne Anklageerhebung eingestellt wurden. Zu den Einzelheiten kann auf den Widerrufsbescheid verwiesen werden.
5Am 00. B. 2019 erließ das Amtsgericht X. gegen den Antragsteller einen rechtskräftig gewordenen Strafbefehl wegen Steuerhinterziehung (Einkommen- und Umsatzsteuer) in Höhe von 106.777,34 Euro in den Steuerjahren 2012-2014. Es verhängte eine Geldstrafe von 550 Tagessätzen zu je 250,- Euro, insgesamt 137.500 Euro. Seitdem zahlt der Antragsteller die Steuerrückstände und die Geldstrafe ratenweise ab. Eine im Oktober 2019 durchgeführte Betriebsprüfung des Finanzamts fiel beanstandungslos aus.
6Nachdem der Antragsgegner von dem Strafbefehl erfahren hatte, hörte er den Antragsteller zum Widerruf der Betrauung an. Unter dem 14. Juli 2020 erließ der Antragsgegner einen für sofort vollziehbar erklärten Widerruf der "mit Schreiben vom 08.05.2012 ausgesprochenen Betrauung im Land Nordrhein-Westfalen". Auf Bl. 7 des Bescheids heißt es unter der Gliederungsziffer 5.:
7"In der Folge erging eine Anhörung im März 2015 und daraufhin mit Schreiben vom 20.05.2015 (AZ: …) der Widerruf Ihrer am 08.05.2012 ausgesprochenen Betrauung und im selben Schreiben die Wiederbetrauung unter Auflagen …"
8Der Widerruf ist in erster Linie auf die abgeurteilte Steuerstraftat gestützt. Daneben führt er die nahezu ausnahmslos eingestellten Ermittlungsverfahren und weitere prüfungsbezogene Verfehlungen an.
9Gegen diesen Bescheid hat der Antragsteller am 14. August 2020 Klage (Az. 6 K 5106) erhoben, über die noch nicht entschieden ist.
10Am 28.09.2020 wiederholte der Antragsgegner seinen Widerrufsbescheid vom 14. Juli 2020, wobei er im Bescheidtenor das Datum der widerrufenen Betrauung auf den "20.05.2015" abänderte. Bis auf die Rechtsbehelfsbelehrung, die nunmehr auf das Verwaltungsgericht E. und nicht mehr auf das unzuständige Verwaltungsgericht B1. lautet, änderte der Antragsgegner inhaltlich nichts. Hiergegen hat der Kläger am 27. Oktober 2020 eine ebenfalls noch anhängige Klage erhoben (6 K 6423/20).
11Der Antragsteller verweist darauf, dass der Strafbefehl auf Versäumnissen seines Steuerberaters beruhe. Die steuerrechtlichen Verfehlungen stünden überdies in keinem Zusammenhang mit seiner Qualifikation als Prüfingenieur.
12Soweit die Ermittlungsverfahren eingestellt worden seien, könnten daraus keine negativen Schlüsse gezogen werden. Dasselbe gelte für evtl. noch laufende Verfahren. Jedem Kfz-Prüfingenieur drohe der Vorwurf der mittelbaren Falschbeurkundung im Amt nach § 348 Abs. 1 StGB (vgl. BGH, Beschluss vom 16. August 2018 – 1 StR 172/18, BGHSt 63, 182), wenn dem Prüfer – etwa im Zuge eines Gebrauchtwagenverkaufs mit "neuer Prüfplakette" – vorgeworfen wird, einen technischen Mangel übersehen zu haben.
13Im Übrigen sei der Widerrufsbescheid vom 14. Juli 2020, der auf die Betrauung vom 8. Mai 2012 verweise, nichtig, weil die Betrauung von diesem Tag bereits im Mai 2015 widerrufen worden sei.
14Der Antragsteller beantragt,
15die aufschiebende Wirkung der Klage 6 K 5106/20 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 14. Juli 2020 wiederherzustellen.
16Der Antragsgegner beantragt,
17den Antrag abzulehnen.
18Er wiederholt und vertieft die im Widerrufsbescheid angeführten Gründe.
19II.
20Der Antrag bleibt ohne Erfolg.
21Das Gericht lehnt den auf § 80 Abs. 5 VwGO gestützten Antrag des Antragstellers ab, die aufschiebende Wirkung seiner fristgemäß erhobenen Klage (6 K 5106/20) wiederherzustellen. Das Aussetzungsinteresse des Antragstellers bleibt hinter dem Vollzugsinteresse des Antragsgegners zurück. Denn die Klage wird voraussichtlich erfolglos bleiben, weil der angegriffene Bescheid bei überschlägiger Prüfung nach Aktenlage rechtmäßig ist.
221. Der Eilantrag ist zulässig.
23Es spricht Überwiegendes dafür, dass die Klage, deren aufschiebende Wirkung wiederhergestellt werden soll, zulässig ist. Die erhobene Anfechtungsklage ist derzeit gemäß § 42 Abs. 1, 1. Var. VwGO statthaft. Den Akten lässt sich insbesondere nicht entnehmen, dass der Antragsteller nicht mehr Mitglied des Antragsgegners ist. Somit entfaltet der Widerruf weiterhin Rechtswirkungen für den Antragsteller und hat sich nicht erledigt.
24Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Januar 2012 – 3 C 8.11, NVwZ-RR 2012, 431.
25Anders als der Antragsteller meint, ist der Widerruf auch nicht gem. § 44 VwVfG NRW nichtig und wirkungslos, weil der Bescheid im Tenor irrtümlich auf die Betrauung vom 8. Mai 2012 gerichtet ist, die bereits am 20. Mai 2015 widerrufen worden war. Es handelt sich bei der Bezugnahme auf die Betrauung vom 8. Mai 2012 um einen offensichtlichen Irrtum. Der Tenor war aus der insofern maßgeblichen Sicht des Antragstellers (Empfängerhorizont) so zu verstehen, dass er sich auf die Betrauung vom 20. Mai 2015 bezog. Das ergibt sich zumindest aus der oben auszugsweise wiedergegebenen Begründung des Widerrufs. Dort ist unter der Gliederungsziffer 5 die zweimalige Betrauung chronologisch zutreffend dargestellt. Der Antragsgegner hat diese offensichtliche Unrichtigkeit in Gestalt eines Schreibfehlers (§ 42 Satz 1 VwVfG NRW) entweder mit seinem Schreiben vom 28. September 2020 berichtigt oder den Bescheid vom 13. Juli 2020 durch den vom 28. September 2020 ersetzt.
26Die Klage ist voraussichtlich auch im Übrigen zulässig, obwohl der Antragsteller den von § 68 Abs. 1 Satz 1 VwGO vorgesehenen Widerspruch nicht erhoben hat. Zwar hat das Saarland, in dem der Antragsgegner seinen Sitz hat, keinen Gebrauch von der auch jedem Landesgesetzgeber eröffneten Möglichkeit gemacht, das Vorverfahren gemäß § 68 Abs. 1 Satz 2 VwGO ganz oder teilweise für entbehrlich zu erklären. Diese Möglichkeit hat Nordrhein-Westfalen aber mit § 110 JustizG NRW genutzt. Der Vorbehalt in § 68 Abs. 1 Satz 2 VwGO für Landesrecht gilt für alle Verwaltungsverfahren, für die das Land zuständig ist, gleichgültig ob es sich um den Vollzug von Bundes- oder Landesrecht handelt. Das Widerspruchsverfahren ist ungeachtet der Tatsache, dass es auch nach der bundesrechtlichen VwGO Zulässigkeitsvoraussetzung einer Klage sein kann, Teil des Verwaltungsverfahrens und unterliegt damit der Gesetzgebungskompetenz des Landes, soweit Landesverwaltungsverfahrensrecht anwendbar ist.
27Vgl. BVerfG, Beschluss vom 9. Mai 1973 – 2 BvL 43/71, 2 BvL 44/71, BVerfGE 35, 65, 75.
28Für den Widerruf der Betrauung durch den Antragsgegner gilt nordrhein-westfälisches Landes-Verwaltungsverfahrensrecht. Nach § 110 JustizG NRW ist kein Widerspruch statthaft, sondern es musste sogleich Klage erhoben werden. Rechtsgrundlage für den angegriffenen Widerruf ist Nr. 3 der Anlage VIIIb zur StVZO i.V.m. den Vorschriften zum Widerruf eines Verwaltungsakts im Verwaltungsverfahrensrecht des Landes, dessen Behörde den Widerruf verfügt hat. Es gilt das Verwaltungsverfahrensrecht desjenigen Landes, für das die Überwachungsorganisation gehandelt hat. Damit ist das VwVfG NRW anwendbar, weil der Antragsgegner als in Nordrhein-Westfalen anerkannte Überwachungsorganisation den Antragsteller mit der Durchführung der Aufgaben eines Prüfingenieurs in diesem Land betraut hatte.
29Vgl. BVerwG, Urteile vom 16. Mai 2019 – 3 C 19.17, VRS 136, 135, und vom 26. Januar 2012– 3 C 8.11, NVwZ-RR 2012, 431.
302. Der Eilantrag ist jedoch unbegründet.
31a) Rechtsgrundlage für den angegriffenen Widerruf der Betrauung ist Nr. 3 der Anlage VIIIb zur StVZO i.V.m. § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwVfG NRW, auf die der Antragsgegner die Verfügung gestützt hat. Danach darf ein rechtmäßiger begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden, wenn die Behörde aufgrund nachträglich eingetretener Tatsachen berechtigt wäre, den Verwaltungsakt nicht zu erlassen, und wenn ohne den Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet würde. Die Betrauung eines Prüfingenieurs durch eine anerkannte Überwachungsorganisation ist ein Verwaltungsakt: Sie enthält die einseitige Verleihung hoheitlicher Befugnisse.
32Vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2019 – 3 C 19.17, VRS 136, 135; OVG NRW, Urteil vom 22. September 2000 – 8 A 2429/99, NZV 2001, 184, 189; Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl. 2019, § 29 StVZO Rn. 22.
33Die sachliche Zuständigkeit des Antragsgegners für den Widerruf der Betrauung folgt aus dem allgemeinen verwaltungsrechtlichen Grundsatz, dass für den Widerruf eines Verwaltungsakts die Behörde zuständig ist, die zum Zeitpunkt der Widerrufsentscheidung für dessen Erlass sachlich zuständig wäre.
34Vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Dezember 1999 – 7 C 42.98, BVerwGE 110, 226; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 9. Auflage 2018, § 49 Rn. 117 i.V.m. § 48 Rn. 254.
35Diese Behörde ist nach Nr. 3 Anlage VIIIb zur StVZO der Antragsgegner als amtlich anerkannte Überwachungsorganisation. Die Norm verdrängt als Spezialregelung die allgemeine Zuständigkeitsvorschrift des § 68 Abs. 1 StVZO.
36Vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 28. Juni 2019 – 6 A 10154/10, juris.
37Widerrufsvoraussetzung ist der nachträgliche Eintritt einer Tatsache, aufgrund welcher die Überwachungsorganisation berechtigt wäre, den Ingenieur nicht mit ihren Prüfaufgaben zu betrauen. Gemäß Nr. 3 der Anlage VIIIb zur StVZO darf die Überwachungsbehörde ihr angehörende Personen mit der Durchführung der Hauptuntersuchung (HU) und Sicherheitsprüfung (SP) betrauen, wenn diese die in Nr. 3.1 bis 3.6b benannten Anforderungen erfüllen und wenn die zuständige Anerkennungsbehörde zugestimmt hat (Nr. 3.7). Die Widerrufsvoraussetzung der Unzuverlässigkeit ist ein gerichtlich voll überprüfbarer unbestimmter Rechtsbegriff.
38Vgl. BVerwG, Urteile vom 26. September 2002 - 3 C 37.01, NJW 2003, 913, 915 und vom 15. Juli 2004 – 3 C 33.03, BVerwGE 121, 257, 261.
39Steht die Unzuverlässigkeit fest, bleibt für Ermessenserwägungen der Behörde kein Raum.
40Vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2019 – 3 C 19.17, VRS 136, 135.
41Unzuverlässig ist nach ständiger Rechtsprechung des BVerwG, der sich die Kammer anschließt, ein Gewerbetreibender, der nach dem Gesamteindruck seines Verhaltens nicht die Gewähr dafür bietet, dass er sein Gewerbe künftig ordnungsgemäß betreiben wird.
42Vgl. BVerwG, Urteil vom 15. B. 2015 – 8 C 6.14, BVerwGE 152, 39 Rn. 14 m.w.N.
43Dieser Maßstab kann auf den Prüfingenieur übertragen werden: Unzuverlässig ist danach ein Prüfingenieur, der nach dem Gesamteindruck seines Verhaltens nicht die Gewähr dafür bietet, dass er die ihm übertragenen Prüfaufgaben künftig ordnungsgemäß wahrnehmen wird.
44Bei den Kraftfahrzeughauptuntersuchungen, Abgasuntersuchungen und Sicherheitsprüfungen sowie Abnahmen im Sinne der Anlage VIIIb zur StVZO handelt es sich um staatliche Aufgaben der Gefahrenabwehr. Die Prüfung von Kraftfahrzeugen auf ihren verkehrssicherheitstechnischen und immissionsschutzrechtlichen Anforderungen genügenden Zustand dient unmittelbar der Erhaltung der Sicherheit und Ordnung auf öffentlichen Straßen und damit dem Schutz gewichtiger Rechtsgüter. Die Betrauung eines Privaten mit der selbständigen Durchführung dieser Aufgaben setzt voraus, dass die Person hinreichend sachverständig und zuverlässig ist. Nur so kann sichergestellt werden, dass die Prüfplakette nur verkehrssicheren und die Abgaswerte einhaltenden Fahrzeugen zugeteilt wird (vgl. BT-Drs. 14/8766 S. 58). Eine Person, die nicht die Gewähr dafür bietet, die Aufgaben eines Prüfingenieurs zuverlässig zu erfüllen, darf nicht betraut werden. Ergibt sich die fehlende Zuverlässigkeit erst nachträglich, ist die Betrauung zu widerrufen.
45Anknüpfungspunkt für die hierzu erforderliche Prognose sind in der Vergangenheit eingetretene Tatsachen, die den Schluss zulassen, dass der Betroffene auch in Zukunft eine ordnungsgemäße Aufgabenwahrnehmung nicht erwarten lässt.
46Vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2019 – 3 C 19.17, VRS 136, 135.
47Nach Nr. 3.3 der Anerkennungsrichtlinie für Überwachungsorganisationen – Richtlinie für die Anerkennung von Überwachungsorganisationen nach der Anlage VIIIb StVZO vom 5. Juni 2009 (VkBl S. 364), zuletzt geändert mit Schreiben des BMiVBS vom 28. März 2011 (VkBl S. 309), ist die persönliche Zuverlässigkeit insbesondere dann nicht mehr gegeben, wenn der Betreffende wegen einschlägiger Straftaten rechtskräftig verurteilt worden ist, wiederholt gegen Verkehrsvorschriften verstoßen hat und damit im Verkehrszentralregister (jetzt: Fahreignungsregister) eingetragen ist, vorsätzlich für seine Tätigkeit relevante Vorschriften, Richtlinien oder fachliche Anweisungen des technischen Leiters missachtet, wiederholt amtliche Fahrzeuguntersuchungen nicht ordnungsgemäß durchführt, ohne dass dafür Kenntnismängel ursächlich sind, oder nicht unparteiisch/unabhängig handelt. Wird der Vorwurf der Unzuverlässigkeit aus einem mit Kriminalstrafe bedrohten Tun oder Unterlassen hergeleitet, kommt es nicht ausschlaggebend darauf an, ob gegen den Betroffenen deswegen eine strafrechtliche Sanktion verhängt worden ist. Maßgeblich ist vielmehr, ob zur Überzeugung der zuständigen Amtsträger in der öffentlichen Verwaltung und der zur Kontrolle ihrer Entscheidungen berufenen Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit feststeht, dass der Gewerbetreibende ein Verhalten an den Tag gelegt hat, das den Schluss rechtfertigt, er werde seinen beruflichen Pflichten künftig (weiterhin) nicht nachkommen.
48Vgl. BayVGH, Beschluss vom 9. März 2020 – 11 ZB 19.1722, juris.
49Die Anforderungen an die Zuverlässigkeit von betrauten Prüfingenieuren sind im Vergleich zu anderen Gewerbetreibenden weiter erhöht. Zwar müssen auch andere Gewerbetreibende aufgrund von Spezialgesetzen oder nach allgemeinen gewerberechtlichen Anforderungen (vgl. § 35 Abs. 1 GewO) zuverlässig sein. Der betraute Prüfingenieur zeichnet sich aber dadurch aus, dass er – anders als der gewöhnliche Gewerbetreibende – mit der Ausübung von Hoheitsmacht beliehen ist. Er tritt dem Halter des zu prüfenden Fahrzeugs hoheitlich und nicht im privatrechtlichen Gleichordnungsverhältnis gegenüber. Infolgedessen genießt der Prüfingenieur besonderes Vertrauen in die Pflichtgemäßheit seiner Tätigkeit. Als Kehrseite muss er einen strengeren Zuverlässigkeitsmaßstab an sich halten lassen.
50Bereits allgemein-gewerberechtlich ist anerkannt, dass zur ordnungsgemäßen Ausübung des Gewerbes auch die mit der Gewerbeausübung zusammenhängenden steuerlichen und sozialversicherungsrechtlichen Erklärungs- und Zahlungspflichten gehören.
51Vgl. nur Marcks, in: Landmann/Rohmer, Gewerbeordnung (Feb. 2020), § 35 Rn. 49 ff. mit ausführlichen Nachweisen der Rspr. des BVerwG.
52Demzufolge ist jedenfalls unzuverlässig, wer als Prüfingenieur eine mehr als geringfügige gewerbebezogene Steuerhinterziehung begeht. Die Straftat der Steuerhinterziehung kann unter Berücksichtigung des von § 370 AO geschützten Rechtsguts, dem Anspruch des Staates auf den vollen Ertrag aus jeder einzelnen Steuerart und des Strafgrundes, der erheblichen Sozialschädlichkeit des Delikts der Steuerhinterziehung, als eine gegen das Vermögen des Staates gerichtete Straftat qualifiziert werden.
53Vgl. auch BVerwG, Urteil vom 24. B. 1990 – 1 C 56.89, juris.
54Der Antragsteller ist als Beliehener lediglich berechtigt, die Gebühren zu erheben, die für die Prüftätigkeiten staatlich festgesetzt worden sind. Er ist unzuverlässig, wenn er sich aus seiner Beleihung rechtswidrig darüber hinausgehende Einkünfte verschafft. Der Antragsteller hat sich aus seiner Tätigkeit als Prüfingenieur in den Jahren 2012, 2013 und 2014 aber weitere Einkünfte verschafft, als ihm an Gebührenforderungen gegen die Halter der zu prüfenden Fahrzeuge zustehen, indem er seine Einkommensteuer hinterzogen hat. Soweit er darüber hinaus die Umsatzsteuer erheblich verkürzt hat, hat er sogar eine gewerbebezogene Straftat begangen, denn die Umsatzsteuer fällt lediglich für seine gewerbliche Betätigung an.
55Die vom Antragsteller begangene Steuerstraftat stellt sich auch nicht als unerheblich dar. Wo genau eine evtl. anzuerkennende Bagatellgrenze verlaufen mag, kann die Kammer offen lassen. Denn die Strafhöhe von 550 Tagessätzen liegt bereits in Reichweite des strafgesetzlich zulässigen Maximums von 720 Tagessätzen (§ 54 Abs. 2 StGB). Auch der hinterzogene Betrag von mehr als 100.000 Euro steht einer Einordnung als geringfügig durchgreifend im Wege.
56Der rechtskräftig gewordene Strafbefehl steht einem rechtskräftigen Strafurteil gleich, vgl. § 410 Abs. 3 StPO. Deswegen ist unerheblich, dass der Antragsteller nunmehr vorträgt, nicht ihn, sondern seinen Steuerberater treffe die Verantwortung für die Steuerstraftat.
57Darüber hinaus wird der Antragsteller sich als im Widerrufszeitpunkt unzuverlässig erweisen, weil seine Steuerschuld – wenngleich die genaue Höhe zum Zeitpunkt der Widerrufsverfügung im Eilverfahren nicht mitgeteilt ist – bei Erlass des Widerrufsbescheids so hoch sein muss, dass er neben der Straftat auch wegen des Verstoßes gegen abgabenrechtliche Pflichten unzuverlässig ist. Der Antragsteller hat lediglich mitgeteilt, dass er die Geldstrafe und die Steuerschuld abbezahle; Angaben dazu, dass die Steuerschuld bis auf einen evtl. zu akzeptieren geringfügigen Restbetrag abgetragen wäre, hat der Antragsteller nicht gemacht.
58Die Kammer kann deswegen offen lassen, ob der Antragsteller auch unzuverlässig ist, weil er einzelne technische Prüfungen fehlerhaft durchgeführt hat und auch hieraus zu schließen ist, dass er künftig beim Prüfen unsorgfältig handeln wird.
59Es ist keine Widerrufsvoraussetzung, dass die Bezirksregierung E. als Anerkennungsbehörde ihre Zustimmung zur Betrauung des Antragstellers gegenüber dem Antragsgegner widerrufen hat. Die Zustimmung der Anerkennungsbehörde ist in Nr. 3.7 der Anlage VIIIb zur StVZO als Entscheidung im Verhältnis zur Überwachungsorganisation ausgestaltet und beansprucht daher keine unmittelbare Rechtswirkung gegen den Prüfingenieur. Ein Zustimmungserfordernis zum Widerruf ergibt sich auch nicht aus Anlage VIIIb zur StVZO.
60Vgl. BVerwG, Urteile vom 26. September 2002 – 3 C 37.01, NJW 2003, 913, 915, und vom 15. Juli 2004 – 3 C 33.03, BVerwGE 121, 257, 261; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 28. Juni 2019– 6 A 10154/10, juris.
61Die Kammer kann weiter offen lassen, ob die Ermessenserwägungen, die der Antragsgegner im angegriffenen Widerrufsbescheid angestellt hat, zutreffend sind. Denn ein Ermessensspielraum war ihm nicht eröffnet. Ob die Betrauung des Prüfingenieurs mit hoheitlichen Aufgaben widerrufen werden kann oder muss, unterliegt nicht der Privatautonomie oder Entscheidungsfreiheit der Überwachungsorganisation, sondern ist von der Erfüllung der hierfür geltenden öffentlich-rechtlichen Anforderungen abhängig. Kann ein Prüfingenieur nicht mehr als hinreichend zuverlässig zur Durchführung der ihm übertragenen Aufgaben angesehen werden, ist seine Betrauung zu widerrufen. Für eine abweichende Ermessensbetätigung verbleibt im Hinblick auf die hochrangigen Rechtsgüter, deren Schutz das Zuverlässigkeitserfordernis bezweckt, kein Raum.
62Vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2019 – 3 C 19.17, VRS 136, 135.
63b) Der Antragsgegner hat die sofortige Vollziehbarkeit in Übereinstimmung mit den Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO angeordnet. Aus den eingehenden Darlegungen, die sich vor allem auf die Verkehrssicherheit beziehen, wird deutlich, dass dem Antragsgegner der Einzelfallcharakter seiner Entscheidung vor Augen stand. Damit sind die gesetzlichen Anforderungen an die Vollziehungsanordnung erfüllt.
64c) Neben der Rechtmäßigkeit des Widerrufs ergibt sich aus den im Widerrufsbescheid dargelegten Gründen auch aus gerichtlicher Sicht ein besonderes öffentliches Interesse am sofortigen Vollzug des Widerrufs.
65Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der Streitwert folgt aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 VwGO unter Berücksichtigung von Nr. 14.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Dabei hat das Gericht das aus der Prüftätigkeit bezogene Jahreseinkommen des Antragstellers mangels näherer Angaben an der strafgerichtlich zugrunde gelegten Tagessatzhöhe von 250,- Euro orientiert. Diese spiegelt das strafgerichtlich angenommene Nettodurchschnitteinkommen wider.
66Vgl. Heintschel-Heinegg, in: BeckOK StGB (Nov. 2020), § 40 Rn. 10 ff.
67Hieraus ergibt sich ein Jahresnettoeinkommen des Antragstellers von rund 90.000,- Euro, das etwa dem nach Nr. 14.1 des Streitwertkatalogs heranzuziehenden Jahresgewinn zur Bestimmung des Streitwerts entspricht. Dieser Betrag ist wegen der Vorläufigkeit der erstrebten Entscheidung halbiert.
68Rechtsmittelbelehrung:
69(1) Gegen die Entscheidung über den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) schriftlich Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet.
70Die Beschwerde kann auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) eingelegt werden.
71Die Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist schriftlich oder als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der ERVV bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster oder Postfach 6309, 48033 Münster) eingeht.
72Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster oder Postfach 6309, 48033 Münster) schriftlich oder als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der ERVV einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen. Das Oberverwaltungsgericht prüft nur die dargelegten Gründe.
73Die Beschwerdeschrift und die Beschwerdebegründungsschrift sind durch einen Prozessbevollmächtigten einzureichen. Im Beschwerdeverfahren müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die das Verfahren eingeleitet wird. Die Beteiligten können sich durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, als Bevollmächtigten vertreten lassen. Auf die zusätzlichen Vertretungsmöglichkeiten für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse wird hingewiesen (vgl. § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO und § 5 Nr. 6 des Einführungsgesetzes zum Rechtsdienstleistungsgesetz – RDGEG –). Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO bezeichneten Personen und Organisationen unter den dort genannten Voraussetzungen als Bevollmächtigte zugelassen.
74Die Beschwerdeschrift und die Beschwerdebegründungsschrift sollen möglichst 1-fach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.
75(2) Gegen den Streitwertbeschluss kann schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet, falls ihr nicht abgeholfen wird.
76Die Beschwerde kann auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) oder zu Protokoll der Geschäftsstelle eingelegt werden; § 129a der Zivilprozessordnung gilt entsprechend.
77Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn sie innerhalb von sechs Monaten eingelegt wird, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat; ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
78Die Beschwerde ist nicht gegeben, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,-- Euro nicht übersteigt.
79Die Beschwerdeschrift soll möglichst 1-fach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.
80War der Beschwerdeführer ohne sein Verschulden verhindert, die Frist einzuhalten, ist ihm auf Antrag von dem Gericht, das über die Beschwerde zu entscheiden hat, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er die Beschwerde binnen zwei Wochen nach der Beseitigung des Hindernisses einlegt und die Tatsachen, welche die Wiedereinsetzung begründen, glaubhaft macht. Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist angerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden.
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