Urteil vom Verwaltungsgericht Köln - 7 K 4194/19
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages anwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
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T a t b e s t a n d
2Der am 00.00.1952 in der Stadt Wolsk im Saratowgebiet (ehemalige UdSSR) geborene Kläger ist Staatsbürger der Russischen Föderation. Er begehrt die Aufnahme als Spätaussiedler sowie die Einziehung seiner volljährigen Kinder H. , G. , W. und der Enkeltochter N. -T. gemäß § 27 Abs. 1 BVFG.
3Am 26.10.2017 stellte er, noch unter dem Namen B. T1. , einen Antrag auf Aufnahme und Einbeziehung seiner Kinder und der Enkeltochter N. -T. beim Bundesverwaltungsamt. Darin erklärte er, seine Eltern seien H1. T1. (geb. 00.00.1910) und X. T1. , geb. T2. (geb. 00.00.1920 im Dorf T3. , Iwanowo Gebiet). Beide hätten die deutsche Sprache verstehen, sprechen und schreiben können. Die Nationalität im Inlandspass sei nicht angegeben.
4Die Mutter X. stamme von dem deutschen Volkszugehörigen O. N1. (geb. 00.00.1902 in der Stadt Wolsk, Saratowgebiet) und H2. T2. , geb. T2. , geb. 1898 im Dorf T3. , Iwanowogebiet) ab. Auch die Großeltern mütterlicherseits hätten die deutsche Sprache verstehen und sprechen können. Die Nationalität der Großmutter im Inlandspass sei nicht angegeben. Der Großvater O. N1. sei von 1941 bis 1956 in verschiedene Sondersiedlungen ausgewiesen worden.
5Seine eigene Nationalität sei im ersten und im aktuellen Inlandspass vom 25.12.2002 nicht angegeben. Die deutsche Sprache habe er als Kind von seinen Eltern sowie dem Großvater erlernt. Von 1963 bis 1970 habe er außerdem eine Abendschule, und von 1973 bis 1976 Kurse an der Altai State University besucht. Jetzt verstehe er wenig und spreche überhaupt nicht.
6Dem Antrag waren eine Kopie seines Arbeitsbuches (ohne Übersetzung) sowie eine Kopie der Geburtsurkunde der Mutter X. T2. mit der No. 00000 ohne Ausstellungsdatum, ausgestellt vom Standesamt der T3. Rayonabteilung, beigefügt. In der Urkunde sind als Mutter H2. T2. und als Vater O1. B1. N1. angegeben. Ferner wurden verschiedene Archivunterlagen über den angeblichen Großvater O. N1. , u.a. eine Rehabilitationsbescheinigung vom 10.06.2016, übersandt.
7Auf Anforderung des Bundesverwaltungsamts legte der Kläger mit Schreiben vom 08.06.2018 weitere Dokumente, insbesondere eine Kopie seiner Geburtsurkunde vom 14.10.1952, den Inlandspass vom 25.12.2002, eine Übersetzung eines Auszugs seines Arbeitsbuchs über die Tätigkeit bei der Staatsanwaltschaft und eine ärztliche Bescheinigung der Stadtpoliklinik Nr. 1 der Stadt Barnaul über das Bestehen einer Unfähigkeit zur Ablegung eines deutschen Sprachtests wegen Schwerhörigkeit vom 03.05.2018 vor. In der Geburtsurkunde sind seine Eltern beide mit der russischen Nationalität eingetragen.
8Das BVA wies mit Schreiben vom 02.07.2018 darauf hin, dass die Schwerhörigkeit möglicherweise mit einem Hörgerät behoben werden und bei Ablegung der Prüfung berücksichtigt werden könne. Mit Schreiben vom 20.07.2018 übersandte der Kläger daraufhin ein weiteres ärztliches Attest der Stadtpoliklinik Nr. 0 vom 11.07.2018 mit dem Inhalt, dass er wegen einer chronisch progedienten Hirndurchblutungsstörung und anderer Erkrankungen nicht am Sprachtest teilnehmen könne, sowie weitere Unterlagen. Beigefügt war u.a. eine Geburtsurkunde des Sohnes G. vom 03.12.1975, in der der Kläger mit russischer Nationalität eingetragen ist.
9Das BVA wies den Kläger mit Schreiben vom 03.08.2018 darauf hin, dass es noch an einem Bekenntnis des Klägers zum deutschen Volkstum fehle. Dieses könne durch eine Änderung der Nationalitätseintragung in den Geburtsurkunden der Kinder von „Russisch“ in „Deutsch“ erbracht werden.
10Daraufhin legte der Kläger eine weitere ärztliche Bescheinigung vom 17.12.2018 zu seinem Gesundheitszustand sowie eine Bescheinigung der Standesamtsabteilung des Justizministeriums der Altairegion vom 05.12.2018 vor. Danach wurde der Antrag des Klägers auf Änderung seiner Nationalität in seiner Heirats- und Scheidungsurkunde von „Russisch“ in „Deutsch“ abgelehnt, weil die deutsche Nationalität der Eltern in der Eintragung seiner Geburt fehle. Schließlich übersandte der Kläger eine Namensänderungsurkunde vom 28.11.2018. Darin wird bescheinigt, dass der Nachname des Klägers von „T1. “ in „N1. “ geändert wurde. Außerdem ist in der Urkunde die Nationalität „Deutsch“ angegeben.
11Durch Bescheid des Bundesverwaltungsamts vom 18.02.2019 wurde der Aufnahmeantrag abgelehnt. In der Begründung wurde ausgeführt, dass der Kläger kein deutscher Volkszugehöriger sei, weil er eine Abstammung von deutschen Staatsangehörigen oder deutschen Volkszugehörigen nicht nachgewiesen habe.
12Seine Mutter, die im Jahr 1920 geborene X. T1. , sei keine deutsche Volkszugehörige gewesen. Es sei nicht erkennbar, dass diese sich zum maßgeblichen Zeitpunkt im Jahr 1941 zum deutschen Volkstum bekannt habe. In der Geburtsurkunde des Klägers aus dem Jahr 1952 sei die Mutter mit der russischen Volkszugehörigkeit eingetragen. Die Mutter sei auch nicht von den gegen die Deutschen gerichteten Vertreibungsmaßnahmen betroffen gewesen. Während der Großvater mit seiner zweiten Ehefrau und den Kindern aus der zweiten Ehe aus der Stadt Wolsk in das Gebiet Pawlodar umgesiedelt worden sei, sei die Mutter als Tochter aus der ersten Ehe des Großvaters in der Stadt Wolsk wohnhaft geblieben, habe dort im Jahr 1945 studiert und später an der Hochschule als Dozentin gearbeitet. Dies lasse den Schluss zu, dass sie sich in den amtlichen Dokumenten nicht zur deutschen Nationalität bekannt habe. Der Großvater könne bei der Prüfung der Abstammung keine Berücksichtigung finden, da es auf die Generation ankomme, die im Jahr 1941 bekenntnisfähig gewesen sei.
13Über die Einbeziehung der Kinder und des Enkelkindes des Klägers wurde ausdrücklich nicht entschieden.
14Gegen den Bescheid legte der Kläger mit Schreiben vom 22.02.2019 am 28.02.2019 Widerspruch ein. Er erklärte, er habe durch ein russisches Gericht feststellen lassen, dass seine Mutter deutscher Nationalität gewesen sei. Auch der Großvater, O. N1. , sei Deutscher gewesen.
15In einem weiteren Schreiben vom 23.05.2019 trug er vor, seine Mutter habe seinen Vater im Jahr 1939 in der Stadt Jaroslawl kennengelernt, als dieser gerade eine militärische Ausbildung absolviert habe. Wegen der Gefahr der Verdächtigung als Spionin habe seine Mutter die deutsche Herkunft verbergen müssen. Im März 1941 habe sein Vater die Ausbildung beendet und sei als Quartiermeister in eine Dienststelle des Militärs in der West-Ukraine geschickt worden. Seine Mutter sei ihm gefolgt. Im April 1941 hätten seine Eltern in der Stadt Kremenez, Gebiet Ternopol geheiratet und seien dann in die westukrainische Stadt Ostrog gezogen, wo sie in einer Unterkunft der Militäreinheit des Vaters gelebt hätten. Im Juni 1941 sei das Gebiet der Stadt Ostrog von der deutschen Wehrmacht erobert worden. Die Mutter sei zusammen mit anderen Ehefrauen der Militärangehörigen evakuiert worden und habe überlebt. Ihre deutsche Nationalität ergebe sich auch aus den vorgelegten Archivunterlagen des Großvaters (Archivsache Nr. X-00000 von 1949). Dort werde sie unter der Ziff. 13 als Tochter des O. N1. aus erster Ehe aufgeführt. Außerdem werde sie in der Autobiographie des O1. N1. erwähnt.
16Der Großvater, O1. N1. , sei am 11.09.1941 aus der Stadt Wolsk des Gebietes Saratow vertrieben worden. Am 22.09.1941 sei er in einer Sondersiedlung im Bezirk Karaganda der kasachischen SSR angekommen. Am 19.01.1942 sei er für die Arbeitsarmee mobilisiert worden und in die Stadt Nishni Tagil im Gebiet Swerdlowsk geschickt worden. Am 06.1.1947 sei er erneut in eine Sondersiedlung in der Stadt Karaganda verbannt worden und im Jahr 1954 sei er in eine Sondersiedlung in der Altairegion geschickt worden, wo er am 00.00.1979 im Dorf M. des Bezirks Pawlowski gestorben sei.
17Mit dem Schreiben wurde eine beglaubigte Kopie eines Beschlusses des Leninskij Bezirksgerichts der Stadt Barnaul vom 02.07.2019 mit einer deutschen Übersetzung vorgelegt. Darin wurde das zuständige Standesamt verpflichtet, die Eintragungen in das Heiratsregister von 1973 über die Eheschließung des Klägers dahingehend zu verändern, dass anstelle der russischen die deutsche Nationalität des Klägers angegeben wird. Zur Begründung wurde darauf hingewiesen, dass der Kläger keine Möglichkeit gehabt habe, bei der Ausstellung seines Inlandspasses die deutsche Nationalität zu wählen, weil die Nationalität beider Eltern in der Geburtsurkunde mit „Russisch“ angegeben war. Da dies dem verfassungsrechtlichen Anspruch auf freie Wahl der Nationalität widerspreche und der Kläger die Änderung für die Übersiedlung in die BRD benötige, sei das Register entsprechend zu ändern.
18In Anschluss legte der Kläger die Geburtsurkunden seines Sohnes H1. vom 10.04.2019 sowie seines Sohnes G. vom 16.04.2019 und der Tochter W. vom 13.04.2019 vor, in denen er nun mit deutscher Nationalität eingetragen ist.
19Mit Widerspruchsbescheid vom 13.06.2019 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. In der Begründung wurde ausgeführt, der Kläger habe keinen Nachweis über die Abstammung von deutschen Personen geführt. Insoweit komme es allein auf die Volkzugehörigkeit seiner Mutter an, da diese vor dem 01.01.1924 geboren sei. In der Geburtsurkunde werde die Mutter mit der russischen Volkszugehörigkeit geführt. Die Änderung der Nationalität des Klägers in seinen Personenstandsurkunden ändere daran nichts. Die Mutter sei von dem für Deutsche üblichen Vertreibungsschicksal verschont geblieben. Sie habe auch im maßgeblichen Zeitpunkt im September 1941, als der Großvater deportiert worden sei, mit diesem nicht mehr in einem Haushalt gelebt.
20Hiergegen hat der Kläger am 08.07.2019 Klage erhoben, mit der er seinen Anspruch auf Aufnahme als Spätaussiedler und Einbeziehung seiner Kinder H3. , G. , W. und seiner Enkeltochter N. -T. weiterverfolgt.
21Zur Begründung der Klage beruft sich der Kläger im Wesentlichen auf seine Angaben im Verwaltungsverfahren und die darin vorgelegten Unterlagen, die die deutsche Volkszugehörigkeit seiner Mutter und seines Großvaters belegen sollen.
22Seine Herkunft werde auch belegt durch die schriftstellerische Arbeit, die er und seine Kinder bisher geleistet hätten. Sie hätten bisher mehr als 40 Bücher und zwei Enzyklopädien über die tragische Geschichte der Deutschen und anderer Völker geschrieben, die in der Sowjetunion seit der Machtergreifung der Bolschewiken 1917 nach Sibirien und in das Altai-Gebiet verbannt worden seien.
23Mit der Klage legt der Kläger weitere Dokumente vor, u.a. die Heiratsurkunde seiner Eltern von 1941, eine Archivbescheinigung der Hauptverwaltung des Ministeriums für innere Angelegenheiten der russischen Föderation für die Altairegion vom 24.06.2019 über den Großvater O. N1. (mit teilweise abweichenden Angaben zum Aufenthalt des O. N1. in der Zeit von 1941 – 1956) und eine Übersicht über die herausgegebenen Bücher.
24Der Kläger erklärt, er sei seit 2016 schwer an Krebs erkrankt, habe sich 2019 einer schweren Operation des Bauchraumes unterziehen müssen und sei in der Chemotherapie. Da sich sein Gesundheitszustand rapide verschlechtere, bitte er um eine baldige Entscheidung. Eine Bescheinigung der Stadtpoliklinik Nr. 0 der Stadt Barnaul vom 02.10.2019 war beigefügt. Darin wurde neben der Krebserkrankung und weiteren Erkrankungen bescheinigt, dass der Kläger wegen der Erkrankungen den Sprachtest auf unbestimmte Zeit nicht ablegen könne. In einer weiteren Bescheinigung vom 23.09.2019 wurde dem Kläger unbefristet die „zweite Stufe“ der Invalidität wegen einer „Allgemeinerkrankung“ bestätigt.
25Der Kläger beantragt,
26die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesverwaltungsamts vom
2718.02.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.06.2019 zu verpflichten, ihm einen Aufnahmebescheid als Spätaussiedler gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 BVFG zu erteilen und die Kinder H1. , G. , W. und das Enkelkind N. -T. in diesen einzubeziehen.
28Die Beklagte beantragt,
29die Klage abzuweisen.
30Sie beruft sich auf die Begründung der angefochtenen Bescheide und führt ergänzend aus, der Kläger habe die Abstammung von deutschen Volkszugehörigen nicht nachgewiesen. Die deutsche Volkszugehörigkeit seiner Mutter X. T1. , geb. T2. , richte sich nach § 6 Abs. 1 BVFG. Sie erfordere ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum im maßgeblichen Zeitpunkt, dem 21.06.1941. Ein Bekenntnis der Mutter zur deutschen Nationalität sei nicht ersichtlich. Sie werde in allen Dokumenten als Russin geführt.
31Der Kläger könne seine deutsche Abstammung auch nicht von seinem vermeintlichen Großvater, O. N1. , ableiten. Die deutsche Volkszugehörigkeit des O. N1. unterstellt, lägen keine belastbaren Belege dafür vor, dass die Mutter des Klägers tatsächlich von O. N2. abstamme. Die vorgelegte Geburtsurkunde sei nicht im Geburtsjahr 1920 ausgestellt, sondern nachträglich in den 30er Jahren. Die Urkunde weise außerdem Auffälligkeiten auf. Insbesondere unterscheide sich das Schriftbild in der Spalte, die für die Eintragung des Vaters vorgesehen sei, deutlich von der Schrift in den anderen Teilen der Urkunde. Außerdem sei ungewöhnlich, dass die Mutter des Klägers den Familiennamen ihrer Mutter, T2. , trage, und nicht den Familiennamen des Vaters, N1. , obwohl sie angeblich aus der ersten Ehe des Großvaters mit Frau H2. T2. stamme.
32Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und den von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgang sowie alle vom Kläger eingereichten Unterlagen Bezug genommen.
33E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
34Das Gericht kann ohne mündliche Verhandlung über die Klage entscheiden, da die Beteiligten sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt haben, § 101 Abs. VwGO.
35Bei der Auslegung der Klageschrift vom 05.07.2019 ist davon auszugehen, dass nur der „Kläger zu 1.“, B. N1. , die Klage erhebt und die Verpflichtung der Beklagten zur Erteilung eines Aufnahmebescheides und die Einbeziehung seiner Kinder und des Enkelkindes beantragt. Zwar sind auch die Kinder des Klägers und das Enkelkind N. -T. selbst als Kläger zu 2. bis 5. aufgeführt. Es ist jedoch nicht erkennbar, dass auch die Kinder und das Enkelkind im eigenen Namen einen Einbeziehungsanspruch geltend machen wollen. Die Klage ist nicht von ihnen unterschrieben. Vielmehr steht am Ende der Klageschrift unter der Unterschrift des Klägers: „Kläger – B. N1. “. Dies deutet darauf hin, dass nur der Kläger die Klage erheben will. Auch hat der Kläger keine Vollmacht der übrigen Kläger vorgelegt, um diese im Klageverfahren zu vertreten. Der Klageantrag kann dahingehend verstanden werden, dass nur der Kläger die Einbeziehung seiner Kinder beantragt. In der Klageschrift heißt es: „Die Familienangehörigen sind einzubeziehen.“ Rechtlich wäre eine Klage der Kinder und des Enkelkindes von vornherein unzulässig, weil der Anspruch auf Einbeziehung nur dem Spätaussiedler zusteht, nicht den Familienangehörigen. Auch dies spricht dafür, den Kläger B. N1. als alleinigen Kläger anzusehen.
36Die Klage ist, soweit der Kläger seine Aufnahme als Spätaussiedler beantragt hat, zulässig, aber unbegründet. Der Bescheid des Bundesverwaltungsamts vom 18.02.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.06.2019 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung eines Aufnahmebescheides als Spätaussiedler.
37Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 BVFG wird der Aufnahmebescheid auf Antrag Personen mit Wohnsitz in den Aussiedlungsgebieten erteilt, die nach Begründung des ständigen Aufenthalts im Geltungsbereich des Gesetzes die Voraussetzungen des § 4 BVFG als Spätaussiedler erfüllen. Der Kläger erfüllt nicht die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 BVFG für die Spätaussiedlereigenschaft. Der im Jahr 1952 geborene Kläger hatte im Mai 1945 keinen Wohnsitz im Aussiedlungsgebiet (Nr. 1). Er ist nicht selbst vertrieben worden und kann sich auch nicht auf eine Vertreibung eines Elternteils wegen deutscher Volkszugehörigkeit berufen (Nr. 2). Er kann daher nur auf der Grundlage von § 4 Abs. 1 Nr. 3 BVFG Spätaussiedler sein. Das setzt voraus, dass er deutscher Volkszugehöriger im Sinne des § 6 Abs. 2 BVFG ist und von einem deutschen Staatsangehörigen oder deutschen Volkszugehörigen abstammt, der zu dem nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 BVFG maßgeblichen Stichtag, also am 8. Mai 1945 oder am 31. März 1952 im Aussiedlungsgebiet gelebt hat,
38vgl. BVerwG, Urteil vom 29.10.2019 – 1 C 43.18 – ; VG Köln, Urteil vom 03.03.2020 – 7 K 5609/17 – .
39Der Kläger kann sich nicht auf die Abstammung von einem deutschen Staatsangehörigen oder deutschen Volkszugehörigen berufen, bei dem die Stichtagsvoraussetzungen des § 4 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 BVFG vorliegen. Als Bezugspersonen für die Abstammung von deutschen Personen kommen nur die Mutter des Klägers, die am 00.00.1920 geborene X. T1. , geb. T2. sowie Herr O. B1. N1. , geb. am 00.00.1902, in Betracht, den der Kläger als seinen Großvater bezeichnet.
40Die Mutter des Klägers erfüllt zwar die Stichtagsvoraussetzungen, da sie am 8. Mai 1945 im Aussiedlungsgebiet lebte. Es gibt aber keine Anhaltspunkte dafür, dass die Mutter des Klägers die deutsche Staatsangehörigkeit erworben hat. Es lässt sich auch nicht feststellen, dass sie eine deutsche Volkszugehörige war.
41Welche Anforderungen an die deutsche Volkszugehörigkeit der Bezugsperson zu stellen sind, von der die Abstammung abgeleitet wird, richtet sich nach der Rechtslage im Zeitpunkt der Geburt des Aufnahmebewerbers und ist keinen Veränderungen im weiteren Zeitverlauf zugänglich,
42vgl. BVerwG, Urteil vom 29.10.2019 – 1 C 43.18 – juris, Rn. 25 ff.; OVG NRW, Urteil vom 13.11.2019 – 11 A 648/18 –; VG Köln, Urteil vom 03.03.2019– 7 K 5609/17 – .
43Im Zeitpunkt der Geburt des Klägers am 13.09.1952 war das Gesetz über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge (Bundesvertriebenengesetz) vom 19.05.1953 noch nicht in Kraft getreten. Jedoch ist § 6 BVFG in der Fassung von 1953 nach der Rechtsprechung der Kammer auch für die Beurteilung der Volkszugehörigkeit des Klägers heranzuziehen. Denn sie beruht auf der im Zeitpunkt des Zweiten Weltkriegs und danach geltenden Auffassung über die Merkmale der deutschen Volkszugehörigkeit, die Anknüpfungspunkt für die Vertreibung der deutschen Volksgruppe war,
44vgl. VG Köln, Urteil vom 21.04.2020 – 7 K 1772/18 – .
45Die Fassung von § 6 BVFG 1953 ist identisch mit § 6 Abs. 1 BVFG in der jetzt geltenden Fassung des Änderungsgesetzes vom 20.11.2015 (BGBl. I S. 2010). Danach ist deutscher Volkszugehöriger, wer sich in seiner Heimat zum deutschen Volkstum bekannt hat, sofern dieses Bekenntnis durch bestimmte Merkmale wie Abstammung, Sprache, Erziehung und Kultur bestätigt wurde.
46Ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum besteht in dem von einem entsprechenden Bewusstsein getragenen, nach außen hin verbindlich geäußerten Willen, Angehöriger des deutschen Volkes als einer national geprägten Kulturgemeinschaft zu sein und keinem anderen Volkstum anzugehören. Das Bekenntnis kann durch eine ausdrückliche Erklärung oder durch ein schlüssiges Gesamtverhalten erfolgen, wobei auch das Vorliegen der genannten Bestätigungsmerkmale (Abstammung, Sprache, Erziehung und Kultur) eine Bedeutung als Indiz für ein Bekenntnis hat,
47vgl. BVerwG, Urteile vom 17.10.1989 – 9 C 18.89 – und vom 13.06.1995– 9 C 293.94 – .
48Hierbei musste das Bekenntnis in einem Zeitraum bis kurz vor Beginn der allgemeinen, kriegsbedingten Vertreibungsmaßnahmen gegenüber der deutschen Bevölkerungsgruppe abgelegt worden sein. Denn in diesem Fall bestand die Möglichkeit, dass die betreffende Person von den sowjetischen Behörden der deutschen Bevölkerungsgruppe zugeordnet wurde und deshalb von den einsetzenden Verfolgungs- und Vertreibungsmaßnahmen betroffen war. Nach dem Beginn der Verfolgungsmaßnahmen wurde ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum wegen der damit verbundenen Gefahren für Leib und Leben nicht mehr als zumutbar angesehen; sogar ein Gegenbekenntnis zu einem fremden Volkstum war nach Beginn der Verfolgungsmaßnahmen nicht mehr relevant.
49Grundsätzlich ist der maßgebende Zeitpunkt für den Beginn der Vertreibungsmaßnahmen der 22.06.19941, also der Zeitpunkt des Überfalls der deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion. Zu diesem Zeitpunkt befand sich die Mutter des Klägers nach seinen Angaben im Widerspruchsverfahren in der Stadt Ostrog im westlich vom Djnepr gelegenen Teil der Ukraine, der bereits im Juni 1941 von deutschen Truppen erobert wurde.
50Es gibt keinerlei Hinweise auf ein Bekenntnis der Mutter des Klägers zum deutschen Volkstum. In der Geburtsurkunde des Klägers von 1952 ist die Mutter mit der russischen Nationalität eingetragen. Auch wenn dies nicht relevant ist, so gibt es jedoch auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Mutter sich vor dem Krieg erkennbar der deutschen Volksgruppe zugerechnet hat und dies nach außen verbindlich erklärt hat. Der Kläger gibt selbst an, seine Mutter sei bereits im Jahr 1939 mit ihrem Vater liiert gewesen, der eine militärische Ausbildung absolviert habe. Im Jahr 1941 habe sie ihn noch vor dem Überfall der deutschen Truppen geheiratet. Aus diesem Grund habe sie ihre deutsche Volkszugehörigkeit verbergen müssen, um nicht als Spionin verhaftet zu werden. Sie sei kurz vor dem Einmarsch der Wehrmacht in die Westukraine zusammen mit anderen Ehefrauen der Militäreinheit evakuiert worden. Daraus ist abzuleiten, dass sie sich selbst nicht als deutsche Volkszugehörige erklärt hat und auch von den zuständigen Stellen nicht als deutsche Volkszugehörige eingestuft worden ist. Andernfalls hätte sie nicht nach dem Krieg an ihrem Heimatort in Jaroslawl studieren können und später nicht in Wolsk in der Ukraine als Dozentin arbeiten können. Das fehlende Vertreibungsschicksal bestätigt somit das fehlende Bekenntnis zum deutschen Volkstum.
51Es liegen keine Personenstandsurkunden der Mutter aus dieser Zeit vor. In der im Klageverfahren vorgelegten Heiratsurkunde der Eltern über die Eheschließung im Jahr 1941 ist keine Volkszugehörigkeit eingetragen. Es sind auch keine objektiv vorhandenen Merkmale vorhanden, die eine Indizwirkung für ein Bekenntnis der Mutter entfalten würden. Die Mutter führte vor der Heirat den russischen Nachnamen ihrer Mutter, T2. , und nicht den deutschen Namen N1. ihres vermeintlichen Vaters. Es ist nicht mehr feststellbar, ob sie die deutsche Sprache beherrschte. Die Angabe des Klägers, sie habe Deutsch gesprochen und ihm die Sprache in der Kindheit vermittelt, ist nicht nachvollziehbar, da der Kläger nach eigenen Angaben trotz diverser Sprachkurse jetzt kein Deutsch spricht.
52Die Mutter stammt aus dem Dorf T3. im Gebiet Iwanowo, das sich ca. 300 km nordöstlich von Moskau in Zentralrussland befindet. Es gibt keine Hinweise darauf, dass es sich hierbei um ein deutsches Siedlungsgebiet gehandelt hat.
53Auch die Abstammung der Mutter hat keine Indizwirkung für ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum. Nach den Angaben des Klägers stammt die Mutter von H2. T2. und O. N1. ab. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass H2. T2. eine deutsche Volkszugehörige war. Demnach stammte die Mutter, eine deutsche Volkszugehörigkeit von O. N1. unterstellt, aus einer gemischt-nationalen Ehe. In diesem Fall kommt der Abstammung keine Indizwirkung für die nationale Zugehörigkeit des Abkömmlings zu, da sie sich sowohl nach der Nationalität der Mutter als auch nach der Nationalität des Vaters richten kann,
54vgl. von Schenkckendorff, Vertriebenenrecht, Loseblattsammlung, Stand: 06/2014, § 6 BVFG n.F., Rn. 35.
55Es gibt auch keinerlei Hinweise darauf, dass die Mutter des Klägers eine deutsche Erziehung erhalten hat oder deutsche Gebräuche gepflegt hat, zumal völlig unklar ist, ob sie jemals mit O. N1. zusammengelebt hat.
56Soweit der Kläger vorträgt, ein Bekenntnis der Mutter zum deutschen Volkstum sei ihr auch schon vor 1941 nicht zumutbar gewesen, weil sie wegen der Verbindung mit einem russischen Militärangehörigen unter den Verdacht der Spionage hätte geraten können, kann dem nicht gefolgt werden. Die deutschen Volkszugehörigen standen vor dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf die UdSSR im Juni 1941 nicht unter einem Generalverdacht. Dies wird bereits durch die Tatsache gestützt, dass viele deutsche Volkszugehörige bis Juni 1941 in der Roten Armee gedient haben. Erst ab Oktober 1941 wurden sie aus der sowjetischen Armee entfernt und zur Trudarmee (= Arbeitsarmee) eingezogen,
57vgl. Alfred Eisfeld, „Die Entwicklung in Russland und in der Sowjetunion“, in: Informationen zur politischen Bildung Nr. 267/2000, S. 21.
58Der Kläger kann sich auch nicht auf die Abstammung von Herrn O. N1. berufen. Das Gericht ist nicht davon überzeugt, dass die Mutter des Klägers, X. T2. , tatsächlich die leibliche Tochter von O. N1. ist. Die hierzu vorgelegten Urkunden und Dokumente sind nicht dazu geeignet, die biologische Abstammung zu beweisen. Weder die im Original vorgelegte Geburtsurkunde der Mutter (Bl. 36 d.A.) noch die mit dem Aufnahmeantrag vorgelegten Archivunterlagen, in denen die Mutter als Tochter aus der ersten Ehe von O. N1. erwähnt wird, können Beweis über die Vaterschaft erbringen.
59Nach § 98 VwGO in Verbindung mit § 438 Abs. 1 ZPO ist in jedem Einzelfall zu ermessen, ob Urkunden, die von einer ausländischen Behörde oder von einer mit öffentlichem Glauben versehenen Person erstellt wurde, ohne näheren Nachweis als echt anzusehen sind. Im Fall der Echtheit kommt ihnen dieselbe Beweisfunktion zu wie inländischen Urkunden. Sie sind nur dann nicht beweisgeeignet, wenn konkrete Anhaltspunkte gegen ihre Echtheit oder ihre inhaltliche Richtigkeit sprechen. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass in den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion die Beschaffung gefälschter oder inhaltlich unrichtiger Urkunden ohne weiteres möglich ist und auch in den bei den Verwaltungsgerichten anhängigen Verfahren häufig zu beobachten ist,
60vgl. OVG NRW, Urteile vom 03.07.2014 – 11 A 166/13 – und vom 22.02.2017 – 11 A 1298/15 – .
61In der Russischen Föderation ist es insbesondere möglich, Personenstands- und andere Urkunden zu kaufen, wie z.B. Staatsangehörigkeitsausweise, Geburts- und Heiratsurkunden, Vorladungen, Haftbefehle und Gerichtsurteile. Häufig sind die Fälschungen primitiv und leicht zu identifizieren. Daneben gibt es aber auch Fälschungen, die auf Originalvordrucken professionell hergestellt wurden sowie echte Dokumente mit echten Stempeln und Unterschriften, aber mit falschem Inhalt,
62vgl. OVG NRW, Urteil vom 27.02.2019 – 19 A 1999/16 – juris, Rn. 43.
63Vor diesem Hintergrund ist an den Beweiswert von Urkunden aus den Aussiedlungsgebieten ein strenger Maßstab anzulegen und eine präzise und widerspruchsfreie Darlegung der familiären Verhältnisse zu verlangen. Diese Anforderungen erfüllen die vom Kläger vorgelegten Unterlagen und sein diesbezüglicher Vortrag nicht.
64Die Geburtsurkunde der Mutter des Klägers mit der No. 00000 ist nicht beweisgeeignet. Sie wurde nicht im Geburtsjahr 1920 ausgestellt, sondern zu einem späteren Zeitpunkt, der nicht aus der Urkunde hervorgeht. Jedenfalls wurde die Urkunde auf einem Formular der 1930er Jahre erstellt. Das Schriftbild in der Zeile mit den Angaben zum Vater weicht erkennbar vom Schriftbild der übrigen Urkunde ab. Die Eintragungen sind kräftiger und nicht so flüssig wie die anderen Angaben. Sie erwecken daher den Eindruck, dass der Vater nachträglich eingetragen wurde. Der Kläger konnte hierzu keine zweckdienlichen Erklärungen abgeben.
65Er hat auch keine Urkunden oder andere Beweismittel dafür vorgelegt, dass die in der Urkunde angegebenen Eltern der Mutter im Zeitpunkt der Geburt verheiratet waren. Eine Heiratsurkunde wurde nicht übersandt. Es gibt demnach keinerlei beweiskräftigen Belege für die Behauptung, die Mutter des Klägers stamme aus der ersten Ehe von O. N1. . Auch fehlen nachvollziehbare Angaben darüber, wie die aus unterschiedlichen Gebieten in Russland stammenden Personen (Vater: Saratowgebiet, Mutter: Iwanowogebiet) sich überhaupt kennengelernt haben, wann die Eheschließung erfolgte, ob und wie lang sie zusammengelebt haben und wann die Ehe wieder geschieden wurde.
66Gegen eine Eheschließung von O. N1. mit H2. T2. spricht auch der Umstand, dass O. N1. zu diesem Zeitpunkt nach den Angaben in der vorgelegten „Autobiographie“ seinen Militärdienst in der „Tschapajew-Division“ absolviert hat (von 1919 bis 1924) und bei der Geburt der vermeintlichen Tochter im Jahr 1920 erst 18 Jahre alt war. Nach dem Militärdienst ist O. N1. im Jahr 1924 wieder in die Stadt Wolsk zurückgekehrt, um dort zu arbeiten und zu leben, wie sich ebenfalls aus der „Autobiographie“ ergibt. Es wird nicht erwähnt, wo die vermeintliche Ehefrau mit ihrer Tochter X. blieb. Nach den Angaben des Klägers war X. T2. im Jahr 1939 Schülerin des Pädagogischen Instituts in Jaroslawl, das seinerzeit noch zum Gebiet Iwanowo gehörte. Demnach lebte sie also 1939 nicht beim vermeintlichen Vater O. in Wolsk im Saratowgebiet. Es spricht also viel dafür, dass X. T2. seit ihrer Geburt mit ihrer Mutter im Dorf T3. im Iwanowo-Gebiet wohnte.
67Einen Beweis für die Vaterschaft von O. N1. bezüglich X. T2. ergibt sich auch nicht aus den übersandten Archivunterlagen. Zwar befindet sich im Fragebogen zur Registrierungskategorie „Deutsche, Aussiedler“ der Sonderkommandantur des MIA Nr. 000 der Stadt Karaganda vom 8. März 1949 betreffend den Aussiedler N1. , O. B1. in der Zeile 00 die Eintragung „Ersteheliche Tochter T2. X. O2. mit dem Mannesnamen Stadt Wolsk“. Auf der vorgelegten Kopie des Originaldokuments in russischer Sprache befindet sich jedoch in der Zeile 00 ein deutlich erkennbares schwarzes Feld mit kaum leserlicher Schrift, das auf eine nachträgliche Veränderung des Dokumentes, z.B. durch Überkleben, hindeutet.
68Auch in der handschriftlichen „Autobiographie“ von O. N1. sind im Abschnitt mit der Angabe „Im Jahre 1920 wurde die Tochter T2. X. O2. von meiner ersten Ehefrau T2. H2. Q. in der Stadt T3. des Gebietes Iwanowo geboren.“ Besonderheiten erkennbar. In der russisch-sprachigen Vorlage des handgeschriebenen Textes befindet sich der vorgenannte Satz auf einem erkennbar helleren Hintergrund als der übrige Text, der auch im weiteren Vorlauf noch eine Lücke aufweist. Auch inhaltlich ist der Text lückenhaft, da er zum Zeitraum vom 19.01.1942 bis zur Verfassung des Schreibens am 17.02.1953 keine Angaben enthält. Es kann deshalb nicht ausgeschlossen werden, dass auch dieses Dokument nachträglich manipuliert wurde.
69Schließlich kann auch der Umzug der Mutter der Klägerin im Jahr 1964 in die Stadt Barnaul in die Altairegion keinen Beweis für die Verwandtschaft zu O. N1. erbringen. Zwar hat dieser nach den Angaben des Klägers von 1954 bis zu seinem Tod im Jahr 1979 im Pawlowsk Kreis in der Altairegion, nicht weit entfernt von Barnaul gewohnt. Es gibt jedoch keine Belege für verwandtschaftliche Kontakte mit dem vermeintlichen Vater oder seinen Nachkommen.
70Vor dem Hintergrund, dass der Kläger im Aufnahmeantrag die Eintragung der russischen Nationalität in den vormaligen Inlandspässen seiner eigenen Person sowie seiner Eltern bewusst verschwiegen hat, und den Auffälligkeiten in den vorgelegten Urkunden kann seinen Aussagen zur Herkunft seiner Mutter kein Glauben geschenkt werden.
71Darüber hinaus erfüllt der Kläger auch nicht die Anforderungen an die deutsche Sprache. Er kann nach eigenen Angaben kein einfaches Gespräch auf Deutsch führen. Ob die Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 Satz 3 BVFG vorliegen, wonach auf die Sprachkenntnisse verzichtet werden kann, wenn der Bewerber diese aufgrund einer Krankheit nicht besitzen kann, ist fraglich. Die vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen erschöpfen sich in der Aufzählung verschiedener, auch schwerer, Diagnosen. Die abschließende Feststellung, dass der Kläger den Sprachtest derzeit und auf unbestimmte Zeit nicht ablegen könne, enthält keine Begründung. Insbesondere trifft sie nur eine Aussage zu der Frage, ob der Kläger zu einer Teilnahme am Sprachtest fähig ist, aber keine aussagekräftige Feststellung zu der Frage, ob der Kläger krankheitsbedingt keine deutschen Sprachkenntnisse erwerben kann,
72vgl. VG Köln, Urteile vom 18.08.2020 – 7 K 7730/20 – und vom 10.09.2019– 7 K 11067/16 - ; sowie Urteil vom 21.08.2019 – 10 K 5308/17 – .
73Diese Frage kann jedoch letztlich offen bleiben, da der Kläger jedenfalls eine Abstammung von deutschen Staatsangehörigen oder Volkszugehörigen nicht belegen kann. Ein einwandfreier Nachweis der Abstammungslinie oder zumindest eine schlüssige und lückenlose Darlegung der Familiengeschichte kann auch durch ein besonderes Interesse und die Verfassung von Büchern über die Geschichte der deutschen Sondersiedler im Altaigebiet durch den Kläger nicht ersetzt werden.
74Soweit der Kläger außerdem die Verpflichtung der Beklagten begehrt, seine Abkömmlinge in den Aufnahmebescheid einzubeziehen, ist die Klage bereits unzulässig. Der Kläger hat kein Rechtsschutzbedürfnis, da das Bundesverwaltungsamt den Antrag auf Einbeziehung bisher nicht abgelehnt hat. In der Begründung des Ablehnungsbescheides vom 18.02.2019 wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass über den Einbeziehungsantrag nicht entschieden wurde, und eine weitere Bearbeitung für den Fall der künftigen Erteilung eines Aufnahmebescheides an den Kläger zugesagt. Da ein Einbeziehungsbescheid nach § 27 Abs. 2 Satz 1 BVFG davon abhängt, dass der Bezugsperson, also dem Spätaussiedler, ein Aufnahmebescheid erteilt wird, hätte der Kläger die Erteilung eines Aufnahmebescheides im Klageverfahren abwarten können. In diesem Fall hätte die Beklagte automatisch die Einbeziehung der Kinder und des Enkelkindes geprüft und bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen den Bescheid erteilt. Eine Klage auf Einbeziehung der Abkömmlinge war daher im bisherigen Verfahrensstadium nicht erforderlich, um dieses Ziel zu erreichen.
75Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung, die sich nur auf die außergerichtlichen Kosten der Beklagten bezieht, ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO. Außergerichtliche Kosten der Beklagten werden in der Regel nicht oder nur in Höhe einer geringen Kostenpauschale geltend gemacht.
76Rechtsmittelbelehrung
77Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung an das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen zu, wenn sie von diesem zugelassen wird. Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn
78- 79
1. ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
- 80
2. die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
- 81
3. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
- 82
4. das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
- 83
5. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, schriftlich zu beantragen. Der Antrag auf Zulassung der Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.
85Statt in Schriftform kann die Einlegung des Antrags auf Zulassung der Berufung auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) erfolgen.
86Die Gründe, aus denen die Berufung zugelassen werden soll, sind innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils darzulegen. Die Begründung ist schriftlich oder als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der ERVV bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
87Vor dem Oberverwaltungsgericht und bei Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht eingeleitet wird, muss sich jeder Beteiligte durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Als Prozessbevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen, für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts auch eigene Beschäftigte oder Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts mit Befähigung zum Richteramt zugelassen. Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung im Übrigen bezeichneten ihnen kraft Gesetzes gleichgestellten Personen zugelassen.
88Die Antragsschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.
89Beschluss
90Der Wert des Streitgegenstandes wird auf
9125.000,00 €
92festgesetzt.
93Gründe
94Der festgesetzte Streitwert entspricht dem gesetzlichen Auffangstreitwert in Höhe von 5.000,00 Euro im Zeitpunkt der Klageerhebung (§ 52 Abs. 2 GKG), wobei dieser mit der Anzahl der begünstigten Personen, also dem Kläger und seinen vier Abkömmlingen, multipliziert wurde.
95Rechtsmittelbelehrung
96Gegen diesen Beschluss kann schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle, Beschwerde bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln eingelegt werden.
97Statt in Schriftform kann die Einlegung der Beschwerde auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) erfolgen.
98Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, einzulegen. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
99Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt.
100Die Beschwerdeschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.
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- § 52 Abs. 2 GKG 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 55a 1x