Urteil vom Verwaltungsgericht Magdeburg (2. Kammer) - 2 A 381/12 MD

Tenor

Der Bescheid des Beklagten vom 12. November 2012 wird aufgehoben.

Die Gerichtskosten tragen der Beklagte und die Beigeladene jeweils zur Hälfte.

Die außergerichtlichen Kosten des Klägers tragen der Beklagte und die Beigeladene jeweils zur Hälfte.

Der Beklagte und die Beigeladene tragen ihre außergerichtlichen jeweils selber.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagte und die Beigeladene können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen eine der Beigeladenen erteilte immissionsschutzrechtliche Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb von fünf Windkraftanlagen in einem Windpark nördlich von H-Stadt. Am 24. Januar 2007 beantragte die Beigeladene bei dem Beklagten eine Genehmigung nach § 4 BImSchG für fünf Windkraftanlagen des Typs Enercon E-82 mit einer Nabenhöhe von 108,3 m und einem Rotordurchmesser von 82,0 m in der Gemarkung H-Stadt, Flur …, Flurstücke …., … …., … und Flur … , Flurstück …..

2

Durch die fünf beantragten Windkraftanlagen soll eine neue Windfarm entstehen. Ca. 2500 m nördlich der geplanten Windfarm befindet sich das EU-Vogelschutz Gebiet Drömling mit der Flachwasserzone Mannhausen, welche als Schlaf- und Rastplatz für nordische Gänse und weitere Zugvogelarten fungiert. Von dem Beklagten wurde ein Genehmigungsverfahren mit einer Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt. Diese schließt eine Prüfung nach Art. 6 der Richtlinie 92/43 EWG (Flora- und Fauna-Habitat-Richtlinie) sowie spezielle artenschutzrechtliche Prüfungen (saP) ein. Das Vorhaben wurde am 15. November 2007 in der Volksstimme sowie im Amtsblatt des Beklagten öffentlich bekannt gemacht. Die Auslegung der Antragsunterlagen fand in der Zeit vom 22. November bis zum 21. Dezember 2007 statt.

3

Der Kläger hat mit Schreiben vom 21. Dezember 2007 (Bl. 219 ff. GA) fristgerecht vor Ablauf der Einwendungsfrist am 04. Januar 2008 Einwendungen gegen das Vorhaben erhoben. Der Kläger machte im Wesentlichen geltend, dass der geplante Windpark zu nachhaltigen Beeinträchtigungen für besonders geschützte Vogelarten und Fledermäuse führe. Er verwies auf die besondere Bedeutung der Flachwasserzone Mannhausen innerhalb des SPA Drömling und machte geltend, dass die Flachwasserzone ein bedeutender Schlaf- und Rastplatz für Kraniche, Wildgänse und Schwäne sei. Daneben verwies er darauf, dass der Seeadler nicht nur in der Flachwasserzone Mannhausen einen Brutplatz habe, sondern dass aufgrund von Beobachtungen ebenfalls ein Brutplatz südlich des Drömlings im Bereich des Windparks zu vermuten sei. Zudem berief er sich darauf, dass zahlreiche vom Schutzregime des SPA erfasste Vogelarten Nahrungsflächen in der Spätzeniederung aufsuchten, zwischen Spätzenniederung und SPA ganzjährig pendeln würden und sich der geplante Windpark genau in diesem Hauptflugkorridor befände. Schließlich wies der Kläger auf das deutlich erhöhte Kollisionsrisiko für verschiedene Fledermausarten hin.

4

Mit Bescheid vom 11. Dezember 2009 wurde das beantragte Vorhaben der Beigeladenen von dem Beklagten genehmigt. Gegen diesen Genehmigungsbescheid erhob die damalige Gemeinde H-Stadt Klage. Die Gemeinde hielt den Bescheid für rechtswidrig, da der Beklagte im Rahmen der Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens der Gemeinde eine zu kurze Entscheidungsfrist eingeräumt habe. Das Verwaltungsgericht Magdeburg hob durch Urteil vom 03. Juni 2011 (1 A 10/10 MD) den Genehmigungsbescheid vom 11. Dezember 2009 auf. Mit Beschluss vom 14. Juni 2012 (2 L 124/11) wies das OVG LSA den dagegen gestellten Antrag auf Zulassung der Berufung zurück.

5

Der Beklagte führte anschließend das Genehmigungsverfahren fort. Die Beigeladene legte ihm dazu folgende Unterlagen vor:

6

- Umweltverträglichkeitsstudie vom 10. Oktober 2011,

7

- avifaunistisches Gutachten, Ergänzungsbericht Brutvögel 2011,

8

- avifaunistisches Gutachten, Ergänzungsbericht Rast- und Zugvögel 2009,

9

- spezielle artenschutzrechtliche Prüfung (saP) vom 10. Oktober 2011,

10

- landschaftspflegerischer Fachbeitrag vom 10. Oktober 2011.

11

Eine Auslegung und Öffentlichkeitsbeteiligung zu den vorgenannten Unterlagen fand nicht statt.

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Das gemeindliche Einvernehmen wurde unter dem 18. April 2012 erteilt.

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Mit Bescheid vom 12. November 2012 erteilte der Beklagte der Beigeladenen die beantragte immissionsschutzrechtliche Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb der streitgegenständlichen fünf Windkraftanlagen. Der Genehmigungsbescheid wurde in der Zeit vom 16. November bis zum 29. Dezember 2012 öffentlich bekannt gemacht.

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Der Kläger hat am 21. Dezember 2012 Klage erhoben im Wesentlichen mit der Begründung:

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1. Die im Jahr 2007 durchgeführte Öffentlichkeitsbeteiligung sei fehlerhaft gewesen, da die von der Beigeladenen vorgelegten Unterlagen nicht vollständig gewesen seien. Nach Aufhebung der Genehmigung vom 11. Dezember 2009 sei das Verfahren fehlerhaft fortgeführt worden, da die Auslegung und die Öffentlichkeitsbeteiligung zu den von der Beigeladenen am 10. Oktober 2011 übergebenen Unterlagen unterblieben sei. Aufgrund der zeitlichen Zäsur und des Alters der eingereichten Unterlagen sei eine neue Öffentlichkeitsbeteiligung erforderlich gewesen vor Erteilung der streitgegenständlichen Genehmigung.

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2. Das Vorhaben genüge nicht den Anforderungen an den Habitatsschutz, z. B. für rastende Gänse und weitere Vogelarten. Die FFH-Verträglichkeitsprüfung für das SPA Drömling sei fehlerhaft durchgeführt worden. Die gewachsene Bedeutung der Flachwasserzone Mannhausen, welche einen überregional bedeutsamen Lebensraum als Nahrungs- und Schlafplatz für Zugvögel darstelle, sei aufgrund der veralteten Unterlagen der Beigeladenen nicht hinreichend gewürdigt worden.

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Die FFH-Verträglichkeitsprüfung der Beigeladenen vom 28. September 2007, die sich der Beklagte vollumfänglich zu Eigen gemacht habe, entspreche nicht den Anforderungen der Rechtsprechung. Aufgrund der örtlichen Gegebenheiten sei nicht offensichtlich und von vorn herein auszuschließen, dass die Errichtung des Windparks zu einer Beeinträchtigung der Erhaltungsziele des 2.500 m nördlich gelegenen SPA Drömling führen könne. Dies sei im Rahmen der FFH-Verträglichkeitsprüfung unter Ausschöpfung der besten wissenschaftlichen Erkenntnisse und Untersuchungsmethodik durch Gegenbeweis zu widerlegen. Die zur Erbringung des Gegenbeweises gewonnenen fachwissenschaftlichen Erkenntnisse seien zu dokumentieren. In den vorgelegten avifaunistischen Gutachten sei eine nachvollziehbare Dokumentation des Rastvogelvorkommens und des Zuggeschehens nicht enthalten. Lücken oder sonstige Mängel in der Dokumentation führten regelmäßig dazu, dass aus wissenschaftlicher Sicht vernünftige Zweifel daran bestehen, dass sich das Vorhaben nachteilig auf das betreffende Gebiet auswirke. Die 26 Begehungen aus Januar 2004 bis Januar 2005 seien zum einen nicht hinreichend dokumentiert und zum anderen aufgrund der erheblichen Zunahme der Frequentierung der Flachwasserzone Mannhausen in den Folgejahren im Zeitpunkt der Genehmigungsentscheidung Ende 2012 nicht mehr Ausdruck der besten wissenschaftlichen Erkenntnisse. Das gelte auch für den Ergänzungsbericht, der auf den fünf Begehungen im Jahr 2009 beruhe.

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Da sich die genehmigten Windkraftanlagen lediglich in einem Abstand von 2.500 m zu der Flachwasserzone Mannhausen befänden, sei die Möglichkeit einer erheblichen Beeinträchtigung der Erhaltungsziele des EU-Vogelschutz-Gebietes nicht ausgeschlossen. Nach dem Standarddatenbogen und der NSG-VO sei u. a. der Schutz der Blässgans von den Erhaltungszielen des EU-Vogelschutz-Gebietes erfasst. Der Flachwasserzone Mannhausen komme hier eine überragende Bedeutung als Schlafgewässer für die Blässgans zu. Im Standarddatenbogen sei die Populationsgröße der Blässgans mit 1001 bis 10.000 Tieren angegeben. Nach der Stellungnahme des Referats 407 des Beklagten vom 27. März 2012 sei die Populationsgröße der Gänse seit der Errichtung der Flachwasserzone Mannhausen im Jahre 2003 deutlich angestiegen und betrug beispielsweise im Winter 2007/2008 etwa 30.000 Gänse. Das vorgelegte Gutachten der Ökotop GbR gehe von einer Populationsgröße von 20.000 Exemplaren aus. Die Flachwasserzone Mannhausen in ihrer Funktion als Schlafgewässer sei folglich ein entscheidendes Merkmal, das für das Funktionieren und die Beschaffenheit des Gebietes von wesentlicher Bedeutung sei. Die ökologische Qualität des Schlafgewässers hänge insbesondere von einer Beruhigung des Schlafgewässers und seines Umfeldes ab. Die Errichtung von Windkraftanlagen in einem Schutzbereich von 5000 m um das Schlafgewässer, das mindestens 5.000 nordischen Gänsen als Schlaf- und Rastplatz diene, führe zu einer Qualitätseinbuße des Schlafgewässers und damit zu einer direkten Beeinträchtigung der Erhaltungsziele des EU-Vogelschutz-Gebietes.

19

Weiterhin fehle in der FFH-VP eine substanzielle Untersuchung zum Kollisionsrisiko der rastenden Zugvögel bei Aufsuchen der südlich der Flachwasserzone Mannhausen gelegenen Nahrungshabitate und beim Rückflug zum Schlafplatz. Der Bereich des geplanten Windparks werde durch Zug- und Rastvögel regelmäßig überflogen, die zwischen der Flachwasserzone Mannhausen und den Nahrungsgebieten an der Speetzeniederung hin und her pendelten. Das werde durch die vorgelegten Fotos und Beobachtungsprotokolle belegt.

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3. Das Vorhaben verstoße gegen den besonderen Artenschutz.

21

Das Tötungs- und Verletzungsverbot für den Rotmilan sei ausgelöst, da vier der fünf Windkraftanlagen innerhalb eines Radius von 1.000 m zu den nächstgelegenen Rotmilanhorsten errichtet werden sollen. Im Jahr 2012 konnten durch den Zeugen F. zwei Brutpaare des Rotmilans in Abständen von 700 und 800 m zu den nächstgelegenen Windkraftanlagen beobachtet werden. Hinsichtlich der genauen Lage der Horststandorte werde auf das Gutachten des Büros Ökotop vom 28.04.2013 verwiesen (vgl. auch Bl. 159 GA). Ein weiterer - dritter Brutplatz liege südlich der Windfarm in ca. 1.000 m Entfernung. Berücksichtige man des Weiteren den Umstand, dass im Untersuchungsgebiet sieben weitere Horststandorte als potenzielle Wechselhorste für den Rotmilan in Frage kämen, der im Jahresrhythmus bis zu fünf Horststandorte als Wechselhorste nutze und sämtliche Wechselhorste in dem 1.000 m Tabubereich gelegen sind, sei die Errichtung sämtlicher fünf Windkraftanlagen mit dem artenschutzrechtlichen Tötungs- und Verletzungsverbot nicht zu vereinbaren. Das Kollisionsrisiko werde dadurch verstärkt, dass - wie das Referat 407 des Beklagten in seiner Stellungnahme vom 01. April 2009 darstelle - zusätzlich die Gefahr gegeben sei, dass zum Erreichen der ermittelten präferierten Jagdhabitate ein Durchfliegen des Windparks erforderlich wäre und dadurch das Kollisionsrisiko sprunghaft ansteigen würde. Zudem hat der Zeuge F. im Jahr 2013 einen weiteren besetzten Rotmilanhorst im Tabubereich der Windfarm beobachtet sowie an einem anderen Standort im Jahr 2010 ein Brutpaar ohne Bruterfolg und im Jahr 2011 ein Revierpaar.

22

Aufgrund von neueren wissenschaftlichen Untersuchungen dürfte einiges dafür sprechen, dass bis zu einem Radius von 1.500 m um den Horststandort des Rotmilans von einem signifikant erhöhten Kollisionsrisiko auszugehen sei. Die zum Teil sehr deutliche Unterschreitung des Mindestabstands in Höhe von 1.000 m führe jedenfalls zu einer signifikanten Erhöhung des Kollisionsrisikos. Keine Zweifel bestünden, dass Rotmilane aufgrund ihres artspezifischen Verhaltens einem besonders hohen Kollisionsrisiko ausgesetzt seien. Die Tiere würden den Bereich des Windparks häufig frequentieren, da die in allen Himmelsrichtungen um den Windpark gelegenen Horststandorte als Wechselhorste genutzt würden und daher unabhängig von der Lage der Hauptnahrungsflächen eine Frequentierung der Windparkfläche unvermeidbar erscheine. Rotmilane würden Windenergieanlagen nicht meiden, sondern eher gezielt aufsuchen, da unter den Windenergieanlagen und entlang der Verbindungswege oftmals ein attraktives Nahrungsangebot verfügbar sei. Die Errichtung von fünf Windenergieanlagen auf einer Ackerfläche, die in einem unmittelbaren Nahbereich nahezu vollständig von Waldstrukturen und darin existierenden Horsten umgeben sei, führe zu einer deutlichen Erhöhung des Tötungsrisikos für den Rotmilan. Dem Beklagten sei insoweit ein Beurteilungsfehler in Form einer unvollständigen Sachverhaltsermittlung unterlaufen, da er die im Jahr 2012 besetzten Rotmilanhorste in der artenschutzrechtlichen Prüfung nicht berücksichtigt habe, denn auf Seite 30 des angefochtenen Bescheides heiße es, im 1.000 m Bereich der Anlagenstandorte befinde sich kein Brutplatz des Rotmilans.

23

Auch für den Seeadler sei das Tötungs- und Verletzungsverbot aus § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG ausgelöst, da ein Horststandort innerhalb des Tabubereichs von 3.000 m zu den geplanten Windkraftanlagen gelegen sei. Schon das Referat 407 des Beklagten und die untere Naturschutzbehörde hätten im Verwaltungsverfahren mehrfach darauf hingewiesen, dass 2010 ein Revier des Seeadlers im Velsdorfer Wald auf der Grundlage von belastbaren Beobachtungen zu vermuten sei. In einem Schreiben des Beklagten vom 15. Februar 2012 an die Beigeladene werde u. a. ausgeführt, dass sich ein besetzter Brutplatz des Seeadlers 2010 im Velsdorfer Wald südöstlich von Velsdorf befunden habe, der ca. 2 km vom geplanten Windpark H-Stadt entfernt liege. Am 10. April 2011 sei in der Nähe der Kolonie Jerchel im Calvörder Drömling ein Seeadler mit Beute abfliegend in Richtung Süd, Velsdorfer Wald und am 09. September 2011 ein Seeadler mit bettelndem Jungvogel an der Flachwasserzone Mannhausen gesichtet worden. Für 2011 bestand erneut Brutverdacht für das Waldgebiet im Großraum H-Stadt/Grauingen/Calvörde/Velsdorf. Der Tabubereich betrage für Seeadler 3.000 m und der Prüfbereich 6.000 m. Alle geplanten Windkraftanlagen lägen innerhalb des 3.000 m Tabubereiches des Horstes aus dem Jahre 2010. Der Horst aus dem Jahre 2010 habe gezeigt, dass das Waldgebiet östlich von Velsdorf grundsätzlich für den Seeadler ein geeignetes Brutgebiet darstelle. Seeadler, die dort brüten würden, wären durch die Windkraftanlagen einem erhöhten Kollisionsrisiko ausgesetzt. Die Flachwasserzone Mannhausen werde regelmäßig und zu allen Jahreszeiten von Seeadlern aufgesucht. Im Frühjahr 2013 seien dort bis zu 9 subadulte Seeadler gleichzeitig beobachtet worden. Diese Tiere würden dort nicht brüten, suchten das Gebiet aber regelmäßig auf, weil dort die Wahrscheinlichkeit Nahrung zu finden, relativ groß sei. Die nächstgelegene WKA habe zur Flachwasserzone Mannhausen einen Abstand von 2.680 m. Dies sei für Seeadler eine sehr geringe Entfernung. Der Beklagte gehe im Genehmigungsbescheid zu Unrecht davon aus, dass keine Erkenntnisse für das Vorhandensein eines Seeadlerhorstes erlangt werden konnten. Er habe sich auf das avifaunistische Gutachten 2004/2005 gestützt, welches nicht geeignet sei, Aussagen über einen 2010/2011 bzw. 2012 besetzten Seeadlerhorst im Umkreis des Windparks zu treffen. Weiterhin stütze sich der Beklagte auf Aussagen im Ergänzungsbericht 2011. Dieser beruhe auf 6 Flächenbegehungen von Mitte April bis Mitte August 2011 in einem Untersuchungsgebiet von 500 m bis 1.500 m um die äußeren Anlagen der Windfarm herum. Mittels dieser Untersuchungen könnten keine Aussagen hinsichtlich des Vorhandenseins von Seeadlerhorsten in einem 3000 m Umkreis getroffen werden. Auch sei zu berücksichtigen, dass der Seeadler in den Jahren 1999 bis 2010, mit Ausnahme der Jahre 2002 und 2004, über dem Gebiet des Windparks H-Stadt anwesend gewesen sei.

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Auch für die Wiesenweihe sei das Tötungs- und Verletzungsverbot nach dem Bundesnaturschutzgesetz ausgelöst, da ein Brutrevier der Wiesenweihe innerhalb des Tabubereichs von 1.000 m zu den geplanten Windkraftanlagen gelegen sei. Für die Wiesenweihe empfehle die Länder-Arbeitsgemeinschaft der Vorschutzwarten (LAG-VSW) einen Ausschlussbereich von 1.000 m um den Brutplatz und einen Prüfbereich von 6.000 m. Obwohl der Beklagte der Beigeladenen mit Schreiben vom 01. Dezember 2011 mitgeteilt habe, dass es an der unmittelbaren Grenze zur Windparkfläche im Jahre 2010 einen Brutnachweis der Wiesenweihe gegeben habe, enthalte der Genehmigungsbescheid keinerlei Aussagen zur Prüfung und Bewertung der Wiesenweihe hinsichtlich der Einhaltung der artenschutzrechtlichen Verbote. Das Referat 407 des Beklagten habe in seiner Stellungnahme vom 27. März 2012 auf den Brutnachweis aus dem Jahre 2010 sowie auf den Umstand, dass auch 2011 Beobachtungen von Wiesenweihen im Bereich der Vorhabensfläche vorlägen, jedoch ein erneuter Brutnachweis nicht gelungen sei, hingewiesen. Die Wiesenweihe sei im Bereich des geplanten Windparks im Jahre 2011 und 2014 als Revierpaar bzw. balzend vom Zeugen F. beobachtet worden. Zudem habe das Referat 407 des Beklagten in dem oben genannten Schreiben darauf hingewiesen, dass die Vorhabensfläche ein bedeutendes Jagdrevier für die Wiesenweihe darstelle, da dieses im weiteren Umfeld mit Wald umrandet sei. Dieses werde auch belegt durch die Haldensleber Vogelkunde-Information (29/2011). Da also im Jahr 2010 ein Reviernachweis gelungen sei und auch für das Jahr 2011 die Wiesenweihe im Untersuchungsraum beobachtet werden konnte, sei anhand der vorgelegten Gutachten nicht nachgewiesen, dass der Betrieb der Anlagen nicht zum Auslösen der artenschutzrechtlichen Verbote für die Wiesenweihe führen könne.

25

Für die im Bereich des genehmigten Windparks vorkommenden Fledermausarten seien das artenschutzrechtliche Tötungs- und Verletzungsverbot sowie das Störungsverbot ausgelöst. Der Betrieb der Windkraftanlagen führe zu einer signifikanten Erhöhung des Kollisionsrisikos und zu einer populationsrelevanten Störung für die Fledermausarten. Von einem erhöhten Kollisionsrisiko sei auszugehen, wenn es sich bei den betroffenen Arten aufgrund ihres artspezifischen Verhaltens um kollisionsgefährdete Arten handele und wenn im Bereich der Windkraftanlagen besondere Fledermausaktivitäten zu verzeichnen seien. Die häufigsten Kollisionen von Fledermäusen mit Windkraftanlagen sei in der Nähe von Waldrändern festgestellt worden. Nach der einschlägigen Fachliteratur sei grundsätzlich ein Mindestabstand von 200 m zwischen Windenergieanlage und Waldrand einzuhalten. Der Abstand von 200 m werde deutlich unterschritten und die Beigeladene habe nicht nachgewiesen, dass es im Bereich des geplanten Windparks keine erhöhten Fledermausaktivitäten gebe. Fachliche Grundlage für die Bewertung des Beklagten sei das Fledermausgutachten vom 19. Januar 2007. Dieses Gutachten basiere auf 20 Begehungen von April bis Oktober 2004 und 2 weitere Begehungen im Frühjahr 2005. Es beruhe daher auf einer völlig veralteten Datengrundlage und entspreche auch hinsichtlich der angewandten Untersuchungsmethodik nicht den im Jahre 2012 geltenden Standards. Zudem fehle jede Prüfung, inwieweit die festgelegten Abschaltzeiten zum Ausschluss des artspezifischen Kollisionsrisikos führen könnten, da der große Abendsegler ganzjährig im Gebiet des genehmigten Windparks vorkomme. Bereits aus dem Entwurf des zunächst von dem Beklagten gefertigten Ablehnungsbescheides ergebe sich die Fehlerhaftigkeit und Unvollständigkeit der im Jahre 2004 und 2005 durchgeführten Untersuchungen. Danach sei die Möglichkeit, Fledermäuse mit Detektoren zu erfassen, hinsichtlich einiger Arten beschränkt bzw. nicht gegeben. Netzfänge seien nicht durchgeführt worden, obwohl diese Stand der Technik seien. Auch Erkenntnisse aus einem Beringungsprogramm seien nicht in die Untersuchung einbezogen worden. Am Langenberg seien Fundstellen von Tieren aus dem Drömling, aus den Calvörder Bergen und auch überregional aus Havelberg nachgewiesen worden. Dies sei ein Beleg, dass das Gebiet ein ganz wichtiges Wandergebiet gerade für die beiden Abendseglerarten sei. Weiterhin befänden sich Wochenstuben und Massenquartiere im 3-Kilometer-Radius. Am Langenberg befänden sich Wochenstuben von Abendseglern, der Zwergfledermaus und Massenwinterquartiere vom großen Abendsegler, in denen in den letzten Jahren über 300 Tiere überwintert hätten. Damit seien auch Zug- oder Wanderkorridore betroffen. Im Plangebiet finde ein reger Individuenaustausch statt, es liege unmittelbar im Wanderkorridor für den Abendsegler. Dieser Wanderkorridor verlaufe weiter in Richtung Norden. Exemplare des kleinen Abendseglers seien in Hellbergen wiedergefunden worden. Dieser Wanderweg führe weiter bis nach Havelberg, also Richtung Norden. Es liege eine ganz wichtige Zugstraße für diese Art vor. Dieser Tatbestand sei durch Beringung abgesichert. Auch das FFH Gebiet Drömling befinde sich in unmittelbarer Nähe, es bestehe eine Austauschbeziehung zwischen dem FFH Gebiet und dem Plangebiet. Die Mangelhaftigkeit und Fehlerhaftigkeit der in den Jahren 2004, 2005 erfolgten Bestandserfassung habe sich mit Blick auf den Ende 2012 bestehenden fachlichen Standard nochmals verschärft, da Ende 2012 nicht nur höhere Anforderungen an die Untersuchungsmethoden galten, sondern insbesondere auch neue Erkenntnisse über das Vorhandensein von Wochenstuben, Winterquartieren sowie Zug- und Transferräumen vorhanden gewesen seien. Die angeordneten Abschaltzeiten seien nicht geeignet, das Tötungsrisiko für die Fledermausarten unter die Signifikanzschwelle zu reduzieren. Das folge bereits daraus, dass die Abschaltzeiten lediglich für zwei Monate - von Mitte Juli bis Mitte September - gelten würden. Dies würde voraussetzen, dass in dem übrigen Zeitraum des Jahres nicht mit signifikanten Fledermausaktivitäten zu rechnen sei. Dies sei unzutreffend, da der Abendsegler ganzjährig im Gebiet vorkomme und nicht nur während der Fortpflanzungszeit, sondern auch während der Zug- und Überwinterungszeit aktiv sei. Gleiches gelte aufgrund der festgestellten Zugbewegungen und Transferverbindungen. Zudem seien starre Abschaltzeiten nicht mehr Stand der Technik und die Windgeschwindigkeitsgrenze sei nicht bei unter 5 m/s, sondern bei unter 6 m/s zu ziehen. Hinsichtlich der Transferverbindungen werde auf eine Karte des Zeugen I. verwiesen (Bl. 414 GA). Nach dem derzeitigen wissenschaftlichen Kenntnisstand fänden Transferflüge in Deutschland grundsätzlich in den Monaten April bis Oktober statt. Auf der Grundlage der vorgelegten Beringungsdaten seien für den entsprechenden Bereich Transferflüge bis in den Monat Dezember nachgewiesen.

26

Der Kläger bezieht sich zudem auf das Gutachten der Ökotop GbR vom 28. April 2013 (Bl. 199 ff. GA).

27

Wegen der weiteren Einzelheiten der Klagebegründung wird gemäß § 117 Abs. 2 S. 2 VwGO auf die Schriftsätze des Prozessbevollmächtigten des Klägers Bezug genommen.

28

Der Kläger beantragt,

29

die immissionsschutzrechtliche Genehmigung des Beklagten vom 12. November 2012 aufzuheben.

30

Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

32

Der Beklagte erwidert, ihm seien bei der Öffentlichkeitsbeteiligung keine Verfahrensfehler unterlaufen. Bei der Auslegung Ende 2007 seien die Unterlagen vollständig gewesen und ließen die von den geplanten Windkraftanlagen ausgehenden Umwelteinwirkungen hinreichend deutlich erkennen. Vollständigkeit im Sinne der §§ 10 Abs. 3 S. 1 BImSchG, 8 Abs. 1 S. 1 der 9. BImSchV setze nicht voraus, dass bereits alle Unterlagen vorlägen, die zur umfassenden Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Vorhabens erforderlich seien und auf deren Basis später über den Antrag entschieden werde. Die ausgelegten Unterlagen seien als vollständig anzusehen, wenn sie das Publikum über die möglichen Nachteile, Gefahren und Belästigungen des Vorhabens ausreichend unterrichten würden. Entscheidend sei, dass dem Einzelnen ermöglicht werde, den Grad seiner Betroffenheit abzuschätzen und sich seines Interesses, Einwendungen zu erheben, bewusst zu werden. Diese Anstoßfunktion sei vorliegend gegeben, denn der Kläger habe bereits alle seine wesentlichen Kritikpunkte im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung im ersten Genehmigungsverfahren vorgebracht. Ausnahme seien seine Argumente zum besonderen Artenschutz für die Vogelarten Wiesenweihe und Rotmilan. Die Ausführungen der Klagebegründung bezüglich dieser beiden Vogelarten seien aber nicht präkludiert, weil die entsprechend einschlägigen Brutvorkommen überhaupt erstmals 2010 für die Wiesenweihe und 2012 für den Rotmilan auftraten und somit als zwischenzeitlich neue Sachverhalte im Dezember 2007 noch nicht thematisiert werden konnten. Das alles spreche aber dafür, dass die Unterlagen, die Ende 2007 ausgelegen haben, hinreichend vollständig gewesen seien. Eine erneute Auslegung der Unterlagen im Rahmen der Fortführung des Verwaltungsverfahrens nach der Aufhebung des Genehmigungsbescheides vom 11. Dezember 2009 durch das Verwaltungsgericht sei nicht notwendig gewesen. Die im Verfahren zur jetzigen Genehmigung im Herbst 2011 nachgereichten Unterlagen seien zwar entscheidungserheblich, eine Pflicht zur Auslegung nach § 9 Abs. 1 S. 4 UVPG bestehe allerdings nicht. Denn diese Vorschrift sei schon nicht einschlägig. Die Regelungen über die Öffentlichkeitsbeteiligung im immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren gemäß § 10 BImSchG und §§ 8 ff. der 9. BImSchV gingen den Vorschriften des UVPG als spezielle Regelungen vor. Zudem sei eine wesentliche Änderung des Vorhabens nach Durchführung des Erörterungstermins nicht vorgenommen worden, so dass auch nach § 9 Abs. 1 S. 4 UVPG keine Verpflichtung zu einer erneuten Öffentlichkeitsbeteiligung bestehe.

33

Die Argumentation des Klägers, wonach alle im Jahr 2004 festgestellten Rotmilanhorste für die Zulassungsentscheidung heranzuziehen seien, entspreche im Genehmigungszeitpunkt nicht mehr der üblichen Genehmigungspraxis. Denn das artenspezifische Charakteristikum wechselnder Horstnutzung sei bei der Betrachtung von drei Brutperioden bereits hinreichend berücksichtigt. Die aus artenschutzrechtlichen Gründen besonders interessierende Frage, welche der Horste in künftigen Jahren vom Rotmilan genutzt werden, sei im Genehmigungszeitpunkt ohnehin nicht abschließend zu beantworten. An diesem Umstand ändere auch nichts, dass im Jahr 2012 einer der im Jahr 2004 als unbelegt festgestellten Horste für eine Rotmilanbrut genutzt worden sei.

34

Der Kläger überschätze die Bedeutung der Wiesenweihe in Sachsen-Anhalt, der Beklagte könne eine besondere Verantwortung des Landes für den Schutz der Wiesenweihe nicht erkennen. Dies folge auch nicht daraus, dass es im ganzen Land angeblich nur 30 Brutpaare gebe. Darüber hinaus gebe es keinen konkreten Brutnachweis für die WKA Standorte bis 2011.

35

Die im Vorhabensumfeld nachgewiesenen bzw. vermuteten Brutvorkommen des Seeadlers befänden sich außerhalb des EU SPA Drömling. Für die lokale Seeadlerpopulation des EU SPA Drömling sei eine vorhabensbezogene Gefährdung des günstigen Erhaltungszustandes nicht zu befürchten.

36

Das Vorhabengebiet sei Teil eines Aktivitätsraumes verschiedener Fledermausarten. Zum Schutz dieser Arten enthalte der angefochtene Genehmigungsbescheid Nebenbestimmungen, wonach bei Windgeschwindigkeiten in Gondelhöhe unterhalb von 5,0 m/s zur Verringerung des Kollisions- und Tötungsrisikos Abschaltzeiten in der Zeit von Mitte Juli bis Mitte September nach bestimmten Parametern vorgegeben seien.

37

Das Schutzgebiet Drömling liege in ca. 3 km Entfernung zum Windpark H-Stadt. Das Gebiet werde durch die Errichtung der Windkraftanlagen nicht zerstört oder beeinträchtigt und stehe weiterhin dem Naturschutz zur Verfügung. Im Rahmen des Genehmigungsverfahrens sei eine FFH Verträglichkeitsprüfung durchgeführt worden. Danach könnten erhebliche Beeinträchtigungen ausgeschlossen werden. Nach der vom Gutachter erstellten Karte zum Zugverhalten der Zug- und Rastvögel liege der Windpark nicht im Flugkorridor der Vögel. Die Anzahl der Vögel verändere das Flugverhalten nicht. Die Zunahme der Zug- und Rastvögel sei schon bei der Genehmigungserteilung 2009 bekannt gewesen.

38

Wegen der weiteren Einzelheiten der Klageerwiderung wird gemäß § 117 Abs. 3 S. 2 VwGO auf die Schriftsätze des Beklagten verwiesen.

39

Die Beigeladene beantragt,

40

die Klage abzuweisen.

41

Sie erwidert, die im Jahr 2007 ausgelegten Unterlagen ließen die von den geplanten Windkraftanlagen ausgehenden Umwelteinwirkungen hinreichend erkennen. Zweck der Auslegung sei es, die Adressaten über etwaige Nachteile und Gefahren, welche aus dem Vorhaben resultieren könnten, zu informieren. Die Adressaten müssten lediglich abschätzen können, ob und ggf. inwieweit ihre Interessen durch das Vorhaben berührt würden. Diesem Zweck sei die Auslegung gerecht geworden. Der Kläger verkenne, dass zwischen den Anforderungen, welche bei der Auslegung zu stellen seien und denen, welche bei der Entscheidung über die Genehmigung vorliegen müssten, deutlich zu unterscheiden sei. Zum Zeitpunkt der Auslegung bedürfe es nicht schon der Vorlage aller Unterlagen, welche für die Erteilung einer Genehmigung erforderlich seien. Dass die ausgelegten Unterlagen ausreichend gewesen seien, verdeutliche wiederum die Klagebegründung, da sich diese in Einwendungen erschöpfe, welche bereits Gegenstand der Einwendungen gewesen seien, die auch im Jahre 2007 erhoben worden seien. Ausgenommen hiervon seien die Ausführungen zum Rotmilan und zur Wiesenweihe, welche jedoch auf einem erst nachträglich entstandenen Sachverhalt beruhten. Auch aus § 9 Abs. 1 S. 4 UVPG ergebe sich keine Pflicht, die nachgereichten Unterlagen auszulegen. Der nach § 4 S. 1 UVPG subsidiären Vorschrift komme nach dem Willen des Gesetzgebers nicht die von dem Kläger beigemessenen Bedeutung zu. Da zudem eine Änderung des geplanten Vorhabens nicht vorgenommen worden sei, sondern lediglich eine Ergänzung der vorgelegten Unterlagen erfolgt sei, seien die Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 S. 4 UVPG nicht erfüllt.

42

Soweit der Kläger vorträgt, bei der FFH-Verträglichkeitsprüfung seien relevante Unterlagen/Erhebungen sowie neue Erkenntnisse unberücksichtigt gelassen worden, sei diesem Vortrag nicht zu folgen. Die vorgelegten Gutachten beruhten auf Erfassungsergebnissen aus dem Zeitraum von 2004 bis 2013. In dieser Zeit hätten die Gutachter 84 Begehungen vorgenommen. Zur Kontrolle der Untersuchungsergebnisse seien in den Jahren 2009 bis 2013 26 Begehungen vorgenommen worden. Die Datenerfassung genüge dem jeweiligen Stand der Technik. Die Daten seien insbesondere nicht aufgrund veralteter Methoden erhoben worden.

43

Insbesondere die Erfassung der Brut- bzw. Zug- und Rastvögel in zeitlicher und räumlicher Hinsicht sei nicht fehlerhaft erfolgt. Die Brutvogelerfassung sei nach der halbquantitativen Revierkatierungsmethode erfolgt und habe bereits damals die heute üblichen Anforderungen erfüllt. Bei Windparkprojekten sei eine einjährige Untersuchung zu Zug- und Rastvögeln üblich.

44

In die Erkenntnisse zu den Fledermäusen seien alle eingereichten Informationen des Untersuchungszeitraumes wie auch Erkenntnisse lokaler Beobachter eingeflossen. Die zur Untersuchung seinerzeit praktizierte Detektormethode sei uneingeschränkt geeignet, eine abschließende Beurteilung der Bedeutung des Raumes für Fledermäuse abzugeben, und zwar auch unter Berücksichtigung der heute üblichen ergänzenden technischen Methoden. Die Anzahl der eingesetzten Horchkisten sei ausreichend gewesen.

45

In dem Zeitraum von 2004 bis 2013 sei im Untersuchungsgebiet kein einziger aktiver Seeadler festgestellt worden. Lediglich ein einziger im Überflug befindlicher Seeadler sei gesichtet worden. Es sei falsch, dass sich ein Seeadlerbrutplatz im empfohlenen Tabubereich (3.000 m) befinde oder befunden habe. Ferner sei zu berücksichtigen, dass bedeutend günstigere Lebensräume für den Seeadler nördlich von den WKA Standorten lägen und sich das Umfeld des geplanten Windparks als vergleichsweise trocken und damit unattraktiv für den Seeadler erweise.

46

Im Hinblick auf die Wiesenweihe sei lediglich ein einmaliger Überflug im Jahr 2008 gemeldet worden. Ein Brutnachweis sei trotz mühevoller Prüfung vor Ort nicht erbracht worden. Die Behauptungen des Klägers zur regelmäßigen Beobachtung der Wiesenweihe im Jahr 2011 im Vorhabensgebiet seien nicht richtig.

47

Ein Brutplatz des Rotmilans innerhalb der Windparkfläche könne ausgeschlossen werden. Zum Genehmigungszeitpunkt sei das artspezifische Charakteristikum wechselnder Horstnutzung hinreichend berücksichtigt worden. Potenzielle Horststandorte bei der Zulassungsentscheidung heranzuziehen widerspreche dem Standard.

48

Die Beklagte habe zu Recht die ihr zustehende Einschätzungsprärogrative auf der Basis der Feststellungen des Gutachters (UVP) vorgenommen. Dies werde bestätigt durch die ergänzende Stellungnahme des Gutachters St vom 09. September 2013, deren Inhalt sich die Beigeladene zu Eigen mache (Bl. 267 GA).

49

Die Beigeladene beruft sich zudem auf das von ihr vorgelegte Gutachten des Ingenieurbüros für Umweltplanung S. + R. vom 07. Mai 2015 (Bl. 460 GA).

50

Wegen der weiteren Einzelheiten der Klageerwiderung der Beigeladenen wird gemäß § 117 Abs. 3 S. 2 VwGO auf die Schriftsätze ihres Prozessbevollmächtigten verwiesen.

51

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen F., G., H. und I.. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.

52

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

53

Die zulässige Klage ist begründet. Der Genehmigungsbescheid des Beklagten vom 12. November 2012 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten - § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO -.

54

Die immissionsschutzrechtliche Genehmigung für die Windkraftanlagen 1, 2, 3, 4 und 5 verstößt im Hinblick auf den Rotmilan gegen das Tötungsverbot des § 44 Abs. 1 Nr. 1 Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG).

55

Danach ist es verboten, wildlebenden Tieren der besonders geschützten Arten nachzustellen, sie zu fangen, sie zu verletzen oder zu töten oder ihre Entwicklungsformen aus der Natur zu entnehmen, zu beschädigen oder zu zerstören. Zu den besonders geschützten Arten gehören gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 13 a BNatSchG insbesondere die Tier- und Pflanzenarten, die in Anhang A oder B der Verordnung (EG) Nr. 338/97 aufgeführt sind. Dazu zählen der Rotmilan und die Wiesenweihe.

56

Der Tötungstatbestand ist auch dann erfüllt, wenn sich die Tötung als unausweichliche Konsequenz eines im Übrigen rechtmäßigen Verwaltungshandelns erweist (vgl. EuGH, U. v. 20.10.2005 - Rs. C-6/04 -). Dass einzelne Exemplare geschützter Arten durch Kollisionen mit Windkraftanlagen zu Schaden kommen können, ist allerdings bei lebensnaher Betrachtung nie völlig auszuschließen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U. v. 09.07.2008, BVerwGE 131, 274 ff.) ist der artenschutzrechtliche Tötungs- und Verletzungstatbestand dann nicht erfüllt, wenn das Vorhaben nach naturschutzfachlicher Einschätzung kein signifikant erhöhtes Risiko kollisionsbedingter Verluste von Einzelexemplaren verursacht, mithin unter der Gefahrenschwelle in einem Risikobereich bleibt, der mit dem Vorhaben im Naturraum immer verbunden ist, vergleichbar dem ebenfalls stets gegebenen Risiko, dass einzelne Exemplare einer Art im Rahmen des allgemeinen Naturgeschehens Opfer einer anderen Art werden. Der Verbotstatbestand ist zwar individuenbezogen, dass einzelne Exemplare etwa durch Kollision zu Schaden kommen, reicht aber nicht aus. Soll das Tötungs- und Verletzungsverbot nicht zu einem unverhältnismäßigen Planungshindernis werden, ist zu fordern, dass sich das Risiko des Erfolgseintritts in signifikanter Weise erhöht, wobei Maßnahmen, mittels derer solche Kollisionen vermieden oder dieses Risiko zumindest minimiert werden soll, einzubeziehen sind. Gemeint ist eine deutliche Steigerung des Tötungsrisikos. Dafür genügt es nicht, dass im Eingriffsbereich überhaupt Tiere der besonders geschützten Art angetroffen worden sind. Erforderlich sind vielmehr Anhaltspunkte dafür, dass sich das Risiko eines Vogelschlages durch das Vorhaben deutlich und damit signifikant erhöht (BVerwG, U. v. 09.07.2008, a.a.O.).

57

Da zur fachlichen Beurteilung dieser Frage ornithologische Kriterien maßgeblich sind, die zu treffende Entscheidung prognostische Elemente enthält und überdies naturschutzfachlich allgemein anerkannte standardisierte Maßstäbe und handhabbare Verfahren fehlen, muss der zuständigen Genehmigungsbehörde eine naturschutzfachliche Einschätzungsprärogrative zuerkannt werden (vgl. BVerwG, U. v. 21.11.2013 - 7 C 40/11 -, NVwZ 2014, 524 ff.; OVG LSA, B. v. 21.03.2013 - 2 M 154/12 -, NuR 2013, 507 ff.) Die gerichtliche Prüfung ist insoweit grundsätzlich auf eine Vertretbarkeitskontrolle beschränkt.

58

Dieses berücksichtigend und ausgehend von der in Fachkreisen gewonnenen Erkenntnis, dass der Rotmilan artspezifisch zu den Arten gehört, die häufiger als Schlagopfer von Windenergieanlagen auftreten, und dass die bisher gefundenen Zahlen der von Windkraftanlagen getöteten Rotmilane relativ höher ist als die Opferzahlen anderer Greifvögel, hat das Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt entschieden (vgl. B. v. 21.03.2013 - 2 M 154/12 -, NuR 2013, 507 ff. m. w. N.), es sei naturschutzfachlich vertretbar, von einem signifikant erhöhten Tötungsrisiko für den Rotmilan durch den Betrieb von Windkraftanlagen grundsätzlich dann auszugehen, wenn der Abstand der Windenergieanlage zu einem festgestellten Brutplatz weniger als 1.000 m beträgt, es sei denn es liegen zuverlässige Erkenntnisse darüber vor, dass sich in einer größeren Entfernung als 1.000 m ein oder mehrere für den Rotmilan attraktive, nicht nur kurzzeitig bzw. zeitweise zur Verfügung stehende Nahrungshabitate befinden und die Windenergieanlagen dort oder innerhalb eines Flugkorridors dorthin liegen.

59

Denn für die Frage eines signifikant erhöhten Kollisionsrisikos ist der Abstand des Vorhabens zu den Horsten des Rotmilans von maßgeblicher Bedeutung. Wie ausgeführt gehört der Rotmilan zu den Arten, die häufig als Schlagopfer von Windenergieanlagen auftreten, seine Opferzahlen sind höher als die anderer Greifvögel. Dies folgt u. a. aus Daten der zentralen Fundkartei der staatlichen Vogelschutzwarte im Landesamt für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz Brandenburg (sog. Dürr-Liste), die mit Stand vom 19.01.2011 (01.06.2015) Vogelverluste an Windenergieanlagen in Deutschland aufweist. Danach liegt der Rotmilan mit 146 (270) getöteten Tieren hinter dem Mäusebussard mit 165 (332) getöteten Tieren bundesweit an zweiter Stelle. In Sachsen-Anhalt liegt er mit 44 (63) Opfern sogar an erster Stelle der von Schlagopfern betroffenen Vogelarten. Auch im Bundesland Brandenburg liegt der Rotmilan mit 49 (65) Schlagopfern an zweiter Stelle hinter dem Mäusebussard mit 87 (127) getöteten Tieren. Dementsprechend wurden in Fachkreisen artspezifische Abstände entwickelt. So hat die Länderarbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten (LAG-VSW) Abstandsempfehlungen zu bedeutsamen Vogellebensräumen sowie Brutplätzen ausgewählter Vogelarten erarbeitet. Diese Abstandsempfehlungen sehen u. a. vor, dass der Abstand zwischen Brutplätzen des Rotmilans und dem Standort der Windenergieanlage mindestens 1.000 m betragen solle (Ausschlussbereich). Daneben ist ein sog. Prüfbereich von 6.000 m angegeben, der den Radius um jede einzelne Windenergieanlage beschreibt, innerhalb dessen zu prüfen ist, ob bei entsprechendem Lebensraumtyp Nahrungshabitate der betreffenden Art vorhanden sind. Weiter heißt es darin, dass bei Arten wie dem Rotmilan Flächen innerhalb des Prüfbereichs besonders dann als kritisch für die Errichtung von Windenergieanlagen einzuschätzen seien, wenn sie von mehreren Vögeln nicht nur gelegentlich, sondern überwiegend aufgesucht werden oder wenn sie von mehreren Individuen verschiedener Paare als Nahrungshabitat beansprucht werden.

60

Der niedersächsische Landkreistag hat im Januar 2011 in seinen Hinweisen zur Berücksichtigung des Naturschutzes und der Landschaftspflege sowie zur Durchführung der Umweltprüfung und Umweltverträglichkeitsprüfung bei Standortplanung und Zulassung von Windenergieanlagen - 4. Auflage - (NLT) artspezifische Abstandsempfehlungen herausgegeben, die für Rotmilane die Einhaltung eines Abstandes von mindestens 1.000 m zum Brutplatz und das Freihalten der Nahrungshabitate bis 6.000 m zum Brutplatz sowie der Flugwege dorthin vorsehen. Aus all diesen Erkenntnissen kann - naturschutzfachlich vertretbar - abgeleitet werden, dass für den Rotmilan von einem signifikant erhöhten Tötungsrisiko durch den Betrieb von Windkraftanlagen grundsätzlich dann ausgegangen werden kann, wenn der Abstand der Windenergieanlage weniger als 1.000 m zum Horst beträgt. Wegen der potenziellen Weite des Prüfbereichs bedarf es jedenfalls greifbarer Anhaltspunkte für die Notwendigkeit einer besonderen Prüfung außerhalb des Tabubereichs von 1.000 m (vgl. OVG LSA, U. v. 26.10.2011 - 2 L 6/09 - NuR 2012, 196 ff.).

61

Von dem genannten Ausschlussbereich von 1.000 m um den Rotmilanhorst und von einem Prüfbereich von 6.000 m gehen auch der Hessische Verwaltungsgerichtshof (B. v. 17.12.2013 - 9 A 1540/12.Z - NuR 2014, 371 ff.) und das Thüringer Oberverwaltungsgericht (U. v. 14.10.2009 - 1 KO 372/06 -, NUR 2010, 368 ff.) aus.

62

Soweit man generell größere Abstände fordern würde, wäre zudem fraglich, ob der im Außenbereich privilegierten Nutzung der Windenergie überhaupt noch substanziell Raum verschafft werden könnte (vgl. OVG LSA, U. v. 26.10.2011 - 2 L 6/09 -, NuR 2012, 196 ff.).

63

Nach der Rechtsprechung des OVG LSA kommt dem artspezifischen Verhalten der Vogelart maßgebliche Bedeutung bei der Beurteilung eines signifikant erhöhten Tötungsrisikos zu (vgl. OVG LSA, B. v. 21.03.2013 - 2 M 154/12 - a. a. O.). Rotmilane nehmen Windenergieanlagen nicht als Störung wahr bzw. meiden diese nicht, so dass es zu Kollisionen kommen kann. Es scheint, als hätten auch die Geräuschimmissionen der WEA keine abschreckende Wirkung. Regelmäßig könne daher die Nahrungssuche von Rotmilanen in Windparks beobachtet werden. Auch die Zahl der Kollisionsopfer von Windkraftanlagen spreche gegen eine abschreckende Wirkung (vgl. OVG LSA, U. v. 19.01.2012 - 2 L 124/09 -).

64

Bei Anwendung dieser Maßstäbe auf den vorliegenden Fall sind die WEA Nr. 1 bis 4 gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG nicht genehmigungsfähig, weil ihnen das artenschutzrechtliche Tötungs- und Verletzungsverbot gemäß § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG und damit zugleich Belange des Naturschutzes im Sinne des § 35 Abs. 3 S. 1 Nr. 5 BauGB entgegenstehen. Diese Anlagen befinden sich nach der Bekundung des glaubwürdigen Zeugen F. in weniger als 1.000 m Entfernung zu zwei Rotmilanbrutplätzen östlich und westlich des Vorhabens (vgl. auch Karte 1 der Ökotop GbR vom 28.04.2013, Bl. 217 GA). Der Zeuge F. hat bekundet, dass im Jahre 2012 zwei Brutpaare des Rotmilans in einem Abstand von 700 m zur WKA 4 in einem Horst östlich des geplanten Vorhabens und in einem Abstand von 800 m zur WKA 1 in einem Horst westlich des Vorhabens erfolgreich gebrütet haben. Im Ausschlussbereich von 1.000 m zu diesen Horsten befinden sich auch die WKA 2 und die WKA 3. Diese Tatsachen hat der Beklagte bis zum Genehmigungszeitpunkt (November 2012) nicht berücksichtigt. Die vom Zeugen F. bekundete Tatsache der beiden 2012 vorhandenen Brutplätze des Rotmilans in weniger als 1.000 m Entfernung zu den Windkraftanlagen 1 bis 4 lassen die im Verwaltungsverfahren vorgelegten Gutachten der Beigeladenen unberücksichtigt. Der Kläger ist mit diesen Ausführungen auch nicht präkludiert nach § 2 Abs. 3 UmwRG, weil die entsprechenden Brutvorkommen erst 2012 auftraten und von ihm nicht innerhalb der Einwendungsfrist bis zum 04. Januar 2008 geltend gemacht werden konnten. Es handelt sich um neue Sachverhalte, die in der Einwendungsfrist nicht vorgetragen werden konnten.

65

Insoweit steht dem Beklagten auch keine gerichtlich nur begrenzte überprüfbare behördliche Einschätzungsprärogrative zu, da diese eine den wissenschaftlichen Maßstäben und den vorhandenen Erkenntnissen entsprechende Sachverhaltsermittlung voraussetzt (vgl. OVG LSA, B. v. 04.06.2013 - a. a. O). Daran fehlt es vorliegend, denn auch der Beklagte hätte vor Erlass der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung vom 12. November 2012 - ggf. unter Heranziehung der Beigeladenen - das Vorhandensein der beiden Rotmilanbrutplätze im Ausschlussbereich des Vorhabens feststellen können und müssen.

66

Denn auch im Rahmen der Einschätzungsprärogative, die sich bereits auf die Erfassung des Bestandes geschützter Arten bezieht, ist der Beklagte verpflichtet, regelmäßig die Bestandserfassung vor Ort und die Auswertung bereits vorhandener Erkenntnisse zu den artspezifischen Verhaltensweisen im Bereich des Vorhabens zu veranlassen. Auch im Bereich der artenschutzfachlichen Einschätzungsprärogative ist der Beklagte nicht von gerichtlicher Kontrolle freigestellt. Das Verwaltungsgericht ist verpflichtet, zu überprüfen, ob im Gesamtergebnis die artenschutzfachlichen Untersuchungen sowohl in ihrem methodischen Vorgehen als auch in ihrer Ermittlungstiefe ausreichen, um die Behörde in die Lage zu versetzen, die Voraussetzungen der artenschutzrechtlichen Verbotstatbestände sachgerecht zu überprüfen (Bay. VGH, U. v. 18.06.2014, NuR 2014, 736 ff. m.w.N.). Im vorliegenden Fall ist die Ermittlungstiefe im Hinblick auf den Rotmilan nicht ausreichend. Nach den eigenen Maßstäben des Beklagten ist wegen des artenspezifischen Charakteristikums wechselnder Horstnutzung bei der Erfassung des Rotmilans als Brutvogel die Betrachtung von drei Brutperioden geboten, um die aus artenschutzrechtlichen Gründen besonders interessierende Frage, welche Horste in künftigen Jahren vom Rotmilan genutzt werden und an welchem Ort künftig vielleicht Rotmilanhorste völlig neu gebaut und genutzt werden, zu untersuchen. Hinsichtlich der Erfassung des Rotmilans als Brutvogel fehlt es an der erforderlichen Ermittlungstiefe. Die Ergebnisse der Erfassung der Jahre 2004 und 2005 sind im Hinblick auf den maßgeblichen Genehmigungszeitpunkt im November 2012 veraltet. Die Untersuchungen aus dem Jahre 2009 beruhen auf sechs Begehungen zwischen den 19. April 2009 und dem 12. August 2009 (vgl. avifaunistisches Gutachten Brutvögel, Ergänzungsbericht 2009, Seite 2/3). Die Anzahl der Begehungen ist aber nach dem NLT-Papier 2011, Anm. 52 nicht ausreichend, wonach 10 Bestandserfassungen verteilt auf die gesamte Brutzeit von Ende März bis Mitte Juli notwendig sind.

67

Die artenschutzfachlichen Untersuchungen, die der Beklagte der Genehmigungsentscheidung zu Grunde gelegt hat, weisen auch deshalb nicht die notwendige Ermittlungstiefe auf, weil sich auf Grund der Ergebnisse der von der Beigeladenen vorgelegten Gutachten weitere Ermittlungen zum Vorhandensein von Brutplätzen des Rotmilans und zur Nutzung des Vorhabensgebietes als Nahrungshabitat aufgedrängt haben. Denn bereits im Rahmen der avifaunistischen Untersuchung und Kartierung in den Jahren 2004 und 2005 konnte ein Rotmilanhorst in ca. 950 m Entfernung zu der nächstgelegenen WKA festgestellt werden (vgl. auch Seite 29 des angefochtenen Bescheides). Auch gehen alle von der Beigeladenen dem Beklagten vorgelegten Gutachten davon aus, dass der Rotmilan im Vorhabensbereich regelmäßig anzutreffen ist und dieses Gebiet als Nahrungshabitat nutzt. Ob es sich dabei um regelmäßig aufgesuchte Nahrungshabitate, sogenannte Hotspots, handelt, kann nur mit Hilfe von Flugbeobachtungen beantwortet werden (vgl. Bay. VGH, U. v. 18.06.2014, NuR 2014, 736 ff.). Jedenfalls bei der hier aufgezeigten Sachlage hätte es sich dem Beklagten aufdrängen müssen, aktuelle Untersuchungen zum Vorhandensein von Brutplätzen des Rotmilans in der Umgebung der Windfarm und zum Vorhandensein von wichtigen Nahrungshabitaten zeitnah im Vorfeld der Genehmigungserteilung, also im Jahr 2012, zu veranlassen. Dabei hätte es sich angeboten, eine Auskunft des Landesamtes für Umweltschutz LSA einzuholen, das über die Rotmilan-Brutplätze informiert ist und diese kartiert hat (vgl. Auskunft vom 01. Juni 2015).

68

Soweit sich die Beigeladene unter Bezugnahme auf die gutachterliche Stellungnahme von St vom 09. September 2013 und das Gutachten des Ingenieurbüros für Umweltplanung S. und R. vom 07. Mai 2015 hinsichtlich der Frage, ob das Vorhaben zu einem signifikant erhöhten Verletzungs- oder Tötungsrisiko einer geschützten Art führen kann, auf eine Einschätzungsprärogative beruft, ist zunächst zu berücksichtigen, dass diese Einschätzungsprärogative nicht der Beigeladenen, sondern nur dem Beklagten als Genehmigungsbehörde zusteht (VG Arnsberg, U. v. 22.11.2012 - 7 K 2633/10 -, NuR 213, 597 ff.).

69

Eine solche Rücknahme der Kontrolldichte des Gerichts wegen der Einschätzungsprärogative der Genehmigungsbehörde setzt zudem - wie oben bereits ausgeführt - voraus, dass von Seiten des Beklagten eine den wissenschaftlichen Maßstäben und den vorhandenen Erkenntnissen entsprechende Sachverhaltsermittlung vorgenommen wurde und sich daraus kein signifikant erhöhtes Verletzungs- und Tötungsrisiko einer geschützten Art herleiten lässt. Daran fehlt es vorliegend, denn der Beklagte hat - wie bereits ausgeführt - die beiden vom Zeugen F. bekundeten Rotmilanbrutplätze im Jahr 2012, die in weniger als 1.000 m Entfernung zu vier Windkraftanlagen liegen, bei der Genehmigungsentscheidung unberücksichtigt gelassen.

70

Aus dem Gutachten von S. und R. vom 07. Mai 2015 (Bl. 460 GA) lässt sich entgegen der Ansicht der Beigeladenen auch nicht herleiten, dass das Vorhaben das Risiko der Verletzung oder Tötung von Rotmilanen nicht in signifikanter Weise erhöht. Das Gutachten stellt unter Bezug auf den bayrischen Windenergieerlass sowie die Rechtsprechung des VG Minden (U. v. 10.03.2010 - 11 K 53/09 -) darauf ab, dass allein aus der Unterschreitung des 1.000-Meter-Abstandes eines Rotmilanhorstes zu einer geplanten WKA kein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko hergeleitet werden könne. Es müsse daher jeweils orts- und vorhabenspezifisch entschieden werden, ob das Tötungsrisiko im Prüfbereich signifikant erhöht sei. Dazu müsse plausibel dargelegt werden, ob es in diesem Bereich zu höheren Aufenthaltswahrscheinlichkeiten komme oder ob der Nahbereich der Anlage, zum Beispiel bei Nahrungsflügen, signifikant häufiger überflogen werde. Ergebe die Untersuchung der Aufenthaltswahrscheinlichkeiten bezüglich der Individuen nicht, dass die Windkraftanlagen gemieden oder selten überflogen würden, sei in diesem Bereich von einem erhöhten Tötungsrisiko auszugehen.

71

Das Gutachten von S. und R. gelangt sodann zu dem Ergebnis, dass es im Bereich der geplanten Anlagen nicht zu höheren Aufenthaltswahrscheinlichkeiten des Rotmilans komme (S. 14), während anderseits in dem Gutachten ausgeführt wird, dass die Aktivitäten von Rotmilanen sich im Umfeld der jeweiligen Horste höher als in größerer Entfernung gestalten. Je nach Quelle würden etwa 50 % aller Aktivitäten im 1.000 m Umkreis oder im 1.500 m Umkreis erfolgen (S. 9 des Gutachtens). Es ist bereits denklogisch nicht nachvollziehbar, weshalb dann im Bereich des Vorhabens mit zwei Rotmilanbrutplätzen im Jahr 2012 in einer Entfernung von weniger als 1.000 m zu vier der Windkraftanlagen es nicht zu höheren Aufenthaltswahrscheinlichkeiten von Rotmilanen kommen soll.

72

Im Übrigen kommt es nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt (B. v. 21.03.2013 - 4 M 154/12 - NuR 2013, 507 ff. m.w.N.) nicht auf die vom Gutachter R. geforderte nähere Betrachtung des Einzelfalls an, vielmehr geht das OVG LSA in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass eine Windenergieanlage in weniger als 1.000 m Entfernung zu einem Rotmilanbrutplatz das Verletzungs- und Tötungsrisiko signifikant erhöht und dass diese Anlage deshalb gegen das Tötungsverbot des § 44 S. 1 Nr. 1 NatSchG verstößt.

73

Selbst wenn man wie die Gutachter S. und R., das VG Minden (U. v. 10.03.2010, a. a. O.) und das VG Hannover (U. v. 22.11.2012, 12 A 2305/11, NuR 2013, 217 ff.) klare Abstandskriterien für die Annahme eines signifikant erhöhten Tötungsrisikos ablehnt, geht das VG Hannover davon aus, dass nach der wissenschaftlichen Erkenntnis die Hälfte aller Nahrungsflüge in einer maximalen Entfernung von 1.000 m zum Rotmilanhorst stattfindet. Deshalb sei in diesem Bereich typischer Weise von einer besonderen Aktivitätsdichte und einem daraus resultierenden erhöhtem Kollisionsrisiko auszugehen. Liegen in dem jeweils zu beurteilenden Fall keine gegenteiligen Erkenntnisse vor, sei es im Sinne einer Vermutensregel naturschutzfachlich gerechtfertigt davon auszugehen, dass sich das Kollisionsrisiko für den Rotmilan durch eine Anlage in einem Abstand von weniger als 1.000 m zu seinem Horst signifikant erhöhe. Dieses Abstandskriterium bedürfe aber stets einer einzelfallbezogenen Kontrolle, ob besondere Umstände der tatsächlichen Raumnutzung ein signifikant erhöhtes Kollisionsrisiko ausschließen. Solche besonderen Umstände, wie z. B. bewaldete Gebiete, die als Nahrungshabitat des Rotmilans ausfallen, weil sie einen Zugriff auf die bevorzugten Beutetiere nicht ermöglichen, sind vorliegend im Vorhabenbereich nicht ersichtlich.

74

Wie der Beklagte in seinem Schriftsatz vom 07. Mai 2015 zutreffend ausführt, ist als maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Anfechtungsklage auf den Erlass des Genehmigungsbescheides im November 2012 abzustellen. Danach eingeflossene oder beigebrachte naturschutzfachliche Feststellungen seien daher unbeachtlich. Sie beeinflussen die naturschutzfachliche Bewertung des Beklagten im Rahmen seiner Einschätzungsprärogative nicht mehr (siehe Bl. 518 GA). Auch deshalb kommt dem Gutachten von S.z und R. keine rechtliche Relevanz zu.

75

Davon, dass sich das Tötungsrisiko signifikant erhöht, wenn sich der Brutplatz von Rotmilanen im 1.000-Meter-Umkreis um einen Windkraftanlagenstandort befindet, geht auch der Beklagte aus. Im angefochtenen Bescheid führt er u.a. aus, dass sich im 1.000-Meter-Bereich der Anlagenstandorte kein Brutplatz des Rotmilans befinde (vgl. Seite 30 des Bescheides vom 12.11.2012). In seinem Schreiben vom 1. Dezember 2011 an die Firma Johann Bunte Bauunternehmung (vgl. Bl. 24 der Beiakte A) führt der Beklagte aus, dass der Brutnachweis des Rotmilans von 2004 für die artenschutzrechtliche Prüfung des Vorhabens weiterhin zu berücksichtigen sei. Der Abstand zwischen dem nächstgelegenen WKA-Standort und dem Horst betrage etwa 950 m und sei damit geringer als der als Mindesttabu-Radius um genutzte Rotmilanhorste des inzwischen durch Fachkonventionen/Empfehlungen fachkundiger Stellen und Rechtsprechung hinreichend verfestigten Abstands von 1.000 m. Auch nach den der Genehmigungsentscheidung von dem Beklagten zu Grunde gelegten Gutachten des Regionalplan- und UVP-Planungsbüros St kommt dem 1.000 m Tabubereich im Hinblick auf das Tötungsverbot des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG für den Rotmilan Relevanz zu. In der Umweltverträglichkeitsstudie vom 10. Oktober 2011 wird ausgeführt, dass innerhalb des Abstandes von 1.000 m zu den Windparkflächen kein Rotmilanhorst nachgewiesen werden konnte (vgl. Seite 43 der UVS). Auch im avifaunistischen Gutachten für Brutvögel, Ergänzungsbericht 2011, findet sich die Feststellung, dass innerhalb eines Abstandes von 1.000 m zu den Anlagenstandorten keine Horststandorte des Rotmilans festgestellt werden konnten (siehe Bl. 6 und 9 des Gutachtens). Soweit sich der Gutachter St in seiner im Klageverfahren abgegebenen Stellungnahme vom 9. September 2013 nunmehr darauf beruft, dass die aktuellen Abstandsempfehlungen des Landes Brandenburg Rotmilanbrutplätze nicht mehr aufführen würden (tierökologische Abstandskriterien für die Errichtung von Windenergieanlagen in Brandenburg [TAK], Stand: 15.10.2012), und zur Begründung ausführt, hierdurch werde der aktuellen Populationsdynamik des Rotmilans trotz der errichteten Windenergieanlagen Rechnung getragen, kommt dieser Begründung im Hinblick auf das Tötungsverbot des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG keine Bedeutung zu, da die Populationsrelevanz bzw. Populationswirksamkeit beim Tötungs- und Verletzungsverbot nicht Tatbestandsmerkmal ist (vgl. OVG LSA, U. v. 26.10.2011 – 2 L 6/09 – NuR 2012, 196 ff.). Dies bedeutet, dass das Tötungsverbot auch dann verletzt sein kann, wenn sich durch die Tötung einzelner Exemplare der Erhaltungszustand der lokalen Population des Rotmilans nicht verschlechtert.

76

Auch im Hinblick auf die WEA 5, die mehr als 1.000 m von den beiden im Jahre 2012 festgestellten Brutplätzen des Rotmilans entfernt liegt, aber weniger als 6.000 m, ist von einem signifikant erhöhten Tötungsrisiko für den Rotmilan auszugehen, da zuverlässige Erkenntnisse darüber vorliegen, dass sich in einer größeren Entfernung als 1.000 m vom Horst ein oder mehrere für den Rotmilan attraktive, nicht nur kurzzeitig bzw. zeitweise zur Verfügung stehende Nahrungshabitate befinden und die Windenergieanlage dort oder innerhalb eines Flugkorridors dorthin liegt (OVG LSA, B. v. 21.03.2013 – 2 M 154/12 – m.w.N.). Wegen der potentiellen Weite des Prüfbereichs bedarf es greifbarer Anhaltspunkte für die Notwendigkeit einer besonderen Prüfung außerhalb des Tabubereichs von 1.000 m. Andernfalls ließe sich, da die Nahrungssituation für die Rotmilan sich innerhalb der Jahreszeiten und von Jahr zu Jahr – je nach der Bewirtschaftung der Flächen – sehr unterschiedlich darstellen kann, die Gefährdung dieser Vogelart kaum zuverlässig eingrenzen (vgl. OVG LSA, U. v. 26.10.2011 – 2 L 6/09 – NuR 2012, 196 ff. m.w.N.).

77

Im vorliegenden Fall liegen hinreichende Erkenntnisse dafür vor, dass die Vorhabensfläche selber und die Umgebung des geplanten Windparks ein attraktives Nahrungshabitat für den Rotmilan ist. Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, dass die beiden im Jahr 2012 festgestellten Brutplätze von der Windkraftanlage 5 nur etwa 1.300 bis 1.500 m entfernt liegen. Nach der speziellen artenschutzrechtlichen Prüfung des Gutachters St vom 10. Oktober 2011 (vgl. Bl. 174 der Beiakte C) braucht der Rotmilan offene und reich gegliederte Kulturlandschaften zum Jagen. Der Rotmilan sei im Laufe der Erfassung immer wieder über den Flächen im Untersuchungsgebiet zu sehen gewesen. Zu den häufigsten Beobachtungen sei es bei der Kartierung am 20. Juni 2011 gekommen. Dabei seien über dem gesamten Untersuchungsgebiet mindestens vier Individuen festgestellt worden, zwei davon zeitgleich auf der Eingriffsfläche. Eine Brut in den umliegenden Gehölzbeständen sei nicht gänzlich auszuschließen. Im näheren Umfeld des Untersuchungsgebiets sei mit großer Wahrscheinlichkeit mit Brutvorkommen des Rotmilans zu rechnen. Laut avifaunistischem Gutachten Rast- und Zugvögel, Ergänzungsbericht 2009 des Gutachters St, seien jagende Rotmilane im gesamten Untersuchungsraum beobachtet worden. Zuletzt sei der gesamte Raum untersucht worden einschließlich des Kernuntersuchungsgebietes und der geplanten Windparkfläche. Es seien Rotmilane sowohl im Jagdflug über den Acker- und Grünlandflächen als auch sitzend in Bäumen und auf Feldern beobachtet worden. Es seien keine Aktivitätsschwerpunkte festgestellt worden (siehe Bl. 132 der Beiakte C). Schließlich wird dies bestätigt durch das avifaunistische Gutachten Brutvögel, Ergänzungsbericht 2011, des Gutachters St, wonach der Rotmilan im Laufe der Erfassung über den Flächen in dem Untersuchungsgebiet zu sehen gewesen sei. Zu den häufigsten Beobachtungen sei es bei der Kartierung am 20.06.2011 gekommen. Hier seien über dem gesamten Untersuchungsgebiet mindestens vier Individuen feststellbar gewesen, zwei davon jagend zeitgleich auf der Eingriffsfläche. Dies alles zeigt, dass Rotmilane das Gebiet des geplanten Windparks über mehrere Jahre als Nahrungshabitat nutzen. Dies wird bestätigt durch das Ergebnis der Beweisaufnahme. Der Zeuge F. hat bekundet, dass er über der Vorhabensfläche bis zu drei gleichzeitig fliegende Rotmilane beobachtet habe. Auch der Zeuge G. hat über der Vorhabensfläche in den Jahren 2011 und 2012 zwei bis drei gleichzeitig jagende Rotmilane beobachtet. Der Zeuge H. hat bis zu 17 Exemplare des Rotmilans nördlich von H-Stadt beobachtet, die dort gleichzeitig unter anderem auch die Vorhabensfläche überflogen haben. Der Zeuge I. hat regelmäßige Flugbewegungen des Rotmilans über mehrere Jahre beobachtet, die östlich der Kreisstraße 1138 stattgefunden haben, mithin auch das Vorhabensgebiet berührt haben. Berücksichtigt man zusätzlich, dass sich nach Auskunft des Landesamtes für Umweltschutz Sachsen-Anhalt vom 01. Juni 2015 ein weiterer Brutplatz des Rotmilans im Jahre 2012 südlich der Vorhabensfläche in nach Angaben des Klägers ca. 1000 m Entfernung von der Vorhabensfläche entfernt befunden hat (vgl. Bl. 543 GA), spricht auch dieses dafür, dass es sich bei der Fläche der geplanten Windfarm um ein wichtiges Nahrungshabitat des Rotmilans handelt. Dabei ist weiterhin die große Zahl der Wechselhorste des Rotmilans rund um die Fläche der Windfarm herum zu berücksichtigen.

78

Auch für die Wiesenweihe verstößt die angefochtene Genehmigung gegen das Tötungsverbot des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG. Für die Wiesenweihe legt das NLT-Papier einen empfohlenen Mindestabstand zum Brutplatz von 1.000 m und einen Prüfbereich von 6.000 m fest.

79

Im angefochtenen Bescheid wird die Wiesenweihe nicht erwähnt. In der Klageerwiderung vom 12. Juni 2013 (Bl. 232 ff.) führt der Beklagte u.a. aus, dass das Land Sachsen-Anhalt keine besondere Verantwortung für den Schutz der Wiesenweihe habe und es an einem konkreten Brutnachweis für die WKA-Standorte bis 2011 fehle. Mit diesen Erwägungen lässt sich auch unter Berücksichtigung der Einschätzungsprärogative des Beklagten ein erhöhtes Tötungsrisiko der Wiesenweihe nicht in vertretbarer Weise verneinen. Denn nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass sich im Jahr 2010 östlich der Kreisstraße 1136 und südlich der Vorhabensfläche ein Brutplatz der Wiesenweihe befunden hat, wie der Zeuge F. glaubhaft bekundet hat. Bei der von ihm angegebenen Entfernung von 80 bis 100 m östlich der genannten Kreisstraße im Bereich der Hochspannungsleitung befinden sich alle Windkraftanlagen im Ausschlussbereich von 1000 m zum Brutplatz der Wiesenweihe im Jahr 2010. Dieses Ergebnis wird bestätigt durch das Gutachten der Ökotop GbR vom 28. April 2013 (Bl. 199 ff. GA).

80

Weiterhin hat die Beweisaufnahme ergeben, dass es sich beim Gebiet der geplanten Windfarm um ein wichtiges Nahrungshabitat der Wiesenweihe handelt. Der Zeuge F. hat im Jahre 2011 dort ein Revierpaar beobachtet und ebenfalls in diesem Jahr ein jagendes Männchen. Auch der Zeuge G. hat im Vorhabensgebiet im Jahre 2011 oder 2012 Wiesenweihen beobachtet. Der Zeuge I. hat eine Wiesenweihe auf der Höhe der Vorhabensfläche beobachtet und zwischen H-Stadt und Mannhausen ein Pärchen. Am 11. Juli 2011 hat er eine Wiesenweihe auf der Vorhabensfläche quer fliegend gesehen. In Anbetracht der Tatsache, dass es nur ca. 30 Brutpaare der Wiesenweihe in Sachsen-Anhalt gibt (vgl. Ökotop GbR, Gutachten vom 28. April 2013), wovon auch der Beklagte ausweislich seiner Klageerwiderung ausgeht (vgl. Bl. 233 GA), sprechen die Beobachtungen der Zeugen dafür, dass sich Wiesenweihen regelmäßig im Vorhabensgebiet aufhalten, welches als Brutplatz und Nahrungshabitat dient.

81

Gemäß § 6 Abs. 1 des Bundesimmissionsschutzgesetzes (BImSchG) setzt die Erteilung einer immissionsrechtlichen Genehmigung u. a. voraus, dass andere öffentlich-rechtliche Vorschriften der Errichtung und dem Betrieb der Windkraftanlagen nicht entgegenstehen. Zu den anderen öffentlich-rechtlichen Vorschriften gehören auch die Regelungen des Naturschutzrechts (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, U. v. 03.08. 2010 -8 A 4062/04 - juris Rn. 73 f. m.w.N.).

82

2. Der Genehmigung der streitgegenständlichen fünf Windenergieanlagen auch stehen Belange des Naturschutzes unter dem Gesichtspunkt des Schutzes des Europäischen Vogelschutzgebietes "Drömling" entgegen. Insbesondere ist nicht auszuschließen, dass das Vorhaben zu nachteiligen Auswirkungen auf das Zug- und Rastvogelgeschehen im "Drömling" und insbesondere zu einer Entwertung dieses Gebiets als Rast- und Überwinterungsgebiet für die nordischen Gänsearten Bläss-, Saat- und Graugans sowie für den Kranich führen.

83

Die Rechtmäßigkeit der Genehmigung beurteilt sich hier nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2009/147/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. November 2009 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten (VS-RL) und nicht nach dem (weniger strengen) Schutzregime, das Art. 6 Abs. 3 und 4 der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (FFH-RL) und die seiner Umsetzung dienende Vorschrift des § 34 BNatSchG errichten. Denn die FFH-RL findet in Bezug auf europäische Vogelschutzgebiete gem. Art. 7 FFH-RL erst dann Anwendung, wenn es sich um ein nach Art. 4 Abs. 1 VS-RL zu einem besonderen Schutzgebiet erklärtes oder nach Art. 4 Abs. 2 derselben Richtlinie anerkanntes Gebiet handelt. Die "Erklärung" zum besonderen Schutzgebiet setzt eine endgültige rechtsverbindliche Entscheidung des Mitgliedstaats mit Außenwirkung voraus, in der der Schutzgegenstand, der Schutzzweck, die zur Erreichung des Schutzzwecks notwendigen Gebote und Verbote und, soweit erforderlich, die Pflege-, Entwicklungs- und Wiederherstellungsmaßnahmen bestimmt sind (vgl. BVerwG, U. v. 01.04.2004 - 4 C 2/03 - juris Rn. 32; OVG Mecklenburg-Vorpommern, U. v. 30.06.2010 - 3 K 19/06 - juris Rn. 95).

84

An einer solchen rechtsverbindlichen, außenwirksamen und endgültigen Gebietsausweisung (in Form einer Rechtsverordnung) fehlt es bislang in Bezug auf das Vogelschutzgebiet "Drömling". Die getroffene ministerielle Auswahlentscheidung, die der autoritativen Identifizierung der für die Arterhaltung "zahlen- und flächenmäßig geeignetsten Gebiete" (Art. 4 Abs. 1 Satz 4 VS-RL) dient und als solche zunächst nur ein Verwaltungsinternum bildet, genügt hierfür ebenso wenig wie die Übermittlung der Gebietsauswahl an die Europäische Kommission, der eine reine Informationsfunktion zukommt (vgl. BVerwG, U. v. 01.04.2004 - 4 C 2/03 - juris Rn. 33). Auch die Veröffentlichung des Gebietsvorschlages im Bundesanzeiger am 26.07.2007 erfüllt die v. g. Anforderungen nicht. Zwar wird die Gebietsausweisung damit außenwirksam; die Angaben in der in Rede stehenden Bekanntmachung im Bundesanzeiger erschöpfen sich jedoch in der Bezeichnung des Vogelschutzgebietes, dessen SPA-Nr., seiner Fläche, der betroffenen Schutzgebiete und Landkreise sowie der zuständigen Behörde, in der die Kartendokumentation zur Einsichtnahme hinterlegt ist. Ausführungen hinsichtlich der Schutz- und Erhaltungsziele sowie der Schutzmaßnahmen lassen sich der Bekanntmachung nicht entnehmen. Damit fehlt jedenfalls dieser Bekanntmachung die erforderliche Regelungsdichte, also die inhaltliche Qualität, die für die rechtswirksame Erfüllung der Ausweisungspflicht des Art. 4 Abs. 1 Satz 4 VS-RL zu fordern ist (vgl. BVerwG, U. v. 01.04.2004 - 4 C 2/03 - juris Rn. 33 ff.: das BVerwG lässt letztlich offen, welche rechtliche Bedeutung die Bekanntgabe im Bundesanzeiger haben kann und welchen Anforderungen eine Gebietserklärung hinsichtlich der Erhaltungsziele und der Schutzmaßnahmen im Einzelnen genügen muss).

85

Als Vogelschutzgebiet, das noch nicht förmlich nach Art. 4 Abs. 1 VS-RL zum besonderen Schutzgebiet erklärt worden ist, das jedoch die besonderen Anforderungen an ein Schutzgebiet erfüllt, unterliegt der "Drömling" als "faktisches" Vogelschutzgebiet dem Rechtsregime des Art. 4 Abs. 4 VS-RL (vgl. BVerwG, U. v. 01.04.2004 - 4 C 2/03 - , a. a. O.). Anhaltspunkte dafür, dass die Voraussetzungen des Art 4 Abs. 1 und 2 VS-RL im Hinblick auf den "Drömling" nicht gegeben sind, liegen nicht vor. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Gebietsmeldung und der Zuschnitt des Gebiets nach fachlichen Kriterien erfolgten und den maßgebenden fachlichen Anforderungen entspricht (vgl. VG Magdeburg, U. v. 22.08.2013 - 2 A 184/11 -).

86

Das von der Beigeladenen geplante Vorhaben ist mit den Verpflichtungen des Beklagten aus Art. 4 Abs. 4 VS-RL nicht vereinbar.

87

Nach Art. 4 Abs. 4 Satz 1 VRL treffen die Mitgliedstaaten in den Schutzgebieten geeignete Maßnahmen, um die Verschmutzung oder Beeinträchtigung der Lebensräume sowie die Belästigung der Vögel, sofern sich diese auf die Zielsetzungen dieses Artikels (insbesondere nach Abs. 1 Satz 1 bis 3) erheblich auswirken, zu vermeiden. Die Vorschrift begründet nicht nur eine Dauerpflicht der Mitgliedstaaten, die Lebensräume der geschützten Populationen zu erhalten und Störungen der wildlebenden Vogelarten zu vermeiden bzw. zu unterlassen, sondern bildet zugleich den Maßstab für die Zulässigkeit von Vorhaben im Einzelfall im Sinne eines Beeinträchtigungs- und Störungsverbots. Die Bestimmung erfüllt damit auch die Funktionen eines Zulassungstatbestandes, wie er voll ausgebildet in Art. 6 Abs. 3 und 4 FFH-RL bzw. § 34 BNatSchG enthalten ist (vgl. BVerwG, U. v. 01.04.2004 - 4 C 2/03 -, a. a. O.).

88

Das Merkmal der Beeinträchtigung hebt hierbei ab auf den Aspekt einer negativen Veränderung des Status quo hinsichtlich des Erhaltungszustandes der im Gebiet vorkommenden Arten und Lebensräume (vgl. Gatz, Windenergieanlagen in der Verwaltungs- und Gerichtspraxis, Bonn 2009, Rn. 223). Grundlage für die Abgrenzung zwischen erheblichen und unerheblichen Beeinträchtigungen und Störungen bilden dabei der Schutzzweck und die Erhaltungsziele des jeweiligen Gebietes, die sich grundsätzlich aus der landesrechtlichen Schutzgebietsverordnung ergeben. Im Falle nichterklärter (faktischer) Vogelschutzgebiete ist mangels konkretisierender Festlegung gebietsspezifischer Erhaltungsziele durch den Mitgliedstaat ergänzend auf die allgemeinen Zielsetzungen in Art. 1 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 VRL zurückzugreifen, nach denen die Richtlinie u. a. dem Zweck dient, durch die Einrichtung von Schutzgebieten eine ausreichende Artenvielfalt und eine ausreichende Flächengröße der Lebensräume zu erhalten und wiederherzustellen. In Bezug auf dem "Drömling" ist zu berücksichtigen, dass dieser nach den vom Landesamt für Umweltschutz im Juni 2006 hierzu bereits ausdrücklich formulierten (vorläufigen) Schutz- und Erhaltungszielen vor allem auch als Zugrastgebiet etwa für Gänse und Kraniche sowie als Brutgebiet u. a. für die Wiesenweihe und den Weißstorch dient.

89

Das Gewicht von Beeinträchtigungen und Störungen beurteilt sich jeweils nach Art und Ausmaß der negativen Auswirkungen auf diese Zielsetzungen (vgl. BVerwG, U. v.01.04.2004 - 4 C 2/03 -, a. a. O.). Die Schwelle zur Erheblichkeit ist hierbei nicht erst dann erreicht, wenn die Verwirklichung von Erhaltungszielen unmöglich oder unwahrscheinlich gemacht wird. Die Verpflichtung der Mitgliedstaaten aus Art. 3 und 4 VS-RL besteht bereits, bevor eine Verringerung der Anzahl von Vögeln oder die konkrete Gefahr des Aussterbens einer geschützten Art nachgewiesen wird (vgl. EuGH, U. v. 02.08.1993 - Rs. C-355/90 – juris Rn. 36).

90

Eine Beeinträchtigung des Vogelschutzgebietes "Drömling" ist hier nicht bereits deshalb ausgeschlossen, weil das Vorhaben außerhalb des Schutzgebietes liegt. Denn erhebliche Gebietsbeeinträchtigungen im v. g. Sinne können auch von außerhalb des Schutzgebietes gelegenen Vorhaben ausgehen, soweit sie innerhalb des Vogelschutzgebietes wirken, da die Vogelschutzrichtlinie insoweit keine Unterscheidung trifft. Dabei genügt allerdings die bloße Erschwerung, das Schutzgebiet zu erreichen, nicht, da es andernfalls zu einem überzogenen, der Abwägung mit anderen geschützten Belangen kaum noch zugänglichen Gebietsschutz vor Projekten, die ausschließlich mittelbare Auswirkungen auf den Bestand bzw. die Erhaltung der in den Schutzgebieten geschützten Arten haben können, käme. Eine ein Vogelschutzgebiet beeinträchtigende Wirkung kann aber dann von Windkraftanlagen ausgehen, wenn sie die Gefahr einer Verriegelung des Gebiets mit sich bringen bzw. eine Barrierewirkung dergestalt entfalten, dass Vögel daran gehindert werden, das Schutzgebiet zu erreichen oder zwischen Nahrungs- und Rastplätzen, die sich jeweils in einem Schutzgebiet befinden, zu wechseln, oder wenn sie aufgrund von Ausweichbewegungen der Vögel zur Verlängerung von Pendelflügen zwischen Schlaf-, Nahrungs- und Komfortplätzen führen, die sich jeweils in einem Schutzgebiet befinden, mit der Folge eines erhöhten Energiebedarfs, welcher bei Nahrungsengpässen zu einer erhöhten Sterblichkeit führen kann (vgl. zum Ganzen: OVG Nordrhein-Westfalen, U. v. 03.08.2010 – 8 A 4062/04 – juris Rn. 148 sowie U. v. 30.07.2009 - 8 A 2357/08 - juris Rn. 128; Niedersächsisches OVG, U. v. 24.03.2003 - 1 LB 3571/01 - juris Rn. 49; VG Cottbus, U. v. 07.04.2011 – 4 K 474/04 - juris Rn. 26, jeweils m. w. N.). Eine das Vogelschutzgebiet beeinträchtigende Wirkung liegt schließlich auch dann vor, wenn das Vorhaben zum Verlust von Rückzugs-, Ruhe- und Nistgebieten der zu schützenden Vogelvorkommen und damit zu einer Verkleinerung des besonderen Schutzgebietes führt (vgl. BVerwG, U. v. 01.04.2004 - 4 C 2/03 -, a. a. O., unter Verweis auf EuGH, U. v. 02.08.1993, a. a. O., juris Rn. 36).

91

In Ansehung des gemeinschaftsrechtlichen Vorsorgegrundsatzes darf die Behörde ein Vorhaben nur dann zulassen, wenn sie zuvor Gewissheit darüber erlangt hat, dass dieses sich nicht nachteilig auf das Gebiet als solches auswirkt. Der insoweit erforderliche Wahrscheinlichkeitsgrad ist dann erreicht, wenn anhand objektiver Umstände eine derartige Beeinträchtigung nicht ausgeschlossen werden kann. Ist bei einem Vorhaben aufgrund der Vorprüfung nach Lage der Dinge ernsthaft die Besorgnis nachteiliger Auswirkungen entstanden, kann dieser Verdacht nur durch eine schlüssige naturschutzfachliche Argumentation ausgeräumt werden, mit der ein Gegenbeweis geführt wird. Dieser Gegenbeweis misslingt zum einen, wenn die Risikoanalyse, -prognose und -bewertung nicht den besten Stand der Wissenschaft berücksichtigt, zum anderen aber auch dann, wenn die einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnisse derzeit objektiv nicht ausreichen, jeden vernünftigen Zweifel auszuschließen, dass erhebliche Beeinträchtigungen vermieden werden (vgl. BVerwG, U. v.17.01.2007 - 9 A 20.05 – u. U. v. 12.03.2008 - 9 A 3.06 -; OVG NRW, U. v. 03.08.2010, a. a. O.).

92

Hiervon ausgehend ist eine Verträglichkeit der streitbefangenen Windenergieanlagen mit den Schutzzwecken des Europäischen Vogelschutzgebiets "Drömling" nicht nachgewiesen. Dass deren Errichtung und Betrieb nicht zu erheblichen Beeinträchtigungen dieses Vogelschutzgebietes in seiner Funktion als Durchzugs-, Rast- und Überwinterungsgebiet der geschützten nordischen Gänsearten Bläss-, Saat- und Graugans sowie des Kranichs führen, lässt sich anhand der von der Beigeladenen vorgelegten FFH-Verträglichkeitsuntersuchung nicht mit der erforderlichen Sicherheit feststellen, da diese aufgrund einer unzureichenden Tatsachengrundlage erfolgt ist. Insbesondere bieten die von der Beigeladenen bislang vorgelegten Kartierungen zum Zug- und Rastverhalten der Gastvögel keine taugliche Grundlage, um etwaige Beeinträchtigungen als ausgeschlossen zu bewerten.

93

Konkrete Anforderungen an die avifaunistische Untersuchungen zum Zwecke der Bestandserhebung und Bewertung im Rahmen von Genehmigungsverfahren für Windenergieanlagen ergeben sich etwa aus den Abstandsempfehlungen der Länder-Arbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten (LAG-VSW) und aus den Hinweisen des Niedersächsischen Landkreistages zur Berücksichtigung des Naturschutzes und der Landschaftspflege sowie zur Durchführung der Umweltprüfung und Umweltverträglichkeitsprüfung bei Standortplanung und Zulassung von Windenergieanlagen – 4. Aufl., Stand: Oktober 2011 – (NLT-Papier), die entsprechend eines Erlasses des Ministeriums für Landwirtschaft und Umwelt (Az.: 42.111-22341/1) bei der Festlegung von Untersuchungsräumen auch im Land Sachsen-Anhalt berücksichtigt werden sollen. Die Empfehlungen der LAG-VSW und des NLT sind zwar für das Gericht nicht bindend. Sie sind aber eine Zusammenfassung der in Fachkreisen zu der v. g. Problematik gewonnenen (aktuellen) Erkenntnisse, so dass aus ihnen - naturschutzfachlich vertretbar – die maßgeblichen Anforderungen für die avifaunistische Bestandserhebung und Bewertung im Rahmen von Genehmigungsverfahren für Windenergieanlagen abgeleitet werden können (so auch OVG LSA, U. v. 19.01.2012 – 2 L 124/09 – juris Rn. 87 u. 94: zur Frage des Abstandes eines Vorhabens zu Horsten des Rotmilans).

94

Ausweislich des v. g. NLT-Papiers ergeben sich für Untersuchungen in Bezug auf das Zug-, Rast- und Überwinterungsgeschehen folgende Anforderungen:

95

"Untersuchungsraum

96

(51) Der Untersuchungsraum sollte unter Berücksichtigung der relevanten naturräumlichen Bedingungen und der zu vermutenden tierökologischen Funktionen einzelfallbezogen abgegrenzt werden. Als Anhaltswert sollte er je Einzelanlage mindestens die 10-fache Anlagenhöhe, bei Windfarmen ab 6 WEA mindestens 2.000 m im Umkreis von den äußeren Anlagestandorten gemessen, umfassen. Bei Vogelarten mit großen Raumansprüchen sind die Interaktionsräume (u. a. Wander- und Zugkorridore) zu berücksichtigen.

97

Brutvogelerfassung

98

99

Gastvogelerfassung

100

(54) Die Gastvogelerfassung sollte wöchentlich eine Erhebung auf der gesamten Fläche von der ersten Juli-Woche bis zur letzten April-Woche (des Folgejahres) erfassen. Anzahl der rastenden Vögel und räumliche Verteilung der rastenden Vogeltrupps sind in einem Kartenausschnitt (M. 1:10.000, ggf. auch 1:5.000) zu dokumentieren.

101

Untersuchungen des Vogelzuges

102

(55) Darüber hinaus können spezifische Erfassungen des Zuggeschehens erforderlich sein. Im Untersuchungsgebiet und in den mit ihm räumlich korrespondierenden in Ziffer 4.3 genannten Restriktionsbereichen sind insbesondere auch großräumige Bewegungen zwischen Schlafplätzen von nordischen Gastvogelarten und Kranichen und deren Hauptnahrungsgebieten ebenso wie großräumige Leitkorridore des Vogelzuges in der Datenerfassung bzw. in der Bewertung der anlagenbedingten Störwirkungen zu berücksichtigen. Insbesondere hierzu ist es erforderlich, die Kumulationswirkungen geplanter, bestehender, zugelassener und beantragter Anlagen einzubeziehen."

103

In der in Bezug genommenen Ziffer 4.3 des NLT-Papiers heißt es hierzu:

104

"4.3 Spezifische Abstände Gastvögel

105

(34) Neben einem generellen Abstand von mindestens 1.200 m zu international, national und landesweit bedeutenden Rast- und Überwinterungsplätzen sollten die Interaktionskorridore zwischen den verschiedenen Habitaten freigehalten werden (z. B. Verbindungen zwischen Nahrungs- und Schlafplätzen). Dies betrifft insbesondere Kraniche, Schwäne und Gänse. Zu Schlafplätzen von Kranichen, Schwänen und Gänsen sollte bei Beständen über einem Prozent der Individuen einer biogeografischen Population ein Abstand von mindestens 3.000 m eingehalten werden. Je nach Lage der Dinge kann …. auch ein Abstand von 6.000 m erforderlich sein. ..."

106

Die Angaben in Ziff. 4.3 betreffend die spezifischen Abstände im Hinblick auf Gastvögel decken sich insoweit mit den von der LAG-VSW vorgegebenen Abstandsempfehlungen (vgl. dort Tabelle 1).

107

Diese Anforderungen, deren Anwendung das Gericht im vorliegenden Fall für geboten und sachgerecht hält (a.) werden durch die von der Beigeladenen beigebrachten Kartierungen und Untersuchungen nicht erfüllt (b.). Auch im Übrigen sind die bisherigen Untersuchungen nicht ausreichend (c.)

108

a. Zunächst liegen aus der Sicht des Gerichts hier greifbare Anhaltspunkte dafür vor, das Durchzugs-, Rast- und Überwinterungsverhalten der geschützten nordischen Gänsearten (Bläss-, Saat- und Graugans) sowie des Kranichs im Vorhabensgebiet und dessen näheren Umgebung besonders und entsprechend den o. g. Anforderungen zu untersuchen und zu erfassen. Maßgeblich hierfür ist zunächst, dass die weite Niederungslandschaft im Drömling als Rast- und Überwinterungsgebiet gerade auch für diese Vogelarten eine große Bedeutung hat. Hier rasten alljährlich weit mehr als 20.000 Wasservögel. Für Saatgans, Kranich und Kiebitz stellt der Drömling ein Schlüsselgebiet dar, in dem zur Zugzeit mehr als 1 % der Flyway-Population rasten. Für den Kranich gehört es ferner zu den Top-5-Gebieten in Sachsen–Anhalt. Dazu tritt die besondere Lage des Vorhabensgebietes zwischen dem im Norden gelegenen "Drömling" und der Speetzeaue im Süden. Denn südöstlich des Vorhabengebietes schließt sich etwa in 2.100 m Abstand zu der geplanten Windfarm die Speetzeniederung als Teil des FFH-Gebietes "Speetze und Krummbek im Ohre-Aller-Hügelland" (DE 3633 301) an, deren Flächen ausweislich der gutachterlichen Stellungnahme des Gutachters St vom 09. September 2013 (vgl. Karten Bl. 274 und 227 GA) unter anderem durch nordische Gänse und Kraniche als Rast- und Nahrungsfläche aufgesucht werden.

109

Vor diesem Hintergrund ist der Gutachter St in seiner FFH-Verträglichkeitsprüfung vom 28. September 2007, die er im Auftrag der Beigeladenen vorgenommen hat und die sich der Beklagte ausweislich des angefochtenen Bescheides (vgl. Bl. 262 und 264 der Beiakte A) zu Eigen gemacht hat, im Rahmen der FFH-Vorprüfung (sog. screening) zu dem Ergebnis gelangt, dass eine erhebliche Beeinträchtigung des Vogelschutzgebietes Drömling ernstlich zu besorgen ist. Deshalb hat er nach dem Ergebnis der FFH-Vorprüfung eine FFH-Verträglichkeitsprüfung durchgeführt (vgl. S. 8 und S. 14 ff. der Beiakte I). Denn im Rahmen der FFH-Vorprüfung hat er festgestellt, dass es möglicherweise zu Störwirkungen und Kollisionsgefahren beim Aufsuchen von Rastflächen durch Vögel aus dem Vogelschutzgebiet Drömling im Bereich der Windparkfläche und im FFH-Gebiet "Speetze und Krummbek" kommen könne. Er hat dann im Rahmen der FFH-Verträglichkeitsprüfung bedeutende Nahrungsflächen u. a. für Gänse und Kraniche im Niederungsbereich südlich von H-Stadt festgestellt und die Flugbewegungen dorthin untersucht (vgl. Karten Bl. 274 und 277 GA).

110

Vor dem Hintergrund dieser Besonderheiten bestand hinreichender Anlass, das Rast- und Gastvogelgeschehen sowie den Vogelzug systematisch, d. h. entsprechend den o. g. Anforderungen zu erfassen. Denn nur unter diesen Voraussetzungen ließe sich mit der erforderlichen Gewissheit ausschließen, dass das geplante Vorhaben zu einer beachtlichen Verlagerung der Rastgebiete und zu einer Beeinträchtigung bestehender Zugkorridore zum FFH-Gebiet Speetze und Krummbek im Sinne einer Barrierewirkung führt. Eine solche systematische Erfassung liegt bislang nicht vor.

111

b. Insbesondere werden die im NLT-Papier festgelegten Anforderungen durch die von der Beigeladenen beigebrachten Kartierungen und Untersuchungen aus den Jahren 2004/2005, 2009 und 2011 nicht erfüllt. Dies gilt namentlich, soweit Anm. 54 des NLT-Papieres für die Gastvogelerfassung eine wöchentliche Erhebung auf der gesamten Fläche des Untersuchungsraums von der ersten Juli-Woche bis zur letzten April-Woche (des Folgejahres) vorsieht, denn die bislang vorgenommenen Begehungen erfolgten nicht wöchentlich, sondern in größeren Abständen. Der von der Beigeladenen beauftragte Gutachter St ließ zur Rast- und Zugvogelerfassung zunächst in der Zeit von Januar 2004 bis Januar 2006 26 Begehungen durchführen. Diese fanden dreimal monatlich statt, in den Monaten Dezember und Januar sowie Mai und Juni jedoch nur einmal monatlich (vgl. Bl. 334 der BA G). In der Zeit vom 23. September 2009 bis zum 09. November 2009 wurden zur Erstellung des Ergänzungsberichts Rast- und Zugvögel 2009 fünf weitere Begehungen durchgeführt (vgl. Bl. 128 der BA C). Infolge des gewählten größeren Abstandes zwischen den einzelnen Untersuchungsterminen ist es jedoch nicht ausgeschlossen, dass auch größere Durchzugswellen von Rast- und Gastvögeln nicht erfasst worden sind. Insoweit beruht die Erfassung und Bewertung der Gast und Rastvögel bislang auf keiner ausreichenden Tatsachengrundlage. Gleiches gilt im Ergebnis für die gebotene Untersuchung des Vogelzuges.

112

c. Abgesehen von diesen Erwägungen kann gegenwärtig eine anlagenbedingte Verlagerung bzw. Störung von Rastflächen und Zugkorridoren der geschützten Vogelarten auch deshalb nicht mit der erforderlichen Gewissheit ausgeschlossen werden, weil es hierzu mehrjähriger, systematischer und ausreichend dokumentierter Erfassungen bedarf, die hier nicht vorliegen (vgl. VG Magdeburg, U. v. 22.08.2013 - 2 A 184/11 MD m. w. N.). Denn nach der Rechtsprechung des OVG Nordrhein-Westfalen (Urteil v. 03.08.2010 - 8 A 4062/04 -) setzen ornithologische Untersuchungen über den Einfluss von Windkraftanlagen auf das Flugverhalten insbesondere von Gänsen, die wissenschaftlichen Ansprüchen genügen, mehrjährige Vorher-Nachher-Beobachtungen sowie eine sorgfältige Dokumentation voraus (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, U. v. 03.08.2010 - 8 A 4062/04 - juris Rn. 151 f.: danach ist eine Auswertung von Radarerfassungen aus zwei Jahren nicht ausreichend). Legt man diesen Maßstab hier an, so fehlt es im Hinblick auf das streitgegenständliche Vorhaben an einer mehrjährigen mit Sorgfalt dokumentierten Erfassungsreihe schon deshalb, weil die Feststellungen aus den Erfassungen 2004/2005 und 2009 nicht konkret verortet sind. Denn die Anzahl der rastenden Vögel und die räumliche Verteilung der rastenden Vogelgruppen entsprechend Anmerkung 54 des NLT-Papiers 2011 ist weder im avifaunistischen Gutachten vom 19.01.2007 (Bl. 308 ff. der Beiakte B) noch im Ergänzungsbericht Rast- und Zugvögel 2009 (Bl. 124 ff. der Beiakte C) erfolgt. Die Ergebnisse der Begehungen aus den Jahren 2004 und 2005 wurden nicht in der Karte Bl. 352 der Beiakte G erfasst, denn diese beruht auf der Auswertung der Hefte der Haldensleber Vogelkunde von 1998 bis 2004. Auch die dem Ergänzungsbericht 2009 zu Rast- und Zugvögeln anliegende Karte (Bl. 139 der Beiakte C) gibt nicht die Ergebnisse der Begehungen des Gutachters St aus dem Jahr 2009 wieder, sondern beruht auf den Heften Nr. 16 bis 28 der Haldensleber Vogelkunde. Gleiches gilt für die Karte Bl. 274 der Gerichtsakte. Die bei den Begehungen in den Jahren 2004 und 2005 sowie 2009 festgestellten, den Gutachten zu Rast- und Zugvögeln zugrunde liegenden Zahlen der rastenden Vögel und die räumliche Verteilung der rastenden Vogeltrupps sind entgegen der Anmerkung 54 des NLT Papiers vom Gutachter nicht in einem Kartenausschnitt dokumentiert worden. Im Hinblick auf das avifaunistische Gutachten vom 19.01.2007 bleibt zudem die Größe des Untersuchungsgebietes offen, insoweit wird nur erwähnt, dass das Umfeld der Vorhabensfläche in einem Radius von mehreren Kilometern stichprobenartig nach Rastansammlungen von Kranichen, Gänsen, Schwänen und Kibizen abgesucht worden sei (vgl. Bl. 334 der Beiakte B). Dies genügt nicht um festzustellen, dass die Anforderungen nach Anmerkung 34 des NLT Papiers - insbesondere die spezifischen Abstände zu Schlafplätzen von Gänsen und Kranichen - vom Gutachter berücksichtigt wurden.

113

Als unterliegende Beteiligte haben der Beklagte nach § 154 Abs. 1 VwGO und die Beigeladene, die einen Antrag gestellt hat, nach § 154 Abs. 3 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen.

114

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

115

Beschluss

116

Der Streitwert wird auf 15.000,00 € festgesetzt.

117

Gründe:

118

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 GKG i. V. m. dem Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit Ziff. 19.2 i. V. m. Ziff. 2.2.2.


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