Urteil vom Verwaltungsgericht Greifswald (5. Kammer) - 5 A 2798/05

Tenor

Der Bescheid des Beklagten vom 22.06.2005 und der Widerspruchsbescheid des Landrates des Landkreises Müritz vom 05.10.2005 werden aufgehoben.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagte darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung nach Maßgabe der Kostenfestsetzung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

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Die Beteiligten streiten um die Rückzahlung von Wohngeld.

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Die Klägerin bezog Leistungen nach dem Wohngeldgesetz (WoGG). Da der Bewilligungszeitraum am 31.12.2004 ablief, stellte sie am 24.11.2004 einen Antrag auf Weitergewährung für die Zeit ab 01.01.2005. Der Beklagte bewilligte ihr mit Bescheid vom 01.03.2005 Wohngeld für die Zeit vom 01.01.2005 bis 31.12.2005 in Höhe von monatlich 96,00 €.

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Am 12.05.2005 übersandte die Klägerin die Fotokopie eines Bescheides des Landrates des Landkreises Müritz vom 09.03.2005, wonach ihr für die Zeit vom 01.02.2005 bis 31.12.2005 Grundsicherungsleistungen nach dem SGB XII in Höhe von monatlich 95,35 € bewilligt worden waren. Der Beklagte widerrief daraufhin mit dem angefochtenen Bescheid vom 22.06.2005 den Bewilligungsbescheid ab dem 01.02.2005 und forderte das in der Zeit vom 01.02.2005 bis 31.05.2005 gewährte Wohngeld von zusammen 384,00 € zurück. Den dagegen am 08.07.2005 eingelegte Widerspruch wies der Landrat des Landkreises Müritz mit Widerspruchsbescheid vom 05.10.2005 zurück. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, dass der Wohngeldbescheid vom 01.03.2005 nach § 30 Abs. 4 des Wohngeldgesetzes (WoGG) aufgrund der bewilligten Grundsicherungsleistungen unwirksam geworden sei, ohne dass es einer Aufhebung des Bescheides bedurft habe. Der Überzahlungsbetrag könne nach § 50 Abs. 2 SGB X zurückgefordert werden. Der Behörde stehe danach kein Ermessen zu, welches es ermöglichen würde, von einer Rückforderung abzusehen.

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Die Klägerin hat am 02.11.2005 Klage gegen den Landrat des Landkreises Müritz erhoben und diese mit Schriftsatz vom 08.12.2005 gegen den Beklagten gerichtet.

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Die Klägerin beantragt,

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den Bescheid des Beklagten vom 22.06.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Landrates des Landkreises Müritz vom 05.10.2005 aufzuheben.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes sowie des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der

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Gerichtsakte und der Verwaltungsvorgänge des Beklagten und des Landrates des Landkreises Müritz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Das Gericht konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben (§ 101 Abs. 2 VwGO).

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Die zulässige Klage ist begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).

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Die Klägerin ist nicht nach § 50 Abs. 2 SGB X zur Rückzahlung des Wohngeld-Überzahlungsbetrages verpflichtet. Danach sind Leistungen zu erstatten, soweit sie ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbracht worden sind. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor, weil der Beklagte die zurückgeforderten Wohngeldzahlungen aufgrund des Bewilligungsbescheides vom 01.03.2005 geleistet hat. Der Bewilligungsbescheid ist auch nicht nach § 30 Abs. 4 Satz 1 WoGG unwirksam geworden. Nach dieser Vorschrift wird ein Bewilligungsbescheid unwirksam, wenn in einem Bewilligungszeitraum ein bei der Berechnung des Wohngeldes berücksichtigtes Familienmitglied nach § 1 Abs. 2 WoGG vom Wohngeld ausgeschlossen ist. Diese Unwirksamkeitsregelung stellt zwar eine gesetzliche auflösende Bedingung dar (vgl. Begründung zum Gesetzentwurf, BT-Drucksache 15/3943, S. 15), bei deren Eintritt der erlassene Verwaltungsakt entfallen würde. Die tatbestandlichen Voraussetzungen für den Eintritt der auflösenden Bedingung liegen jedoch nicht vor, da die Klägerin bereits bei Erlass des Wohngeldbescheides vom 01.03.2005 vom Wohngeld ausgeschlossen war.

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Gem. § 30 Abs. 4 Satz 2 und Satz 3 WoGG tritt die Unwirksamkeit des Bescheides zum Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse, bei Änderungen im Laufe eines Monats zum auf die Änderung folgenden nächsten Ersten eines Monats ein. Als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse gilt der Beginn des Zeitraums, in dem das Familienmitglied nach § 1 Abs. 2 vom Wohngeld ausgeschlossen ist. Die Klägerin als Familienmitglied i.S.v. § 4 Abs. 1 WoGG war nach § 1 Abs. 2 WoGG ab dem 01.02.2005 vom Wohngeld ausgeschlossen. Nach § 1 Abs. 2 Satz 1 Ziff. 2 WoGG sind die Empfänger von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII, bei deren Berechnung Kosten der Unterkunft berücksichtigt worden sind, vom Wohngeld ausgeschlossen. Dies gilt auch für die Dauer des Verwaltungsverfahrens zur Feststellung von Grund und Höhe der Leistungen. Der Ausschluss gilt vom Ersten des Monats an, für den ein Antrag auf eine Leistung nach Satz 1 gestellt worden ist; wird die Leistung nach Satz 1 nicht vom Ersten des Monats an beantragt, gilt der Ausschluss vom Ersten des nächsten Monats an (§ 1 Abs. 2 Satz 5 und Satz 6 WoGG). Die Klägerin hatte nach den Angaben im angefochtenen Widerspruchsbescheid bereits am 18.02.2005 einen Antrag auf Grundsicherungsleistungen gestellt, die nach § 44 Abs. 1 Satz 2 SGB XII zum Ersten des Antragsmonats bewilligt worden waren. Aufgrund des Antrags auf die Transferleistung für den Monat Februar 2005 begann nach § 1 Abs. 2 Satz 6 1. HS WoGG am 01.02.2005 der Zeitraum, in dem sie vom Wohngeld ausgeschlossen war. Daher ist es unzutreffend, wenn es in der o.g. Begründung zum Gesetzentwurf heißt, dass die Leistung von Wohngeld zeitnah endet, wenn das Familienmitglied Empfänger einer der in § 1 Abs. 2 WoGG genannten Transferleistung wird. Aufgrund von § 1 Abs. 2 Satz 5 und 6 WoGG wird dieser Zeitpunkt auf die Zeit der Antragstellung vorverlegt.

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Zum maßgeblichen Zeitpunkt 01.02.2005 konnte der Wohngeldbescheid vom 01.03.2005 nicht unwirksam werden, weil er noch nicht existierte. Bereits dies zeigt, dass § 30 Abs. 4 WoGG nur den Fall einer nach Bescheiderlass eingetretenen Änderung der Verhältnisse regelt (ebenso Stadler/Gutekunst/Forster/Wolf, WoGG, Kommentar, § 30, Rdnr. 56; Schwerz, WoGG, Handkommentar, 4. Auflage 2006, § 30, Rdnr. 2). Dies wird durch die bereits oben genannten Begründung zum Gesetzentwurf bestätigt, wonach der Bewilligungsbescheid dann unwirksam wird, "wenn er nachträglich der Regelungsaussage des § 1 Abs. 2 WoGG widerspricht". § 30 Abs. 4 WoGG stellt sich daher als eine spezielle Regelung zu § 48 SGB X dar, welcher die Aufhebung eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung bei Änderung der Verhältnisse betrifft. Auf Fälle, in denen der Wohngeldbescheid bereits bei seinem Erlass rechtswidrig war, weil schon zu diesem Zeitpunkt der Antragsteller oder ein Familienmitglied vom Wohngeld ausgeschlossen war, findet die Vorschrift dagegen keine Anwendung, so dass es diesbezüglich bei den allgemeinen Regelungen der §§ 45 Abs. 1, 50 Abs. 1 SGB X verbleibt.

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Die Voraussetzungen der §§ 45 Abs. 1, 50 Abs. 1 SGB X, wonach ein rechtswidriger Verwaltungsakt zurückgenommen werden kann und bereits erbrachte Leistungen zu erstatten sind, liegen ebenfalls nicht vor. Es fehlt es an einer Rücknahme des Wohngeldbescheides vom 01.03.2005. Zwar hatte der Beklagte mit seinem angefochtenen Bescheid vom 22.06.2005 den Bescheid vom 01.03.2005 "widerrufen", was als Rücknahme i.S.v. § 45 SGB X ausgelegt werden könnte. Der Widerspruchsbescheid sieht jedoch ausdrücklich vor, dass der Bewilligungsbescheid unwirksam sei und es einer Aufhebung nicht bedurft habe. Maßgeblich für den Inhalt des Bescheides ist, wie § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO zeigt, seine Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat. Dies gilt auch, wenn der Widerspruchsbescheid inhaltliche Fehler aufweist, die im Ausgangsbescheid noch nicht enthalten waren; grundsätzlich hat die Erstbehörde auch Fehler der Widerspruchsbehörde zu tragen (VGH Mannheim, Urt. v. 15.11.1989 - 6 S 2694/88 -, NVwZ 1990, 1085 m.w.N.). Eine isolierte Aufhebung des Widerspruchsbescheides kommt nur unter den Voraussetzungen des § 79 VwGO in Betracht. Die Voraussetzungen dafür liegen nicht vor, weil der Widerspruchsbescheid nicht erstmalig oder zusätzlich eine Beschwer enthält und auch nicht auf der Verletzung einer wesentlichen Verfahrensvorschrift beruht (§ 79 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 VwGO).

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Selbst wenn man entgegen der ausdrücklichen Erklärung der Widerspruchsbehörde annehmen wollte, dass die angefochtenen Bescheide zumindest eine konkludente Rücknahme enthalten, wäre die Rücknahme wegen eines Ermessensausfalls rechtswidrig, da die Widerspruchsbehörde ausdrücklich davon ausgegangen ist, dass ein Ermessensspielraum nicht besteht. Daher ist auch eine Umdeutung des Erstattungsbescheides nach § 50 Abs. 2 SGB X in einen Rücknahme- und Erstattungsbescheid nach §§ 45 Abs. 1, 50 Abs. 1 SGB X nicht möglich. Dem steht § 43 Abs. 3 SGB X entgegen, wonach eine Entscheidung, die nur als gesetzlich gebundene Entscheidung ergehen kann, nicht in eine Ermessensentscheidung umgedeutet werden kann. Die Rückforderung überzahlten Wohngeldes nach § 50 Abs. 2 SGB X, weil der Bewilligungsbescheid nach § 30 Abs. 4 WoGG unwirksam geworden ist, ist eine gebundene Entscheidung, während die Rücknahme eines Verwaltungsaktes nach § 45 Abs. 1 SGB X im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde steht und Gründe für eine Ermessensreduzierung auf Null im vorliegenden Fall weder vom Beklagten dargetan noch sonst ersichtlich sind.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

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Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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