Urteil vom Verwaltungsgericht Halle (4. Kammer) - 4 A 269/18

Tatbestand

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Der Kläger begehrt von der Beklagten die "Anpassung" eines zwischen den Rechtsvorgängern geschlossenen Vertrags dahingehend, dass die Vereinbarung aufgelöst werde und die Beklagte eine Ausgleichszahlung von knapp 2,7 Mio. Euro zu zahlen habe.

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Dem Kläger obliegt in seinem Verbandsgebiet die Aufgabe der Schmutzwasserwasserbeseitigung. Dazu betreibt im Gebiet seines Rechtsvorgängers – Abwasserzweckverband Laucha- Bad Bibra – eine öffentliche Einrichtung zur zentralen Schmutzwasserbeseitigung, zu der die Kläranlage Laucha gehört. Diese Kläranlage wurde in den 1990er Jahren errichtet.

3

Die Beklagte ist Gesamtrechtsnachfolgerin der Molkereigenossenschaft Bad Bibra e.G., die am Standort Bad Bibra eine Molkerei betrieb. Das anfallende Schmutzwasser wurde in die Kläranlage Laucha geleitet, wodurch diese in erheblichem Umfang, zuletzt zu etwa 2/3, ausgelastet wurde.

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Am 12./19. Juni 2003 schlossen die Rechtsvorgänger der Beteiligten einen öffentlich-rechtlichen Vertrag. Dieser hatte zum einen einen Vergleich über offene Gebühren- und Beitragsforderungen sowie Regelungen zur Beendigung anhängiger Widerspruchs- und Klageverfahren gegen Abgabenbescheide zum Gegenstand. Zum anderen waren darin Regelungen zur künftigen Gestaltung von Gebührensatzungen durch den Zweckverband und zur Überlassung des im Molkereibetrieb anfallenden Schmutzwassers enthalten.

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In dem Vertrag heißt es im Einzelnen:

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"§ 1 Präambel

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(…) Die Molkereigenossenschaft ist bereits jetzt – und auch langfristig – der größte Einleiter in die zentrale Kläranlage des Abwasserzweckverbandes. Das Einleitvolumen der Molkereigenossenschaft beträgt auf Dauer mehr als 50 % der Einleitmenge der im gesamten Verbandsgebiet anfallenden zentralen Abwässer.

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Aufgrund der Besonderheiten der Konstellation im Verbandsgebiet soll mit diesem Vertrag die Willensbekundung des Abwasserzweckverbandes festgehalten werden, bei der Gestaltung der Abwassergebühr die Interessen der Molkereigenossenschaft in sachgerechter Weise zu berücksichtigen. Dabei sind sich die Parteien des Vertrages darüber im Klaren, dass feste Sondereinleitbedingungen vor dem Hintergrund der Geltung des KAG-LSA problematisch sind.

9

Auch sind sich die Parteien darüber im Klaren, dass aufgrund der vom Land Sachsen-Anhalt gewährten Teilentschuldungshilfe der Abwasserzweckverband gehalten ist, kostendeckende Abgaben zu kalkulieren und einzunehmen.

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Vor diesem Hintergrund sind die vertraglichen Willensbekundungen des Abwasserzweckverbandes aus diesem Vertrag jeweils zu relativieren. Sollte sich herausstellen, dass die vom Verband umgesetzte Gebührenstaffelung im Bereich der Grundgebühr wegen der damit verbundenen Verschiebung der Gebührenbelastung von den Verwaltungsgerichten in Sachsen-Anhalt nicht mitgetragen werden sollte, so müsste der Abwasserzweckverband vor dem Hintergrund der Gerichtsentscheidungen anderweitig kostendeckende Gebühren erheben. Den Interessen der Molkereigenossenschaft wird jedoch auch unter diesen Voraussetzungen so weit als möglich entgegenzukommen sein.

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Scheitert daher die vorgesehene Gebührenstaffelung der Grundgebühr vor den Verwaltungsgerichten, so hat zunächst eine neue Staffelung der Grundgebühren zu erfolgen, die dem hier wirtschaftlich gewollten Zweck am nächsten kommt. Die bislang am Abwasserverbrauch orientierte gestaffelte Grundgebühr ist durch eine Grundgebühr zu ersetzen, die als Maßstab den Nenndurchfluss des Trinkwasserzählers zum Gegenstand hat. Die Staffelung ist so zu wählen, dass die verbrauchabhängige Gebühr – die sich aus der bisherigen Berechnung ergibt – nicht erhöht wird. Hierbei wird der Abwasserzweckverband sich von der Erwägung leiten lassen, dass in der Regel bis zu 80 % der anfallenden Kosten Fixkosten sind und dass die Fixkosten rechtlich zu 100 % in die Grundgebühr einfließen könnten. Daneben ist auch ein anderer in Sachsen-Anhalt anerkannter Maßstab möglich, wenn dieser wirtschaftlich zum gleichen Ergebnis führt.

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§ 2 Gegenstand der Vereinbarung

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(…) Andererseits soll für die Zukunft im Sinne einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit eine Gebührenstaffelung festgeschrieben werden, die die gegenseitige Abhängigkeit und die Erhöhung des Auslastungsgrades der gesamten Anlagen des Abwasserzweckverbandes durch die Molkereigenossenschaft angemessen berücksichtigt. (…)

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§ 3 Ermessensbindung/Einleitverpflichtung

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Durch diesen Vertrag sagt der Abwasserzweckverband zu, sein Ermessen für die Dauer von 20 Jahren – im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten – dahingehend auszuüben, dass den Großeinleitern im Verbandsgebiet eine Gebührenstaffelung gewährt wird, die die Bedeutung der Großeinleiter für den Auslastungsgrad der zentralen Kläranlage angemessen berücksichtigt.

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Die Ermessensbindung der Verbandsversammlung gilt auch für eventuelle Rechtsnachfolger des Abwasserzweckverbandes und auch im Falle einer Fusion mit einem anderen Zweckverband.

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Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass für den Fall, dass ein Gericht die Gebührenstaffelung im Bereich der Grundgebühr verwerfen sollte, der Verband gehalten sein wird, nach gesetzeskonformen Grundlagen zu kalkulieren.

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Der Verband ist darauf angewiesen, dass die in diesem Vertrag festgeschriebenen Grundsätze in eine Gebührensatzung rechtmäßig umgesetzt werden können. (…)

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Die Molkereigenossenschaft verpflichtet sich, auch zukünftig die im Molkereibetrieb anfallenden Abwässer in der technischen Konstellation, wie sie jetzt vorliegt, komplett dem Abwasserzweckverband zur Reinigung zu übergeben. Die Einleitmenge liegt derzeit bei etwa 235.000 Kubikmeter pro Jahr. Geplant ist eine Ausweitung des Standorts, so dass sich die Einleitmenge erhöhen wird.

20

Die Einleitverpflichtung der Molkereigenossenschaft erlischt, wenn der wirtschaftlich gewollte Zweck dieser Vereinbarung aus rechtlichen Gründen nicht mehr erreicht werden kann.

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Die Molkerei beschränkt die Vorbehandlung der Abwässer auf eine Homogenisierung. Die Lasten bleiben unverändert. Sollte dennoch eine Aufkonzentrierung der Abwässer realisiert werden oder eine vergleichbare technische Maßnahme), so behält sich der Abwasserzweckverband die Einführung eines Starkverschmutzerzuschlages vor.

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§ 4 Gebührenstaffelung

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Die sich aus der Anlage ergebende Gebührenstaffelung (2. Änderungssatzung) soll der Abwasserzweckverband satzungsmäßig umsetzen. Dabei würde sich ausgehend von den derzeitigen Einleitmengen (235.000 m³/Jahr) für die Molkereigenossenschaft eine Gesamtbelastung von 564.000 Euro ergeben:

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Die Gebührenstaffelung steht mit unter dem Vorbehalt, dass der Abwasserzweckverband auf dieser Grundlage gemäß den gesetzlichen Vorgaben in rechtlich einwandfreier Weise kalkulieren kann. Es gelten die unter § 3 benannten Beschränkungen für den Fall, dass ein Gericht die Kostenkalkulation nicht mitträgt.

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In Bezug auf gerichtliche Entscheidungen sichert der Abwasserzweckverband zu, dass eine etwaige Beanstandung der vom Abwasserzweckverband angestrebten Gebührenkalkulation durch das Verwaltungsgericht Halle auch zum OVG des Landes Sachsen-Anhalt gebracht werden wird. Der Abwasserzweckverband wird also die Entscheidung für das Land Sachsen-Anhalt zuständige Oberverwaltungsgericht Magdeburg einholen.

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§ 5 Gebührenerhöhung

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In Bezug auf etwaige Gebührenerhöhungen sichert der Abwasserzweckverband zu, dass das jetzige Verteilungsverhältnis der Abwassergebühr von Großeinleitern zu den Einleitungen durch private Haushalte und andere kleinere Einleitungen im Verbandsgebiet für die Zeit von 20 Jahren aufrecht erhalten wird.

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Allerdings wird der Verband anstreben, die Last der Verbandsumlagen der Mitgliedsgemeinden zu reduzieren. (…)

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Zugesichert wird, dass sich eine Verschiebung in der Verteilung der Kosten zwischen Abwasserbeitrag und Abwassergebühr zu Lasten der Gebühr nicht ergeben wird. Es wird angestrebt, dass die oberste Grenze einer prozentualen Gebührenerhöhung auf (im Schnitt) drei Prozent jährlich festgeschrieben wird. Dabei ist zugrunde zu legen, dass der Verband derzeit davon ausgeht, dass die Abwassergebühr stabil gehalten werden kann. Voraussetzung der Gebührenstabilität ist allerdings die Beibehaltung der Abwassermengen durch die Molkereigenossenschaft (vgl. § 3).
(…)
§ 7 Schlussbestimmungen
(…)

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Sollte das in den §§ 1 und 4 hier zugrunde gelegte System der teilweisen Abwälzung der Fixkosten über die Grundgebühren scheitern, so verpflichtet sich der Abwasserzweckverband, auf der Grundlage des § 5 Abs. 3a S. 2 KAG-LSA eine degressive Abwassergebühr zu erheben, die dem wirtschaftlich gewollten Zweck dieses Vertrages am nächsten kommt. Der Abwasserzweckverband ist nicht verpflichtet, einen etwaigen Gebührenausfall über Verbandsumlagen oder allgemeine Deckungsmittel zu finanzieren."

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Im Jahr 2017 entschloss sich die Beklagte, die Molkerei am Standort Bad Bibra nicht weiter zu betreiben. Die Schließung erfolgte Ende März 2018.

32

Mit Schreiben vom 29. März 2018 machte der Kläger gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf Vertragsanpassung geltend. Gemeinsame Vertragsgrundlage sei eine Vertragsdauer von mindestens 20 Jahren gewesen. Davon habe sich die Beklagte einseitig gelöst. Nach den Regeln über den Wegfall der Geschäftsgrundlage werde eine Vertragsanpassung dahin gefordert, dass die Geltungsdauer der Vereinbarung verkürzt werde mit der Folge, dass die Einleitverpflichtung der Beklagten sofort erlösche, und dass die Beklagte dafür eine Ausgleichszahlung in Höhe von 2.675.379,14 Euro leiste. Der Verband habe 2007 u.a. eine umfangreiche Sanierung/Erweiterung der Kläranlage Laucha vorgenommen. Diese sei im Vertrauen darauf erfolgt, dass die Einleitung aus der Molkerei mindestens noch bis Ende 2023 erfolge. Die Schließung der Molkerei habe zur Folge, dass die Kläranlage nicht mehr wirtschaftlich betrieben werden könne. Bereits im Jahr 2007 sei erwogen worden, die Kläranlage stillzulegen und eine Überleitung nach Freyburg herzustellen. Die Investitionsentscheidung im Jahr 2007 wäre mit einiger Wahrscheinlichkeit zugunsten einer Überleitung nach Freyburg ausgefallen, hätte der Verband in Erwägung ziehen müssen, dass die Molkerei im Jahre 2018 nicht mehr produziere. Durch die nun unvermeidliche Schließung der Kläranlage müssten erhebliche Sonderabschreibungen durchgeführt werden, die nicht gebührenfähig gemacht werden könnten. Zudem entstünden Kosten für den Umbau der Kläranlage, um den laufenden Betrieb übergangsweise aufrechtzuerhalten.

33

Mit Schreiben vom 24. Mai 2018 wies die Beklagte den geltend gemachten Anspruch zurück.

34

Der Kläger hat am 23. August 2018 Klage erhoben. Zur Begründung macht er geltend, es bestünde zwar keine vertragliche Verpflichtung der Beklagten, den Standort Bad Bibra für eine bestimmte Zeit aufrecht zu erhalten. Jedoch sei objektive Geschäftsgrundlage gewesen, die Molkerei langfristig zu betreiben. Der in der Vereinbarung an verschiedenen Stellen angesprochene 20-Jahreszeitraum sei auf Betreiben der Rechtsvorgängerin der Beklagten in den Vertrag aufgenommen worden. Der Verband habe ursprünglich eine Vertragslaufzeit von 10 Jahren vorgeschlagen. Die Einleitverpflichtung der Beklagten sei auch noch nicht erloschen, da dies nach § 3 des Vertrags erst dann der Fall sei, wenn der wirtschaftlich gewollte Zweck der Vereinbarung aus rechtlichen Gründen nicht erreicht werden könne. Dieser Zweck sei aber noch erreichbar, weil sich der Verband an den vereinbarten Rahmen der Gebührengestaltung gehalten und die Gebühren so gestaltet habe, dass die Beklagte habe wirtschaftlich arbeiten können. Der Vertrag sei auch nicht nichtig. Er sei insbesondere vom damaligen Verbandsvorsitzenden als vertretungsberechtigtem Organ unterschrieben worden. Auch habe sich der Verband nicht zu konkreten Regelungen oder zu einer konkreten Gebührenstaffelung oder Gebührenhöhe verpflichtet. Es ginge um ganz allgemeine Grundsätze, die im Rahmen der Gebührenkalkulation und Satzungsgestaltung durchaus berechtigterweise einfließen könnten. Zudem seien die Grundsätze so formuliert worden, dass sämtliche potentielle Großeinleiter profitierten. Da durch die Betriebsstilllegung die Geschäftsgrundlage weggefallen sei, bestehe ein Anspruch auf Anpassung des Vertrags und zwar dahingehend, dass der Vertrag mit sofortiger Wirkung aufgelöst werde und der Kläger das verlangen könne, was er im Vertrauen auf den langfristigen Vertrag aufgewandt habe. Die negativen wirtschaftlichen Folgen, die daraus resultierten, dass die Beklagte sich einseitig von der vertraglichen Grundlage gelöst habe, könnten als Anspruch geltend gemacht werden.

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Der Kläger beantragt,

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die Beklagte zu verurteilen zuzustimmen, dass der zwischen dem Abwasserzweckverband Laucha-Bad Bibra und der Molkereigenossenschaft Bad Bibra e.G. geschlossene Vertrag vom 12./19. Juni 2003 mit sofortiger Wirkung aufgelöst wird und die Beklagte als Gegenleistung für die Auflösung eine Ausgleichszahlung in Höhe von 2.675.379,14 Euro entrichtet.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Es bestehe kein Anspruch auf Vertragsanpassung, da der Vertrag aus dem Jahr 2003 unwirksam sei, wie das Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt bereits entscheiden habe. Zudem habe keine vertragliche Verpflichtung bestanden, den Standort Bad Bibra für eine bestimmte Zeit aufrecht zu erhalten.

Entscheidungsgründe

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Die Klage hat keinen Erfolg.

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Sie ist zwar als Leistungsklage zulässig. Die Anpassung eines öffentlich-rechtlichen Vertrags an wesentlich geänderte (zugrunde gelegte) Verhältnisse nach § 60 Abs. 1 Satz 1 VwVfG (i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 1 VwVfG LSA) erfolgt nicht automatisch. Vielmehr erwächst dem – vermeintlich benachteiligten – Vertragspartner ein eigenständiger Anpassungsanspruch, der durch (Leistungs-)Klage geltend zu machen ist, gerichtet auf Abgabe einer Willenserklärung, nämlich auf Zustimmung zu der verlangten Vertragsanpassung. Durch deren Erklärung bzw. durch ein diese Erklärung ersetzendes rechtskräftiges Urteil (§ 173 VwGO i.V.m. § 894 Abs. 1 Satz 1 ZPO) – zusammen mit dem Änderungsverlangen – kommt die (begehrte) Vertragsanpassung zustande (VGH BW, Urteil vom 26. Januar 2005 – 5 S 1662/03 – Juris Rn. 51).

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Die Klage ist aber unbegründet.

43

Der Kläger hat gegen die Beklagte nicht den geltend gemachten Anspruch auf Zustimmung zur Anpassung des zwischen den Rechtsvorgängern der Beteiligten geschlossenen öffentlich-rechtlichen Vertrags vom 12./19. Juni 2003.

44

Ein solcher Anspruch besteht schon deshalb nicht, weil der Vertrag, soweit er die Verpflichtungen des Zweckverbands zur Satzungsgestaltung und die Einleitverpflichtung der Rechtsvorgängerin der Beklagten betrifft, gemäß § 59 Abs. 1 VwVfG LSA in der bis zum 30. November 2005 geltenden Fassung i.V.m. § 134 BGB nichtig ist. Nach diesen Vorschriften ist ein öffentlich-rechtlicher Vertrag, der gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, nichtig. So liegt es hier.

45

Öffentliche Abgaben dürfen grundsätzlich nur nach Maßgabe der Gesetze erhoben werden. Diese strikte Bindung an das Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG) ist im Abgabenrecht von besonderer und gesteigerter Bedeutung. Dies schließt aus, dass Abgabengläubiger und Abgabenschuldner von den gesetzlichen Regelungen abweichende Vereinbarungen treffen, sofern nicht das Gesetz dies ausnahmsweise gestattet. Der Grundsatz, dass die Abgabenerhebung nur nach Maßgabe der Gesetze und nicht abweichend von den gesetzlichen Regelungen aufgrund von Vereinbarungen zwischen Abgabengläubiger und Abgabenschuldner erfolgen kann, "ist für einen Rechtsstaat so fundamental und für jeden rechtlich Denkenden so einleuchtend, dass seine Verletzung als Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot zu betrachten ist, das Nichtigkeit zur Folge hat" (BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 1997 – BVerwG 8 C 1/96 – Juris Rn. 29).

46

In gleicher Weise ist es ausgeschlossen, dass (potentielle) Abgabenschuldner durch Vereinbarungen mit dem Abgabengläubiger bestimmenden Einfluss auf die inhaltliche Gestaltung von Abgabensatzungen nehmen können. Welche inhaltlichen Regelungen die Gemeinden und Zweckverbände in dem von ihnen gesetzten Ortsrecht treffen wollen, liegt in deren – lediglich durch das höherrangige Recht begrenzten – Ermessen. Begibt sich eine gebührenerhebende Körperschaft durch Vertrag ihres gesetzgeberischen Ermessens, indem sie sich verpflichtet, bestimmte Satzungsregelungen zu treffen oder beizubehalten, kann sie den Gestaltungsspielraum, welche inhaltlichen Regelungen sie treffen will und unter bestimmten Umständen treffen muss, nicht mehr ausschöpfen. Verpflichtungen zum Erlass oder zur Beibehaltung bestimmten Ortsrechts sind danach mit Stellung und Funktion des Ortsgesetzgebers unvereinbar und verstoßen gegen das Demokratieprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG, Art. 2 Abs. 1 Verf. LSA). Denn Abgaben dürfen nur auf Grund einer besonderen Abgabensatzung erhoben werden (§ 2 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA) und der Erlass entsprechender Satzungen zur Regelungen eigener Angelegenheiten der Gemeinden bzw. Zweckverbände ist dem Gemeinderat bzw. der Verbandsversammlung übertragen, die jeweils demokratisch legitimiert sind. Eine Beeinträchtigung der diesem Ortsgesetzgeber eingeräumten Entscheidungsfreiheit wirkt sich zwangsläufig zum Nachteil der übrigen Benutzer der öffentlichen Einrichtung aus, weshalb derartige Verträge wegen eines Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot nichtig sind (OVG LSA, Beschluss vom 28. Oktober 2009 – 4 K 470/08 – Juris Rn. 20; BayVGH, Beschluss vom 10. August 1999 – 23 ZB 99.1892 – Juris Rn. 7).

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Der zwischen den Rechtsvorgängern der Beteiligten geschlossene Vertrag enthält indes verbindliche Verpflichtungen des Zweckverbands zur Ausübung seines gesetzgeberischen Ermessens beim Erlass zukünftiger Gebührensatzungen. So ist in § 4 i.V.m. der Anlage des Vertrags eine konkrete Gebührenstaffelung vorgesehen, die der Verband satzungsmäßig umsetzen soll. In § 1 des Vertrags sind für den Fall, dass die in § 4 vorgesehene Gebührenstaffelung von den Gerichten beanstandet werde, eine dann umzusetzende andere Gebührenstaffelung/Maßstabsregelung sowie eine bestimmte Verteilung der Kosten auf die Grund- und Verbrauchsgebühren vorgegeben. Hinsichtlich künftiger Gebührenerhöhungen sind in § 5 des Vertrags verbindliche Vorgaben zur Kostenverteilung gemacht. Schließlich ist in § 7 des Vertrags die Verpflichtung des Verbands zur Schaffung degressiver Gebührenregelungen enthalten, die dem wirtschaftlich gewollten Zweck des Vertrags am nächsten kommen, sollte das in den §§ 1 und 4 zugrunde gelegte System der teilweisen Abwälzung der Fixkosten über Grundgebühren scheitern.

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Damit hat sich der Verband seines gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums beim Erlass künftiger Gebührensatzungen begeben, was mit dem Demokratieprinzip unvereinbar ist und daher die Nichtigkeit dieser Regelungen zur Folge hat.

49

Dass die Verbandsversammlung des Rechtsvorgängers des Beklagten dem Abschluss des Vertrags durch Beschluss vom 11. Juni 2003 zugestimmt hatte, ändert daran schon angesichts der Dauer der Verpflichtung des Verbands über einen Zeitraum von 20 Jahren, die damit auch Verbandsversammlungen in anderer Zusammensetzung und zudem Rechtsnachfolger des Zweckverbands binden würde, nichts.

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Die Nichtigkeit der Regelungen zur Ausübung des gesetzgeberischen Ermessens des Abwasserzweckverbands bei der Gestaltung künftiger Gebührensatzungen führt gemäß § 59 Abs. 3 VwVfG LSA zur Unwirksamkeit auch der Regelung über die Verpflichtung der Rechtsvorgängerin der Beklagten zur Überlassung des gesamten in der Molkerei anfallenden Abwassers in bestimmter Art und Güte (§ 3 Abs. 5 des Vertrags). Nach dieser Vorschrift ist ein öffentlich-rechtlicher Vertrag, wenn die Nichtigkeit nur einen Teil des Vertrags betrifft, im Ganzen nichtig, wenn nicht anzunehmen ist, dass er auch ohne den nichtigen Teil geschlossen worden wäre. Hier kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Rechtsvorgängerin der Beklagten die in § 3 Abs. 5 des Vertrags geregelte Einleitverpflichtung ohne die Verpflichtungen des Zweckverbands zur bestimmten Ermessensausübung beim Erlass künftiger Gebührensatzungen eingegangen wäre, da diese als Gegenleistung für die "Ermessensbindung" vorgesehen war, was sich insbesondere aus den Regelungen in § 2 (partnerschaftliche Zusammenarbeit/gegenseitige Abhängigkeit) und § 3 (Ermessensbindung/Einleitverpflichtung als aufeinander bezogen dargestellt) des Vertrags ersehen lässt.

51

2. Der geltend gemachte Anspruch auf Zustimmung zu der gewünschten Vertragsanpassung besteht aber auch im Falle der Wirksamkeit der vorgenannten vertraglichen Regelungen nicht.

52

Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 VwVfG LSA i.V.m. § 60 Abs. 1 Satz 1 VwVfG kann, wenn die Verhältnisse, die für die Festsetzung des Vertragsinhalts maßgebend gewesen sind, sich seit Abschluss des Vertrags so wesentlich geändert haben, dass einer Partei das Festhalten an der ursprünglichen Regelung nicht mehr zuzumuten ist, die Vertragspartei die Anpassung des Vertragsinhalts an die veränderten Verhältnisse verlangen oder, sofern eine Anpassung nicht möglich oder einer Vertragspartei nicht zuzumuten ist, den Vertrag kündigen.

53

Es ist zwar davon auszugehen, dass eine wesentliche Veränderung der Verhältnisse, die für den Vertragsinhalt maßgeblich gewesen sind, eingetreten ist. Denn die Vertragsparteien sind davon ausgegangen, dass die Molkerei über einen Zeitraum von 20 Jahren betrieben werden wird, was sich schon aus der Verpflichtung des Zweckverbands über diesen Zeitraum ergibt. Der Betrieb der Molkerei in diesem zeitlichen Umfang war auch für die Verpflichtung des Zweckverbands und damit für den Vertragsinhalt maßgeblich, da die Bindung der Ausübung seines gesetzgeberischen Ermessens beim Satzungserlass die Gegenleistung für die Überlassung der gesamten anfallenden Abwässer der Molkerei in diesem Zeitraum darstellt.

54

Indes ist eine Anpassung des Vertragsinhalts an die geänderten Verhältnisse nach Schließung der Molkerei und Aufgabe des Standorts mit der Folge, dass bei der Beklagten kein Abwasser mehr anfällt, das überlassen werden kann, und die Verpflichtung zur Überlassung alles anfallenden Abwassers ins Leere geht, nicht möglich. Eine inhaltliche Umgestaltung des Vertrags scheidet aus. Letztlich begehrt der Kläger auch gar keine Fortsetzung bzw. Umgestaltung des Vertrags, sondern vielmehr dessen sofortige Auflösung, also die Beendigung des Vertragsverhältnisses. Diese hat aber durch Kündigung zu erfolgen (an der es hier fehlt; insbesondere enthält das Schreiben des Klägers vom 29. März 2018 auf Vertragsanpassung keine Kündigung); einen Anspruch auf Zustimmung zur Vertragsauflösung sieht das Gesetz nicht vor. Infolge einer entsprechenden Kündigung ergäbe sich darüber hinaus auch der geltend gemachte Anspruch auf Ausgleichszahlung nicht.

55

Soweit man ergänzend über § 62 VwVfG i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 1 VwVfG auch den Anwendungsbereich des § 313 BGB und eine Rücktrittsmöglichkeit nach dessen Absatz 3 Satz 1 als eröffnet ansähe, wäre damit eine Auflösung des Vertrags mit Wirkung ex nunc nicht möglich und bestünde auch kein entsprechender Anspruch auf Zustimmung des Vertragspartners bzw. der Beklagten. Im Übrigen sind im Falle eines (hier nicht vorliegenden) Rücktritts wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage nach § 346 Abs. 1 BGB die empfangenen Leistungen zurück zu gewähren und die gezogenen Nutzungen herauszugeben bzw. ist nach § 346 Abs. 2 BGB Wertersatz zu leisten, wenn die Rückgewähr oder Herausgabe nach der Natur des Erlangten ausgeschlossen ist. Ein Anspruch auf Ausgleichszahlung für im Vertrauen auf den langfristigen Vertrag getätigte Investitionen ergibt sich daraus dagegen ebenfalls nicht.

56

Einen Schadensersatzanspruch, der mit einer Klage auf Zahlung und nicht auf Zustimmung zur Vertragsänderung zu verfolgen wäre, macht der Kläger schon nicht geltend. Es ist im Übrigen auch nicht ersichtlich, dass die Beklagte eine vertragliche Pflicht schuldhaft verletzt hätte (§ 280 BGB). Insbesondere liegt eine solche nicht in der Einstellung des Molkereibetriebs, da sich die Rechtsvorgängerin der Beklagten nur zur Überlassung des in der Molkerei anfallenden Abwassers verpflichtet hatte, nicht aber dazu, über einen bestimmten Zeitraum einen Abwasseranfall überhaupt oder in bestimmter Höhe bzw. den Betrieb der Molkerei zu gewährleisten.

57

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i.V.m. § 709 ZPO.


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