Urteil vom Verwaltungsgericht Magdeburg (2. Kammer) - 2 A 286/12
Tatbestand
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Die Klägerin begehrt die (teilweise) Aufhebung von Grundsteuerbescheiden für das Jahr 2012 und zwar jeweils hinsichtlich des Teilbetrages, der auf der Erhöhung der Hebesätze für die Grundsteuer B im Ortsteil A-Stadt beruht.
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Die Klägerin, Betreiberin eines landwirtschaftlichen Betriebes mit Betriebsstätte im Ortsteil A-Stadt der Beklagten, ist Eigentümerin mehrerer, in der Gemarkung A-Stadt gelegener Grundstücke.
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Die früher selbstständige Gemeinde A-Stadt und ihr Ortsteil W. sind auf Grund des mit der Beklagten im Jahre 2009 geschlossenen Gebietsänderungsvertrages mit Wirkung zum 01.01.2010 in das Gemeindegebiet der Beklagten eingegliedert worden. Die kommunalaufsichtliche Genehmigung des Gebietsänderungsvertrages erging mit Bescheid des Salzlandkreises vom 24.07.2009. In Bezug auf die Fortgeltung der Steuersätze trifft der Gebietsänderungsvertrag vom 26.05.2009 in seinem § 10 folgende Regelung:
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„§ 10 Steuersätze
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Bis zum 31.12.2014 werden die in den nunmehrigen Ortsteilen A-Stadt und W. im Haushaltsjahr 2009 geltenden Steuerhebesätze beibehalten.
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Ortsteil
Grundsteuer
Gewerbesteuer
v.H.A
v.H.B
v.H.A-Stadt
280
330
280
W.
280
330
280
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§ 11 Investitionen …“-
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Bereits zu Beginn des Haushaltsjahres 2007 erhielt die Beklagte vom Land Sachsen Anhalt Bedarfszuwendungen in Höhe von 385.217,00 Euro zum Ausgleich von Soll-Fehlbeträgen in den Haushaltsjahren 2002 und 2003. Danach entspannte sich die Haushaltslage kurzfristig. Im Haushaltsjahr 2009 war die Beklagte sodann gehalten, die Gewerbesteuervorauszahlungen für die Jahre 2007 und 2008 für einen Steuerschuldner in Höhe von 613.653,00 Euro zurückerstatten und zugleich die Gewerbesteuervorauszahlungen für diesen Steuerschuldner für das Jahr 2009 entsprechend anpassen, nachdem das Finanzamt Köthen den Gewerbesteuermessbetrag für die Zwecke der Vorauszahlungen für diesen Gewerbesteuerschuldner für 2007 auf 80.510,00 Euro (Bescheid vom 07.01.2009) und für 2008 auf zunächst 56.357,00 Euro (Bescheid vom 19.01.2009) und später auf 49.451,00 Euro (Bescheid vom 13.02.2009) festgesetzt hatte. Die Mitteilungen des Finanzamtes über den geänderten Gewerbesteuermessbetrag gingen bei der Beklagten am 08.01.2009 (2007) sowie am 20.01.2009 bzw. 16.02.2009 (2008) ein. Am 25.03.2009 und 27.03.2009 erließ die Beklagte gegenüber dem betreffenden Steuerschuldner die entsprechenden Gewerbesteuerbescheide über die Anpassung der Vorauszahlung für 2007 und 2008. Insgesamt wies der Verwaltungshaushalt der Beklagten im Haushaltsjahr 2009 entgegen ihrer ursprünglichen Planung einen Fehlbetrag in Höhe von 422.700,00 Euro auf.
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In den Folgejahren vertiefte sich die Haushaltsnotlage der Beklagten und zwar zum einen wegen den (weiterhin) fehlenden Einnahmen bei der Gewerbesteuer und zum anderen wegen der Folgen des Inkrafttretens des neuen Finanzausgleichsgesetzes zum 01.01.2010. Denn Letzteres habe – so die Beklagte – dazu geführt, dass sich die Berechnungsgrundlagen für die Erhebung der Kreisumlage und der Umlage an die Verbandsgemeinde S.-W. zum Nachteil der Stadt geändert hätten und die Stadt nunmehr auch wesentlich geringere Einnahmen vom Land Sachsen-Anhalt in Form von allgemeinen Zuweisungen erhalte. Im Ergebnis dessen bestand im Haushaltsjahr 2010 ein Soll-Fehlbetrag in Höhe von 1.362.700 Euro, im Haushaltsjahr 2011 ein solcher von 676.100,00 Euro und im Haushaltsjahr 2012 ein solcher von 1.955.200,00 Euro (vgl. insgesamt: Beschlüsse zum Haushaltskonsolidierungskonzept vom 10.08.2009 [2009], 29.03.2010 [2010], 14.02.2011 [2011] und 27.02.2012 [2012], Bl. 117 ff. d. GA; Vorbericht zum Haushaltsplan 2012, Bl. 196 ff. d. GA).
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Zur Überbrückung dieser Zahlungsschwierigkeiten bewilligte das Ministerium der Finanzen (MF) der Beklagten in den Jahren 2011 und 2012 Zuweisungen aus dem Ausgleichsstock nach § 17 FAG in Höhe von 222.000,00 Euro (2011) und 695.900,00 Euro (2012). In dem hierzu u. a. ergangenen Bewilligungsbescheid vom 28.07.2011 wies das MF darauf hin, dass (auch) eine Erhöhung der Hebesätze insbesondere auf dem Gebiet der im Jahre 2010 in die Stadt C-Stadt eingegliederten Gemeinde A-Stadt geboten sei, da die Hebesätze auf dem Gebiet der ehemaligen Gemeinde deutlich unter dem Landesdurchschnitt lägen. Diesen und die weiteren Hinweise des MF griff der Salzlandkreis als Kommunalaufsicht auf und forderte die Beklagte mit Schreiben vom 30.08.2011 auf, das Haushaltskonsolidierungskonzept unter („voll umfänglicher“) Berücksichtigung dieser Hinweise fortzuschreiben und zur kommunalaufsichtlichen Prüfung vorzulegen.
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Am 28.11.2011 beschloss der Stadtrat der Beklagten eine Satzung über die Festsetzung der Steuerhebesätze und bestimmte darin die Hebesätze für das Haushaltsjahr 2012 für die Stadt C-Stadt mit den Ortsteilen A-Stadt und W. einheitlich und zwar für die Grundsteuer für die land- und forstwirtschaftlichen Betriebe (Grundsteuer A) auf 350 v. H.(ursprünglich 280 v. H.), für die Grundstücke (Grundsteuer B) auf 380 v. H. (ursprünglich 330 v. H.) und für die Gewerbesteuer auf 350 v. H. (ursprünglich 280 v. H.).
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Die Satzung wurde im Amtsblatt der Verbandsgemeinde S.-W.-B. vom 09.12.2011 veröffentlicht. Nachdem die Beklagte festgestellt hatte, dass ihr Satzungsbeschluss ergangen war, ohne den vorherigen Antrag der Fraktion Die Linke auf Zurückweisung an den Haupt-, Finanz- und Vergabeausschuss zu beachten, wurde die erforderliche Vorberatung am 27.02.2012 nachgeholt und noch am gleichen Tag der Satzungsbeschluss vom 28.11.2011 durch Beschluss des Stadtrates bestätigt. Die Veröffentlichung der Satzung auf Grund des bestätigenden Beschlusses erfolgte nach Angaben der Beklagten ebenfalls im Amtsblatt der Verbandsgemeinde S.-W.-B. sowie im Rahmen der Veröffentlichung der Haushaltssatzung für das Haushaltsjahr 2012.
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Mit Bescheiden vom 10.01.2012 zog die Beklagte die Klägerin für ihre Grundstücke zur Grundsteuer für das Jahr 2012 unter Zugrundelegung des Hebesatzes von 350 % (Grundsteuer A) und 380 % (Grundsteuer B) heran und zwar für das Grundstück „G., Flur …, Flurstück …“ (Kassenzeichen: …) in Höhe von 118,48 Euro (Erhöhung um 15,59 Euro), für das Grundstück „L.“ (Kassenzeichen: …) in Höhe von 17,48 Euro (Erhöhung um 2,30 Euro), für das Grundstück „B. 8 A-Stadt“ (Kassenzeichen: …) in Höhe von 186,50 Euro (Erhöhung um 24,54 Euro), für das Grundstück „AB… Gemarkung A-Stadt“ (Kassenzeichen: …) in Höhe von 24.690,12 Euro (Erhöhung um 4.938,02 Euro), für das Grundstück „C-Stadt, Flur …, Flurstück .. unbebautes Grundstück“ (Kassenzeichen: …) in Höhe von 23,33 Euro (Erhöhung um 3,07 Euro) und für das Grundstück „B. 9“ (Kassenzeichen: …) in Höhe von 178,71 Euro (Erhöhung um 23,51 Euro). Mit weiterem Bescheid vom 31.01.2012 setzte die Beklagte gegenüber der Klägerin die Gewerbesteuervorauszahlung für 2012 für die Betriebsstätte „B. 1a“ auf 57.071,00 Euro fest (Erhöhung zum Vorjahr um 11.414,20 Euro). Gegen sämtliche Bescheide legte die Klägerin mit Schreiben vom 07.02.2012 Widerspruch ein. Den Widerspruch gegen die Erhebung der Grundsteuer B wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 31.07.2012, der Klägerin zugestellt am 03.08.2012, zurück.
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Am 03.09.2012 hat die Klägerin gegen sämtliche Bescheide Klage erhoben, die sie im Wesentlichen wie folgt begründet:
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Die angefochtenen Steuerbescheide seien (teilweise) rechtswidrig, weil die Beklagte auf Grund § 10 des Gebietsänderungsvertrages vom 26.05.2009, der die Steuerhebesätze u. a. für den Ortsteil A-Stadt bis zum 31.12.2014 festschreibe, rechtlich gehindert gewesen sei, diese Hebesätze anzuheben und sie ihrer Höhe nach den im übrigen Gemeindegebiet der Beklagten geltenden Hebesätzen anzupassen. Der Gebietsänderungsvertrag sei wirksam, von der Kommunalaufsicht genehmigt und sehe die Möglichkeit einer nachträglichen Änderung nicht vor.
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Auch eine Vertragsänderung nach § 60 VwVfG wegen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage komme nicht in Betracht. Es fehle bereits an einer wesentlichen Änderung der maßgeblichen Verhältnisse seit Abschluss des Vertrages. Denn soweit es den geltend gemachten Gewerbesteuerausfall des vermeintlich größten Gewerbesteuerzahlers der Beklagten im Jahre 2009 betreffe, gehe die Klägerin davon aus, dass dieser Umstand beiden Vertragsparteien bei Vertragsschluss bekannt gewesen sei. Dennoch hätten sie auf die Aufnahme einer Änderungsklausel – wie etwa in § 7 Abs. 5 des Vertrages (Aufrechterhaltung gemeindlicher Einrichtungen) – verzichtet und dadurch zum Ausdruck gebracht, dass die Festschreibung der Hebesätze auch bei einer Verschlechterung der Einnahmesituation der Beklagten fortbestehen solle. Abgesehen davon würden die Angaben der Beklagten nicht ausreichen, um insoweit die Wesentlichkeit der eingetretenen Änderungen zu belegen. Im Hinblick auf die Grundsteuer habe die Beklagte Umstände, die eine Änderung der Verhältnisse belegen könnten, schon nicht vorgetragen. Dessen ungeachtet sei der Beklagten ein Festhalten an der ursprünglichen vertraglichen Regelung zumutbar. Denn es sei vorhersehbar gewesen, dass sich die seit Sommer 2007 bestehende weltweite Krisenstimmung auf die betriebswirtschaftliche Leistung und damit auch auf das Steuervolumen zeitversetzt niederschlage. Zudem sei es treuwidrig, wenn die Beklagte im Jahre 2009 den Gebietsänderungsvertrag in der vorliegenden Form abschließe und kurze Zeit später unter Hinweis auf ihre vermeintliche Notlage eine einseitige Änderung des Vertrages zu ihren Gunsten begehre. Zu berücksichtigen sei hierbei auch, dass die Genehmigung des Gebietsänderungsvertrages durch die Kommunalaufsicht erst mit Bescheid vom 24.07.2009 erfolgt und die Gebietsänderung somit erst Ende August 2009 (mit Unanfechtbarkeit des Genehmigungsbescheids) wirksam zustande gekommen sei. Jedenfalls zu diesem Zeitpunkt habe die Beklagte Kenntnis von der Haushaltsnotlage gehabt, weil sie bereits mit Beschluss vom 10.08.2009 ein entsprechendes Haushaltskonsolidierungskonzept für das Haushaltsjahr 2009 beschlossen habe. Hinzu trete, dass die Beklagte hinreichende Überlegungen, in welcher Form Einnahmen gesteigert und/oder Ausgaben gesenkt werden sollten, vor Erhöhung der Hebesätze nicht vorgenommen und offensichtlich nur auf „Druck von oben“ gehandelt habe. Zu berücksichtigen sei ferner, dass ein späterer Wegfall der Geschäftsgrundlage – diesen als gegeben unterstellt - lediglich dazu führen könne, dass die betroffene Vertragspartei ein Anpassung des Vertrages an die geänderten Verhältnisse begehren könne. Ein solches „Anpassungsverlangen“ habe die Beklagte nicht wirksam erklärt. Hierfür fehle zudem die erforderliche Genehmigung der Kommunalaufsichtsbehörde.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des klägerischen Vortrags im Klageverfahren wird gemäß § 117 Abs. 3 S. 2 VwGO auf die Schriftsätze der Prozessbevollmächtigten der Klägerin Bezug genommen.
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Nach Abtrennung der Verfahren betreffend die Grundsteuer A (Grundstück: AB… Gemarkung A-Stadt [Kassenzeichen: …] über 24.690,12 Euro) und die Gewerbesteuervorauszahlung für 2012 (Betriebsstätte B. 1a [KassenZ: ….] über 57.071,00 Euro) beantragt die Klägerin im vorliegenden Verfahren zuletzt,
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wie erkannt.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie verteidigt die angefochtenen Bescheide und tritt der Argumentation der Klägerin entgegen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, die Sitzungsniederschrift, die Verwaltungsvorgänge der Beklagten (im vorliegenden Verfahren und im Verfahren 2 A 242/12 MD) verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage hat Erfolg.
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I. Die Klage ist zulässig. Insbesondere liegt die für die Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 2 VwGO erforderliche Klagebefugnis vor, weil die Klägerin geltend machen kann, dass die mit der Satzung über die Festlegung der Steuerhebesätze vom 28.11.2011/27.02.2012 vorgenommene Erhöhung der Steuerhebesätze für den Ortsteil A-Stadt gegen § 10 der Gebietsänderungsvereinbarung vom 26.05.2009 verstoße und dadurch die Möglichkeit der Verletzung eigener Rechte im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO gegeben sei. Zwar ist die Klägerin nicht Vertragspartei des vorgenannten Gebietsänderungsvertrages, was zunächst dagegen spricht, dass sie subjektive Rechte aus dieser Vereinbarung für sich herleiten kann. Zu berücksichtigen ist hierbei jedoch, dass der in Rede stehenden Regelung über die Festschreibung der Steuerhebesätze bis zum 31.12.2014 (§ 10), die das Hebesatzrecht der Beklagten einschränkt und die als Gegenleistung dafür vereinbart worden ist, dass die Gemeinde A-Stadt ihre Selbständigkeit aufgibt, normative Wirkung zukommt. Insoweit wirkt sie erkennbar auch zugunsten der Steuerpflichtigen der eingegliederten Ortsteile A-Stadt und W. und vermittelt diesen (als Normbetroffene) ein wehrfähiges Recht im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO. Dessen ungeachtet ist die Klägerin Adressat eines belastenden Verwaltungsaktes (Erhöhung der Realsteuer) mit der Folge, dass ihr ein Abwehrrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG zusteht, wenn die der Erhöhung der Hebesätze zugrundeliegende Satzung unwirksam ist, weil sie gegen § 10 des Gebietsänderungsvertrages verstößt. Denn in diesem Fall fehlt es an einer wirksamen Rechtsgrundlage für die angefochtene Erhöhung der Realsteuer.
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II. Die Klage ist auch begründet. Die angefochtenen Steuerbescheide der Beklagten und deren Widerspruchsbescheid vom 31.07.2012 erweisen sich hinsichtlich des Teilbetrages, der auf der Erhöhung der Hebesätze beruht, als rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 S. VwGO).
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Grundlage für den in den angefochtenen Steuerbescheiden in Ansatz gebrachten (erhöhten) Steuerhebesatz ist die Satzung der Beklagten über die Festlegung der Steuerhebesätze vom 28.11.2011/ 27.02.2012, die rechtlichen Bedenken unterliegt, soweit es die durch diese Satzung für das Haushaltsjahr 2012 vorgenommene Erhöhung der Steuerhebesätze für den Ortsteil A-Stadt betrifft. Denn einer solchen Erhöhung steht § 10 des Gebietsänderungsvertrages vom 26.05.2009 entgegen.
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Nach Art. 106 Abs. 6 Grundgesetz steht das Aufkommen der Grundsteuer den Gemeinden zu. Die Gemeinden haben dabei das Recht, die Hebesätze der Grundsteuer festzusetzen. Bei der Festsetzung der Hebesätze haben die Gemeinden wegen dieser verfassungsrechtlich garantierten Steuerhoheit grundsätzlich einen weiten Ermessensspielraum, der seine Grenzen lediglich in allgemeinen Grundsätzen des Haushalts- und Steuerrechts findet (BVerwG, U. v. 11.06.1993 – 8 C 32.90 –, zitiert nach juris). Eine Beschränkung des Hebesatzrechts der Gemeinde kann sich dabei aus § 25 Abs. 4 Satz 2 GrStG ergeben, der im Falle von Gebietsänderungen nach entsprechender landesrechtlicher Gestattung die Möglichkeit eröffnet, unterschiedliche Hebesätze festzusetzen. Liegt – wie hier - eine solche landesrechtliche Gestattung vor (vgl. dazu Beschlüsse der Landesregierung vom 6. Februar 2001 [MBl. LSA 2001, 157] und vom 28. Juli 2007 [MBl. 2007, 734]) und vereinbart eine Gemeinde hiernach im Rahmen eines Gebietsänderungsvertrages unterschiedliche Hebsätze (für die eingegliederten Ortsteile zum einen und das übrige Gemeindegebiet zum anderen), so ist sie daran für die vertraglich bestimmte Zeit gebunden, wenn die Vereinbarung wirksam zustande gekommen ist (1.), eine einschränkende Auslegung des Vertragstextes nicht in Betracht kommt (2.) und der eingemeindenden Gemeinde auch ein Recht auf Vertragsanpassung entsprechend § 60 VwVfG wegen wesentlicher Veränderung der Umstände, die für diese Regelung maßgebend gewesen sind, nicht zusteht (3.).
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Diese Voraussetzungen sind hier gegeben.
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1. Der Gebietsänderungsvertrag vom 26.05.2009 ist – soweit aus den vorliegenden Unterlagen ersichtlich - wirksam zustande gekommen. Die hierfür erforderliche kommunalaufsichtliche Genehmigung erging mit Bescheid des Salzlandkreises vom 24.07.2009. Die in Rede stehende Bestimmung des Gebietsänderungsvertrages (§ 10) verstößt zudem nicht gegen ein gesetzliches Verbot im Sinne von § 59 VwVfG i.V.m. § 134 BGB entsprechend und ist daher nicht nichtig.
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Maßgeblich hierbei ist, dass sich ein gesetzliches Verbot in diesem Sinn nicht ohne Weiteres aus Rechtsvorschriften ergeben kann, sondern erst dann anzunehmen ist, wenn durch eine Rechtsnorm entweder der Abschluss eines Vertrages oder dessen Inhalt klar und unmissverständlich verboten wird. Allein ein Verstoß gegen das Gesetzmäßigkeitsprinzip ist mithin nicht ausreichend, um zugleich auch einen Verstoß gegen ein Verbotsgesetz im Sinne von § 134 BGB annehmen zu können. Andernfalls wäre die in § 59 VwVfG zum Ausdruck kommende gesetzliche Unterscheidung zwischen gesetzeswidrigen, aber gleichwohl gültigen einerseits sowie gesetzeswidrigen und deshalb nichtigen Verträgen andererseits aufgehoben (vgl. SächsOVG, B. v. 30.06.1997 – 3 S 391/97 –, SächsVBl. 4/98, S. 83 [84]).
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Dies berücksichtigend kann sich die Unwirksamkeit der hier in Rede stehenden Bestimmung des Gebietsänderungsvertrages nicht ohne Weiteres aus einer Verletzung des in § 90 bzw. § 156 Abs. 3 GO LSA enthaltenen Gebots ableiten, die Haushaltswirtschaft sparsam und wirtschaftlich zu führen und den Haushalt in jedem Haushaltsjahr auszugleichen. Denn diesem allgemeinen Haushaltsgrundsatz sind mit Blick auf das verfassungsrechtlich gewährleistete, kommunale Selbstverwaltungsrecht (Art. 28 Abs. 2 GG) und die kommunale Finanzhoheit der Gemeinden sowie das Rechtsstaatsgebot nur in Ausnahmefällen konkrete Handlungsgebote für Gemeinden zu entnehmen (vgl. SächsOVG, B. v. 04.01.2008, a. a. O., m. w. N.), d. h. grundsätzlich entscheidet die Gemeinde im Rahmen ihres weiten Gestaltungsspielraums, welche notwendigen Maßnahmen zu ergreifen sind, um den gesetzlich vorgegebenen Haushaltsausgleich zu erreichen. Daran ändert sich auch dann nichts, wenn die Finanzlage der betreffenden Gemeinde sehr angespannt und unter Umständen selbst die Erfüllung der Pflichtaufgaben nicht mehr sichergestellt ist. Denn auch dann liegt es grundsätzlich innerhalb des Gestaltungsspielraums der Gemeinde, durch ihre demokratisch gewählten Organe zu entscheiden, wie die notwendige Reduzierung freiwilliger Leistungen und die Erzielung zusätzlicher Einnahmen erfolgen soll (vgl. BVerwG, U. v. 27.10.2010 – 8 C 43/09 -: für den Fall einer kommunalaufsichtlichen Beanstandung der Senkung der Realsteuerhebsätze durch die Gemeinde bei anhaltender Haushaltsnotlage, zitiert nach juris).
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Hiervon ausgehend hatte sich die Haushaltslage der Beklagten im Zeitpunkt des Abschlusses des Gebietsänderungsvertrages am 26.05.2009 wegen des Gewerbesteuerausfalls zwar bereits in der Weise verändert, dass es eines Haushaltskonsolidierungskonzeptes bedurfte, und musste der Beklagten dieser Umstand aufgrund des Eingangs der Mitteilungen des Finanzamtes über den geänderten Gewerbesteuermessbetrag am 08.01.2009 sowie am 16.02.2009 bereits im Zeitpunkt des Abschlusses bekannt gewesen sein. Dennoch bestand – gemessen an den o. g. Grundsätzen – ein Gestaltungsspielraum der Gemeinde hinsichtlich der Art der Maßnahmen, die zu ergreifen waren, um den Haushaltsausgleich zu erreichen. Ein konkretes aus dem Haushaltgrundsatz folgendes Handlungsgebot in dem Sinne, dass von der Fortschreibung der in den eingemeindeten Ortsteilen geltenden Hebesätze bis zum 31.12.2014 zwingend abzusehen war, bestand nicht. Insofern mag die zeitlich beschränkte Aufrechterhaltung der ihrer Höhe nach unter dem Landesdurchschnitt liegenden Hebesätze für die Beklagte eine unwirtschaftliche Regelung gewesen sein. Ihre Aufnahme in den Vertrag verstößt jedoch nicht gegen ein gesetzliches Verbot im Sinne von § 59 VwVfG i.V.m. § 134 BGB entsprechend und ist daher nicht nichtig.
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2. Damit ist die Beklagte an die Vereinbarung in § 10 des Gebietsänderungsvertrages grundsätzlich gebunden (vgl. auch OVG LSA, B. v. 27.04.2012 – 4 M 75/12 -, zit. nach juris). Die Einhaltung dieser Bestimmung steht insbesondere nicht unter einem allgemeinen „Haushaltsvorbehalt“ in dem Sinne, dass sich die Beklagte durch eine einfache Rats- oder Verwaltungsentscheidung von ihr lösen könnte. Denn grundsätzlich sind auch „unwirtschaftliche“ Bestimmungen in Eingliederungsverträgen einzuhalten, soweit sie – wie hier - im Rahmen der gesetzlichen Gestaltungsfreiheit ausgehandelt wurden und wirksam sind (vgl. Gern, Deutsches Kommunalrecht, 3. Aufl., 2003, Rz. 210). Eingliederungsverträge werden gerade zu dem Zweck abgeschlossen, verbindliche Regelungen für den Fall zu treffen, dass die aufnehmende Gemeinde den Inhalt früherer Zusicherungen nicht mehr als zweckmäßig ansieht. Gerade durch ihre Bindungswirkung unterscheiden sich Eingliederungsverträge von bloßen Absichtserklärungen oder Wahlkampfversprechen. Diese Bindungswirkung entfällt nicht schon dadurch, dass eine Vertragspartei nach heutiger Interessen- oder Kenntnislage einer damals ausgehandelten Regelung vernünftigerweise nicht mehr zustimmen könnte (vgl. insg.: Sächs. OVG, B. v. 04.01.2008 - 4 BS 449/07 -; VG MD, B. v. 22.02.2012 – 9 B 30/12 MD -; jew. zit. nach juris).
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Soweit sich die Beklagte demgegenüber auf den Erlass des MI vom 14.10.2011/19.12.2011 (Recht zur Abweichung von Regelungen in Gebietsänderungsverträgen aufgrund der Pflicht zur Haushaltskonsolidierung) beruft und darin gefordert wird, „freiwillige öffentliche Verpflichtungen unter Beachtung bindender gesetzlicher Vorgaben (§ 90 bzw. § 156 Abs. 3 GO LSA) auszulegen (VG Sigmaringen, Urteil vom 10.10.2007, Az.: 3 K 102/06)“, führt dies vorliegend zu keiner anderen Beurteilung. Denn für eine solche einschränkende Auslegung des Vertragstextes besteht vorliegend kein Raum. Entscheidend hierbei ist, dass in dem vom VG Sigmaringen entschiedenen Fall, auf den der Erlass insoweit Bezug nimmt, die in Streit stehende Regelung des Gebietsänderungsvertrag (Verpflichtung zur Erhaltung einer Grundsschule) den ausdrücklichen Zusatz enthielt: „solange dies gesetzlich möglich ist“. Ein solcher Vorbehalt fehlt in der hier in Rede stehenden Bestimmung des § 10 des Gebietsänderungsvertrages. Findet jedoch die vom Ministerium geforderte Auslegung in der Formulierung der betreffenden Vereinbarung keine Stütze, kommt eine solche einschränkende Auslegung nicht in Betracht (so auch Sächs. OVG, B. v. 04.01.2008, a. a. O.).
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3. Die Voraussetzungen für eine Kündigung/Anpassung der Vereinbarung durch die Beklagte entsprechend § 60 VwVfG i. V. m. § 1 Abs. 1 VwVfG LSA wegen wesentlicher Veränderung der Umstände, die für diese Regelung maßgebend gewesen sind, liegen nicht vor.
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Eine wesentliche Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 1 VwVfG setzt voraus, dass nach Vertragsschluss tatsächliche Umstände oder rechtliche Bedingungen weggefallen sind, die die Vertragspartner zwar nicht zum Vertragsinhalt gemacht haben, deren Bestand sie jedoch als gemeinsame Grundlage des Vertrags angenommen haben. Vertragsgrundlage sind die bei Vertragsabschluss bestehenden gemeinsamen Vorstellungen der Vertragsparteien oder die für den Vertragspartner erkennbaren und von ihm nicht beanstandeten Vorstellungen der einen Vertragspartei von dem Vorhandensein oder dem künftigen Eintritt gewisser Umstände, sofern der Geschäftswille der Vertragsparteien auf dieser Vorstellung aufbaut (BGH, Urteil vom 24. März 2010 - VIII ZR 160/09 - NJW 2010, 1663
). Wesentlich ist eine Änderung der Verhältnisse daher nur, wenn die Vertragsparteien bei Kenntnis dieser Änderung den Vertrag nicht oder jedenfalls nicht mit diesem Inhalt geschlossen hätten. Schließlich müssen die Folgen der nachträglichen Änderung den Risikorahmen überschreiten, den ein Vertragspartner nach Treu und Glauben hinzunehmen hat, weshalb ihm das Festhalten an der ursprünglichen vertraglichen Regelung nicht zumutbar ist (vgl. zum Ganzen: BVerwG, U. v. 18.07.2012 – 8 C 4.11 -, zit. nach juris).
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Gemessen an diesem Maßstab steht der Beklagten ein Recht auf Kündigung/Vertragsanpassung entsprechend § 60 VwVfG nicht zu.
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Eine wesentliche Änderung der Verhältnisse im v. g. Sinn ist nicht deshalb eingetreten, weil sich die Haushaltslage der Beklagten nach Abschluss des Gebietsänderungsvertrages weiter verschlechtert hat. Denn hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass im Zeitpunkt der Vereinbarung Vorstellungen der Beklagten und der Gemeinde A-Stadt zu Tage getreten sind oder zumindest erkennbar für eine der vereinbarenden Parteien waren, wonach Grundlage der Vereinbarung in § 10 des Vertrages sein sollte, dass sich die Haushaltslage der Beklagten zukünftig nicht (weiter) verschlechtert, liegen nicht vor. Darüber hinaus vermag auch eine Vorstellung, die bei Abschluss der Vereinbarung in der erforderlichen Art und Weise zu Tage getreten ist, nur dann die Geschäftsgrundlage einer Vereinbarung zu bilden, wenn der Geschäftswille beider Vertragsparteien auf dieser Vorstellung aufbaut. Daran fehlt es, wenn Umstände betroffen sind, die nach dem Sinn der Vereinbarung in den Risikobereich einer Partei fallen (vgl. SächsOVG, B. v. 30.06.1997 – 3 S 391/97 –, a. a. O., m. w. N.).
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Davon ist hier auszugehen. Zu berücksichtigen ist dabei zunächst, dass der Beklagten der Gewerbesteuerausfall und damit die Haushaltsnotlage im Zeitpunkt des Abschlusses des Gebietsänderungsvertrages am 26.05.2009 bekannt waren. Dies zeigt sich nicht nur an der zeitlichen Abfolge der Geschehnisse (Eingang der Mitteilungen des Finanzamtes über den geänderten Gewerbesteuermessbetrag in Bezug auf den betreffenden Gewerbesteuerschuldner bei der Beklagten am 08.01.2009 sowie am 20.01.2009 und 16.02.2009; Erlass der Gewerbesteuerbescheide über die Anpassung der Vorauszahlung durch die Beklagte am 25.03.2009 und 27.03.2009), sondern auch an dem Einwand der Beklagtenvertreterin in der mündlichen Verhandlung, wonach die aufnehmende Gemeinde damals davon ausgegangen sei, dass der Gewerbsteuerausfall nur kurzzeitig andauere und sich die Einnahmesituation also auf kurze Sicht wieder verbessere. Bekannt war die Haushaltsnotlage darüber hinaus auch der Kommunalaufsicht im Zeitpunkt der Erteilung der Genehmigung des Gebietsänderungsvertrages am 24.07.2009. Denn in den Hinweisen zu dem Gebietsänderungsvertrag am Ende des Genehmigungsbescheides weist der Salzlandkreis ausdrücklich darauf hin, dass die Zusagen der aufnehmenden Stadt C-Stadt in § 7 des Gebietsänderungsvertrages (betrifft die Verpflichtungen zur Erhaltung gemeindlicher Einrichtungen in den eingegliederten Ortsteilen u. ä.) „vor dem Hintergrund des anzustrebenden Haushaltsausgleiches der aufnehmenden Stadt“ zu werten seien und bis zum 31. Dezember 2014 keine Verpflichtung begründen würden, wenn „der Haushaltsausgleich bei Umsetzung der Maßnahmen nicht erreicht werden“ könne. Aus alledem ist bei verständiger Würdigung zu schließen, dass der Umstand der angespannten Hauhaltslage beiden Vertragsparteien bei Vertragsschluss bekannt war und in deren Willensbildung eingeflossen ist. Anders als etwa § 7 Abs. 5 des Vertrages haben die Parteien jedoch in dem hier in Rede stehenden § 10 des Vertrages auf die Aufnahme einer Änderungsklausel verzichtet und dadurch zum Ausdruck gebracht, dass die Festschreibung der Hebesätze auch bei einer weiteren Verschlechterung der Einnahmesituation der Beklagten fortbestehen soll. Die in Rede stehende Bestimmung über die Festschreibung der Hebesätze in § 10 des Vertrages ist danach von den Vertragsparteien offenbar bewusst als Gegenleistung dafür vereinbart worden, dass die früher selbstständige Gemeinde A-Stadt ihre Selbständigkeit aufgibt. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass die weitere wirtschaftliche Entwicklung der aufnehmenden Gemeinde – jedenfalls soweit es die Bestimmung in § 10 des Vertrages betrifft - nach dem Sinn der Vereinbarung in den Risikobereich der Beklagten fallen sollte. Sie ist somit nicht zur Geschäftsgrundlage geworden.
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Dessen ungeachtet hat die Beklagte nicht hinreichend dargelegt, dass nach Vertragsschluss eine wesentliche Änderung der Verhältnisse eingetreten ist. Denn wesentlich wäre eine Änderung der Verhältnisse nur dann, wenn sich die Haushaltsnotlage der Beklagten derart verschlechtert hätte, dass der oben beschriebene weite Gestaltungsspielraum der Beklagten hinsichtlich der Frage, wie der gesetzlich vorgegebene Haushaltsausgleich angestrebt und erreicht werden soll, nicht mehr bestehen würde. Dafür genügt es jedoch gerade nicht, dass sich die betreffende Gemeinde – wie hier – in einer anhaltenden Haushaltsnotlage befindet (vgl. BVerwG, U. v. 27.10.2010 – 8 C 43/09 -: für den Fall einer kommunalaufsichtlichen Beanstandung der Senkung der Realsteuerhebsätze durch die Gemeinde, zitiert nach juris).
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Ebenso wenig ist von der Beklagten in hinreichender Form dargelegt worden, dass ihr das unveränderte Festhalten an der ursprünglichen vertraglichen Regelung in § 10 des Gebietsänderungsvertrages nicht mehr zuzumuten ist. Denn für eine Unzumutbarkeit im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 1 VwVfG genügt nicht, dass sich für eine Vertragspartei das normale Vertragsrisiko realisiert. Es reicht ferner nicht aus, dass eine Vertragspartei nach ihrer gegenwärtigen Interessenlage in den Vertragsschluss vernünftigerweise jetzt nicht mehr einwilligen würde. Vielmehr muss nach dem Regelungszusammenhang sowie nach dem Zweck der Vorschrift die Änderung der für den Vertragsinhalt maßgeblichen tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse zu schwerwiegenden, bei Vertragsschluss nicht absehbaren Nachteilen für die Vertragspartei geführt haben, denen die Vertragspartner billigerweise Rechnung getragen hätten, wenn sie die Entwicklung vorhergesehen hätten. Die Folgen der nachträglichen Änderung müssen also den Risikorahmen überschreiten, den ein Vertragspartner nach Treu und Glauben hinzunehmen hat. Dabei ist nicht auf das subjektive Empfinden der Vertragspartei abzustellen, sondern ein objektiver Maßstab zugrunde zulegen. Anderenfalls hätte es eine Vertragspartei entgegen dem - für die Gewährleistung von Rechtssicherheit unverzichtbaren - Grundsatz "pacta sunt servanda" in der Hand, über die Eigendefinition der Unzumutbarkeit die Notwendigkeit einer Vertragsanpassung weitgehend selbst zu bestimmen. Die rechtliche Würdigung, ob sich aus der wesentlichen Änderung der gemeinsam vorausgesetzten Grundlagen des Vertrages unzumutbare Folgewirkungen für eine Vertragspartei ergeben, ist auf der Grundlage aller maßgebenden Umstände des Einzelfalls vorzunehmen (vgl. BVerwG, U. v. 18.07.2012, a. a. O., m. w. N.)
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Gemessen daran ist zu berücksichtigen, dass die weitere Entwicklung des Haushalts für die Beklagte eher vorhersehbar war als für die andere Vertragspartei, denn jedenfalls soweit es den Gewerbesteuerausfall des einen großen Steuerschuldners betrifft, war ihr dieser Umstand bereits durch die Mitteilungen des Finanzamtes über den geänderten Gewerbesteuermessbetrag Anfang 2009 bekannt. Hinsichtlich der Gründe für den Steuerausfall (Gründe für die Abweichung vom erklärten Gewinn) verwies der Gewerbesteuermessbescheid vom 23.06.2009 auf den für den Steuerschuldner ergangenen Körperschaftssteuerbescheid. Insoweit war es für die Beklagte auch eher möglich als für die andere Vertragspartei, die Dauer dieses Steuerausfalls einzuschätzen. Abgesehen davon hatte die Beklagte es in der Hand, im Hinblick auf die Festschreibung der Realsteuerhebsätze in § 10 des Vertrages einen ausdrücklichen Vorbehalt aufzunehmen, wie sie es in § 7 Abs. 5 des Vertrages für die Zusagen betreffend die Erhaltung der gemeindlichen Einrichtungen getan hat. Da sie davon Abstand genommen hat und diese Entscheidung von ihrem Entscheidungsspielraum gedeckt war, dürfte ihr ein Festhalten an der getroffenen vertraglichen Regelung erst dann nicht mehr zuzumuten sein, wenn sich die haushaltsrechtlichen Verhältnisse derart verschlechtern, dass ein Gestaltungsspielraum hinsichtlich der Frage, wie der gesetzlich vorgegebene Haushaltsausgleich angestrebt und erreicht werden soll, nicht mehr besteht, sich also aus dem allgemeinen Haushaltsgrundsatz ein konkrete Handlungsgebot ergibt. Bis zu diesem Zeitpunkt liegt das Risiko der Verschlechterung der Haushaltslage indes einseitig bei der Beklagten.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht gemäß § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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Die Feststellung der Höhe des Streitwertes ergibt sich aus § 52 Abs. 3 und 1 GKG.
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Referenzen
- ZPO § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung 1x
- ZPO § 711 Abwendungsbefugnis 1x
- § 17 FAG 1x (nicht zugeordnet)
- VwVfG § 60 Anpassung und Kündigung in besonderen Fällen 6x
- VwVfG § 59 Nichtigkeit des öffentlich-rechtlichen Vertrags 3x
- BGB § 134 Gesetzliches Verbot 3x
- VwGO § 167 1x
- VwGO § 117 1x
- VwGO § 42 3x
- VwGO § 113 1x
- § 25 Abs. 4 Satz 2 GrStG 1x (nicht zugeordnet)
- § 156 Abs. 3 GO 2x (nicht zugeordnet)
- VwVfG § 1 Anwendungsbereich 1x
- VwGO § 154 1x
- § 52 Abs. 3 und 1 GKG 1x (nicht zugeordnet)
- 2 A 242/12 1x (nicht zugeordnet)
- 3 S 391/97 2x (nicht zugeordnet)
- 8 C 43/09 2x (nicht zugeordnet)
- 4 M 75/12 1x (nicht zugeordnet)
- 4 BS 449/07 1x (nicht zugeordnet)
- Beschluss vom Bundesverwaltungsgericht (9. Senat) - 9 B 30/12 1x
- Urteil vom Verwaltungsgericht Sigmaringen - 3 K 102/06 1x
- VIII ZR 160/09 1x (nicht zugeordnet)