Urteil vom Verwaltungsgericht Magdeburg (3. Kammer) - 3 A 250/14

Tatbestand

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Die Klägerin wendet sich gegen einen Beitragsbescheid der Beklagten.

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Die Klägerin ist ein Unternehmen der Wach- und Sicherheitsbranche mit Hauptsitz in A-Stadt. Sie betreut im örtlichen Zuständigkeitsbereich der Beklagten ausschließlich das Bewachungsobjekt M. H.. Nach dem – zwischen der Polizeidirektion B-Stadt und der S. Sicherheitsdienst GmbH (alte Firmierung der Klägerin) geschlossenen – Bewachungsvertrag vom 20. September 1995 übt die Klägerin vorgegebene Sicherungsaufgaben mit eigenem Personal vor Ort und in den Räumlichkeiten des Auftraggebers aus. In diesem Zusammenhang werden Tätigkeiten ausgeführt, die der Sicherheit des zu bewachenden Objektes dienen. Die Wachaufgabe besteht insbesondere in einer permanenten Zugangskontrolle und im Verhindern unberechtigten Betretens, Befahrens, Abladens von Müll und unberechtigten Aufhaltens nicht befugter Personen im Objekt. Den Schwerpunkt der Tätigkeit stellt dabei die Überwachung des Objektes, die Bedienung vorhandener Videoüberwachungstechnik und die sofortige Weiterleitung relevanter Informationen dar. Die Personalführung und Betreuung der Auftraggeber erfolgt von unselbständigen Zweigniederlassungen der Klägerin in Leipzig und Berlin aus.

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Mit Bescheid vom 12. März 2014, der der Klägerin am 18. März 2014 zuging, setzte die Beklagte für das Beitragsjahr 2014 vorläufig einen Beitrag in Höhe von insgesamt 109,51 Euro (nämlich einen Grundbeitrag in Höhe von 105,- Euro sowie eine Umlage in Höhe von 4,51 Euro) fest.

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Mit ihrer am 28. März 2014 erhobenen Klage trägt die Klägerin vor, sie müsse mangels Mitgliedschaft in der Beklagten keine Beiträge an die Beklagte abführen. Die Klägerin betreibe keine „Betriebsstätte“ im Sinne von § 2 IHKG i.V.m. § 12 AO im örtlichen Zuständigkeitsbereich der Beklagten. Die Klägerin verfüge weder in den Sicherungsobjekten, noch sonst innerhalb des örtlichen Zuständigkeitsbereichs der Beklagten über eigene Räumlichkeiten/Anlagen, über die sie die Verfügungsmacht innehabe. Allein die (Mit-)Nutzungsbefugnis von Aufenthalts- und Sanitärräumen genüge für eine gewisse Verfügungsmacht nicht. Die von der Klägerin im örtlichen Zuständigkeitsbereich der Beklagten nach § 28 GewStG abgeführte Gewerbesteuer beruhe auf einem Fehler externer Steuerberatungsbüros. Maßgeblich für die Mitgliedschaft in der Beklagten sei das Vorhandensein einer örtlichen Betriebsstätte.

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Die Klägerin beantragt,

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den Beitragsbescheid der Beklagten vom 12. März 2014 aufzuheben.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Sie macht geltend, die Mitgliedschaft der Klägerin und die damit verbundene Beitragspflicht ergebe sich unmittelbar aus §§ 2, 3 IHKG. Die Klägerin sei jedenfalls für das Jahr 2012 vom Finanzamt für die im Kammerbezirk der Beklagten beschäftigten Mitarbeiter zur Gewerbesteuer veranlagt worden. Das Finanzamt habe auf klägerischen Antrag vom 27. August 2013 eine Zerlegung des Gewerbeertrages der Klägerin durchgeführt und der Beklagten mitgeteilt, dass auf ihren Kammerbezirk ein anteiliger Gewerbeertrag von 3.501,13 Euro für das Jahr 2012 entfalle. Deshalb unterhalte die Klägerin im Kammerbezirk feste Geschäftseinrichtungen/Anlagen, die das Merkmal einer Betriebsstätte im Sinne von § 12 AO erfüllen. Die Klägerin habe darzulegen, welche Betriebsstätten sie im Jahr 2012 unterhalten habe und was sich daran geändert habe.

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In der mündlichen Verhandlung hat das Gericht Beweis erhoben durch Vernehmung des Herrn D. als Zeugen. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 5. März 2015 Bezug genommen.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

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Die Kammer kann durch die Einzelrichterin entscheiden, weil der Rechtsstreit gemäß § 6 Abs. 1 VwGO mit Beschluss der Kammer vom 6. Oktober 2014 auf die bestellte Berichterstatterin als Einzelrichterin zur Entscheidung übertragen wurde.

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Die zulässige Anfechtungsklage ist begründet. Der angefochtene Beitragsbescheid der Beklagten vom 12. März 2014 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

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Rechtlicher Anknüpfungspunkt für die Heranziehung der Klägerin zur Zahlung von Kammerbeiträgen ist § 3 Abs. 2 und 3 des Gesetzes zur vorläufigen Regelung des Rechts der Industrie- und Handelskammern vom 18. Dezember 1956 (BGBl. I S. 920) in der für den maßgeblichen Erhebungszeitraum gültigen Fassung – im Folgenden: IHKG – i.V.m. § 3 Abs. 1 des Gesetzes über die Industrie- und Handelskammern in Sachsen-Anhalt vom 10. Juni 1991 (GVBl. S. 103) – im Folgenden: AG IHKG LSA – i.V.m. der Beitragsordnung der Beklagten vom 24. September 2008 i.V.m. der Wirtschaftssatzung der Beklagten für das Kalenderjahr 2014.

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Gemäß § 3 Abs. 2 Satz 1 IHKG werden die Kosten der Errichtung und Tätigkeit der Industrie- und Handelskammer (IHK), soweit sie nicht anderweitig gedeckt sind, nach Maßgabe des Haushalts- beziehungsweise Wirtschaftsplans durch Beiträge der Kammerzugehörigen gemäß einer Beitragsordnung aufgebracht.

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Hiernach ist die Klägerin nicht beitragspflichtig, weil sie nicht kammerzugehörig in der Beklagten ist. Gemäß § 2 Abs. 1 IHKG gehören zur IHK, sofern sie zur Gewerbesteuer veranlagt sind, natürliche Personen, Handelsgesellschaften, andere Personenmehrheiten und juristische Personen des privaten und des öffentlichen Rechts, welche im Bezirk der IHK eine Betriebsstätte unterhalten (Kammerzugehörige).

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Die Klägerin zählt zwar als GmbH und Co. KG zu den Handelsgesellschaften. Als solche ist sie gemäß § 2 GewStG gewerbesteuerpflichtig und kann sie gemäß §§ 124, 161 Abs. 2 HGB unter ihrer Firma Rechte erwerben und Verbindlichkeiten eingehen, Eigentum und andere dingliche Rechte an Grundstücken erwerben, vor Gericht klagen und verklagt werden.

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Indes unterhält die Klägerin im Bezirk der Beklagten keine Betriebsstätte.

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Die Veranlagung zur Gewerbesteuer erfordert grundsätzlich die Feststellung einer Betriebsstätte im Inland (vgl. § 2 Abs. 1 GewStG). Da das Kammerrecht insoweit nicht an einen abweichenden Begriff der Betriebsstätte anknüpft, ist der steuerrechtliche Begriff der „Betriebsstätte“ nach § 12 AO maßgeblich (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Januar 2005, 6 C 10.04, zitiert nach juris, Rdnr. 22).

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Betriebsstätte im Sinne des § 12 AO ist jede feste Geschäftseinrichtung oder Anlage, die der Tätigkeit eines Unternehmens dient. Dazu gehören bauliche oder sonstige Zusammenfassungen körperlicher Gegenstände und unternehmerisch nutzbarer sachlicher Mittel, aber auch Gegenstände, die zwar für sich genommen keinen lebenden wirtschaftlichen Organismus darstellen, aber einem Unternehmen unmittelbar dienen. Erforderlich sind eine Beziehung zu einem bestimmten Punkt der Erdoberfläche, die auf eine gewisse Dauer und Stetigkeit angelegt ist, und eine eigene, nicht nur vorübergehende Verfügungsmacht des Unternehmers über die Einrichtung oder Anlage (vgl. BFH, Urteile vom 9. Oktober 1974, I R 128/73, und vom 28. August 1986, V R 20/79, jeweils zitiert nach juris).

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Der Unternehmer muss eine eigene, nicht nur vorübergehende Verfügungsmacht über die Räume und Einrichtungen haben, die ohne seine Mitwirkung nicht mehr ohne Weiteres entzogen oder verändert werden kann (vgl. BFH, Urteile vom 11. Oktober 1990, I R 77/88, vom 30. Oktober 1996, II R 12/92, vom 3. Februar 1993, I R 80-81/91, und vom 30. Oktober 1996, II R 12/92, jeweils zitiert nach juris). Ob diese Verfügungsmacht auf Eigentum oder einer (un-)entgeltlichen Nutzungsüberlassung beruht, ist gleichgültig (vgl. BFH, Urteil vom 3. Februar 1993, I R 80-81/91, a.a.O.). Die bloße Berechtigung zur Nutzung eines Raumes im Interesse eines anderen sowie eine rein tatsächliche Nutzungsmöglichkeit genügen jedoch nicht (vgl. BFH, Urteil vom 4. Juni 2008, I R 30/07, zitiert nach juris, Rdnr. 13).

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Das bloße Tätigwerden in den Räumlichkeiten des Vertragspartners genügt für sich genommen selbst dann nicht zur Begründung der erforderlichen Verfügungsmacht, wenn die Tätigkeit zeitlich wiederholt oder gar dauerhaft betrieben wird. Denn neben der zeitlichen Komponente müssen zusätzliche Umstände auf eine örtliche Verfestigung der Tätigkeit schließen lassen. Für die Begründung einer Betriebsstätte ist nämlich letztlich entscheidend, ob eine unternehmerische Tätigkeit in einer Geschäftseinrichtung oder Anlage mit fester örtlicher Bindung ausgeübt wird und sich in der Bindung eine gewisse „Verwurzelung“ des Unternehmens mit dem Ort der Ausübung der unternehmerischen Tätigkeit ausdrückt (vgl. BFH, Urteil vom 4. Juni 2008, I R 30/07, a.a.O., Rdnr. 15).

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Nach diesen Grundsätzen kann im vorliegenden Fall nicht von einer hinreichenden Verfügungsmacht der Klägerin über die von ihr genutzten Räumlichkeiten im Munitionszerlegebetrieb Hottendorf ausgegangen werden.

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Nach dem Vortrag der Klägerin in ihren Schriftsätzen, den von ihr vorgelegten Unterlagen sowie der Aussage des – von den Beteiligten wie vom Gericht für glaubwürdig erachteten – Zeugen D., bezüglich deren Glaubhaftigkeit aufgrund der ruhigen, sachlichen und widerspruchsfreien Schilderungen des obgleich „im Lage der Klägerin stehenden“ Zeugen seitens des Gerichts ebenfalls keine Bedenken bestehen, steht zur Überzeugung des Gerichts der folgende Sachverhalt fest:

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Die Mitarbeiter der Klägerin führen im Bewachungsobjekt M. H. vom Auftraggeber der Klägerin vorgegebene Wach- und Sicherungsaufgaben aus. Den Schwerpunkt der Tätigkeit bilden dabei die Überwachung des Objektes, Durchführung einer permanenten Zugangskontrolle, Bedienung vorhandener Videoüberwachungstechnik und sofortige Weiterleitung relevanter Informationen an Polizei und Rettungskräfte. Zudem überwachen die Mitarbeiter die – in vollem Umfang vom Auftraggeber der Klägerin ausgestatteten – Räume mit den sicherheitstechnischen Anlagen und Monitoren im Wachgebäude. Zu diesem Zweck erhielten die Mitarbeiter der Klägerin gemäß Ziffer 2. Absatz 2 der sonstigen Vereinbarungen zum Bewachungsvertrag vom 20. September 1995 die Benutzungsbefugnis für das Wachgebäude, in dem sich neben dem Monitorraum ein Toilettenraum sowie Räume mit diversen technischen Anlagen befinden. Im Monitorraum befinden sich abgesehen von den zu überwachenden Monitoren – ebenfalls vom Auftraggeber der Klägerin für deren Mitarbeiter zur Verfügung gestellt – ein Kühlschrank, ein Tisch sowie ein Schrank für (Dienst-)Kleidung und persönliche Gegenstände.

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Rechtlich ist das sich dahingehend darstellende Nutzungsrecht der Mitarbeiter der Klägerin am Monitorraum sowie Toilettenraum im Wachgebäude als bloße Mitbenutzungsmöglichkeit zu qualifizieren. Obgleich der Auftraggeber den Mitarbeitern der Klägerin im Monitorraum auch einen Schrank für persönliche Gegenstände sowie einen Tisch und einen Kühlschrank zur Verfügung stellt, gestaltet sich diese Art der Mitbenutzung eher von untergeordneter Bedeutung. Auch wird der Umfang der Mitbenutzung ausschließlich vom Auftraggeber der Klägerin bestimmt. Die von den Mitarbeitern der Klägerin mitbenutzten Räume sind weder an die Klägerin vermietet noch ihr in vergleichbarer Form zur Nutzung überlassen. Vielmehr überlässt der Auftraggeber der Klägerin die erforderlichen Räumlichkeiten zur Erfüllung seiner vertraglichen Aufgaben unentgeltlich und stellt er dieser den für die Unterbringung der Wache notwendigen Raum unentgeltlich zur Verfügung. Ein selbständiger Anspruch der Klägerin auf Zutritt und Nutzung der Räume gegen ihren Auftraggeber besteht nicht. Vielmehr ist den Mitarbeitern der Klägerin der Zugang zum Wachgebäude nur gestattet, soweit dies zur Erfüllung des Bewachungsvertrages notwendig ist. Damit steht dem Auftraggeber der Klägerin das alleinige und uneingeschränkte Verfügungsrecht über das Bewachungsobjekt M. H. zu. Diesbezüglich rechtfertigt auch der Umstand keine andere rechtliche Würdigung, dass die Klägerin die Sicherungsaufgaben nunmehr bereits seit mehreren Jahren gegenüber ihrem Auftraggeber erbringt.

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Weitere Umstände, die auf eine darüber hinausgehende örtliche Verfestigung der Tätigkeit der Klägerin schließen lassen könnten, sind nicht ersichtlich. Im Gegenteil spricht gegen eine solche Verfestigung, dass die Klägerin im Bewachungsobjekt auch keine Verwaltung in Form eines Büros oder ähnlichem unterhält, sondern die Personalführung und Betreuung des Auftraggebers von unselbständigen Zweigniederlassungen der Klägerin in L. und B. aus erfolgen.

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Dieser rechtlichen Würdigung steht nicht entgegen, dass das Finanzamt die Klägerin zur Gewerbesteuer veranlagt und in Bezug auf eine Betriebsstätte in B-Stadt die Zerlegung des Gewerbeertrags durchgeführt hat. Denn über das Tatbestandsmerkmal der Betriebsstätte entscheiden die Kammern in ihrem jeweiligen Bezirk und – wie hier – im Streitfall die Verwaltungsgerichte ohne Bindung an die Feststellungen der Steuerbehörden (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Oktober 1998, 1 C 19.97, zitiert nach juris; OVG Niedersachsen, Beschluss vom 11. Februar 2011, 8 LA 259/10, zitiert nach juris, Rdnr. 11; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 1. Dezember 2010, 17 A 2689/09, zitiert nach juris; Frenzel/Jäkel/Junge, Industrie- und Handelskammergesetz, 7. Auflage, Köln 2009, § 2 Rdnr. 75). Nur den Entscheidungen der Steuerbehörden über die Veranlagung zur Gewerbesteuer kommt nach § 2 Abs. 1 IHKG Tatbestandswirkung zu. Das Vorliegen einer Betriebsstätte ist zwar für die Veranlagung zur Gewerbesteuer und den Erlass eines Zerlegungsbescheides ebenfalls zu prüfen; den diesbezüglichen steuerrechtlichen Entscheidungen kommt jedoch nach dem IHKG weder Tatbestands- noch Feststellungswirkung zu.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Danach trägt der unterliegende Teil die Kosten des Verfahrens.

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Die Entscheidung bezüglich der vorläufigen Vollstreckbarkeit richtet sich nach § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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