Urteil vom Verwaltungsgericht Münster - 2 K 7350/17
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die erstattungsfähig sind.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils betreibbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger seinerseits vor der Vollstreckung Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.
1
Tatbestand:
2Die Kläger wenden sich gegen eine der Beigeladenen durch die Beklagte erteilte Baugenehmigung zur Errichtung von 2 Mehrfamilienhäusern mit Tiefgarage.
3Sie sind Eigentümer des Grundstückes Gemarkung N. , Flur 0, Flurstücke 00, 000 (O. 0 in 00000 N. ), welches mit einem sog. Torhaus bebaut ist, in dem eine Galerie betrieben wird. Dieses frühklassizistische eingeschossige Wachhaus aus dem 18. Jahrhundert stellte die Untere Denkmalschutzbehörde der Beklagten durch Bescheid vom 12. Februar 1990 unter Denkmalschutz. Unmittelbar nördlich grenzt das Grundstück Gemarkung N. Flur 0 Flurstücke 000, 000, 000 (alt) - (000 neu) (X.------straße 0, 0 in N. ) an. Dieses Grundstück liegt in 2. Reihe südlich der von Westen nach Osten führenden X.------straße , die an der Gebäudeecke des mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks „X.------straße 0“ nach Südosten abknickt und in die Straße „O. “ übergeht. Es handelt sich dort um einen Kreuzungsbereich, in dem die Straße „O. “ nach Nordwesten in die „T. Straße“ übergeht. Von der X1. geht die Straßenführung hinter dem Kreuzungsbereich nach Nordosten in die „Lazarettstraße“ über. Das Baugrundstück soll zum einen mit einem Mehrfamilienhaus im südlichen Kreuzungsbereich zwischen dem Wohnhaus „X.------straße 0“ und dem Gebäude der Kläger „O. 1“ sowie im rückwärtigen südlichen Bereich in 2. Reihe der Gebäude „X.------straße 0 und 0“ errichtet werden. In Richtung „O. “ soll das Bauvorhaben die Bauflucht zum Gebäude der Kläger einhalten, wobei geplant ist, dass im Erdgeschossbereich die südöstliche Gebäudeecke zum Grundstück der Kläger „ausgespart“ bleiben und mit Glas versehen werden soll, um so einen ungehinderten Blick von Norden und Nordosten auf das Gebäude „O. 0“ zu erhalten. Insoweit soll die südöstliche Gebäudeecke hinter der übrigen Fassade zurückspringen. Ein Bebauungsplan für diesen innerstädtischen Bereich besteht nicht.
4Auf die Bauvoranfrage des vormaligen Bauherrn zur Errichtung eines Neubaus von 2 Mehrfamilienhäusern mit Tiefgarage auf dem Baugrundstück erteilte die Beklagte diesem unter dem 24. Mai 2016 einen Bauvorbescheid. Gleichzeitig ließ die Beklagte durch weiteren Bescheid eine Abweichung von den Abstandflächenvorschriften hinsichtlich der südöstlichen und westlichen Grenze zu. Die hiergegen gerichtete Klage der Kläger wies das erkennende Gericht durch Urteil vom 23. April 2018 – 2 K 4205/16 – ab. Den dagegen gerichteten Antrag auf Zulassung der Berufung lehnte das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW) durch Beschluss vom 18. August 2020 – 7 A 2408/18 – ab.
5Bereits zuvor beantragte die Beigeladene als neue Bauherrin unter dem 16. März 2017 bei der Beklagten die Genehmigung zur Errichtung von 2 Mehrfamilienhäusern mit Tiefgarage, der die Beklagte mit Baugenehmigung vom 13. Dezember 2017 entsprach. Zu den Bauvorlagen gehörte ein Lageplan des Öffentlich bestellten Vermessungsingenieurs Dipl. Ing. T1. vom 29. November 2017. Die Baugenehmigung versah die Beklagte mit verschiedenen Nebenbestimmungen. So lautete u.a. die Nr. 20 der Nebenbestimmungen zur Baugenehmigung:
6„Die Baugenehmigung beinhaltet auch die denkmalrechtlichen Erlaubnis gemäß § 9 DSchG NRW (Umgebungsschutz Baudenkmäler). Folgende Bedingungen sind zu beachten:
7a) Die gestalterische Ausbildung der Tiefgaragenzufahrt ist in den Bauvorlagen nicht ausreichend erkennbar.
8Für die Zufahrt der Tiefgarage ist vor Ausführungsbeginn hinsichtlich Ausführung, Material- und Farbwahl eine denkmalpflegerische Erlaubnis einzuholen.
9b) Gleiches gilt für die Material- und Farbwahl bei Fassade und Dach des Neubaus. Der Kontrast zwischen dem beabsichtigten kühlen grau-weißen Farbkanon des Neubaus erscheint in der Zwischenlage zwischen dem Torhaus (Ziegel und Sandstein) und dem Bestand X.------straße 0(heller Putz und rotes Ziegeldach) zu hart. Für die Material- und Farbwahl ist daher erneut eine denkmalpflegerische Erlaubnis einzuholen.“
10Gleichzeitig ließ sie gegenüber dem Vorgänger der Beigeladenen durch Bescheid vom selben Tag Abweichungen von der Abstandfläche und den Festsetzungen des Bebauungsplans zu.
11Hiergegen haben die Kläger am 20. Dezember 2017 die vorliegende Klage erhoben.
12Ihren Antrag auf gerichtliche Eilentscheidung vom 3. Mai 2018, die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung anzuordnen, lehnte das erkennende Gericht durch Beschluss vom 7. August 2018 – 2 L 487/18 - ab. Die dagegen von den Klägern erhobene Beschwerde wies das OVG NRW durch Beschluss vom 17. Mai 2019 – 7 B 1263/18 – zurück. In seinen Gründen führte das OVG NRW aus, dass den Klägern kein Umgebungsschutz für das unter Denkmalschutz stehende Gebäude zustehe, sodass es auch durch das Vorhaben der Beigeladenen nicht in nachbarrechtsrelevanter Weise beeinträchtigt sein könne. Auch die verfahrensmäßige Beteiligung der unteren Denkmalbehörde führe nicht zu einer Nachbarrechtsverletzung.
13Durch Änderungsbescheid vom 9. Mai 2018, mit der der bisherige Lageplan durch einen neuen Lageplan des ÖbVI Dipl. Ing. T1. vom 3. Mai 2018 unter Konkretisierung der Höhen- und Geländeangaben ersetzt wurde, wurde dieser zum Bestandteil der Baugenehmigung vom 13. Dezember 2017 gemacht.
14Zur Begründung ihrer Klage führen die Kläger an: Die Baugenehmigung sei rechtswidrig, da die Berechnung der Abstandflächen auf einem nicht hinreichend bestimmten Lageplan beruhten. Daran ändere auch die Vorlage des neuen amtlichen Lageplans vom 03. Mai 2008 durch die Beigeladene nichts. Zwar seien auf dem neuen Lageplan die Geländehöhen deutlich eingezeichnet, doch sei die Erstellung zu einem Zeitpunkt erfolgt, als das ursprünglich vorhandene Gebäude auf dem Baugrundstück bereits abgebrochen worden war. Auf dem der Baugenehmigung zugrunde liegenden Lageplan sei einerseits die Geländehöhe mit 61,15 m üNN an der nordöstlichen Ecke des Bauvorhabens eingezeichnet, andererseits sei an der südwestlichen Ecke des Bauvorhabens eine Geländehöhe von 60,22 m üNN eingezeichnet. Diese Höhenangaben seien sowohl für die bestehende Geländehöhe als auch für die Planung dieser Geländehöhe eingetragen, was widersprüchlich sei, weil die Geländehöhe nicht gleichzeitig als bestehend und als geplant, also noch zu verändernd, dargestellt werden könne. Die mit grünen Stempel versehene Anlage zur Baugenehmigung sei deshalb in sich widersprüchlich und aus diesem Grund als unbestimmt anzusehen. Während im amtlichen Lageplan vom 3. Mai 2018 die südöstliche Ecke des Bauvorhabens hinsichtlich der Geländehöhe mit 60,22 m üNN angegeben werde, befinde sich auf der mit Zugehörigkeitsvermerk versehenen Zeichnung „Aussenanlageplan“ vom 6. April 2017 die unmittelbar neben der Ecke des Bauvorhabens eingezeichnete Höhe von 60,17 m üNN. Soweit die Einzeichnung von 60,22 m üNN nachgeholt worden sei, ergebe sich hierzu eine Widersprüchlichkeit im Verhältnis zu den weiteren Bauvorlagen, die Grundlage der Baugenehmigung seien. Es sei nicht klar, welches die natürliche Geländeoberfläche auf dem Baugrundstück sei. Die durchgeführten Erdarbeiten hätten die natürliche Geländeoberfläche verändert. Es sei davon auszugehen, dass eine Erhöhung der Geländeoberfläche vorgenommen worden sei, wodurch sich Auswirkungen auf einer dadurch verringerte Abstandfläche zu ihrem Gebäude ergebe. Dies sei vor dem Hintergrund des Denkmal-und Umgebungsschutzes des Torhauses höchst problematisch. Es komme für die Abstandflächenberechnung auf die natürliche Geländeoberfläche an, die aber nicht mehr feststellbar sei. Die Geländehöhe von 60,22 m üNN könne nicht zur Berechnung der mittleren Wandhöhe herangezogen werden. Der Vorschrift des § 9 Abs. 3 BauO NRW (2000) komme in Verbindung mit § 6 BauO NRW (2000) eine nachbarschützende Wirkung zu. Die Festsetzung einer neuen Höhe der natürlichen Geländeoberfläche sei unzulässig, da dann die Vorgaben der BauPrüfVO nicht eingehalten seien. Auf die Halbierungsregel des § 6 Abs. 6 BauO NRW (2000) könne sich die Beigeladene nicht berufen, da es sich bei dem Bauvorhaben nur um ein Gebäude handele. Allein durch die Teilung des Baugrundstückes in zwei Buchgrundstücke würden aus einem Gebäude noch keine zwei Häuser. Entsprechendes gelte für die Keller. Ursprünglich sei ein durchgehender Keller geplant gewesen, der erst im Rahmen der Antragstellung auf Erteilung einer Baugenehmigung getrennt worden sei. Gleichwohl bildeten die Gebäude eine funktionale Einheit, die durch technische Einrichtungen verbunden sei. Es dränge sich der Eindruck auf, dass hierdurch zwingende Vorgaben für die Genehmigung umgangen werden sollten. Handele es sich um ein Gebäude, dürfe dieses entgegen § 4 Abs. 2 BauO NRW (2000) nicht auf zwei Grundstücken errichtet werden. Aber auch bei Anwendung des § 6 Abs. 6 BauO NRW (2000) sei die Abstandfläche fehlerhaft berechnet worden, da als unterer Bezugspunkt nicht von 60,22 m üNN ausgegangen werden könne. Das Bauvorhaben erweise sich ihnen gegenüber als rücksichtslos. Die Tiefgaragenzufahrt erfolge unmittelbar entlang ihrer Grundstücksgrenze. Bei genehmigten 23 Stellplätzen sei von einem erheblichen An- und Abfahrtverkehr auszugehen. Die Errichtung des Gebäudes verstoße zudem gegen den Umgebungsschutz, der auch nachbarschützend sei, und habe eine erhebliche Beeinträchtigung des Denkmals zur Folge.
15Die Kläger beantragen,
16die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung der Beklagten vom 13. Dezember 2017 in der Gestalt ihres Änderungsbescheides vom 9. Mai 2018 zur Errichtung von zwei Mehrfamilienhäusern mit Tiefgarage sowie den Abweichungsbescheid der Beklagten vom 13. Dezember 2017aufzuheben.
17Die Beklagte beantragt,
18die Klage abzuweisen.
19Sie tritt dem Vorbringen der Kläger wie folgt entgegen: Das auf dem Grundstück der Kläger errichtete“ Torhaus“ habe ursprünglich eine militärische Funktion gehabt, Bauunterlagen für dieses Gebäude seien nicht mehr vorhanden. Die Kläger würden durch die angegriffene Baugenehmigung weder in ihren Nachbarrechten als Denkmaleigentümer verletzt noch könnten sie eine Verletzung des Abstandsflächenrechts nach § 6 BauO NRW (2018) geltend machen. Zur Begründung werde auf die Ausführungen des OVG NRW in dem vorausgegangenen Eilverfahren sowie auf dessen ablehnenden Beschluss zur Zulassung der Berufung verwiesen.
20Die Beigeladene beantragt ebenfalls,
21die Klage abzuweisen.
22Sie führt zur Begründung an: Das Vorhaben unterscheide sich nicht maßgebend von den Vorhaben, wie es bereits Gegenstand vorangegangener verwaltungsgerichtlicher Verfahren gewesen sei, so dass sich die dortigen Erwägungen auf das vorliegende Verfahren übertragen ließen.
23Nach den Feststellungen des OVG NRW ließen sich die relevanten Geländehöhen in dem nachgereichten Lageplan vom 03. Mai 2018 ohne weiteres erkennen. Soweit die Kläger der Auffassung seien, dass im Zeitpunkt des geänderten Lageplans das ursprünglich vorhandene Gebäude bereits abgebrochen gewesen sei, sodass die Geländehöhe verändert worden sei, gehe dieser Angriff ins Leere. Vielmehr habe das OVG NRW festgestellt, dass das Oberflächenniveau maßgeblich sei, welches nach Abbruch des Bestandsgebäudes auf dem Baugrundstück vorgefunden worden sei. Im Übrigen habe dem geänderten Lageplan kein neues Gelände Aufmaß zugrunde gelegen. Vielmehr habe der ÖbVI Dipl.-Ing. T1. das bereits zuvor festgestellte Flächenaufmaß im ausgetauschten Lageplan übersichtlicher dargestellt. Nach der Beseitigung des Bestandsgebäudes sei das Gelände nicht vollständig ebenmäßig gewesen, sodass es durchaus nachvollziehbar sei, dass die vom ÖbVI aufgenommenen Höhenpunkte differierten. Soweit die Kläger auf den „Außenanlagenplan“ in der Baugenehmigung abstellten, führe dies ebenfalls nicht zu einer nachbarrechtsrelevanten Unbestimmtheit der Baugenehmigung. Der dort aufgeführte Punkt einer Geländehöhe von 60,17 m üNN habe für die Abstandsflächenberechnung und damit für die Feststellung der Einhaltung der subjektiv-öffentlichen Rechte der Kläger keine Bedeutung. Der Geländepunkt sei letztlich der beabsichtigten Freiflächengestaltung geschuldet. Er beeinflusse nicht die Geländehöhe am unteren Abschluss der Außenwand von Haus 1. Da es an einer Veränderung der Geländeoberfläche fehle, weil auf die Geländeoberfläche abzustellen sei, die sich nach Beseitigung der vorhandenen Bausubstanz vorfinde, gingen sämtliche weiteren Ausführungen zu § 9 Abs. 3 BauO NRW (2000) ins Leere. Auf die Anwendung der Halbierungsregel des § 6 Abs. 6 BauO NRW (2000) könnten sich die Kläger nicht berufen, weil mit der Neufassung des §§ 6 Abs. 5 BauO NRW 2018 bestimmt werde, dass die Tiefe der Abstandfläche 0,4 H, mindestens jedoch 3,0 m betrage. Diese zugunsten der Beigeladenen als Bauherrin heranzuziehenden Normen, seien auch im vorliegenden Verfahren zu berücksichtigen. Selbst wenn man – zugunsten der Kläger – annehmen wolle, dass das Bauvorhaben zu einer geringfügigen Abstandflächenunterschreitung führe, könnten sich die Kläger darauf nicht berufen. Dies würde eine unzulässige Rechtsausübung vor dem Hintergrund darstellen, dass ihr Gebäude zum Grundstück der Beigeladenen ebenfalls die erforderliche Abstandfläche nicht einhalte, sodass die Abstandsflächenunterschreitung absolut geringfügig sei. Ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme durch die Tiefgaragenzufahrt und die von ihr ausgehenden Lärmemissionen liege nicht vor. Die Grundstückssituation sei von verschiedenen Stellplatznutzungen im rückwärtigen Grundstücksbereich geprägt, sodass nicht von einem bislang ungestörten Gartenruhebereich auf dem Grundstück der Kläger ausgegangen werden könne. Zur berücksichtigen sei ebenfalls, dass sowohl das Baugrundstück als auch das benachbarte Grundstück der Kläger an einer der am stärksten frequentierten Einfallstraßen in die Innenstadt von N. belegen und somit ohnehin eine hohe Verkehrslärmbelastung hinzunehmen sei. Dass das Bauvorhaben nicht gegen den Umgebungsschutz des unter Denkmalschutz stehenden Gebäudes der Kläger verstoße, sei bereits obergerichtlich festgestellt worden.
24Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, das Verfahren 2 L 487/18, das Verfahren 2 K 4205/16 sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.
25Entscheidungsgründe:
26Das Gericht konnte durch den Einzelrichter entscheiden, dem die Kammer die Rechtssache gemäß § 6 VwGO durch Beschluss vom 18. November 2020 auf den Vorsitzenden als Einzelrichter übertragen hat.
27Die zulässige Anfechtungsklage ist in der Sache unbegründet.
28A. Die Kläger werden durch die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung der Beklagten vom 13. Dezember 2017 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 9. Mai 2018 nicht in eigenen Rechten verletzt (vgl. § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).
29Einen Rechtsanspruch auf Aufhebung einer erteilten Baugenehmigung hat ein Nachbar nicht schon dann, wenn die Baugenehmigung objektiv rechtswidrig ist. Die Aufhebung der Baugenehmigung setzt vielmehr weiter voraus, dass der Nachbar durch die Genehmigung zugleich in seinen Rechten verletzt ist. Dies ist nur dann der Fall, wenn die verletzte Norm zumindest auch dem Schutz des Nachbarn dient, also drittschützende Wirkung hat.
30Vgl. BVerwG, Urt. v. 6. Oktober 1989 – 4 C 14/87 -, BVerwGE 82, 343; VG N. , Beschluss vom 10. September 2020 – 2 K 1840/18 -.
31Ob sich die Kläger nach dem gerichtlich überprüften, nunmehr bestandskräftigen Bauvorbescheid überhaupt noch gegen solche planungsrechtlichen Vorschriften, die auch ihrem Schutz zu dienen bestimmt sind, wenden können, lässt das erkennende Gericht offen. Die Kläger werden jedenfalls durch das von der Beklagten genehmigte Bauvorhaben der Beigeladenen nicht in eigenen, ihnen zustehenden Nachbarrechten verletzt.
32Die Baugenehmigung in ihrer Gestalt vom 9. Mai 2018, insbesondere der ihr zugrunde gelegte nachgereichte Lageplan vom 3. Mai 2018 mit den dort eingezeichneten Geländehöhen, ist nicht in nachbarrechtswidriger Weise zu unbestimmt. Insoweit wird auf die Ausführungen des OVG NRW in seinem Beschluss vom 17. Mai 2019 – 2 B 1263/18 – Bezug genommen.
33An der gerichtlichen Einschätzung ändern auch die Einwendungen der Kläger im Klageverfahren und in der mündlichen Verhandlung nichts. Ein Vergleich der Lagepläne des ÖbVI Dipl. Ing. T1. vom 29. November 2017 (Beiakte Heft 1, S. 81) und vom 3. Mai 2018 (Beiakte Heft 2) zeigt, dass die „Übersicht Bemaßung der Abstandflächen und der zugrundeliegenden Gelände- und Gebäudehöhen“ auf der linken Seite des Lageplans im Vergleich zu dem ursprünglichen Lageplan deutlich in „braun“ hervorgehoben wurden. Dabei hat der ÖbVI die Geländehöhen des Baugrundstücks von der rechten Seite des eingemessenen Lageplans übernommen. Die dort an der nordöstlichen und südwestlichen Ecke des rot gezeichneten Gebäudekörpers eingetragenen Geländehöhen sind identisch – und zwar nicht nur innerhalb des Lageplans, sondern insbesondere mit den vorgehenden vom ÖbVI gefertigten Lageplänen, z.B. vom 3. August 2017 oder vom 29. November 2017. Vor diesem Hintergrund teilt der Einzelrichter seine auch vom OVG NRW bestätigte Auffassung, dass die vom ÖbVI festgestellten und eingetragenen Geländehöhen der nach § 2 Abs. 4 BauO NRW 2018 maßgeblichen natürlichen Geländehöhe entsprechen, wie sie der Vermessungsingenieur als sachverständige Behörde im Sinne des § 1 Abs. 2 VwVfG NRW vor der zu beurteilenden Baumaßnahme vorgefunden hat.
34Soweit die Kläger mit der Vorlage von Lichtbildern in der mündlichen Verhandlung eine Veränderung der Geländeoberfläche nachweisen wollen, zeigen diese Fotos – unabhängig davon, dass ein genauer Aufnahmezeitpunkt schon gar nicht feststeht -, dass eine Veränderung der Geländeoberfläche auf dem Baugrundstück stattgefunden hat, aber ohne einen Beleg für die ursprünglich vorhandene natürliche Geländeoberfläche zu geben. Um dies festzustellen, sieht das amtliche Vermessungswesen (§ 1 VermKatG NRW), welches die Beklagte als zuständige Behörde wahrnimmt (§ 3 VermKatG NRW), die Erhebung sog. Geobasisdaten (§ 1 Abs. 2 S. 2 VermKatG NRW) vor, die in einem Geobasisinformationssystem niedergelegt und von den für die Landesvermessung zuständigen Behörden, darunter auch die Öffentlich bestellten Vermessungsingenieure (§ 2 Abs. 2 VermKatG NRW) aktualisiert werden. Diese Geobasisdaten werden den befugten Behörden amtlich bereitgestellt. Diese Geobasisdaten hat der ÖbVI Dipl. Ing. T1. – wie sich aus dem parallelen Klageverfahren gegen dessen Grenzabmarkung 2 K 7351/17 unschwer entnehmen ließ – seinem Lageplan zugrunde gelegt. Dass der ÖbVI hier fehlerhaften Feststellungen getroffen hat, ist entgegen der Auffassung der Kläger durch die Vorlage zweier Lichtbilder, die zu einem ungenannten Zeitpunkt Bodenbewegungen belegen, nicht erkennbar. Die Zulassung zu diesem Beruf setzt grundsätzlich ein mit der Diplomprüfung abgeschlossenes wissenschaftliches Studium des Vermessungswesens sowie mehrjährige Berufserfahrung voraus (vgl. § 3 ÖbVermIng BO NRW i.V.m. der Ausbildungsverordnung höherer vermessungstechnischer Dienst bzw. der Ausbildungsverordnung gehobener vermessungstechnischer Dienst). Die ÖbVI verfügen demnach über einen besonderen vermessungstechnischen Sachverstand. Sie sind gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 1 der Berufsordnung für die Öffentlich bestellten Vermessungsingenieure/Öffentlich bestellten Vermessungsingenieurinnen in Nordrhein-Westfalen (ÖbVermIng BO NRW) vom 15. Dezember 1992 (GV.NW. 1992 S. 524), zuletzt geändert durch Artikel 8 des Gesetzes vom 1. Oktober 2013 (GV.NRW. S. 566), dazu berechtigt, Liegenschaftsvermessungen auszuführen. Den Amtshandlungen der ÖbVI wird danach in fachlicher Hinsicht ein besonderes Vertrauen entgegengebracht. Dieses besondere Vertrauen in die Richtigkeit der Amtshandlungen kann durch die betroffenen Grundstückseigentümer grundsätzlich nicht durch die bloße und wie hier laienhafte Behauptung, die vom Beklagten vorgenommene Amtshandlung sei unrichtig, erschüttert werden. Denn die den Amtshandlungen der ÖbVI zugrunde liegende Wissenschaft, die Geodäsie, sowie die bei den Amtshandlungen angewandten Messmethoden sind zu komplex und erfordern einen zu speziellen Sachverstand, als dass es Laien auch nur ansatzweise möglich wäre, Fehler der Amtshandlung durch eigene Anschauung zu erkennen. Da auch dem Gericht selbst regelmäßig die Sachkunde fehlt, die fachliche Seite der Amtshandlungen der ÖbVI zu beurteilen, bedarf es sowohl in prozessualer wie auch in materieller Hinsicht grundsätzlich der Vorlage einer sachverständigen Stellungnahme eines Dritten, um Zweifel an der Richtigkeit der von einem ÖbVI durchgeführten Abmarkung zu erwecken. Nach Ansicht des Gerichts können insoweit die in der Rechtsprechung zu § 412 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) entwickelten Kriterien jedenfalls dem Rechtsgedanken nach herangezogen werden.
35Vgl. dazu VG Köln, Urt. v. 28. Januar 2014 – 2 K 5828/12 -, juris Rn. 21; VG N. , Urt. v. 4. August 2016 – 2 K 505/16 -, n.v.
36Eine diesen Anforderungen genügende Stellungnahme eines Vermessungssachverständigen, die Zweifel an der Bestimmtheit des der Baugenehmigung zugrundliegenden Lageplans begründen, haben die Kläger nicht vorgelegt. Soweit die Kläger in der mündlichen Verhandlung im Wege eines sog. hilfsweise gestellten Beweisantrages beantragt haben, durch Sachverständigengutachten festzustellen, dass „im Rahmen der Abbrucharbeiten“ die Geländehöhe auf dem Baugrundstück vertieft wurde und anschließend um mindestens 5 cm erhöht wurde, ist dies nicht geeignet, die Geobasisdaten in dem der Baugenehmigung zugrunde liegenden Lageplan vom 3. Mai 2018 in Zweifel zu ziehen.
37Auf die Anwendbarkeit des Schmalseitenprivilegs kommt es danach auch nicht mehr an. Hieran hält der Einzelrichter nach nochmaliger, nicht nur summarischer Prüfung der Einwände der Kläger in ihrer Klagebegründung fest. Zudem weist die Beigeladene zutreffend darauf hin, dass es auf die Anwendung des § 6 Abs. 6 BauO NRW (2000) nach der neuen, zu Gunsten der Beigeladenen maßgeblichen Fassung des § 6 Abs. 5 BauO NRW (2018) nicht mehr ankommt.
38Eine Verletzung des Gebotes der Rücksichtnahme (vgl. § 15 Abs. 1 S. 2 BauGB) durch die Anordnung der Tiefgaragenzufahrt entlang der Grenze zu ihrem Grundstück ist ebenfalls nicht gegeben. Auch hierzu hat das OVG NRW bereits beredte Ausführungen gemacht. Die Einwände der Kläger in ihrer Klagebegründung geben keine Veranlassung, die Rechtsauffassung des OVG NRW zu überdenken.
39Soweit die Kläger einen Verstoß gegen nachbarschützende Vorschriften des Denkmalgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (DSchG NRW), namentlich den denkmalrechtlichen Umgebungsschutz rügen, verstößt die Baugenehmigung nicht § 9 DSchG NRW i.V.m. Art. 14 GG. Zur Vermeidung von redundanten Wiederholungen wird auf die Entscheidungsgründe in dem den Beteiligten bekannten Urteil des erkennenden Gerichts vom 23. April 2018 – 2 K 4205/16 – verwiesen, dessen Inhalt das OVG NRW in seinem Beschluss vom 18. August 2020 – 7 A 2408/18 – unter Hinweis auf seine Gründe in dem Beschwerdebeschluss vom 17. Mai 2019 – 7 B 1263/18 – vollumfänglich geteilt hat. Die jüngsten Ausführungen der Kläger in der mündlichen Verhandlung geben dem Einzelrichter keine Veranlassung, diese Gründe in Frage zu stellen.
40Soweit die Kläger meinen, dass sich aus der Nebenbestimmung Nr. 20 der angegriffenen Baugenehmigung zu ihren Gunsten ein nachbarschützendes Recht ableiten ließe, verkennen sie zum einen, dass dort ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass die Baugenehmigung die denkmalrechtlichen Erlaubnis für den Umgebungsschutz (bereits) beinhaltet. Soweit hinsichtlich der Farb- und Materialwahl bei der Tiefgarage, der Fassade und des Daches des Bauvorhabens erneut eine denkmalpflegerische Erlaubnis seitens der Beigeladenen einzuholen sei, wird hierdurch die bereits erteilte Erlaubnis der Unteren Denkmalbehörde zum Bauvorhaben nicht neu aufgeworfen. Zudem betrifft die (erneute) Erlaubnis die Gestaltung des Bauvorhabens, so dass die Nebenbestimmung erkennbar nicht dem Umgebungsschutz als Denkmal und damit dem Schutz der Kläger dient, sondern dem öffentlichen Interesse an einer harmonisierten städtebaulichen Gestaltung. Eine solche ist aber nach gefestigter Rechtsprechung nicht nachbarschützend.
41Ob das Bauvorhaben den denkmalrechtlichen Umgebungsschutz verletzt, ist eine rechtliche Bewertung, zu der die die Baugenehmigung überprüfenden Gerichten originär berufen sind. Diese rechtliche Bewertung kann nicht, wie die Kläger mit ihrem zweiten – hilfsweise – gestellten Beweisantrag feststellen wollen, durch ein Sachverständigengutachten erbracht werden. Dieser Beweisantrag ist deshalb ebenfalls untauglich. Ihm musste deshalb nicht nachgegangen werden.
42B. Die gegen die Abweichungsentscheidung der Beklagten vom 13. Dezember 2017 gerichtete Klage ist zwar zulässig, hat in der Sache aber ebenfalls keinen Erfolg.
43Der Abweichungsbescheid gem. § 73 Abs. 1 BauO NRW (a.F.) verletzt die Kläger jedenfalls nicht in ihren Rechten als Grundstücksnachbarn (vgl. § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).
44Nach dieser Vorschrift kann die Genehmigungsbehörde Abweichungen von bauaufsichtlichen Anforderungen dieses Gesetzes oder der aufgrund dieses Gesetzes erlassenen Vorschriften zulassen, wenn sie unter Berücksichtigung des Zwecks der jeweiligen Anforderungen und unter Würdigung der nachbarlichen Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar sind. Abweichungen von § 6 BauO NRW sind insbesondere zulässig, wenn durch das Vorhaben nachbarliche Interessen nicht stärker oder nur unwesentlich stärker beeinträchtigt werden als bei einer Bebauung des Grundstücks, die nach § 6 zulässig wäre.
45Die Beklagte hat der Beigeladenen eine Abweichung von der Einhaltung der notwendigen Abstandflächen der Häuser 1 und 2 untereinander gestattet. Dabei hat sie auch die Nachbargrundstücke in den Blick genommen, die aufgrund der atypischen Grundstücksverläufe aber nicht betroffen sind. Dass diese Feststellung fehlerhaft und die Kläger dadurch in eigenen Abstandflächenrechten betroffen sind, haben diese nicht geltend gemacht, sie sind nach den vorangegangenen Ausführungen auch nicht gegeben.
46Ferner hat die Beklagte der Beigeladenen eine geringfügige Unterschreitung der nach § 31 BauO NRW (2000) der von der Gebäudeabschlusswand erforderlichen Abstandfläche in Teilbereichen zum Grundstück X.------straße 0 zugelassen. Die Kläger werden durch diese Abweichung schon nicht in eigenen Rechten verletzt, da ihr Grundstück hierdurch in keiner Weise tangiert wird.
47C. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind erstattungsfähig, weil sie einen eigenen Sachantrag gestellt und sich damit einem eigenen Kostenrisiko ausgesetzt hat. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 167 Abs. 1 S. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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