Urteil vom Verwaltungsgericht Greifswald (3. Kammer) - 3 A 2263/16 HGW

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger auferlegt.

3. Das Urteil ist im Kostenpunkt gegen Sicherheitsleistung in Höhe der Vollstreckungsschuld vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Heranziehung zu Anschlussbeiträgen (Schmutz- und Niederschlagswasser).

2

Der Kläger ist Eigentümer des gewerblich genutzten Grundstücks G1, in einer Größe von 9.181 m². Das Grundstück, das an die von der Stadt Barth betriebene zentrale Schmutz- und Niederschlagswasserbeseitigungsanlage angeschlossen ist, ist aus dem Grundstück G2 hervorgegangen. Dieses Grundstück hatte der Kläger auf Grundlage des notariellen Kaufvertrages vom 27. Oktober 1992 – UR-Nr. 2112 des Notars G.M. in Ribnitz-Damgarten – zu einem Kaufpreis von umgerechnet 17,90 EUR/m² von der Stadt Barth erworben.

3

In § 6 Abs. 3 „Gewährleistung“ des Vertrages heißt es in Bezug auf den Kaufgegenstand:

4

Es handelt sich um ein voll erschlossenes Grundstück.

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Der Anschluss des zuvor dezentral entsorgten Grundstücks an die zentrale Abwasserbehandlungsanlage erfolgte ausweislich der in den Verwaltungsvorgängen des Beklagten enthaltenen „Anschlusslaufkarte“ im August 1993.

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Mit Bescheid vom 16. März 2015 zog der Beklagte den Kläger zu einem Anschlussbeitrag (Schmutz- und Niederschlagswasser) i.H.v. 89.000,35 EUR heran. Den Widerspruch des Klägers wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 17. November 2016 zurück.

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Am 14. Dezember 2016 hat der Kläger Anfechtungsklage erhoben. Er ist der Auffassung, seine Heranziehung sei rechtswidrig. Es sei zweifelhaft, ob die Anschlussbeitragssatzung ordnungsgemäß bekannt gemacht worden sei. Ungeachtet dessen hätten die Beteiligten mit der Wendung „voll erschlossenes Grundstück“ eine Vereinbarung getroffen, nach der die Stadt Barth den Kläger von Beitragsforderungen freizustellen habe. Diese Vereinbarung sei wirksam. Insbesondere verstoße sie nicht gegen ein gesetzliches Verbot. Das zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltende Kommunalabgabengesetz 1991 habe keine Beitragserhebungspflicht normiert, sondern die Beitragserhebung in das Ermessen der beitragsberechtigten Körperschaft gestellt.

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Der Kläger beantragt,

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den Beitragsbescheid des Beklagten vom 16. März 2015 – Nr. 15-5041 – in der Gestalt seines Widerspruchsbescheides vom 17. November 2016 aufzuheben.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Er ist der Auffassung, bei der fraglichen Klausel handele es sich lediglich um eine Beschaffenheitsvereinbarung. Zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses sei die Erschließung des klägerischen Grundstücks gerade erst erfolgt. Eine Freistellung von der Erhebung von Anschlussbeiträgen sei nicht vereinbart worden. Dies nicht zuletzt deshalb nicht, weil die Stadt Barth zum damaligen Zeitpunkt erst mit der Herstellung der zentralen Schmutzwasserbeseitigungsanlagen begonnen hatte und die Kosten nicht abschätzbar gewesen seien. Damit sei nicht absehbar gewesen, in welcher Höhe der Kläger freigestellt worden wäre.

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Mit Beschluss vom 26. April 2017 hat das Gericht den Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Berichterstatter als Einzelrichter übertragen.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen. Der Kammer haben bei der Entscheidung die beim Beklagten entstandenen Verwaltungsvorgänge vorgelegen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist unbegründet. Der streitgegenständliche Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger daher nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

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Er findet seine gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 Kommunalabgabengesetz (KAG M-V) erforderliche Rechtsgrundlage in der Satzung über die Erhebung von Beiträgen für die Abwasserbeseitigung in der Stadt Barth (Abwasserbeitragssatzung – ABS) vom 24. Oktober 2013 i.d.F. der 1. Änderung vom 26. März 2015.

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1. Zweifel an der Wirksamkeit der Satzung bestehen nicht (vgl. VG Greifswald, Beschl. v. 27.01.2015 – 3 B 844/14 –, juris). Ihre öffentliche Bekanntmachung erfolgte gemäß § 12 Nr. 1 der Hauptsatzung der Stadt Barth vom 6. November 2008 i.d.F. der 5. Änderung vom 4. Januar 2013 durch das Internet. Fehler sind insoweit nicht erkennbar. Die fehlerhafte – wenngleich unschädliche – Regelung über den Gegenstand der Beitragspflicht in § 2 Abs. 1 Buchst. c und d ABS (VG Greifswald, a.a.O. Rn. 26) ist von der Stadt Barth in der genannten Änderungssatzung ersatzlos gestrichen worden. Auch die in § 5 ABS normierten Beitragssätze begegnen keinen Bedenken. Zwar war die Kalkulation des Beitragssatzes für die zentrale Schmutzwasserbeseitigung (Beitragssatz I) von 4,28 EUR/m² zunächst fehlerhaft, weil bei dem Ansatz der Klärwerkskosten die auf die dezentrale Schmutzwasserbeseitigung im Stadtgebiet und die auf die Kläranlage mitbenutzenden Umlandgemeinden (Fremdeinleiter) entfallenden Auslastungsanteile nicht aufwandsmindernd berücksichtigt wurden. Dieser Fehler wirkt sich jedoch nicht aus, da der rechnerisch ermittelte (höchstzulässige) Beitragssatz auch bei einer aufwandsmindernden Berücksichtigung dieser Auslastungsanteile über dem in der Anschlussbeitragssatzung normierten (abgesenkten) Beitragssatz liegt. Daher konnte der Fehler durch die in dem Verfahren 3 A 1031/15 (vgl. die Sitzungsniederschrift vom 27. Juli 2017 sowie VG Greifswald, Urt. v. 27.07.2017 – 3 A 1330/14 –, S. 8 ff. des Entscheidungsumdrucks) abgegebene „Heilungserklärung“ i.S.d. § 2 Abs. 3 KAG M-V beseitigt werden. Weil sich die Fehlerheilung auf die Wirksamkeit der Anschlussbeitragssatzung auswirkt, kommt ihr eine „inter-omnes-Wirkung“ zu. Sie ist daher auch in Verfahren zu beachten, in denen eine solche Erklärung nicht abgegeben wurde.

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2. Die Rechtsanwendung durch den Beklagten ist ebenfalls nicht zu beanstanden.

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a. So ist der Beitragsanspruch nicht infolge Festsetzungsverjährung gemäß § 47 Abgabenordnung (AO) i.V.m. § 12 Abs. 1 KAG M-V erloschen. Nach § 12 Abs. 2 Satz 1 KAG M-V beträgt die Festsetzungsfrist für alle kommunalen Abgaben und damit auch für Anschlussbeiträge vier Jahre. Die Festsetzungsfrist beginnt gemäß § 12 Abs. 1 KAG M-V i.V.m. § 170 Abs. 1 AO mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Abgabe entstanden ist. Die Beitragspflicht ist nicht bereits mit dem Anschluss des Grundstücks an die zentrale Abwasserbehandlungsanlage, sondern gemäß § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V erst mit der am 27. Juli 2017 erfolgten Heilung der Abwasserbeitragssatzung vom 24. Oktober 2013 nach § 2 Abs. 3 KAG M-V entstanden (s.o.).

20

Diese Satzung ist die erste wirksame Satzung in diesem Sinne. Die Abwasserbeitragssatzung der Stadt Barth vom 26. August 2010 ist unwirksam. Die darin normierte Tiefenbegrenzung beruht nicht auf einer ordnungsgemäßen Ermittlung der ortsüblichen Bebauungstiefe im Verbandsgebiet (VG Greifswald, Urt. v. 29.22.2012 – 3 A 678/11 –, S. 5 des Entscheidungsumdrucks). Dieser Fehler, der erst „bekannt“ ist, seitdem das OVG Mecklenburg-Vorpommern in dem Urteil vom 14. Dezember 2010 (– 4 K 12/07 –) die Anforderungen an die Ermittlung der Tiefenbegrenzung definiert hat, haftet sämtlichen Vorgängersatzungen an. Die vor der Abwasserbeitragssatzung vom 26. August 2010 Geltung beanspruchenden Satzungen wiesen zudem eine unzulässige Privilegierung sog. altangeschlossener Grundstücke auf. Nach § 2 Abs. 3 der Satzung über die Erhebung von Beiträgen für die Abwasserbeseitigung der Stadt Barth (Kanalbaubeitragssatzung – KBS 1996) vom 26. März 1996 zahlen Grundstücke, die bereits vor (dem) Inkrafttreten des KAG Mecklenburg-Vorpommern voll an die öffentliche Einrichtung Abwasserbeseitigung angeschlossen waren, zur Abdeckung des Vorteils der verbesserten Reinigung durch die Kläranlage, wenn das Grundstück an die neue Kläranlage angeschlossen ist, den Beitragssatz aus § 4 Abs. 10 c. Diese Vorschrift sieht einen gegenüber dem allgemeinen Schmutzwasserbeitrag abgesenkten „Klärwerksbeitrag“ vor. Die Privilegierung altangeschlossener Grundstücke ist unzulässig. Sie ist vorteilswidrig und verletzt den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG).

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b. Mit Blick auf die Definition einer von der Entstehung der Beitragspflicht unabhängigen Festsetzungshöchstfrist in § 12 Abs. 2 Nr. 1 KAG M-V hat sich die Möglichkeit der Beitragserhebung weder „verflüchtigt“, noch verstößt sie gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes (OVG Greifswald, Urt. v. 06.09.2016 – 1 L 212/13 –, juris Rn. 68 ff.; rechtskräftig durch BVerwG, Beschl. v. 18.05.2017 – 9 B 71.16 –, juris).

22

c. Schließlich steht die Vereinbarung in § 6 Abs. 3 des Grundstückskaufvertrages der Beitragserhebung nicht entgegen. Entgegen der Auffassung des Klägers ist damit keine Freistellung von öffentlichen Grundstückslasten vereinbart worden.

23

aa. Das Verwaltungsgericht ist nicht wegen fehlender Rechtswegzuständigkeit an der Prüfung der in § 6 Abs. 3 getroffenen Vereinbarung gehindert. Die Frage des zulässigen Rechtsweges kann nicht mit Blick auf § 17 Abs. 2 Satz 1 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG), wonach das Gericht des zulässigen Rechtsweges den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten entscheidet, auf sich beruhen. Denn bei dem vom Kläger geltend gemachten Freistellungsanspruch handelt es sich nicht um einen „rechtlichen Gesichtspunkt“ des Rechtsstreits im Sinne dieser Regelung, sondern um ein selbstständiges Gegenrecht. Solche Gegenrechte werden von § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG nicht erfasst, denn die Vorschrift soll lediglich eine einheitliche Sachentscheidung durch das Gericht ermöglichen, wenn derselbe prozessuale Anspruch auf mehreren, eigentlich verschiedenen Rechtswegen zugeordneten Anspruchsgrundlagen beruht (OLG Nürnberg, Beschl. v. 15.07.2015 – 12 W 1374/15 –, juris Rn. 29; VG Bremen, Urt. v. 01.10.2008 – 5 K 3144/07 –, juris Rn. 26).

24

Für die Prüfung des Einwandes ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet. Nach dem Vortrag des Klägers haben die Parteien des Grundstückskaufvertrages mit der Wendung „Es handelt sich um ein voll erschlossenes Grundstück“ eine Freistellungsvereinbarung getroffen, die die Erhebung von Anschlussbeiträgen für das Grundstück ausschließt. Dieser Vortrag ist der Rechtswegprüfung zugrunde zu legen. Ob er zutrifft, ist eine Frage der Sachprüfung. Dies zugrunde gelegt, handelt es sich bei der streitigen Vereinbarung um einen öffentlich-rechtlichen Vertrag. Damit ist der Streit um die Auslegung der Vereinbarung als öffentlich-rechtliche Streitigkeit i.S.d. § 40 Abs. 1 VwGO anzusehen. Der Erlass eines Vorbehaltsurteils analog § 302 Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. § 173 VwGO scheidet mithin aus. Hierfür sind folgende Erwägungen maßgeblich:

25

Grundsätzlich handelt es sich bei einer Freistellungsvereinbarung um eine zivilrechtliche Vereinbarung, mit der die gesetzliche Regelung über die Tragung öffentlicher Grundstückslasten abbedungen wird. Zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses galt § 436 BGB a.F., wonach der Verkäufer eines Grundstücks nicht für die Freiheit des Grundstücks von öffentlichen Abgaben und von anderen öffentlichen Lasten haftet, die zur Eintragung in das Grundbuch nicht geeignet sind. Es darf bei der rechtlichen Einordnung der Vereinbarung aber nicht verkannt werden, dass bei Verträgen zur Abbedingung der gesetzlichen Kostentragungslast – sei es der nach § 436 BGB a.F., sei es der nach § 436 BGB in der aktuell gültigen Fassung – in der Regel keine der Vertragsparteien zugleich auch Gläubiger des (aktuellen oder künftigen) Abgabenanspruchs ist. Es ist vielmehr so, dass die Abbedingungsvereinbarung zwischen dem (aktuellen oder künftigen) Schuldner des Abgabenanspruchs und dem Grundstückskäufer getroffen wird. Weil das Bestehen oder Nichtbestehen öffentlicher Grundstückslasten wertbildend ist, ist es sinnvoll, durch eine Freistellungsvereinbarung festzulegen, wer diese Lasten im Innenverhältnis zu tragen hat. Der Abgabengläubiger ist von dieser Vereinbarung nicht betroffen.

26

Vorliegend besteht die Besonderheit, dass die Stadt Barth nicht nur Partei des Grundstückskaufvertrages, sondern eben auch Gläubigerin des Abgabenanspruchs ist. Zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses war sie potentielle Gläubigerin eines Abgabenanspruchs, denn § 8 Abs. 1 Satz 1 des Kommunalabgabengesetzes vom 11. April 1991 (KAG 1991) gab ihr die Befugnis zur Erhebung von Anschlussbeiträgen. Dies hat zur Folge, dass mit der Freistellungsvereinbarung nicht nur im Innenverhältnis der Vertragsparteien bestimmt wurde, wer die Kosten der von der Vereinbarung erfassten Erschließungsmaßnahmen trägt. Da der Beitragsanspruch grundstücksbezogen ist und neben dem Grundstückseigentümer bzw. Erbbauberechtigten (vgl. § 8 Abs. 2 KAG 1991) kein weiterer Abgabenschuldner existiert, umfasst der Abschluss einer Freistellungsvereinbarung notwendigerweise einen Verzicht auf die Abgabenerhebung. Da öffentliche Abgabenansprüche nur einem Hoheitsträger zustehen können, handelt es sich bei einem Verzicht bzw. – wie hier – Vorausverzicht um eine öffentlich-rechtliche Vereinbarung, die der Prüfungskompetenz des Verwaltungsgerichts unterliegt.

27

Weil der Streit eine vertragliche Vereinbarung betrifft, greift auch die abdrängende Sonderzuweisung in § 40 Abs. 2 Satz 1 zweite Var. VwGO nicht.

28

bb. Die Vereinbarung in § 6 Abs. 3 des Grundstückskaufvertrages steht der Beitragserhebung nicht entgegen. Zwar bestehen keine Zweifel an ihrer Wirksamkeit. Insbesondere scheidet die Annahme eines Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot i.S.d. § 134 BGB aus. Eine Beitragserhebungspflicht bestand zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht, denn nach § 8 Abs. 1 Satz 1 KAG 1991 stand die Erhebung von Anschlussbeiträgen im Ermessen der beitragsberechtigten Körperschaften. Eine Pflicht zur Beitragserhebung ist erst durch § 8 Abs. 1 Satz 1 KAG 1993 begründet worden (vgl. VG Greifswald, Urt. v. 10.08.2017 – 3 A 403/15 –).

29

Jedoch haben die Beteiligten mit der Wendung „Es handelt sich um ein voll erschlossenes Grundstück“ keine Freistellung von der Erhebung der vorliegend allein streitigen Anschlussbeiträge vereinbart. Bei der Vertragsklausel handelt es sich vielmehr um eine Beschaffenheitsvereinbarung i.S.d. § 459 Abs. 1 BGB a.F. Für die rechtliche Einordnung der nach ihrem Wortlaut nicht eindeutigen Vereinbarung sind die Umstände des Einzelfalles maßgeblich, wobei insbesondere die Interessenlage der Vertragsparteien bei Vertragsschluss in den Blick zu nehmen ist.

30

Danach ist von einer Beschaffenheitsvereinbarung auszugehen. Hierfür sprechen zunächst systematische Erwägungen. Die Vereinbarung ist in den § 6 „Gewährleistung“ aufgenommen worden. Dies spricht dafür, dass sie sich auf die Begründung von Nachbesserungs- bzw. Sekundäransprüchen bezieht. Vornehmlich aber die Interessenlage spricht für die Annahme einer Beschaffenheitsvereinbarung. Nach dem zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltenden § 459 Abs. 1 Satz 1 BGB a.F. haftet der Verkäufer einer Sache dem Käufer dafür, dass sie zu der Zeit, zu welcher die Gefahr auf den Käufer übergeht, nicht mit Fehlern behaftet ist, die den Wert oder die Tauglichkeit zu dem gewöhnlichen oder dem nach dem Vertrag vorausgesetzten Gebrauch aufheben oder mindern. Die Kaufsache ist fehlerhaft, wenn ihre physische Beschaffenheit von der vertraglich Vereinbarten abweicht. Von der Beschaffenheitsvereinbarung können auch Beziehungen der Kaufsache zur Umwelt, wie z.B. die abwasserseitige Erschließung eines Baugrundstücks erfasst sein (OLG Hamm, Urt. v. 18.03.2002 – 22 U 86/00 –, juris Rn. 10). Weichen die Umweltbeziehungen von der vertraglichen Vereinbarung ab, liegt ein zum Mangel führender Fehler vor (OLG Naumburg, Urt. v. 08.11.2005 – 3 U 41/05 –, juris Rn. 7). Der Kläger hatte ein Interesse an einer Beschaffenheitsvereinbarung, denn er hatte die Absicht und war nach § 8 Abs. 1 des Kaufvertrages sogar verpflichtet, auf dem Kaufgrundstück ein Autohaus zu betreiben. Diese Nutzung erfordert die wege- und die leitungsmäßige Erschließung des Grundstücks. Die dafür erforderlichen Anlagen bzw. Anlagenteile im Erschließungsgebiet „Mastweg“ hatte die Stadt Barth kurz zuvor in Eigenregie herstellen lassen. Der Grundstücksanschluss, also die Verbindung zwischen dem Hauptsammler und dem Grundstück, wurde erst nach dem Vertragsschluss im August 1993 hergestellt. Die Vereinbarung in § 6 Abs. 3 des Grundstückskaufvertrages bezog sich damit auf konkrete Erschließungsmaßnahmen im unmittelbaren Zusammenhang mit der angestrebten gewerblichen Nutzung des Grundstücks.

31

Für vom Kläger favorisierte Annahme einer Freistellungsvereinbarung i.S.d. § 436 BGB a.F. finden sich dagegen keine überzeugenden Argumente. Gegen eine solche Annahme spricht zunächst, dass eine Freistellungsvereinbarung den Notaren geläufig ist und üblicherweise in einem eigenen Abschnitt des Vertrages ausdrücklich formuliert wird. Dies fehlt hier.

32

Hinzu kommt, dass die Stadt Barth zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses für die Abwasserbeseitigung noch nicht zuständig war. Die Abwasserbeseitigungspflicht ist den Gemeinden in Mecklenburg-Vorpommern erst mit dem Inkrafttreten des Landeswassergesetzes (LWaG) am 1. Dezember 1992 als pflichtige Selbstverwaltungsaufgabe (vgl. § 40 Abs. 1 Satz 1 LWaG i.V.m. § 56 Satz 1 Wasserhaushaltsgesetz – WHG –) übertragen worden. Dies schlägt auf die Zuständigkeit für die Abgabenerhebung durch, denn dass zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses bereits in Kraft getretene Kommunalabgabengesetz 1991 allein begründet keine Befugnis zur Abgabenerhebung. Hinzukommen muss, dass die Gemeinde für die Durchführung der abgabenpflichtigen Maßnahme sachlich zuständig ist (vgl. VG Greifswald, Urt. v. 15.06.2017 – 3 A 247/13 –, S. 15 des Entscheidungsumdrucks). Dies ist – wie dargelegt – erst seit dem 1. Dezember 1992 der Fall. Die Freistellung von Anschlussbeiträgen wäre von der Stadt A-Stadt daher außerhalb ihrer damaligen Zuständigkeit vereinbart worden.

33

Zudem darf nicht verkannt werden, dass die Stadt Barth mit der Herstellung ihrer öffentlichen Einrichtung zur zentralen Schmutzwasserbeseitigung gerade erst begonnen hatte. Wichtige zentrale Einrichtungen wie das Klärwerk wurden erst Mitte der 1990er Jahre hergestellt. Die Kosten und die Größe der Gesamtanlage, die ihre Endausbaustufe nach dem aktuellen Abwasserbeseitigungskonzept der Stadt Barth nicht vor dem Jahr 2028 erreichen soll, waren zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch nicht abschätzbar. Eine Beitragssatzung fehlte ebenso, wie eine Beitragskalkulation. Damit war die Höhe der auf das Kaufgrundstück entfallenden Beitragsbelastung zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht ermittelbar. Damit kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Herstellungskosten der zentralen Abwasserbeseitigung im Rahmen der Kaufpreisbildung bereits berücksichtigt waren.

34

Abweichendes folgt schließlich nicht aus der vom Kläger in diesem Zusammenhang zitierten Rechtsprechung.

35

Die Erwägungen in dem Urteil des OLG Rostock vom 14. Dezember 2006 (– 7 U 33/06 –) können auf den vorliegenden Fall nicht übertragen werden, denn die Entscheidung betrifft ein anderes Regelungssystem. Streitig war die Erstattung eines Baukostenzuschusses. Baukostenzuschüsse werden im Rahmen eines zivilrechtlichen Entgeltsystems auf Grundlage des § 9 der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Versorgung mit Wasser (AVBWasserV) erhoben. Im Unterschied zur Beitragserhebung für leitungsgebundene Anlagen nach dem Kommunalabgabengesetz beruht die Erhebung von Baukostenzuschüssen nach der AVBWasserV nicht auf dem Gesamtanlagenprinzip (vgl. hierzu § 2 Abs. KAG M-V). Es werden nicht die Kosten der Gesamtanlage in ihrer Endausbaustufe nach den aus dem Vorteilsprinzip folgenden Maßgaben auf die Beitragspflichtigen umgelegt. Stattdessen erfolgt die Kostenermittlung in einem wesentlich kleinteiligeren Rahmen. Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 AVBWasserV umfasst der Baukostenzuschuss die Kosten für die Erstellung oder Verstärkung von der örtlichen Versorgung dienenden Verteilungsanlagen. Zudem sind die Herstellungskosten solcher Verteilungsanlagen verhältnismäßig einfach zu ermitteln und verteilen (vgl. 9 Abs. 2 AVBWassV: Kosten für einen Meter Versorgungsleitung multipliziert mit der Straßenfrontlänge des Grundstücks). Auch insoweit unterscheidet sich die AVBWasserV von dem aufwändigen System der Vorteilsermittlung und -verteilung nach dem Kommunalabgabengesetz. Bei dieser Sachlage ist die Annahme vertretbar, dass der Kläger jenes Verfahrens bei Vertragsschluss schutzwürdig davon ausgehen konnte, dass die Herstellungskosten der Trinkwasserhauptleitung bei der Kaufpreisbildung berücksichtigt worden waren. Für den vorliegenden Fall gibt die Entscheidung dagegen nichts her.

36

Die entscheidungstragende Annahme, der Kläger jenes Verfahrens habe darauf vertrauen dürfen, dass die Erschließungskosten – hier die Kosten der trinkwasserseitigen Erschließung – bereits bei der Kaufpreisbildung berücksichtigt worden und damit im Kaufpreis enthalten seien (OLG Rostock, Urt. v. 14.12.2006 – 7 U 33/06 –, S. 6 des Entscheidungsumdrucks), kann auch deshalb nicht auf den vorliegenden Fall übertragen werden, weil eine solche Auslegung zur Nichtigkeit des Grundstückskaufvertrages führen würde. Erschließungskosten sind im Kaufpreis nicht gesondert ausgewiesen. Dies ist bei einem Grundstücksverkäufer – auch einem kommunalen Grundstücksverkäufer – prinzipiell unproblematisch, nicht aber bei einem kommunalen Grundstücksverkäufer, der – wie vorliegend die Stadt Barth – Gläubiger eines künftigen Beitragsanspruchs ist. Zwar kann ein solcher Anspruch durch Vertrag abgelöst werden. Auch kann die Ablösung des Beitrags in einem Grundstückskaufvertrag erfolgen. Allerdings muss in einem solchen Fall der Ablösebetrag gesondert ausgewiesen werden. Ein „verdeckte“ Ablösung ist unzulässig (OVG Greifswald, Beschl. v. 23.02.2004 – 1 M 10/04 –, juris Rn. 12) und führt zur Nichtigkeit des Vertrages.Es kann aber nicht unterstellt werden, dass die Vertragsparteien eine rechtliche Konstruktion bei Vertragsabschluss haben wählen wollen, die sich bei einer gerichtlichen Prüfung als nichtig erweisen würde (vgl. OVG Greifswald a.a.O.).

37

Die vom Kläger weiter zitierten Entscheidungen (BGH, Urt. v. 02.07.1993 – V ZR 157/92 –, juris und OLG Hamm, Urt. v. 05.05.1988 – 22 U 297/87 –, juris) betreffen Grundstückskaufverträge, die ausdrückliche Vereinbarungen über die im Kaufpreis enthaltenen Erschließungskosten aufweisen. Die Entscheidungen sind daher auf den vorliegenden Fall, der dadurch gekennzeichnet ist, dass solche Vereinbarungen fehlen, nicht übertragbar. Die Wendung „voll erschlossen“, auf die der Kläger seine gesamte Argumentation stützt, wird in den (veröffentlichten) Entscheidungsgründen überhaupt nicht erwähnt.

38

cc. Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung schließlich hat vortragen lassen, er hätte den Kaufvertrag nie abgeschlossen, wenn ihm bewusst gewesen sei, dass er neben dem Kaufpreis noch Anschlussbeiträge zu entrichten habe, führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Vertrauensschutzgesichtspunkte können bereits deshalb nicht greifen, weil die fehlerhafte Interpretation einer Vertragsklausel keinen Vertrauenstatbestand begründet. Im Übrigen besteht Anlass zu dem Hinweis, dass der vereinbarte Kaufpreis von umgerechnet 17,90 EUR/m² für ein gewerblich nutzbares Baugrundstück zumindest nicht als besonders hoch erscheint.

39

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Nebenentscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i.V.m. § 709 ZPO. Gründe für eine Zulassung der Berufung sind nicht ersichtlich.

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