Urteil vom Verwaltungsgericht Hamburg (8. Kammer) - 8 A 1381/17

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, falls nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus und hilfsweise die Feststellung von nationalen Abschiebungsverboten.

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Der Kläger, irakischer Staatsangehöriger mit kurdischer Volks- und sunnitischer Religionszugehörigkeit, reiste nach eigenen Angaben am 14. Dezember 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 5. April 2016 einen Asylantrag.

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Im Rahmen seiner Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) am 31. Mai 2016 gab der Kläger im Wesentlichen an, dass er den Irak im November 2015 verlassen und zuletzt in Rania gelebt zu haben. Im Irak habe er sechs Jahre die Grundschule besucht und anschließend als Schäfer im Kandil-Gebirge gearbeitet. Im Irak lebten neben seiner Mutter, ein weiterer Bruder und eine weitere Schwester sowie die Großfamilie. Zu seinen Fluchtgründen befragt, gab der Kläger im Wesentlichen an, dass er als Schäfer im Kandil-Gebirge gelebt und gearbeitet haben. Nachdem PKK-Kämpfer in diese Region gekommen seien und die türkische Luftwaffe begonnen habe, diese Region zu bombardieren, habe er das Gebirge verlassen, um in Rania zu leben. Allerdings sei er dort erkrankt und habe auch keine Arbeit finden können. Er habe daher den Entschluss gefasst, nach Europa auszureisen. Er sei zwar nicht persönlich in Rania verfolgt worden, sei es aber gewohnt gewesen, bei seinen Schafen in den Bergen zu leben, was er wegen des Bombardements allerdings nicht mehr könne. Die Ausreise nach Deutschland sei, wie er auf Nachfrage angab, erfolgt, weil er in Rania keine Arbeit als Schäfer gefunden habe. Die Stadt Rania selbst sei zwar nicht bombardiert worden, aber die nähere Umgebung. Im Falle einer Rückkehr befürchte er, in Rania getötet zu werden, da er dort nicht mehr leben könne, weil er dort keine Arbeit habe. Außerdem habe er Angst, dort zu verhungern. Das persönliche Ziel irgendwelcher Gruppierungen zu werden, befürchte er nicht. Auf die weiteren Ausführungen des Klägers (Bl. 71 ff. der Asylakte) wird Bezug genommen.

4

Mit Bescheid vom 19. Januar 2017 erkannte die Beklagte die Flüchtlingseigenschaft nicht zu (Ziffer 1 des Bescheids), lehnte den Antrag auf Asylanerkennung ab (Ziffer 2 des Bescheids), erkannte den subsidiären Schutzstatus nicht zu (Ziffer 3 des Bescheids) und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 4 des Bescheids). Des Weiteren forderte sie den Kläger auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung bzw. nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen. Für den Fall der Nichtbefolgung wurde die Abschiebung in den Irak angedroht (Ziffer 5 des Bescheids). Überdies befristete sie das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 6 des Bescheids). Zur Begründung führte die Beklagte im Wesentlichen aus, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und für die Anerkennung als Asylberechtigter nicht vorlägen. Aus dem Vortrag des Klägers ergebe sich weder eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungshandlung noch ein flüchtlingsrelevantes Anknüpfungsmerkmal. Die engeren Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter lägen daher ebenfalls nicht vor. Des Weiteren seien auch die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nicht gegeben. Dem Kläger drohe weder die Vollstreckung oder die Verhängung der Todesstrafe noch eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung. Auch drohe ihm keine ernsthafte individuelle Bedrohung infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines bewaffneten Konflikts. Der Kläger stamme aus der Region Kurdistan-Irak, in der die Sicherheitslage vergleichsweise stabil sei. Auch habe der Kläger angegeben, dass es in Rania keine Bombardierungen gegeben habe und er auch nicht bedroht oder verfolgt worden sei. Abschiebungsverbote lägen ebenfalls nicht vor. Die Umstände, die der Kläger insofern dargelegt habe, gingen nicht über das Maß dessen hinaus, was alle Bewohner, die in einer vergleichbaren Situation lebten, hinzunehmen hätten. Auch drohe dem Kläger keine individuelle Gefahr für Leib oder Leben, die zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 AufenthG führen würde. Umstände, die geeignet wären, eine hier zu berücksichtigende Gefährdung begründen zu können, seien nicht geltend gemacht worden und auch nicht erkennbar. Die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes sei im vorliegenden Fall angemessen. Auf die weiteren Gründe des Bescheids (Bl. 78 ff. der Asylakte) wird Bezug genommen.

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Am 2. Februar 2017 hat der Kläger Klage erhoben und zur Begründung zunächst ausgeführt, dass er bei seiner Anhörung vor der Beklagten falsch verstanden worden und die Übersetzung teilweise fehlerhaft gewesen sei. Die Beklagte habe ihrem Bescheid daher einen unzutreffenden Sachverhalt zugrunde gelegt. Eine Rückkehr in seine Heimatstadt Kandil sei ihm – dem Kläger – nicht möglich, da er dort große Probleme habe. Es gebe häufig Schießereien zwischen Mitgliedern der PUK und der PKK. Außerdem fänden regelmäßig Bombardierungen durch die türkische und die iranische Luftwaffe statt. Ein Leben sei für ihn dort nicht möglich. Er sei Schäfer und habe nie etwas anderes gelernt. Er habe vergeblich versucht, sich in Rania eine Existenz aufzubauen. Im Falle einer Rückkehr bestünde sowohl die Gefahr der Obdachlosigkeit als auch die Gefahr, dass er verhungere. Familiäre Unterstützung werde er nicht erhalten. Mit weiterem Schreiben vom 12. Oktober 2017 trug der Kläger – nach erfolgter Betreibensaufforderung – weiter vor, dass er bei der Anhörung aus Angst nicht sein gesamtes Fluchtschicksal geschildert habe, da der Dolmetscher einen Badeni-Dialekt gehabt habe und er daher befürchtet habe, dass die PKK von dem Gesprächsinhalt unterrichtet werde. Vor dieser habe er – der Kläger – sehr große Angst, da er durch sie bedroht werde. Er habe vergeblich versucht, seinen Bruder, der PKK-Kämpfer sei, zu überreden, seinen Dienst zu quittieren und nach Rania zurückzukehren. In der Republik Kurdistan-Irak sei es üblich, dass PKK und PUK gegenseitig versuchten, die Leute voneinander abzuwerben und die jeweiligen Familienmitglieder dazu zwingen, sie zur Rückkehr zu überreden. Vor diesem Hintergrund sei er – der Kläger – auch eines Tages angerufen und dazu gezwungen worden, seinen Bruder zu einer Rückkehr zu überreden. Andernfalls sei ihm mit Gefängnis gedroht worden. Er sei daher nach Kandil gefahren, um seinen Bruder dort zu einer Rückkehr zu überreden. Sein Bruder habe dies indes abgelehnt, da er weiterhin – freiwillig – bei der PKK bleiben wolle. Er – der Kläger – habe dies dem Oberkommandeur der PUK-Grenzpolizei mitgeteilt, woraufhin dieser ihn nach Hause geschickt habe. Nach zwei Monaten sei er erneut aufgefordert worden, zu seinem Bruder zu fahren. Allerdings habe er die Antwort des Bruders diesmal auf einem Handy aufnehmen sollen. Als er dann erneut in das Gebiet der PKK gefahren sei und dort auf seinen Bruder gewartet habe, sei er von PKK-Kämpfern durchsucht worden, die dabei das im Aufnahmemodus befindliche Handy entdeckt hätten. Er sei daraufhin von diesen geschlagen und getreten worden, ehe sein Bruder sie zum Aufhören brachte und die Situation erläuterte. Die PKK-Kämpfer hätten daraufhin zwar von ihm Abstand genommen, ihn allerdings dazu aufgefordert, Kandil zu verlassen. Außerdem drohten sie ihm mit dem Tod, falls er noch einmal wiederkomme. Bei seiner Rückkehr in Rania habe er sich nicht getraut, dies dem Kommandeur der Grenzpolizei mitzuteilen, da dieser ihm damit gedroht habe, nicht ohne seinen Bruder zurückzukehren. Da er – der Kläger – sowohl Angst vor der PKK als auch vor der PUK gehabt habe, habe er keine andere Möglichkeit gesehen, als das Land zu verlassen und sich in Sicherheit zu bringen. Er habe zwar noch zwei ältere Brüder, aber die seien verheiratet und hätte Kinder. Sie lebten in Sulaimaniya beziehungsweise Rania und seien Peschmerga. Die PUK spreche nicht mit Leuten, die zur Peschmerga gehörten. Er – der Kläger – denke nicht, dass seine Brüder mit ihm sprechen würden. Auch könne er auf der Straße jederzeit von der Polizei der PUK verhaftet und verschleppt werden. Die PUK habe überdies überall geheime Gefängnisse und er befürchte, dass er im Falle seiner Rückkehr verhaftet und in einem dieser Gefängnisse sterben werde. Weitere Familie habe er nicht, da seine Mutter zwischenzeitlich verstorben sei.

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Aus dem Schriftsatz des Klägers vom 2. Februar 2017 ergibt sich der Antrag, die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheids vom 19. Januar 2017 zu verpflichten,

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1. ihm den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen,
2. hilfsweise festzustellen, dass nationale Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG vorliegen.

8

Aus dem Schriftsatz vom 16 Februar 2017 geht der Antrag der Beklagten hervor,

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die Klage abzuweisen.

10

Zur Begründung ihres Antrags bezieht sie sich auf die angefochtene Entscheidung.

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In der mündlichen Verhandlung am 8. Juni 2018 sind weder der Kläger noch die Beklagte erschienen. Für den Hergang der Sitzung wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.

12

Wegen der weiteren Einzelheiten wird ergänzend auf die Gerichtsakte sowie auf die Asylakte des Bundesamts Bezug genommen, welche ebenso zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurde wie die mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung mitgeteilten Erkenntnisquellen.

Entscheidungsgründe

I.

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Der Entscheidung steht nicht entgegen, dass die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung am 8 Juni 2018 nicht anwesend waren. Hierauf sind sie gemäß § 102 Abs. 2 VwGO mit der jeweiligen Ladung hingewiesen worden.

II.

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1. Die Klage hat keinen Erfolg, da sie bereits unzulässig ist.

15

Es kann dahinstehen, ob der Klage bereits das Rechtsschutzbedürfnis fehlt, weil der Kläger vermutlich das Bundesgebiet verlassen hat oder untergetaucht ist (vgl. zu Letzterem: VGH München, Beschl. v. 6.6.2006, 24 CE 06.1102, juris Rn. 14 m.w.N.).

16

Denn die Klage ist jedenfalls deshalb unzulässig, weil es an der Angabe einer ladungsfähigen Anschrift fehlt. Dies stellt einen Verstoß gegen die zwingenden Verfahrensvorschriften der § 82 Abs. 1 Satz 1, § 173 VwGO i.V.m. § 130 Nr. 1 ZPO dar, wonach natürliche Personen dem Gericht eine aktuelle ladungsfähige Anschrift und ihre Änderung anzugeben haben (vgl. VGH München, Beschl. v. 12.5.2005, 10 ZB 04.1600, juris Rn. 2 f.). Die Bezeichnung des Klägers ist nach § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO notwendiger Inhalt der Klageschrift und Zulässigkeitsvoraussetzung der Klage (vgl. BVerwG, Beschl. v. 14.2.2012, 9 B 79/11 u.a., juris Rn. 11). Grundsätzlich ist auch bei anwaltlicher Vertretung die ladungsfähige Anschrift des Klägers anzugeben (vgl. Wysk, VwGO, 2. Aufl., 2016, § 82 Rn. 4). Eine Ausnahme von diesem Grundsatz ist nicht ersichtlich zumal auch § 10 Abs. 1 AsylG ausdrücklich vorsieht, dass der Asylbewerber für die angerufenen Gerichte stets erreichbar sein muss und jeden Wechsel seiner Anschrift den genannten Stellen mitzuteilen hat.

17

Der Kläger hat unter Missachtung des § 10 Abs. 1 AsylG unterlassen, seine aktuelle ladungsfähige Anschrift mitzuteilen. Denn in dem Termin zur mündlichen Verhandlung am 8. Juni 2018 ist niemand erschienen. Das letzte gerichtliche Schreiben, die Ladung zur mündlichen Verhandlung, zugestellt an die zuletzt bekannte Adresse des Klägers, kam mit dem Vermerk „Empfänger unter der angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln“ zurück. Der zu Protokoll erklärte Hinweis auf eine Unzulässigkeit der Klage sowie der zugleich unter Hinweis auf § 82 Abs. 2 VwGO erklärten Aufforderung, dem Gericht spätestens bis zum 18. Juni 2018, 12 Uhr Eingang auf der Geschäftsstelle, eine ladungsfähige Anschrift mitzuteilen, ist der Kläger nicht nachgekommen.

18

2. Unabhängig davon ist die Klage auch unbegründet.

19

Der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl. § 77 Abs. 1 AsylG) keinen Anspruch auf die Zuerkennung des Status als subsidiär Schutzberechtigter im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylG (hierzu unter a.). Es liegen auch keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor (hierzu unter b.). Die Abschiebungsandrohung und die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes sind ebenfalls nicht zu beanstanden (hierzu unter c. und d.). Der angefochtene Bescheid ist somit rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO).

20

a.Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Zuerkennung des Status als subsidiär Schutzberechtigter.

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Ein Ausländer ist nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Heimatland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt nach § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3).

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Nach der Gesetzesbegründung soll § 4 AsylG die Art. 15 und 17 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rats vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. Nr. L 337 v. 20.12.2011, S. 9; im Folgenden: Richtlinie 2011/95/EU) umsetzen (vgl. BT-Drs. 17/13052, S. 20), wobei § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG auch die Definition aus Art. 2 lit. f) der Richtlinie 2011/95/EU aufgreift, wonach einem Drittstaatsangehörigen der subsidiäre Schutzstatus zuzuerkennen ist, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorbringt, dass er bei einer Rückkehr in sein Heimatland tatsächlich Gefahr liefe, einen ernsthaften Schaden im Sinne des Art. 15 der der Richtlinie 2011/95/EU zu erleiden. Der in dem Tatbestandsmerkmal „... tatsächlich Gefahr liefe...“ enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (im Folgenden: EGMR). Dieser stellt bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr ab („real risk"; vgl. nur EGMR, Urt. v. 28.2.2008, Nr. 37201/06, NVwZ 2008, 1330, Rn. 125 ff.); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.4.2010, 10 C 5/09, juris, Rn. 22). Dieser Maßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Gefahr eines ernsthaften Schadens sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.2.2013, 10 C 23/12, juris Rn. 32 – zur beachtlichen Wahrscheinlichkeit von Verfolgung i.S.d. § 3 AsylG). Die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von einem solchen ernsthaften Schaden unmittelbar bedroht war, ist nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU ein ernsthafter Hinweis darauf, dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von einem solchen Schaden bedroht wird.

23

Die Gefahr eines ernsthaften Schadens im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG kann gemäß § 4 Abs. 3 AsylG i.V.m. § 3c AsylG ausgehen von dem Staat, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die zuvor genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 4 Abs. 3 i.V.m. § 3d AsylG Schutz vor einem ernsthaften Schaden zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.

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Gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG i.V.m. § 3e Abs. 1 AsylG wird dem Ausländer subsidiärer Schutz nicht zuerkannt, wenn eine sogenannte interne Schutzalternative besteht, weil in einem Teil seines Herkunftslands keine Gefahr eines ernsthaften Schadens besteht oder der Ausländer Zugang zu Schutz vor einem ernsthaften Schaden nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt. Nach § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG i.V.m. § 3e Abs. 2 AsylG sind die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und persönlichen Umstände des Ausländers zu berücksichtigen. Der Ausländer muss am Zufluchtsort eine ausreichende Lebensgrundlage vorfinden, das heißt es muss zumindest (in faktischer Hinsicht) das Existenzminimum gewährleistet sein, was er unter persönlich zumutbaren Bemühungen sichern können muss. Dies gilt auch dann, wenn im Herkunftsgebiet die Lebensverhältnisse gleichermaßen schlecht sind. Unerheblich ist, ob eine Gefährdung wie am Herkunftsort in gleicher Weise besteht. Darüber hinaus ist erforderlich, dass das Zufluchtsgebiet für den Ausländer erreichbar ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.05.2008, 10 C 11/07, juris Rn. 32).

25

Gemessen an diesen Vorgaben erfüllt der Kläger die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nicht.

26

aa. Mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht dem Kläger nicht die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG. Diesbezüglich ist nichts vorgetragen worden. Auch anderweitige Anhaltspunkte bestehen nicht.

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bb.Dem Kläger droht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit auch keine Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG.

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Unter Folter ist in Anlehnung an die Definition von Art. 1 des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (BGBl. 1990 II S. 247, BGBl. 1993 II S. 715) eine Behandlung zu verstehen, die einer Person vorsätzlich schwere Schmerzen oder Leiden körperlicher oder geistig-seelischer Art zufügt, um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erzwingen, sie oder einen Dritten zu bestrafen, einzuschüchtern oder zu nötigen oder mit diskriminierender Absicht zu verfolgen. Wann eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung vorliegt, hängt nach der insoweit vor allem maßgebenden Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom Einzelfall ab. Eine Schlechtbehandlung einschließlich Bestrafung muss jedenfalls ein Minimum an Schwere erreichen, um in den mit § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG und Art. 15 lit. b der Richtlinie 2011/95/EU insoweit identischen Schutzbereich von Art. 3 EMRK zu fallen. Die Bewertung dieses Minimums ist nach der Natur der Sache relativ. Kriterien hierfür sind abzuleiten aus allen Umständen des Einzelfalles, wie etwa der Art der Behandlung oder Bestrafung und dem Zusammenhang, in dem sie erfolgte, der Art und Weise ihrer Vollstreckung, ihrer zeitlichen Dauer, ihrer physischen und geistigen Wirkungen, sowie gegebenenfalls abgestellt auf Geschlecht, Alter bzw. Gesundheitszustand des Opfers. Abstrakt formuliert sind unter einer menschenrechtswidrigen Schlechtbehandlung Maßnahmen zu verstehen, mit denen unter Missachtung der Menschenwürde absichtlich schwere psychische oder physische Leiden zugefügt werden und mit denen nach Art und Ausmaß besonders schwer und krass gegen Menschenrechte verstoßen wird (vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 6.3.2012, A 11 S 3070/11, juris Rn. 16).

29

Das Gericht bewertet den Vortrag des Klägers, wonach er aus Angst vor der PKK und dem Oberkommandeur der PUK-Grenzpolizei das Land verlassen habe, da er – insbesondere – befürchte, von der PUK in ein geheimes Gefängnis gesperrt zu werden, weil er seinen Bruder nicht dazu habe überreden können, seinen Dienst als PKK-Kämpfer zu quittieren, als unglaubhaft.

30

Auch in Asylstreitsachen müssen die Verwaltungsgerichte die volle Überzeugung von der Wahrheit – und nicht etwa nur von der Wahrscheinlichkeit – des vom Kläger behaupteten Verfolgungsschicksals erlangen (vgl. grundsätzlich BVerwG, Urt. v. 16.4.1985, 9 C 109/84, juris Rn. 16), wobei der allgemeine Grundsatz gilt, dass das Gericht keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen und keine unumstößliche Gewissheit verlangen darf (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.4.1985, a.a.O.). Darüber hinaus ist die besondere Beweisnot des mit der materiellen Beweislast hinsichtlich der Verfolgungsgründe beschwerten Asylsuchenden zu berücksichtigen. Dazu kann seinen Erklärungen größere Bedeutung beigemessen werden, als sie sonstigen Parteibekundungen zukommt; ihr Beweiswert soll im Rahmen des Möglichen wohlwollend beurteilt werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.4.1985, a.a.O.). Bei der somit genügenden Glaubhaftmachung ist es mit Blick auf die in § 25 AsylG geregelten, auf Art. 4 Richtlinie 2011/95/EU zurückgehenden Mitwirkungs- und Darlegungsobliegenheiten des Ausländers und seiner daran anknüpfenden prozessualen Mitwirkungspflicht nach § 86 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 VwGO allerdings seine Sache, die Gründe für seine Furcht vor Verfolgung schlüssig vorzutragen. Dazu hat er unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt, dass bei verständiger Würdigung eine Verfolgung droht (vgl. nur BVerwG, Beschl. v. 19.10.2001, 1 B 24/01, juris Rn. 5; Urt. v. 24.3.1987, 9 C 321/85, juris Rn. 9). Bei der Bewertung der Stimmigkeit des Sachverhalts müssen u.a. Persönlichkeitsstruktur, Wissensstand und Herkunft des Ausländers berücksichtigt werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 23.2.1988, 9 C 273/86, juris Rn. 11). Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass das Asylanerkennungsverfahren ein einheitliches Verfahren darstellt, so dass ein gegenüber den Angaben vor der Verwaltungsbehörde neuer Sachvortrag im gerichtlichen Verfahren regelmäßig Zweifel an der Richtigkeit des klägerischen Vorbringens weckt. Bei erheblichen Widersprüchen oder Steigerungen im Sachvortrag kann dem Kläger daher nur geglaubt werden, wenn die Widersprüche und Unstimmigkeiten überzeugend aufgelöst werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 12.11.1985, 9 C 27/85, juris; VG Augsburg, Urt. v. 16.2.2011, Au 5 K 10.30159, juris Rn. 29 m.w.N.).

31

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe erachtet das Gericht das behauptete Bedrohungsschicksal als nicht glaubhaft. Der Kläger hat sein Bedrohungsschicksal allgemein und ohne Angaben von Details geschildert, so dass sich dem Gericht bereits nicht die Chronologie der Ereignisse erschließen. Darüber hinaus hat der Kläger aber sowohl während des Verwaltungsverfahrens als auch während des gerichtlichen Verfahrens widersprüchliche Angaben gemacht und das geschilderte Bedrohungsschicksal fortlaufend an den zentralen Stellen geändert und insgesamt erheblich gesteigert, ohne dass diese Widersprüche und Steigerungen durch ihn oder sonst wie erklärt werden konnten.

32

So hat der Kläger bereits unterschiedliche Angaben zu seinen familiären Verhältnissen gemacht. In der Anhörung bei der Beklagten hat er zunächst angegeben, im Irak noch einen Bruder und eine Schwester zu haben (Bl. 72 der Asylakte). In seinem Schriftsatz vom 2. Februar 2017 hat er demgegenüber ausgeführt, dass sich seine Familie wahrscheinlich nicht mehr in Rania befinde und er auch nicht wisse, wo diese sei (Bl. 3 d. A.). Im Schriftsatz vom 12. Oktober 2017 hat er hingegen angegeben, dass er im Irak insgesamt drei Brüder habe, von denen einer als PKK-Kämpfer in Kandil lebe und die anderen beiden bei den Peschmerga seien und in Rania beziehungsweise Sulaimaniya lebten.

33

Unabhängig davon ist das geschilderte Bedrohungsschicksal des Klägers aber auch inhaltlich durch zahlreiche Widersprüche und Steigerungen geprägt. So hat dieser in der Anhörung durch die Beklagte zunächst ausgeführt, sein Herkunftsland verlassen zu haben, da er wegen der Kämpfe zwischen der – als Terrororganisation eingestuften – PKK und der türkischen Luftwaffe in dem Kandil-Gebirge nicht mehr seinen Beruf als Schäfer habe ausüben können und ihm auch ein Leben in Rania nicht möglich gewesen sei, da er sich dort keine Existenz habe aufbauen können und in Krankheit sowie in Armut gelebt habe. Die ausdrückliche Nachfrage der Beklagten, ob er persönlich jemals verfolgt oder attackiert worden sei, hat er demgegenüber verneint. Auf weitere Nachfrage hat er vielmehr bestätigt, nur deshalb nach Deutschland gekommen zu sein, da er in Rania nicht mehr als Schäfer habe arbeiten können und sich in Deutschland ein neues Leben aufbauen möchte. In seiner Klagschrift vom 2. Februar 2017 hat der Kläger demgegenüber angegeben, nicht in sein Heimatland zurückkehren zu können, da er dort – nicht nähere dargelegte – große Probleme habe und es immer wieder zu Schießereien zwischen Mitgliedern der PKK und der PUK sowie zu Luftangriffen der türkische und der iranischen Armee komme. In seinem – aufgrund einer gerichtlichen Betreibensaufforderung erfolgten – Schriftsatz vom 12. Oktober 2017 hat der Kläger wiederum ein davon in weiten Teilen abweichendes Bedrohungsschicksal vorgetragen. Danach habe er ausreisen müssen, weil er Probleme mit dem Oberkommandeur der PUK-Grenzpolizei bekommen habe, da er es nicht geschafft habe, seinen Bruder, der PKK-Kämpfer gewesen sei, wie von dem Oberkommandeur gefordert, zur Rückkehr zur PUK zu überreden beziehungsweise dessen entsprechende Aussage auf einem Handy aufzunehmen. Er habe infolgedessen auch deshalb ausreisen müssen, weil er nunmehr auch Angst vor der PKK gehabt habe, da diese ihn dabei entdeckt habe, wie er versucht habe, die Aussage seines Bruders auf einem Handy aufzuzeichnen.

34

Das Gericht bewertet das geschilderte Bedrohungsschicksal insgesamt als unglaubhaft, da der Kläger die Steigerungen in seinem Vortrag nicht überzeugend zu erklären vermochte. Denn auch insofern fehlt es an einer widerspruchsfreien Erklärung. So hat der Kläger die Steigerungen und Abweichungen in seinem Schriftsatz vom 2. Februar 2017 zunächst mit Übersetzungsfehler durch den Dolmetscher der Beklagten im Rahmen der Anhörung zu erklären versucht. Im Schriftsatz vom 12. Oktober 2017 hat er die Steigerungen in seinem Vortrag wiederum damit begründet, dass er Angst davor gehabt habe, vor dem Dolmetscher der Beklagten frei zu sprechen, da er befürchtet habe, dass die PKK den Inhalt seiner Aussage erfahre, denn der Dialekt des Dolmetschers habe nach Auffassung des Klägers dafür gesprochen, dass dieser eine gewisse Nähe zur PKK gehabt habe. Diese Rechtfertigungen sind jedoch als Schutzbehauptungen zu qualifizieren. Denn der Kläger hat die Widersprüche und Steigerungen bereits durch sich wiedersprechende Erklärungen zu rechtfertigen versucht. Überdies konnte er nicht substantiiert darlegen, was der Dolmetscher der Beklagten in der Anhörung fehlerhaft übersetzt haben soll. Im Übrigen ist die unterstellte Befangenheit und Nähe des Dolmetschers zur PKK alleine wegen seines Dialekts pauschal und viel zu allgemein.

35

cc. Auch eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG ist im Fall des Klägers nicht beachtlich wahrscheinlich.

36

Dabei ist der Begriff des internationalen wie auch des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts unter Berücksichtigung der Bedeutung dieser Begriffe im humanitären Völkerrecht, insbesondere unter Heranziehung der in Art. 3 der Genfer Konventionen zum humanitären Völkerrecht 1949 und des zur Präzisierung erlassenen Zusatzprotokolls II von 1977 auszulegen (vgl. BVerwG, Urt. v. 24.6.2008, 10 C 43/07, juris). Danach müssen die Kampfhandlungen von einer Qualität sein, wie sie u. a. für Bürgerkriegssituationen kennzeichnend sind und über innere Unruhen und Spannungen wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und ähnliche Handlungen hinausgehen. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konflikts im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen, wie sie typischerweise in Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfen zu finden sind. Ein solcher innerstaatlicher bewaffneter Konflikt kann überdies landesweit oder regional (z. B. in der Herkunftsregion des Ausländers) bestehen, er muss sich mithin nicht auf das gesamte Staatsgebiet erstrecken. Besteht ein bewaffneter Konflikt mit der beschriebenen Gefahrendichte nicht landesweit, kommt eine individuelle Bedrohung allerdings in der Regel nur in Betracht, wenn der Konflikt sich auf die Herkunftsregion des Klägers erstreckt, in die er typischerweise zurückkehren wird (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.7.2009, 10 C 9/08, juris Rn. 17; Urt. v. 31.1.2013, 10 C 15/12, juris Rn. 13). Auch der Europäische Gerichtshof spricht in seiner Entscheidung vom 17. Februar 2009 vom "tatsächlichen Zielort" des Ausländers bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat (C-465/07, juris Rn. 40). Auf einen bewaffneten Konflikt außerhalb der Herkunftsregion des Ausländers kann es nur ausnahmsweise ankommen. Bei einem regional begrenzten Konflikt außerhalb seiner Herkunftsregion muss der Ausländer stichhaltige Gründe dafür vorbringen, dass für ihn eine Rückkehr in seine Herkunftsregion ausscheidet und nur eine Rückkehr gerade in die Gefahrenzone in Betracht kommt (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.7.2009, 10 C 9/08, juris Rn. 17). Der innerstaatliche bewaffnete Konflikt begründet ein Abschiebungsverbot nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG aber nur dann, wenn der Schutzsuchende von ihm ernsthaft individuell bedroht ist und keine innerstaatliche Schutzalternative besteht. Das Vorliegen einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit der Person setzt nicht voraus, dass diese Person beweist, dass sie aufgrund von ihrer persönlichen Situation innewohnenden Umständen spezifisch betroffen ist (vgl. EuGH, Urt. v. 17.2.2009, a.a.O.). Eine solche Bedrohung kann vielmehr auch dann ausnahmsweise als gegeben angesehen werden, wenn der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt nach der Beurteilung der zuständigen nationalen Behörden ein so hohes Niveau erreicht hat, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei Rückkehr in das betroffene Land oder gegebenenfalls die betroffene Region allein durch die Anwesenheit im Gebiet des Landes oder in dieser Region tatsächlich Gefahr läuft, einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt zu sein. Dabei hebt der Europäische Gerichtshof hervor, dass der Grad willkürlicher Gewalt, der vorliegen muss, damit ein Anspruch auf subsidiären Schutz besteht, umso geringer ist, je mehr der Betroffene belegen kann, dass er aufgrund seiner persönlichen Situation innewohnenden Umständen spezifisch betroffen ist. Hieraus folgt, dass in jedem Fall Feststellungen über das Niveau willkürlicher Gewalt in dem betreffenden Gebiet getroffen werden müssen. Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich; liegen gefahrerhöhende persönliche Umstände vor, genügt auch ein geringeres Niveau willkürlicher Gewalt (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.4.2010, 10 C 4/09, juris Rn. 33). Zu diesen gefahrerhöhenden Umständen gehören in erster Linie solche persönlichen Umstände, die den Antragsteller von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa weil er von Berufs wegen – z. B. als Arzt oder Journalist – gezwungen ist, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten. Dazu können aber auch solche persönlichen Umstände gerechnet werden, aufgrund deren der Antragsteller als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte – etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit – ausgesetzt ist, sofern deswegen nicht schon eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Betracht kommt. Auch im Fall gefahrerhöhender persönlicher Umstände muss aber ein hohes Niveau willkürlicher Gewalt bzw. eine hohe Gefahrendichte für die Zivilbevölkerung in dem fraglichen Gebiet festgestellt werden. Allein das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts und die Feststellung eines gefahrerhöhenden Umstandes in der Person des Antragstellers reichen hierfür nicht aus. Erforderlich ist vielmehr eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und der Akte willkürlicher Gewalt andererseits, die von den Konfliktparteien gegen Leib oder Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung. Dabei können für die Bemessung der Gefahrendichte die für die Feststellung einer Gruppenverfolgung im Bereich des Flüchtlingsrechts entwickelten Kriterien entsprechend herangezogen werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.4.2010, a.a.O.). Dabei geht das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass jedenfalls ein Risiko von 1:800 bzw. 0,125%, in dem betreffenden Gebiet im Laufe eines Jahres verletzt oder getötet zu werden, so weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt ist, dass selbst eine wertende Gesamtbetrachtung eine individuelle Bedrohung nicht mehr zu begründen vermag (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.11.2011, 10 C 13/10, juris Rn. 22 f.).

37

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe und nach Auswertung der zum Gegenstand der mündlichen Verhandlungen gemachten Erkenntnismittel besteht in der maßgeblichen Herkunftsregion des Klägers, dem Kandil-Gebirge, das sich in der Provinz Erbil befindet, wie in der gesamten Region Kurdistan-Irak kein internationaler oder innerstaatlicher bewaffneter Konflikt (vgl. VG Hamburg, Urt. v. 20.2.2018, 8 A 4134/17, juris Rn. 63; VG Karlsruhe, Urt. v. 10.10.2017, A 10 K 1508/17, juris Rn. 31; VG Augsburg, Urt. v. 7.9.2017, Au 5 K 17.33860, juris Rn. 38; VG Düsseldorf, Urt. 26.7.2017, 20 K 3549/17.A, juris Rn. 60; VG Köln, Urt. v. 5.7.2017, 3 A 9944/16.A, juris Rn. 81 ff.; VG Oldenburg, Urt. v. 7.6.2017, 3 A 3731/16, juris Rn. 47 ff.). Bereits vor der Zurückdrängung des so genannten Islamischen Staats im Irak war die Region Kurdistan-Irak von der von dieser Organisation ausgehenden Bedrohung und den damit in Zusammenhang stehenden Kämpfen nicht direkt erfasst, auch wenn dort die Sicherheitslage angespannt ist (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, Stand: Dezember 2016, 7.2.2017 – im Folgenden: Lagebericht 2017, S. 12). Soweit die kurdischen Peschmerga-Streitkräfte in Kampfhandlungen verwickelt waren, ereigneten sich diese außerhalb der Region Kurdistan-Irak. Zwar kommt es innerhalb der Region, insbesondere in nördlich gelegenen Dörfern der Provinz Dohuk, seit Juli 2015 zu einzelnen Luftschlägen der türkischen Luftwaffe auf Stellungen der als Terrororganisation eingestuften kurdischen Arbeiterpartei PKK, die teilweise auch zivile Opfer fordern. Über diese Angriffe wurde auch im Jahr 2017 weiterhin berichtet (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht 2017, S. 16; ACCORD, Anfragebeantwortung zum Irak: Sicherheitslage in der autonomen Region Kurdistan-Irak: Kampfhandlungen, Anschläge und Zielgruppen, 10.5.2017). Dies bleibt aber hinter dem Ausmaß eines bürgerkriegsähnlichen Konflikts zurück (im Ergebnis so auch VG Köln, Urt. v. 5.7.2017, a.a.O.). Es sind auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass innerhalb der Region Kurdistan-Irak in absehbarer Zukunft ein Konflikt im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG entstehen wird.

38

Unabhängig davon bietet auch die Zahl der von willkürlicher Gewalt betroffenen Personen keinen Grund für die Annahme, dass jede Zivilperson in der Region Kurdistan-Irak bzw. in der Provinz Erbil allein durch ihre Anwesenheit in diesem Gebiet tatsächlich Gefahr liefe, einen erheblichen Schaden zu erleiden. Bei der von einer britischen Nichtregierungsorganisation betriebenen Datenbank Iraq Body Count sind für das Jahr 2016 weniger als 100 getötete Zivilisten und für das Jahr 2017 – insoweit sind Zahlen aber nur bis Februar verfügbar – kein getöteter Zivilist in der Provinz Erbil verzeichnet (vgl. www.iraqbodycount.org/data-base). Der Blogger Joel Wing, der regelmäßig über die Zahl der Konfliktbetroffenen im Irak berichtet, vermerkt für die Provinz Erbil für den Mai 2018 einen sicherheitsrelevanten Vorfall, für den Januar und den Februar 2018 keinen sicherheitsrelevanten Vorfall, für den März 2018 dreizehn und für den April 2018 acht sicherheitsrelevante Vorfälle. In Bezug zur Einwohnerzahl Erbils von über 1,5 Millionen (vgl. IOM, Iraq Community Stabilization Handbook 2015-2016, S. 125, Stand: 15. September 2016) und unter Berücksichtigung einer Dunkelziffer bleibt die aktuelle Zahl der Gewaltbetroffenen deutlich hinter dem Maß zurück, das nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der das Gericht folgt, die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer individuellen Bedrohung auch bei wertender Betrachtung noch zu begründen vermag.

39

b. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Feststellung eines nationalen Abschiebungs-verbots nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich des Iraks.

40

aa. Ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG liegt nicht vor.

41

Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit eine Abschiebung nach den Bestimmungen der EMRK unzulässig ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 11.11.1997, 9 C 13.96, juris) umfasst der Verweis auf die EMRK lediglich Abschiebungshindernisse, die in Gefahren begründet liegen, welche dem Ausländer im Zielstaat der Abschiebung drohen ("zielstaatsbezogene" Abschiebungshindernisse). Der Verweis auf Abschiebungsverbote, die sich aus der Anwendung der EMRK ergeben, umfasst auch das Verbot der Abschiebung in einen Zielstaat, in dem dem Ausländer unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung im Sinne von Art. 3 EMRK droht. Bei § 60 Abs. 5 AufenthG sind alle Verbürgungen der EMRK in den Blick zu nehmen, aus denen sich ein Abschiebungsverbot ergeben kann. Soweit § 60 Abs. 5 AufenthG die völkerrechtliche Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland wiederholt, bei aufenthaltsbeendenden Maßnahmen die Gefahr der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung zu berücksichtigen (Art. 3 EMRK), ist der sachliche Regelungsbereich weitgehend identisch mit dem des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG und geht über diesen, soweit Art. 3 EMRK in Rede steht, jedenfalls nicht hinaus. Denn § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG knüpft – wie dargelegt – an Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2011/95/EG an, der seinerseits die Verantwortung des Abschiebestaats nach Art. 3 EMRK übernimmt. In Fällen, in denen – wie hier – gleichzeitig über die Gewährung subsidiären Schutzes und nationalen Abschiebungsschutzes zu entscheiden ist, scheidet daher bei Verneinung der Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG regelmäßig aus denselben tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG in Bezug auf Art. 3 EMRK aus, so dass in der Sache divergierende Bewertungen kaum denkbar sind (vgl. BVerwG, Urt. v. 31.1.2013, 10 C 15/12, juris Rn. 36).

42

Dies zugrunde gelegt, begründen die Verbürgungen der EMRK im Fall des Klägers kein Abschiebungsverbot. Insbesondere verstieße eine Abschiebung des Klägers in Herkunftsland nicht gegen Art. 3 EMRK. Insoweit wird zunächst auf die obigen Ausführungen unter II. 2. a. Bezug genommen. Auch die humanitären Verhältnisse im Irak führen nicht zu der Annahme, dass eine Abschiebung des Klägers in sein Heimatland gegen Art. 3 EMRK verstieße.

43

Ein Ausländer kann kein Recht aus der Konvention auf Verbleib in einem Konventionsstaat geltend machen, um dort weiter medizinische, soziale oder andere Hilfe und Unterstützung zu erhalten. Der Umstand, dass im Fall einer Aufenthaltsbeendigung seine Lage einschließlich seiner Lebenserwartung erheblich beeinträchtigt würde, reicht nach der Rechtsprechung des EGMR allein nicht aus, einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK anzunehmen. Nur in besonderen Ausnahmefällen können humanitäre Gründe zwingend gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechen (vgl. EGMR, Urt. v. 27.5.2008, Nr. 26565/05, NVwZ 2008, 1334, Rn. 42). Zwar hat der EGMR eine Verletzung von Art. 3 EMRK durch das Königreich Belgien als abschiebenden Staat angenommen, weil der betroffene Asylantragsteller mit seiner Überstellung an Griechenland als Signaturstaat der EMRK einer Situation äußerster materieller Armut ausgeliefert worden sei, was den belgischen Behörden bewusst gewesen sei (vgl. EGMR, Urt. v. 21.1.2011, Nr. 30696/06, NVwZ 2011, 413, Rn. 263 f., 366 f.). Jedoch erstreckt diese Entscheidung den Schutzbereich des Art. 3 EMRK ausdrücklich nicht allgemein auf soziale Leistungsrechte; der EGMR betont vielmehr die Fortgeltung seiner insoweit sehr zurückhaltenden Rechtsprechung (Rn. 249 m.w.N.) und begründet seine Entscheidung mit dem Schutz der Menschenwürde von Personen, die – in einem ihnen völlig fremden Umfeld – vollständig von staatlicher Unterstützung abhängig sind und behördlicher Gleichgültigkeit gegenüberstehen, obwohl sie sich in ernsthafter Armut und Bedürftigkeit befinden (Rn. 253). Als eine hiernach in Betracht zu ziehende Personengruppe führt der EGMR die Gruppe der Asylsuchenden an, die er als besonders verletzlich und schutzbedürftig qualifiziert (Rn. 251, 259). Dass damit keine generelle Erstreckung des Schutzes nach Art. 3 EMRK auf zu gewährleistende Standards im Heimatstaat des Betroffenen einhergeht, ergibt sich auch aus nachfolgenden Urteilen des EGMR. In seinem Urteil vom 28. Juni 2011 (Nr. 8319/07, NVwZ 2012, 681) stellt der EGMR nochmals klar, dass in Abschiebungsfällen nur zu prüfen ist, ob unter Berücksichtigung aller Umstände ernstliche Gründe für die Annahme nachgewiesen worden sind, dass der Betroffene im Fall seiner Abschiebung tatsächlich Gefahr liefe, einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden. Wenn eine solche Gefahr nachgewiesen ist, verletzt die Abschiebung des Ausländers notwendig Art. 3 EMRK, einerlei, ob sich die Gefahr aus einer allgemeinen Situation der Gewalt ergibt, einem besonderen Merkmal des Ausländers oder einer Verbindung von beiden (Rn. 218). Zugleich weist der EGMR darauf hin, dass die sozio-ökonomischen und humanitären Verhältnisse im Bestimmungsland hingegen nicht notwendig für die Frage bedeutend und erst recht nicht dafür entscheidend sind, ob der Betroffene in diesem Gebiet wirklich der Gefahr einer Misshandlung unter Verstoß gegen Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre. Denn die Konvention zielt hauptsächlich darauf ab, bürgerliche und politische Rechte zu schützen. Die grundlegende Bedeutung von Art. 3 EMRK macht nach Auffassung des EGMR aber eine gewisse Flexibilität erforderlich, um in sehr ungewöhnlichen Fällen eine Abschiebung zu verhindern. In ganz außergewöhnlichen Fällen können daher auch (schlechte) humanitäre Verhältnisse Art. 3 EMRK verletzen, wenn die humanitären Gründe gegen die Ausweisung "zwingend" sind (Rn. 278). Nur soweit die schlechten humanitären Bedingungen nicht nur oder überwiegend auf Armut oder fehlende staatliche Mittel beim Umgang mit Naturereignissen zurückzuführen sind, sondern überwiegend auf direkte und indirekte Aktionen der Konfliktparteien zurückgehen, hält der EGMR das im Verfahren M.S.S. gegen Belgien und Griechenland (vgl. Urt. v. 21.11.2011, a.a.O.) entwickelte Kriterium für besser geeignet, nach dem die Fähigkeit des Beschwerdeführers berücksichtigt werden muss, seine elementaren Bedürfnisse zu befriedigen, wie Nahrung, Hygiene und Unterkunft, weiter seine Verletzlichkeit für Misshandlungen und seine Aussicht auf eine Verbesserung der Lage in angemessener Zeit (Rn. 282 f. – zum Ganzen BVerwG, Urt. v. 31.1.2013, 10 C 15/12, juris Rn. 23 ff.).

44

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe und unter Auswertung der zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Erkenntnismittel kann im vorliegenden Fall nicht angenommen werden, dass für den Kläger im Fall seiner Abschiebung in den Irak aufgrund der dortigen humanitären Verhältnisse das ernsthafte Risiko einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung bestehen würde.

45

Nach den Erkenntnismitteln besteht im gesamten Irak eine angespannte humanitäre Situation. Nach Angaben des Auswärtigen Amtes zur Lage im gesamten Land kann der irakische Staat die Grundversorgung der Bürger nicht kontinuierlich und in allen Landesteilen gewährleisten. Irak besitzt kaum eigene Industrie. Hauptarbeitgeber ist der Staat. Über 4 Millionen der 36 Millionen Iraker erhalten reguläre Gehälter von der Regierung, die 2015 und 2016 aufgrund der schlechten Haushaltslage teilweise erst mit mehrmonatiger Verspätung gezahlt worden sind. Etwa ein Zehntel der Bevölkerung ist in der Landwirtschaft tätig. Rund 90% der Staatseinnahmen stammen aus dem Ölsektor. Die über Jahrzehnte internationaler Isolation und Krieg vernachlässigte Infrastruktur ist sanierungsbedürftig. Trotz internationaler Hilfsgelder bleibt die Versorgungslage für ärmere Bevölkerungsschichten zumindest außerhalb der Region Kurdistan-Irak schwierig. Die Lebensbedingungen von 57% der städtischen Bevölkerung gleichen denen von Slums. Es gibt Lebensmittelgutscheine für Bedürftige. Schon im Juni 2013 sind vier Millionen Iraker unterernährt gewesen. Etwa ein Drittel der Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze (2,-- US-Dollar/Tag). In den vom IS befreiten Gebieten muss eine Grundversorgung nach Räumung der Kampfmittel erst wieder hergestellt werden. Einige Städte sind weitgehend zerstört (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht 2017, S. 22).

46

Es ist außerdem nicht zu verkennen, dass auch die Region Kurdistan-Irak in Anbetracht der Veränderungen der letzten Jahre nicht mehr als wirtschaftlich prosperierend bezeichnet werden kann. Neben der dort herrschenden Finanzkrise gilt es auch die Versorgung der dort aufgenommenen (Binnen-) Flüchtlinge zu bewältigen. Die mehr als 900.000 Binnenflüchtlinge allein seit Anfang 2014 und die 250.000 syrische Flüchtlinge haben nicht nur zu einer kritischen humanitären Versorgungslage der Flüchtlinge geführt (vgl. hierzu eingehend Danish Immigration Service, The Kurdistan Region of Iraq, Access, Possibility of Protection, Security and Humanitarian Situation, April 2016, S. 52 ff.; UK Home Office, Country Policy and Information Note, Iraq: Security and humanitarian situation, März 2017, S. 33 ff.). Auch die lokale Bevölkerung wird durch die Bevölkerungszunahme in Bezug auf die Verteilung von Ressourcen, der stärkeren Konkurrenz um Arbeit und dem daraus entstehenden Druck auf die die Löhne und damit das Haushaltseinkommen belastet (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, IRAK: Update: Sicherheitssituation in der KRG-Region, 28.3.2015, S. 2; BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Irak, 24.8.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 23.11.2017, S. 117 f.).

47

Mehr als ein Zehntel der Bevölkerung der Region lebt unter der Armutsgrenze. Bis zu 680.000 Personen der geschätzten 5,5 Millionen Einwohner der Region leben von weniger als 87,-- US-Dollar pro Monat, die nach Weltbank-Standard als Armutsgrenze für den Irak und die Region Kurdistan festgelegt worden ist. Die Arbeitslosigkeit hat sich seit 2010 beinahe verdreifacht. Sie ist von zunächst 4,8% angestiegen und wird mit zuletzt 14% im September 2016 berichtet. Wahrscheinlich ist sie aber wesentlich größer (vgl. ACCORD, Anfragebeantwortung zum Irak: wirtschaftliche Lage in der autonomen Region Kurdistan-Irak für RückkehrerInnen, 17.5.2017). Bei Frauen liegt sie bei 29,4% gegenüber 9,7% bei Männern (ebenda). Fast 2% der Bevölkerung der Region Kurdistan-Irak verfügen über nicht ausreichend Geld, um sich regelmäßig drei Mahlzeiten am Tag zu leisten. Allerdings gibt es ein staatlich subventioniertes Lebensmittelverteilungssystem, wonach jeder im Irak ansässige Einwohner ein Anrecht auf monatliche Rationen hat. Das Lebensmittelverteilungssystem ist seit einigen Jahren in Schwierigkeiten, da es sehr teuer und von schlechter Organisation und mangelnder Transparenz entlang der Versorgungswege gekennzeichnet ist. In der Provinz Dohuk gibt es aber beispielsweise 1.400 Lebensmittelausgabestellen. Das World Food Programme unterstützt das Lebensmittelverteilungssystem in der Region Kurdistan seit 1996. Hilfsorganisationen arbeiten daran, die Versorgungslücken zu füllen, um die Bevölkerung zu versorgen. Trotz Verzögerungen einiger Lebensmittelkörbe funktioniert das System relativ gut in Duhok und Sacho (vgl. ACCORD, Anfragebeantwortung zum Irak: wirtschaftliche Lage in der autonomen Region Kurdistan-Irak für RückkehrerInnen, 17.5.2017).

48

Ungeachtet der seit einigen Jahren andauernden ökonomischen Herausforderungen wird ausdrücklich berichtet, dass es in der Region Kurdistan-Irak keinen Hunger und keine Mangelernährung gibt (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge v. 21.7.2017, S. 3; Danish Immigration Service, The Kurdistan Region of Iraq, Access, Possibility of Protection, Security and Humanitarian Situation, April 2016, S. 113). Die medizinische Versorgung ist in den großen Städten der Region Kurdistan-Irak gut und auf dem Land ist eine medizinische Grundversorgung vorhanden (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Ansbach v. 12.6.2017, S. 2).

49

Legt man diese Erkenntnismittellage zugrunde und geht zugunsten des Klägers davon aus, dass die dargestellten humanitären Bedingungen im Irak überwiegend auf direkte und indirekte Aktionen der Konfliktparteien zurückgehen mit der Folge, dass die Frage maßgeblich ist, ob der Kläger im Fall seiner Abschiebung in der Lage wäre, seine elementaren Bedürfnisse – wie Nahrung, Hygiene und Unterkunft – zu befriedigen, steht eine mangelnde Fähigkeit des Klägers im vorgenannten Sinne nicht zur Überzeugung des Gerichts fest. Unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls ist das Gericht nicht zu der Überzeugung gelangt, dass es dem Kläger trotz dieser angespannten Lage nicht möglich sein würde, seinen Lebensunterhalt zumindest so weit zu sichern, dass ihm keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Es ist nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Kläger nicht in der Lage sein würde, sein Existenzminimum dort zu sichern bzw. dass es ihm dort nicht gewährleistet wird.

50

Der Kläger ist entsprechend seiner – widersprüchlichen – Angaben in der Region Kurdistan-Irak sozialisiert, da er dort Verwandte hat, zumindest drei Brüder und die Großfamilie. Es kann von ihm erwartet werden, dass er auf dieses familiäre Netzwerk im Falle seiner Abschiebung zurückgreift und seine Familie kontaktiert. Aber selbst für den Fall, dass ihm in der Region Kurdistan-Irak durch seine Familie keine Unterstützung zuteilwird, ist nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass er dort nicht durch Gelegenheitsarbeiten ein kleines Arbeitseinkommen erzielen wird und sich damit zumindest ein Leben am Rand des Existenzminimums wird finanzieren können. Denn der Kläger ist 30 Jahre alt und damit im arbeitsfähigen Alter. Körperliche Einschränkungen hat er nicht geltend gemacht, insoweit bestehen auch keine Anhaltspunkte. Er hat darüber hinaus angegeben, die Schule sechs Jahre besucht und anschließend als Schäfer in dem Kandil-Gebirge gearbeitet zu haben. Diese Fähigkeiten können ihm auf dem Arbeitsmarkt weiterhelfen.

51

bb. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegt ebenfalls nicht vor.

52

Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen vor, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Gefahren nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen (vgl. § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG). Nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann die oberste Landesbehörde aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens drei Monate ausgesetzt wird.

53

Der bei der Bestimmung einer erheblichen konkreten Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG anzulegende Prognosemaßstab entspricht dem allgemeinen asylrechtlichen Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit; beachtlich ist die Wahrscheinlichkeit, wenn die für die Annahme einer Gefahr sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen als die dagegen sprechenden Tatsachen, eine theoretische Möglichkeit reicht hierzu nicht aus (vgl. OVG Münster, Urt. v. 18.1.2005, 8 A 1242/03.A, juris Rn. 37 ff. m.w.N.).

54

Eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben aus gesundheitlichen Gründen droht dem Kläger in seinem Heimatland nicht. Diesbezüglich ist nichts vorgetragen worden. Auch anderweitige Anhaltspunkte bestehen nicht.

55

Ein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ergibt sich letztlich auch nicht aus der humanitären Lage oder aus der allgemeinen Sicherheitslage im Irak. Insoweit handelt es sich um allgemeine Gefahren im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG, welche grundsätzlich nur bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen sind. Zwar kann ein Ausländer im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die ihn im Abschiebezielstaat erwarten, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage, ausnahmsweise Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Denn dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren. Auch insoweit sind die Verhältnisse im ganzen Land in den Blick zu nehmen und – wie bei § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG und § 60 Abs. 5 AufenthG in Bezug auf Art. 3 EMRK – zunächst die Verhältnisse am Zielort der Abschiebung zu prüfen (vgl. zum Ganzen BVerwG, Urt. v. 31.1.2013, 10 C 15.12, juris Rn. 38).

56

Nach diesen Maßstäben wäre der Kläger im Fall einer Rückkehr in sein Herkunftsland nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt. Insoweit gelten die obigen Ausführungen entsprechend.

57

c. Die in dem angegriffenen Bescheid des Bundesamtes ergangene Abschiebungsandrohung ist aus rechtlicher Sicht nicht zu beanstanden. Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG. Die Ausreisefrist von 30 Tagen entspricht der gesetzlichen Regelung in § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG.

58

d. Schließlich begegnet auch die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG keinen rechtlichen Bedenken. Ermessensfehler i. S. v. § 114 Satz 1 VwGO sind nicht ersichtlich.

III.

59

Die Entscheidung über die Kosten ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Gerichtskostenfreiheit beruht auf § 83b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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