Beschluss vom Verwaltungsgericht Gelsenkirchen - 9 L 564/14
Tenor
1. Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
2. Der Streitwert wird auf 3.750,00 € festgesetzt.
1
Gründe:
2Das vorläufige Rechtsschutzbegehren des Antragstellers hat insgesamt keinen Erfolg.
3Sein Antrag zu 1.,
4die aufschiebende Wirkung der Klage 9 K 1700/14 gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung der Antragsgegnerin vom 17. Dezember 2013 anzuordnen,
5ist – bei der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes allein gebotenen summarischen Prüfung – nach § 80a Abs. 3, Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zulässig, aber nicht begründet.
6Der Zulässigkeit steht eine dem Antragsteller fehlende Antragsbefugnis nicht entgegen. Ein Antragsteller ist entsprechend § 42 Abs. 2 VwGO antragsbefugt, wenn eine Verletzung von eigenen Rechten möglich erscheint und nicht offensichtlich und eindeutig ist, dass die von ihm geltend gemachten Rechte nach keiner Betrachtungsweise bestehen können. Erscheint die Verletzung eigener Rechte im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO ausgeschlossen, ist die Klage in der Hauptsache mangels Klagebefugnis unzulässig. Ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ist mangels Antragsbefugnis gleichfalls unzulässig.
7Vgl. Külpmann in Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsverfahren, 6. Auflage 2011, Rn 881 m.w.N.
8Der Antragsteller beruft sich vor allem auf störende Lärmimmissionen und – neben anderen nicht nachbarschützenden Vorschriften – § 35 Baugesetzbuch (BauGB), der zwar nicht generell, aber insoweit drittschützende Wirkung hat, als (auch) in ihm – namentlich im Begriff der „schädlichen Umwelteinwirkungen“ nach Abs. 3 Nr. 3 – das planungsrechtliche „Gebot der Rücksichtnahme“ verankert ist.
9Vgl. VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 6. Dezember 2013 – 6 L 1431/13 – juris Rn 16 ff.
10Ob ein Verstoß gegen § 35 Abs. 3 Nr. 3 BauGB zulasten des Antragstellers vorliegt, ist eine Frage der Begründetheit. Im Rahmen der Zulässigkeit mag eine Verletzung von Rechten des Antragstellers durch Lärmimmissionen angesichts Tatsache, dass sein Grundstück (postalische Anschrift N.-----straße 24 in N1. ) von dem Vorhabengrundstück der Beigeladenen (postalische Anschrift I. . 301 in N1. ) durch eine Entfernung von ca. 2 km Luftlinie (gemessen anhand des Kartenmaterials unter www.tim-online.nrw.de, zuletzt abgerufen am 9. Mai 2014) und die Autobahn 43 getrennt ist, zwar bereits unwahrscheinlich erscheinen, sie ist jedoch nicht offensichtlich und eindeutig ausgeschlossen.
11Dem Antragsteller fehlt nicht wegen Versäumung der Klagefrist im Hauptsacheverfahren das Rechtsschutzbedürfnis. Die angefochtene Baugenehmigung vom 17. Dezember 2013 ist dem Antragsteller nicht bekannt gegeben worden, so dass die Klagefrist nach § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO, 110 Abs. 1, 3 Satz 2 Nr. 7 Justizgesetz NRW (JustG NRW) i.V.m. § 58 Abs. 1 VwGO nicht begonnen hat. Die Antragsgegnerin hat auf telefonische Nachfrage des Prozessbevollmächtigten des Antragstellers am 24. März 2014 lediglich die Erteilung einer Baugenehmigung für die Beigeladene bestätigt, die erbetene Übersendung aber mit Hinweis auf die Möglichkeit, Akteneinsicht zu nehmen, abgelehnt.
12Der Antrag ist unbegründet.
13Die Anfechtungsklage eines Dritten gegen einen ihn belastenden, den Empfänger begünstigenden Verwaltungsakt hat gemäß § 80 Abs. 1 VwGO grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 212a Abs. 1 BauGB gilt dies jedoch nicht, wenn ein Drittbetroffener gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Bauvorhabens klagt. In diesen Fällen hat er allerdings die Möglichkeit, bei Gericht die Anordnung der aufschiebenden Wirkung zu beantragen (§§ 80 a Abs. 3, Abs. 1 Nr. 2, 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der Ausgang dieses Verfahrens hängt ab von einer Abwägung der widerstreitenden Interessen einerseits des Dritten an der Suspendierung der angefochtenen Baugenehmigung bzw. andererseits des Empfängers und der Öffentlichkeit an der sofortigen Ausnutzung derselben. Bei dieser Abwägung sind insbesondere die Erfolgsaussichten des eingelegten Rechtsbehelfs zu berücksichtigen. Dieser hat Erfolg, soweit sich die erteilte Baugenehmigung in Bezug auf öffentliches Nachbarrecht als rechtswidrig erweist. Ergibt die im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotene summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage, dass die sofort vollziehbare Baugenehmigung aufgrund von auch dem Schutz des Dritten dienenden Vorschriften rechtswidrig ist, überwiegt das private Aufschubinteresse des Dritten. Durch die Schaffung vollendeter Tatsachen würde dem Dritten die Duldung des vorläufigen Zustands zugemutet und die Durchsetzung seines nachbarlichen Abwehrrechts erheblich erschwert. Ist hingegen kein Verstoß gegen nachbarrechtliche Abwehrrechte feststellbar, überwiegt regelmäßig sowohl das öffentliche Interesse als auch das private Interesse des Bauherrn am Bestand der sofortigen Vollziehbarkeit.
14Die Abwägung des Interesses des Antragstellers – vorläufig von der Fortsetzung der Bauarbeiten bzw. der Nutzung der Werft der Beigeladenen verschont zu bleiben – mit dem widerstreitenden öffentlichen Interesse – genehmigte Zustände alsbald realisiert zu sehen – und dem privaten Interesse der Beigeladenen – alsbald die Baugenehmigung ausnutzen zu können –, führt dazu, dass den letztgenannten Interessen Vorrang einzuräumen ist. Nach dem bisherigen Sach- und Streitstand wird die in der Hauptsache erhobene Klage voraussichtlich keinen Erfolg haben.
15Erfolg verspricht die Anfechtungsklage, wenn dem Antragsteller ein Abwehrrecht gegen das Vorhaben der Beigeladenen zusteht. Dies setzt voraus, dass das Vorhaben in einer nicht durch einen rechtmäßigen Dispens ausräumbaren Weise gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften verstößt, die auch dem Schutz des Antragstellers zu dienen bestimmt sind, und – sofern sich dies aus der nachbarschützenden Vorschrift ergibt – der Antragsteller durch das Vorhaben tatsächlich spürbar beeinträchtigt wird. Ob das Vorhaben objektiv, d.h. hinsichtlich der Vorschriften, die nicht nachbarschützend sind, rechtmäßig ist, wird im Klageverfahren – wie auch im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes – hingegen nicht geprüft.
16Die der Beigeladenen am 17. Dezember 2013 erteilte Baugenehmigung verstößt nicht gegen den Antragsteller schützende Vorschriften.
17Soweit der Antragsteller die örtliche Zuständigkeit der Antragsgegnerin für die Erteilung der streitgegenständlichen Baugenehmigung in Abrede stellt, wird seine Rüge nicht zum Erfolg führen. Es erscheint bereits fraglich, ob der von einer Baugenehmigung betroffene Nachbar wegen eines Verstoßes gegen Vorschriften über die Behördenzuständigkeit die Aufhebung der Baugenehmigung verlangen kann, ob es sich insoweit also um drittschützende Vorschriften handelt.
18Vgl. dazu einerseits (verneinend) VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 25. April 2006 – 3 S 547/06 –, juris Rn 3 f; andererseits (wohl bejahend) Johlen, in: Gädtke, BauO NRW, 12. Aufl. 2011, § 74 Rn 85.
19Jedenfalls ist ein Zuständigkeitsmangel nicht erkennbar. Die örtliche Zuständigkeit der Antragsgegnerin folgt nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 Verwaltungsverfahrensgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen (VwVfG NRW) aus der Belegenheit des Vorhabengrundstücks im Gebiet der Stadt N1. . Das vom Prozessbevollmächtigten des Antragstellers aufgeworfene Problem der örtlichen Zuständigkeit mehrerer Behörden stellt sich nicht; die in diesem Zusammenhang zitierten Vorschriften sind nicht einschlägig. Weder erstreckt sich das Vorhabengrundstück über den Bezirk mehrerer Behörden, so dass die örtliche Zuständigkeit nach § 3 Abs. 2 VwVfG NRW zu bestimmen wäre,
20vgl. dazu OVG NRW, Urteil vom 19. Dezember.1989 – 10 A 2177/87 –, juris Rn 6 = NWVBl. 1990,194; Boeddinghaus/Hahn/Schulte/Radeisen, Bauordnung für das Land Nordrhein-Westfalen, Kommentar, Stand: Februar 2014, § 62 Rn 4,
21noch betrifft die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung mehrere Buchgrundstücke eines Eigentümers, die in verschiedenen Bezirken liegen, wie es die Sonderregelung des § 206 Abs. 1 Satz 2 BauGB für Verwaltungsverfahren nach dem BauGB voraussetzt,
22vgl. dazu Battis in Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB Kommentar, 12. Auflage 2014, § 206 Rn 2.
23Auf eine Verletzung des § 36 Abs. 1 BauGB, die der Antragsteller darin sehen will, dass die Stadt S. nicht am Genehmigungsverfahren beteiligt worden ist und deswegen das in § 36 Abs. 1 BauGB verlangte „Einvernehmen der Gemeinde fehle“, kann sich der Antragsteller nicht berufen. § 36 Abs. 1 BauGB dient ausschließlich dazu, die gemeindliche Planungshoheit zu sichern und die Gemeinde in ihrer Eigenschaft als Trägerin der Planungshoheit und damit Trägerin eigener Rechte in das Baugenehmigungsverfahren einzubeziehen. Die Vorschrift dient nicht – auch nicht neben dem genannten Zweck – dem Interesse des Bürgers. Sie räumt ihm keine Verfahrensrechte ein und gibt ihm damit auch nicht die Möglichkeit, einen etwa vorliegenden Verstoß gegen die aus § 36 Abs. 1 BauGB folgenden Beteiligungspflichten mit Erfolg zu rügen.
24Vgl. BVerwG, Urteil vom 6. Dezember 1967 – IV C 94/66 – juris Rn 22 = BVerwGE 28, 268, zu § 36 BBauG.
25Die Vorschrift ist im Übrigen auch tatbestandlich nicht einschlägig. Die Stadt S. war nicht nach § 36 Abs. 1 BauGB zu beteiligen. Die Vorschrift setzt ein Auseinanderfallen der Körperschaft, die als Bauaufsichtsbehörde die Baugenehmigung erlässt, und der Standortgemeinde des Vorhabengrundstücks voraus, das in Nordrhein-Westfalen bei der Genehmigung eines Vorhabens auf dem Gebiet einer kleinen kreisangehörigen Gemeinde durch den Kreis als nach § 60 Abs. 1 Nr. 3 b) BauO NRW zuständige untere Bauaufsichtsbehörde eintritt. Vorliegend fehlt es an einem solchen Auseinanderfallen. Die Stadt N1. ist sowohl – als große kreisangehörige Gemeinde nach § 60 Abs. 1 Nr. 3 Buchst a) BauO NRW, § 4 Abs. 1, 3 Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen (GO NRW) – zuständige untere Bauaufsichtsbehörde als auch Standortgemeinde des Vorhabengrundstücks. Die Planungshoheit anderer Gemeinden ist nicht betroffen.
26Eine Verletzung von Rechten des Antragstellers ergibt sich nicht daraus, dass es vorliegend an einer luftverkehrsrechtlichen Fachplanung fehlt. Ficht ein Drittbetroffener eine Baugenehmigung an, kann er sich auf das rechtswidrige Fehlen einer luftverkehrsrechtlichen Planfeststellung berufen. Zwar steht einem Drittbetroffenen im Luftverkehrsrecht kein Anspruch auf Durchführung eines Planfeststellungsverfahrens zu.
27Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. September 2001 – 9 A 3/01 – juris Rn 25 f = BVerwGE 115, 158 m.w.N.
28Er kann aber beanspruchen, dass ihm daraus, dass das Planfeststellungsverfahren rechtswidrig unterblieben ist, keine Beeinträchtigung seiner materiellen Rechtsposition erwächst. Eine derartige Beeinträchtigung liegt vor, wenn einem Drittbetroffenen die planerische Abwägung seiner dem Vorhaben entgegenstehenden Belange wegen der fehlerhaften Wahl der Verfahrensart versagt geblieben ist. Dies kann ein Drittbetroffener mit seiner Klage gegen die Baugenehmigung – und entsprechend im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes – geltend machen. Die Erteilung einer Baugenehmigung setzt nach § 75 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW voraus, dass das Vorhaben den öffentlich-rechtlichen Vorschriften entspricht. Diese Feststellung kann die Bauaufsichtsbehörde nicht ohne Rechtsverstoß treffen, wenn einem Drittbetroffenen dadurch sein Anspruch auf planerische Abwägung vorenthalten wird. Der Umstand, dass die Bauaufsichtsbehörde in dieser Beziehung keine eigene Entscheidungskompetenz besitzt, ändert nichts daran, dass sie es nach außen hin zu vertreten hat, wenn die von der nach § 10 Abs. 1 Satz 3 Luftverkehrsgesetz (LuftVG) zuständigen Planfeststellungsbehörde getroffene Entscheidung Rechte Dritter verletzt. Die Anwendung von Normen, die Drittschutz vermitteln, führt nach Art. 19 Abs. 4 GG nämlich notwendig zu einer Klagebefugnis gegenüber derjenigen Behörde, die von Gesetzes wegen zu einem Verwaltungshandeln mit unmittelbarer Außenwirkung berufen ist.
29Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. September 2001 – 9 A 3/01 – juris Rn 25 f = BVerwGE 115, 158.
30Hier ist die Planfeststellung aber rechtmäßig unterblieben. Einer Planfeststellung gemäß § 10 Abs. 1 Satz 3 LuftVG bedurfte es nach §§ 6, 8 Abs. 1 i.V.m. § 17 LuftVG auch dann nicht, wenn die Errichtung und anschließende Nutzung der von der Beigeladenen zur Genehmigung gestellten Werft als (nicht unwesentliche) Änderung des bestehenden Flugplatzes zu qualifizieren wäre.
31Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 LuftVG dürfen Flugplätze (Flughäfen, Landeplätze und Segelfluggelände) nur mit Genehmigung angelegt oder betrieben werden. § 8 Abs. 1 Satz 1 LuftVG bestimmt, dass Flughäfen sowie Landeplätze mit beschränktem Bauschutzbereich nach § 17 LuftVG nur angelegt und bestehende nur geändert werden dürfen, wenn der Plan nach § 10 LuftVG vorher festgestellt ist. Ob für einen Landeplatz ein beschränkter Bauschutzbereich besteht, legt die Luftverkehrsbehörde fest. Nach § 17 Satz 1 LuftVG kann sie bei der Genehmigung von Landeplätzen und Segelfluggeländen bestimmen, dass die zur Erteilung einer Baugenehmigung zuständige Behörde die Errichtung von Bauwerken im Umkreis von 1,5 km Halbmesser um den dem Flugplatzbezugspunkt entsprechenden Punkt stets sowie die Errichtung von Bauwerken mit einer Höhe von mehr als 25 Metern bezogen auf den dem Flughafenbezugspunkt entsprechenden Punkt in einem Umkreis von 4 km Halbmesser um den Flugplatzbezugspunkt nur mit Zustimmung der Luftfahrtbehörde genehmigen darf (beschränkter Bauschutzbereich).
32Der Flugplatz M. ist unter dem 22. März 1978 gemäß § 6 Abs. 1 LuftVG als Landeplatz ohne beschränkten Bauschutzbereich genehmigt worden. Unter Abschnitt B.9. der Genehmigung heißt es: „Die Festlegung eines beschränkten Bauschutzbereiches ist zurzeit nicht vorgesehen.“ Sie ist nach Angaben der Bezirksregierung N2. als der zuständigen Luftverkehrsbehörde auch in den später ergangenen Änderungsgenehmigungen nicht erfolgt. § 8 Abs. 1 LuftVG kommt damit nicht zur Anwendung.
33Welche den Antragsteller schützenden Vorschriften im Zusammenhang mit einer etwaigen Pflicht zur Umweltverträglichkeitsprüfung verletzt sein sollen, ist für das Gericht weder ersichtlich noch der Antragsschrift zu entnehmen.
34Die Kammer kann auch keinen Verstoß gegen nachbarschützende Vorschriften des Bauplanungsrechts feststellen. Ob die Baugenehmigung für das im Außenbereich gelegene Vorhaben gemäß § 35 BauGB – es dürfte sich um ein privilegiertes Vorhaben nach § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB handeln – erteilt werden durfte oder dies wegen des Entgegenstehens öffentlicher Belange im Sinne des § 35 Abs. 3 BauGB ausschied, ist für die Entscheidung über den Rechtsbehelf eines Nachbarn grundsätzlich nicht von Belang. Bei § 35 BauGB handelt es sich nicht um eine generell nachbarschützende Vorschrift. Nachbarschutz entfaltet § 35 BauGB allerdings insoweit, als (auch) in ihm – namentlich im Begriff der „schädlichen Umwelteinwirkungen“ nach Abs. 3 Nr. 3 – das planungsrechtliche „Gebot der Rücksichtnahme“ verankert ist.
35Vgl. VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 6. Dezember 2013 – 6 L 1431/13 – juris Rn 16 ff.
36Ein Verstoß gegen § 35 Abs. 3 Nr. 3 BauGB zu Lasten des Antragstellers ist indes nicht erkennbar. Die Kammer kann nicht ersehen, dass der Antragsteller durch die der Beigeladenen genehmigte Errichtung und Nutzung der neuen Werft schädlichen Umwelteinwirkungen im Sinne von § 35 Abs. 3 Nr. 3 BauGB ausgesetzt wird. Schädliche Umwelteinwirkungen sind erhebliche Immissionen im Sinne der §§ 3 Abs. 1 und 2, 22 Abs. 1 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes(BImSchG), das heißt solche Immissionen, die nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen. Solche Immissionen sind vorliegend nicht zu erwarten.
37Der Antragsteller beruft sich auf „Lärm, Gerüche und Dämpfe sowie Staub und Erschütterungen/Vibrationen“. Letztere seien auf der am Flugplatzgelände vorbeiführenden I1.---straße zu spüren.
38Ob Geräuscheinwirkungen schädlich und damit unzumutbar sind, ist bei Anlagen, die als genehmigungsbedürftige oder nicht genehmigungsbedürftige Anlagen den Anforderungen des Zweiten Teils des Bundes-Immissionsschutzgesetzes unterliegen, grundsätzlich anhand der auf der Grundlage von § 48 BImSchG erlassenen Sechsten Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Bundes-Immissionsschutzgesetz (Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm - TA Lärm - vom 26. August 1998) zu bestimmen.
39Vgl. (in Bezug auf § 35 BauGB) nur BVerwG, Urteil vom 29. August 2007 - 4 C 2.07 -, BVerwGE 129, 209 ff.
40Die TA Lärm enthält zwar keine besonderen Richtwerte zur Lösung von Immissionskonflikten im Außenbereich. Die Situation im Außenbereich ist indes hinsichtlich der Schutzbedürftigkeit derjenigen in einem Kern-, Dorf- oder Mischgebiet vergleichbar. Die für diese Gebiete geltenden Immissionsrichtwerte der TA Lärm werden daher im Allgemeinen auch für die Beurteilung von Immissionskonflikten im Außenbereich herangezogen.
41Vgl. nur OVG NRW, Urteil vom 18. November 2002 – 7 A 2127/00 –, juris Rn 13 ff = BauR 2003, 240 ff; VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 6. Dezember 2013 – 6 L 1431/13 – juris Rn 21.
42Nach Nr. 6.1 Abs. 1 lit. c) TA Lärm betragen die Immissionsrichtwerte in den genannten Gebieten tags 60 dB(A) und nachts 45 dB(A). Durch einzelne kurzzeitige Geräuschspitzen dürfen sie gemäß Nr. 6.1 Abs. 2 TA Lärm am Tag um nicht mehr als 30 dB(A) und in der Nacht um nicht mehr als 20 dB(A) überschritten werden; damit ergeben sich Maximalwerte von tags 90 dB(A) und nachts 65 dB(A).
43Dass diese Werte auf dem vom Vorhabengrundstück ca. 2 km Luftlinie entfernten Grundstück des Antragstellers durch die der Beigeladenen genehmigte Errichtung und Nutzung der neuen Werft überschritten werden sollen, vermag die Kammer nicht zu erkennen. Ausweislich des Baugenehmigungsantrags finden in der Werft neben der Büronutzung von 7.00 bis 17:00 Uhr Reparatur- und Instandhaltungsarbeiten statt, die geringfügigen Lärm verursachen. Die Kammer geht nach dieser Beschreibung von einer Lärmbelastung entsprechend einer Kraftfahrzeugwerkstatt mit Karosseriearbeiten aus, die die in Kern-, Dorf- oder Mischgebieten zulässigen Lärmgrenzwerte typischerweise nicht überschreitet. Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes hat die Beigeladene zudem erklärend darauf hingewiesen, dass die Werft nicht über einen Motorlaufprüfstand verfügt, der erhebliche Lärmimmissionen verursachen könnte, sondern die Prüfung des Motorenlaufs – wie bisher – durch auswärtige Spezialbetriebe durchgeführt werden wird. Eine mit Erfolg zu rügende Beeinträchtigung des Antragstellers ergibt sich auch nicht daraus, dass sein Grundstück in der östlichen Verlängerung der Start- und Landebahn des Flugplatzes liegt und deshalb in besonderer Weise Lärmimmissionen durch den Flugverkehr ausgesetzt sein mag. Diese Immissionen sind durch den luftverkehrsrechtlich genehmigten Betrieb des Landeplatzes und die Nutzung der Start- und Landebahn, nicht durch die hier in Rede stehende Errichtung und Nutzung des neuen Werftgebäudes begründet.
44Bezüglich der vom Antragsteller gerügten Gerüche und Dämpfe sowie bezüglich des Staubs und der Erschütterungen/Vibrationen ist bereits nicht erkennbar, dass diese von der Errichtung und Nutzung der neuen Werft herrühren. Dem Vortrag des Antragstellers ist zudem nicht zu entnehmen, dass diese Immissionen sein Grundstück überhaupt in erheblichem Maße erreichen. Er gibt selbst an, die Vibrationen seien beim Befahren der I1.---straße auf der Höhe des Flugplatzes zu spüren.
45Ist nach alledem – jedenfalls hinsichtlich nachbarschützender Vorschriften – von der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Baugenehmigung auszugehen, können auch die auf Stilllegung und Nutzungsuntersagung gerichteten Anträge zu 2. und 3. keinen Erfolg haben.
46Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, dem Antragsteller auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen, da diese einen Sachantrag gestellt und sich damit ihrerseits gemäß § 154 Abs. 3 VwGO einem Kostenrisiko ausgesetzt hat.
47Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG). Dabei orientiert sich die Kammer am Streitwertkatalog der Bausenate des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen,
48BauR 2003, 1883,
49und schätzt die geltend gemachte Beeinträchtigung der Rechte des Antragstellers in Ausübung richterlichen Ermessens nach Ziffer 7 für sein Grundstück auf 7.500,00 €. Die Anträge zu 2. und 3. betreffend Baustopp und Nutzungsuntersagung erhöhen den Streitwert nicht. Aufgrund der Vorläufigkeit der Entscheidung ist der Streitwert nach Ziffer 12 Buchst. a) des Streitwertkatalogs auf die Hälfte des Streitwerts in der Hauptsache festzusetzen.
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