Urteil vom Verwaltungsgericht Hamburg (8. Kammer) - 8 A 4134/17

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, falls nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

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Der Kläger begehrt die Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes, hilfsweise des subsidiären Schutzstatus, weiter hilfsweise die Feststellung von Abschiebungsverboten hinsichtlich des Iraks.

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Der Kläger, ein irakischer Staatsbürger kurdischer Volkszugehörigkeit und jesidischen Glaubens, reiste am 9. September 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 8. Februar 2016 bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) einen Asylantrag, den er später auf die Zuerkennung internationalen Schutzes beschränkte.

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Im Rahmen der Anhörung vor dem Bundesamt am 7. September 2016 gab er im Wesentlichen an, er stamme aus dem Dorf K. südlich von Dohuk. Er habe in Dohuk studiert und sei ausgebildeter Ingenieur „für Elektro und Computer“. Zuletzt habe er sechs Monate als Elektriker an unterschiedlichen Orten gearbeitet. Seine Eltern lebten in der Türkei. Im Irak habe er keine Verwandten. Er sei vor Kriegshandlungen des IS geflüchtet, die in unmittelbarer Nähe des Dorfes stattgefunden hätten. Der IS sei nämlich ungefähr einen Kilometer von dem Dorf entfernt gewesen und habe es mit Raketen beschossen. Ein Kommilitone von ihm sei durch den IS umgebracht worden; auch er selbst habe Angst gehabt, von dem IS getötet zu werden. Des Weiteren habe er sich allgemein verfolgt gefühlt. Er habe, weil er Jeside sei, immer Probleme gehabt. Die kurdischen Muslime und die Araber hätten die Jesiden nicht akzeptiert. Konkret habe ihm eine andere Person dreimal gesagt, er müsse Muslim sein, sonst könne dieser ihn töten. Für den Fall einer Rückkehr in den Irak fürchte er, getötet zu werden.

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Mit Bescheid vom 17. Januar 2017 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ab und erkannte ihm den subsidiären Schutzstatus nicht zu. Sie stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen und forderte den Kläger auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung oder, im Falle einer Klageerhebung, nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen und drohte ihm die Abschiebung in den Irak an. Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG befristete sie auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung.

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Zur Begründung führte sie aus: Der Kläger sei zunächst kein Flüchtling im Sinne des § 3 AsylG, da keine flüchtlingsschutzrelevanten Verfolgungshandlungen nach § 3a AsylG ersichtlich seien, die eine Furcht vor Verfolgung begründen könnten. Hinsichtlich einer Verfolgung durch den IS in der Herkunftsregion des Klägers habe sich die Lage seit August 2014 entscheidend verändert. Aus der Region Semel und Dohuk sei der IS bereits seit August 2014 vertrieben. Im Übrigen könne der Kläger, der auch in Kurdistan registriert sei, sich dort frei bewegen und internen Schutz innerhalb Kurdistans erlangen. Das von ihm geschilderte sonstige Geschehen in Anknüpfung an seinen Glauben besitze nicht die erforderliche Intensität und Schwere flüchtlingsschutzrelevanter Verfolgungshandlungen. Auch die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus lägen nicht vor. Ein dafür erforderlicher ernsthafter Schaden drohe ihm nicht. Hierfür genüge die allgemeine Schilderung, dass kurdische Muslime und Araber in Kurdistan ihn nicht akzeptieren würden, nicht. Weder sei eine Bedrohung durch den IS in der kurdischen Heimatregion des Klägers zu gewärtigen noch herrsche dort ein sonstiger innerstaatlicher bewaffneter Konflikt. Auch Abschiebungsverbote lägen nicht vor. Insbesondere sei nichts für eine Art. 3 EMRK widersprechende individuelle Gefahr einer menschenrechtswidrigen Behandlung ersichtlich. Auch die humanitären Bedingungen im Irak führten nicht zu der Annahme, dass bei einer Abschiebung des Klägers eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorläge. Dieser habe studiert und zuletzt als Ingenieur „für Elektro und Computer“ an unterschiedlichen Orten gearbeitet und könne sich im Falle einer Rückkehr diese berufliche Existenz wieder aufbauen. Auch mit Blick auf die Lage der Gesamtbevölkerung sei nicht dargelegt, dass der Kläger schlechter gestellt sei. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liege nicht vor, schon weil der Kläger krankheitsbedingte Gründe nicht vorgetragen habe. Auf die weitere Begründung des Bescheids (Bl. 82 ff. der Asylakte) wird Bezug genommen.

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Am 18. Januar 2017 gab die Beklagte den Bescheid zur Zustellung mit Postzustellungsurkunde auf. Den Briefumschlag adressierte sie an „X. 29-30“, den darin eingelegten Vordruck der Postzustellungsurkunde hingegen an die Anschrift „X. 13“. Am 23. Januar 2017 gelangte die Sendung als unzustellbar an die Beklagte zurück. Die Postzustellungsurkunde enthält den Vermerk, dass der Kläger unter der angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln sei. Nachdem der Kläger sich unter dem 21. März 2017 unter Angabe der Anschrift „X. 13“ nach dem Verfahrensstand erkundigt hatte, stellte die Beklagte den Bescheid am 25. März 2017 an diese Adresse durch Einlegung in den Briefkasten zu.

7

Der Kläger hat am 5. April 2017 Klage erhoben. Er trägt zur Begründung vor, er habe einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, weil er vor Islamisten geflohen sei, die einen Völkermord an den Jesiden verübt hätten. Die Jesiden seien auch in Kurdistan vor Verfolgung nicht sicher. Die dortige Regionalregierung habe die Jesiden vor den Moslems nie ernsthaft geschützt oder schützen wollen, sie und ihre Sicherheitskräfte hätten vielmehr die Jesiden im Irak im Sommer 2014 kampflos den Islamisten ausgeliefert und den Völkermord an den Jesiden so erst ermöglicht. In Flüchtlingscamps in Kurdistan seien mehrere Jesiden von muslimischen Flüchtlingen angegriffen und schwer verletzt oder sogar ermordet worden. Die kurdische Regionalregierung habe mehrere arabische bzw. kurdische muslimische Stämme in Mossul militärisch ausgebildet und bewaffnet, die an dem Völkermord an den Jesiden beteiligt gewesen seien. Die kurdische Geheimpolizei habe auch die weltweit größte jesidische Nichtregierungsorganisation, die in Dohuk ansässig gewesen sei, geschlossen. PDK-Milizen hätten den jesidischen Journalisten Karwan Heci Baadri wegen eines kritischen Facebook-Beitrags krankenhausreif geprügelt. Bereits 2007 und im Dezember 2011 hätten in Schechan und in mehreren kurdischen Städten, darunter Sacho und Dohuk, pogromähnliche Angriffe auf Jesiden stattgefunden. Keiner der Beteiligten sei jemals strafrechtlich belangt worden. Nun versuchten die von der PDK dominierten Peschmerga, den von den Islamisten nicht ganz vollendeten Völkermord an den Jesiden selbst zu Ende zu führen. Die Peschmerga hätten zusammen mit kurdisch-arabischen Muslimen Anfang März 2017 mehrmals Jesiden mit schweren Waffen angegriffen und mehrere, darunter zivile, Demonstranten getötet. Zusammenfassend könnten die Jesiden in Kurdistan kein menschenwürdiges Leben führen, weil sie dort wegen ihrer Religionszugehörigkeit einer schweren Diskriminierung durch die muslimisch-kurdische Mehrheitsbevölkerung ausgesetzt seien. Die Produkte von Jesiden, insbesondere Lebensmittelprodukte, würden von der muslimisch-kurdischen Bevölkerung nicht gekauft, weil diese die Jesiden und ihre Produkte als unrein einschätzten. Er könne daher auch sein wirtschaftliches Existenzminimum nicht sichern. Es entspreche im Übrigen der bisherigen Praxis der Beklagten, Jesiden als Gruppenverfolgte anzuerkennen. Drei seiner Brüder und seine Schwester seien in Deutschland als Flüchtlinge anerkannt. Es sei kein sachlicher Grund ersichtlich, der seine Ungleichbehandlung rechtfertige.

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Der Kläger beantragt,

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unter Aufhebung des Bescheids vom 17. Januar 2017 die Beklagte zu verpflichten,

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ihm die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG zuzuerkennen,

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hilfsweise, ihm den Status als subsidiärer Schutzberechtigter gemäß § 4 AsylG zuzuerkennen,

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äußerst hilfsweise festzustellen, dass zu seinen Gunsten die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich des Irak vorliegen.

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Aus dem Schriftsatz der Beklagten vom 25. April 2017 ergibt sich der Antrag,

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die Klage abzuweisen.

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Zur Begründung bezieht sie sich auf die angefochtene Entscheidung.

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Der Kläger ist in der mündlichen Verhandlung vom 20. Februar 2018 zur Sache persönlich angehört worden. Wegen des Inhalts der Anhörung wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

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Wegen der weiteren Einzelheiten wird ergänzend auf die Gerichtsakte und die Asylakte des Bundesamtes Bezug genommen, die wie auch die mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung mitgeteilten Erkenntnisquellen Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe

I.

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Die Kammer kann trotz Ausbleibens der Beklagten in der mündlichen Verhandlung entscheiden, da die Beklagte mit der Ladung hierauf hingewiesen worden ist (§ 102 Abs. 2 VwGO). Dem steht nicht entgegen, dass bei der im Übrigen ordnungsgemäßen Ladung der Beklagten die zweiwöchige Ladungsfrist nach § 102 Abs. 1 Satz 1 VwGO unterschritten wurde, da die Beklagte auf deren Einhaltung mit allgemeiner Prozesserklärung vom 27. Juni 2017 verzichtet hat.

II.

19

Die Klage ist zulässig (dazu 1.), bleibt in der Sache jedoch ohne Erfolg (dazu 2.).

20

1. Die am 5. April 2017 erhobene Klage ist zulässig. Sie ist insbesondere innerhalb der zweiwöchigen Klagefrist des § 74 Abs. 1 Hs. 1 AsylG erhoben worden, da der angegriffene Bescheid dem Kläger erst am 25. März 2017 zugestellt wurde.

21

Die Zustellung gilt dabei nicht bereits durch den Zustellversuch vom 19. Januar 2017 als bewirkt. Nach § 10 Abs. 2 Satz 1 AsylG muss ein Ausländer zwar Zustellungen und formlose Mitteilungen unter der letzten Anschrift, die der jeweiligen Stelle auf Grund seines Asylantrags oder seiner Mitteilung bekannt ist, gegen sich gelten lassen. Das Gleiche gilt, wenn die letzte bekannte Anschrift, unter der der Ausländer wohnt oder zu wohnen verpflichtet ist, durch eine öffentliche Stelle mitgeteilt worden ist. Kann die Sendung dem Ausländer nicht zugestellt werden, gilt die Zustellung gemäß § 10 Abs. 2 Satz 4 AsylG mit Aufgabe zur Post als bewirkt, selbst wenn die Sendung als unzustellbar zurückkommt. Diese Regelungen knüpfen an die Pflicht des Ausländers nach § 10 Abs. 1 Satz 1 AsylG an, während der Dauer des Asylverfahrens seine Erreichbarkeit zu gewährleisten und insbesondere unverzüglich jeden Anschriftenwechsel mitzuteilen. Die Fiktion tritt nach Sinn und Zweck der Vorschrift daher nur ein, wenn für das Fehlschlagen der Zustellung oder der Übersendung eine Verletzung der Mitwirkungspflichten des Ausländers ursächlich geworden ist (vgl. Bruns, in: Hofmann/Hoffmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 10 AsylG, Rn. 29). Insbesondere muss die Beklagte sicherstellen, dass die Bekanntgabe oder Zustellung in einer Weise ordnungsgemäß durchgeführt wird, die sicherstellt, dass die Sendung den Ausländer an der nach § 10 Abs. 2 Sätze 1-3 AsylG maßgeblichen Anschrift grundsätzlich erreichen kann (vgl. Preisner, in: Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, 15. Ed., Stand: 1.8.2017, § 10 AsylG, Rn. 31).

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Die Voraussetzungen des § 10 Abs. 2 AsylG sind nach diesen Maßstäben im vorliegenden Fall aber nicht erfüllt. Denn die Sendung war auf eine Weise adressiert, die bei dem üblichen Verlauf der Dinge eine Zustellung an der nach § 10 Abs. 2 Satz 1 AsylG maßgeblichen Anschrift gerade nicht sicherstellte. Die der Beklagten bekannte maßgebliche Adresse war „X. 13“. Auf dem Versandumschlag war jedoch die davon abweichende Adresse „X. 29-30“ angebracht. Der in dem Versandumschlag liegende Vordruck der Postzustellungsurkunde war zwar korrekt adressiert worden. Es konnte aber nicht davon ausgegangen werden, dass der Postzusteller diese Diskrepanz bemerkt und den Zustellungsversuch an der richtigen Anschrift oder sogar an beiden Anschriften unternimmt, schon weil ihm unbekannt war, welche die richtige Zustellanschrift ist. Unabhängig hiervon geht die Kammer davon aus, dass der Kläger zum Zeitpunkt des Zustellungsversuchs an der Anschrift „X. 13“ für Zustellungen erreichbar war und der Zustellungsversuch vorliegend nicht an seiner mangelnden Mitwirkung gescheitert ist. Aus den glaubhaften Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung geht hervor, dass er seit dem 18. Januar 2016 ununterbrochen an der Anschrift „X. 13“ gelebt hat und dort mittels eines eigenen Briefkastens für Postsendungen erreichbar war. Dort konnte dem Kläger der Bescheid im März 2017 schließlich auch erfolgreich zugestellt werden (Bl. 142 d. Asylakte). Der insoweit freien Überzeugungsbildung des Gerichts im Sinne von § 173 VwGO i.V.m. § 286 ZPO stehen die Eintragungen auf der Postzustellungsurkunde vom 19. Januar 2017 nicht entgegen. Darauf hat der Postbedienstete als Grund der Nichtzustellung zwar vermerkt, dass der Adressat an der darauf angegebenen Anschrift „X. 13“ nicht zu ermitteln sei. Der Postzustellungsurkunde kommt vorliegend allerdings keine formelle Beweiskraft (§ 3 Abs. 2 Satz 1 VwZG i.V.m. §§ 182 Abs. 1 Satz 2, 418 ZPO) zu, da sie entgegen § 182 Abs. 2 Nr. 8 ZPO den Namen und Vornamen des Zustellers nicht enthält (vgl. VG Hamburg, Urt. v. 12.1.2018, 8 A 3019/16, n.v.; Beschl. v. 12.7.2017, 10 AE 6411/17, n.v.).

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2. Die Klage ist aber unbegründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO). Denn dem Kläger steht im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylG) weder ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (dazu a.), noch auf die hilfsweise begehrte Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus (dazu b.), noch auf die weiter hilfsweise begehrte Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich des Iraks (dazu c.) zu. Danach erweisen sich auch die Abschiebungsandrohung und die Befristung des Wiedereinreiseverbots als rechtmäßig (dazu d. und e.).

24

a. Der Kläger hat im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG.

25

Einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen von § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG oder das Bundesamt hat nach § 60 Abs. 8 Satz 3 AufenthG von der Anwendung des § 60 Abs. 1 AufenthG abgesehen. Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylG dann Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will (§ 3 Abs. 1 Nr. 2 AsylG), und keiner der Ausschlussgründe der § 3 Abs. 2 und Abs. 3 AsylG vorliegt.

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Die weiteren Einzelheiten zu den Voraussetzungen der Flüchtlingseigenschaft, u.a. zu den berücksichtigungsfähigen Verfolgungshandlungen und Verfolgungsgründen, den in Betracht kommenden Verfolgungsakteuren und, unter welchen Umständen ein Ausländer auf Schutzakteure in seinem Herkunftsland oder eine dortige inländische Fluchtalternative zu verweisen ist, regeln die §§ 3a - 3e AsylG in Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rats vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. Nr. L 337 S. 9; im Folgenden: Richtlinie 2011/95/EU):

27

Als Verfolgung gelten gemäß § 3a Abs. 1 AsylG Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 EMRK keine Abweichung zulässig ist, (Nr. 1) oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher Weise betroffen ist (Nr. 2).

28

Die Verfolgung kann gemäß § 3c AsylG ausgehen von dem Staat (Nr. 1), von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (Nr. 2) oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in Nr. 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (Nr. 3). Der Schutz vor Verfolgung muss nach § 3d Abs. 2 AsylG wirksam und darf nicht vorübergehend sein. Generell ist ein solcher Schutz gewährleistet, wenn die in Nr. 1 und Nr. 2 genannten Akteure geeignete Schritte einleiten, um die Verfolgung zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung darstellen, und wenn der Ausländer Zugang zu diesem Schutz hat.

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Dem Ausländer wird die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3e Abs. 1 AsylG nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat (Nr. 1) und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (Nr. 2).

30

In der Definition der Flüchtlingseigenschaft und in der Richtlinie 2011/95/EU ist angelegt, dass den Flüchtlingsschutz nur derjenige beanspruchen kann, der Verfolgung aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit, zu erwarten hat (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.2.2013, 10 C 23/12, juris, Rn 19). Eine solche beachtliche Wahrscheinlichkeit setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierte“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.2.2013, a.a.O., Rn. 32). Eine nach diesem Maßstab wohlbegründete Furcht vor einem Ereignis kann auch dann vorliegen, wenn aufgrund einer quantitativen oder mathematischen Betrachtungsweise für dessen Eintritt ein Grad der Wahrscheinlichkeit angenommen werden muss, der – auch deutlich – unterhalb von 50 v.H. liegt. Entscheidend für die Beurteilung der Beachtlichkeit der Gefahr ist vielmehr der qualitative Gesichtspunkt der Zumutbarkeit. Je unabwendbarer eine drohende Verfolgung ist, desto unmittelbarer steht sie bevor. Je schwerer der befürchtete Verfolgungseingriff ist, desto weniger kann es dem Gefährdeten zugemutet werden, mit der Flucht zuzuwarten oder sich der Gefahr durch Rückkehr in das Heimatland auszusetzen (vgl. BVerwG, Urt. v. 5.11.1991, 9 C 118/90, juris, Rn. 17, VGH Mannheim, Urt. v. 30.5.2017, A 9 S 991/15, juris, Rn. 25 ff.).

31

Nach Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU – diese Vorschrift hat keine nationale Entsprechung – ist die Tatsache, dass ein Ausländer bereits verfolgt wurde bzw. von solcher Verfolgung unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Ausländers vor Verfolgung begründet ist, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Ausländer erneut von solcher Verfolgung bedroht wird. Dies entspricht dem Gedanken, die Zumutbarkeit der Rückkehr danach zu differenzieren, ob der Ausländer bereits verfolgt worden ist oder nicht, der auch der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts zum Asylgrundrecht zugrunde liegt (vgl. grundlegend BVerfG, Beschl. v. 2.7.1980, 1 BvR 147, 181 u. 182/80, juris, Rn. 52; BVerwG, Urt. v. 27.4.2010, 10 C 5/09, juris, Rn. 21; Urt. v. 31.3.1981, 9 C 237/80, juris, Rn. 13). Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU privilegiert den von der Vorschrift erfassten Personenkreis bei einer Vorverfolgung durch eine Beweiserleichterung, nicht jedoch durch eine Absenkung des Wahrscheinlichkeitsmaßstabs. Sie misst den in der Vergangenheit liegenden Umständen Beweiskraft für ihre Wiederholung bei und begründet für die von ihr begünstigten Ausländer eine widerlegbare Vermutung dafür, dass sie bei einer Rückkehr in das Herkunftsland erneut von Verfolgung bedroht werden und entlastet sie von der Notwendigkeit, stichhaltige Gründe dafür vorzutragen, dass sich die vorverfolgungsbegründenden Umstände erneut realisieren (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.4.2010, a.a.O., Rn. 23; EGMR, Urt. v. 28.2.2008, Nr. 37201/06, juris, Rn. 128).

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Gemessen an diesen Vorgaben ist der Kläger kein Flüchtling. Ihm droht im Fall einer Rückkehr in seine Herkunftsregion im Irak nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus einem der in § 3 Abs. 1 AsylG genannten Gründe.

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aa. Die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU greift im Fall des Klägers nicht ein.

34

(1) Soweit der Kläger vorgetragen hat, dass er sein ausschließlich von Jesiden bewohntes Heimatdorf K. in der Provinz Dohuk (Region Kurdistan-Irak) wegen Artilleriebeschusses durch den so genannten Islamischen Staat (im Folgenden: IS) im August 2014 verlassen habe, führt dies nicht dazu, dass er sich mit Erfolg auf die Beweiserleichterung berufen kann. Zwar dürfte der Kläger auf Grundlage seines Vortrags insoweit von einer Verfolgung durch den IS wegen seines jesidischen Glaubens zumindest unmittelbar bedroht gewesen sein, da der IS nach den zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Erkenntnismitteln im Sommer 2014 zügig in den nördlichen, an die Provinz Dohuk grenzenden Teil der Provinz Ninive vorstieß und in den eingenommenen Dörfern Jesiden hingerichtet, versklavt, misshandelt und entführt hat (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Dezember 2016), 7.2.2017 – im Folgenden: Lagebericht 2017 –, S. 12; ACCORD, Anfragebeantwortung zum Irak: Siedlungsgebiete und Lage der JesidInnen, 2.2.2017; für den südlichen Teil der Provinz Dohuk daher eine Gruppenverfolgung annehmend VG Karlsruhe, Urt. v. 10.10.2017, A 10 K 1508/17, juris, Rn. 29; VG Gelsenkirchen, Urt. v. 8.3.2017, 15a K 9307/16.A, juris, Rn. 55 ff.).

35

Allerdings ist die Vermutung des Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU, dass eine Vorverfolgung oder eine frühere unmittelbare Bedrohung durch Verfolgung ein ernsthafter Hinweis darauf ist, dass die Furcht des Ausländers vor Verfolgung begründet ist, im Fall des Klägers widerlegt. Für die Widerlegung dieser Vermutung ist es erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung entkräften (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.4.2010, 10 C 5/09, juris, Rn. 23). Die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU bezieht sich insoweit nur auf eine zukünftig drohende Verfolgung. Maßgeblich ist danach, ob stichhaltige Gründe gegen eine erneute Verfolgung sprechen, die in einem inneren Zusammenhang mit der vor der Ausreise erlittenen oder unmittelbar drohenden Verfolgung stünde (vgl. BVerwG, Beschl. v. 23.11.2011, 10 B 32/11, juris, Rn. 7). Die Vermutung des Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU kann durch stichhaltige Gründe selbst dann widerlegt sein, wenn im Herkunftsland keine hinreichende Sicherheit vor Verfolgung im Sinne des vom Bundesverwaltungsgericht früher verwendeten herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstabes bestünde (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.4.2010, a.a.O.). Zur Entkräftung der Beweiserleichterung ist daher nicht erforderlich, dass die Wiederholung einer Verfolgungsmaßnahme mit der nach diesem Maßstab geforderten hinreichenden Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen ist (vgl. zum früheren herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab etwa BVerfG, Beschl. v. 2.7.1980, 1 BvR 147/80, juris, Rn. 54; BVerwG, Urt. v. 2.8.1983, 9 C 599/81, juris, Rn. 11).

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Solche stichhaltigen Gründe liegen hier zur Überzeugung der Kammer vor. Denn die Lage im Irak hat sich seit August 2014 insoweit grundlegend geändert, als dass der IS in der Provinz Ninive keine quasistaatliche Macht im Sinne des § 3c Nr. 2 AsylG mehr ausübt, die Grundlage der von IS-Kämpfern und -Anhängern durchgeführten großflächigen Verfolgungsmaßnahmen war. Der IS hat sein Einflussgebiet zuletzt im gesamten Irak fast vollständig verloren. Die Städte Sindschar und Ramadi wurden bereits Ende 2015 zurückerobert (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Irak (Stand: Dezember 2015), 18.2.2016 – im Folgenden: Lagebericht 2016 –, S. 7, 9) und stehen nunmehr unter der Kontrolle der irakischen Zentralregierung bzw. der ihr unterstehenden Popular Mobilisation Forces (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Republik Österreich), Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Irak, 24.8.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 23.11.2017, S. 18). Die Großstadt Mossul wurde im Juli 2017 zurückerobert (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, a.a.O., S. 56). Die letzten irakischen Städte, die sich unter der Kontrolle des IS befunden haben – Al-Qaim, Ana und Rawa im Westen des Landes – wurden im November 2017 von den irakischen Streitkräften zurückerobert (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Irak, 24.8.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 23.11.2017, S. 8). Allein das Wüstengebiet nördlich dieser Städte – an der Grenze der Provinzen Anbar und Ninive – war zuletzt noch unter der Kontrolle des IS. Mit den Gebietsverlusten hat der IS auch wesentliche Einnahmen, insbesondere aus Ölquellen, verloren (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, a.a.O., S. 47). Dass der IS angesichts dieser Entwicklung nochmals nach Norden vorstoßen und in wesentlichen Teilen des Nordiraks Fuß fassen könnte, erscheint unwahrscheinlich. Dies gilt insbesondere für ein erstmaliges Vordringen in die – hier maßgebliche – Provinz Dohuk. Zwar ist nicht zu verkennen, dass mit dem militärischen Sieg über den IS nicht sämtliche Anhänger des IS aus dem ehemaligen Herrschaftsgebiet verschwunden sind. Vielmehr ist anzunehmen, dass ein Teil dieser Gruppe in der Zivilbevölkerung untergetaucht ist (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, a.a.O., S. 8). Dies dürfte daher auch nicht bedeuten, dass es von Seiten der untergetauchten IS-Kämpfer zu keinerlei Menschenrechtsverletzungen gegen einzelne Personen mehr kommen kann. Der IS dürfte sich aber künftig auf die Verübung terroristischer Anschläge konzentrieren (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht 2017, S. 6, 16). Dabei ist zu beachten, dass solche terroristische Anschläge nicht stets als gezielte Verfolgungsmaßnahmen aufgrund der Religionszugehörigkeit der Opfer aufgefasst werden können. Oftmals stellen diese Anschläge eine allgemeine Gefahr für die Bevölkerung dar, welche nicht im Zusammenhang mit der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG, sondern bei der Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG zu berücksichtigen sind (vgl. OVG Bautzen, Urt. v. 29.4.2014, A 4 A 104/14, juris, Rn. 32). Damit ist jedenfalls im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung davon auszugehen, dass der IS in der Herkunftsprovinz des Klägers nicht in der Lage ist bzw. in absehbarer Zukunft sein wird, Jesiden wie noch 2014 gezielt und flächendeckend zu verfolgen (ebenso für die Verfolgung von Jesiden VG Oldenburg, Urt. v. 27.2.2018, 15 A 883/17, juris, Rn. 37 ff.; VG Augsburg, Urt. v. 15.1.2018, Au 5 K 17.35594, juris, Rn. 40 ff.; VG Karlsruhe, Urt. v. 10.10.2017, A 10 K 1508/17, juris, Rn. 29; VG Düsseldorf, Urt. v. 25.10.2017, 20 K 1742.A, juris, Rn. 45 ff.; i.E. ebenso VG Hamburg, Urt. v. 12.1.2018, 8 A 3019/16, n.v., S. 14 UA; VG Ansbach, Urt. v. 15.9.2017, AN 2 K 16.30525, juris, Rn. 15; a.A. – für die Verfolgung von Jesiden in der Provinz Ninive – VG Hannover, Urt. v. 31.1.2018, 6 A 2574/17, n.v., S. 10 ff. UA; VG Oldenburg, Urt. v. 23.8.2017, 3 A 3903/16, juris, Rn. 33).

37

Dem entspricht es, dass der Kläger bereits einige Wochen nach seiner erstmaligen Flucht in sein Heimatdorf zurückkehrte und dort noch bis zu seiner Ausreise ein Jahr später lebte, wie er in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat.

38

(2) Der Vortrag des Klägers, er sei als Teilnehmer einer Demonstration für die Freilassung des von kurdischen Behörden inhaftierten jesidischen Milizkommandanten Heydar Schescho im Y. 2015 von Angehörigen der Partei PDK festgenommen und ihm sei eine Unterlassungserklärung mit Blick auf weitere gegen die PDK gerichtete Aktivitäten abgenötigt worden, begründet eine Vorverfolgung im Sinne des Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU schon deshalb nicht, weil die Kammer sich von der Wahrheit seiner diesbezüglichen Schilderungen nicht zu überzeugen vermochte.

39

Auch in Asylstreitsachen müssen die Verwaltungsgerichte die volle Überzeugung von der Wahrheit – und nicht etwa nur von der Wahrscheinlichkeit – des vom Kläger behaupteten Verfolgungsschicksals erlangen (vgl. grundsätzlich BVerwG, Urt. v. 16.4.1985, 9 C 109/84, juris, Rn. 16), wobei der allgemeine Grundsatz gilt, dass das Gericht keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen und keine unumstößliche Gewissheit verlangen darf (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.4.1985, a.a.O.). Darüber hinaus ist die besondere Beweisnot des mit der materiellen Beweislast hinsichtlich der Verfolgungsgründe beschwerten Asylsuchenden zu berücksichtigen. Dazu kann seinen Erklärungen größere Bedeutung beigemessen werden, als sie sonstigen Parteibekundungen zukommt; ihr Beweiswert soll im Rahmen des Möglichen wohlwollend beurteilt werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.4.1985, a.a.O.). Bei der somit genügenden Glaubhaftmachung ist es mit Blick auf die in § 25 AsylG geregelten, auf Art. 4 Richtlinie 2011/95/EU zurückgehenden Mitwirkungs- und Darlegungsobliegenheiten des Ausländers und seiner daran anknüpfenden prozessualen Mitwirkungspflicht nach § 86 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 VwGO allerdings seine Sache, die Gründe für seine Furcht vor Verfolgung schlüssig vorzutragen. Dazu hat er unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt, dass bei verständiger Würdigung eine Verfolgung droht (vgl. nur BVerwG, Beschl. v. 19.10.2001, 1 B 24/01, juris, Rn. 5; Urt. v. 24.3.1987, 9 C 321/85, juris, Rn. 9). Bei der Bewertung der Stimmigkeit des Sachverhalts müssen u.a. Persönlichkeitsstruktur, Wissensstand und Herkunft des Ausländers berücksichtigt werden. Bei erheblichen Widersprüchen oder Steigerungen im Sachvortrag kann dem Ausländer aber nur geglaubt werden, wenn die Widersprüche und Ungereimtheiten überzeugend aufgelöst werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 23.2.1988, 9 C 273/86, juris, Rn. 11).

40

Unter Zugrundelegung des vorgenannten Maßstabs erachtet die Kammer die erstmals in der mündlichen Verhandlung vorgebrachten Angaben des Klägers zu der Demonstration und Festnahme im Y. 2015 als nicht glaubhaft. Sie bleiben detailarm und lebensfremd. So hat der Kläger trotz entsprechender Nachfrage nicht vermocht, die Demonstration räumlich mehr als nur grob zu orientieren und ihre Dauer näher anzugeben. Auch die Größe des Teilnehmerkreises konnte er nicht näher bezeichnen. Daneben bleibt die Schilderung zu seiner angeblichen Festnahme oberflächlich und macht keinen selbst erlebten Eindruck. Trotz eindringlicher Aufforderung seines Prozessbevollmächtigten hat er deren Ablauf nicht nachvollziehbar beschrieben. Der Kläger hat auch nicht schlüssig darlegen können, warum er diese Angaben nicht bereits zu einem früheren Zeitpunkt vorgebracht hat. Dass ihm erst ein später absolvierter (Deutsch- oder Integrations-)Kurs die Einsicht gegeben habe, in Deutschland – dem Land, in dem er um Schutz nachsucht – über seine politische Verfolgung sprechen zu können, überzeugt nicht. Der Kläger hat zum einen nicht näher erläutert, welchen Nachteil er meinte befürchten zu müssen, falls er die Teilnahme an einer politischen Demonstration und eine anschließende Festnahme in der Anhörung vor dem Bundesamt auf die Frage nach (politischer) Verfolgung angegeben hätte. Diese Erklärung erscheint andererseits deshalb unplausibel, weil die Anhörung erst ein Jahr nach seiner Einreise stattfand. In diesem Zeitraum dürfte der akademisch ausgebildete Kläger auch ohne einen Lehrkurs einen entsprechenden Eindruck von den hiesigen politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen gewonnen haben.

41

Unabhängig davon lägen – bei entsprechender Wahrunterstellung des Vortrags – jedenfalls stichhaltige Gründe vor, die die Wiederholungsträchtigkeit des Geschehens entkräften würden. Dabei handelt es sich nämlich um einen abgeschlossenen Vorgang. Dass der Kläger wegen der angeblichen Teilnahme an der Demonstration weitere (Verfolgungs-)Maßnahmen zu erwarten hätte, geht daraus nicht hervor. Mit Unterzeichnung der Unterlassungserklärung und Freilassung des Klägers scheint die Angelegenheit für die PDK-Angehörigen vielmehr erledigt gewesen zu sein. Der Kläger hat außerdem angegeben, dass er zukünftig nicht mehr in gleicher Weise politisch aktiv werden wolle.

42

(3) Soweit der Kläger sich auf eine zeitlich nicht näher bestimmte Todesdrohung gegen ihn beruft, begründet auch dies eine Vorverfolgung nicht. Dem Vortrag fehlt es an der – auch auf Vorhalt in der mündlichen Verhandlung nicht erfolgten – erforderlichen Substantiierung, etwa zur Person des Drohenden, zum Zeitpunkt der Drohung(en) und zu der Situation, in der die Drohung vorgenommen worden sein soll. Auf dieser Grundlage konnte die Kammer eine Überzeugung von der Wahrheit einer solchen Bedrohungssituation nicht gewinnen.

43

bb. Auch unabhängig davon, dass der Kläger sich nicht mit Erfolg auf die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU berufen kann, droht ihm nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus einem der in § 3 Abs. 1 AsylG genannten Gründe. Insbesondere unterliegt der Kläger keiner Gruppenverfolgung in Anknüpfung an seinen jesidischen Glauben.

44

Die Gefahr eigener Verfolgung für einen Ausländer kann sich nicht nur aus gegen ihn selbst gerichteten Maßnahmen ergeben (so genannte anlassgeprägte Einzelverfolgung), sondern auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen, wenn diese Dritten wegen eines flüchtlingsrechtlich relevanten Merkmals verfolgt werden, das er mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet. Die Feststellung einer solchen gruppengerichteten Verfolgung setzt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts – abgesehen von den Fällen eines (staatlichen) Verfolgungsprogramms – eine bestimmte Verfolgungsdichte voraus, welche die Regelvermutung eigener Verfolgung rechtfertigt. Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne Weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht. Voraussetzung für die Annahme einer Gruppenverfolgung ist ferner, dass die festgestellten Verfolgungsmaßnahmen die von ihnen Betroffenen gerade in Anknüpfung an flüchtlingsrechtlich relevante Merkmale treffen. Ob eine in dieser Weise spezifische Zielrichtung vorliegt, die Verfolgung mithin „wegen“ eines der in § 3 Abs. 1 AsylG genannten Merkmale erfolgt, ist anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme selbst zu beurteilen, nicht nach den subjektiven Gründen oder Motiven, die den Verfolgenden dabei leiten (vgl. zum Vorstehenden BVerwG, Urt. v. 21.4.2009, 10 C 11/08, juris, Rn. 13 ff.; Urt. v. 5.7.1994, 9 C 158/94, juris, Rn. 21).

45

Ob Verfolgungshandlungen gegen eine bestimmte Gruppe von Menschen in deren Herkunftsland die Voraussetzungen der Verfolgungsdichte erfüllen, ist aufgrund einer wertenden Betrachtung im Sinne der Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung zu entscheiden. Dabei muss zunächst die Gesamtzahl der Angehörigen der von Verfolgungshandlungen betroffenen Gruppe ermittelt werden. Weiter müssen Anzahl und Intensität aller Verfolgungsmaßnahmen, gegen die Schutz weder von staatlichen Stellen noch von staatsähnlichen Herrschaftsorganisationen im Sinne von § 3d AsylG einschließlich internationaler Organisationen zu erlangen ist, möglichst detailliert festgestellt und hinsichtlich der Anknüpfung an ein oder mehrere unverfügbare Merkmale im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG nach ihrer objektiven Gerichtetheit zugeordnet werden. Alle danach gleichgearteten, auf eine nach denselben Merkmalen zusammengesetzte Gruppe bezogenen Verfolgungsmaßnahmen müssen schließlich zur ermittelten Größe dieser Gruppe in Beziehung gesetzt werden, weil eine bestimmte Anzahl von Eingriffen, die sich für eine kleine Gruppe von Verfolgten bereits als bedrohlich erweist, gegenüber einer großen Gruppe vergleichsweise geringfügig erscheinen kann (vgl. BVerwG, Urt. v. 18.7.2006, 1 C 15/05, juris, Rn. 24).

46

Diese Grundsätze zur Gruppenverfolgung gelten nicht nur für die unmittelbare und mittelbare staatliche Gruppenverfolgung sondern sind auch auf die Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure übertragbar, wie sie durch das AsylG ausdrücklich als schutzbegründend geregelt ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.4.2009, 10 C 11/08, juris, Rn. 14.; Urt. v. 18.7.2006, a.a.O., Rn. 21).

47

Nach diesem Maßstab ist zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung eine Gruppenverfolgung von Jesiden in der Herkunftsregion des Klägers weder durch staatliche (dazu (1)), noch durch nichtstaatliche Akteure (dazu (2)) festzustellen.

48

(1) Eine systematische Verfolgung der Jesiden durch staatliche Behörden (§ 3c Nr. 1 AsylG) oder (Regierungs-)Parteien (§ 3c Nr. 2 AsylG) findet in der Region Kurdistan-Irak, zu der Dohuk, die Herkunftsprovinz des Klägers, zählt, nicht statt (vgl. VGH München, Beschl. v. 21.11.2017, 5 ZB 17.31653 und 5 ZB 17.31667, juris, jeweils Rn. 14; VG Karlsruhe, Urt. v. 10.10.2017, A 10 K 1508/17, juris, Rn. 28; VG Augsburg, Urt. v. 7.9.2017, Au 5 K 17.33860, juris, Rn. 32; VG Köln, Urt. v. 5.7.2017, 3 K 9944/16.A, juris, Rn. 39 ff.; VG Oldenburg, Urt. v. 7.6.2017, 3 A 3731/16, juris, Rn. 36; i.E. auch VG Düsseldorf, Urt. v. 26.7.2017, 20 K 3549/17.A, juris, Rn. 32 ff.; VG München, Urt. v. 16.5.2017, M 4 K 16.35324, juris, Rn. 17; VG Würzburg, Urt. v. 17.2.2017, W 4 K 16.31618, juris, Rn. 16; VG Stuttgart, Urt. v. 17.1.2017, A 13 K 6896/16, juris, S. 6 f. UA). Die vom Kläger geäußerte Befürchtung, die kurdische Regionalregierung setze dazu an, den Völkermord des IS an den Jesiden zu vervollständigen, findet keine Stütze in den Erkenntnismitteln.

49

Die irakische Verfassung erkennt das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit weitgehend an. Das Strafgesetzbuch kennt keine aus dem islamischen Recht übernommenen Straftatbestände (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht 2017, S. 11). In der Region Kurdistan-Irak ist im Mai 2015 ein Gesetz zum Schutz religiöser Minderheiten in Kraft getreten, das zahlreiche Minderheitenrechte verbürgt und ein weit gefasstes Diskriminierungsverbot vorsieht (vgl. UK Home Office, Country Information and Guidance: Iraq: Religious Minorities, 12.8.2016, S. 13). Dort sowie in den weiteren Gebiete, die unter Kontrolle der kurdischen Regionalregierung stehen, sind Minderheiten nach der Erkenntnislage weitgehend vor Gewalt und Verfolgung geschützt (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht 2017, S. 12). Die Region gilt innerhalb des Iraks traditionell als sicherer Hafen für religiöse Minderheiten (vgl. UK Home Office, a.a.O., S. 7). Insbesondere in der Stadt Dohuk, also in unmittelbarer Nähe des Heimatdorfes des Klägers, gibt es sehr viele Jesiden, die dort weitgehend ohne Unterdrückung oder Verfolgung leben (so Auswärtiges Amt, Lagebericht 2017, S. 18). Es wird auch berichtet, dass Mitglieder religiöser Minderheiten bei der Einreise in die Region Kurdistan-Irak weniger strengen Regeln unterworfen werden als (arabische und turkmenische) Muslime und sich dort einfacher niederlassen können (vgl. UNHCR, Iraq, Relevant COI for Assessments on the Availability of an Internal Flight or Relocation Alternative [IFA/IRA], 12.4.2017, S. 7 ff.).

50

Zwar wird auch von Schikanen oder Übergriffen von Peschmerga-Milizionären und Mitgliedern der Geheimpolizei der kurdischen Regionalregierung, Asayish, auf Angehörige von Minderheiten berichtet (vgl. ACCORD, Anfragebeantwortung zum Irak: Siedlungsgebiete und Lage der JesidInnen, 2.2.2017; UK Home Office, a.a.O., S. 19 f.). Doch bleiben diese Berichte vereinzelt und beziehen sich allein auf die kurdisch kontrollierten Gebiete außerhalb der Region Kurdistan-Irak. Daraus ergibt sich nicht, dass innerhalb der Region Kurdistan-Irak flächendeckend menschenrechtswidrige Handlungen vorgenommen würden, wie es für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderlich wäre. Gegen eine Verfolgungsgefahr spricht im Übrigen der Umstand, dass in den vergangenen Jahren hunderttausende Jesiden in die Region Kurdistan-Irak, insbesondere in die Provinz Dohuk, geflohen sind (vgl. ACCORD, Anfragebeantwortung zum Irak: Siedlungsgebiete und Lage der JesidInnen, 2.2.2017; dazu auch VG Karlsruhe, Urt. v. 10.10.2017, A 10 K 1508/17, juris, Rn. 28; VG Oldenburg, Urt. v. 7.6.2017, 3 A 3731/16, juris, Rn. 36).

51

Dieses Lagebild hat der Kläger durch sein Vorbringen nicht erschüttert. Für den angeführten Überfall auf den jesidischen Journalisten Heci Baadri und das Vorgehen der kurdischen Geheimpolizei gegen die jesidische Nichtregierungsorganisation Yazda in Dohuk deuten die eingereichten Nachrichtenmeldungen jeweils auf einen politischen Anlass und keine Anknüpfung an die jesidische Religion hin. Danach sei der Journalist wegen Facebook-Einträgen, in denen er der PDK Korruption vorgeworfen habe, zusammengeschlagen worden; die Schließung des Yazda-Büros stehe im Zusammenhang mit einem Machtkampf um die Vorherrschaft in dem Distrikt Sindschar in der Provinz Ninive (außerhalb der Region Kurdistan-Irak). Auch daraus, dass kurdische Peschmerga-Kräfte Anfang August 2014 aus dem Distrikt Sindschar geflohen sind und die dortige jesidische Bevölkerung ohne militärischen Schutz dem herannahenden IS ausgesetzt haben, kann vor dem Hintergrund der sonstigen Erkenntnisse nicht geschlossen werden, dass der kurdische Regierungsapparat Maßnahmen gegen Jesiden innerhalb der Region Kurdistan-Irak ergreift. Insoweit kommt den beiden Vorfälle im März 2017, die ausweislich der eingereichten Nachrichtenmeldungen ebenso dem Ringen zwischen der kurdischen Regionalregierung und einer der als Terrororganisation eingestuften PKK nahe stehenden (jesidischen) Miliz um den Distrikt Sindschar zuzurechnen waren, ebenfalls keine entscheidungserhebliche Aussagekraft für die Verhältnisse in der Region Kurdistan-Irak zu.

52

(2) Dem Kläger droht auch keine Gruppenverfolgung durch nichtstaatliche Akteure (§ 3c Nr. 3 AsylG).

53

Eine Gruppenverfolgung durch den IS in der Heimatregion des Klägers ist im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung mit Blick auf dessen Gebiets- und Machtverlust nicht ersichtlich. Insoweit wird auf die Ausführungen unter II. 2. a. aa. (1) Bezug genommen. Insbesondere können aufgrund der zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Erkenntnismittel sowie anderer öffentlich zugänglicher Erkenntnisquellen für die Provinz Dohuk keine dem IS zuzuschreibenden Verfolgungshandlungen festgestellt werden.

54

Auch von der muslimischen Mehrheitsbevölkerung in der Provinz Dohuk geht keine Gruppenverfolgung aus (vgl. VGH München, Beschl. v. 21.11.2017, 5 ZB 17.31653 und 5 ZB 17.31667, juris, jeweils Rn. 14; VG Karlsruhe, Urt. v. 10.10.2017, A 10 K 1508/17, juris, Rn. 28; VG Augsburg, Urt. v. 7.9.2017, Au 5 K 17.33860, juris, Rn. 32; VG Düsseldorf, Urt. v. 26.7.2017, 20 K 3549/17.A, juris, Rn. 32 ff.; VG Köln, Urt. v. 5.7.2017, 3 K 9944/16.A, juris, Rn. 39 ff.; VG Oldenburg, Urt. v. 7.6.2017, 3 A 3731/16, juris, Rn. 36; VG München, Urt. v. 16.5.2017, M 4 K 16.35324, juris, Rn. 17; VG Würzburg, Urt. v. 17.2.2017, W 4 K 16.31618, juris, Rn. 16; VG Stuttgart, Urt. v. 17.1.2017, A 13 K 6896/16, juris, S. 6 f. UA). Die Kammer verkennt dabei nicht, dass nach der Erkenntnislage in der muslimischen Mehrheitsbevölkerung nicht nur vereinzelt Ressentiments gegenüber Angehörigen des jesidischen Glaubens bestehen und das Nebeneinander der Glaubensrichtungen durch – mitunter erhebliche – Spannungen gekennzeichnet ist. Die Erkenntnismittel belegen Belästigungen durch strenggläubige Muslime und Diskriminierungen, etwa auf dem Arbeitsmarkt, sowie häufige öffentliche Schmähungen (vgl. UK Home Office, Country Information and Guidance, Iraq: Religious Minorities, 12.8.2016, S. 24 f.; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche v. 20.5.2016 zum Irak: Gesetzliche Lage für die Abkehr vom Islam in der Autonomen Region Kurdistan, Schutzwille der Behörden, S. 3). Daraus ergibt sich aber nicht die nach § 3a AsylG erforderliche Eingriffsintensität. Flüchtlingsrechtlich erhebliche Verfolgungshandlungen müssen ein gewisses Maß an Schwere aufweisen, denn nur solche Handlungen sind im Sinne des § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, oder sind, wenn sie aus einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte bestehen, im Sinne des § 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG so gravierend, dass eine Person davon in ähnlicher Weise wie bei einer schwerwiegenden Verletzung der Menschenrechte betroffen ist. Ein „feindliches Klima“ einschließlich möglicher Diskriminierungen oder Benachteiligungen der Bevölkerungsminderheit durch die Bevölkerungsmehrheit oder aber die allmähliche Assimilation ethnischer oder religiöser Minderheiten als Folge eines langfristigen Anpassungsprozesses ist nicht automatisch Gruppenverfolgung (vgl. BVerwG, Urt. v. 15.5.1990, 9 C 17/89, juris, Rn. 11 zu Jesiden in der Türkei).

55

Die vom Kläger konkret benannten Vorfälle in der Region Kurdistan-Irak bzw. in den faktisch kurdisch kontrollierten Teilen der Provinz Ninive – insbesondere pogromartige Überfälle muslimischer Extremisten auf jesidische Geschäfte im Jahr 2011 und eine gewaltsame Auseinandersetzung zwischen muslimischen Kurden und Jesiden in einem Flüchtlingslager in Akre im September 2015 – stehen hierzu nicht im Widerspruch. Angesichts ihrer zeitlichen Verteilung und mit Blick auf die hunderttausende zählende jesidische Bevölkerung in der Region Kurdistan-Irak (vgl. ACCORD, Anfragebeantwortung zum Irak: Siedlungsgebiete und Lage der JesidInnen, 2.2.2017) stellen sich diese vielmehr als einzelne herausragende Ereignisse dar. Auch in einer Gesamtschau ist nicht erkennbar, dass eine Vielzahl von Verfolgungsschlägen aus der Zivilbevölkerung gegen Jesiden vorliegt, die sich derart wiederholen und um sich greifen, dass nicht nur die Möglichkeit, sondern die für eine Gruppenverfolgung erforderliche aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit jedes Jesiden besteht. Im Übrigen geht aus den von dem Kläger überreichten Nachrichtenmeldungen selbst hervor, dass die kurdischen Sicherheitskräfte bei den Vorfällen in der Provinz Dohuk 2011 und in Akre 2015 jeweils eingegriffen und damit grundsätzlich Schutzwillen und -fähigkeit im Sinne des § 3d Abs. 1 AsylG gegen Übergriffe aus der Zivilbevölkerung gezeigt haben.

56

b. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Zuerkennung des Status als subsidiär Schutzberechtigter.

57

Ein Ausländer ist nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt nach § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3).

58

Nach der Gesetzesbegründung soll § 4 AsylG die Art. 15 und 17 Richtlinie 2011/95/EU umsetzen (vgl. BT-Drs. 17/13052, S. 20), wobei § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG auch die Definition aus Art. 2 Buchst. f) Richtlinie 2011/95/EU aufgreift, wonach einem Drittstaatsangehörigen der subsidiäre Schutzstatus zuzuerkennen ist, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorbringt, dass er bei einer Rückkehr in sein Heimatland tatsächlich Gefahr liefe, einen ernsthaften Schaden im Sinne des Art. 15 Richtlinie 2011/95/EU zu erleiden. Der in dem Tatbestandsmerkmal „...tatsächlich Gefahr liefe...“ enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (im Folgenden: EGMR). Dieser stellt bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr ab („real risk"; vgl. nur EGMR, Urt. v. 28.2.2008, Nr. 37201/06, NVwZ 2008, 1330, Rn. 125 ff.); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.4.2010, 10 C 5/09, juris, Rn. 22). Dieser Maßstab setzt – wie oben bereits ausgeführt – voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Gefahr eines ernsthaften Schadens sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.2.2013, 10 C 23/12, juris, Rn. 32 zur beachtlichen Wahrscheinlichkeit von Verfolgung im Sinne des § 3 AsylG). Die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von einem solchen ernsthaften Schaden unmittelbar bedroht war, ist – wie im Falle einer Vorverfolgung – nach Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU ein ernsthafter Hinweis darauf, dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Ausländer erneut von einem solchen Schaden bedroht wird.

59

Diese Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus erfüllt der Kläger nicht.

60

aa. Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass dem Kläger bei seiner Rückkehr in die Provinz Dohuk die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG noch Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG droht. Soweit der Kläger sich davor fürchtet, von dem IS getötet zu werden oder von der kurdischen Regierung oder der muslimischen Mehrheitsbevölkerung unmenschlich oder erniedrigend behandelt zu werden, gilt das oben zu der Gefahr einer Verfolgung Ausgeführte entsprechend, wobei an die Stelle der Verfolgung bzw. der begründeten Furcht vor Verfolgung die Gefahr eines ernsthaften Schadens bzw. die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens tritt.

61

bb. Auch eine ernsthafte individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit in-folge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG liegt im Fall des Klägers nicht vor.

62

Dabei ist der Begriff des internationalen wie auch des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts unter Berücksichtigung der Bedeutung dieser Begriffe im humanitären Völkerrecht, insbesondere unter Heranziehung der in Art. 3 der Genfer Konventionen zum humanitären Völkerrecht 1949 und des zur Präzisierung erlassenen Zusatzprotokolls II von 1977 auszulegen (vgl. BVerwG, Urt. v. 24.6.2008, 10 C 43/07, juris, Rn. 21 f.). Danach müssen die Kampfhandlungen von einer Qualität sein, wie sie u.a. für Bürgerkriegssituationen kennzeichnend sind und über innere Unruhen und Spannungen wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und ähnliche Handlungen hinausgehen. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konflikts im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen, wie sie typischerweise in Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfen zu finden sind. Ein solcher innerstaatlicher bewaffneter Konflikt kann überdies landesweit oder regional (z.B. in der Herkunftsregion des Ausländers) bestehen, er muss sich mithin nicht auf das gesamte Staatsgebiet erstrecken. Besteht ein bewaffneter Konflikt mit der beschriebenen Gefahrendichte nicht landesweit, kommt eine individuelle Bedrohung allerdings in der Regel nur in Betracht, wenn der Konflikt sich auf die Herkunftsregion des Klägers erstreckt, in die er typischerweise zurückkehren wird (vgl. BVerwG, Urt. v. 31.1.2013, 10 C 15/12, juris, Rn. 13; Urt. v. 14.7.2009, 10 C 9/08, juris, Rn. 17). Auch der Europäische Gerichtshof spricht in seiner Entscheidung vom 17. Februar 2009 davon, dass der "tatsächliche Zielort" des Ausländers bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat zu berücksichtigen sei (C-465/07, juris, Rn. 40). Auf einen bewaffneten Konflikt außerhalb der Herkunftsregion des Ausländers kann es nur ausnahmsweise ankommen. Bei einem regional begrenzten Konflikt außerhalb seiner Herkunftsregion muss der Ausländer stichhaltige Gründe dafür vorbringen, dass für ihn eine Rückkehr in seine Herkunftsregion ausscheidet und nur eine Rückkehr gerade in die Gefahrenzone in Betracht kommt (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.7.2009, a.a.O.). Der innerstaatliche bewaffnete Konflikt begründet ein Abschiebungsverbot nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG aber nur dann, wenn der Schutzsuchende von ihm ernsthaft individuell bedroht ist und keine innerstaatliche Schutzalternative besteht. Das Vorliegen einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit der Person setzt nicht voraus, dass diese Person beweist, dass sie aufgrund von ihrer persönlichen Situation innewohnenden Umständen spezifisch betroffen ist (vgl. EuGH, Urt. v. 17.2.2009, C-465/07, juris, Rn. 43). Eine solche Bedrohung kann vielmehr auch dann ausnahmsweise als gegeben angesehen werden, wenn der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt nach der Beurteilung der zuständigen nationalen Behörden ein so hohes Niveau erreicht hat, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei Rückkehr in das betroffene Land oder gegebenenfalls die betroffene Region allein durch die Anwesenheit im Gebiet des Landes oder dieser Region tatsächlich Gefahr läuft, einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt zu sein. Dabei hebt der Europäische Gerichtshof hervor, dass der Grad willkürlicher Gewalt, der vorliegen muss, damit ein Anspruch auf subsidiären Schutz besteht, umso geringer ist, je mehr der Betroffene belegen kann, dass er aufgrund seiner persönlichen Situation innewohnender Umstände spezifisch betroffen ist. Hieraus folgt, dass in jedem Fall Feststellungen über das Niveau willkürlicher Gewalt in dem betreffenden Gebiet getroffen werden müssen. Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich; liegen gefahrerhöhende persönliche Umstände vor, genügt auch ein geringeres Niveau willkürlicher Gewalt (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.4.2010, 10 C 4/09, juris, Rn. 33). Zu diesen gefahrerhöhenden Umständen gehören in erster Linie solche persönlichen Umstände, die den Antragsteller von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa weil er von Berufs wegen – z.B. als Arzt oder Journalist – gezwungen ist, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten. Dazu können aber auch solche persönlichen Umstände gerechnet werden, aufgrund derer der Antragsteller als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte – etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit – ausgesetzt ist, sofern deswegen nicht schon eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Betracht kommt. Auch im Fall gefahrerhöhender persönlicher Umstände muss aber ein hohes Niveau willkürlicher Gewalt bzw. eine hohe Gefahrendichte für die Zivilbevölkerung in dem fraglichen Gebiet festgestellt werden. Allein das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts und die Feststellung eines gefahrerhöhenden Umstandes in der Person des Antragstellers reichen hierfür nicht aus. Erforderlich ist vielmehr eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und der Akte willkürlicher Gewalt andererseits, die von den Konfliktparteien gegen Leib oder Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung. Dabei können für die Bemessung der Gefahrendichte die für die Feststellung einer Gruppenverfolgung im Bereich des Flüchtlingsrechts entwickelten Kriterien entsprechend herangezogen werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.4.2010, 10 C 4/09, juris, Rn. 33). Das Bundesverwaltungsgericht geht davon aus, dass jedenfalls ein Risiko von 1:800 bzw. 0,125 v.H., in dem betreffenden Gebiet im Laufe eines Jahres verletzt oder getötet zu werden, so weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt ist, dass selbst eine wertende Gesamtbetrachtung eine individuelle Bedrohung nicht mehr zu begründen vermag (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.11.2011, 10 C 13/10, juris, Rn. 22 f.).

63

Ein inner- oder zwischenstaatlicher Konflikt in diesem Sinne findet in der Region Kurdistan-Irak bzw. in Dohuk, der Herkunftsprovinz des Klägers, derzeit nicht statt (vgl. VG Karlsruhe, Urt. v. 10.10.2017, A 10 K 1508/17, juris, Rn. 31; VG Augsburg, Urt. v. 7.9.2017, Au 5 K 17.33860, juris, Rn. 38; VG Düsseldorf, Urt. 26.7.2017,20 K 3549/17.A, juris, Rn. 60; VG Köln, Urt. v. 5.7.2017, 3 A 9944/16.A, juris, Rn. 81 ff.; VG Oldenburg, Urt. v. 7.6.2017, 3 A 3731/16, juris, Rn. 47 ff.). Bereits vor der Zurückdrängung des IS war die Region Kurdistan-Irak von der von dieser Organisation ausgehenden Bedrohung und den damit in Zusammenhang stehenden Kämpfen nicht direkt erfasst, auch wenn dort die Sicherheitslage angespannt ist (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht 2017, S. 12; Lagebericht 2016, S. 9). Soweit die kurdischen Peschmerga-Streitkräfte in Kampfhandlungen verwickelt waren, ereigneten sich diese außerhalb der Region Kurdistan-Irak. Zwar kommt es innerhalb der Region, insbesondere in nördlich gelegenen Dörfern der Provinz Dohuk, seit Juli 2015 zu Luftschlägen der türkischen Luftwaffe auf Stellungen der als Terrororganisation eingestuften kurdischen Arbeiterpartei PKK, die teilweise zivile Opfer fordern. Über diese Angriffe wurde auch im Jahr 2017 weiterhin berichtet (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht 2017, S. 16; ACCORD, Anfragebeantwortung zum Irak: Sicherheitslage in der autonomen Region Kurdistan-Irak: Kampfhandlungen, Anschläge und Zielgruppen, 10.5.2017). Dies bleibt aber hinter dem Ausmaß eines bürgerkriegsähnlichen Konflikts zurück (so auch VG Köln, Urt. v. 5.7.2017, 3 A 9944/16.A, juris, Rn. 89 ff.). Es sind auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass innerhalb der Region Kurdistan-Irak in absehbarer Zukunft ein Konflikt im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG entstehen wird.

64

Unabhängig davon bietet auch die Zahl der von willkürlicher Gewalt betroffenen Personen keinen Grund für die Annahme, dass jede Zivilperson in der Region Kurdistan-Irak bzw. in der Provinz Dohuk allein durch ihre Anwesenheit in diesem Gebiet tatsächlich Gefahr liefe, einen erheblichen Schaden zu erleiden. Bei der von einer britischen Nichtregierungsorganisation betriebenen Datenbank Iraq Body Count sind für das Jahr 2016 vier getötete Zivilisten, für das Jahr 2017 – insoweit sind Zahlen aber nur bis Februar verfügbar – keine Sicherheitsvorfälle und für 2018 (im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung) bislang ein getöteter Zivilist in der Provinz Dohuk verzeichnet (vgl. www.iraqbodycount.org/database – letztmals aufgerufen am 11. April 2018). Der Blogger Joel Wing, der regelmäßig über die Zahl der Konfliktbetroffenen im Irak berichtet, vermerkt für die Provinz Dohuk im Januar 2018 nur einen sicherheitsrelevanten Vorfall mit einem betroffenen Zivilisten, im Dezember 2017 drei Vorfälle mit insgesamt 21 Betroffenen, im November 2017 drei Vorfälle mit sieben Betroffenen, für den Monat Juli zwei Vorfälle mit sechs Betroffenen und für Mai zwei Vorfälle mit zwölf Betroffenen; für die restlichen Monate des Jahres 2017 notiert er jeweils keinen Vorfall (vgl. www.musingsoniraq.blogspot.com – letztmals aufgerufen am 11. April 2018). In Bezug zur Einwohnerzahl Dohuks – bereits vor der Aufnahme hunderttausender Flüchtlinge ca. eine Million (vgl. UK Home Office, Country Policy and Information Note, Iraq: Security and humanitarian situation, März 2017, S. 12) – und unter Berücksichtigung einer Dunkelziffer und des Umstands, dass sich die jesidische Glaubenszugehörigkeit gefahrerhöhend auswirken kann, bleibt die aktuelle Zahl der Gewaltbetroffenen deutlich hinter dem Maß zurück, das nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der die Kammer folgt, die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer individuellen Bedrohung auch bei wertender Betrachtung noch nicht zu begründen vermag.

65

c.Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Feststellung eines nationalen Abschiebungs-verbots nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich des Iraks.

66

aa. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG liegt nicht vor.

67

Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit eine Abschiebung nach den Bestimmungen der EMRK unzulässig ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 11.11.1997, 9 C 13/96, BVerwGE 105, 322) umfasst der Verweis auf die EMRK lediglich Abschiebungshindernisse, die in Gefahren begründet liegen, welche dem Ausländer im Zielstaat der Abschiebung drohen („zielstaatsbezogene" Abschiebungshindernisse). Der Verweis auf Abschiebungsverbote, die sich aus der Anwendung der EMRK ergeben, umfasst auch das Verbot der Abschiebung in einen Zielstaat, in dem Ausländer unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung im Sinne von Art. 3 EMRK droht. Bei § 60 Abs. 5 AufenthG sind alle Verbürgungen der EMRK in den Blick zu nehmen, aus denen sich ein Abschiebungsverbot ergeben kann. Soweit § 60 Abs. 5 AufenthG die völkerrechtliche Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland wiederholt, bei aufenthaltsbeendenden Maßnahmen die Gefahr der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung zu berücksichtigen (Art. 3 EMRK), ist der sachliche Regelungsbereich weitgehend identisch mit dem des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG und geht über diesen, soweit Art. 3 EMRK in Rede steht, jedenfalls nicht hinaus. Denn § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG knüpft – wie dargelegt – an Art. 15 Buchst. b) Richtlinie 2011/95/EG an, der seinerseits die Verantwortung des Abschiebestaats nach Art. 3 EMRK übernimmt. In Fällen, in denen – wie hier – gleichzeitig über die Gewährung subsidiären Schutzes und nationalen Abschiebungsschutzes zu entscheiden ist, scheidet daher bei Verneinung der Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG regelmäßig aus denselben tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG in Bezug auf Art. 3 EMRK aus, so dass in der Sache divergierende Bewertungen kaum denkbar sind (vgl. BVerwG, Urt. v. 31.1.2013,10 C 15/12, juris, Rn. 36).

68

Dies zugrunde gelegt, begründen die Verbürgungen der EMRK im Fall des Klägers kein Abschiebungsverbot. Insbesondere verstieße eine Abschiebung des Klägers in sein Heimatland nicht gegen Art. 3 EMRK. Insoweit wird auf die obigen Ausführungen zum subsidiären Schutzstatus unter II. 2. b. Bezug genommen. Auch humanitäre Gründe führen nicht zu der Annahme, dass eine Abschiebung des Klägers in sein Heimatland gegen Art. 3 EMRK verstieße.

69

Der Umstand, dass im Fall einer Aufenthaltsbeendigung die Lage des Betroffenen ein-schließlich seiner Lebenserwartung erheblich beeinträchtigt würde, reicht nach der Rechtsprechung des EGMR allein nicht aus, einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK anzunehmen. Anderes kann nur in besonderen Ausnahmefällen gelten, in denen humanitäre Gründe zwingend gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechen (vgl. EGMR, Urt. v. 27.5.2008, Nr. 26565/05, NVwZ 2008, 1334, Rn. 42). Zwar hat der EGMR eine Verletzung von Art. 3 EMRK durch das Königreich Belgien als abschiebenden Staat angenommen, weil der betroffene Asylantragsteller mit seiner Überstellung an Griechenland als Signaturstaat der EMRK einer Situation äußerster materieller Armut ausgeliefert worden sei, was den belgischen Behörden bewusst gewesen sei (EGMR, Urt. v. 21.1.2011, Nr. 30696/06, NVwZ 2011, 413, Rn. 263 f., 366 f.). Jedoch erstreckt diese Entscheidung den Schutzbereich des Art. 3 EMRK ausdrücklich nicht allgemein auf soziale Leistungsrechte; der EGMR betont vielmehr die Fortgeltung seiner insoweit sehr zurückhaltenden Rechtsprechung (Rn. 249 m.w.N.) und begründet seine Entscheidung mit dem Schutz der Menschenwürde von Personen, die – in einem ihnen völlig fremden Umfeld – vollständig von staatlicher Unterstützung abhängig sind und behördlicher Gleichgültigkeit gegenüberstehen, obwohl sie sich in ernsthafter Armut und Bedürftigkeit befinden (Rn. 253). Als eine hiernach in Betracht zu ziehende Personengruppe führt der EGMR die Gruppe der Asylsuchenden an, die er als besonders verletzlich und schutzbedürftig qualifiziert (Rn. 251, 259). Dass damit keine generelle Erstreckung des Schutzes nach Art. 3 EMRK auf zu gewährleistende Standards im Herkunftsland des Betroffenen einhergeht, ergibt sich auch aus nachfolgenden Urteilen des EGMR. In seinem Urteil vom 28. Juni 2011 (Nr. 8319/07, NVwZ 2012, 681) stellt der EGMR nochmals klar, dass in Abschiebungsfällen nur zu prüfen ist, ob unter Berücksichtigung aller Umstände ernstliche Gründe für die Annahme nachgewiesen worden sind, dass der Betroffene im Fall seiner Abschiebung tatsächlich Gefahr liefe, einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden. Wenn eine solche Gefahr nachgewiesen ist, verletzt die Abschiebung des Ausländers notwendig Art. 3 EMRK, einerlei, ob sich die Gefahr aus einer allgemeinen Situation der Gewalt ergibt, einem besonderen Merkmal des Ausländers oder einer Verbindung von beiden (Rn. 218). Zugleich weist der EGMR darauf hin, dass die sozio-ökonomischen und humanitären Verhältnisse im Bestimmungsland hingegen nicht notwendig für die Frage bedeutend und erst recht nicht dafür entscheidend sind, ob der Betroffene in diesem Gebiet wirklich der Gefahr einer Misshandlung unter Verstoß gegen Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre. Denn die Konvention zielt hauptsächlich darauf ab, bürgerliche und politische Rechte zu schützen. Die grundlegende Bedeutung von Art. 3 EMRK macht nach Auffassung des EGMR aber eine gewisse Flexibilität erforderlich, um in sehr ungewöhnlichen Fällen eine Abschiebung zu verhindern. In ganz außergewöhnlichen Fällen können daher auch (schlechte) humanitäre Verhältnisse Art. 3 EMRK verletzen, wenn die humanitären Gründe gegen die Ausweisung "zwingend" sind (Rn. 278). Nur soweit die schlechten humanitären Bedingungen nicht nur oder überwiegend auf Armut oder fehlende staatliche Mittel beim Umgang mit Naturereignissen zurückzuführen sind, sondern überwiegend auf direkte und indirekte Aktionen der Konfliktparteien zurückgehen, hält der EGMR das im Verfahren M.S.S. gegen Belgien und Griechenland (Urt. v. 21.1.2011, Nr. 30696/06, NVwZ 2011, 413) entwickelte Kriterium für besser geeignet, nach dem die Fähigkeit des Ausländers berücksichtigt werden muss, seine elementaren Bedürfnisse zu befriedigen, wie Nahrung, Hygiene und Unterkunft, weiter seine Verletzlichkeit für Misshandlungen und seine Aussicht auf eine Verbesserung der Lage in angemessener Zeit (Rn. 282 f.; zum Vorstehenden BVerwG, Urt. v. 31.1.2013, 10 C 15/12, juris, Rn. 23 ff.).

70

Nach Maßgabe dieser – strengen – Anforderungen besteht kein Abschiebungsverbot aufgrund der humanitären Bedingungen in der Region Kurdistan-Irak, insbesondere der Provinz Dohuk.

71

Nach der Erkenntnislage des Gerichts besteht im gesamten Irak eine angespannte humanitäre Situation. Nach Angaben des Auswärtigen Amtes zur Lage im gesamten Land kann der irakische Staat die Grundversorgung der Bürger nicht kontinuierlich und in allen Landesteilen gewährleisten. Irak besitzt kaum eigene Industrie. Hauptarbeitgeber ist der Staat. Über 4 Mio. der 36 Mio. Iraker erhalten reguläre Gehälter von der Regierung, die 2015 und 2016 aufgrund der schlechten Haushaltslage teilweise erst mit mehrmonatiger Verspätung gezahlt worden sind. Etwa ein Zehntel der Bevölkerung ist in der Landwirtschaft tätig. Rund 90 v.H. der Staatseinnahmen stammen aus dem Ölsektor. Die über Jahrzehnte internationaler Isolation und Krieg vernachlässigte Infrastruktur ist sanierungsbedürftig. Trotz internationaler Hilfsgelder bleibt die Versorgungslage für ärmere Bevölkerungsschichten zumindest außerhalb der Region Kurdistan-Irak schwierig. Die Lebensbedingungen von 57 v.H. der städtischen Bevölkerung gleichen denen von Slums. Es gibt Lebensmittelgutscheine für Bedürftige. Schon im Juni 2013 sind vier Millionen Iraker unterernährt gewesen. Etwa ein Drittel der Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze (2,-- US-Dollar/Tag). In den vom IS befreiten Gebieten muss eine Grundversorgung nach Räumung der Kampfmittel erst wieder hergestellt werden. Einige Städte sind weitgehend zerstört (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht 2017, S. 22).

72

Es ist außerdem nicht zu verkennen, dass auch die Region Kurdistan-Irak in Anbetracht der Veränderungen der letzten Jahre nicht mehr als wirtschaftlich prosperierend bezeichnet werden kann. Neben der dort herrschenden Finanzkrise gilt es auch die Versorgung der dort aufgenommenen (Binnen-)Flüchtlinge zu bewältigen. Die mehr als 900.000 Binnenflüchtlinge allein seit Anfang 2014 und die 250.000 syrischen Flüchtlinge haben nicht nur zu einer kritischen humanitären Versorgungslage der Flüchtlinge geführt (vgl. hierzu eingehend Danish Immigration Service, The Kurdistan Region of Iraq, Access, Possibility of Protection, Security and Humanitarian Situation, April 2016, S. 52 ff.; UK Home Office, Country Policy and Information Note, Iraq: Security and humanitarian situation, März 2017, S. 33 ff.). Auch die lokale Bevölkerung wird durch die Bevölkerungszunahme in Bezug auf die Verteilung von Ressourcen, der stärkeren Konkurrenz um Arbeit und dem daraus entstehenden Druck auf die die Löhne und damit das Haushaltseinkommen belastet (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, IRAK: Update: Sicherheitssituation in der KRG-Region, 28.3.2015, S. 2; BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Irak, 24.8.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 23.11.2017, S. 117 f.).

73

Mehr als ein Zehntel der Bevölkerung der Region lebt unter der Armutsgrenze. Bis zu 680.000 Personen der geschätzten 5,5 Millionen Einwohner der Region leben von weniger als 87,-- USD/Monat, die nach Weltbank-Standard als Armutsgrenze für den Irak und die Region Kurdistan festgelegt worden ist. Die Arbeitslosigkeit hat sich seit 2010 beinahe verdreifacht. Sie ist von zunächst 4,8 angestiegen und wird mit zuletzt 14 v.H. im September 2016 berichtet. Wahrscheinlich ist sie aber wesentlich größer (vgl. ACCORD, Anfragebeantwortung zum Irak: wirtschaftliche Lage in der autonomen Region Kurdistan-Irak für RückkehrerInnen, 17.5.2017). Bei Frauen liegt sie bei 29,4 v.H. gegenüber 9,7 v.H. bei Männern (ebda.). Fast zwei v.H. der Bevölkerung der Region Kurdistan-Irak verfügen nicht über ausreichend Geld, um sich regelmäßig drei Mahlzeiten am Tag zu leisten. Allerdings gibt es ein staatlich subventioniertes Lebensmittelverteilungssystem, wonach jeder im Irak ansässige Einwohner ein Anrecht auf monatliche Rationen hat. Das Lebensmittelverteilungssystem ist seit einigen Jahren in Schwierigkeiten, da es sehr teuer und von schlechter Organisation und mangelnder Transparenz entlang der Versorgungswege gekennzeichnet ist. In der Provinz Dohuk gibt es aber beispielsweise 1.400 Lebensmittelausgabestellen. Das World Food Programme unterstützt das Lebensmittelverteilungssystem in der Region Kurdistan seit 1996. Hilfsorganisationen arbeiten daran, die Versorgungslücken zu füllen, um die Bevölkerung zu versorgen. Trotz Verzögerungen einiger Lebensmittellieferungen funktioniert das System relativ gut in Dohuk und Sacho (vgl. ACCORD, Anfragebeantwortung zum Irak: wirtschaftliche Lage in der autonomen Region Kurdistan-Irak für RückkehrerInnen, 17.5.2017).

74

Trotz der seit einigen Jahren andauernden ökonomischen Herausforderungen wird ausdrücklich berichtet, dass es in der Region Kurdistan-Irak keinen Hunger und keine Mangelernährung gibt (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge v. 21.7.2017, S. 3; Danish Immigration Service, The Kurdistan Region of Iraq, Access, Possibility of Protection, Security and Humanitarian Situation, April 2016, S. 113). Die medizinische Versorgung ist in den großen Städten der Region Kurdistan-Irak gut und auf dem Land ist eine medizinische Grundversorgung vorhanden (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Ansbach v. 12.6.2017, S. 2).

75

Auch wenn man zugunsten des Klägers davon ausgeht, dass die dargestellten humanitären Bedingungen im Irak überwiegend auf direkte und indirekte Aktionen von Konfliktparteien zurückgehen, so dass es maßgeblich darauf ankommt, ob der Kläger im Fall seiner Rückkehr in der Lage wäre, seine elementaren Bedürfnisse – wie Nahrung, Hygiene und Unterkunft – zu befriedigen, ist ein Abschiebungsverbot nicht festzustellen. Unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere aufgrund der Angaben des Klägers im Verwaltungs- und im gerichtlichen Verfahren, sowie des persönlichen Eindrucks in der mündlichen Verhandlung ist die Kammer nicht zu der Überzeugung gelangt, dass es dem Kläger trotz dieser angespannten Lage nicht möglich wäre, seinen Lebensunterhalt zumindest so weit zu sichern, dass er einen unmenschlichen oder erniedrigenden Zustand vermeiden könnte. Es ist nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Kläger außerstande wäre, das Existenzminimum dort selbst zu sichern.

76

Der Kläger ist – auch ohne verwandtschaftliche Unterstützung – darauf zu verweisen, sein Existenzminimum durch eigene Arbeit zu sichern. Er ist knapp über dreißig Jahre alt und damit im arbeitsfähigen Alter. Derzeitig bestehende körperliche Einschränkungen hat er nicht geltend gemacht. Solche sind auch sonst nicht erkennbar. Er ist kurdischer Volkszugehörigkeit, spricht Kurmandschi und ist in der Provinz Dohuk sozialisiert, insbesondere hat er dort studiert. Er hat einen Hochschulabschluss als Elektro- und Computeringenieur und hat bereits mit Personalverantwortung im Leitungsbau gearbeitet. Dies alles spricht dafür, dass er zahlreiche Anlaufstellen für die Arbeitssuche hätte und über eine Qualifikation verfügt, die ihn von vielen Mitbewerbern um Arbeitsplätze abhöbe. So müsste er gerade nicht in Konkurrenz zu der Vielzahl an niedrigqualifizierten Arbeitssuchenden treten. Dabei ist weiter zu berücksichtigen, dass jedenfalls die berichteten Arbeitslosenquoten für Männer – selbst unter Berücksichtigung einer Abweichung von der tatsächlichen Arbeitslosenquote – im internationalen Vergleich nicht als außergewöhnlich hoch zu bewerten sind. Die Kammer hält es zudem nicht für beachtlich wahrscheinlich, dass der Kläger aufgrund seines jesidischen Glaubens keinen Zugang zum Arbeitsmarkt finden würde. Zwar entsprechen die diesbezüglichen Schilderungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung der Erkenntnislage, aus der die Diskriminierung von Jesiden auf dem Arbeitsmarkt hervorgeht (dazu bereits oben). Dass es – insbesondere aus der Provinz Dohuk selbst stammenden – Jesiden aber auch mit Mühe nicht gelingen kann, dort Arbeit zu finden, geht aus den Erkenntnismitteln nicht hervor. Dagegen sprechen neben der Tatsache, dass es in Dohuk sehr viele – von Verfolgung und Unterdrückung weitgehend freie – Jesiden gibt (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht 2017, S. 18), auch die Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung. Aus diesen ergibt sich nicht, dass ihm jemals eine Arbeitsstelle aus religiösen Gründen verwehrt worden wäre. Soweit er die Diskriminierung von Jesiden am Arbeitsmarkt beklagt hat, hat er sich erkennbar auf die allgemeinen Zustände bezogen. Vielmehr hat er angegeben, seinen letzten, für irakische Verhältnisse gut bezahlten Arbeitsplatz innerhalb kurzer Zeit ohne Schwierigkeiten gefunden zu haben. Nachdem der Arbeitgeber den Betrieb in der Region Kurdistan-Irak wegen des Vorrückens des IS eingestellt habe, habe er sich bis zu seiner Ausreise nicht noch einmal auf Arbeitsplatzsuche begeben. Darüber hinaus hat er angegeben, dass auch sein Vater noch 2015 Gelegenheitsarbeit habe finden können. Als jesidischer Kurde, der in der Region Kurdistan-Irak registriert ist, könnte der Kläger zudem sicher und legal in die Region Kurdistan-Irak einreisen und sich dort wieder niederlassen (vgl. UNHCR, Iraq: Relevant COI for Assessments on the Availability of an Internal Flight or Relocation Alternative (IFA/IRA), 12.4.2017, S. 8; Danish Immigration Service, The Kurdistan Region of Iraq, Access, Possibility of Protection, Security and Humanitarian Situation, April 2016, S. 15 ff.; ferner VG Berlin, Urt. v. 4.5.2017, 22 K 19/17 A, juris, Rn. 38 ff.). Schließlich berücksichtigt die Kammer, dass sich die wirtschaftliche Lage in der Region Kurdistan-Irak perspektivisch verbessern dürfte, da zu erwarten ist, dass zumindest ein Teil der dorthin gelangten Binnenflüchtlinge langsam in ihre von der Herrschaft des IS befreiten Herkunftsregionen außerhalb der Region Kurdistan-Irak zurückkehrt.

77

Unabhängig hiervon ergibt sich aus den Erkenntnismitteln kein Anhaltspunkt dafür, dass die Grundbedürfnisse des Klägers – etwa wegen einer völlig unzureichenden Versorgungs- und Angebotslage – ungeachtet seiner voraussichtlich verfügbaren Erwerbsmöglichkeiten nicht zu befriedigen wären.

78

bb. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegt ebenfalls nicht vor.

79

Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen vor, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Gefahren nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen (§ 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG). Nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann die oberste Landesbehörde aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens drei Monate ausgesetzt wird.

80

Der bei der Bestimmung einer erheblichen konkreten Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG anzulegende Prognosemaßstab entspricht dem allgemeinen asylrechtlichen Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit; beachtlich ist die Wahrscheinlichkeit, wenn die für die Annahme einer Gefahr sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen als die dagegen sprechenden Tatsachen, eine theoretische Möglichkeit reicht hierzu nicht aus (vgl. OVG Münster, Urt. v. 18.1.2005, 8 A 1242/03.A, juris Rn. 37 ff. m.w.N.).

81

Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen drohte dem Kläger im Falle der Abschiebung hinsichtlich der genannten Rechtsgüter in seinem Heimatland nicht. Diesbezüglich ist nichts vorgetragen worden. Auch anderweitige Anhaltspunkte bestehen nicht.

82

Ein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ergibt sich letztlich auch nicht aus der humanitären Lage oder aus der allgemeinen Sicherheitslage im Irak. Insoweit handelt es sich um allgemeine Gefahren im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG, welche grundsätzlich nur bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen sind. Zwar kann ein Ausländer im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die ihn im Abschiebezielstaat erwarten, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage, ausnahmsweise Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Denn dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren. Auch insoweit sind die Verhältnisse im ganzen Land in den Blick zu nehmen und – wie bei § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG und § 60 Abs. 5 AufenthG in Bezug auf Art. 3 EMRK – zunächst die Verhältnisse am Zielort der Abschiebung zu prüfen (vgl. zum Vorstehenden BVerwG, Urt. v. 31.1.2013, 10 C 15/12, juris, Rn. 38).

83

Nach diesen Maßstäben wäre der Kläger im Fall einer Rückkehr in sein Heimatland nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt. Insoweit gilt das oben zu II. 2. a., b., und c.aa. Ausgeführte entsprechend.

84

d. Die in dem angegriffenen Bescheid des Bundesamtes ergangene Abschiebungsandrohung findet ihre Rechtsgrundlage in § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG und ist aus rechtlicher Sicht nicht zu beanstanden. Die Ausreisefrist von 30 Tagen entspricht der gesetzlichen Regelung in § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG.

85

e. Schließlich begegnet auch die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG keinen rechtlichen Bedenken. Die Ermessenserwägungen des Bundesamts sind im Rahmen der auf den Maßstab des § 114 Satz 1 VwGO beschränkten gerichtlichen Überprüfung nicht zu beanstanden, zumal der Kläger diesbezüglich keine Einwendungen vorgebracht und insbesondere keine fehlerhafte Ermessensausübung gerügt hat.

III.

86

Die Entscheidung über die Kosten ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO; die Gerichtskostenfreiheit beruht auf § 83b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711, 709 Satz 2 ZPO.

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