Urteil vom Verwaltungsgericht Magdeburg (5. Kammer) - 5 A 683/14

Tatbestand

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Der Kläger wendet sich gegen eine Kürzung seiner Altersentschädigung als ehemaliger Landtagsabgeordneter.

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Durch Urteil des Amtsgerichts B-Stadt vom 10.10.2000 wurde der Kläger von seiner Ehefrau geschieden und die Entscheidung über den Versorgungsausgleich ausgesetzt. Nach Wiederaufnahme des Verfahrens setzte das Amtsgericht B-Stadt mit Beschluss vom 06.12.2012 die monatlichen Rentenanwartschaften der Ehefrau in Höhe von 722,84 € fest. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Klägers, die einen zeitlich befristeten Ausschluss des Versorgungsausgleichs bis zum Beginn des Rentenbezuges seiner Ehefrau am 07.12.2018 zum Ziel hatte, wurde mit Beschluss des Oberlandesgerichts B-Stadt vom 11.08.2014 zurückgewiesen.

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Mit Bescheid vom 29.10.2014 kürzte der Beklagte die monatliche Altersentschädigung des Klägers ab Oktober 2014 um 956,79 €. Zur Begründung wurde Bezug genommen auf den Beschluss des Amtsgerichts B-Stadt vom 06.12.2012. Nachdem das Amtsgericht mit dieser Entscheidung die monatlichen Rentenanwartschaften der Ehefrau auf monatlich 722,84 € festgesetzt habe, sei die Altersentschädigung des Klägers um diesen Betrag auf der Grundlage des § 57 des Beamtenversorgungsgesetzes in der Überleitungsfassung für Sachsen-Anhalt zu kürzen und um die Prozentsätze der Diätenerhöhungen ab dem Tag nach dem Ende der Ehezeit (1999) zu erhöhen.

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Der Kläger hat am 14.11.2014 Klage erhoben.

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Er meint, das Beamtenversorgungsgesetz in der Überleitungsfassung für Sachsen-Anhalt (BeamtVG ST) könne keine Geltung beanspruchen, weil es verfassungswidrig sei. Stattdessen sei das Beamtenversorgungsgesetz des Bundes in der seit Ende 2006 geltenden Fassung anzuwenden. Dieses Gesetz enthalte noch das sog. "Pensionistenprivileg". Danach werde das Ruhegehalt, das der verpflichtete Ehegatte im Zeitpunkt der Wirksamkeit der Entscheidung des Familiengerichts über den Versorgungsausgleich erhalte, erst gekürzt, wenn aus der Versicherung des berechtigten Ehegatten eine Rente zu gewähren sei. Dies sei vorliegend erst mit dem Beginn der Rentenzahlung an seine Ehefrau ab dem 07.12.2018 der Fall. Bis dahin habe der Beklagte ihm seine Altersentschädigung ungekürzt zu zahlen.

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Zur angenommenen Verfassungswidrigkeit der Regelungen zur Beamtenversorgung in Sachsen-Anhalt beruft sich der Kläger zum einen auf ein Urteil des Verfassungsgerichtshofs des Freistaates Sachsen vom 19.04.2011. Dieser habe entschieden, dass es zur Übernahme inhaltlicher Regelungen eines Bundesgesetzes erforderlich sei, den Wortlaut des zu verabschiedenden Gesetzes in der Vorlage wiederzugeben. Vorliegend habe dem Landesgesetzgeber der Inhalt der Regelungen des Bundesgesetzes in der Gesetzesvorlage indes nicht vorgelegen. Zum anderen sei es den Ländern verwehrt, bei Fortbestand der bundesrechtlichen Regelung einzelne Vorschriften – wie vorliegend geschehen – zu ändern. Andernfalls entstehe eine Mischlage aus Bundes- und Landesrecht, was durch das Bundesverfassungsgericht bei der Neuregelung von Ladenschlusszeiten mit Urteil vom 09.06.2004 beanstandet worden sei.

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Darüber hinaus sieht sich der Kläger durch die späte Wiederaufnahme des Versorgungsausgleichsverfahrens durch das Familiengericht ungerecht behandelt. In § 57 Abs. 6 BeamtVG ST sei für Fallgestaltungen, in denen die Entscheidung des Familiengerichtes vor dem 01.04.2011 wirksam geworden sei, geregelt, dass die Kürzung des Ruhegehaltes in diesen Fällen erst dann vorgenommen werde, wenn aus der Versicherung des berechtigten Ehegatten eine Rente zu gewähren sei. Hätte das Familiengericht das im Jahr 2010 zunächst ausgesetzte Versorgungsausgleichsverfahren rechtzeitig wiederaufgenommen (wie dies von § 50 Abs. 1 Nr. 2 des Gesetzes über den Versorgungsausgleich auch gefordert werde) und noch vor dem 01.04.2011 eine Entscheidung getroffen, wäre die Kürzung seiner Altersentschädigung erst mit dem Beginn der Rentenzahlung an seine Ehefrau möglich gewesen. Auf das Risiko einer Kürzung seiner Versorgung im Fall einer Scheidung habe er sich nicht einrichten und auch keine Vorkehrungen treffen können, um etwaige Versorgungslücken zu vermeiden. Im Vertrauen auf den Erhalt des Pensionistenprivilegs habe er in der Vergangenheit Vermögensdispositionen getroffen. Die zum 01.04.2011 erfolgte Abschaffung dieser Privilegierung führe zu einer unzumutbaren Härte.

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Der Kläger beantragt,

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den Bescheid der Landtagsverwaltung vom 29.10.2014 aufzuheben und die Versorgungsbezüge in ungekürzter Form weiterhin zu gewähren.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Er verteidigt den angefochtenen Bescheid. Die verfassungsrechtlichen Angriffe des Klägers gingen ins Leere. Mit dem Gesetz zur Änderung landesbesoldungs- und versorgungsrechtlicher Vorschriften vom 25.07.2007 (GVBl. LSA Nr. 18/2007) habe der Landesgesetzgeber die Regelung in § 1 Abs. 2 des Besoldungsgesetzes für das Land Sachsen-Anhalt (Landesbesoldungsgesetz - LBesG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 03.03.2005 geschaffen, welche am 01.04.2011 durch § 7 BesVersEG LSA abgelöst worden sei. In beiden Gesetzen sei geregelt (gewesen), dass für die Besoldung und Versorgung der in Absatz 1 Satz 1 genannten Personen die am 31.08.2006 gültigen bundesrechtlichen Gesetze und Verordnungen als Landesrecht fortgelten, soweit sich aus dem Gesetz nichts anderes ergebe. Damit seien die gesamten bundesrechtlichen Vorschriften und damit auch das Beamtenversorgungsgesetz des Bundes in das Landesrecht überführt worden; eine "Mischlage" habe nicht bestanden. Zweifel an dem verfassungsmäßigen Zustandekommen dieser Regelung bestünden nicht. Gleiches gelte für die Regelung in § 7 BesVersEG LSA.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Verpflichtungsklage bleibt ohne Erfolg.

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Dabei ist zunächst festzustellen, dass nach § 78 Abs. 1 Nr. 2 VwGO i.V.m. § 8 Satz 1 AG VwGO LSA richtiger Beklagter der Präsident des Landtages von Sachsen-Anhalt ist. Denn nach § 5 Abs. 1 der Geschäftsordnung des Landtages von Sachsen-Anhalt vom 19.04.2011 vertritt der Präsident das Land in Angelegenheiten des Landtages und regelt seine Geschäfte.

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Der Bescheid des Beklagten vom 29.10.2014, mit dem die monatlichen Versorgungsbezüge des Klägers ab Oktober 2014 gekürzt worden sind, ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der Kläger hat keinen Anspruch auf Festsetzung einer höheren Altersentschädigung.

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Der Kläger hat als ehemaliger Abgeordneter Anspruch auf Altersentschädigung gemäß § 47 Abs. 1 des Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Landtages von Sachsen-Anhalt (Abgeordnetengesetz Sachsen-Anhalt - AbgG LSA) in der Fassung der Bekanntmachung vom 14.06.2002 (GVBl. LSA 2002, 270) i.V.m. § 17 in der bis zum In-Kraft-Treten des Achten Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes Sachsen-Anhalt geltenden Fassung (a.F.), also in der Fassung vom 21.07.1994 (GVBl. LSA 1994, 908).

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Der Kläger unterfällt hinsichtlich der Kürzung der ihm nach § 47 AbgG LSA zustehenden Altersentschädigung aufgrund bestehender Versorgungsausgleichsansprüche seiner geschiedenen Ehefrau der Vorschrift des § 57 des Gesetzes über die Versorgung der Beamten und Richter des Bundes (Beamtenversorgungsgesetz) vom 16.03.1999 - Überleitungsfassung für Sachsen-Anhalt - in der Fassung vom 08.02.2011 (GVBl. LSA 2011, 68; BeamtVG ST). Dies folgt daraus, dass der Gesetzgeber in § 24 AbgG LSA für die Versorgung die für die Landesbeamten geltenden Vorschriften für sinngemäß anwendbar erklärt hat, soweit in diesem Gesetz nichts anderes bestimmt ist. Eine Regelung zur Umsetzung des scheidungsbedingten Versorgungsausgleichs enthält das Abgeordnetengesetz des Landes Sachsen-Anhalt nicht, so dass die beamtenrechtliche Vorschrift des § 57 BeamtVG ST zur Anwendung kommt.

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Nach § 57 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG ST ist die Versorgung des aus dem Versorgungsausgleich verpflichteten Ehegatten grundsätzlich dann zu kürzen, wenn Anwartschaften in einer gesetzlichen Rentenversicherung nach § 1587b Abs. 2 BGB durch Entscheidung des Familiengerichts begründet worden sind und diese Entscheidung wirksam wird. Der ausgleichspflichtige Ruhestandsbeamte erhält danach nur noch um den Versorgungsausgleich gekürzte Ruhestandsbezüge und zwar unabhängig davon, ob der ausgleichsberechtigte Ehegatte schon eine Rente bezieht oder nicht. Dies entspricht dem Grundsatz des sofortigen und endgültigen Vollzugs des Versorgungsausgleichs, dessen verfassungsrechtliche Unbedenklichkeit das Bundesverfassungsgericht bereits in seiner Entscheidung vom 28.02.1980 ausgesprochen hat (BVerfG, Urteil vom 28.02.1980 – 1 BvL 17.77 – NJW 1980, 692).

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Auf dieser Grundlage hat der Beklagte den Beschluss des Amtsgerichts B-Stadt vom 06.12.2012 zum Anlass genommen hat, den Kürzungsbetrag nach § 57 Abs. 2 Satz 2 und Satz 3 BeamtVG ST zu berechnen und mit monatlich 956,79 Euro zu veranschlagen. Hierbei hat der Beklagte das "Pensionistenprivileg" zutreffend nicht zugunsten des Klägers berücksichtigt. In § 57 Abs. 6 Satz 1 BeamtVG ST ist geregelt, dass dieses Privileg, wonach die Kürzung des Ruhegehaltes erst dann vorgenommen wird, wenn aus der Versicherung des berechtigten Ehegatten eine Rente zu gewähren ist, lediglich dann zur Anwendung kommt, wenn die Entscheidung des Familiengerichtes vor dem 01.04.2011 wirksam geworden. Dies war hier nicht der Fall.

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Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit dieser Regelungen bestehen entgegen der Auffassung des Klägers nicht.

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1. Ohne Erfolg beruft sich der Kläger in diesem Zusammenhang auf das Urteil des Verfassungsgerichtshofs des Freistaates Sachsen vom 19.04.2011 (Vf. 74-II-10 – NVwZ 2011, 936). Mit dieser Entscheidung hat der Verfassungsgerichtshof eine Regelung des sächsischen Landesgesetzgebers für formell verfassungswidrig erklärt. Auslöser war eine abstrakte Normkontrollklage an, die von Mitgliedern des sächsischen Landtages eingebracht wurde. Der Gerichtshof führte zur Begründung u.a. aus, die parlamentarische Demokratie setze den aktiv an der Arbeit des Parlaments mitwirkenden Abgeordneten voraus. Hierfür sei dieser auf ausreichende Informationen zu den anstehenden Beratungsgegenständen angewiesen. Soll er sein Mandat wirkungsvoll ausüben, müssten ihm im parlamentarischen Prozess die wesentlichen Entscheidungsgrundlagen unterbreitet werden. Die Gesetzesvorlage habe deshalb einen verständlichen, schriftlich niedergelegten, als Stamm- oder Änderungsgesetz gefassten und endgültig gemeinten beschlussreifen Textvorschlag zu unterbreiten. Sie müsse im Wortlaut wiedergeben, was letztlich durch Beschluss des Parlaments formelles Gesetz werden soll. Dies folge letztlich auch aus dem Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip.

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Vorliegend regelt das Besoldungs- und Versorgungsrechtsergänzungsgesetz des Landes Sachsen-Anhalt (BesVersEG LSA) vom 08.02.2011 (GVBl. LSA, S. 68) für Versorgungsempfänger und Versorgungsempfängerinnen der in § 1 LBG LSA aufgeführten Dienstherrn (also auch für Landesbeamte), dass für den vorgenannten Personenkreis die am 31.08.2006 gültigen bundesrechtlichen Gesetze und Verordnungen mit Wirkung ab 01.04.2011 als Landesrecht fortgelten, sofern sich aus Abschnitt 2, d. h. den §§ 5 bis 13 BesVersEG LSA nichts anderes ergibt (§ 7 Abs. 1 Satz 1 BesVersEG LSA). Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 3 BesVersEG LSA gelten Verweisungen im Beamtenversorgungsgesetz auf das Bundesbesoldungsgesetz oder auf Bestimmungen des Bundesbesoldungsgesetzes bis zum Erlass eines Beamtenversorgungsgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt als Verweisungen auf das Landesbesoldungsgesetz oder auf die entsprechenden Bestimmungen des Landesbesoldungsgesetzes. In § 8 BesVersEG LSA ist daneben geregelt, dass das nach § 7 fortgeltende Beamtenversorgungsgesetz unter bestimmten Maßgaben Anwendung findet. Ziffer 12 Buchstabe a) dieser Regelung enthält sodann u.a. Regelungen zum Umgang mit Anrechten nach dem Versorgungsausgleichsgesetz. Die Regelungen in § 7 und § 8 BesVersEG basieren auf Art. 2 § 15 und § 16 des Gesetz zur Neuregelung des Besoldungsrechts des Landes Sachsen-Anhalt (Besoldungsneuregelungsgesetz Sachsen-Anhalt – BesNeuRG LSA). Dieses Gesetz wurde am 03.03.2010 in den parlamentarischen Prozess eingebracht (Landtagsdrucksache 5/2477). Am 09.12.2010 hat es der Landtag verabschiedet und am 16.02.2011 ist es verkündet worden (GVBl. LSA S. 68 ff.). Weder die Regelungen in § 7 und § 8 BesVersEG noch der Entwurf des Gesetzes zur Neuregelung des Besoldungsrechts des Landes Sachsen-Anhalt vom 03.03.2010 enthalten allerdings - auch in der Begründung - nicht den vollständigen Wortlaut des Beamtenversorgungsgesetzes des Bundes.

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Gleichwohl vermag die Kammer nicht zu erkennen, dass diese Regelungen allein deshalb formell verfassungswidrig sind. Aus Art. 77 Abs. 2 und Abs. 3 Verf LSA folgt lediglich, dass Gesetzentwürfe von der Landesregierung, aus der Mitte des Landtages oder durch Volksbegehren eingebracht werden können und sodann im Landtag in mindestens zwei Beratungen behandelt werden müssen. Bestimmte Anforderungen an die Qualität der Gesetzentwürfe stellt die landesgesetzliche Regelung damit nicht. Auch aus dem Demokratie- und dem Rechtsstaatsprinzip lässt sich nicht ableiten, dass ein Gesetzentwurf zwingend im Wortlaut wiedergeben müsse, was durch Beschluss des Parlaments formelles Gesetz werden soll. Entscheidend ist, dass der Gesetzesentwurf entweder aus sich selbst heraus oder – wie im Fall eines Artikelgesetzes – in Verbindung mit anderen Gesetzen verständlich ist (ebenso: Maunz/Dürig, GG, Stand: September 2015, Art. 76 GG Rn. 19). Sind Inhalt und Umfang der beabsichtigten gesetzlichen Regelungen – wie hier – klar erkennbar, so ist dem rechtsstaatlichen Gebot der Normenklarheit und den Dokumentationspflichten des Gesetzgebers hinreichend entsprochen.

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2. Auch der Hinweis des Klägers auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vom 09.06.2004 zum Ladenschlussgesetz des Bundes, die sich mit der Regelung in Artikel 125a Abs. 2 GG auseinandersetzt, verhilft ihm nicht zum Klageerfolg.

25

Das Bundesverfassungsgericht verweist in der durch den Kläger in Bezug genommenen Entscheidung vom 09.06.2004 auf die Entstehungsgeschichte von Artikel 125a GG. Die Gemeinsame Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat hatte ursprünglich vorgeschlagen, die Vorschrift insgesamt so zu formulieren, dass fortgeltendes Bundesrecht „durch Landesrecht aufgehoben und ergänzt werden“ kann. Später wurden die Verben „aufgehoben und ergänzt“ ausgetauscht durch „ersetzt“. Nach der Beratung im Vermittlungsausschuss wurde die Vorschrift in zwei Absätze untergliedert und in Artikel 125a Abs. 2 GG wurde das Erfordernis einer bundesgesetzlichen Freigabe für die Ersetzung durch Landesrecht vorgesehen. So sollte verhindert werden, dass die Länder fortgeltendes Bundesrecht nur teilweise ändern. Es sollte keine „Mischlage aus Bundes- und Landesrecht für ein und denselben Regelungsgegenstand im selben Anwendungsbereich“ entstehen, die nach Auffassung des BVerfG „im bestehenden System der Gesetzgebung ein Fremdkörper“ gewesen wäre.

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Unabhängig davon, dass sich die zu Art. 125a Abs. 2 GG entwickelte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht ohne weiteres auf die – vorliegend relevante – Regelung in Art. 125a Abs. 1 GG übertragen lässt, besteht entgegen der Auffassung des Klägers eine „Mischlage aus Bundes- und Landesrecht" im Bereich der landesrechtlichen Regelungen zum Beamtenversorgungsrecht in Sachsen-Anhalt gerade nicht. Mit der Regelung in § 7 BesVersEG hat sich der Landesgesetzgeber nicht (lediglich) zu einer partiellen Ersetzung eines abgrenzten Teilbereiches der bislang geltenden bundesrechtlichen Bestimmungen entschlossen, was zur Folge hätte, dass die unveränderten Teile des bundesgesetzlichen Regelungswerkes in Sachsen-Anhalt als Bundesrecht weiter Geltung beanspruchen. Vielmehr hat der Landesgesetzgeber bestimmt, dass die bundesgesetzlichen Regelungen "als Landesrecht" fortgelten. Damit hat er die bundesgesetzlichen Regelungen insgesamt in Landesrecht überführt. Zwar liegt ein "Ersetzen" i.S.d. § 125a Abs. 1 Satz 2 GG nur dann vor, wenn rechtliche Bestimmungen in Kraft gesetzt werden, durch die die betreffende Materie in eigener Verantwortung des Landes geregelt werden. Inhaltlich reicht für eine Ersetzung des bisherigen Bundesrechts dessen (pauschale) Übernahme in Landesrecht aber aus (ebenso: Maunz/Dürig, GG, Stand: September 2015, § 125a GG Rn. 30).

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3. Die am 08.02.2011 mit Wirkung zum 01.04.2011 geschaffenen hier streitgegenständlichen landesrechtlichen Regelungen verletzen auch nicht das aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) abzuleitende Rückwirkungsverbot.

28

Eine Rechtsnorm entfaltet dann Rückwirkung, wenn der Beginn ihrer zeitlichen Anwendung auf einen Zeitpunkt festgelegt ist, der vor dem Zeitpunkt liegt, zu dem die Norm rechtlich existent, d.h. gültig geworden ist (st. Rspr. des Bundesverfassungsgerichts, z.B. Urteil vom 05.02.2004 – 2 BvR 2029/01 – NJW 2004, 739 m.w.N.). Der zeitliche Anwendungsbereich einer Norm bestimmt, in welchem Zeitpunkt die Rechtsfolgen einer gesetzlichen Regelung eintreten sollen. Grundsätzlich erlaubt die Verfassung nur ein belastendes Gesetz, dessen Rechtsfolgen frühestens mit Verkündung der Norm eintreten. Die Anordnung, eine Rechtsfolge solle schon für einen vor dem Zeitpunkt der Verkündung der Norm liegenden Zeitraum eintreten (Rückbewirkung von Rechtsfolgen, „echte“ Rückwirkung), ist grundsätzlich unzulässig.

29

Demgegenüber betrifft nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (z.B. Urteil vom 05.02.2004, a.a.O.) die sog. tatbestandliche Rückanknüpfung („unechte“ Rückwirkung) nicht den zeitlichen, sondern den sachlichen Anwendungsbereich einer Norm. Die Rechtsfolgen eines Gesetzes treten erst nach Verkündung der Norm ein, ihr Tatbestand erfasst aber Sachverhalte, die bereits vor der Verkündung „ins Werk gesetzt“ worden sind. Tatbestände, die den Eintritt ihrer Rechtsfolgen von Gegebenheiten aus der Zeit vor ihrer Verkündung abhängig machen, berühren vorrangig die Grundrechte und unterliegen weniger strengen Beschränkungen als die Rückbewirkung von Rechtsfolgen.

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Unter Beachtung dieser Grundsätze hat der Kläger mit seinem Vorbringen zunächst keine Problematik der „echten“ Rückwirkung („Rückbewirkung von Rechtsfolgen“) angesprochen. Der Kläger trägt vor, die zum 01.04.2011 erfolgte Abschaffung des "Pensionistenprivilegs" führe zu einer unzumutbaren Härte, da er im Vertrauen auf den Erhalt dieser Privilegierung in der Vergangenheit Vermögensdispositionen getroffen habe. Der Gesetzgeber hat durch die Regelung in § 57 Abs. 6 BeamtVG ST allerdings sichergestellt, dass vor dem 01.04.2011 (also vor Inkrafttreten) wirksam gewordene Entscheidungen des Familiengerichts noch nach der alten Rechtslage behandelt werden. Die neuen Vorschriften erfassen demnach erst danach wirksam gewordene Entscheidungen des Familiengerichts.

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Der Kläger kann auch nicht erfolgreich geltend machen, der Beklagte habe § 57 BeamtVG ST deshalb rückwirkend zur Anwendung gebracht, weil vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der genannten Vorschrift (am 01.04.2011) bereits ein Versorgungsausgleichsverfahren anhängig gewesen sei und die für ihn negative Regelung (Abschaffung des Pensionistenprivilegs) damit an einen Tatbestand aus der Vergangenheit anknüpft. Sollte insoweit von einer sog. unechten Rückwirkung („tatbestandliche Rückanknüpfung“) auszugehen sein, wäre jedenfalls das Vertrauen des Klägers in einen unveränderten Fortbestand des damals geltenden Beamtenversorgungsrechts nicht schutzwürdig.

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Zwar ist dem Kläger zuzugeben, dass die bisherige Rechtslage geeignet war, aus dem Vertrauen auf ihren Fortbestand heraus Entscheidungen und Dispositionen herbeizuführen, die sich bei der Änderung der Rechtslage als nachteilig erweisen. Auch ist das Vertrauen auf den unveränderten Fortbestand einer über viele Jahre gewährten Rechtsposition grundsätzlich hoch einzuschätzen. Deshalb soll der Betroffene grundsätzlich in seinem Vertrauen darauf geschützt sein, dass der Gesetzgeber nicht nachträglich eine Regelung trifft, auf die der Beamte nicht mehr durch eine Verhaltensänderung reagieren kann. Gleichwohl ist der mit der Regelung in § 57 BeamtVG ST verbundene Eingriff in rechtlich geschützte Positionen verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

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Die bereits zitierte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 28.02.1980 (a.a.O.) betraf die Verfassungsmäßigkeit des Versorgungsausgleichs, der nach dem durch das Erste Eherechtsreformgesetz geänderten Scheidungsfolgenrecht bei der Ehescheidung zwischen den Ehegatten vorgenommen wird und der auch dann durchzuführen ist, wenn die Ehe vor dem Inkrafttreten der Neuregelung geschlossen wurde (sog "Altehe"). In dieser Entscheidung heißt es:

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"Das Bundesverfassungsgericht hat wiederholt ausgesprochen, daß es eine wesentliche Funktion der Eigentumsgarantie ist, dem Bürger Rechtssicherheit hinsichtlich der durch Art 14 Abs 1 GG geschützten Güter zu gewährleisten und das Vertrauen auf das durch die verfassungsmäßigen Gesetze ausgeformte Eigentum zu schützen. Insoweit hat der rechtsstaatliche Grundsatz des Vertrauensschutzes für die vermögenswerten Güter im Eigentumsgrundrecht eine eigene Ausprägung und verfassungsrechtliche Ordnung erfahren (BVerfGE 45, 142 (168) mwN). Die Eigentumsgarantie erfüllt daher für die durch sie geschützten rentenversicherungsrechtlichen Positionen die Funktion des Vertrauensschutzes gegenüber Eingriffsakten. Entsprechendes gilt für die Garantie des Art 33 Abs. 5 GG (vgl. für das Sozialstaatsprinzip und Art 33 Abs. 5 GG BVerfGE 17, 337 (355)).

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Der Gesetzgeber war zur Neuregelung des Scheidungsfolgenrechts befugt und von Verfassungs wegen nicht daran gehindert, das neue Recht auch auf "Altehen" zu erstrecken. Diese Erstreckung sollte ausschließen, daß für die Versorgungsrechte Geschiedener zwei unterschiedliche Systeme nebeneinander bestehen und etwa nach Wiederverheiratung und erneuter Scheidung für ein und dieselbe Person zweierlei Recht gilt. Soweit der Gesetzgeber rentenversicherungsrechtliche und beamtenversorgungsrechtliche Positionen umgestaltet hat, war er gehalten, deren Schutz durch Art 14 Abs. 1 und Art 33 Abs. 5 GG für "Altehen" und für "Neuehen" zu wahren. Das Vertrauen auf den ungeschmälerten Fortbestand der Versorgungsanrechte und auf deren Verfügbarkeit für die Alterssicherung und Invaliditätssicherung ist entscheidend geprägt durch die Eigentumsgarantie und bei Beamten durch die Gewährleistung des Alimentationsgrundsatzes. Die Ausgangslage ist insoweit für alle Verheirateten, die Inhaber grundrechtlich gesicherter Versorgungspositionen sind, grundsätzlich gleich, so daß dem Zeitpunkt der Eheschließung keine wesentliche Bedeutung zukommt.

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Es ist allerdings anzunehmen, daß vor allem bei "Altehen" nach längerem Getrenntleben oder aus anderen Gründen Umstände vorliegen, die den mit dem Versorgungsausgleich verbundenen Eingriff als unverhältnismäßig erscheinen lassen. Für derartige Fälle werden § 1587b Abs 4 und § 1587c BGB oder zumindest die Kürzungsvorschriften des Art 12 Nr 3 Abs 3 Sätze 3 und 4 des 1. EheRG (vgl C I. 2. d) besondere Bedeutung gewinnen. Darüber hinaus kann es gerade bei "Altehen" zu den unter C III. 2. beschriebenen Härten durch nachträglich eintretende Umstände kommen, denen der Gesetzgeber durch die ihm aufgegebene ergänzende Regelung Rechnung zu tragen hat. Für die Ausgestaltung und Anwendung dieser ergänzenden Härteregelung kann wesentlich sein, daß Ehegatten, die nach dem 1. Juli 1977 geheiratet haben oder heiraten werden, den Auswirkungen eines etwaigen Versorgungsausgleichs eher begegnen können als die Partner von "Altehen". Schon die Möglichkeit des vertraglichen Ausschlusses des Versorgungsausgleichs (§ 1408 Abs. 2 BGB) wird bei ihnen häufiger in Betracht kommen. Ferner können die Partner von "Neuehen" sich eher auf das Risiko einer Kürzung ihrer Versorgung im Fall einer Scheidung einrichten und Vorkehrungen treffen, um etwaige Versorgungslücken zu vermeiden. Für sie wird es insbesondere naheliegen, den Versicherungsschutz des haushaltsführenden und nicht erwerbstätigen Ehegatten aufrechtzuerhalten, um Risiken aufzufangen. Unterlassen sie dies, obwohl es ihnen finanziell möglich ist, werden sie im Fall einer Scheidung im allgemeinen nicht besser zu stellen sein als diejenigen, die durch solche Vorkehrungen einer Kürzung von Versorgungsansprüchen vorgebeugt haben. Da Partner länger bestehender "Altehen" solche Möglichkeiten nicht oder nur sehr begrenzt wahrnehmen können, gewinnt für sie eine ergänzende Härteregelung besondere Bedeutung. Nach Meinung einer Minderheit des Senats kann eine Härteklausel, die sich im Ergebnis entweder zu Lasten der Solidargemeinschaft (Splitting) oder zu Lasten der Allgemeinheit (Quasi-Splitting) auswirke, überhaupt nur als Übergangsregelung für "Altehen" in Betracht kommen, zumal nur hier der Versorgungsausgleich bereits entstandene individualrechtliche Positionen umgestalte, ohne daß deren Inhaber dem habe begegnen können."

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Das Bundesverfassungsgericht hat also die mit dem geänderten Scheidungsfolgenrecht für "Altehen" verbundenen Härten erkannt, aber den hiermit verbundenen Eingriff in grundrechtlich geschützte Positionen nicht als unverhältnismäßig angesehen, solange ergänzende Regelungen existieren, die zu einem Ausgleich der mit dem Eingriff verbundenen Härten führen. Eine derartige Regelung fand sich seinerzeit in § 1587c BGB, wonach ein Versorgungsausgleich nicht stattfindet, soweit die Inanspruchnahme des Verpflichteten unter Berücksichtigung der beiderseitigen Verhältnisse, insbesondere des beiderseitigen Vermögenserwerbs während der Ehe oder im Zusammenhang mit der Scheidung, grob unbillig wäre. Diese Regelung wurde durch § 27 des am 01.09.2009 in Kraft getretenen Gesetzes über den Versorgungsausgleich (Versorgungsausgleichsgesetz – VersAusglG) ersetzt. Danach findet ein Versorgungsausgleich ausnahmsweise nicht statt, soweit er grob unbillig wäre; dies ist nur der Fall, wenn die gesamten Umstände des Einzelfalls es rechtfertigen, von der Halbteilung abzuweichen.

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Damit lässt sich feststellen, dass zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der hier streitgegenständlichen Regelungen am 01.04.2011 bundesgesetzliche Regelungen bestanden, die besondere Härten ausgleichen sollen. Der Landesgesetzgeber war sich über die bestehenden Regelungen im VersAusglG auch durchaus bewusst, da er ausweislich der Begründung zum Gesetzentwurf vom 03.03.2010 die Rechtslage im Land an die rentenrechtlichen Bundesregelungen anpassen wollte und hierbei ausdrücklich auf das Gesetz zur Strukturreform des Versorgungsausgleichs vom 01.09.2009 Bezug genommen hat. Unter diesen Umständen ist der mit der Abschaffung des Pensionistenprivilegs verbundene Eingriff in grundrechtlich geschützte Vermögenspositionen (im Sinne der zitierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts) verhältnismäßig und aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht zu beanstanden.

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4. Der weitere Einwand des Klägers, dass die Kürzung seiner Altersentschädigung erst mit dem Beginn der Rentenzahlung an seine Ehefrau ab dem 07.12.2018 möglich gewesen wäre, wenn das Amtsgericht B-Stadt das im Jahr 2010 zunächst ausgesetzte Versorgungsausgleichsverfahren rechtzeitig wiederaufgenommen und noch vor dem 01.04.2011 eine Entscheidung getroffen hätte, veranlasst keine andere rechtliche Bewertung. Die seit dem 23.09.2014 rechtskräftige Entscheidung des Familiengerichts sind für den Versorgungsträger des ausgleichspflichtigen Beamten und auch das Verwaltungsgericht so lange zu beachten ist, als diese nicht durch eine andere rechtskräftige Entscheidung (§§ 225, 226 FamFG) ersetzt wird. Die Entscheidung des Familiengerichts ist für das Verwaltungsgericht bindend.

40

Ob der Kläger nach Rechtskraft der vorliegenden Entscheidung im Rahmen eines Abänderungsverfahren nach §§ 225, 226 FamFG erfolgreich geltend machen kann, die Kürzung seiner Altersentschädigung begründe einen Härtefall i.S.d. § 27 VersAusglG, vermag die Kammer nicht zu beurteilen. Allerdings hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden, dass die Abschaffung des Rentner- bzw. Pensionistenprivilegs auch im Rahmen einer nach § 27 VersAusglG anzustellenden Billigkeitsabwägung als eine vom Ausgleichspflichtigen grundsätzlich entschädigungslos hinzunehmende Gesetzesänderung anzusehen ist (vgl. Beschlüsse vom 13.02.2013 - XII ZB 527/12 - FamRZ 2013, 690 Rn. 20 und vom 11.12.2013 - XII ZB 253/13 - FamRZ 2014, 461 Rn. 17). Deshalb kommt es entscheidend darauf an, ob die Durchführung des gekürzten Versorgungsausgleichs zu einem erheblichen und damit grob unbilligen wirtschaftlichen Ungleichgewicht zwischen den Eheleuten führen würde (BGH, Beschluss vom 08.04.2015 – XII ZB 428/12 - FamRZ 2015, 1001). Dies zu überprüfen ist Sache der Zivilgerichte.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Satz 1 VwGO. Die Entscheidung über die sofortige Vollstreckbarkeit ergeht gemäß § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO. Die Berufungszulassung erfolgt gemäß §§ 124 a Abs. 1 Satz 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung, da die Kammer mit der Entscheidung in einer wesentlichen Frage von der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs des Freistaates Sachsen abweicht und diese Frage auch in anderen Fallgestaltungen an Bedeutung gewinnen kann.


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