Urteil vom Verwaltungsgericht Magdeburg (3. Kammer) - 3 E 299/16
Gründe
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Die gemäß §§ 165, 151 VwGO zulässige Erinnerung des Klägers gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vom 14. September 2016 ist begründet.
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Neben den im vorgenannten Kostenfestsetzungsbeschluss bereits berücksichtigten Kosten in Gestalt der 1,3 Verfahrensgebühr (Ziffer 3100 VV RVG), der 1,2 Terminsgebühr (Ziffer 3104 VV RVG), der Pauschale für Post- und Telekommunikationsdienstleistung (Ziffer 7002 VV RVG) und der hierauf entfallenden Umsatzsteuer hat die Beklagte dem Kläger die von diesem geltend gemachten Reisekosten seines Prozessbevollmächtigten auf der Grundlage von Ziff. 7003 VV RVG in Höhe von 55,50 Euro und von Ziffer 7005 Nr. 1 VV RVG in Höhe von 25,00 Euro zu erstatten.
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Nach § 162 Abs. 2 Satz 1 VwGO sind die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts stets erstattungsfähig. Eine Einschränkung des Inhalts, dass Reisekosten eines nicht in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassenen und auch nicht am Ort des Prozessgerichts wohnenden Rechtsanwalts nur erstattungsfähig sind, wenn dessen Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war, kennt die Verwaltungsgerichtsordnung nicht. Die für den Zivilprozess insoweit in § 91 Abs. 2 Satz 1 ZPO in der seit dem 1. Juni 2007 gültigen Fassung (BGBl. I S. 358, 365) getroffene Regelung findet über § 173 VwGO keine Anwendung. Der Gesetzgeber wollte die Beteiligten im Verwaltungsprozess bei der Wahl eines Bevollmächtigten freier stellen, um es ihnen zu erleichtern, einen im Verwaltungsrecht qualifizierten Anwalt zu finden (vgl. BVerwG, Beschl. v. 11. September 2007 - 9 KSt 5/07 -, NJW 2007, 3656). Allerdings steht die Erstattungsfähigkeit der Reisekosten eines Anwalts zur Wahrnehmung eines gerichtlichen Termins unter dem Vorbehalt des § 162 Abs. 1 VwGO, wonach es sich um zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendige Aufwendungen handeln muss. Der daraus herzuleitende Grundsatz der Kostenminimierung ist bei der Anwaltswahl mit der Folge zu beachten, dass ohne nähere Prüfung Reisekosten eines Rechtsanwalts nur dann voll zu erstatten sind, wenn er seine Kanzlei am Sitz oder im Bezirk des angerufenen Gerichts oder am Wohnsitz seines Mandanten oder in dessen Nähe hat. Mehrkosten, die dadurch entstehen, dass der beauftragte Rechtsanwalt seine Kanzlei weder am Wohnsitz des Mandanten noch am Gerichtssitz oder im Gerichtsbezirk hat, sind grundsätzlich nur bei Vorliegen besonderer Gründe erstattungsfähig. Dies ist etwa der Fall, wenn der beauftragte Rechtsanwalt über besondere fachliche Spezialkenntnisse verfügt und der Streitfall Rechtsfragen aus diesem Fachgebiet von solcher Schwierigkeit aufwirft, dass ein verständiger Beteiligter die Zuziehung eines solchen Anwalts für ratsam erachten wird. Ebenfalls gerechtfertigt ist die Beauftragung eines auswärtigen Rechtsanwalts, zu dem bereits ein besonderes Vertrauensverhältnis besteht, das den Wechsel zu einem anderen Rechtsanwalt allein zum Zweck der Kostenersparnis als unzumutbar erscheinen lässt (vgl. BayVGH, Beschl. v. 26. Juni 2015 - 4 M 15.1062 -, juris [m.w.N.]; OVG LSA, Beschl. v. 1. November 2005 - 4 O 327/05 -, juris [m.w.N.]).
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Ob es im vorliegenden Fall geboten war, ggf. vorhandene besondere fachliche Spezialkenntnisse des außerhalb des Bezirks des beschließenden Gerichts niedergelassenen Prozessbevollmächtigten des Klägers zu Rate zu ziehen, oder ob zwischen dem Kläger und seinem Prozessbevollmächtigten ein besonderes Vertrauensverhältnis bestanden hat, bedarf keiner weiteren Erörterung. Die im Streit stehenden Reisekosten (Fahrtkosten plus Tage- und Abwesenheitsgeld einschließlich der darauf entfallenden Umsatzsteuer) sind dem Kläger selbst dann durch die Beklagte zu erstatten, wenn die Beauftragung des auswärtigen Prozessbevollmächtigten nicht notwendig im Sinne der vorstehenden rechtlichen Maßstäbe war.
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War die Beauftragung eines auswärtigen Prozessbevollmächtigten nicht notwendig, sind dem Beteiligten, dessen außergerichtliche Kosten der Prozessgegner dem Grunde nach zu tragen hat, entgegen den Ausführungen im Kostenfestsetzungsbeschluss vom 14. September 2016 nicht nur die (fiktiven) Reisekosten zu erstatten, die durch eine Informationsreise zu einem am Ort des Prozessgerichts ansässigen Rechtsanwalt entstanden wären. Vielmehr sind diejenigen Reisekosten erstattungsfähig, die bei einer (fiktiven) Anreise des Prozessbevollmächtigten von dem am weitesten vom Gerichtssitz entfernten Ort des Gerichtsbezirks entstanden wären (vgl. (BayVGH, Beschl. v. 14. August 2014 - 15 C 13.1504 -, juris Rz. 10 a.E.; SächsOVG, Beschl. v. 3. November 2016 - 1 F 12/16 -, juris Rz. 4). Dabei bildet die Höhe der tatsächlich entstandenen Reisekosten des auswärtigen Prozessbevollmächtigten die Grenze der Erstattungsfähigkeit. Denn der Ansatz der Reisekosten bei einer fiktiven Anreise von dem am weitesten vom Gerichtssitz entfernten Ort des Gerichtsbezirks darf nicht dazu führen, dass dem Kläger im Ergebnis höhere als die tatsächlich entstandenen Reisekosten erstattet werden.
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Die Erstattungsfähigkeit der fiktiven Reisekosten eines am weitesten vom Gerichtssitz entfernten Ort des Gerichtsbezirks ansässigen Prozessbevollmächtigten beruht darauf, dass es nach den oben genannten rechtlichen Maßstäben dem Grundsatz der Kostenminimierung entsprechen würde, wenn der Kläger einen Rechtsanwalt aus dem Bezirk des beschließenden Gerichts mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragt hätte. Diese Überlegung wird gestützt durch einen Vergleich mit dem Prozesskostenhilferecht. Dort erfolgt wegen § 121 Abs. 3 ZPO, der über § 166 VwGO im Verwaltungsprozess entsprechend anwendbar ist, die Beiordnung eines außerhalb des Gerichtsbezirks niedergelassenen Rechtsanwalts im Allgemeinen nur zu den Bedingungen eines im Bezirk des Gerichts – und nicht lediglich am Ort des Sitzes des Gerichts – ansässigen Rechtsanwalts. Infolgedessen werden dem beigeordneten, außerhalb des Gerichtsbezirks niedergelassenen Rechtsanwalt Reisekosten gerechnet ab dem vom Sitz des Gerichts am weitesten entfernt gelegenen Ort innerhalb des Gerichtsbezirks erstattet (vgl. SächsOVG, Beschl. v. 9. Januar 2015 - 3 A 392/14 -, juris Rz: 4). Damit wird einerseits der durch den Gesetzgeber geschaffenen Flexibilisierung der Wahl des Prozessbevollmächtigten – keine Beschränkung mehr auf am Prozessgericht selbst zugelassene Rechtsanwälte – und andererseits dem allgemeinen Gedanken der Kostenminimierung Rechnung getragen. Es ist nicht ersichtlich, weshalb im Rahmen der Anwendung des § 162 Abs. 1 VwGO engere Grenzen des Grundsatzes der Kostenminimierung zugrunde gelegt werden müssten.
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Hiervon ausgehend sind dem Kläger durch die Beklagte die geltend gemachten Reisekosten des außerhalb des Gerichtsbezirks ansässigen Rechtsanwalts in voller Höhe zu erstatten. Die Fahrstrecke vom Kanzleisitz des Prozessbevollmächtigten in B-Stadt zum Sitz des Gerichts und zurück beträgt nach den unwidersprochen gebliebenen Angaben des Klägers 185 km. Im Gerichtsbezirk des beschließenden Gerichts sind auch Rechtsanwälte ansässig, die ihren Kanzleisitz beispielsweise in Salzwedel und damit in größerer Entfernung (ca. 200 km Hin- und Rückfahrt zusammengerechnet) als der Prozessbevollmächtigte des Klägers haben, so dass bei deren Beauftragung Reisekosten entstünden, welche die geltend gemachten Fahrtkosten des Prozessbevollmächtigten des Klägers übersteigen würden. Vor diesem Hintergrund kann nicht davon gesprochen werden, dass die durch die Beauftragung des auswärtigen Prozessbevollmächtigten des Klägers entstandenen Reisekosten ein unkalkulierbares Kostenrisiko für die Beklagte darstellen, dem unter Verweis auf den Grundsatz der Kostenminimierung begegnet werden müsste.
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Nach alledem setzen sich die von der Beklagten dem Kläger zu erstattenden Kosten ausgehend von dem gerichtlich für das Klageverfahren auf 181,00 Euro festgesetzten Streitwert wie folgt zusammen:
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1,3 Verfahrensgebühr, Ziff. 3100 VV RVG
58,50 Euro
1,2 Terminsgebühr, Ziff. 3104 VV RVG
54,00 Euro
Pauschale für Post- und Telekommunikationsdienstleistung, Ziff. 7002 VV RVG
20,00 Euro
Fahrtkosten (Termin zur mündlichen Verhandlung), Ziff. 7003 VV RVG (185 km x 0,30 Euro)
55,50 Euro
Abwesenheitsgeld, Ziff. 7005 Nr. 1 VV RVG
25,00 Euro
Umsatzsteuer, Ziff. 7007 VV RVG
40,47 Euro
Gesamt
253,47 Euro
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Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 104 Abs. 1 Satz 2 ZPO. Der Kostenfestsetzungsantrag ist bei dem beschließenden Gericht am 13. Juni 2016 eingegangen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist nach § 1 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 3 Abs. 2 GKG gerichtsgebührenfrei. Im Kostenverzeichnis der Anlage 1 zum GKG ist diesbezüglich ein Ansatz von Gerichtsgebühren nicht vorgesehen. Hiervon ausgehend bedarf es auch keiner Streitwertfestsetzung.
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Referenzen
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- ZPO § 91 Grundsatz und Umfang der Kostenpflicht 1x
- 9 KSt 5/07 1x (nicht zugeordnet)
- 3 A 392/14 1x (nicht zugeordnet)
- 1 F 12/16 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 104 Kostenfestsetzungsverfahren 1x
- VwGO § 166 1x
- 4 O 327/05 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 154 1x
- § 3 Abs. 2 GKG 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 151 1x
- VwGO § 162 3x
- VwGO § 173 2x
- ZPO § 121 Beiordnung eines Rechtsanwalts 1x