Urteil vom Verwaltungsgericht Hamburg (17. Kammer) - 17 K 3507/14

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Berufung wird zugelassen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Die Klägerin, ein Entsorgungsunternehmen in der Rechtsform der Gesellschaft mit beschränkter Haftung, wendet sich gegen eine Anordnung zur Begrenzung der Arbeitszeit von Kraftfahrern.

2

Die Beklagte führte am 11. April 2013 eine Kontrolle bei der Klägerin durch und forderte diese mit Bescheid vom 12. Juli 2013, der Klägerin zugegangen am 18. Juli 2013, unter Punkt 2 dazu auf, künftig dafür zu sorgen, dass sie bei den Fahrern die Vorschriften des Arbeitszeitgesetzes einhalte.

3

Hiergegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 16. August 2013 Widerspruch ein, zu dessen Begründung sie im Wesentlichen ausführte, eine Beschäftigung von Kraftfahrern über zehn Stunden täglich hinaus verstoße nicht gegen § 3 ArbZG. Kraftfahrer unterfielen dieser Regelung nicht, sondern ausschließlich der Richtlinie 2002/15/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 2002 zur Regelung der Arbeitszeit von Personen, die Fahrtätigkeiten im Bereich der Straßentransporte ausüben (ABl. L 80 vom 23.3.2002, S. 35; im Folgenden: Richtlinie 2002/15/EG), und dem zu ihrer Umsetzung ergangenen § 21a ArbZG. Darin seien anstatt einer kalendertäglichen Höchstarbeitszeit nur – von ihr, der Klägerin, eingehaltene – wochenbezogene Grenzwerte festgelegt. Auch das Bundesarbeitsgericht (BAG, Urt. v. 18.4.2012, 5 AZR 195/11, juris, Rn. 21) vertrete wie die Kommentarliteratur, dass § 3 ArbZG auf Kraftfahrer keine Anwendung finde.

4

Mit Widerspruchsbescheid vom 20. Juni 2014, der Klägerin mit Postzustellungsurkunde zugegangen am 24. Juni 2014, fasste die Beklagte Punkt 2 ihres Bescheids vom 12. Juli 2013 unter teilweiser Zurückweisung des Widerspruchs wie folgt neu: Gemäß § 21a Abs. 4 ArbZG dürfe die Arbeitszeit 48 Stunden wöchentlich nicht überschreiten. Sie könne auf bis zu 60 Stunden verlängert werden, wenn innerhalb von vier Kalendermonaten oder 16 Wochen im Durchschnitt 48 Stunden wöchentlich nicht überschritten würden. Dabei sei sicherzustellen, dass die werktägliche Arbeitszeit von maximal zehn Stunden nicht überschritten werde. Diese Regelung gelte bei der Güterbeförderung durch Fahrzeuge, deren zulässige Höchstmasse einschließlich Anhänger oder Sattelanhänger 3,5 t übersteige.

5

Zur Begründung führte die Beklagte im Wesentlichen aus, die Anordnung sei nach § 17 Abs. 2 ArbZG rechtmäßig. § 21a Abs. 4 ArbZG stehe der Anwendung des § 3 ArbZG hinsichtlich der Länge der täglichen Arbeitszeit nicht entgegen, sondern ergänze diese Vorschrift lediglich. Dies gehe auch aus der Begründung des Gesetzentwurfs zu § 21a ArbZG in der Bundestags-Drucksache 16/1685 hervor und werde von den zu Grunde liegenden Bestimmungen der Richtlinie 2002/15/EG gestützt, die Mindestvorschriften darstellten und den Mitgliedstaaten strengere Regeln nicht untersagten. Schutzzweck des § 3 ArbZG sei es, im Einklang mit arbeitswissenschaftlichen und arbeitsmedizinischen Erkenntnissen eine tägliche Höchstarbeitszeit festzulegen. Nach acht Stunden ließen Konzentration sowie Arbeitsfähigkeit in der Regel beachtlich nach und steige das Unfallrisiko der Beschäftigten exponentiell an. Hiermit habe sich das von der Klägerin angeführte Urteil des Bundesarbeitsgerichts nicht befasst. Eine gesetzeswiederholende und -konkretisierende Verfügung zum Verhältnis der §§ 3, 21a ArbZG sei hier zur verbindlichen Klärung und Durchsetzung der Vorschriften zulässig. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf den Widerspruchsbescheid vom 20. Juni 2014 Bezug genommen.

6

Am 23. Juli 2014 hat die Klägerin Klage erhoben.

7

Zur Begründung wiederholt und vertieft sie ihr Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren. Die Anordnung zur Einhaltung einer täglichen Höchstarbeitszeit von zehn Stunden für das Fahrpersonal sei rechtswidrig, weil für dieses – neben Lenkzeiten, Ruhezeiten und Lenkzeitunterbrechungen gemäß § 21a Abs. 1 Satz 2 ArbZG i. V. m. der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 zur Harmonisierung bestimmter Sozialvorschriften im Straßenverkehr und zur Änderung der Verordnungen (EWG) Nr. 3821/85 und (EG) Nr. 2135/98 des Rates sowie zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 3820/85 des Rates (ABl. L 102 vom 11.4.2006, S. 1 ff.; im Folgenden: Verordnung (EG) Nr. 561/2006) – lediglich eine wöchentliche Höchstarbeitszeit gemäß § 21a Abs. 4 ArbZG gelte. Durch diese Sonderregelung würden die allgemeinen arbeitszeitrechtlichen Regelungen einschließlich § 3 ArbZG verdrängt.

8

Dies folge aus dem Wortlaut des § 21a Abs. 1 Satz 1 ArbZG, wonach die Vorschriften des Arbeitszeitgesetzes nur gälten, soweit nicht die folgenden Absätze des § 21a ArbZG abweichende Regelungen enthielten. § 21a Abs. 4 ArbZG enthalte eine abweichende Regelung zu § 3 ArbZG, da beide Vorschriften die höchstzulässige Arbeitszeit beträfen, sich aber im Hinblick auf die zeitliche Betrachtungsweise und die Ausgleichszeiträume unterschieden. Überdies stelle § 3 ArbZG nur auf Werktage (Montag bis Samstag) ab, während nach § 21a Abs. 2 ArbZG der Zeitraum von Montag 0 Uhr bis Sonntag 24 Uhr als eine Woche anzusehen sei. Soweit nach § 21a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 ArbZG abweichende Arbeitszeiten festgelegt werden dürften, beziehe sich die Abweichungsmöglichkeit im Einklang mit Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 2002/15/EG nur auf § 21a Abs. 4 ArbZG einerseits und die Regelung zur Nachtarbeit in § 6 Abs. 2 ArbZG i. V. m. § 3 ArbZG andererseits. Verdeutlicht werde dies dadurch, dass bei Abweichungen in einem Ausgleichszeitraum von sechs Kalendermonaten im Durchschnitt keine tägliche, sondern eine wöchentliche Höchstarbeitszeit einzuhalten sei.

9

Aus der Gesetzesbegründung zu § 21a ArbZG ergebe sich nicht, dass die tägliche Höchstarbeitszeit nach § 3 ArbZG auch für Fahrpersonal gelte. Auch sei nicht anzunehmen, dass der Gesetzgeber von der Anwendbarkeit des § 3 ArbZG auf Kraftfahrer ausgegangen sei, da andernfalls die Normierung einer wöchentlichen Höchstarbeitszeit von 48 bzw. 60 Stunden, die sich dann implizit bereits aus § 3 ArbZG ergäbe, überflüssig sei.

10

Die Richtlinie 2002/15/EG verpflichte die Mitgliedstaaten nur, Maßnahmen zur Beschränkung der wöchentlichen, nicht aber der täglichen Höchstarbeitszeit zu erlassen. Auch die nach Art. 10 der Richtlinie 2002/15/EG bestehende Befugnis der Mitgliedstaaten, für Kraftfahrer günstigere Vorschriften anzuwenden, begründe die Anwendbarkeit des § 3 ArbZG nicht, da § 21a ArbZG grundsätzlich enger gefasst sei als § 3 ArbZG. Zudem habe der deutsche Gesetzgeber von dieser Befugnis ersichtlich keinen Gebrauch gemacht.

11

Indem der Bundesgesetzgeber über die Anforderungen der Richtlinie 2002/15/EG nicht hinausgegangen sei, habe er den Unwägbarkeiten des Straßenverkehrs Rechnung getragen, die eine flexiblere Gestaltung der täglichen Arbeitszeit erforderten. Arbeitswissenschaftliche und arbeitsmedizinische Erkenntnisse geböten zwar, für Fahrertätigkeiten eine Höchstarbeitszeit festzulegen, nicht jedoch, dass neben der wöchentlichen Höchstarbeitszeit und den vorgeschriebenen Lenk- und Ruhezeiten sowie Unterbrechungen auch die tägliche Arbeitszeit begrenzt werde. Auch ohne die Beschränkung der täglichen Arbeitszeit in § 3 ArbZG sei nach diesen geltenden Restriktionen eine nur unerheblich über zehn Stunden liegende tägliche Arbeitszeit – in von der Beklagten gebildeten Beispielen bis 11,5 Stunden – erlaubt.

12

Dies stehe im Einklang damit, dass nach § 3 Abs. 1 des Gesetzes zur Regelung der Arbeitszeit von selbständigen Kraftfahrern (im Folgenden: KrFArbZG) für selbständige Kraftfahrer ebenfalls keine tages-, sondern nur eine wochenbezogene Höchstarbeitszeit gelte. Bei angestellten Kraftfahrern seien keine anderen Gesundheits- und Sicherheitserwägungen anzustellen als bei selbständigen Kraftfahrern.

13

Hinsichtlich der Einhaltung der wöchentlichen Höchstarbeitszeit nach § 21a Abs. 4 ArbZG habe kein Anlass für eine gesetzeswiederholende Verfügung bestanden, weil ihr ein Verstoß hiergegen seitens der Beklagten niemals vorgeworfen worden sei.

14

Die Klägerin beantragt (dem Wortlaut nach),

15

den Bescheid der Beklagten vom 12. Juli 2013 (Aktenzeichen: V3-AS2245) in Gestalt des Widerspruchsbescheides der Beklagten vom 20. Juni 2014 (Aktenzeichen: V3-AS180 – Wi 10/24/13), aufzuheben.

16

Die Beklagte beantragt,

17

die Klage abzuweisen.

18

Die Beklagte macht ergänzend zur Begründung des Widerspruchsbescheides im Wesentlichen geltend, dafür, dass der Rückgriff auf § 3 ArbZG durch § 21a ArbZG nicht ausgeschlossen sei, spreche auch, dass nach der Tariföffnungsklausel in § 21a Abs. 6 ArbZG Arbeitszeiten festgelegt werden könnten, die von § 3 ArbZG abwichen. Diese Regelung mache keinen Sinn, wenn § 3 ArbZG ohnehin keine Anwendung fände. Den Unwägbarkeiten des Straßenverkehrs werde durch die Verlängerbarkeit der täglichen Höchstarbeitszeit von acht auf zehn Stunden nach § 3 ArbZG hinreichend Rechnung getragen.

19

Auch die Beschränkung nur der wöchentlichen Arbeitszeit selbständiger Kraftfahrer in § 3 Abs. 1 KrFArbZG spreche nicht gegen die Anwendung des § 3 ArbZG auf angestellte Kraftfahrer. Der Gesetzgeber sei bei der Umsetzung der Richtlinie 2002/15/EG hinsichtlich der selbständigen Kraftfahrer ausweislich der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 17/8988, S. 7) nicht über die Vorgaben der Richtlinie hinausgegangen, weil die Einbeziehung von Selbständigen in Arbeitszeitregelungen aus Gründen der Verkehrssicherheit nicht geboten sei und zudem einen Fremdkörper im geltenden Arbeits- und Wirtschaftsrecht darstelle. Diese Umsetzung stimme mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH, Urt. v. 9.9.2004, C-184/02 und C-223/02) überein, vor deren Hintergrund sich die Festlegung einer täglichen Höchstarbeitszeit als Eingriff in das Recht auf freie Berufsausübung und freie unternehmerische Betätigung verbiete. Überdies könnten bei Selbständigen im Unterschied zu angestellten Kraftfahrern mangels Tarifvertrages nicht entsprechend § 21a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 ArbZG abweichende Regelungen zur Begrenzung der täglichen Arbeitszeit getroffen werden.

20

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt. Die Sachakten der Beklagten haben bei der Entscheidung vorgelegen.

Entscheidungsgründe

I.

21

Die Kammer entscheidet im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 101 Abs. 2 VwGO).

II.

22

Der Klagantrag ist nach § 88 VwGO dahingehend auszulegen, dass die Klägerin nur die Aufhebung von Punkt 2 des Bescheides vom 12. Juli 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Juni 2014 beantragt.

23

Diese Auslegung entspricht im Gegensatz zum wörtlich gestellten Klagantrag, der sich auf den Bescheid vom 12. Juli 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Juni 2014 insgesamt bezieht, dem in der Klageschrift zum Ausdruck kommenden Begehren. Neben der mit der Klage einzig angegriffenen Anordnung zur Begrenzung der Arbeitszeit von Kraftfahrern hat die Beklagte die Klägerin im Bescheid vom 12. Juli 2013 auch dazu aufgefordert, ihre Gefährdungsbeurteilung zu überarbeiten (Punkt 1) und die vollziehbare Arbeitsschutzmaßnahme der Ziffer 7.2.3.1 im Genehmigungsbescheid vom 3. Juni 2010 umzusetzen (Punkt 3). Diese beiden letztgenannten Punkte betreffen das vorliegende Klagverfahren nicht. Während die Beklagte dem Widerspruch der Klägerin hinsichtlich Punkt 1 des Bescheides vom 12. Juli 2013 abgeholfen hat, hat die Klägerin ihren Widerspruch hinsichtlich Punkt 3 des Bescheides vom 12. Juli 2013 zurückgenommen.

III.

24

Der so ausgelegte zulässige Klagantrag ist unbegründet.

25

Die Anordnung in Punkt 2 des Bescheides vom 12. Juli 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Juni 2014 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin deshalb nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

26

Rechtsgrundlage der Anordnung ist § 17 Abs. 2 ArbZG. Danach kann die Aufsichtsbehörde die erforderlichen Maßnahmen anordnen, die der Arbeitgeber zur Erfüllung der sich aus dem Arbeitszeitgesetz ergebenden Pflichten zu treffen hat. Diese Rechtsgrundlage trägt die Anordnung der Beklagten zur Begrenzung der Arbeitszeit von Kraftfahrern bei der Güterbeförderung durch Fahrzeuge, deren zulässige Höchstmasse einschließlich Anhänger oder Sattelanhänger 3,5 t übersteigt.

27

1. § 17 Abs. 2 ArbZG ermächtigt die Aufsichtsbehörde auch zur Feststellung der aus dem Arbeitszeitgesetz folgenden Verpflichtungen des Arbeitgebers, wenn Meinungsverschiedenheiten über deren Umfang bestehen.

28

a) Dies folgt aus dem Zweck des § 17 Abs. 2 ArbZG, der darin liegt, der Aufsichtsbehörde in Form einer Generalklausel die notwendigen Befugnisse einzuräumen, um die Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes sicherzustellen und durchzusetzen (OVG Münster, Urt. v. 10.5.2011, 4 A 1403/08, juris, Rn. 26; Baeck/Deutsch, ArbZG, 3. Auflage 2014, § 17, Rn. 22). Zu diesem Zweck bedarf es nicht nur der Anordnung konkret vom Arbeitgeber zu treffender Maßnahmen, sondern bei Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung des Gesetzes als Vorstufe hierzu auch der Feststellung des Inhalts der gesetzlichen Verpflichtung, auf deren Grundlage der Arbeitgeber konkrete Maßnahmen zu treffen hat (vgl. OVG Münster, Urt. v. 10.5.2011, 4 A 1403/08, juris, Rn. 28). Derartige Feststellungen sind für den betroffenen Arbeitgeber weniger eingriffsintensiv, weil ihm so hinsichtlich der konkret zu treffenden Maßnahmen Spielräume verbleiben (zur Zulässigkeit gesetzeswiederholender Anordnungen zur Durchsetzung einer sich aus dem Arbeitszeitgesetz ergebenden Verpflichtung s. auch VGH München, Urt. v. 28.10.1993, 22 B 90.3225, juris, Rn. 14; Wank, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitszeitgesetz, 15. Auflage 2015, § 17, Rn. 3).

29

b) Gesetzeswiederholende Verfügungen sind auch nicht per se unzulässig, sondern können rechtmäßig ergehen, wenn im Einzelfall Anlass besteht, besonders auf die Pflicht zur Beachtung einer gesetzlichen Bestimmung hinzuweisen und ein konkreter Bezug zu einem bestimmten Lebenssachverhalt hergestellt wird (VG Aachen, Urt. v. 31.10.2014, 7 K 2696/12, juris, Rn. 35; VG Augsburg, Urt. v. 18.4.2013, Au 5 K 11.783, juris, Rn. 36; VGH München, Beschl. v. 12.3.2010, 10 CS 09.1734, juris, Rn. 17; vgl. auch BVerwG, Urt. v. 23.2.1979, VII C 31/76, juris, Rn. 6). Diese Voraussetzungen sind hier gegeben.

30

Die Beklagte hatte Anlass, besonders auf die Verpflichtung der Klägerin zur Beachtung der gesetzlichen Begrenzung der Arbeitszeit ihrer Kraftfahrer hinzuweisen, weil die Klägerin die Auffassung vertrat, dass § 3 ArbZG für diese nicht gelte. Es ist zudem nicht zu beanstanden, dass sich die Anordnung der Beklagten auch auf § 21a Abs. 4 ArbZG erstreckt, dessen Geltung nicht im Streit stand, weil die Uneinigkeit der Beteiligten sich gerade auf das Verhältnis der §§ 3 und 21a ArbZG zueinander bezog und beide Vorschriften Regelungen zur höchstens zulässigen Arbeitszeit treffen. Der erforderliche Bezug zu einem konkreten Lebenssachverhalt liegt vor, weil die Klägerin Kraftfahrer beschäftigt.

31

2. Die Klägerin ist dazu verpflichtet, die Begrenzung der werktäglichen Arbeitszeit der bei ihr beschäftigten Kraftfahrer auf maximal zehn Stunden zu beachten.

32

Dies ergibt sich aus § 3 Satz 1 und Satz 2 ArbZG. Danach darf die werktägliche Arbeitszeit der Arbeitnehmer acht Stunden nicht überschreiten. Sie kann auf bis zu zehn Stunden nur verlängert werden, wenn innerhalb von sechs Kalendermonaten oder innerhalb von 24 Wochen im Durchschnitt acht Stunden werktäglich nicht überschritten werden. Die sich hieraus ergebende Begrenzung der werktäglichen Arbeitszeit auf maximal zehn Stunden gilt auch für die bei der Klägerin beschäftigen Kraftfahrer.

33

a) Bei diesen handelt es sich um Arbeitnehmer im Sinne von § 2 Abs. 2 ArbZG, weil sie Angestellte der Klägerin sind.

34

b) § 21a Abs. 1 Satz 1 ArbZG schließt die Geltung der werktäglichen Arbeitszeitbegrenzung auf maximal zehn Stunden in § 3 ArbZG für Kraftfahrer entgegen der von der Klägerin unter Verweis auf eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG, Urt. v. 18.4.2012, 5 AZR 195/11, juris, Rn. 21) vertretenen Rechtsauffassung (ebenso Kock, in: BecKOK, ArbZG, Edition 34, Stand 1.12.2014, § 21a, Rn. 10; Neumann, in: Landmann/Rohmer, GewO, 68. EL, August 2014, § 3 ArbZG, Rn. 11 und § 21a ArbZG, Rn. 11; wohl auch Baeck/Deutsch, ArbZG, 3. Auflage 2014, § 21a, Rn. 22; Hahn/Pfeiffer/Schu-bert, Arbeitszeitrecht, 1. Auflage 2014, § 21a ArbZG, Rn. 11; a. A. hingegen Buschmann/Ulber, ArbZG, 8. Auflage 2015, § 21a, Rn. 19; wohl auch Anzinger/Koberski, ArbZG, 4. Auflage 2014, § 21a, Rn. 19; Wank, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitszeitgesetz, 15. Auflage 2015, § 3, Rn. 13) nicht aus.

35

Nach § 21a Abs. 1 Satz 1 ArbZG gelten für die Beschäftigung von Arbeitnehmern als Fahrer oder Beifahrer bei Straßenverkehrstätigkeiten im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 – zu denen die Güterbeförderung im Straßenverkehr mit Fahrzeugen gehört, deren zulässige Höchstmasse einschließlich Anhänger oder Sattelanhänger 3,5 t übersteigt (Art. 2 Abs. 1 lit. a der Verordnung (EG) Nr. 561/2006) – die Vorschriften des Arbeitszeitgesetzes, soweit nicht die folgenden Absätze des § 21a ArbZG abweichende Regelungen enthalten. Entgegen der Auffassung der Klägerin enthält § 21a Abs. 4 ArbZG keine von der Begrenzung der werktäglichen Arbeitszeit auf maximal zehn Stunden in § 3 ArbZG abweichende, sondern eine diese Vorschrift ergänzende Regelung.

36

aa) Dies folgt aus der Auslegung der genannten Vorschriften nach Wortlaut, Systematik, Entstehungsgeschichte sowie Sinn und Zweck, die auch mit der zu Grunde liegenden Richtlinie 2002/15/EG im Einklang steht.

37

(1) § 21a Abs. 4 Satz 1 und Satz 2 ArbZG, wonach die Arbeitszeit 48 Stunden wöchentlich nicht überschreiten darf und diese auf bis zu 60 Stunden verlängert werden kann, wenn innerhalb von vier Kalendermonaten oder 16 Wochen im Durchschnitt 48 Stunden wöchentlich nicht überschritten werden, weicht nach seinem Wortsinn nicht von der Festlegung einer werktäglichen Höchstarbeitszeit von maximal zehn Stunden in § 3 ArbZG ab. Diese Begrenzungen der werktäglichen und der wöchentlichen Arbeitszeit können – unabhängig von den im Vergleich zu § 3 Satz 2 ArbZG kürzeren Ausgleichszeiträumen in § 21a Abs. 4 Satz 2 ArbZG – nebeneinander Geltung beanspruchen, ohne dass sich daraus inhaltliche Widersprüche ergäben.

38

(2) Gesetzessystematische Erwägungen bestätigen die Anwendbarkeit der werktäglichen Arbeitszeitbegrenzung auf maximal zehn Stunden in § 3 ArbZG neben § 21a ArbZG.

39

(a) Die Vorgaben von Art. 4 lit. a Satz 1 der Richtlinie 2002/15/EG würden bei Anwendbarkeit des § 3 ArbZG neben § 21a ArbZG zwar auch ohne die Regelung in § 21a Abs. 4 Satz 1 ArbZG eingehalten. Doch ergäbe sich dies nur aus einem Zusammenspiel zwischen der Begrenzung der werktäglichen Arbeitszeit in § 3 ArbZG auf acht Stunden, verlängerbar auf bis zu 10 Stunden, der nach § 11 Abs. 2 ArbZG für die – in den von § 10 ArbZG erfassten Fällen abweichend von § 9 ArbZG zulässige – Beschäftigung an Sonn- und Feiertagen entsprechend gilt, und der Regelung über die wöchentliche Ruhezeit in Art. 8 der Verordnung (EG) Nr. 561/2006. § 21a Abs. 4 Satz 1 ArbZG setzt die Vorgaben aus Art. 4 lit. a der Richtlinie 2002/15/EG zur Begrenzung der wöchentlichen Arbeitszeit hingegen präzise und aus sich selbst heraus verständlich um.

40

(b) Gesetzessystematisch spricht für die Begrenzung der werktäglichen Arbeitszeit auf maximal zehn Stunden nach § 3 ArbZG auch für Kraftfahrer die Regelung in § 21a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 ArbZG.

41

Danach kann in einem Tarifvertrag oder auf Grund eines Tarifvertrages in einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung zugelassen werden, abweichend von § 21a Abs. 4 ArbZG sowie den §§ 3 und 6 Abs. 2 ArbZG die Arbeitszeit festzulegen, wenn objektive, technische oder arbeitszeitorganisatorische Gründe vorliegen. Dieser Regelung bedürfte es zu § 3 ArbZG nicht, wenn diese Vorschrift auf Kraftfahrer ohnehin keine Anwendung fände.

42

Entgegen der Auffassung der Klägerin bezieht sich § 21a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 ArbZG neben § 21a Abs. 4 ArbZG auch nicht nur auf § 6 Abs. 2 ArbZG i. V. m. § 3 ArbZG. Ein solches Verständnis wäre mit dem klaren Wortlaut des § 21a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 ArbZG nicht zu vereinbaren, der auf § 3 ArbZG und § 6 Abs. 2 ArbZG gleichermaßen verweist. Zudem trifft § 6 Abs. 2 ArbZG im Verhältnis zu § 3 ArbZG in Satz 1 und Satz 2 eine eigenständige, in Satz 2 überdies eine abweichende Regelung. Nur für Zeiträume, in denen Nachtarbeitnehmer nicht zur Nachtarbeit herangezogen werden, verweist § 6 Abs. 2 Satz 3 ArbZG auf § 3 Satz 2 ArbZG. § 21a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 ArbZG nimmt hingegen neben § 3 Satz 2 ArbZG auch § 3 Satz 1 ArbZG in Bezug.

43

Für die Auffassung der Klägerin spricht auch nicht, dass nach Satz 2 des § 21a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 ArbZG die Arbeitszeit 48 Stunden wöchentlich im Durchschnitt von sechs Kalendermonaten nicht überschreiten darf. Damit hat der Gesetzgeber die Regelung des Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 2002/15/EG, die sich nur auf die wöchentliche Höchstarbeitszeit nach Art. 4 der Richtlinie 2002/15/EG bezieht, über die Vorgaben der Richtlinie hinaus auf Abweichungen nicht nur von § 21a Abs. 4 ArbZG, sondern auch von den §§ 3 und 6 Abs. 2 ArbZG erstreckt. Ein Anhaltspunkt dafür, dass § 3 ArbZG in § 21a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 ArbZG nur über § 6 Abs. 2 Satz 3 ArbZG in Bezug genommen würde, ergibt sich daraus hingegen nicht, da auch die höchstens zulässige Arbeitszeit der Nachtarbeitnehmer nach § 6 Abs. 2 ArbZG tagesbezogen festgelegt ist.

44

(3) In entstehungsgeschichtlicher Hinsicht sprechen die Ausführungen in der Begründung des Entwurfs zur Ergänzung des Arbeitszeitgesetzes um den § 21a ArbZG dafür, dass auch der Gesetzgeber von der weiteren Anwendbarkeit der werktäglichen Arbeitszeitbegrenzung auf maximal zehn Stunden in § 3 ArbZG für Kraftfahrer ausging, da es darin ausdrücklich heißt, § 21a Abs. 4 ArbZG regele die wöchentliche Höchstarbeitszeit des Fahrpersonals „ergänzend“ zu § 3 ArbZG und „neben“ der dort geregelten täglichen Höchstarbeitszeit dürfe die Höchstarbeitszeit pro Woche 48 Stunden nicht überschreiten (BT-Drs. 16/1685, S. 13).

45

(4) Soweit die Klägerin im Hinblick auf das Erfordernis flexibler werktäglicher Arbeitszeiten auf die Unwägbarkeiten des Straßenverkehrs verweist, vermögen diese unter teleologischen Gesichtspunkten ein gegenteiliges Ergebnis nicht zu rechtfertigen.

46

Im Übrigen kann auch nach § 3 Satz 2 ArbZG die tägliche Arbeitszeit in gewissem Umfang flexibel gestaltet werden, da sie – ohne dass dies an Voraussetzungen gebunden wäre – von acht auf zehn Stunden verlängert werden kann. Zudem greifen die Aspekte, die den Gesetzgeber zur Begrenzung der täglichen Arbeitszeit für Arbeitnehmer im Allgemeinen bewegt haben (arbeitswissenschaftliche und arbeitsmedizinische Erkenntnisse und Erfahrungen zur beachtlich nachlassenden Konzentration nach acht Stunden Arbeitszeit, s. BT-Drs. 12/5888, S. 24; Neumann, in: Landmann/Rohmer, GewO, 68. EL, August 2014, § 3 ArbZG, Rn. 3), für Kraftfahrer unbeschadet der zusätzlichen Vorgaben der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 zu Lenkzeiten, Fahrtunterbrechungen und Ruhezeiten in besonderer Weise, weil bei diesen Tätigkeiten eine konstant hohe Konzentration notwendig und bereits kleine Fehler das Leben und die körperliche Unversehrtheit der Fahrer und anderer in Gefahr bringen können.

47

(5) Die Vorgaben der Richtlinie 2002/15/EG stehen hierzu nicht im Widerspruch.

48

Zwar verpflichtet die Richtlinie 2002/15/EG die Mitgliedstaaten lediglich dazu, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, damit die wöchentliche Höchstarbeitszeit nicht überschritten wird (Art. 4 der Richtlinie 2002/15/EG). Damit sind den Mitgliedstaaten jedoch nicht weitergehende Schutzvorschriften zu Gunsten der Kraftfahrer untersagt, da die Richtlinie 2002/15/EG lediglich bezweckt, Mindestvorschriften für die Gestaltung der Arbeitszeit festzulegen, um die Sicherheit und die Gesundheit der Personen, die Fahrtätigkeiten im Bereich des Straßenverkehrs ausüben, verstärkt zu schützen, die Sicherheit im Straßenverkehr zu erhöhen und die Wettbewerbsbedingungen einander anzugleichen (Art. 1 der Richtlinie 2002/15/EG). Es bleibt den Mitgliedstaaten unbenommen, Rechtsvorschriften anzuwenden oder einzuführen, die die Sicherheit und die Gesundheit von Personen, die Fahrtätigkeiten im Bereich des Straßentransports ausüben, besser schützen (Art. 10 Satz 1 der Richtlinie 2002/15/EG). Hierzu gehören auch Regelungen zur Begrenzung der täglich zulässigen Arbeitszeit auf maximal zehn Stunden wie in § 3 ArbZG, die über die Begrenzung der wöchentlichen Arbeitszeit hinausgehen.

49

bb) Einer abweichenden verfassungskonformen Auslegung bedarf es nicht.

50

Insbesondere ist die Klägerin durch die ungleiche Behandlung der Arbeitgeber angestellter Kraftfahrer in § 3 ArbZG und der selbständigen Kraftfahrer in § 3 KrFArbZG nicht im allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG verletzt.

51

(1) Der allgemeine Gleichheitssatz verpflichtet den Gesetzgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Damit ist dem Gesetzgeber allerdings nicht jede Differenzierung verwehrt. Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich vielmehr je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen.

52

Bei einer Ungleichbehandlung von Personengruppen unterliegt der Gesetzgeber regelmäßig einer strengen Bindung, da der Grundsatz, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind, in erster Linie eine ungerechtfertigte Verschiedenbehandlung von Personen verhindern soll. Daher ist das Gleichheitsgrundrecht verletzt, wenn der Gesetzgeber bei Regelungen, die Personengruppen betreffen, eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu einer anderen Gruppe anders behandelt, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können (BVerfG, Urt. v. 30.7.2008, 1 BvR 3262/07, 1 BvR 402/08, 1 BvR 906/08, Rauchverbot, Nichtraucherschutzgesetz, juris, Rn. 150).

53

(2) Nach diesem Maßstab ist es dem Gesetzgeber nicht verwehrt, Arbeitgeber angestellter Kraftfahrer und selbständige Kraftfahrer im Hinblick auf die Begrenzung der täglichen Arbeitszeit unterschiedlich zu behandeln.

54

Angestellte Kraftfahrer sind schutzbedürftiger als selbständig tätige Kraftfahrer, weil sie im Gegensatz zu diesen dem Weisungsrecht ihres Arbeitgebers unterliegen, dem sie auch ansonsten strukturell unterlegen sind. Dem trägt das Arbeitsrecht einschließlich des Arbeitszeitrechts durch arbeitnehmerschützende Regelungen Rechnung.

55

3. Hinsichtlich des durch § 17 Abs. 2 ArbZG auf der Rechtsfolgenseite eröffneten Ermessens sind Ermessensfehler nicht ersichtlich.

IV.

56

Die Kostenentscheidung findet ihre Grundlage in § 154 Abs. 1 VwGO.

57

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. den §§ 708 Nr. 11 Alt. 2, 711 Satz 1 und Satz 2 ZPO.

58

Die Zulassung der Berufung beruht auf § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, die Zulassung der Revision beruht auf den §§ 134 Abs. 2 Satz 1, 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Die zwischen den Beteiligten strittige Rechtsfrage, ob die Begrenzung der werktäglichen Arbeitszeit auf maximal zehn Stunden in § 3 ArbZG für Fahrer und Beifahrer bei Straßenverkehrstätigkeiten neben der Begrenzung der wöchentlichen Arbeitszeit in § 21a Abs. 4 ArbZG gilt, hat nach Auffassung der Kammer auch vor dem Hintergrund der von der Klägerin angeführten Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG, Urt. v. 18.4.2012, 5 AZR 195/11, juris, Rn. 21) grundsätzliche Bedeutung.

Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen