Urteil vom Verwaltungsgericht Hamburg (10. Kammer) - 10 A 5156/18

Tenor

Soweit die Klage zurückgenommen worden ist, wird das Verfahren eingestellt.

Im Übrigen wird die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 30. August 2018, soweit dieser entgegensteht, verpflichtet, der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% der festzusetzenden Kosten abwenden, falls nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt – nach Rücknahme ihres auf Anerkennung als Asylberechtigte gerichteten Antrags – noch die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Hilfsweise möchte sie die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus sowie die Feststellung von Abschiebungsverboten hinsichtlich des Irans erreichen.

2

Die Klägerin wurde am [...] 2003 in Teheran im Iran geboren und ist iranische Staatsangehörige.

3

Nach eigenen Angaben reiste die damals 14 Jahre alte Klägerin am [...] Dezember 2017 auf dem Luftweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am [...] Januar 2018 bei der Beklagten einen Asylantrag. Im Rahmen des Asylverfahrens und ihrer Anhörung durch die Beklagte am [...] gab die Klägerin im Wesentlichen an, dass ihr Vater Chemieingenieur sei und zuletzt bei der iranischen Atomenergiebehörde gearbeitet habe. Sie habe den Iran verlassen müssen, weil er aus beruflichen Gründen Probleme mit dem iranischen Staat habe. Wenn jemand in seiner Position Probleme bekomme, sei automatisch die Familie betroffen und sie befürchte, dass sie im Iran entführt werden würde. Ihre Eltern seien geschieden und sie habe bei ihrer Mutter in Teheran gelebt, wo diese sich weiterhin aufhalte. Auf die Anhörungsniederschrift auf den Blättern [...] der Asylakte wird wegen der Einzelheiten Bezug genommen.

4

Mit Bescheid vom 30. August 2018, zugestellt am 17. September 2018, lehnte die Beklagte die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1), die Anerkennung als Asylberechtigte (Nr. 2) und die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus (Nr. 3) ab. Zudem entschied sie, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 4), drohte der Klägerin die Abschiebung in den Iran an (Nr. 5) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot im Sinne von § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Nr. 6). Zur Begründung führte die Beklagte im Wesentlichen aus, dass die Klägerin über den Flughafen in Teheran legal mit einem Visum ausgereist sei und die Befürchtungen ihres Vaters, welche Anlass für die Ausreise gewesen seien sollen, vage und unkonkret geblieben seien. Es bestehe für den iranischen Staat auch kein ersichtlicher Grund, gegen die Klägerin vorgehen zu wollen, wenn ihr Vater bereits seit einem halben Jahr verschwunden und nicht wieder aufgetaucht sei. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf den Bescheid auf den Blättern [...] der Asylakte Bezug genommen.

5

Die Klägerin hat am 30. September 2018 Klage gegen den Bescheid vom 30. August 2018 erhoben. Zur Begründung vertieft sie ihr bisheriges Vorbringen und beruft sich im Übrigen darauf, dass ihr wegen der exilpolitischen Aktivitäten ihres Onkels, dem Zeugen [...], bei dem sie in Deutschland lebe, Verfolgung drohe. Er sei seit 1985 Mitglied der [...] und habe im Laufe der Zeit zahlreiche Veranstaltungen und Demonstrationen für die Durchsetzung von demokratischen Grundwerten und Einhaltung der Menschenrechte im Iran organisiert und sei dort zum Teil auch als Redner aufgetreten. Im Übrigen sei es ihr als Frau unzumutbar, in den Iran zurückzukehren. Außerdem leide sie an psychischen Erkrankungen. Von ihrem Vorbringen zu ihrer Vorverfolgung nehme sie Abstand.Außerdem hat sie unter anderem einen Bericht des Diplom-Pädagogen [...] vom [...], Bescheinigungen der [...]-Schule im Stadtteil [...] vom [...], [...] und [...], ein Zeugnis der [...]-Schule vom [...] und Lichtbilder eingereicht. Wegen der Einzelheiten der Unterlagen und Lichtbilder wird auf die Blätter [...] und [...] der Gerichtsakte und auf die Anlagen zum Sitzungsprotokoll Bezug genommen.

6

Die Klägerin hat ihre Klage hinsichtlich der Asylanerkennung im Termin zur mündlichen Verhandlung am 20. Juli 2021 zurückgenommen.

7

Sie beantragt nunmehr noch,

8

die Beklagte unter Aufhebung des angegriffenen Bescheides zu verpflichten, ihr die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,

9

hilfsweise ihr subsidiären Schutz zuzuerkennen,

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höchst hilfsweise festzustellen, dass in ihrer Person Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich des Irans vorliegen.

11

Aus dem Schriftsatz der Beklagten vom 23. November 2018 ergibt sich der Antrag,

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die Klage abzuweisen.

13

Zur Begründung verweist sie auf den angegriffenen Bescheid.

14

Mit Erklärungen vom 9. November 2018 und 23. November 2018 haben die Beteiligten ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter anstelle der Kammer erklärt.

15

Der Berichterstatter hat die Klägerin in den Terminen der mündlichen Verhandlung am 10. Dezember 2020 und 20. Juli 2021 persönlich angehört und Beweis zu den Umständen und Hintergründen ihrer Ausreise und zu dem exilpolitischen Engagement des Zeugen [...] durch Vernehmung desselben erhoben. Wegen der Einzelheiten wird auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen. Für die Beklagte ist zu den Terminen der mündlichen Verhandlung niemand erschienen.

16

Die Asylakte der Klägerin, ihre Ausländerakte, die Akte der Staatsanwaltschaft Hamburg mit dem Aktenzeichen [...] und die in das Verfahren eingeführten Erkenntnisquellen sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

I.

17

Die Entscheidung ergeht im Einverständnis der Beteiligten durch den Berichterstatter anstelle der Kammer (§ 87a Abs. 2 und 3 VwGO) und trotz des Ausbleibens der Beklagten in der mündlichen Verhandlung, weil die Beklagte ordnungsgemäß und mit Hinweis nach § 102 Abs. 2 VwGO geladen worden ist.

II.

18

Soweit die Klage zurückgenommen wurde, war das Verfahren einzustellen, § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Im Übrigen ist die zulässige Verpflichtungsklage begründet.

19

Die Klägerin hat im entscheidungserheblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 AsylG) einen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft aus § 3 AsylG. Insoweit ist der angegriffene Bescheid der Beklagten hinsichtlich der Versagung der Flüchtlingseigenschaft rechtswidrig und verletzt die Klägerin dadurch in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

20

1. Der Klägerin steht ein Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft aus § 3 AsylG zu.

21

Gemäß § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 der Vorschrift ist, grundsätzlich – vorbehaltlich § 60 Abs. 8 Satz 1 und 3 AufenthG – die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylG Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559; sog. Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

22

Eine „begründete Furcht“ vor Verfolgung liegt vor, wenn dem Ausländer entsprechende Gefahren bzw. Handlungen im Sinne von § 3a AsylG angesichts der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände und seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (vgl. – auch zum Folgenden – BVerwG, Urt. v. 20.2.2013, 10 C 23.12, juris Rn. 32 = BVerwGE 146, 67; Beschl. v. 13.2.2019, 1 B 2.19, juris Rn. 6; OVG Hamburg, Urt. v. 1.12.2020, 4 Bf 205/18.A, juris Rn. 32). Dies ist anzunehmen, wenn bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung stehenden Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen als die dagegen sprechenden Tatsachen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtung im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung vorzunehmen und zu bewerten, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann.

23

Bei einer Vorverfolgung des Ausländers greift insoweit die Beweiserleichterung nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU (sog. Qualifikationsrichtlinie): Der Umstand, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ist hiernach ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird.

24

Die begründete Furcht vor Verfolgung kann gemäß § 28 Abs. 1a AsylG auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat, insbesondere auch auf einem Verhalten, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist. Dabei greift für derartige Nachfluchttatbestände in einem Erstverfahren die Einschränkung des § 28 Abs. 2 AsylG nicht, wonach bei einem Folgeantrag Nachfluchtgründe in der Regel die Flüchtlingseigenschaft nicht begründen können.

25

Dies berücksichtigend obliegt es dem um Asyl bzw. Flüchtlingsschutz nachsuchenden Ausländer, die Gründe für seine Furcht vor Verfolgung in schlüssiger Form vorzutragen. Er hat dazu unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich – als wahr unterstellt – ergibt, dass er bei verständiger Würdigung Verfolgung im oben genannten Sinne ausgesetzt war bzw. eine solche im Rückkehrfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten hat. Hierzu gehört eine Schilderung zu den in die Sphäre des Ausländers fallenden Ereignissen, insbesondere zu dessen persönlichen Erlebnissen, die geeignet ist, den behaupteten Anspruch lückenlos zu tragen (stRspr, vgl. BVerwG, Beschl. v. 19.10.2001, 1 B 24.01, juris Rn. 5; OVG Hamburg, Urt. v. 1.12.2020, 4 Bf 205/18.A, juris Rn. 34; OVG Münster, Urt. v. 7.6.2021, 6 A 2115/19.A, juris Rn. 48 und auch bereits BVerwG, Urt. v. 22.3.1983, 9 C 68.81, juris Rn. 5). Auf dieser Grundlage muss das Gericht die nach § 108 Abs. 1 VwGO erforderliche volle Überzeugung von der Wahrheit – und nicht nur von der Wahrscheinlichkeit – des vorgetragenen individuellen Verfolgungsschicksals erlangen, um eine begründete Furcht vor Verfolgung im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG feststellen zu können (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.4.1985, 9 C 109.84, juris Rn. 16 = BVerwGE 71, 180; Beschl. v. 29.11.1996, 9 B 293.96, juris Rn. 2; OVG Hamburg, Urt. v. 2.11.2001, 1 Bf 242/98.A, juris Rn. 29).

26

Hiervon ausgehend steht zur Überzeugung des Berichterstatters fest, dass der Klägerin im Fall ihrer Rückkehr in den Iran mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine von ihr als menschlich herabwürdigend empfundene systematische Ungleichbehandlung gegenüber Männern droht, welche nach den konkreten Umständen des Einzelfalles ausnahmsweise die Qualität einer Verfolgung im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG erreicht. Darauf, ob der Klägerin wegen der regimekritischen, exilpolitischen Aktivitäten ihres Onkels, dem Zeugen [...], aufgrund einer drohenden Reflexverfolgung die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen wäre, kommt es in Ansehung dessen nicht mehr an.

27

Auf die weitere Frage, ob der Klägerin hinsichtlich des Vorbringens im Zusammenhang mit der Tätigkeit ihres Vaters für den iranischen Staat bei einer Rückkehr in den Iran Verfolgung droht, kommt es ebenfalls nicht mehr an. Sie hat von ihrem Vortrag dazu in der mündlichen Verhandlung Abstand genommen.

28

a) Der Berichterstatter entnimmt den eingeführten Erkenntnisquellen, dass Frauen im Iran wegen ihres Geschlechts in wesentlichen Lebensbereichen im Vergleich zu Männern rechtlich und tatsächlich systematisch und kategorisch benachteiligt werden. Jedenfalls bei einer Kumulierung der Wirkungen können diese nach den konkreten Umständen des Einzelfalles eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte (vgl. § 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG) einer weiblichen iranischen Schutzsuchenden darstellen.

29

Nach den Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes (AA) sind iranische Frauen in rechtlicher, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Hinsicht vielfältigen Diskriminierungen unterworfen und Gesetze zur Verhinderung und Bestrafung gender-spezifischer Gewalt existieren nicht (Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran v. 5.2.2021, S. 17 [2021/1]1; UN Human Rights Council (HRC), Situation of human rights in the Islamic Republic of Iran v. 11.1.2021, A/HRC/46/50, S. 14 ff. Rn. 40 ff. [G 9/21]; Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), Länderreport 28 Iran - Frauen – Rechtliche Stellung und gesellschaftliche Teilhabe aus Juli 2020, S. 4 [G 10/20]). Zwar wird in der iranischen Verfassung eine Gleichbehandlung der Geschlechter vorgeschrieben und eine besondere Schutzpflicht des Staates gegenüber Frauen vorgesehen, aber auch diese Rechte finden ihre Einschränkungen in den Regeln des schiitischen Islams, welcher die Staatsreligion des Irans ist (BAMF, a.a.O., S. 5 f. [G 10/20]). Danach finden Gesetze keine Anwendung, wenn sie im Gegensatz zur Scharia stehen; wie das islamische Recht auszulegen ist, bestimmen dabei der oberste Führer des Irans sowie die sechs im Wächterrat vertretenen Geistlichen (BAMF, a.a.O., S. 6 [G 10/20]).

30

Prägend für die diskriminierenden Einschränkungen ist die Rolle der (Ehe-)Frau als dem (Ehe-)Mann untergeordnet, was sich sowohl bei Fragen der Selbstbestimmung, des Sorgerechts, der Ehescheidung als auch des Erbrechts erkennen lässt (AA, a.a.O., S. 18 [2021/1]; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA), Länderinformation der Staatendokumentation Iran v. 2.7.2021 Version 3, S. 69 f. [G 20/21]; BAMF, a.a.O., S. 15 f. [G 10/20]; Staatssekretariat für Migration (Schweiz), Focus Iran Häusliche Gewalt v. 27.2.2019, S. 13, 51 f. [G 24/19]). Insbesondere benötigen Frauen für die Scheidung im Regelfall die Zustimmung des Mannes, während Männer die Zustimmung ihrer Ehefrau nicht benötigen (HRC, a.a.O., S. 15 Rn. 44 [G 9/21]; BAMF, a.a.O., S. 16 [G 10/20]). Auch betrachtet das Gesetz Geschlechtsverkehr innerhalb der Ehe per Definition als einvernehmlich und behandelt daher keine Vergewaltigung in der Ehe, auch nicht in Fällen von Zwangsheirat (BFA, a.a.O., S. 71 [G 20/21]). Vergewaltigungen werden vielfach aus Furcht vor offizieller bzw. staatlicher Vergeltung oder einer Anklage wegen unmoralischen Verhalten aufgrund außerehelichen Geschlechtsverkehrs unter Androhung schwerer Strafen und gesellschaftlicher Repressalien oder Ausgrenzung schon nicht angezeigt (BFA, a.a.O., S. 71 [G 20/21]; UK Home Office, Country Policy and Information Note Iran: Adulterers v. 2.10.2019, S. 21 [G 29/19]; UK Home Office: Iran: Women v. 2.2.2016, S. 28 ff. [G 22/16]).

31

Ferner werden Zeugenaussagen von Frauen vor Gericht nur zur Hälfte gewichtet (AA, a.a.O., S. 18 [2021/1]; BAMF, a.a.O., S. 9 [G 10/20]) und normalerweise ist auch ein männlicher Zeuge erforderlich (HRC, a.a.O., S. 16 Rn. 47 [G 9/21]). Die finanzielle Entschädigung (diya bzw. Blutgeld) der Familie eines weiblichen Opfers einer Straftat ist nur halb so hoch wie die Entschädigung für ein männliches Opfer einer Straftat (BFA, a.a.O., S. 69 [G 20/21]; HRC, a.a.O., S. 16 Rn. 47 [G 9/21]; BAMF, a.a.O., S. 8 [G 10/20]; Staatssekretariat für Migration (Schweiz), a.a.O., S. 15 ff. [G 24/19]). Wenngleich nach einer Änderung der Gesetze und einer Entscheidung des obersten Gerichts aus Juli 2019 die andere Hälfte staatlicherseits gezahlt wird, zeigt sich an dem Umstand, dass der Täter selbst im Falle eines weiblichen Opfers nur die Hälfte zahlen muss, dass das Leben einer Frau staatlicherseits nur als „halb so viel wert“ angesehen wird wie das eines Mannes (HRC, a.a.O., S. 16 Rn. 47 [G 9/21]).

32

Dem iranischen Kabinett gehören zwar drei Frauen an und 60% der Studierenden sind weiblich, aber nur 12% der Erwerbstätigen sind Frauen. Von einigen staatlichen Funktionen, wie dem Richteramt und dem Staatspräsidentenamt, sind Frauen gesetzlich oder aufgrund entsprechender Ernennungspraktiken ausgeschlossen (AA, a.a.O., S. 17 [2021/1]). Zwar ist hier anzumerken, dass es einige Richterinnen – insbesondere an Familiengerichten – gibt; ihnen steht es aber nicht zu, ein Urteil auszusprechen oder den Prozess zu leiten (BFA, a.a.O., S. 68 [G 20/21]; BAMF, a.a.O., S. 13 [G 10/20]). Bei den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2017 wurden vom Wächterrat von 1.499 männlichen Kandidaten sechs zugelassen und alle 137 weiblichen Kandidatinnen als grundsätzlich ungeeignet abgelehnt (AA, a.a.O., S. 7 f. [2021/1]).

33

Auch ist es Frauen nicht im gleichen Maße wie Männern möglich, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, da für sie beispielsweise eine strenge Kleiderordnung herrscht, ihnen der Zugang zu Sportveranstaltungen verboten ist und ein Genehmigungsvorbehalt des Ehemannes oder Vaters bezüglich der Arbeitsaufnahme oder Reisen besteht (AA, a.a.O., S. 18 [2021/1]). Alleinstehende, nicht geschiedene Frauen haben Schwierigkeiten, selbstständig eine Wohnung zu mieten und alleine zu wohnen, da gesellschaftliche Normen verlangen, dass eine unverheiratete Frau im Schutze ihrer Familie oder eines männlichen Familienmitglieds lebt (BFA, a.a.O., S. 70 [G 20/21]). Im Gegensatz dazu dürfte es gesellschaftlich akzeptiert sein, dass geschiedene Frauen alleine wohnen (BFA, a.a.O., S. 70 [G 20/21]). Im Rahmen des gesetzlichen Zwangs, ein Kopftuch zu tragen, stehen Frauen im Visier von Polizei und paramilitärischen Kräften; manchmal werden sie festgenommen und schikaniert, wenn Haarsträhnen unter ihrem Kopftuch hervorschauen, wenn sie zu stark geschminkt sind oder eng anliegende Kleidung tragen (BFA, Länderinformation der Staatendokumentation Iran v. 29.1.2021 Version 2, S. 67 [G 5/21]). Ein Verstoß gegen die Bekleidungsvorschriften, wie das Nicht-Verhüllen der Haare oder Konturen des Körpers, kann mit Freiheitsstrafe zwischen zehn Tagen und zwei Monaten und/oder mit Geldstrafe bestraft werden kann (AA, a.a.O., S. 18 [2021/1]). Grundsätzlich ist auch die Verhängung von bis zu 74 Peitschenhieben wegen Verstoßes gegen die öffentliche Moral möglich; dazu kommt es in der Regel nicht, da die Familien von der Möglichkeit des Freikaufs überwiegend Gebrauch machen, die regelmäßig besteht (AA, a.a.O., S. 18, 22 [2021/1]). Demgegenüber ist die Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis durch Willkür gekennzeichnet, was vorrangig durch die unbestimmte Formulierung von Straftatbeständen und Rechtsfolgen sowie eine uneinheitliche Aufsicht der Justiz über die Gerichte bedingt ist (AA, a.a.O., S. 15 [2021/1]). Es wird berichtet, dass drei Frauen wegen Aktionen und Protesten gegen die Bekleidungsvorschriften für Frauen im Iran wegen Verbreitung von Propaganda gegen das System, Versammlung und Verschwörung gegen die nationale Sicherheit sowie Anstiftung und Begünstigung von Verdorbenheit und Prostitution unter Verweigerung eines Rechtsbeistandes vor einem Revolutionsgericht angeklagt und in einem anderen Fall drei Frauen zu einer fünfeinhalbjährigen Haftstrafe wegen der Werbung für Unzucht und Prostitution verurteilt wurden (BAMF, a.a.O., S. 18 f. [G 10/20]). Verfahren vor den Revolutionsgerichten, deren Zuständigkeit beispielsweise Straftaten betreffend die innere und äußere Sicherheit des Landes, bewaffneter Kampf gegen das Regime, Feindschaft zu Gott, Korruption auf Erden, Anschläge auf politische Personen oder Einrichtungen oder Beleidigung des Gründers der Islamischen Republik Iran und des jeweiligen Revolutionsführers umfassen, finden dabei unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt und sind extrem kurz (manchmal nur wenige Minuten) (BFA, a.a.O., S. 22 [G 5/21]). Wohl häufigster Anknüpfungspunkt für Diskriminierungen im Bereich Strafverfolgung ist – geschlechtsunabhängig – die politische Überzeugung, wobei Beschuldigten bzw. Angeklagten grundlegende, auch in der iranischen Verfassung garantierte Rechte vorenthalten werden, etwa durch unbefristete Untersuchungshaft ohne Anklage oder die Vorenthaltung oder Beschränkung eines rechtlichen Beistands bei laufenden Ermittlungen (AA, a.a.O., S. 15 [2021/1]). Dies betrifft in der jüngeren Vergangenheit im Zusammenhang mit Verstößen gegen die Bekleidungsvorschriften auch Frauen (BAMF, a.a.O., S. 18 f. [G 10/20]). So wurden etwa bei Protesten gegen den Kopftuchzwang regelmäßig Frauen verhaftet, in einigen Fällen wurden auch besonders harte Haftstrafen verhängt (u.a. 24 Jahre Haft für die Frauenrechtsaktivistin Saba Khord Afshari im August 2019) (AA, a.a.O., S. 15, 18 [2021/1]).

34

b) Aufgrund der dargestellten Erkenntnislage ist im Fall einer weiblichen Schutzsuchenden ein Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach den §§ 3 ff. AsylG dann gegeben, wenn der geschlechtsspezifische Aspekt für sie so bedeutsam für ihre Identität oder das Gewissen ist, dass sie nicht gezwungen werden sollte, auf ihn zu verzichten (vgl. § 3b Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a AsylG). Es darf ihr – ausnahmsweise und einzelfallbezogen – nicht zumutbar erscheinen, sich im Iran den dortigen rechtlichen und gesellschaftlichen iranisch-islamischen und Frauen im Vergleich zu Männern benachteiligenden Regeln zu unterwerfen (vgl. auch VG Hamburg, Urt. v. 7.7.2021, 10 A 2109/19, juris Rn. 43; VG Schleswig, Urt. v. 16.2.2006, 14 A 62/99, juris Rn. 27 f.; vgl. nur zur Unzumutbarkeit regelkonformen Verhaltens: BVerwG, Urt. v. 20.2.2013, 10 C 23/12, BVerwGE 146, 67 - 89, juris Rn. 26 ff.; OVG Hamburg, Beschl. v. 12.4.2021, 2 Bf 51/21.AZ, BA S. 4 n.v. im Fall der Religionsfreiheit und VGH München, Beschl. v. 2.12.2020, 14 ZB 20.31647, juris Rn. 10 im Fall von Homosexualität). Dies ist dann der Fall, wenn eine weibliche Schutzsuchende infolge des längeren Aufenthalts in Europa in einem solchen Maße in ihrer Identität aufgrund der hiesigen Wertevorstellungen hinsichtlich der Gleichberechtigung von Frauen und Männern geprägt worden ist, dass sie entweder nicht mehr in der Lage wäre oder es ihr nicht mehr zugemutet werden kann, bei einer Rückkehr in den Iran ihren Lebensstil den dort erwarteten Verhaltensweisen und Traditionen anzupassen (vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 29.11.2019, A 11 S 2376/19, juris Rn. 35; OVG Lüneburg, Urt. v. 21.9.2015, 9 LB 20/14, juris Rn. 26). Wann ein solcher Grad der Identitätsprägung hinsichtlich der in Europa gelebten Wertevorstellung zur Gleichberechtigung von Frauen und Männern erreicht ist, lässt sich nicht allgemeingültig beantworten, sondern bedarf der Prüfung der konkreten Umstände des Einzelfalles im Rahmen einer umfassenden Gesamtwürdigung aller Umstände (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 12.12.2019, 9 LA 452/19, juris Rn. 13 m.w.N.). Dabei ist auch einzustellen, dass der deutsche Gesetzgeber die für die Antragsteller ungünstige Neufassung von Art. 10 Abs. 1 Buchst. d Satz 4 der Qualifikationsrichtlinie (RL 2011/95/EU), dass geschlechtsspezifische Aspekte, einschließlich der geschlechtlichen Identität, bei der Frage der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe nur angemessen zu berücksichtigen sind, in § 3b Abs. 1 Nr. 4 Hs. 4 AsylG nicht übernommen hat (vgl. BT-Drs. 17/13063, S. 19 f.). Anders als nach dem aktuellen Richtlinientext sind im Rahmen der deutschen Regelung geschlechtsspezifische Aspekte, einschließlich der geschlechtlichen Identität, uneingeschränkt zu berücksichtigen (vgl. BeckOK AuslR/Kluth, 29. Ed. 1.1.2021, AsylG § 3b Rn. 5; NK-AuslR/Winfried Möller, 2. Aufl. 2016, AsylVfG/AsylG § 3b Rn. 12, 18 f.).

35

Dies betrifft auch die Klägerin. Der Berichterstatter hat sich auf Grundlage der Anhörung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung und dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon überzeugen können (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO), dass sie aufgrund ihres mittlerweile über drei Jahre andauernden Aufenthalts in Deutschland in ihrer Identität als Frau aufgrund der in Deutschland verbreiteten und gelebten Wertevorstellung von der Gleichberechtigung von Frauen und Männern wesentlich und nachhaltig geprägt wurde. Der Berichterstatter hat insoweit nach ihren Angaben und ihrem persönlichen Eindruck in der mündlichen Verhandlung keine Zweifel, dass es für sie einen äußerst hohen Stellenwert hat, ihr Leben selbstbestimmt und eigenverantwortlich zu führen, ohne dass sie dabei der Bevormundung von männlicher Seite – wie es im Iran nach der dargestellten Erkenntnislage allgegenwärtig ist – und den beschriebenen Benachteiligungen ausgeliefert ist. Aus der Gesamtschau ihrer Angaben ergibt sich, dass sie sich im Laufe ihres Aufenthalts in Deutschland mit den Benachteiligungen für Frauen im Iran aufgrund der von ihr in Deutschland erfahrenen Freiheiten auseinandergesetzt hat und diese für sie nunmehr unverzichtbar sind. Aufgrund dessen ist nicht anzunehmen, dass sie sich im Falle einer Rückkehr in den Iran ohne umfangreiches Verleugnen ihrer Persönlichkeit den im Iran herrschenden Regeln und Gepflogenheiten hinsichtlich der benachteiligenden Behandlung von Frauen im Vergleich zu Männern noch widerspruchslos unterordnen kann.

36

Sie schilderte dazu nachvollziehbar, wie sie es nicht nur aufgrund von in Deutschland erlebter Gleichberechtigung in der Schule, sondern auch in dem gemeinsamen Haushalt mit ihrer Tante und ihrem Onkel als selbstverständlich erachte, ihre Entscheidungen hinsichtlich ihrer Lebensführung nach Erreichen der Volljährigkeit unabhängig von fremder, insbesondere männlicher Kontrolle zu führen. Sie könne es sich nicht vorstellen, in ihrem sozialen Achtungs- und Geltungsanspruch im Verhältnis zu Männern zurückgesetzt zu werden. Dabei wurde besonders deutlich, dass die Klägerin ihre Tante und ihren Onkel, ihre in Deutschland engsten Bezugspersonen, welche selbst iranischer Herkunft sind und seit 1985 in Deutschland leben, als Vorbilder wahrnimmt. Der Berichterstatter konnte sich davon überzeugen, dass diese ihr eine gleichberechtigte Lebensführung in dem gemeinsamen Haushalt vorgelebt haben, welche die Klägerin verinnerlicht hat. Dies zeigt sich auch darin, dass die Klägerin für ihre Überzeugungen eintritt, indem sie sich – wie sie in Übereinstimmung mit dem Zeugen [...] glaubhaft angegeben hat – politisch durch die Teilnahme an Demonstrationen, beispielsweise gegen die islamische Kleiderordnung und Hinrichtungen im Iran, engagiert. Gerade dies verdeutlicht die von der Klägerin bewusst vorgenommene und gelebte Abkehr von dem Wertesystem der Islamischen Republik Iran, nicht zuletzt im Hinblick auf Frauenrechte. Insbesondere ist dabei einzustellen, dass die Klägerin nach ihren glaubhaften Angaben während ihrer Kindheit und Jugendzeit im Iran mit den dortigen Benachteiligungen, welchen sich iranische Frauen ausgesetzt sehen, auch konfrontiert wurde. Sie führte etwa überzeugend aus, dass sie im Iran das Kopftuch nie habe tragen wollen, sich dem Zwang aber aus Angst vor Strafe ergeben habe. Es habe in diesem Zusammen ein einschneidendes Erlebnis mit der Polizei gegeben, als ihr im Alter von neun Jahren das Kopftuch heruntergerutscht sei. Weiter führte sie glaubhaft aus, dass sie im Iran in einfachen Verhältnissen aufgewachsen sei und die – von ihr als solche wahrgenommene – damit einhergehende finanzielle Abhängigkeit von dem Wohlwollen von Männern insbesondere im beruflichen Kontext und dem damit einhergehenden Ausgeliefertsein als unerträglich empfinde.

37

Es hat besonderes Gewicht, dass die Klägerin bereits als junge Frau im Alter von 14 Jahren nach Deutschland eingereist ist und die für die Persönlichkeitsentwicklung typischerweise besonders prägende Phase der Pubertät unter dem Einfluss der in Deutschland gelebten Gleichberechtigung von Frauen und Männern nicht nur im privaten Haushalt von ihren Bezugspersonen mit iranischem kulturellen Hintergrund, sondern auch in ihren weiteren Lebensbereichen, insbesondere im schulischen Bereich, erlebt hat. Sie schilderte dazu nachvollziehbar, wie sie – im Gegensatz zu ihren Erfahrungen in der Schule im Iran – in ihrer Schule in Deutschland erfahren hat, wie Mädchen und Jungen bzw. Frauen und Männer insbesondere hinsichtlich der Wertschätzung ihrer Meinungen in Diskussionen gleichbehandelt wurden. Dass eine solche nachhaltige Prägung im schulischen Bereich der Klägerin vollzogen wurde, wird dadurch gestützt, dass sie in ihrer Anhörung in der mündlichen Verhandlung gezeigt hat, dass sie sich in der deutschen Sprache flüssig und dem Niveau des für die Gerichtsverhandlung notwendigen Umfangs sicher verständigen kann. Darüber hinaus sprechen ihre sehr guten Deutschkenntnisse ebenfalls dafür, dass sie sich in die hiesigen Lebensverhältnisse tatsächlich eingefunden hat. Schließlich äußert sich die von der Klägerin verinnerlichte und als wesentlicher Teil ihrer Persönlichkeit verankerte Wertevorstellung, als Frau gleichberechtigt zu sein, auch in ihrer aktuellen Lebensführung. Es wurde offensichtlich, dass die nunmehr volljährige Klägerin in Deutschland ihr Leben in einer Weise führt und für die Zukunft plant, welche Ausdruck einer die Gleichbehandlung als Frau unbedingt einfordernden Persönlichkeit ist. Ihren authentischen und eindrücklichen Angaben war zu entnehmen, dass sie sich beruflich im Bereich der Zahnmedizin sehe, da sie neben einem genuinen Interesse an dem Beruf sich dadurch auch hinreichend imstande sehe, finanziell unabhängig zu werden, um ihr Leben selbstbestimmt führen zu können. Ihre Freizeit verbringe sie mit Freunden bei gemeinsamen Unternehmungen in Form von Reisen, Treffen und Feiern mit Alkohol. Ihr äußeres Erscheinungsbild entsprach weiter dem im städtischen Alltag in Hamburg vielfach sichtbaren, sommerlichen Bekleidungsstil anderer junger Frauen (vgl. zu den Kriterien für die Annahme einer identitätsprägenden Übernahme westlicher Wertevorstellungen OVG Lüneburg, Urt. v. 21.9.2015, 9 LB 20/14, juris Rn. 41 f.).

38

Die Angaben der Klägerin zu ihren schulischen Leistungen und ihrem Verhalten in der Schule werden durch das Zeugnis der [...]-Schule vom [...] und die eingereichten Schreiben des Tutors der Klasse der Klägerin, [...], vom [...] und vom [...] bestätigt. Im Übrigen sprechen die insoweit glaubhaften Angaben des Zeugen [...] in seiner Vernehmung am 10. Dezember 2020 und 20. Juli 2021 und die Inaugenscheinnahme der eingereichten Lichtbilder für die Richtigkeit der Angaben der Klägerin zu ihrem privaten Umfeld und ihren Aktivitäten in Deutschland.

39

2. Nach alledem war der Verpflichtungsklage auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unter Aufhebung der entgegenstehenden Nummer 1 des angegriffenen Bescheides stattzugeben, sodass über die weiteren hilfsweise gestellten Verpflichtungsanträge nicht mehr zu entscheiden war. Die Verpflichtung zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft lässt allerdings die negativen Feststellungen in den Nummern 3 (subsidiärer Schutz) und 4 (Abschiebungsverbote) des angegriffenen Bescheides angesichts des Eventualverhältnisses (vgl. BVerwG, Urt. v. 15.4.1997, 9 C 19/96,BVerwGE 104, 260 - 265, juris Rn. 11) gegenstandslos werden, sodass der ablehnende Bescheid auch insoweit aufzuheben ist. Entsprechendes gilt im Hinblick auf die Nummern 5 (Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung) und 6 (Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots).

III.

40

Die Kostenentscheidung folgt aus § 83b AsylG und §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 1 Satz 3 und Abs. 2 VwGO. Dabei waren der Beklagten die Kosten ganz aufzuerlegen, da die Klägerin mit ihrem zurückgenommenen Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigte in Ansehung der erfolgreichen Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nur zu einem geringen Teil unterlegen ist.

41

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11,711, 709 Satz 2 ZPO.

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