Urteil vom Verwaltungsgericht Greifswald (3. Kammer) - 3 A 403/15 HGW

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin auferlegt.

3. Das Urteil ist im Kostenpunkt gegen Sicherheitsleistung in Höhe der Vollstreckungsschuld vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

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Die Beteiligten streiten über die Heranziehung zu Anschlussbeiträgen (Schmutz- und Niederschlagswasser).

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Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstücks G1 in einer Größe von 4.424 m². Das Grundstück, das an die von der Stadt C. betriebene zentrale Schmutz- und Niederschlagswasserbeseitigungsanlage angeschlossen ist, ist aus dem Grundstück Flurstück G2 hervorgegangen. Dieses Grundstück hatte der Rechtsvorgänger der Klägerin auf Grundlage des notariellen Kaufvertrages vom 21. April 1995 – UR-Nr. 1774 des Notars G. M. in S-E – von der Stadt C. erworben.

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In § 2 Abs. 4 des Vertrages heißt es:

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Der Kaufgegenstand wird voll erschlossen im Sinne des § 127 BauGB verkauft.

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In § 7 Abs. 4 des Vertrages heißt es weiter:

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Alle bis zum Übergabetag erstellten Erschließungsmaßnahmen, auch wenn sie noch nicht abgerechnet worden sein sollten, trägt der Verkäufer.

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Weiter enthält der Kaufvertrag Auflagen für die Bebauung und Nutzung des Grundstücks (Mindestdauer der gewerblichen Nutzung, ausgeschlossene Gewerbearten, Beschäftigung von Einheimischen und Beteiligung ortsansässiger Firmen im Rahmen von Ausschreibungen).

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Mit Bescheid vom 16. März 2015 zog der Beklagte die Klägerin zu Anschlussbeiträgen (Schmutz- und Niederschlagswasser) i.H.v. 37.223,53 EUR heran. Den Widerspruch der Klägerin wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 13. April 2015 zurück.

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Am 7. Mai 2015 hat die Klägerin Anfechtungsklage erhoben. Sie ist der Auffassung, ihre Heranziehung sei rechtswidrig. Die Anschlussbeitragssatzung sei nichtig, weil das Kommunalabgabengesetz Mecklenburg-Vorpommern keine von der Entstehung des Beitragsanspruchs unabhängige Höchstfrist für die Beitragserhebung normiere. Der Klägerin stehe aus der Vereinbarung in § 7 des Grundstückskaufvertrages ein Anspruch auf Freistellung auch der vorliegend streitigen Anschlussbeiträge zu. Hinzu komme, dass der Rechtsvorgänger der Klägerin die Auflagen des Grundstückskaufvertrages vollständig erfüllt habe. Vor diesem Hintergrund sei es treuwidrig, gleichwohl Anschlussbeiträge zu erheben.

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Die Klägerin beantragt,

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den Beitragsbescheid des Beklagten vom 16. März 2015 – Nr. 15-5031 – in der Gestalt seines Widerspruchsbescheides vom 13. April 2015 aufzuheben.

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Der Beklagte verteidigt den angegriffenen Bescheid und beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Mit Beschluss vom 26. April 2017 hat das Gericht den Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Berichterstatter als Einzelrichter übertragen.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen. Der Kammer haben bei der Entscheidung die beim Beklagten entstandenen Verwaltungsvorgänge vorgelegen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist unbegründet. Der streitgegenständliche Bescheid ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin daher nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

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Er findet seine gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 Kommunalabgabengesetz (KAG M-V) erforderliche Rechtsgrundlage in der Satzung über die Erhebung von Beiträgen für die Abwasserbeseitigung in der Stadt C. (Abwasserbeitragssatzung – ABS) vom 24. Oktober 2013 i.d.F. der 1. Änderung vom 26. März 2015.

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1. Zweifel an der Wirksamkeit der Satzung bestehen nicht (vgl. VG Greifswald, Beschl. v. 27.01.2015 – 3 B 844/14 –, juris). Die fehlerhafte – wenngleich unschädliche – Regelung über den Gegenstand der Beitragspflicht in § 2 Abs. 1 Buchst. c und d ABS (VG Greifswald, a.a.O. Rn. 26) ist von der Stadt C. in der genannten Änderungssatzung ersatzlos gestrichen worden. Auch die in § 5 ABS normierten Beitragssätze begegnen keinen Bedenken. Zwar war die Kalkulation des Beitragssatzes für die zentrale Schmutzwasserbeseitigung (Beitragssatz I) von 4,28 EUR/m² zunächst fehlerhaft, weil bei dem Ansatz der Klärwerkskosten die auf die dezentrale Schmutzwasserbeseitigung im Stadtgebiet und die auf die Kläranlage mitbenutzenden Umlandgemeinden (Fremdeinleiter) entfallenden Auslastungsanteile nicht aufwandsmindernd berücksichtigt wurden. Dieser Fehler wirkt sich jedoch nicht aus, da der rechnerisch ermittelte (höchstzulässige) Beitragssatz auch bei einer aufwandsmindernden Berücksichtigung dieser Auslastungsanteile über dem in der Anschlussbeitragssatzung normierten (abgesenkten) Beitragssatz liegt. Daher konnte der Fehler durch die in dem Verfahren 3 A 1031/15 (vgl. die Sitzungsniederschrift vom 27. Juli 2017 sowie VG Greifswald, Urt. v. 27.07.2017 – 3 A 1330/14 –, S. 8 ff. des Entscheidungsumdrucks) abgegebene „Heilungserklärung“ i.S.d. § 2 Abs. 3 KAG M-V beseitigt werden. Weil sich die Fehlerheilung auf die Wirksamkeit der Anschlussbeitragssatzung auswirkt, kommt ihr eine „inter-omnes-Wirkung“ zu. Sie ist daher auch in Verfahren zu beachten, in denen eine solche Erklärung nicht abgegeben wurde.

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2. Die Rechtsanwendung durch den Beklagten ist ebenfalls nicht zu beanstanden.

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a. So ist der Beitragsanspruch nicht infolge Festsetzungsverjährung gemäß § 47 Abgabenordnung (AO) i.V.m. § 12 Abs. 1 KAG M-V erloschen. Nach § 12 Abs. 2 Satz 1 KAG M-V beträgt die Festsetzungsfrist für alle kommunalen Abgaben und damit auch für Anschlussbeiträge vier Jahre. Die Festsetzungsfrist beginnt gemäß § 12 Abs. 1 KAG M-V i.V.m. § 170 Abs. 1 AO mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Abgabe entstanden ist. Die Beitragspflicht ist nicht bereits mit dem Anschluss des Grundstücks an die zentrale Abwasserbehandlungsanlage, sondern gemäß § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V erst mit der am 27. Juli 2017 erfolgten Heilung der Abwasserbeitragssatzung vom 24. Oktober 2013 nach § 2 Abs. 3 KAG M-V entstanden (s.o.).

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Diese Satzung ist die erste wirksame Satzung in diesem Sinne. Die Abwasserbeitragssatzung der Stadt C. vom 26. August 2010 ist unwirksam. Die darin normierte Tiefenbegrenzung beruht nicht auf einer ordnungsgemäßen Ermittlung der ortsüblichen Bebauungstiefe im Verbandsgebiet (VG Greifswald, Urt. v. 29.11.2012 – 3 A 678/11 –, S. 5 des Entscheidungsumdrucks). Dieser Fehler, der erst „bekannt“ ist, seitdem das OVG Mecklenburg-Vorpommern in dem Urteil vom 14. Dezember 2010 (– 4 K 12/07 –) die Anforderungen an die Ermittlung der Tiefenbegrenzung definiert hat, haftet sämtlichen Vorgängersatzungen an. Die vor der Abwasserbeitragssatzung vom 26. August 2010 Geltung beanspruchenden Satzungen wiesen zudem eine unzulässige Privilegierung sog. altangeschlossener Grundstücke auf. Nach § 2 Abs. 3 der Satzung über die Erhebung von Beiträgen für die Abwasserbeseitigung der Stadt C. (Kanalbaubeitragssatzung – KBS 1996) vom 26. März 1996 zahlen Grundstücke, die bereits vor (dem) Inkrafttreten des KAG Mecklenburg-Vorpommern voll an die öffentliche Einrichtung Abwasserbeseitigung angeschlossen waren, zur Abdeckung des Vorteils der verbesserten Reinigung durch die Kläranlage, wenn das Grundstück an die neue Kläranlage angeschlossen ist, den Beitragssatz aus § 4 Abs. 10 c. Diese Vorschrift sieht einen gegenüber dem allgemeinen Schmutzwasserbeitrag abgesenkten „Klärwerksbeitrag“ vor. Die Privilegierung altangeschlossener Grundstücke ist unzulässig. Sie ist vorteilswidrig und verletzt den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG).

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b. Mit Blick auf die Definition einer von der Entstehung der Beitragspflicht unabhängigen Festsetzungshöchstfrist in § 12 Abs. 2 Nr. 1 KAG M-V hat sich die Möglichkeit der Beitragserhebung weder „verflüchtigt“, noch verstößt sie gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes (OVG Greifswald, Urt. v. 06.09.2016 – 1 L 212/13 –, juris Rn. 68 ff.; rechtskräftig durch BVerwG, Beschl. v. 18.05.2017 – 9 B 71.16 –, juris).

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c. Dass mit der Wendung „voll erschlossen“ i.S.d. § 2 Abs. 4 des Grundstückskaufvertrages keine Freistellung von öffentlichen Grundstückslasten vereinbart werden sollte, folgt aus dem Umstand, dass eine solche Vereinbarung in § 7 Abs. 4 des Vertrages aufgenommen wurde. Überdies bezieht sich die Vereinbarung in § 2 Abs. 4 wegen des Hinweises auf § 127 Baugesetzbuch (BauGB) ausschließlich auf wegemäßige Erschließungsanlagen. Leitungsgebundene Erschließungsanlagen sind nach § 127 Abs. 4 BauGB keine Erschließungsanlagen i.S.d. Baugesetzbuchs. Entgegen der Auffassung der Klägerin steht auch die Vereinbarung in § 7 Abs. 4 des Vertrages der Beitragserhebung nicht entgegen, denn die Vereinbarung ist – soweit sie sich auf Anschlussbeiträge bezieht – unwirksam.

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aa. Das Verwaltungsgericht ist nicht wegen fehlender Rechtswegzuständigkeit an der Prüfung der in § 7 Abs. 4 getroffenen Vereinbarung gehindert. Die Frage des zulässigen Rechtsweges kann nicht mit Blick auf § 17 Abs. 2 Satz 1 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG), wonach das Gericht des zulässigen Rechtsweges den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten entscheidet, auf sich beruhen. Denn bei dem von der Klägerin geltend gemachten Freistellungsanspruch handelt es sich nicht um einen „rechtlichen Gesichtspunkt“ des Rechtsstreits im Sinne dieser Regelung, sondern um ein selbstständiges Gegenrecht. Solche Gegenrechte werden von § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG nicht erfasst, denn die Vorschrift soll lediglich eine einheitliche Sachentscheidung durch das Gericht ermöglichen, wenn derselbe prozessuale Anspruch auf mehreren, eigentlich verschiedenen Rechtswegen zugeordneten Anspruchsgrundlagen beruht (OLG Nürnberg, Beschl. v. 15.07.2015 – 12 W 1374/15 –, juris Rn. 29; VG Bremen, Urt. v. 01.10.2008 – 5 K 3144/07 –, juris Rn. 26).

25

Für die Prüfung des Einwandes ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet. Bei der in § 7 Abs. 4 des Grundstückskaufvertrages vereinbarten Freistellung handelt es sich um einen öffentlich-rechtlichen Vertrag. Damit ist der Streit um die Wirksamkeit der Vereinbarung als öffentlich-rechtliche Streitigkeit i.S.d. § 40 Abs. 1 VwGO anzusehen. Der Erlass eines Vorbehaltsurteils analog § 302 Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. § 173 VwGO scheidet mithin aus. Hierfür sind folgende Erwägungen maßgeblich:

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Grundsätzlich handelt es sich bei einer Freistellungsvereinbarung um eine zivilrechtliche Vereinbarung, mit der die gesetzliche Regelung über die Tragung öffentlicher Grundstückslasten abbedungen wird. Zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses galt § 436 BGB a.F., wonach der Verkäufer eines Grundstücks nicht für die Freiheit des Grundstücks von öffentlichen Abgaben und von anderen öffentlichen Lasten haftet, die zur Eintragung in das Grundbuch nicht geeignet sind. Es darf bei der rechtlichen Einordnung der Vereinbarung aber nicht verkannt werden, dass bei Verträgen zur Abbedingung der gesetzlichen Kostentragungslast – sei es der nach § 436 BGB a.F., sei es der nach § 436 BGB in der aktuell gültigen Fassung – in der Regel keine der Vertragsparteien zugleich auch Gläubiger des (aktuellen oder künftigen) Abgabenanspruchs ist. Es ist vielmehr so, dass die Abbedingungsvereinbarung zwischen dem (aktuellen oder künftigen) Schuldner des Abgabenanspruchs und dem Grundstückskäufer getroffen wird. Weil das Bestehen oder Nichtbestehen öffentlicher Grundstückslasten wertbildend ist, ist es sinnvoll, durch eine Freistellungsvereinbarung festzulegen, wer diese Lasten im Innenverhältnis zu tragen hat. Der Abgabengläubiger ist von dieser Vereinbarung nicht betroffen.

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Vorliegend besteht die Besonderheit, dass die Stadt C. nicht nur Partei des Grundstückskaufvertrages sondern eben auch Gläubigerin des Abgabenanspruchs ist. Zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses war sie potentielle Gläubigerin eines Abgabenanspruchs, denn § 8 Abs. 1 Satz 1 des Kommunalabgabengesetzes 1993 gab ihr die Befugnis zur Erhebung von Anschlussbeiträgen. Dies hat zur Folge, dass mit der Freistellungsvereinbarung nicht nur im Innenverhältnis der Vertragsparteien bestimmt wurde, wer die Kosten der von der Vereinbarung erfassten Erschließungsmaßnahmen trägt. Da der Beitragsanspruch grundstücksbezogen ist und neben dem Grundstückseigentümer bzw. Erbbauberechtigten (vgl. § 8 Abs. 10 KAG 1993) kein weiterer Abgabenschuldner existiert, umfasst der Abschluss einer Freistellungsvereinbarung notwendigerweise einen Verzicht auf die Abgabenerhebung. Da öffentliche Abgabenansprüche nur einem Hoheitsträger zustehen können, handelt es sich bei einem Verzicht bzw. – wie hier – Vorausverzicht um eine öffentlich-rechtliche Vereinbarung, die der Prüfungskompetenz des Verwaltungsgerichts unterliegt.

28

Weil der Streit eine vertragliche Vereinbarung betrifft, greift auch die abdrängende Sonderzuweisung in § 40 Abs. 2 Satz 1 zweite Var. VwGO nicht.

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bb. Sollte – wovon die Beteiligten übereinstimmend ausgehen – die Freistellungsvereinbarung so zu verstehen sein, dass sie auch Anschlussbeiträge erfasst, ist sie unwirksam. Trotz des kommunalabgabenrechtlichen Bezugs der Vereinbarung ist Prüfungsmaßstab für ihre Wirksamkeit die Bestimmungen über den öffentlich-rechtlichen Vertrag nach den §§ 54 ff. Landesverwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG M-V). Zwar bestimmt § 2 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG M-V, dass die Vorschriften dieses Hauptteiles (§ 2 bis § 93 VwVfG M-V) nicht für Verfahren gelten, die nach den Vorschriften der vorliegend Kraft der Verweisung in § 12 Abs. 1 KAG M-V anzuwendenden Abgabenordnung durchzuführen sind. Vom grundsätzlichen Ausschluss der Anwendung der Vorschriften des ersten Hauptteiles des VwVfG M-V normiert § 2 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG M-V lediglich die Ausnahme, dass die (vorliegend nicht einschlägigen) Bestimmungen der § 61 Abs. 3 und § 80 Abs. 4 Nr. 2 VwVfG M-V hiervon unberührt bleiben. Dennoch geht das Gericht von der Anwendbarkeit der §§ 54 ff. VwVfG M-V aus. Weil die Abgabenordnung keine Regelungen für den öffentlich-rechtlichen Vertrag enthält, kann er nicht „nach den Vorschriften der Abgabenordnung“ durchgeführt werden. Damit schließt § 2 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG M-V eine Anwendbarkeit der Bestimmungen der § 54 ff. VwVfG M-V nicht aus. Da aber die Abgabenordnung in § 78 Nr. 3 AO das Institut des öffentlich-rechtlichen Vertrages ausdrücklich anerkennt, kann aus dem Fehlen entsprechender Bestimmungen nicht auf eine „Sperrwirkung“ der Abgabenordnung geschlossen werden.

30

Nach § 59 Abs. 1 VwVfG M-V ist ein öffentlich-rechtlicher Vertrag nichtig, wenn sich die Nichtigkeit aus der entsprechenden Anwendung von Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) ergibt. § 134 BGB bestimmt, dass ein Rechtsgeschäft, das gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, nichtig ist, wenn sich nicht aus dem Gesetz ein anderes ergibt. Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Die Vereinbarung § 7 Abs. 4 des Grundstückskaufvertrages verstößt gegen den zum damaligen Zeitpunkt geltenden § 8 Abs. 1 Satz 1 KAG 1993. Die Vorschrift normiert eine Beitragserhebungspflicht. Bereits in dem Beschluss vom 29. Juli 1997 (– 6 M 93/97 –, juris Rn. 28) hat das OVG Greifswald ausgeführt, dass § 8 Abs. 1 Satz 1 KAG 1993 eine Beitragserhebungspflicht begründet. Die Entscheidung ist zwar zum Straßenausbaubeitragsrecht ergangen, sie betrifft aber auch das Anschlussbeitragsrecht, da § 8 Abs. 1 Satz 1 KAG 1993 die Grundlage sowohl für die Erhebung von Straßenausbau- als auch von Anschlussbeiträgen bildete und keine Differenzierungen nach Beitragsarten vorsah. In dem Beschluss vom 22. September 1999 (– 1 M 85/99 –, S. 4 des Entscheidungsumdrucks) hat es diese Rechtsprechung ausdrücklich auf das Anschlussbeitragsrecht übertragen und bezweifelt, dass „angesichts der Beitragserhebungspflicht nach § 8 Abs. 1 Satz 1 KAG 1993 eine Verwirkung überhaupt in Betracht kommt“. Die Literatur (vgl. Sauthoff in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Stand 03/09, § 8 Rn. 1611) und der Gesetzgeber gehen ebenfalls davon aus, dass unter Geltung des § 8 Abs. 1 Satz 1 KAG 1993 eine Beitragserhebungspflicht bestand. So heißt es im Gesetzentwurf der Landesregierung zu § 9 Abs. 1 Satz 1 KAG M-V (LT-Drs. 4/1307, S. 46): „Mit der Formulierung ‚… können Anschlussbeiträge erhoben werden’ wird die 1993 auf das Anschlussbeitragsrecht ausgedehnte Beitragserhebungspflicht wieder auf ein Beitragserhebungsrecht zurückgeführt.“ Auch wenn § 9 Abs. 1 Satz 1 in der Fassung des Gesetzentwurfs der Landesregierung nicht Gesetz geworden ist und der Gesetzentwurf zur Auslegung des § 9 Abs. 1 Satz 1 KAG M-V damit nichts hergibt ist, so zeigt er doch deutlich, dass auch die Landesregierung davon ausging, dass der seinerzeit geltende § 8 Abs. 1 Satz 1 KAG 1993 eine Beitragserhebungspflicht begründet. Gleiches gilt für den Innenausschuss des Landtages Mecklenburg-Vorpommern, der sich in der Beschlussempfehlung und Bericht (LT-Drs. 4/1576, S. 75) gegen die „ersatzlose Abschaffung der gesetzlichen Beitragserhebungspflicht“ ausgesprochen und die Einführung der „Soll-Regelung“ befürwortet hatte. So unergiebig die Gesetzesmaterialien für die Auslegung des § 9 Abs. 1 Satz 1 KAG M-V auch sind, die Einschätzung der im Jahre 2005 bestehenden „Ausgangslage“ durch den Landesgesetzgeber geben sie sehr deutlich wieder.

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Abweichendes folgt nicht aus der neueren Rechtsprechung des OVG Greifswald. Zwar geht das Gericht in dem Urteil vom 3. Mai 2011 (– 1 L 59/10 –, juris Rn. 58) davon aus, dass § 8 Abs. 1 Satz 1 KAG 1993 keine Beitragserhebungspflicht begründe. Der Kontext der Entscheidung zeigt jedoch, dass sich diese Auffassung allein auf die Frage des Wechsels des Refinanzierungssystems von einem beitragsgestützten Refinanzierungssystem zu einem reinen Gebührensystem bezieht. Danach beließen die Bestimmungen des Kommunalabgabengesetzes 1993 dem Einrichtungsträger grundsätzlich eine Wahlfreiheit hinsichtlich der Art der Finanzierung des Herstellungsaufwandes. Dass der Einrichtungsträger unter Geltung des § 8 Abs. 1 Satz 1 KAG 1993 die Möglichkeit hatte, im Rahmen eines beitragsgestützten Refinanzierungssystems auf die Erhebung von Beiträgen ganz oder teilweise zu verzichten, klingt in der Entscheidung nicht einmal an.

32

Die Beitragserhebungspflicht begründet ein gesetzliches Verbot i.S.d. § 134 BGB, auf die Erhebung von Beiträgen ganz oder teilweise zu verzichten (st. Rspr.: VG Greifswald, Urt. v. 12.07.2012 – 3 A 1162/11 –, juris Rn. 78). Das Abgabenrecht wird von dem Grundsatz beherrscht, dass die Abgabenerhebung nur nach Maßgabe der Gesetze und nicht abweichend von den gesetzlichen Regelungen aufgrund von Vereinbarungen zwischen Abgabengläubiger und Abgabenschuldner erfolgen darf. Daraus folgt, dass andere Vereinbarungen über die (endgültige) Finanzierung beitragspflichtiger Anlagen als ein Ablösevertrag nach § 8 Abs. 9 KAG 1993 bzw. § 7 Abs. 5 KAG M-V ausgeschlossen sind (vgl. VG Greifswald, Urt. v. 03.08.2005 – 3 A 211/04 –, juris Rn. 19). Da der Kaufvertrag keine Ablösung der künftigen Beitragsschuld umfasst – dazu sogleich – ist der Beitragsverzicht unwirksam.

33

cc. Mit dem im Grundstückskaufvertrag vereinbarten Kaufpreis ist nicht die Ablösung der künftigen Beitragsschuld (vgl. § 8 Abs. 9 KAG 1993) vereinbart worden mit der Folge, dass die in § 7 Abs. 4 des Grundstückskaufvertrages vereinbarte Freistellung einen lediglich deklaratorischen Charakter hätte. Dass mit der Kaufpreiszahlung die Ablösung des künftigen Anschlussbeitrags verbunden ist, lässt sich dem Vertrag nicht entnehmen. Überdies würde eine solche Annahme zur Nichtigkeit des Kaufvertrages führen. Erschließungskosten sind im Kaufpreis nicht gesondert ausgewiesen. Dies ist bei einem Grundstücksverkäufer – auch einem kommunalen Grundstücksverkäufer – prinzipiell unproblematisch, nicht aber bei einem kommunalen Grundstücksverkäufer, der – wie vorliegend die Stadt C. – Gläubiger eines künftigen Beitragsanspruchs ist. Zwar kann ein solcher Anspruch durch Vertrag abgelöst werden. Auch kann die Ablösung des Beitrags in einem Grundstückskaufvertrag erfolgen. Allerdings muss in einem solchen Fall der Ablösebetrag gesondert ausgewiesen werden. Ein „verdeckte“ Ablösung ist unzulässig (OVG Greifswald, Beschl. v. 23.02.2004 – 1 M 10/04 –, juris Rn. 12) und führt zur Nichtigkeit des Vertrages.Es kann aber nicht unterstellt werden, dass die Vertragsparteien eine rechtliche Konstruktion bei Vertragsabschluss haben wählen wollen, die sich bei einer gerichtlichen Prüfung als nichtig erweisen würde (vgl. OVG Greifswald a.a.O.).

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dd. Auf einen durch den Grundstückskaufvertrag begründeten Vertrauensschutz kann sich die Klägerin ebenfalls nicht berufen. Die in § 8 normierten Auflagen führten nicht zu finanziellen Einbußen der Klägerin bzw. ihrer Rechtsvorgängerin – dies wird jedenfalls nicht vorgetragen –, so dass sie nicht einmal ansatzweise die geltend gemachte Freistellung rechtfertigen können. Das sicherlich vorhandene Vertrauen auf die Wirksamkeit der Freistellungsvereinbarung ist nicht schutzwürdig. Denn die Annahme einer Schutzwürdigkeit würde dazu führen, dass sich der Beklagte entgegen § 59 Abs. 1 VwVfG M-V i.V.m. § 134 BGB an einer unwirksamen Vertragsbestimmung festhalten lassen müsste – ein Ergebnis, das mit der strengen Gesetzesbindung der Verwaltung nicht zu vereinbaren wäre.

35

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Nebenentscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i.V.m. § 709 ZPO. Gründe für eine Zulassung der Berufung sind nicht ersichtlich.

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