Beschluss vom Verwaltungsgericht Halle (1. Kammer) - 1 B 138/18

Gründe

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Der Antrag der Antragstellerin,

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die aufschiebende Wirkung ihrer Klage vom 22. Mai 2018 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 11. Dezember 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Landesverwaltungsamtes Sachsen-Anhalt vom 9. Mai 2018 im Hinblick auf die Ziffern 1.a. und 2.a. wiederherzustellen bzw. im Hinblick auf die Ziffern 1.b. und 2.b. anzuordnen,

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hat nur in dem im Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.

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Im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO ist unter Abwägung aller Umstände zu prüfen, ob das Interesse des Antragstellers, Suspendierungsinteresse, am einstweiligen Nichtvollzug der streitigen Verfügung gegenüber dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung vorrangig ist. Ein überwiegendes Suspendierungsinteresse ist grundsätzlich zu bejahen, wenn der angefochtene Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig ist und der Antragsteller deshalb im Hauptsacheverfahren aller Voraussicht nach Erfolg haben kann. Umgekehrt überwiegt das besondere öffentliche Interesse, wenn sich der angefochtene Verwaltungsakt als offensichtlich rechtmäßig herausstellt und ein besonderes Vollzugsinteresse in der Sache besteht.

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Gemessen daran, ist dem Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage im Hinblick auf die Ziffer 1.a. und 2.a. der angefochtenen Bescheide nicht stattzugeben. Zum einen steht der erneuten Anordnung der sofortigen Vollziehung durch die Widerspruchsbehörde nicht der in dem vorangegangenen Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ergangene Beschluss des Verwaltungsgerichts entgegen. Zum anderen überwiegt das öffentliche Vollzugsinteresse das Interesse der Antragstellerin an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung, da sich die Grundverfügungen in Ziffer 1.a und 2.a. als rechtmäßig erweisen und die Antragstellerin nicht in ihren Rechten verletzen, § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO.

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Der Klarstellung bedarf zunächst, dass die Antragstellerin zu Recht ihren vorläufigen Rechtsschutzantrag gegen den Antragsgegner als Ausgangsbehörde gerichtet hat. Nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalts ist ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auch dann gegen die Ausgangsbehörde zu richten, wenn – wie hier – die Widerspruchsbehörde im Widerspruchsbescheid die Anordnung der sofortigen Vollziehung angeordnet hat (vgl. OVG LSA, Beschluss vom 27. Oktober 2017 – 3 M 240/17 –, juris; Kopp/Schenke, § 80 Rn. 140 m.w.N.). Auch soweit die Widerspruchsbehörde mit der Neufassung der Regelung in Ziffer 2.a. ihres Widerspruchsbescheides eine neue Beschwer für die Antragstellerin dadurch geschaffen hat, dass die Neufassung über die im Ausgangsbescheid getroffene Regelung hinausgeht, kann der Antrag gleichwohl gegen die Ausgangsbehörde gerichtet werden. Denn selbst im Falle einer Verböserung muss sich das Rechtsschutzbegehen nicht gegen die Widerspruchsbehörde richten, es kann vielmehr gegen die Widerspruchsbehörde gerichtet werden, vgl. § 79 Abs. 2 S. 1 VwGO. Der Antragstellerin steht es deshalb frei, den Antrag auch gegenüber der Ausgangsbehörde zu verfolgen.

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Der Anordnung der Sofortvollzugs durch das Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt steht auch – entgegen der Auffassung der Antragstellerin – nicht der im vorangegangenen Verfahren ergangene Beschluss des Verwaltungsgerichtes Halle - 1. Kammer – vom 10. April 2018 (1 B 67/18 HAL) entgegen, mit dem die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 11. Dezember 2017 wiederhergestellt worden ist.

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Neben der formellen Rechtskraft kommt einem Beschluss nach § 80 Abs. 5 VwGO sachliche Bindungswirkung zu. Wird einem Eilantrag nach § 80 Abs. 5 VwGO – wie vorliegend wegen der fehlenden vorherigen Anhörung geschehen – stattgegeben, darf die Behörde den Verwaltungsakt nicht vollziehen und ihr es ist verwehrt, einen inhaltsgleichen Bescheid erneut zu erlassen und dessen Sofortvollzug anzuordnen. Dem steht insofern die Bindungswirkung des dem früheren Eilantrag stattgebenden Gerichtsbeschlusses entgegen. Hierfür besteht die Regelung des § 80 Abs. 7 VwGO und die dort vorgesehene Änderungsbefugnis, die darauf zielt, die Bindungswirkung für die Zukunft zu beseitigen. Der in § 80 Abs. 7 VwGO zum Ausdruck gebrachte Vorrang der gerichtlichen Entscheidungszuständigkeit besteht insofern auch gegenüber der Widerspruchsbehörde. Grundsätzlich ist die Behörde aber nicht gehindert, unter Aufhebung des früheren Ausgangsbescheides, einen neuen Verwaltungsakt anderen Inhalts zu erlassen und dessen sofortige Vollziehung anzuordnen (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. März 1981 – 8 C 69.80 -, juris; OVG RP, Beschluss vom 10. Mai 2011 – 8 B 10385/11-, juris; OVG LSA, Beschluss vom 27. Oktober 2017 – 3 M 240/17). Denn nach § 121 VwGO, der auch für Beschlüsse, die der materiellen Rechtskraft fähig sind, Geltung beansprucht, binden rechtskräftige Beschlüsse im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes die Beteiligten nur, soweit über den Streitgegenstand entschieden wurde. Erfährt der Streitgegenstand eine Änderung liegt hierin schon keine bloße Änderung der Sach- und Rechtslage im Sinne von § 80 Abs. 7 VwGO. Wird dagegen bei unveränderter Sach- und Rechtslage der vormalige Verwaltungsakt durch einen neuen – aber im Wesentlichen identischen Inhalt – ersetzt und dessen sofortige Vollziehung angeordnet, kommt es zu einer unzulässigen Umgehung der gerichtlichen Aussetzungsentscheidung.

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Hiervon ausgehend hat das Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt als Widerspruchsbehörde – die nach § 73 Abs. 1 S. 2 VwGO als nächsthöhere Behörde berechtigt ist, die Recht- und Zweckmäßigkeit des Bescheides zu überprüfen – durch Erlass des Widerspruchsbescheides vom 9. Mai 2018 den Ausgangsbescheid vom 11. Dezember 2017 abgeändert und mit der Anordnung der sofortigen Vollziehung hinsichtlich der neu gefassten Ziffern 1.a. und 2.a. einen neuen Streitgegenstand geschaffen. Auf diesen neuen Streitgegenstand erstreckt sich die Bindungswirkung des gerichtlichen Eilbeschlusses vom 10. April 2018 (1 B 67/18 HAL) nicht, da vorliegend die Widerspruchsbehörde den durch das Verwaltungsgericht als nicht vollziehbar erklärten Bescheid nicht durch einen inhaltsgleichen Bescheid ersetzt hat. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin liegt hier daher kein Fall der missbräuchlichen Umgehung einer gerichtlichen Entscheidung vor. Denn die Widerspruchsbehörde hat die Antragstellerin zum beabsichtigten Erlass des Widerspruchsbescheides vollumfänglich angehört und die in Ziffer 3 des Ausgangsbescheides getroffene Regelung aufgehoben und durch eine neue, weitergehende Regelung in Ziffer 2.a. ersetzt. Die im Ausgangsbescheid vom 11. Dezember 2017 in Ziffer 3 getroffene Regelung lautete: "Das auf dem Gelände Ihrer Freiland-Gänsehaltung befindliche Maisfeld muss von einer nach oben gesicherten dichten bzw. engmaschigen Abdeckung umgeben sein und eine gesicherte Seitenbegrenzung verfügen, die das Eindringen von Wildvögeln verhindert." Als Rechtsgrundlage wurde "§ 3 GeflPestSchV" von der Antragsgegnerin genannt. Der Begründung des Ausgangsbescheides ist zu entnehmen, dass das auf dem Gelände befindliche Maisfeld dergestalt zu sichern ist, dass ein Eindringen der Vögel durch das "Über- bzw. Bespannen mit Netzen, Draht oder ähnlichen Materialien" verhindert werden soll. In der im Widerspruchsbescheid in Ziffer 2.a. – unter Aufhebung der Ziffer 3 des Ausgangsbescheides vom 11. Dezember 2018 – getroffene Regelung heißt es nunmehr: "Soweit Sie die Gänse nicht in Ställen, sondern auf Flächen im Risikoareal 3 (siehe Karte in der Anlage) halten, wird Ihnen aufgegeben, diese unter einer Vorrichtung zu halten, die aus einer nach oben gegen Einträge gesicherte Abdeckung umgeben sind und über eine gesicherte Seitenbegrenzung verfügen, die das Eindringen von Wildvögeln verhindert." Das Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt hat diese Anordnung auf § 24 Abs. 3 TierGesG i.V.m. § 13 Abs. 1 und 2 Geflügelpest-Verordnung gestützt und damit bereits eine andere Ermächtigungsgrundlage gewählt. Dem Wortlaut der in Ziffer 2.a. des Widerspruchsbescheides geregelten Aufstallungsanordnung ist außerdem zu entnehmen, dass es – nach der neuen Regelung – nicht genügt, ein dichtes, engmaschiges Netz zu spannen, sondern vielmehr eine Abdeckung von der Antragstellerin zu wählen ist, die gegen "Einträge" undurchlässig ist. Auch in räumlicher Hinsicht wird eine von Ziffer 3 des Ausgangsbescheides abweichende, erweiternde Regelung getroffen, da nicht nur das in der Freiland-Gänsehaltung befindliche Maisfeld nach oben abgedeckt werden muss, sondern die von den Gänsen genutzten Flächen im Risikoareal 3, welche das gesamte Gelände der Antragstellerin umfassen. Diese Abänderung erfasst einen anderen Sachverhalt und trifft eine andere rechtliche Regelung. Insbesondere ist mit der Neuregelung eine neue Eingriffsintensität gegeben, weil für das gesamte Risikoareal 3 nunmehr eine so genannte "Aufstallung" im Sinne von § 13 Abs. 1 Nr. 2 Geflügelpest-Verordnung verlangt wird.

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Die in Ziffer 2.a. des Widerspruchsbescheides getroffene Regelung verändert zudem die Ausgangsverfügung im Kern, so dass insofern die in Ziffer 1.a. vom Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt getroffene Regelung inhaltlich überlagert wird und für die Regelung in Ziffer 1.a. kein eigener Regelungsgehalt mehr verbleibt. Der Antragsgegner hatte der Antragstellerin ursprünglich die Fütterung der Gänse im Freien untersagt und weiter angeordnet, dass die Fütterung nur in Stallungen oder unter den sich auf dem Gelände der Antragstellerin befindlichen nach oben abgedachten und mit Seitenbegrenzung gesicherten Leichtbauhallen erfolgen dürfe (Ziffer 1 und 2 des Ausgangsbescheides vom 11. Dezember 2017). Das Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt hat der Antragstellerin nun aufgegeben, die von ihr gehaltenen Gänse an Stellen zu füttern, die für die Wildvögel nicht frei zugänglich sind. Diese Regelung wurde weiter dergestalt konkretisiert, dass das Füttern durch Ausstreuen von Futter in einem für Wildvögel zugänglichen Bereich, das Bereithalten von Futter unter Vorrichtungen, die für Wildvögel frei zugänglich sind, untersagt ist. Die unter Aufhebung der ursprünglichen Regelung des Ausgangsbescheides neue Ziffer 1.a. entspricht zwar im Wesentlichen der Regelung im Ausgangsbescheid des Antragsgegners und stellt für sich genommen keinen neuen Streitgegenstand dar. Diesem Regelungsgehalt kommt in Ansehung der Neuregelung in Ziffer 2.a. des Widerspruchsbescheides aber keine eigenständige Bedeutung mehr zu. Die Neuregelung umfasst denknotwendig die bisherige Regelung in Nr. 2 des Ausgangsbescheides vollständig und geht gleichzeitig darüber hinaus, so dass ein neuer Streitgegenstand gegeben ist, auf den sich die Bindungswirkung des früheren Beschlusses der Kammer nicht erstreckt.

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In formeller Hinsicht begegnet die Anordnung der sofortigen Vollziehung keinen rechtlichen Bedenken. Die Begründung des Sofortvollzuges von Ziffer 1.a. und 2.a. des Widerspruchsbescheides genügt den formellen Anforderungen des § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO. Die Widerspruchsbehörde hat individuell, auf den Einzelfall bezogen, ausgeführt, dass die sofortige Vollziehung der Ziffer 1.a. anzuordnen sei, weil die Gefahr einer Infizierung und damit der Tod nicht nur des Geflügels der Antragstellerin, sondern auch wertvoller Bestände an Wildvögeln, zu groß und nicht hinnehmbar sei. Die Widerspruchsbehörde hat weiter ausgeführt, es bestehe vorliegend ein erhöhtes Risiko eines mit erheblichen wirtschaftlichen Konsequenzen verbundenen Eintrags der Geflügelpest in Nutzgeflügelhaltungen. Zudem begründete die Widerspruchsbehörde das besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung zu Ziffer 2.a. damit, dass aufgrund der örtlichen Gegebenheiten ein erhöhtes Risiko bestehe. Insbesondere die eigens von der Widerspruchsbehörde vorgenommene Risikobewertung rechtfertige ein Überwiegen des öffentlichen Interesses. Damit liegt eine Begründung vor, die deutlich macht, warum über die Anordnung der Maßnahme hinaus deren sofortige Vollziehung aus Gründen der notwendigen sofortigen Gefahrenabwehr nötig ist.

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Die Fütterungs- und Aufstallungsanordnung in den angefochtenen Bescheiden ist formell rechtmäßig. Insbesondere wurde der frühere Anhörungsfehler gemäß § 1 VwVfG LSA i.V.m. § 45 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 VwVfG geheilt, da die Antragstellerin im Rahmen des Widerspruchsverfahrens mit Schreiben des Antragsgegners vom 11. April 2018 vorab ein Entwurf des Widerspruchsbescheides vom 9. Mai 2018 zugesandt wurde. Hierzu nahm die Verfahrensbevollmächtigte mit Schriftsatz vom 30. April 2018 Stellung. Darüber hinaus ist das Landesverwaltungsamt als nächsthöhere Behörde zur Entscheidung über den Widerspruch zuständig (vgl. §§ 68 Abs. 1 S. 1, 73 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 6 Nr. 2 ZuStVO SOG).

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Die Widerspruchsbehörde war auch berechtigt, den Streitgegenstand weiter zu fassen. Ausgehend von dem Zweck des Widerspruchsverfahrens, der Verwaltung eine Selbstkontrolle zu ermöglichen, hat die Widerspruchsbehörde den angefochtenen Ausgangsbescheid, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht einer uneingeschränkten Überprüfung zu unterziehen, welche mit der durch den Devolutiveffekt der Nichtabhilfeentscheidung nach § 72 VwGO begründeten umfassenden Sachentscheidungsbefugnis verbunden ist, den Ursprungsbescheid zu ändern, zu ergänzen, aufzuheben oder zu ersetzen. Wer einen ihn belastenden Verwaltungsakt anficht, muss auch grundsätzlich mit einer Verschlechterung seiner Position rechnen, weil mit der Anfechtung des Verwaltungsaktes dieser nicht mehr Grundlage des Vertrauensschutzes sein kann, jedenfalls solange die "Verböserung" nicht zu untragbaren Zuständen führen würde (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. April 1983 – 8 C 170.81 - ; Beschluss vom 17. Juni 1996 – 1 B 100.96 -, juris). Eine sogenannte "reformatio in peius" (Verböserung) im Widerspruchsverfahren ist nicht generell ausgeschlossen; ihre Zuständigkeit richtet sich nach dem jeweils anzuwendenden materiellen Bundes- oder Landesrecht einschließlich der Zuständigkeitsvorschriften (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. August 1986 – 7 C 51.84-, juris; Beschluss vom 17. Juni 1996 – 1 B 100.96 -, juris). Sie ist jedenfalls zulässig, wenn die Widerspruchsbehörde ein Selbsteintrittsrecht hat oder wie hier gemäß § 86 Abs. 1 Nr. 2 SOG LSA die Fachaufsicht über die Erstbehörde ausübt (vgl. OVG LSA, Beschluss vom 27. Oktober 2017 – 3 M 240/17-, juris).

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Die streitgegenständliche Verfügung in Ziffer 1.a. begegnet nach summarischer Prüfung derzeit keinen materiell-rechtlichen Bedenken. Die Anordnung in Ziffer 1.a. zur Fütterung der Gänse in der Art, dass das Futter unzugänglich für Wildvögel ist, findet ihre Rechtsgrundlage in § 24 Abs. 3 S. 1 des Gesetzes zur Vorbeugung und Bekämpfung von Tierseuchen (Tiergesundheitsgesetz – TierGesG in der Fassung vom 22. Mai 2013, BGBl. I S. 1324; zuletzt geändert durch Artikel 6 des Gesetzes vom 17. Juli 2017, BGBl. I S. 2615) i.V.m. § 3 Nr. 1 der Verordnung zum Schutz gegen die Geflügelpest (Geflügelpest-Verordnung, neugefasst durch Beschluss vom 8. Mai 2013 BGBl. I S. 1212; zuletzt geändert durch Artikel 1 am 29. Juni 2016 BGBl. I S. 1564). Gemäß § 24 Abs. 3 S. 1 TierGesG trifft die zuständige Behörde die notwendigen Anordnungen und Maßnahmen, die zur Feststellung oder zur Ausräumung eines hinreichenden Verdachtes, eines Verstoßes oder zur Beseitigung festgestellter Verstöße oder zur Verhütung künftiger Verstöße erforderlich sind. Nach § 3 Nr. 1 Geflügelpest-Verordnung hat derjenige, der Geflügel hält, sicherzustellen, dass Tiere nur an Stellen gefüttert werden, die für Wildvögel nicht zugänglich sind. Das Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt hat zu Recht der Antragstellerin aufgegeben, die Fütterung der im Freiland gehaltenen Gänse in der Weise durchzuführen, dass das Futter nicht für Wildvögel frei zugänglich ist. Hintergrund dieser Regelung ist, dass Wildvögel ein Reservoir für die Erreger der leicht übertragbaren Geflügelpest darstellen und es daher besonders wichtig ist, jeden direkten oder indirekten Kontakt zwischen Geflügelhaltungen und Wildtieren möglichst auszuschließen (vgl. VG München, Beschluss vom 22. Juni 2015 – M 18 S 15.1842 –, juris).

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Die Verfügung in Ziffer 1.a. genügt entgegen der Auffassung der Antragstellerin auch den Anforderungen des § 37 Abs. 1 VwVfG an die inhaltliche Bestimmtheit von Verwaltungsakten. Inhaltlich hinreichende Bestimmtheit setzt voraus, dass insbesondere für den Adressaten des Verwaltungsakts die von der Behörde getroffene Regelung so vollständig, klar und unzweideutig erkennbar ist, dass er sein Verhalten danach richten kann. Es reicht aus, wenn sich die Regelung aus dem gesamten Inhalt des Bescheides, insbesondere seiner Begründung, sowie den weiteren, den Beteiligten bekannten oder ohne weiteres erkennbaren Umstände unzweifelhaft erkennen lässt. Im Einzelnen richten sich die Anforderungen an die notwendige Bestimmtheit nach den Besonderheiten des jeweils anzuwendenden und mit dem Verwaltungsakt umzusetzenden materiellen Rechts (vgl. BVerwG, Urteil vom 3. Dezember 2003 – BVerwG 6 C 20.02 –, juris; OVG LSA, Urteil vom 31. Januar 2018 – 2 L 56/16 –, juris). Gemessen daran ist die Verfügung in Ziffer 1.a. unter Berücksichtigung des Empfängerhorizonts der Antragstellerin hinreichend bestimmt. Für sie wird deutlich, dass die Fütterung der Gänse in jedem Fall nicht im Freien ohne entsprechende Überdachung und Seitenbegrenzung erfolgen kann. Zudem ist aus der Regelung erkennbar, dass selbst bei der Fütterung unter einer Schutzvorrichtung diese so beschaffen sein muss, dass Wildvögel, deren artentypische Verhaltensweisen sich von den Gänsen nicht unterscheiden wird, nicht ohne Weiteres eindringen können. Damit wird erkennbar eine überdachte Außenvoliere als Minimalvariante beschrieben. Letztlich greift ihr Einwand, es sei für die Antragstellerin nicht erkennbar, wie die Vorrichtung beschaffen sein muss, unter der die Fütterung der Gänse mit Blick auf die in Ziffer 2.a. getroffene Regelung erfolgen kann nicht durch, da auch dort die Schutzvorrichtung beschrieben ist. Darüber hinaus erscheint das Vorbringen der Antragstellerin schon deshalb widersprüchlich, indem sie einerseits behauptet, die Regelung sei zu unbestimmt und andererseits aber diese nicht für erforderlich hält, da die Fütterung bereits in dieser Weise erfolge. Insofern lässt die Antragstellerin erkennen, dass ihr der Inhalt der Verfügung in Ziffer 1.a. durchaus klar ist.

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Entgegen der Auffassung der Antragstellerin ist die Anordnung in Ziffer 1.a. zudem erforderlich, weil in der Vergangenheit bereits Verstöße festgestellt worden sind. Wie vom Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt festgehalten, ist der Verstoß der Antragstellerin durch dieses Verbot durch das Urteil des Amtsgerichtes Köthen vom 30. Januar 2018 (Az. 13 OWi 328/17) hinreichend nachgewiesen. Der Antragsgegner hat wiederholt durch Kontrollen festgestellt, dass die Fütterung des Geflügels auf dem Freiland mit den von der Antragstellerin betriebenen Anlagen nicht diesen gesetzlichen Vorgaben entsprach und das offen dargebotene Futter für Wildvögel frei zugänglich war. Die am 28. November 2016 durch das Veterinär- und Lebensmittelüberwachungsamt durchgeführte Kontrolle ergab, dass ca. 3600 Gänse im Freien auf einem Maisfeld herumliefen. Es waren keine Schutzvorrichtungen vorhanden. Bei einer weiteren Kontrolle durch das Veterinäramt am 26. Oktober 2017 wurden erneute Verstöße festgestellt. Die im Rahmen dieser Kontrolle angefertigten Fotoaufnahmen zeigen, dass das Futter der Gänse auf dem Freigelände ohne entsprechende Schutzvorrichtungen bereitgestellt wurde. Die Behauptung der Antragstellerin, dass die Futterbehälter abgedeckt werden, stellt sich daher als Schutzbehauptung dar. Die vom Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt angeordneten Maßnahmen waren daher erforderlich, um einen gesetzeskonformen Zustand herzustellen und eine mögliche Infizierung des Geflügelbestandes durch Wildvögel bestmöglich zu verhindern. Die Eignung ergibt sich daraus, dass die Fütterung unter Ausschluss von Wildvögeln eine Übertragungsmöglichkeit von Erregern zumindest verringert. Es bestehen schließlich keine Bedenken gegen die Verhältnismäßigkeit der Anordnung.

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Ebenso wenig begegnet die Aufstallungsanordnung in Ziffer 2.a. im Rahmen der hier nur möglichen und gebotenen summarischen Prüfung im vorläufigen Rechtsschutz durchgreifenden materiell-rechtlichen Bedenken.

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Die Rechtsgrundlage der in Ziffer 2.a. getroffenen Aufstallungsverfügung ergibt sich aus § 24 Abs. 3 S. 1 TierGesG i.V.m. § 13 Abs. 1 Nr. 2 der Geflügelpest-Verordnung. Danach ordnet die zuständige Behörde eine Aufstallung des Geflügels unter einer Vorrichtung, die aus einer überstehenden, nach oben gegen Einträge gesicherten dichten Abdeckung und mit einer gegen das Eindringen von Wildvögeln gesicherten Seitenbegrenzung an, soweit dies auf der Grundlage der Risikobewertung nach Maßgabe des § 13 Abs. 2 der Geflügelpest-Verordnung zur Vermeidung der Einschleppung oder Verschleppung der Geflügelpest durch Wildvögel erforderlich ist. Gemäß § 13 Abs. 2 Nr. 1 Geflügelpest-Verordnung sind der Risikobewertung nach Absatz 1 die örtlichen Gegebenheiten einschließlich der Nähe des Bestands zu einem Gebiet, in dem sich wildlebende Wat- und Wasservögel sammeln, insbesondere einem Feuchtbiotop, einem See, einem Fluss oder einem Küstengewässer, an dem die genannten Vögel rasten oder brüten, zu Grunde zu legen. Bei der Regelung nach § 13 Abs. 1 Nr. 2 Geflügelpest-Verordnung handelt es sich um eine gebundene Entscheidung der Behörde, die keine Ermessenausübung vorsieht. Demzufolge hat die Behörde auf Grundlage einer Risikobewertung nach Maßgabe des Absatzes 2 eine solche Schutzvorrichtung gegenüber dem Geflügelhalter auszusprechen. Der Behörde steht hier kein Erschließungsermessen zu, sondern sie ist vielmehr verpflichtet, bei Verstößen oder zur Verhütung künftiger Verstöße, Maßnahmen zu ergreifen.

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Die durch das Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt vorgenommene Risikobewertung im Sinne von § 13 Abs. 2 Nr. 1 Geflügelpest-Verordnung begegnet keinen Bedenken. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin sind der Wortlaut und die Systematik der Vorschrift des § 13 Abs. 2 Nr. 1 Geflügelpest-Verordnung dahingehend eindeutig, dass es bei der Risikobewertung allein genügt, auf die örtlichen Gegebenheiten einschließlich der Nähe des Bestandes zu einem Gebiet, in dem sich wildlebende Wat- und Wasservögeln sammeln, abzustellen. Dies ergibt sich aus der enumerativen Aufzählung der Alternativen und dem Wort "oder" in § 13 Abs. 2 Geflügelpest-Verordnung, was verdeutlicht, dass es gerade eines kumulativen Zusammenwirkens mehrerer Voraussetzungen bedarf. In zutreffender Weise hat das Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt – wie schon der Antragsgegner – festgestellt, dass die Gänsehaltung der Antragstellerin in unmittelbarer Nähe (600 m Entfernung) zu einem EU-Vogelschutzgebiet "Zerbster Land" befindet, in dem sich unter anderem Wildgänse in nicht unbeträchtlicher Anzahl aufhalten. Darüber hinaus befindet sich in 500 m Entfernung der Deetzer Teich, in dem Wasservögel überwintern, brüten und sich sammeln. Das Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt hat sich bei der Risikobewertung nicht allein auf die Feststellungen des Antragsgegners verlassen, sondern sich zudem auf Feststellungen der Unteren Naturschutzbehörde des Landkreises gestützt. Die örtlichen Gegebenheiten und insbesondere "der minimale Abstand der Geflügelhaltung der Widerspruchsführerin zum Schlafgewässer am Deetzer Teich von lediglich 500 m" wurden der Risikobewertung zugrunde gelegt. Richtigerweise hat die Widerspruchsbehörde darauf abgestellt, dass die regelmäßigen Pendelflüge der Wildvögel in den Rastperioden über die Flächen der Gänsehaltung der Antragstellerin eine Schutzvorrichtung im Sinne von § 13 Abs. 1 Nr. 2 Geflügelpest-Verordnung zur Vermeidung des Einschleppens oder Verschleppens der Geflügelpest durch Wildvögeln erfordern – letztlich um einen Eintrag von Kot der Wildvögel zu verhindern. Hinsichtlich einer von der Antragstellerin vorgebrachten zeitlichen Einschränkung dieser Gefahr weist das Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt zu Recht darauf hin, dass zwar das Rastaufkommen auf die Monate (September) Oktober bis März (April) zeitlich beschränkt ist, doch auch außerhalb dieses Zeitraumes die umliegenden Gewässer von Wildvögeln zur Brut genutzt werden. In nicht zu beanstandender Weise hat es darauf verwiesen, dass der Verordnungsgeber bei der Schaffung der Fallgruppen in § 13 Abs. 2 Geflügelpest-Verordnung eine Entscheidung bezüglich des Bestehens für ein erhöhtes Risiko getroffen hat, die gerade kein Ermessen der zuständigen Behörde vorsieht.

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Insbesondere der Umstand, dass die Anzahl der Wildvögel zwischen den Sommer- und Wintermonaten erheblich schwankt, hat das Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt in seine Risikobewertung einbezogen. Es ist dabei zu dem Ergebnis gekommen, dass sich dadurch nichts an der Bewertung ändert, weil grundsätzlich das ganze Jahr die Gefahr bestehe, dass sich Wildvögel in der Nähe der Freilandhaltung der Antragstellerin niederlassen und die Gänse durch den Kontakt oder anderweitige Kontamination "den Virus in die Population" eintragen. Die Bewertung, dass dieses Risiko letztlich "das ganze Jahr über" besteht, entspricht auch dem Schutzzweck der Geflügelpest-Verordnung zur Umsetzung einer europäischen Regelung, nämlich der Richtlinie 2005/94/EG des Rates vom 20. Dezember 2005, die das Ziel verfolgt, mit Gemeinschaftsmaßnahmen der Bekämpfung der Aviären Influenza zu dienen. Insofern sind die § 13 Abs. 1 und Abs. 2 Geflügelpest-Verordnung unionrechtskonform auszulegen. Das Gericht der Europäischen Union hat in seiner Entscheidung vom 17. März 2016 – T- 817/14 (zitiert nach juris) zu einem Einfuhrverbot für gefangene Wildvögel in die Union zur Bekämpfung der Aviären Influenza betont, dass der "Vorsorgegrundsatz" einen allgemeinen Grundsatz darstellt, der sich aus Art. 11 AEUV, Art. 168 Abs. 1 AEUV, Art. 169 Abs. 1 und 2 AEUV sowie Art. 191 Abs. 1 und 2 AEUV ergibt und der die betroffenen Behörden verpflichtet, im genauen Rahmen der Ausübung der ihnen durch die einschlägige Regelung zugewiesenen Befugnisse geeignete Maßnahmen zu treffen, um bestimmte potenzielle Risiken für die Gesundheit der Bevölkerung, die Sicherheit und die Umwelt auszuschließen (vgl. EuGH, Urteil vom 17. März 2016 – T-817/14 –, Rn. 51, juris).

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Der von der Antragstellerin vorgetragene fehlende Zusammenhang zwischen der Eintragsursache der Geflügelpesterreger der Wildvögel und dem Ausbruch der Geflügelpest (mit Nachweisen durch Veröffentlichungen des AL.-Loeffler-Instituts vom 21. Dezember 2016, Pressemitteilung des Zentralverbandes der Deutschen Geflügelwirtschaft e.V. vom 31. März 2017) stehen der Risikobewertung im Hinblick auf den unionsrechtlichen Vorsorgegrundsatz nicht entgegen, denn die zuständige Behörde soll gerade Schutzmaßnahmen treffen, ohne abwarten zu müssen, bis das tatsächliche Vorliegen und die Schwere dieser Risiken in vollem Umfang nachgewiesen sind oder bis die nachteiligen Wirkungen für die Gesundheit eintreten. Insbesondere wenn es sich als unmöglich erweist, das Bestehen oder den Umfang des behaupteten Risikos mit Sicherheit festzustellen, weil die Ergebnisse der durchgeführten Studien unzureichend, nicht schlüssig oder ungenau sind, die Wahrscheinlichkeit eines tatsächlichen Schadens für die öffentliche Gesundheit jedoch fortbesteht, rechtfertigt das Vorsorgeprinzip darüber hinaus den Erlass beschränkender Maßnahmen (vgl. EuGH, Urteil vom 17. März 2016 – T-817/14 –, Rn. 51, juris). Insoweit müssen die wirtschaftlichen Nachteile dieser Präventionsmaßnahme hingenommen werden. In die Risikobewertung musste daher das saisonale Auftreten der Geflügelpest nicht extra eingestellt werden, da bereits der Verordnungsgeber besondere Präventivmaßnahmen im Falle besonderer örtlicher Gegebenheiten vorgesehen hat.

22

Die Aufstallungsanordnung in Ziffer 2.a. begegnet auch keinen Bedenken hinsichtlich einer tiergerechten Haltung der Gänse. Soweit in einem Protokoll des Landesamtes für Verbraucherschutz Sachsen-Anhalt vom 14. März 2016 darauf hingewiesen wird, dass im Falle einer Risikobewertung nach § 13 Abs. 1 Geflügelpest-Verordnung zu beachten sei, dass die "Hausgänse sich nicht über längeren Zeiträume ausschließlich in Ställen halten lassen" (vgl. Beiakte Teil 3, Bl. 10), wurde diesen Bedenken insofern Rechnung getragen, als dass eine Schutzvorrichtung nach § 13 Abs. 1 Nr. 2 Geflügelpest-Verordnung verlangt wird, die zwar eine ausreichende Sicherung vor Einträgen von oben vorsieht, aber keiner Stallpflicht im Sinne von § 13 Abs. 1 Nr. 1 Geflügelpest-Verordnung gleich kommt. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin ist im Fall einer Aufstallungsanordnung im Sinne von § 13 Abs. 1 Nr. 2 Geflügelpest-Verordnung die Möglichkeit gegeben, dass die Seitenbegrenzung etwa in Form von Netzen oder engmaschigen Drahtgeflechten in der Weise gestaltet werden, dass gerade keine Licht- oder Helligkeitseinbußen zu befürchten sind. Die Antragstellerin muss sicherstellen, dass die Gänse genügend Auslauf unterhalb der Abdeckung haben, damit keine tierrechtswidrigen Zustände geschaffen werden. Soweit die Antragstellerin meint, eine Abdeckung einer 63.404 m2 wäre unzumutbar, ist nicht verlangt, für den Auslauf die gesamte Fläche zu nutzen. Nicht überdachte Flächen können allerdings für die Gänsehaltung nicht weiter genutzt werden. Der Antragstellerin steht es frei, diese Flächen anderweitig landwirtschaftlich (für Pflanzenproduktion oder etwa Schweine- oder Rinderhaltung) zu nutzen oder ihren Gänsebestand entsprechend zu reduzieren. Anderenfalls müssen die Kosten der Abdeckung und Seitenbegrenzung von ihr in Kauf genommen werden.

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Die Fütterungs- und Aufstallungsanordnung ist im Übrigen verhältnismäßig. Die Anordnung ist geeignet, erforderlich und angemessen, die festgestellten Missstände abzustellen und künftigen Gefahren der Verbreitung der Geflügelpest entgegenzuwirken. Dass der Antragstellerin hierdurch möglicherweise Erwerbseinbußen entstehen, führt zu keiner anderen Betrachtung. Der Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG ist gerechtfertigt. Durch die Aufstallungsanordnung ist (lediglich) die Freiheit der Berufsausübung betroffen, die gemäß Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes beschränkt werden darf. Die Beschränkung findet hier in der Regelung der §§ 3, 13 Abs. 1 Nr. 1 Geflügelpest-Verordnung in Verbindung mit § 24 Abs. 1, Abs. 3 TierGesG ihre Rechtfertigung. Insbesondere ist auch kein gleich geeignetes milderes Mittel ersichtlich, um den Schutzzweck der Vermeidung eines Eintrags der Geflügelpest wirksam zu erreichen. Die Antragstellerin hat ferner Anlass geboten, dass sich der Antragsgegner zum Erlass der angefochtenen Regelungen gehalten gesehen hat. Denn die Antragstellerin hat von sich aus keine wirksamen Schutzvorrichtungen getroffen.

24

Schließlich besteht im vorliegenden Verfahren ein besonderes Interesse an der sofortigen Vollziehung der angefochtenen Bescheide. Ein solches Vollzugsinteresse setzt voraus, dass überwiegende öffentliche Belange es auch mit Blick auf die Berufsfreiheit des Betroffenen rechtfertigen, seinen Rechtsschutzanspruch gegen die Grundverfügung einstweilen zurückzustellen, um unaufschiebbare Maßnahmen im Interesse des allgemeinen Wohls rechtzeitig in die Wege zu leiten. Ob diese Voraussetzungen gegeben sind, hängt von einer Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls und insbesondere davon ab, ob schon vor Rechtskraft des Hauptsacheverfahrens konkrete Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter bestehen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. Oktober 2003 - 1 BvR 1594/03 -, juris). Für ein hinreichendes Vollzugsinteresse müssten also zusätzlich zur voraussichtlichen Rechtmäßigkeit der Verfügung Anhaltspunkte für die Besorgnis vorliegen, der Antragsteller werde bei einem Aufschub der Vollziehung bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren sein bisheriges Verhalten fortsetzen und die berechtigten Belange der Allgemeinheit zusätzlich gefährden (vgl. OVG LSA, Beschluss vom 12. Januar 2011 - 1 M 139/10 -, juris; Beschluss vom 16. April 2015, a. a. O.). Darüber hinaus ist zu beachten, dass effektiver Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) nur dann gewährleistet ist, wenn für sofort vollziehbar erklärte Eingriffe in grundrechtlich gewährleistete Freiheiten noch einmal einer gesonderten - über die Beurteilung der zugrundeliegenden Verfügung hinausgehenden - Verhältnismäßigkeitsprüfung unterzogen werden. Es ist eine Abwägung der Folgen, die bei einem Aufschub der Maßnahmen für die Dauer des Rechtsstreits zu befürchten sind, und denjenigen, welche demgegenüber bei dem Antragsteller wegen des Sofortvollzugs eintreten würden, vorzunehmen (BVerfG, Beschluss vom 24. Oktober 2003, a. a. O.). Nur wenn auch diese zu Lasten des Antragstellers ausfällt, ist ein hinreichendes Vollzugsinteresse gegeben (vgl. OVG LSA, Beschluss vom 27. Oktober 2017 – 3 M 240/17 –, Rn. 20, juris).

25

Das Vorliegen einer solchen Gefahrenlage im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung der Kammer ist anzunehmen. Das bestehende Risiko des Eintrags und der Verbreitung der Geflügelpest in die Nutzgeflügelhaltungen und die damit verbundenen wirtschaftlichen Konsequenzen über den Betrieb der Antragstellerin hinaus begründen ein besonderes Vollzugsinteresse in der Sache. Die unmittelbare Nähe der Gänsehaltung der Antragstellerin zu dem Vogelschutzgebiet und Sammelgebiet von Wildvögeln und das damit verbundene Risiko der Verbreitung der hochkontagiösen Infektionskrankheit bedingen einen sofortigen Vollzug und stehen einem weiteren Abwarten einer Entscheidung in der Hauptsache entgegen. Tierseuchenrechtliche Belange stellen ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut dar, welches das Interesse der Antragstellerin an der uneingeschränkten Eigentumsausübung und Gewinnerzielung, zurückstehen lassen.

26

Im Übrigen erweist sich der Bescheid des Antragsgegners in der Fassung des Widerspruchsbescheides des Landesverwaltungsamtes Sachsen-Anhalt als rechtswidrig und verletzt die Antragstellerin in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO, weil die Zwangsgeldandrohungen in Ziffer 1.b. und 2.b. ohne angemessene Frist gesetzt worden sind.

27

Bei der – wie hier – kraft Gesetzes entfallenden aufschiebenden Wirkung eines Widerspruches oder einer Klage ist einem Aussetzungsantrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO stattzugeben, wenn die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides ernstlichen Zweifeln begegnet oder die Vollziehung eine nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ernstliche Zweifel bestehen, wenn aufgrund einer summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage ein Erfolg des Antragstellers im Hauptsacheverfahren wahrscheinlicher ist als ein Unterliegen.

28

Die Androhung von Zwangsmitteln beruht auf § 71 VwVG LSA in Verbindung mit §§ 53 Abs. 1, 54 Abs. 1 Nr. 2, 56, 59 SOG LSA. Gemäß § 71 Abs. 1 VwVG LSA werden Verwaltungsakte, die auf eine sonstige Handlung gerichtet sind und die nicht unter § 2 Abs. 1 VwVG LSA fallen, auch wenn sie nicht der Gefahrenabwehr dienen, nach dem Vierten Teil des Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung des Landes Sachsen-Anhalt (SOG LSA) durchgesetzt. Gemäß § 59 Abs. 1 S. 1 SOG LSA sind Zwangsmittel anzudrohen. Die Androhung soll möglichst schriftlich erfolgen. Gemäß § 59 Abs. 1 S. 3 SOG LSA soll für die Erfüllung der Verpflichtung eine angemessene Frist bestimmt werden. Eine Ausnahme soll nur dann greifen, wenn eine Duldung oder Unterlassung erzwungen werden soll. Vorliegend stellen die Fütterungsanordnung in Ziffer 1.a. und die Aufstallungsanordnung in Ziffer 2.a. eine von der Antragstellerin zu erfüllende Verpflichtung zur Handlung dar, nämlich die Gänse unter Ausschluss der Wildvögel zu füttern und diese in einer nach § 13 Abs. 1 Nr. 2 Geflügelpest-Verordnung entsprechenden Schutzvorrichtung zu halten. Vorliegend wurde im Widerspruchsbescheid keine Frist zur Erfüllung gesetzt. Weder aus dem Tenor noch aus der Begründung des Bescheides ergibt sich eine solche angemessene Frist. Auf die im Ausgangsbescheid des Antraggegners gesetzte Frist zur Erfüllung der Ziffer 1 und 2 bis zum 22. Dezember 2017 kann nicht mehr abgestellt werden, weil sie zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides bereits abgelaufen war.

29

Die Kostentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 S. 1 VwGO. Die Kammer bewertet das Unterliegen des Antragsgegners mit einem Fünftel.

30

Die Streitwertfestsetzung folgt aus den §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 GKG i. V. m. Nr. 35. 2 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, wobei die Kammer den angefochtenen Maßnahmen die Intensität einer Gewerbeuntersagung beimisst, so dass ein Wert von 15.000 € zugrunde zu legen ist. Dieser Betrag ist im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes regelmäßig zu halbieren.


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