Beschluss vom Verwaltungsgericht München - M 3 S 22.3909

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.

II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

III. Der Streitwert wird auf 7.500,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragstellerin wendet sich gegen den Widerruf der Genehmigung zur Errichtung und dem Betrieb ihrer Schule.

Die Antragstellerin ist eine gemeinnützige Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Mit Bescheid des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus (im Folgenden: das Staatsministerium) vom 20. Juli 2018 wurde der Antragstellerin die Genehmigung erteilt, ab dem Schuljahr 2018/19 in München eine einzügige staatlich genehmigte Realschule mit der Ausbildungsrichtung II, beginnend mit den Jahrgangsstufen 5 und 6 zu errichten und zu betreiben. Ziffer II. des Genehmigungsbescheids beinhaltete mehrere Auflagen.

Aufgrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten wurde mit Beschluss des Amtsgerichts München - Insolvenzgericht - vom 1. Mai 2022 über das Vermögen der Antragstellerin das Insolvenzverfahren eröffnet. Infolgedessen wurden das Mietverhältnis über die Schulräumlichkeiten sowie die Arbeitsverträge mit den Lehrkräften zum 31. Juli 2022 gekündigt. Auch mehrere Eltern hatten die Schulverträge für ihre Kinder gekündigt.

Mit Schreiben vom 15. Juni 2022 hörte das Staatsministerium die Antragstellerin zu einem Widerruf der Genehmigung an. Die Antragstellerin nahm in mehreren Schreiben zu den im Anhörungsschreiben aufgeworfenen Fragen Stellung.

Mit Bescheid des Staatsministeriums vom 29. Juli 2022 wurde die mit Bescheid vom 20. Juli 2018 erteilte Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb der Schule zum Ablauf des 31. Juli 2022 widerrufen (Ziffer 1) und die sofortige Vollziehung der Ziffer 1 angeordnet (Ziffer 2).

Mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 10. August 2022, eingegangen am gleichen Tag, ließ die Antragstellerin gegen den Bescheid vom 29. Juli 2022 Klage erheben (Verfahren M 3 K 22.3908).

Gleichzeitig ließ sie beantragen,

die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen, hilfsweise die sofortige Vollziehung aufzuheben.

Zur Begründung ließ die Antragstellerin im Wesentlichen vortragen, dass sowohl die Finanzierung wie auch der künftige Schulbetrieb im Schuljahr 2022/23 gesichert sei. Der künftige Geschäftsführer werde die monatlichen Defizite ausgleichen, bis die Schule selbst finanziell wieder auf eigenen Beinen stehe. Es sei auch davon auszugehen, dass die Zahl der Schüler von derzeit 30 wieder ansteige, da die Schule viele Anfragen zur Aufnahme neuer Schüler habe. Das Insolvenzgericht habe zwischenzeitlich dem aktuellen Insolvenzplan in der Fassung vom 6. August 2022 mündlich zugestimmt. Es sei davon auszugehen, dass ein entsprechender Beschluss des Insolvenzgerichts ergehen werde und auch die Gläubigerversammlung, die innerhalb der nächsten beiden Wochen geladen werde, dem Insolvenzplan zustimme. Damit könne die Insolvenz noch in diesem Monat beendet werden. Es bestünden keine offenen Gehaltsforderungen der Lehrkräfte. Fast alle bisherigen Lehrkräfte hätten eine Vereinbarung abgeschlossen, wonach sie ihre bisherige Tätigkeit bei der Schule ab dem 1. August 2022 fortsetzen würden, wenn die Gläubigerversammlung dem Insolvenzplan zustimme. Weitere Lehrkräfte hätten ab dem 1. September 2022 laufende Arbeitsverträge unterzeichnet. Auch der bisherige Vermieter habe ein Angebot zur Weitervermietung der bisherigen Räumlichkeiten unterbreitet. Es habe mildere Mittel als den Widerruf wie etwa den Erlass entsprechender Auflagen gegeben. Im Übrigen sei die Anordnung des Sofortvollzugs formell rechtswidrig, da kein über das Erlassinteresse tretendes besonderes Vollzugsinteresse bestehe bzw. dargelegt werde. In jedem Fall überwiege selbst bei Zweifeln am Ausgang des Hauptsacheverfahrens im Hinblick auf Art. 7 GG und die Institutsgarantie des Art. 7 Abs. 4 Satz 1 GG das Suspensivinteresse der Antragstellerin.

Der Antragsgegner beantragt

Antragsablehnung.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen.

II.

1. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO hat keinen Erfolg. Mangels Prozessführungsbefugnis des Schuldners im Insolvenzverfahren ist der Antrag bereits unzulässig, in jedem Fall ist der Antrag unbegründet.

Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 a) VwGO anordnen, im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO wiederherstellen. Bei dieser Entscheidung sind das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts einerseits und das private Aussetzungsinteresse, also das Interesse des Betroffenen, bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts von dessen Vollziehung verschont zu bleiben, gegeneinander abzuwägen. Maßgebliche Bedeutung kommt dabei den Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu. Ist die Erfolgsaussicht mit genügender Eindeutigkeit zu verneinen, ist der Antrag grundsätzlich abzulehnen; ist sie offensichtlich zu bejahen, ist die aufschiebende Wirkung in der Regel wiederherzustellen. Im Übrigen kommt es auch darauf an, wie schwer die angegriffene Maßnahme durch ihren Sofortvollzug in die Rechtssphäre des Betroffenen eingreift, ob und unter welchen Erschwernissen sie wieder rückgängig zu machen ist und wie dringlich demgegenüber das öffentliche Interesse an der sofortigen Durchsetzung des angegriffenen Verwaltungsakts zu bewerten ist (vgl. BayVGH, B. v. 14.6.2002 - 7 CS 02.776 - juris Rn. 30 m.w.N.).

a) Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist bereits unzulässig, da der Antragstellerin als Schuldnerin, über deren Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, bereits die Prozessführungsbefugnis fehlt.

Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist die Insolvenzverwalterin über das Vermögen der Innovative Schulen München gGmbH als Partei kraft Amtes i.S.d. § 62 VwGO (allein) zur Prozessführung befugt (vgl. Czybulka/Siegel in: Sodan/Ziekow, NK-VwGO, 5. Aufl. 2018, § 62 Rn. 14). Nach § 80 Abs. 1 Insolvenzordnung (InsO) geht durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und hierüber zu verfügen, auf den Insolvenzverwalter über. Der Schuldner verliert also mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens die materielle und verfahrensrechtliche Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis hinsichtlich des dem Insolvenzbeschlag unterliegenden Vermögens (vgl. z.B. VG München, B.v. 24.3.2022 - M 31 K 22.1191 - juris Rn. 4; B.v. 26.7.2019 - M 31 K 18.5116 - juris Rn. 14 m.w.N.). Gleichzeitig ging die Prozessführungsbefugnis der gGmbH auf die mit Beschluss des Amtsgerichts München vom 1. Mai 2022 eingesetzte Insolvenzverwalterin über, die damit als Partei kraft Amtes klagebefugt ist und als solche im eigenen Namen Rechte eines Dritten, der gGmbH, geltend macht.

Der Widerruf der schulrechtlichen Genehmigung, die den Betrieb einer im Vermögen der gGmbH befindlichen Schule betrifft, bezieht sich auch auf einen zur Insolvenzmasse gehörenden wirtschaftlichen Wert. Denn jedenfalls dann, wenn der Widerruf einer Genehmigung wirtschaftlich wesentliche Elemente der Geschäftstätigkeit des Schuldners und damit Vermögenswerte betrifft, aus denen er seine Gläubiger zu befriedigen hat, wirkt sich die Untersagung unmittelbar auf das Vermögen des Schuldners aus (vgl. BVerwG, U.v. 13.12.2006 - 6 C 17/06 - juris Rn. 20). Im vorliegenden Fall wird die gGmbH durch den Widerruf der schulrechtlichen Genehmigung unmittelbar wirtschaftlich beeinträchtigt, denn sie muss infolge des Widerrufs den Betrieb der Realschule einstellen. Damit verkörpert der mit der Anfechtungsklage sowie dem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung verfolgte prozessuale Anspruch auf Aufhebung des Widerrufs bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage einen wirtschaftlichen Wert, der es rechtfertigt, ihn als zur Insolvenzmasse (§ 35 InsO) gehörend anzusehen (BayVGH, U.v. 18.4.2012 - 10 B 10.2596 - juris Rn. 45f.). Anders als von der Antragstellerin angenommen, handelt es sich nicht um eine von der Insolvenzmasse abtrennbare persönliche Angelegenheit der gGmbH, da es sich beim Betrieb der Schule letztlich gerade um die wirtschaftliche Betätigung der Antragstellerin handelt und sie auch unter ihrer Firma zum Schulbetrieb gehörende Verträge mit Eltern, Lehrkräften, Angestellten sowie dem Vermieter abschließt.

Demzufolge geht die auf der falschen Annahme einer persönlichen Angelegenheit gründende Freigabeerklärung ins Leere.

Dass der streitgegenständliche Bescheid an die Antragstellerin und nicht an die Insolvenzverwalterin zugestellt worden ist, ist eine Frage der ordnungsgemäßen Bekanntgabe (dazu sogleich unten), kann aber nicht die Prozessführungsbefugnis der gGmbH begründen, weshalb der Antrag bereits unzulässig ist.

b) Selbst wenn man von der Zulässigkeit des Rechtsbehelfs ausgehen würde, wäre dieser in der Sache erfolglos. Zum einen sprechen bei summarischer Prüfung die überwiegenden Gründe dafür, dass der Hauptsacherechtsbehelf erfolglos bleiben wird (aa). Aber selbst bei offenen Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache überwiegt das öffentliche Interesse am sofortigen Vollzug das Suspensivinteresse der Antragstellerin (bb).

aa) Die Interessensabwägung geht im vorliegenden Fall zu Lasten der Antragstellerin aus, da sich der Bescheid des Antragsgegners nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage als rechtmäßig erweisen dürfte.

(1) Inhalts- und Bekanntgabeadressat des streitbefangenen Bescheids i.S.d. Art. 41 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BayVwVfG ist die Antragstellerin. Der Bescheid war für diese bestimmt, da sie als Adressatin der mit Bescheid vom 20. Juli 2018 erteilten Genehmigung nach Ansicht des Antragsgegners den Tatbestand für den Widerruf nach Art. 49 BayVwVfG verwirklicht hat. Ihr gegenüber hat der Antragsgegner das Verwaltungsverfahren betrieben und sie als Partnerin des Verwaltungsrechtsverhältnisses angesehen. Dass dies insolvenzrechtlich einen Verstoß gegen § 80 InsO darstellt (vgl. dazu bereits oben), ist zustellungsrechtlich unerheblich. Ein entsprechender Fehler wirkt sich nicht auf die Bekanntgabe aus (Stelkens in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 41 Rn. 23, 30). Der an die Antragstellerin gerichtete Bescheid wird dementsprechend ihr gegenüber auch dann wirksam, wenn dieser nach den Bestimmungen des Insolvenzrechts an den Insolvenzverwalter zu richten gewesen wäre. Dass er dieser - soweit ersichtlich - noch nicht bekannt gegeben worden ist, steht der Rechtmäßigkeit nicht entgegen, da dies noch jederzeit nachholbar ist.

(2) Die schriftliche Begründung des besonderen Interesses an der sofortigen Vollziehung (Fortbestand der Schule zumindest für den Zeitraum 2022/23 nicht gewährleistet; Interesse der betroffenen Schüler und Lehrkräfte; öffentliches Interesse am gleichwertigen Bildungserfolg der Privatschulen; Vertrauen der Schüler, dass genehmigte Schulen den Anforderungen nachhaltig gerecht werden) genügt den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Die Tatsache, dass sich hier die Gründe, die nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO für den Sofortvollzug berücksichtigt sind, teilweise mit den Gründen für den Erlass des Verwaltungsakts decken, steht der Annahme einer ausreichenden Begründung nicht entgegen.

(3) Auch in materieller Hinsicht dürfte sich der Bescheid vom 29. Juli 2022 als rechtmäßig erweisen.

(a) Gemäß Art. 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 BayVwVfG kann ein rechtmäßiger begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise auch mit Wirkung für die Vergangenheit widerrufen werden, wenn mit dem Verwaltungsakt eine Auflage verbunden ist und der Begünstigte diese nicht oder nicht innerhalb einer ihm gesetzten Frist erfüllt hat (Nr. 2) oder wenn die Behörde aufgrund nachträglich eingetretener Tatsachen berechtigt wäre, den Verwaltungsakt nicht zu erlassen und wenn ohne den Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet wäre (Nr. 3). Dies gilt auch für den Widerruf einer nach Art. 92 BayEUG erteilten Genehmigung (Lindner/Stahl, BayEUG, Kommentar, Stand Juni 2022, Rn. 15 zu Art. 92).

Muss danach unter den in Art. 7 Abs. 4 GG genannten Voraussetzungen, die auch in Art. 92 Abs. 2 BayEUG enthalten sind, eine private Schule als Ersatzschule genehmigt werden, dann kann die Genehmigung nicht wieder entzogen werden, solange die zur Genehmigung notwendigen Bedingungen erfüllt sind. Die Genehmigungsvoraussetzungen bilden den Rahmen, durch den die dem Staat auch gegenüber den genehmigten Ersatzschulen anzuerkennende Schulaufsicht abgegrenzt wird (BVerwG, U.v. 14.7.1961 - VII C 23.60 - BVerwGE 12, 349, 350). Andererseits folgt aus Art. 92 Abs. 1 BayEUG, dass sich die Genehmigung nicht nur auf den Akt der Errichtung, sondern auch auf den Betrieb der Schule bezieht. Die Genehmigung ist auf Dauer angelegt, weshalb die Schule die Genehmigungsvoraussetzungen ständig erfüllen muss, was mit einer entsprechenden Kontrollbefugnis bzw. - pflicht der Schulaufsichtsbehörde einhergeht (Lindner/Stahl, BayEUG, Kommentar, Stand Juni 2022, Rn. 4 zu Art. 92).

Nach der im Eilverfahren gebotenen und aufgrund der dem Gericht vorliegenden Unterlagen möglichen summarischen Prüfung bestehen auch im Hinblick auf Art. 111 Abs. 2 BayEUG, wonach sich Grenzen der staatlichen Schulaufsicht über die privaten Schulen nach Art. 7 GG und Art. 134 BV bestimmen, keine durchgreifenden Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit des Widerrufs, da die Genehmigungsvoraussetzungen, die im Bescheid vom 20. Juli 2018 teilweise auch als Auflagen aufgeführt sind, nicht (mehr) vorliegen. Insoweit wird auf die Gründe des Bescheids vom 29. Juli 2022 sowie die Ausführungen des Antragsgegners im Schriftsatz vom 16. August 2022 Bezug genommen (§ 117 Abs. 5 VwGO).

Ergänzend ist anzumerken, dass gerade im Hinblick darauf, ob die Antragstellerin Gewähr dafür bietet, dass die wirtschaftliche und rechtliche Stellung der Lehrkräfte genügend gesichert ist (vgl. Art. 92 Abs. 2 Nr. 4, 97 BayEUG sowie Auflage II.1.b im Genehmigungsbescheid vom 20.7.2018), erhebliche Zweifel bestehen. Die Genehmigungsvoraussetzung der genügenden Sicherung der wirtschaftlichen und rechtlichen Stellung der Lehrkräfte gem. Art. 7 Abs. 4 Satz 4 GG dient neben dem Schutz des Lehrpersonals auch der im Schüler- und Elterninteresse liegenden Sicherstellung eines geordneten Schulbetriebs (Uhle in BeckOK Grundgesetz, Stand: 15.5.2022, Rn. 86 zu Art. 7). Mit den im Verfahren vorgelegten Unterlagen konnte die Antragstellerin nicht schlüssig darlegen, dass sie diese Anforderungen erfüllen kann.

So ist bereits unklar, ob bzw. welche rechtliche Grundlage dafür besteht, dass der künftige Geschäftsführer, der nach Abschluss des Insolvenzverfahrens die Geschäftsführung der Antragstellerin übernehmen will, die entstehenden Defizite ausgleichen kann und wird. Es ist nicht ersichtlich, bis zu welcher Größenordnung eine entsprechende finanzielle Leistungsfähigkeit besteht und ob für einen regelmäßigen Defizitausgleich überhaupt eine rechtlich verbindliche Grundlage besteht.

Es ist auch nicht dargetan, auf welcher sachlichen Grundlage die Antragstellerin mit einem signifikanten Anstieg der Schülerzahlen rechnet. Bei Betrachtung der Liquiditätsplanung (Anlage 6) fällt auf, dass beginnend mit dem 29. August 2022 mit einem monatlichen Zuwachs von 3 Schülerinnen und Schülern („Zugänge SuS“) gerechnet wird, d.h. sich während des laufenden Schuljahres bis zum 29. Mai 2023 die Anzahl der Schülerinnen und Schüler von derzeit noch 30 (vgl. Antragsschrift vom 10.8.2022, Seite 11) auf 63 mehr als verdoppeln soll. Bereits diese Annahme eines so erheblichen Anstiegs der Schülerzahlen während eines laufenden Schuljahres ist nicht nachvollziehbar. Damit fehlt es jedoch bereits an einer plausiblen Darstellung der sachlichen Grundlage für die durch Schulgeld und Elterndarlehen zu generierenden Einnahmen.

Soweit im Antrag von einer Vielzahl an Interessenten die Rede ist, bleibt die Antragstellerin bereits den Nachweis dafür schuldig, um wie viele Interessenten es sich tatsächlich handelt und wie viele dieser Interessenten vier Wochen vor Schulbeginn überhaupt noch auf der Suche nach einem Platz in einer Schule sind. Nachdem sich auf der Homepage der Antragstellerin auch keinerlei Hinweise zur ihrer gegenwärtigen wirtschaftlichen Situation befinden (www.innovative-schulen-muenchen.de; abgerufen am 16.8.2022), ist zudem völlig offen, ob und wie viele Eltern, die Interesse an einem Platz in der Realschule der Antragstellerin bekundet haben, bei Kenntnis der aktuellen Sachlage überhaupt bereit sind, einen Vertrag abzuschließen und ob dann tatsächlich mit einem signifikanten Zuwachs an Schülern zu rechnen ist.

Dass auf dieser nicht schlüssigen Finanzierung eine auch im Hinblick auf die nicht kalkulierbaren Energiekosten für den Schulbetrieb im kommenden Winter eine Gewähr dafür bestehen soll, dass die wirtschaftliche und rechtliche Situation der Lehrkräfte genügend gesichert ist und überdies eine wirtschaftliche Grundlage dafür besteht, dass der Schulbetrieb überhaupt während des gesamten Schuljahrs aufrechterhalten werden kann, ist nicht ersichtlich.

(bb) Selbst wenn man die Erfolgsaussichten des Hauptsacherechtsbehelfs als offen ansehen würde und eine allgemeine Interessenabwägung über den Ausgang des vorliegenden Eilverfahrens entscheiden müsste, würde diese Interessenabwägung zuungunsten der Antragstellerin ausfallen.

Auszugehen ist dabei davon, dass sich hier zwei grundrechtlich geschützte Rechtspositionen gegenüberstehen: Einerseits die durch Art. 7 Abs. 4 GG geschützte Privatschulfreiheit und andererseits die Rechte der Kinder auf Erziehung und Bildung (vgl. Art. 2 Abs. 1, Art. 12 GG) bzw. der Eltern, die Erziehung und Bildung ihres Kindes zu bestimmen (vgl. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG, Art. 126 BV).

Art. 7 GG enthält zwar Einrichtungsgarantien, Grundrechtsnormen und Auslegungsregeln für den Bereich des Schulrechts (BVerfG, U.v. 26.3.1957 - 2 BvG 1/55 - BVerfGE 6, 309,355). Das Grundrecht der Privatschulfreiheit bedeutet allerdings nicht, dass die Privatschule eine staatsfreie Schule ist. Vielmehr unterliegt sie der staatlichen Schulaufsicht, die zu überwachen hat, ob die Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 4 GG eingehalten werden (vgl. Art. 111 Abs. 2 BayEUG).

Der Genehmigungsvorbehalt für Ersatzschulen gemäß Art. 7 Abs. 4 Satz 2 GG hat gerade auch den Sinn, neben den Schülern die Allgemeinheit vor unzureichenden Bildungseinrichtungen und Defiziten im Bildungserfolg zu schützen (BVerfG. B.v. 14.11.1969 - 1 BvL 24/64 - juris Rn. 28; B.v. 8.6.2011 - 1 BvR 759/08 - juris Rn. 15). Daher sichert der Vorbehalt das Interesse von Schülern und der Allgemeinheit daran, dass private Schulen anstelle öffentlicher Schulen ohne Einbuße an schulischen Standards, die im Bereich des öffentlichen Schulwesens in Bezug auf Lehrerausbildung, Einrichtungen und Lehrziele bestehen, besucht werden können (BVerwG, U.v. 30.1.2013 - 6 C 6/12 - juris Rn. 27; Uhle in BeckOK Grundgesetz, Stand: 15.5.2022 - Rn. 81a zu Art. 7).

Maßgeblich für die Bestimmung des Gewichts in der vorliegenden Abwägung ist, wie hoch das Risiko zu veranschlagen ist, dass es während eines (vorläufigen) Weiterbetriebs der Schule zu erneuten finanziellen Schwierigkeiten der Antragstellerin kommt und es dadurch für die Lehrkräfte im Hinblick auf Art. 92 Abs. 2 Nr. 4 BayEUG, insbesondere aber für die Schülerinnen und Schüler während des laufenden Schuljahres nicht auszuschließen ist, dass der Schulbetrieb gar nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten stattfinden kann. Das Gericht verkennt dabei nicht, dass eine vorläufige Schließung der Schule im Falle eines Obsiegens der Antragstellerin in der Hauptsache für diese erhebliche Nachteile zur Folge hätte. So ließe sich der mit der Schließung der Schule verbundene Weggang der Schüler und der Lehrkräfte allenfalls nur unter Schwierigkeiten wieder rückgängig machen.

Andererseits korreliert mit der aufgrund Art. 129 BV und Art. 35 BayEUG bestehenden Schulpflicht der Anspruch von Schülern und Eltern, dass im Wege der Schulaufsicht sicherzustellen ist, dass in den der Schulaufsicht unterliegenden Schulen eine Gewähr dafür besteht, dass die schulpflichtigen Kinder in diesen Schulen entsprechend den Anforderungen der BV und des BayEUG unterrichtet werden und so dort ihre Schulpflicht erfüllen können und die Schule während des gesamten Schuljahres die Gewähr dafür bietet, einen ordnungsgemäßen Schulbetrieb aufrecht erhalten zu können.

Die Antragstellerin hat - wie bereits ausgeführt - mit den vorgelegten Unterlagen nicht darlegen können, dass diese Anforderungen sichergestellt sind.

In die Abwägung ist zu Lasten der Antragstellerin auch einzustellen, dass aufgrund der derzeitigen Sachlage davon auszugehen ist, dass zum Beginn des Unterrichts nach dem Ende der Sommerferien am 13. September 2022 im seit dem 1. August 2022 laufenden Schuljahr 2022/23 noch überhaupt keine verlässliche Anzahl an Lehrkräften und auch kein wirksamer Mietvertrag vorliegen werden.

Laut telefonischer Auskunft des Richters am Insolvenzgericht ist ein Erörterungs- und Abstimmungstermin übe den Insolvenzplan nach § 235 InsO für den 31. August 2022 anberaumt. Selbst wenn man mit der Antragstellerseite darin übereinstimmen würde, dass eine hohe Wahrscheinlichkeit für die Annahme des Insolvenzplans spricht, so bestünde gemäß § 253 InsO gegen den Beschluss, durch den der Insolvenzplan bestätigt wird, die Möglichkeit der sofortigen Beschwerde. Für diese besteht gemäß § 6 Abs. 1, § 4 InsO i.V.m. § 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO eine Frist von zwei Wochen, so dass der Insolvenzplan bis zum Beginn des Unterrichts am 13. September 2022 gar nicht rechtskräftig werden kann.

Damit kommen jedoch wesentliche Säulen des mit der Antragsschrift dargestellten Konzepts der Antragstellerin nicht zum Tragen. Insoweit ist auf die im Anlagenkonvolut A 17 vorgelegten „Arbeitsverträge unter aufschiebender Bedingung“ hinzuweisen. Darin wird den Lehrkräften ein Sonderkündigungsrecht eingeräumt, das für den Fall besteht, dass die Bestätigung des Insolvenzplans bis zum Ende der Sommerferien (12.9.2022) noch nicht rechtskräftig sein sollte. Es ist also gar nicht absehbar, ob und wie viele Lehrkräfte auf der Basis der unter aufschiebender Bedingung abgeschlossener Arbeitsverträge überhaupt beschäftigt wären.

Auch im Hinblick auf die Lehrkräfte, die bisher noch keinen Arbeitsvertrag mit der Antragstellerin hatten, fehlt es derzeit teilweise an aussagekräftigen Unterlagen, inwieweit diese Lehrkräfte in den Fächern, für die sie eingeplant sind, unterrichten können bzw. eine Duldung dieser Lehrkräfte durch das Staatsministerium überhaupt möglich ist (vgl. Antragserwiderung vom 16.8.2022, S. 9). Bereits in der Vergangenheit wurden mehrfach von der Antragstellerin gemeldeten Lehrern mangels einer den Anforderungen des Art. 94 BayEUG entsprechenden pädagogischen und fachlichen Ausbildung keine Unterrichtsgenehmigung erteilt.

Auch ein wirksames Mietverhältnis über die bisherigen schulischen Räumlichkeiten „Am Moosfeld“ würde zum Beginn des Unterrichts nicht bestehen, da das aufschiebend bedingte Angebot des Vermieters vom 31. März 2022 ebenfalls die rechtskräftige Bestätigung des Insolvenzplans zur Voraussetzung hat (Anlage A 4a).

Unabhängig davon stellt sich mit Blick auf § 80 InsO auch die Frage, inwieweit die mit der Antragstellerin und nicht mit der Insolvenzverwalterin geschlossenen aufschiebend bedingten Arbeitsverträge derzeit überhaupt Wirksamkeit entfalten können.

Zu Lasten der Antragstellerin ist weiterhin zu berücksichtigen, dass der Antragsgegner dem Interesse der Schule in der Vergangenheit bereits insoweit Rechnung getragen hat, als der Schulbetrieb trotz der bereits bestehenden Schwierigkeiten bis zum Abschluss des Schuljahres 2021/22 aufrechterhalten werden konnte.

Aufgrund der Tatsache, dass Schüler, die zu Beginn des Unterrichts im neuen Schuljahr 2022/23 (wieder) Gefahr laufen, an der Schule der Antragstellerin ihre Schulpflicht nicht bzw. nicht dauerhaft erfüllen zu können, hat das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit des Bescheids der Schulaufsicht - deren Aufgabe es ist, diesen Gefahren zu begegnen - den Vorrang gegenüber dem Suspensivinteresse der Antragstellerin. Der streitgegenständliche Bescheid bezweckt gerade auch den Schutz von Rechten der Lehrer und Schüler. Auch mögliche Schwierigkeiten, die bei der Suche nach einer neuen Schule für die Schüler, die derzeit noch einen Schulvertrag mit der Antragstellerin haben, kurz vor Beginn des Schuljahres bestehen, stehen dem öffentlichen Interesse am Sofortvollzug nicht entgegen, sondern sind gerade ein Argument dafür. Trotz der Ferienzeit sind die Aussichten, sich jetzt erfolgreich um einen Platz in einer anderen Schule gegebenenfalls mit Hilfe der Schulaufsicht zu bemühen, besser als wenn dies erst zu Beginn des Unterrichts am 13. September 2022 erfolgt, wenn sich dann zeigt, dass in der Schule der Antragstellerin gar kein ordnungsgemäßer Unterricht möglich ist und ein Schulwechsel erforderlich wird. Die Schwierigkeiten, Plätze an Schulen zu finden, wären zudem noch größer, wenn sich bis dahin tatsächlich noch Eltern dazu entscheiden würden, ihre Kinder erstmals an der Schule der Antragstellerin anzumelden und auch für diese dann noch freie Plätze an anderen Schulen gefunden werden müssten. Gleiches gilt im Übrigen auch für die Lehrkräfte, bei denen ebenfalls anzunehmen ist, dass vor Ende der Ferien die Chance, eine neue Anstellung zu finden, größer sein wird als erst zu Beginn der Unterrichtszeit.

Angesichts der nicht plausibel dargelegten Leistungsfähigkeit der Schule und die aufgrund der Vielzahl von Unklarheiten im Konzept der Antragstellerin anzustellende Prognose, dass ein ordnungsgemäßer Schulstart und im Anschluss daran ein ordnungsgemäßer Schulbetrieb wohl nicht stattfinden kann, darf der Versuch der Antragstellerin, die - wie das Insolvenzverfahren zeigt - bereits in der Vergangenheit finanzielle Schwierigkeiten hatte, sich wirtschaftlich zu konsolidieren, nicht auf dem Rücken schulpflichtiger Schülerinnen und Schüler sowie der Lehrkräfte stattfinden.

2. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung war daher ebenso wie der Hilfsantrag auf Aufhebung der sofortigen Vollziehung mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.

3. Die Streitwertfestsetzung beruht unter Berücksichtigung des vorläufigen Charakters des Verfahrens auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1, 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5, 38.1 und 2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.

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