Urteil vom Verwaltungsgericht Münster - 5 K 938/20
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
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T a t b e s t a n d
2Die Klägerin wendet sich mit ihrer Klage gegen eine von dem Beklagten erlassene Ordnungsverfügung vom 00.00.0000, mit der die vorübergehende teilweise Schließung des Betriebs der Klägerin an ihrem Standort in D1. angeordnet wurde.
3Die Klägerin ist einer der führenden G2.---------markter in Deutschland und Europa mit neun Standorten in O. . An dem Standort T. 2 (G3. D1. ) betreibt sie einen Schlacht- und Zerlegebetrieb für T1. . Anfang Mai 2020 waren dort etwa 1.200 Personen tätig, einschließlich der Mitarbeiter der Werkvertragspartner und des Fleischhygieneamtes des Kreises D1. . Die Arbeitsabläufe in dem vorgenannten Betriebsstandort verlaufen dergestalt, dass die angelieferten T1. zunächst in einer Schlachthalle am Schlachtband geschlachtet werden. Die Zerlegung findet in einer weiteren Halle statt. Nach einer davon räumlich getrennten Kühlung werden die Teilstücke in abgetrennten Räumen verpackt und anschließend in weiteren abgetrennten Räumen verladen und versandt. Die Verwaltungsmitarbeiter befinden sich ebenfalls auf dem Betriebsgelände, sind aber räumlich in von der Schlachtung abgegrenzten Büros tätig.
4SARS-CoV-2 (severe acute respiratory syndrome coronavirus type 2) ist ein neues Beta-Coronavirus, das Anfang 2020 als Auslöser von COVID-19 identifiziert wurde. Der Hauptübertragungsweg für SARS-CoV-2 ist die respiratorische Aufnahme virushaltiger Partikel, die beim Atmen, Husten, Sprechen, Singen und Niesen entstehen. Je nach Partikelgröße bzw. den physikalischen Eigenschaften unterscheidet man zwischen den größeren Tröpfchen und kleineren Aerosolen, wobei der Übergang zwischen beiden Formen fließend ist. Während insbesondere größere respiratorische Partikel schnell zu Boden sinken, können Aerosole auch über längere Zeit in der Luft schweben und sich in geschlossenen Räumen verteilen. Ob und wie schnell die Tröpfchen und Aerosole absinken oder in der Luft schweben bleiben, ist neben der Größe der Partikel von einer Vielzahl weiterer Faktoren, u. a. der Luftbewegung, der Temperatur, der Luftfeuchtigkeit und der Belüftung des Raumes, abhängig. Beim Atmen und Sprechen, aber noch stärker beim Schreien und Singen, werden Aerosole ausgeschieden; beim Husten und Niesen entstehen zusätzlich deutlich vermehrt größere Partikel. Neben der steigenden Lautstärke können auch individuelle Unterschiede zu einer verstärkten Freisetzung beitragen. Grundsätzlich ist die Wahrscheinlichkeit einer Exposition gegenüber infektiösen Partikeln jeglicher Größe im Umkreis von 1-2 m um eine infizierte Person herum erhöht. Eine Maske (Mund-Nasen-Schutz oder Mund-Nasen-Bedeckung) kann das Risiko einer Übertragung durch Partikel jeglicher Größe im unmittelbaren Umfeld einer infizierten Person reduzieren. Beim Aufenthalt in Räumen kann sich die Wahrscheinlichkeit einer Übertragung durch Aerosole auch über eine größere Distanz als 1,5 m erhöhen, insbesondere wenn sie klein und schlecht belüftet sind. Längere Aufenthaltszeiten und besonders tiefes oder häufiges Einatmen exponierter Personen erhöhen die Inhalationsdosis. Durch die Anreicherung und Verteilung der Aerosole im Raum ist das Einhalten des Mindestabstandes zur Infektionsprävention ggf. nicht mehr ausreichend. Auch wenn das Tragen eng anliegender Masken und Frischluftzufuhr das Risiko senken kann, kann es bei (stunden-)langen Aufenthalten in einem Raum mit infektiösen Aerosolen u. U. dennoch zu relevanten Inhalationsdosen kommen, wie z. B. in Büroräumen. Ein extremes Beispiel ist das gemeinsame Singen in geschlossenen Räumen über einen längeren Zeitraum, wo es z. T. zu hohen Infektionsraten kam, die sonst nur selten beobachtet werden. Auch schwere körperliche Arbeit bei niedrigen Temperaturen und niedriger Luftfeuchtigkeit sowie mangelnder Frischluftzufuhr durch Verwendung von Umluftkühlungsanlagen führten insbesondere in fleischverarbeitenden Betrieben zu hohen Infektionsraten.
5Ein effektiver Luftaustausch kann die Aerosolkonzentration in einem Raum vermindern. Übertragungen im Außenbereich kommen insgesamt selten vor und haben einen geringen Anteil am gesamten Transmissionsgeschehen. Bei Wahrung des Mindestabstandes ist die Übertragungswahrscheinlichkeit im Außenbereich aufgrund der Luftbewegung sehr gering.
6Im Mai und Juni 2020 kam es zu mehreren Infektionsereignissen in Betrieben der fleischverarbeitenden Industrie: im Mai bei der Klägerin sowie in einer Schwesterfabrik in P. -F. im Kreis S. , außerdem in T2. -I. (C. im L. ), in einem Schlachthof der W. sowie in C1. (C2. ) bei N. . Im Juni 2020 kam es zudem zu einem größeren Infektionsgeschehen im Stammwerk des Fleischverarbeiters U. in S. -X1. .
7Um die Ausbreitung des SARS-CoV-2-Virus einzudämmen, traf die Klägerin am Standort T. 2 Schutzvorkehrungen. Zunächst wurde der Pausenraum ab dem 00.00.0000um ein zusätzliches Zelt im Außenbereich vergrößert. In den Pausenräumen wurden ab dem 00.00.0000 Trennwände zu den jeweiligen Sitzplätzen geschaffen. Alle im Produktionsbereich und beim Transport tätigen Personen wurden am 00.00.0000 verpflichtet, einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen. Ab dem 00.00.0000 wurde am Eingang des Standorts die Körpertemperatur sämtlicher Mitarbeiter gemessen.
8Am 00.00.0000 erfolgte die erste positive Testmeldung eines bei der Klägerin tätigen Mitarbeiters auf das SARS-CoV-2-Virus. Nach Meldung weiterer positiver Testergebnisse am 00.00.0000 und am 00.00.0000 suchte das Gesundheitsamt des Beklagten zunächst am 00.00.0000 und am 00.00.0000 mehrere Gruppenunterkünfte in D1. , E1. und S1. auf, in denen unter anderem die zuvor positiv getesteten Mitarbeiter der Werkvertragspartner der Klägerin wohnten, und testete alle dort angetroffenen Bewohner auf eine Infektion mit SARS-CoV-2. Am 00.00.0000 wurden zudem Abstriche am Betriebsstandort in D1. (T. 2) von den Mitarbeitern mit Symptomen genommen. Die Testergebnisse erhielt das Kreisgesundheitsamt am 00.00.0000. Sie wiesen insgesamt 51 Infektionen mit SARS-CoV-2 nach; alle von Personen, die am Betriebsstandort T. 2 tätig waren. Durch weitere Testungen in Gruppenunterkünften wurden am 00.00.0000 neun Neuinfektionen bekannt, am 00.00.0000 weitere 34 Neuinfektionen und am 00.00.0000 weitere 52 Neuinfektionen. Ab dem 00.00.0000 wurde mit der Testung sämtlicher an dem Standort D1. tätigen Mitarbeiter von Subunternehmern der Klägerin begonnen. Am 00.00.0000 um 19.30 Uhr lagen die vorläufigen Ergebnisse mit 171 positiven und 182 negativen Tests vor; 517 standen noch aus. Erkenntnisse über Infektionen von Mitarbeitern des Verwaltungsbereichs lagen bis zu dem genannten Zeitpunkt nicht vor.
9Das Amt für Arbeitsschutz der Bezirksregierung N. überprüfte den Betrieb der Klägerin in D1. am 00.00.0000 und hielt in seinem Bericht unter anderem fest, dass es Probleme gebe, den Mindestabstand von 1,5 m in den Umkleidekabinen und am Zerlegeband einzuhalten. Außerdem werde der zur Verfügung gestellte Mund-Nasen-Schutz am Zerlegeband teilweise nicht ordnungsgemäß getragen; insbesondere nähmen die Vorarbeiter ihn herunter, um Anweisungen zu geben. Zugleich berichtete das Amt für Arbeitsschutz von angeordneten Sofortmaßnahmen wie der Entzerrung des Umkleidevorgangs durch zeitlich versetztes Umkleiden in kleineren Gruppen und der Verpflichtung, am Zerlegeband FFP2-Masken zu tragen, die nicht so leicht heruntergeschoben werden könnten.
10Mit Ordnungsverfügung vom 00.00.0000, der Klägerin zugestellt am 00.00.0000, ordnete der Beklagte an, dass die Klägerin sämtliche Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Annahme lebendiger Tiere, der Zuführung der Tiere zum Schlachthof, der Schlachtung, Zerlegung, Verpackung, Verladung und dem Versand am Standort T. 2 (G3. D1. ), 00000 D1. in der Zeit vom 00.00.0000, 01.00 Uhr bis einschließlich 00.00.0000, 24.00 Uhr zu unterlassen habe (Nr. 1.). Nr. 2 beinhaltet ein Betretungsverbot der vorgenannten Betriebsanlage in dem in Nr. 1 genannten Zeitraum sowie eine Aufzählung der hiervon unter Maßgabe der Einhaltung der Hygiene- und Abstandsregelungen des Robert-Koch-Instituts (RKI) ausgenommenen Personenkreise – namentlich Beschäftigte der Standortverwaltung, der Geschäftsleitung, Techniker, Handwerker, Reinigungskräfte, Sicherheitskräfte sowie Mitarbeiter überwachender Behörden. Zudem wurde in Nr. 2 die Möglichkeit der Zulassung weiterer Ausnahmen in begründeten Ausnahmefällen eröffnet. Nach Nr. 3 wurde darüber hinaus das Betreten der Betriebsanlage durch Beschäftigte für den Abtransport der bis zum 00.00.0000 geschlachteten Tiere sowie die Entsorgung von Schlachtabfällen und Konfiskaten bis spätestens 00.00.0000, 18.00 Uhr, gestattet, wiederum unter Geltung der Hygiene- und Abstandsregelungen des RKI.
11Zur Begründung führte der Beklagte aus, die getroffene Maßnahme werde auf § 28 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 i.V.m. § 16 Abs. 7 S. 1 IfSG und § 3 Abs. 3 Nr. 1 IfSBG NRW gestützt, deren Voraussetzungen hier vorlägen. Es habe aufgrund der bereits am 00.00.0000 um 03.00 Uhr bevorstehenden Weiterführung des Schichtbetriebs Gefahr im Verzug bestanden, so dass er, der Beklagte, als untere Gesundheitsbehörde zuständig gewesen sei und nach § 28 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG von einer Anhörung habe absehen können. Auch die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 28 Abs. 1 IfSG hätten vorgelegen. In dem Unternehmen der Klägerin sei eine Vielzahl von positiv auf die übertragbare Krankheit Covid19 getesteten Personen identifiziert worden. Die vorübergehende Untersagung des Betriebs in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang diene dazu, eine weitere Ausbreitung auf andere Beschäftigte des Unternehmens und auch außerhalb des Betriebs zu verhindern. Die zeitlich befristete Betriebsunterbrechung sei hierzu geeignet und erforderlich, insbesondere stehe kein gleich wirksames, milderes Mittel zur Verfügung. Eine Kontaktnachverfolgung der positiv Getesteten in Verbindung mit einer Testung der Kontaktpersonen der Klassifizierung I sei aufgrund einer möglichen weiteren Ausbreitung trotz negativer Testung innerhalb der Inkubationszeit nicht gleich effektiv. Gleiches gelte für eine reine Quarantäneanordnung für die vorgenannten Personenkreise. Durch eigene Sicherheitsmaßnahmen der Klägerin sei ebenfalls keine gleiche Wirksamkeit zu derjenigen der getroffenen Maßnahme zu erreichen. Grund für das dynamische Infektionsgeschehen sei zwar auch die Art der Unterbringung vieler in der Produktion beschäftigter Mitarbeiter. Doch insbesondere innerhalb des Betriebes der Klägerin könnten Infektionsketten offensichtlich nicht gänzlich ausgeschlossen werden. Die Maßnahme sei auch angemessen. Prognostisch sei mit einer weiter (stark) zunehmenden Anzahl an positiv getesteten Personen in dem Unternehmen zu rechnen. Dies werde auch durch die Stellungnahme des Amts für Arbeitsschutz der Bezirksregierung N. vom 00.00.0000 bekräftigt. Die Grundrechte der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) sowie das von der Eigentumsgarantie umfasste Recht des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs (Art. 14 Abs. 1 GG) müssten vorliegend angesichts der weiterhin bestehenden, akut drohenden Überforderung des Gesundheitswesens gegenüber dem mit der Ordnungsverfügung bezweckten Schutz von Leben und Gesundheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) zurücktreten. Für die Angemessenheit spreche auch die zeitlich enge Befristung auf zunächst neun Tage. In dieser Zeit könne das weitere Ausbreitungsgeschehen durch Testungen der Beschäftigten intensiv beobachtet und zugleich eine fortschreitende Durchseuchung der Belegschaft zumindest vorerst gestoppt werden. Hinzu komme, dass nicht der gesamte Betrieb geschlossen werde, sondern lediglich die Bereiche, in denen es zu den vermehrten Infektionsgeschehen gekommen sei. Er sei auch befugt, die Klägerin als Betriebsinhaberin in Anspruch zu nehmen. Zwar kämen grundsätzlich auch die infizierten Beschäftigten individuell als Adressaten (Störer) in Betracht. Aufgrund der drohenden erheblichen Einschränkungen für die Volksgesundheit und dem Gebot einer effektiven Gefahrenabwehr sei er im konkreten Einzelfall berechtigt, die Klägerin als Störerin in Anspruch zu nehmen. Auf den weiteren Inhalt der Ordnungsverfügung des Beklagten vom 00.00.0000 wird ergänzend Bezug genommen.
12Die Klägerin hat gegen die Ordnungsverfügung vom 00.00.0000 bereits am 00.00.0000 Klage erhoben. Nach Ablauf der verfügten Betriebsschließung am 00.00.0000 um 24.00 Uhr hat die Klägerin ihren Klageantrag in dem Hauptsacheverfahren mit Schriftsatz vom 00.00.0000 in einen Fortsetzungsfeststellungsantrag geändert. Zur Begründung trägt sie vor, aufgrund der inzwischen durch Zeitablauf eingetretenen Erledigung der streitgegenständlichen Ordnungsverfügung sei nunmehr die Fortsetzungsfeststellungsklage statthaft. Das qualifizierte Feststellungsinteresse ergebe sich aus dem Vorliegen eines Rehabilitations- sowie Präjudizinteresses. Die Ordnungsverfügung des Beklagten vom 00.00.0000 sei rechtswidrig gewesen. Die Betriebsschließung könne bereits nicht auf § 28 IfSG gestützt werden, da diese Norm einen Eingriff in Art. 12 GG nicht zulasse. Auch sei der Beklagte nicht zuständig gewesen, da sich vorliegend die Zuständigkeit maßgeblich nach § 54 IfSG i.V.m. § 3 IfSBG-NRW a. F. gerichtet und danach die Voraussetzung für ein Tätigwerden des Beklagten – ein Eingreifen „erscheint aus Gründen der unmittelbaren Gefahrenabwehr geboten“ – nicht vorgelegen habe. Ein Abwarten bis zum folgenden Montag, den 00.00.0000, sei möglich und zumutbar gewesen. Anhand der dann vollständig vorliegenden Testergebnisse hätte die Lage erneut bewertet werden können. Eine Notwendigkeit des Tätigwerdens sei auch vor dem Hintergrund nicht gegeben, dass am 00.00.0000 bereits umfangreiche Maßnahmen mit dem Beklagten und der Stadt D1. besprochen und abgestimmt worden seien, die bei einer Wiederaufnahme des Betriebs am 00.00.0000 hätten greifen können. Das Ergebnis der Prüfung des Amtes für Arbeitsschutz vom 00.00.0000 könne die Notwendigkeit einer unmittelbaren Gefahrenabwehr durch den Beklagten bereits aufgrund der lediglich halbstündigen, auf einen kleinen Teil des Betriebsgeländes beschränkten Untersuchung ebenfalls nicht begründen. Zudem könne der Beklagte nach § 3 Abs. 3 IfSBG-NRW a. F. die Aufgaben und Befugnisse lediglich „zunächst“ wahrnehmen; es fehle vorliegend an einer Bestätigung durch die eigentlich zuständige Behörde. Darüber hinaus habe die nach § 28 VwVfG erforderliche Anhörung nicht unterbleiben dürfen, weil Gefahr im Verzug nicht bestanden habe. Die Ordnungsverfügung sei auch materiell rechtswidrig gewesen. Die Störerauswahl in Form der Inanspruchnahme als Nichtstörerin sei nicht ordnungsgemäß erfolgt, denn die Voraussetzungen des § 19 OBG NRW hätten nicht vorgelegen. Es hätte vielmehr die am 00.00.0000 gegenüber den Mitarbeitern des Beklagten angeregte Anordnung einer Arbeitsquarantäne/Quarantäne gegen die konkret betroffenen Personen oder die Ergreifung von Maßnahmen gegen die Werkvertragspartner nahe gelegen; letzteres insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Beklagte ausweislich des für die Bezirksregierung N. erstellten „Berichts X2. “ vom 00.00.0000 selbst davon ausgegangen sei, dass die große Mehrzahl der Neuinfizierungen von Mitarbeitern der Werkvertragspartner verursacht worden sei und vermutet habe, die Infektionsquellen lägen im Bereich des Transportes bzw. der Unterkünfte. Bei dem Gespräch am 00.00.0000 seien sechs Vertreter von Werkunternehmen anwesend gewesen und somit dem Beklagten und der Stadt D1. persönlich bekannt. Es lägen darüber hinaus Ermessensfehler vor. Es sei von einem Ermessensnichtgebrauch auszugehen, da nicht ersichtlich sei, dass der Beklagte bei seiner Entscheidung überhaupt Ermessenserwägungen angestellt habe. Auch liege eine Ermessensüberschreitung durch Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vor. Die Ordnungsverfügung sei insbesondere nicht erforderlich gewesen, denn es habe mildere Mittel zur Zweckerreichung gegeben. Aus dem Bericht zur Prüfung des Amtes für Arbeitsschutz der Bezirksregierung N. am 00.00.0000 würden bereits durch die Bezirksregierung angeordnete Maßnahmen hervorgehen, welche wesentlich mildere Mittel im Vergleich zur Betriebsschließung darstellten (zeitlich versetztes Umkleiden in kleineren Gruppen, Pflicht zum Tragen von FFP-2-Masken). Auch sei der Bericht des Amtes für Arbeitsschutz teilweise von falschen Feststellungen ausgegangen. Es sei zu keiner Durchmischung der eingeteilten Arbeitsgruppen gekommen; eine solche wäre jedenfalls für die Mitarbeiter der Bezirksregierung N. aufgrund gleicher Arbeitskleidung nicht zu erkennen gewesen. Darüber hinaus habe es keine Regelung gegeben, die eine Durchmischung von Arbeitsgruppen verbiete. Sie habe auch ansonsten alle gesetzlichen und untergesetzlichen Vorgaben der zuständigen Behörden und des RKI eingehalten und die Einhaltung der getroffenen Schutzmaßnahmen (s. tabellarische Auflistung Bl. 43 d. GA.) durch engmaschige Kontrollen gewährleistet. Falsch sei ebenfalls die Feststellung in dem Bericht des Amtes für Arbeitsschutz, ihre Vertreter seien nicht in der Lage gewesen, Infektionsschwerpunkte zu benennen. Vielmehr seien fortlaufende Dokumentationen über Neuinfektionen geführt und die betroffenen Personen sowie Kontaktpersonen unverzüglich in häusliche Quarantäne gesandt worden. Als mildere Mittel hätten zudem eine Hygieneschulung, Arbeitsquarantäne und häusliche Quarantäne sowie Testungen angeordnet werden können. In dem Gespräch am 00.00.0000 sei die Arbeitsquarantäne von dem Beklagten nicht abgelehnt worden, sondern es sei vielmehr das Verfahren der Arbeitsquarantäne im Einzelnen abgestimmt und die Erteilung von Ausnahmegenehmigungen zeitnah in Aussicht gestellt worden. Entsprechende Sammelanträge auf Erteilung von Ausnahmegenehmigungen seien auch bereits am selben Tag gegen 18.30 Uhr an den Beklagten übersandt worden. Das Verfahren der Arbeitsquarantäne sei auch umsetzbar gewesen und inzwischen gängige und erfolgreiche Praxis in zahlreichen Betrieben. Insgesamt wäre jedenfalls die Kombination der zahlreichen möglichen Maßnahmen gleich effektiv wie eine Betriebsschließung gewesen. Die Ordnungsverfügung sei zudem nicht angemessen gewesen. Der Zweck des Gesundheitsschutzes stehe im vorliegenden Fall außer Verhältnis zur Schwere des Eingriffs in ihre Grundrechte auf Berufsfreiheit und auf Gewährleistung ihres eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs. Die Betriebsschließung habe bei ihr zu einem erheblichen finanziellen Schaden geführt, der nicht zum Beispiel durch Verlagerung auf andere Standorte habe ausgeglichen werden können. Auch sei gegenüber dem Beklagten nicht geäußert worden, dass bei weiteren positiven Testergebnissen der Betrieb „sowieso“ geschlossen werde. Es sei lediglich erklärt worden, dass bei weiteren positiven Befunden die Aufrechterhaltung des weiteren Betriebs aufgrund Personalmangels rein faktisch nicht möglich sei und sie allein aus diesem Grund den Betrieb voraussichtlich würde schließen müssen. Zudem habe der Wegfall der Schlachtkapazitäten zu einer erheblichen Verschlechterung der Haltungsbedingungen geführt und damit zu einem Verstoß gegen das in Art. 20a GG normierte Staatsziel des Tierschutzes. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Klagebegründung vom 00.00.0000 (Bl. 41 – 72) sowie den Schriftsatz vom 00.00.0000 (83 – 95 d. GA.) jeweils nebst Anlagen Bezug genommen.
13Die Klägerin beantragt
14festzustellen, dass die Ordnungsverfügung des Beklagten vom 8. Mai 2020 rechtswidrig war.
15Der Beklagte beantragt,
16die Klage abzuweisen.
17Zur Begründung verweist der Beklagte hinsichtlich des Sachverhalts zunächst auf die Ausführungen in dem streitgegenständlichen Bescheid, ergänzend auf die Ausführungen in der Antragserwiderung im Eilverfahren (Bl. 11 - 20 d. GA) und macht sich im Übrigen die Ausführungen in dem Eilbeschluss des Verwaltungsgerichts Münster vom 9. Mai 2020 – 5 L 400/20 – zu eigen. Der Beklagte meint, die streitgegenständliche Ordnungsverfügung sei rechtmäßig gewesen. Die §§ 28 Abs. 1 S. 1, Abs. 3, 16 Abs. 7 S. 1 IfSG i. V. m. § 3 Abs. 3 Nr. 1 IfSBG NRW hätten eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage für die getroffene Ordnungsverfügung dargestellt. Aufgrund der dem Infektionsschutzgesetz unter anderem zukommenden, die Berufsfreiheit (lediglich) allgemein konkretisierenden, Regelungswirkung liege kein Verstoß gegen das Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG vor. Die Ordnungsverfügung sei auch, wie in dem Eilbeschluss festgestellt, formell rechtmäßig gewesen – der Kreis D1. sei als untere Gesundheitsbehörde aus Gründen der unmittelbaren Gefahrenabwehr für die Betriebsschließung zuständig gewesen (vgl. § 54 S. 1 IfSG i. V. m. § 3 Abs. 1, Abs. 3 IfSBG NRW). Die Mitteilung des Amts für Arbeitsschutz habe ihn, den Beklagten, erst am frühen Nachmittag des 00.00.0000, einem Freitag, erreicht. Ein Tätigwerden der Stadt D1. als eigentlich zuständiger Behörde sei zu diesem Zeitpunkt nicht zu erwarten gewesen. Die Inanspruchnahme der Klägerin als Nichtstörerin sei nach § 19 Abs. 1 OBG NRW nötig gewesen, da andernfalls – etwa durch Inanspruchnahme der Werkvertragspartner der Klägerin – eine rechtzeitige Gefahrenabwehr nicht hätte erreicht werden können. Auch sei die Entscheidung ermessensfehlerfrei ergangen. Insbesondere sei die Betriebsschließung erforderlich gewesen, denn es habe kein milderes, gleich effektives Mittel zur Verfügung gestanden. Durch die von der Klägerin aufgeführten weiteren möglichen Mittel wäre keine vergleichbare Effektivität zu der angeordneten Teilbetriebsschließung gegeben gewesen. Für die von der Klägerin genannten milderen Mittel hätte es zudem zur Umsetzung einer erheblichen Menge an Zeit bedurft. Ein vollständiger Pandemieplan für den klägerischen Betrieb habe bei der Betriebsprüfung nicht vorgelegen. Erst am 00.00.0000 und somit nach Erlass der angefochtenen Ordnungsverfügung habe die Klägerin unter Hinzuziehung eines Sachverständigen den Entwurf eines Hygienekonzepts vorgelegt, welches in den folgenden Tagen überarbeitet und zusammen mit dem Amt für Arbeitsschutz weiter konkretisiert worden sei. Die angegriffene Ordnungsverfügung sei auch, wie in ihrer Begründung bereits dargelegt, angemessen gewesen. Darüber hinaus sei seitens der Klägerin in dem Gespräch am 00.00.0000 wiederholt geäußert worden, dass es bei weiteren positiven Befunden im Rahmen von Massentestungen zu einer Betriebsschließung kommen werde. Auch das von der Klägerin ergänzend angeführte, in Art. 20a GG normierte Staatsziel des Tierschutzes führe unabhängig von der bereits fehlenden substantiierten Darlegung von Beeinträchtigungen des Tierschutzes im vorliegenden Fall angesichts der konkreten Gefahr für Leib und Leben einer Vielzahl von Menschen nicht zur Unangemessenheit der Maßnahme. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird ergänzend auf die Antragserwiderung vom 00.00.0000 (Bl. 11 – 20 d. GA.) sowie die Klageerwiderung vom 00.00.0000 (Bl. 75 – 81 d. GA.) jeweils nebst Anlagen Bezug genommen.
18In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin beantragt, Beweis zu erheben:
19- Zum Beweis der Tatsache, dass die Mitarbeiter der Klägerin schon am 00.00.0000 verpflichtet waren, einen Mund-Nasen-Schutz ausnahmslos vom Betreten des Werksgeländes bis zu dessen Verlassen zu tragen durch Vernehmung von Zeugen und Vorlage von Kopien der Aushänge im Betrieb;
20- Zum Beweis der Tatsache, dass die von der Klägerin schriftsätzlich im Einzelnen aufgeführten Schutzmaßnahmen tatsächlich getroffen und auch gelebt wurden durch Vernehmung von Zeugen;
21- Zum Beweis der Tatsache, dass fortlaufende Dokumentationen der Neuinfektionen geführt wurden und Infizierte sowie Kontaktpersonen unverzüglich in häusliche Quarantäne gesandt wurden durch Vernehmung von Zeugen;
22- Zum Beweis der Tatsache, dass die Schließung des Betriebs zu Tierleid geführt und die Gefahr von Versorgungsengpässen begründet hat durch Vorlage eines Presseartikels sowie durch Sachverständigengutachten;
23- Zum Beweis der Tatsache, dass die Klägerin die Arbeitsquarantäne in der Besprechung am 00.00.0000 nicht abgelehnt hat durch Vorlage eines Gesprächsprotokolls sowie Zeugenvernehmung;
24- Zum Beweis der Tatsache, dass die Anträge auf Erteilung von Ausnahmegenehmigungen von der Quarantänepflicht noch am 00.00.0000 gegen 18.30 Uhr durch Frau S2. gegenüber Frau H1. /Kreis D1. gestellt worden sind durch Zeugenvernehmung;
25- Zum Beweis der Tatsache, dass die im Gespräch vom 00.00.0000 entwickelte Arbeitsquarantäne mittlerweile gängige und erfolgreiche Praxis in zahlreichen Betrieben, auch in medizinischen Einrichtungen ist durch Inaugenscheinnahme eines Fernsehberichts;
26- Zum Beweis der Tatsache, dass der Zeuge M1. nicht erklärt hat, dass der Betrieb durch die Klägerin selbst „sowieso“ geschlossen werden wird, sondern erklärt hat, dass bei weiteren positiven Befunden die Aufrechterhaltung des weiteren Betriebs aufgrund Personalmangels rein faktisch nicht möglich sein werde und allein aus diesem Grunde der Betrieb seitens der Klägerin geschlossen werden müsse durch Zeugenvernehmung;
27- Zum Beweis der Tatsache, dass der Beklagte die Arbeitsquarantäne in der Besprechung am 00.00.0000 nicht abgelehnt hat durch Vorlage eines Gesprächsprotokolls sowie Zeugenvernehmung.
28Die Beweisanträge sind in der mündlichen Verhandlung durch Beschluss abgelehnt worden.
29Mit Beschluss vom 9. Mai 2020 – 5 L 400/20 – hat das Gericht den Eilantrag der Klägerin vom 00.00.0000 abgelehnt. Nach Erlass des ablehnenden Eilbeschlusses hat die Klägerin ihren Eilantrag vor Eintritt der Rechtskraft des Beschlusses zurückgenommen, woraufhin das Eilverfahren mit Beschluss vom 27. Mai 2020 eingestellt worden ist.
30Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Akte 5 L 400/20 sowie des beigezogenen Verwaltungsvorgangs ergänzend Bezug genommen.
31E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
32I. Die Klage hat keinen Erfolg. Sie ist zulässig (1.), aber unbegründet (2.).
331. Die Klage ist zulässig.
34a) Sie ist als Fortsetzungsfeststellungsklage gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO statthaft. Der Übergang von der gegen die durch Zeitablauf am 00.00.0000, 24.00 Uhr, erledigten Ordnungsverfügung vom 00.00.0000 gerichteten Anfechtungsklage auf die Fortsetzungsfeststellungsklage ist gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO bzw. § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 264 Nr. 2 ZPO zulässig. Ungeachtet dessen wäre eine Klageänderung hier auch gemäß § 91 VwGO zulässig, weil der Beklagte in diese eingewilligt hätte, indem er sich im Schriftsatz vom 00.00.0000 widerspruchslos auf die Fortsetzungsfeststellungklage eingelassen hat (§ 91 Abs. 2 VwGO).
35b) Das erforderliche berechtigte Feststellungsinteresse (§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO) liegt vor. Als berechtigtes Interesse in diesem Sinne genügt jedes nach vernünftigen Erwägungen nach Lage des Falles anzunehmende schutzwürdige Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder auch ideeller Art. Entscheidend ist, dass die gerichtliche Entscheidung geeignet ist, die Position des Klägers in den genannten Bereichen zu verbessern.
36Vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2013 - 8 C 14.12 -, juris, Rn. 20; OVG NRW, Beschluss vom 28. Juni 2021 - 15 A 363/20 -, juris, Rn. 5.
37Für das erforderliche gegenwärtige Interesse genügt es indes nicht, dass die Meinungsverschiedenheiten über Rechte oder Pflichten aus dem ehemaligen Rechtsverhältnis gegebenenfalls noch fortbestehen. Bei Sachverhalten der Vergangenheit sind vielmehr die Fallgruppen der Wiederholungsgefahr, des Rehabilitationsinteresses, des Präjudizinteresses und der sich typischerweise kurzfristig erledigenden schwerwiegenden Grundrechtsbeeinträchtigung anerkannt. Im vorliegenden Fall ist ein das Feststellungsinteresse der Klägerin tragendes Präjudizinteresse gegeben.
38Bei einer Fortsetzungsfeststellungklage, die der Vorbereitung einer zivilrechtlichen Klage auf Schadensersatz oder Entschädigung dienen soll, ist das Feststellungsinteresse zu bejahen, wenn ein solcher Prozess bereits anhängig, mit Sicherheit zu erwarten oder ernsthaft beabsichtigt ist, die begehrte Feststellung in diesem Verfahren erheblich und die Rechtsverfolgung nicht offensichtlich aussichtslos ist. Insoweit bedarf es hinreichender Darlegungen seitens der die Feststellung begehrenden Klägerin. Hierzu gehört insbesondere, dass sie die Behauptung eines eingetretenen Schadens durch Angaben zur Art des Schadens und zur annähernden Schadenshöhe substantiiert.
39Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 28. Juni 2021 - 15 A 363/20 -, juris, Rn. 8 m. w. N.
40Diese Voraussetzungen liegen vor. Mit Blick auf den mit der Betriebsschließung verbundenen erkennbar erheblichen wirtschaftlichen Schaden, den die Klägerin mit nicht unter 1.000.000 Euro veranschlagt, ist es offensichtlich, dass die Klägerin als wirtschaftlich handelnde juristische Person im Falle der Feststellung der Rechtswidrigkeit der streitgegenständlichen Ordnungsverfügungen versuchen wird, ggf. auf dem Zivilrechtsweg im Wege der Amtshaftung Schadensersatz zu erlangen. Dass sie in ihrem Schriftsatz vom 00.00.0000 nur vorträgt, die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Ordnungsverfügung sei für einen „ggf. geltend zu machenden Amtshaftungsanspruch“ präjudiziell, steht dieser Prognose nicht durchgreifend entgegen. In Anbetracht dessen, dass die Klägerin eine dem wirtschaftlichen Gewinn verpflichtete juristische Person ist, ist davon auszugehen, dass die Erhebung einer zivilrechtlichen Amtshaftungsklage im Fall des Obsiegens in der hiesigen Fortsetzungsfeststellungsklage ernsthaft in Betracht kommt.
412. Die Klage ist jedoch unbegründet. Die Ordnungsverfügung des Beklagten vom 00.00.0000 war rechtmäßig und verletzte die Klägerin nicht in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1, Satz 4 VwGO), denn sie beruhte auf einer ausreichenden Ermächtigungsgrundlage (a)), deren formelle (b)) und materielle Voraussetzungen (c)) vorlagen. Den Beweisanträgen der Klägerin in der mündlichen Verhandlung war nicht nachzugehen (d)).
42a) Ermächtigungsgrundlage der Ordnungsverfügung vom 00.00.0000 war § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG in der Fassung vom 00.00.0000 (im Folgenden: IfSG a. F.).
43aa) Diese Vorschrift reichte als Ermächtigungsgrundlage der Betriebsschließung zum Erlasszeitpunkt der Ordnungsverfügung mit Blick auf den sog. Parlamentsvorbehalt (Art. 20 Abs. 1 und 2 GG) trotz ihrer Ausgestaltung als offen formulierte Generalklausel aus.
44In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass es im Rahmen unvorhergesehener Entwicklungen aus übergeordneten Gründen des Gemeinwohls geboten sein kann, nicht hinnehmbare gravierende Regelungslücken für einen Übergangszeitraum insbesondere auf der Grundlage von Generalklauseln zu schließen und auf diese Weise selbst sehr eingriffsintensive Maßnahmen, die an sich einer besonderen Regelung bedürfen, vorübergehend zu ermöglichen.
45Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 11. November 2020 - 13 B 1635/20.NE -, juris, Rn. 23 ff., vom 15. April 2020 - 13 B 440/20.NE -, juris, Rn. 69 f., vom 6. April 2020 - 13 B 398/20.NE -, juris, Rn. 59, und Urteil vom 5. Juli 2013 - 5 A 607/11 -, juris, Rn. 97 ff.; Saarl. OVG, Urteil vom 6. September 2013 - 3 A 13/13 -, juris, Rn. 77 ff.; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 22. Juli 2004 - 1 S 2801/03 -, juris, Rn. 30; siehe auch BVerfG, Beschluss vom 8. November 2012 - 1 BvR 22/12 -, juris, Rn. 25; BVerwG, Beschluss vom 31. Januar 2019 - 1 WB 28.17 -, juris, Rn. 35; siehe zudem Bethge, Ausgangssperre, VerfBlog, 2020/3/24, abrufbar unter: https://verfassungsblog.de/ ausgangssperre/.
46Dieser zitierten Rechtsprechung, insbesondere derjenigen des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen, schließt sich das erkennende Gericht aufgrund eigener Überzeugungsbildung im Hauptsacheverfahren an. Die Voraussetzungen für die Anwendung der infektionsschutzrechtlichen Generalklausel zur Vermeidung nicht mehr vertretbarer Schutzlücken lagen im Erlasszeitpunkt der Ordnungsverfügung, am 00.00.0000, vor. Bei der SARS-CoV-2-Pandemie handelt es sich um ein derart außergewöhnliches und in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland beispielloses Ereignis, dass der zuständige Bundesgesetzgeber eine spezielle Ermächtigung für Maßnahmen, wie sie zwischenzeitlich für dessen Bewältigung durch die mehrfache Novellierung des Infektionsschutzgesetzes und die zahlreichen Coronaschutzverordnungen ergriffen wurden, zum damaligen Zeitpunkt nicht vorsehen musste. Vom Gesetzgeber konnte auch nicht erwartet werden, eine solche Rechtsgrundlage bereits zum 00.00.0000 geschaffen zu haben. Eine gegebenenfalls unklare Rechtslage begründet noch keinen unmittelbaren gesetzgeberischen Handlungsbedarf, selbst wenn der Gesetzgeber bereits erste Änderungen am Infektionsschutzgesetz vorgenommen hat, um rechtliche Zweifel an den schon getroffenen Maßnahmen zu beseitigen.
47bb) Der von der Klägerin gerügte Verstoß gegen das Zitiergebot aus Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG besteht nicht. Unabhängig davon, ob durch die Schließung des klägerischen Betriebs die Berufsfreiheit beeinträchtigt oder in die Eigentumsfreiheit in ihrer Ausprägung als Recht des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs eingegriffen wurde, folgte ein solcher nicht daraus, dass § 28 Abs. 1 Satz 4 IfSG a. F. weder Art. 12 Abs. 1 GG noch Art. 14 Abs. 1 GG als solche Grundrechte benannte, die durch Maßnahmen nach dem Infektionsschutzgesetz eingeschränkt werden konnten.
48Gemäß Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG muss ein grundrechtseinschränkendes Gesetz das eingeschränkte Grundrecht ausdrücklich benennen. Die Regelung dient der Sicherung derjenigen Grundrechte, die aufgrund eines speziellen, vom Grundgesetz vorgesehenen Gesetzesvorbehalts über die im Grundrecht selbst angelegten Grenzen hinaus eingeschränkt werden könnten. Indem das Gebot den Gesetzgeber zwingt, solche Eingriffe im Gesetzeswortlaut auszuweisen, will es sicherstellen, dass nur wirklich gewollte Eingriffe erfolgen; auch soll sich der Gesetzgeber über die Auswirkungen seiner Regelungen für die betroffenen Grundrechte Rechenschaft geben. Von derartigen Grundrechtseinschränkungen werden in der Rechtsprechung andersartige grundrechtsrelevante Regelungen unterschieden, die der Gesetzgeber in Ausführung der ihm obliegenden, im Grundrecht vorgesehenen Regelungsaufträge, Inhaltsbestimmungen oder Schrankenbeziehungen vornimmt. Hier erscheint die Warn- und Besinnungsfunktion des Zitiergebots von geringerem Gewicht, weil dem Gesetzgeber in der Regel ohnehin bewusst ist, dass er sich im grundrechtsrelevanten Bereich bewegt. Durch eine Erstreckung des Gebots auf solche Regelungen würde es zu einer die Gesetzgebung unnötig behindernden leeren Förmlichkeit kommen. Zu diesen grundrechtsrelevanten Regelungen zählen sowohl inhalts- und schrankenbestimmende Normen i. S. v. Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG als auch berufsregelnde Gesetze i. S. v. Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG.
49Vgl. BVerfG, Urteil vom 18. Dezember 1968 - 1 BvR 638/64 u. a. -, juris, Rn. 99 ff., und Beschlüsse vom 4. Mai 1983 - 1 BvL 46/80 u. a. -, juris, 26 ff., sowie vom 18. Februar 1970 - 2 BvR 531/68 -, juris, Rn. 45; Papier/Shirvani, in: Maunz/Dürig, GG, Stand: 94. EL Januar 2021, Art. 14 Rn. 449 f.; OVG NRW, Beschlüsse vom 15. April 2020 - 13 B 440/20.NE -, juris, Rn. 73 ff., vom 06. April 2020 – 13 B 398/20.NE -, juris, Rn. 63 f.
50Mit der Regelung des § 28 Abs. 1 IfSG a. F. ist der Gesetzgeber diesen Ausgestaltungs- und Regelungsaufträgen nachgekommen.
51Vgl. auch Bay. VGH, Beschluss vom 30. März 2020 - 20 CS 20.611 -, juris, Rn. 18; OVG NRW, Beschluss vom 06. April 2020 - 13 B 398/20.NE -, juris, Rn. 65 f.
52b) Die auf § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG a. F. beruhende Ordnungsverfügung war formell rechtmäßig.
53aa) Sie erging aufgrund der bestehenden Eilbedürftigkeit durch den Kreis als zuständige untere Gesundheitsbehörde (Gesundheitsamt, § 28 Abs. 3 i. V. m. § 16 Abs. 7 Satz 1, § 2 Nr. 14 IfSG, § 1 Abs. 1 IfSBG NRW). Diese Eilbedürftigkeit bestand, weil die Mitteilung des Amtes für Arbeitsschutz der Bezirksregierung N. über behauptete Defizite bei der Infektionsvermeidung im Betrieb der Klägerin den Beklagten erst am frühen Nachmittag des 00.00.0000, einem Freitag, erreicht hat. Ohne den sofortigen Erlass der streitgegenständlichen Ordnungsverfügung hätte die Klägerin den Betrieb – wie von ihr beabsichtigt – schon am 00.00.0000 um 3.00 Uhr wieder aufnehmen können. Es verblieb somit nur eine Zeitspanne von wenigen Stunden, binnen derer ein Tätigwerden der grundsätzlich zuständigen Behörde, der Stadt D1. , nicht zu erwarten war.
54Die Eilbedürftigkeit lässt sich nicht damit in Abrede stellen, dass ein Abwarten bis Montag, dem 00.00.0000, möglich und zumutbar gewesen wäre. Denn unabhängig davon, ob den im Bericht des Amtes für Arbeitsschutz aufgezählten Erkenntnissen über die infektionsschutzmäßigen Defizite (fehlende Möglichkeit, in den Umkleidekabinen Abstände einzuhalten, Herunterziehen von Schutzmasken zur Erteilung von Anordnungen, kein hinreichender Abstand am Zerlegeband etc.) eine halbstündige oder eine längere Ermittlung zugrunde lag, wiesen diese Erkenntnisse in der von Eile geprägten Entscheidungssituation mit hinreichender Verlässlichkeit darauf hin, dass der Infektionsgefahr im Betrieb der Klägerin mit den am 00.00.0000 gemeinsam mit Vertretern der Klägerin besprochenen Maßnahmen nicht hinreichend Genüge getan werden konnte. Denn der Beklagte hatte ausweislich der Ordnungsverfügung vom 00.00.00 auf den 00.00.0000 durch umfassende Testungen der im Betrieb der Klägerin tätigen Personen bis zum Erlass der streitgegenständlichen Verfügung bereits 171 neue Infektionsfälle festgestellt, was gemessen an der Zahl der ausgewerteten Tests (353) auf eine Infektionsquote von nahezu 50 % hinwies, zumal ausschließlich Personen betroffen waren, die in den sodann geschlossenen Betriebsbereichen tätig gewesen waren. Bei dieser Sachlage aber hätte eine Betriebsaufnahme am 00.00.0000für die im Betrieb der Klägerin Tätigen und in der Folge auch für andere Menschen eine erhebliche Infektionsgefahr bedeutet, die es – vor Arbeitsbeginn am 00.00.0000 um 3.00 Uhr in der Nacht – zu verhindern galt. Auf die inhaltliche Richtigkeit der von dem Beklagten zugrunde gelegten Erkenntnisse kommt es im Übrigen für die Beurteilung der Zuständigkeitsfrage nicht an.
55bb) Eine Anhörung der Klägerin war vor Erlass des streitgegenständlichen Bescheids entbehrlich. Nach § 28 Abs. 1 Satz 1 VwVfG NRW ist vor Erlass eines Verwaltungsaktes, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, dem Betroffenen Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Von einer Anhörung kann aber abgesehen werden, wenn sie nach den Umständen des Einzelfalles nicht geboten ist, insbesondere, wenn eine sofortige Entscheidung wegen Gefahr im Verzug oder im öffentlichen Interesse notwendig erscheint (§ 28 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG NRW). Der Begriff „Gefahr im Verzug“ ist im Hinblick auf den mit dieser Vorschrift verfolgten Zweck dahin zu verstehen, dass eine solche Gefahr dann anzunehmen ist, wenn durch eine vorherige Anhörung auch bei Gewährung kürzester Anhörungsfristen ein Zeitverlust einträte, der mit hoher Wahrscheinlichkeit zur Folge haben würde, dass die durch den Verwaltungsakt zu treffende Regelung zu spät käme, um ihren Zweck noch zu erreichen. Es genügt, dass die Behörde unter diesen Gesichtspunkten eine sofortige Entscheidung für notwendig halten durfte.
56Vgl. BVerwG, Urteil vom 3. Dezember 2004 - 6 A 10.02 –, juris, Rn. 13 m. w. N.; OVG NRW, Beschluss vom 30. Januar 2017 - 8 A 1692/14 -, juris, Rn. 53.
57Einer Anhörung der Klägerin bedurfte es nach diesen Grundätzen gemäß § 28 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG NRW wegen Gefahr im Verzug nicht, weil eine Anhörung geeignet gewesen wäre, wegen des hierdurch entstehenden Zeitverzugs den Zweck der Maßnahme zu gefährden. Ausweislich der Verwaltungsvorgänge lagen erst am Abend des 00.00.0000, einem Freitag, um 19.06 Uhr (Bl. 12 VV) die der Ordnungsverfügung zugrunde gelegten Testergebnisse von 171 bestätigten Infektionen und 182 negativen Tests aus 870 Tests insgesamt vor. Der Schichtbetrieb bei der Klägerin sollte am 00.00.0000 – einem Samstag – bereits um 3.00 Uhr früh wieder beginnen. Die Zustellung der vollständig gefertigten Ordnungsverfügung erfolgte um 1.17 Uhr in der Nacht vom 00.00.0000 auf den 00.00.0000, mithin weniger als zwei Stunden, bevor die Klägerin den Schichtbetrieb wieder aufgenommen hätte. Der Zustellung durch Einwurf in den Briefkasten am Betriebsstandort der Klägerin waren erfolglose Versuche einer Übersendung per Fax um 0.45 Uhr und um 1.08 Uhr vorausgegangen. Es stand bei dieser Ausgangslage aus Sicht des Beklagten ernsthaft zu erwarten, dass der Versuch, der Klägerin in der Zeitspanne vom Abend des 00.00.0000 (19.06 Uhr – Vorlage von 171 positiven Testergebnissen aus dem Betrieb der Klägerin) bis um 3.00 Uhr am Morgen des 00.00.0000 – außerhalb üblicher Bürozeiten – Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, zu einer Verzögerung über den entscheidenden Zeitpunkt von 3.00 Uhr am Morgen des 00.00.0000 hinaus geführt hätte. Er durfte vor diesem Hintergrund eine sofortige Entscheidung für notwendig halten. Dies gilt auch in Anbetracht der Tatsache, dass im Gespräch vom 00.00.0000 noch keine Rede von einer möglichen Betriebsschließung durch den Beklagten gewesen sein mag. Denn seit dem 00.00.0000 waren die durchgeführten Testungen teilweise ausgewertet und aus dem Betrieb der Klägerin 171 weitere Infektionen bekannt geworden. Die Sachlage hatte sich seit dem Gespräch vom 00.00.0000 – sofern man dies überhaupt für erheblich halten will – jedenfalls maßgeblich geändert.
58Ungeachtet dessen ist die Anhörung bereits im Laufe des Eilverfahrens 5 L 400/20 durch den Austausch hierzu geeigneter Schriftsätze nachgeholt worden (§ 45 Abs. 2, Abs. 1 Nr. 3 VwVfG NRW). Die Klägerin hat ihre Argumente mit Schriftsatz vom 00.00.0000 vorgetragen. Mit diesen hat sich der Beklagte mit Schriftsatz vom selben Tag substantiell in einer Weise auseinandergesetzt, die dem Anhörungserfordernis Rechnung trägt. Insbesondere hat der Beklagte seine Entscheidung, die Ordnungsverfügung vom 00.00.0000 zu erlassen, vor deren Erledigung erneut überdacht, wie sich schon der Wendung im Schriftsatz vom 00.00.0000 „Ergänzend – unter Berücksichtigung der Einlassungen der Antragstellerin – führe ich aus:“, aber auch den hiernach folgenden Einzelausführungen entnehmen lässt.
59c) Die Ordnungsverfügung war materiell rechtmäßig. Die Tatbestandsvoraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG a. F. lagen vor (aa)). Auch hat der Beklagte eine rechtmäßige, insbesondere verhältnismäßige, Rechtsfolge angeordnet (bb)).
60aa) Die Tatbestandsvoraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage lagen vor. Gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG a. F. trifft die zuständige Behörde die notwendigen Schutzmaßnahmen, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist, wenn Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt werden.
61aaa) Im Betrieb der Klägerin am Standort T. 2, D1. (G3. D1. ) sind Kranke im infektionsschutzrechtlichen Sinn festgestellt worden (§ 2 Nr. 4 IfSG). Nach den Ausführungen des Beklagten in der Ordnungsverfügung sind bis zum 00.00.0000, 19.30 Uhr, bei den im Betrieb der Klägerin beschäftigten Personen 870 Testungen auf eine Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus durchgeführt worden. Hiervon waren bis zum Entscheidungszeitpunkt 171 Tests positiv ausgefallen, 182 negativ, 517 Ergebnisse standen noch aus. Ohne dass es an dieser Stelle entscheidungserheblich darauf ankäme, wird ergänzend darauf hingewiesen, dass nach den im Eilverfahren vor dem erkennenden Gericht – 5 L 400/20 – vom Beklagten im Antragserwiderungsschriftsatz vom 00.00.0000 mitgeteilten Ergebnissen bis zum 00.00.0000 952 Testungen durchgeführt wurden, wobei von 461 vorliegenden Ergebnissen 205 Testergebnisse positiv waren. Ohne dass es darauf entscheidungserheblich ankäme, ist auf dieser Grundlage zudem davon auszugehen, dass neben den festgestellten Kranken auch noch eine unbestimmte Anzahl von Krankheitsverdächtigen, Ansteckungsverdächtigen oder Ausscheidern vorlag.
62bbb) Die Klägerin durfte als Zustandsverantwortliche im Sinne von § 18 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 OBG NRW in Anspruch genommen werden. Die Norm ist anwendbar ((1)) und ihre Voraussetzungen liegen vor ((2)). Ungeachtet dessen hätte die Klägerin auch als Nichtverantwortliche gemäß § 19 OBG NRW in Anspruch genommen werden können (3)).
63(1) § 18 OBG NRW ist im vorliegenden Fall auch unter Berücksichtigung der Vorrangregelung des § 18 Abs. 4 i. V. m. § 17 Abs. 4 OBG NRW – jedenfalls ihrem Rechtsgedanken nach – anwendbar. Denn § 28 Abs. 1 IfSG a. F. beschränkt den Kreis der infektionsschutzrechtlich im Wege der sogenannten Störerhaftung in Anspruch zu nehmenden Personen nicht auf „Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider“. Die Norm setzt vielmehr nur „die Feststellung“ von Personen, die diesem Kreis zugehören, voraus. Schon dieser Wortlaut gibt keinen Anlass zu der Annahme, dass die von der Behörde sodann – zwingend – zu treffenden „notwendigen Maßnahmen“, sich nur gegen diese Personen richten dürften.
64Auch aus systematischen Gründen ist eine solche Auslegung nicht angezeigt. Vielmehr kommt in Satz 2 zum Ausdruck, dass die Behörde unter den in Satz 1 genannten Voraussetzungen Badeanstalten oder in § 33 IfSG genannte Gemeinschaftseinrichtungen oder Teile davon schließen darf, also ausdrücklich auch gegen andere als die Kranken, Krankheitsverdächtigen, Ansteckungsverdächtigen und Ausscheider vorgehen darf, um die Infektionsgefahr zu bekämpfen. Diese Interpretation lässt sich auch am ehesten mit dem in diesem Zusammenhang besonders bedeutsamen Sinn und Zweck der Vorschrift in Einklang bringen. So hat die Rechtsprechung bislang spezialgesetzliche Einschränkungen der ordnungsrechtlichen Störerhaftung insbesondere darin begründet gesehen, dass die von dem speziellen Gesetz bekämpfte Gefahr aus besonderen Gründen nur durch Maßnahmen gegen einen in der Norm genannten – gegenüber §§ 17, 18 OBG NRW engeren – Personenkreis bekämpft werden kann. Dies betrifft beispielsweise die Gefährdung der inneren oder äußeren Sicherheit oder sonstiger erheblicher Belange der Bundesrepublik Deutschland im Ausland durch Passbewerber und Passbewerberinnen bzw. Passinhaber und Passinhaberinnen, weil derartige Gefahren wegen des völkerrechtlichen Territorialprinzips und aus praktischen Gründen nur im Hoheitsbereich der Bundesrepublik effektiv bekämpft werden können. Insoweit sei von der Norm eine Vorverlagerung der Gefahrenabwehr bezweckt, Maßnahmen könnten mithin nur gegen Passbewerber/Passbewerberinnen und Passinhaber/Passinhaberinnen getroffen werden, auch wenn diese – etwa im Fall einer Entführung im Ausland – die Gefahr für das vorstehende Rechtsgut nicht unmittelbar im Sinne der ordnungsrechtlichen Störerhaftung verursachen.
65Vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Mai 2019 - 6 C 8.18 -, juris, Rn. 26 ff.
66Der Sinn und Zweck des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG, eine Infektionsgefahr effektiv zu bekämpfen, um so die Gesundheit, die körperliche Unversehrtheit und das Leben von Menschen (Art. 2 Abs. 2 GG) wie die sog. Volksgesundheit bzw. die Freiheit des Bundesgebiets von übertragbaren Krankheiten (vgl. § 1 Abs. 1 IfSG) zu schützen, spricht jedoch dafür, dass der mögliche Adressatenkreis infektionsschutzrechtlicher Maßnahmen nicht auf den tatbestandlich genannten Personenkreis beschränkt ist. Ansonsten wäre schon fraglich, warum es neben Absonderungsverfügungen und Berufsverboten zwingend einer so weitreichenden Generalklausel bedürfte. Eigenart der von übertragbaren Krankheiten ausgehenden Infektionsgefahr ist es vielmehr, dass diese durch vielgestaltige Maßnahmen der Hygiene oder der Abstandsregelungen etc. – zudem stark abhängig von der jeweiligen Infektionskrankheit und ihren Übertragungswegen, also etwa auch durch Vernichtung von bestimmten, als Überträger „verdächtigen“ Lebensmitteln,
67vgl. beispielhaft BVerwG, Urteil vom 28. Februar 1961 - 1 C 54.57 -, juris (Verkaufsverbot und Vernichtung von Endiviensalat wegen des Verdachts der Übertragung von Typhusbakterien),
68zu bekämpfen sein kann.
69Auch § 17 Abs. 3 OBG NRW sperrt die Anwendung des § 18 OBG NRW nicht. Diese Vorschrift regelt nur einen besonderen Fall der Inanspruchnahme einer Person als verhaltensverantwortlich, die andere als Verrichtungsgehilfen einsetzt, von denen die Gefahr unmittelbar ausgeht. Ungeachtet der hier offengelassenen Frage, ob eine Inanspruchnahme der Klägerin als Verhaltensverantwortliche nach dieser Vorschrift im konkreten Fall möglich ist, ist der Norm jedenfalls keine Aussage darüber zu entnehmen, ob eine nicht nach § 17 Abs. 3 OBG NRW verhaltensverantwortliche Person zustandsverantwortlich sein kann. Eine solche ergibt sich weder aus dem Wortlaut der Vorschrift, die hierzu nichts ausführt, noch aus ihrer systematischen Stellung im dritten Absatz des grundsätzlich gleichberechtigt und ohne Vorranganspruch neben § 18 OBG NRW stehenden § 17 OBG NRW.
70(2) Die Voraussetzungen des § 18 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 OBG NRW liegen hinsichtlich der Klägerin vor. Die Zustandsverantwortlichkeit nach dieser Vorschrift setzt voraus, dass die Gefahr von einer Sache wegen ihrer Beschaffenheit oder wegen ihrer Lage im Raum ausgeht. In diesem Fall können die Maßnahmen der Gefahrenabwehr gegen den Eigentümer oder den Inhaber der tatsächlichen Gewalt gerichtet werden.
71Vgl. Wittreck/Barczak, in: BeckOK PolR NRW, 19. Ed. 1.9.2021, OBG § 18 Rn. 12; Denninger, in: Lisken/Denninger PolR-HdB, D. Polizeiaufgaben Rn. 109.
72(a) Ungeachtet der genauen grundstücksrechtlichen Eigentumsverhältnisse ist die Klägerin als Betreiberin jedenfalls Inhaberin der tatsächlichen Gewalt am Betriebsstandort T. 2.
73Für die Bestimmung der Zustandsverantwortlichkeit nach § 18 OBG NRW kommt es ferner auf das Vorliegen einer konkreten Gefahr im Sinne des Ordnungsrechts an, die von der Sache ausgehen muss. Eine konkrete Gefahr in diesem Sinne setzt eine Sachlage voraus, die bei ungehindertem Geschehensablauf in absehbarer Zeit mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zur Verletzung eines ordnungsrechtlichen Schutzguts, nämlich der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung, führen wird. Verknappt wird von der Voraussetzung einer im einzelnen Falle bestehenden hinreichenden Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts gesprochen.
74Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Februar 1974 - 1 C 31.72 -, juris, Rn. 32 („allgemeine Auffassung“); OVG NRW, Urteil vom 9. Februar 2012 - 5 A 2382/10 -, juris, Rn. 34; Denninger, in: Lisken/Denninger PolR-HdB, D. Polizeiaufgaben Rn. 39, 42.
75Der Schutzzweck der öffentlichen Sicherheit umfasst die Unverletzlichkeit der objektiven Rechtsordnung, der subjektiven Rechte, Rechtsgüter und rechtlich geschützten Interessen der Einzelnen sowie des Bestands, der Einrichtungen und Veranstaltungen des Staates.
76Vgl. nur BVerwG, Urteil vom 28. März 2012 - 6 C 12.11 -, juris, Rn. 23; VG N. , Urteil vom 18. Februar 2019 - 5 K 520/18 -, juris, Rn. 10; Denninger, in: Lisken/Denninger PolR-HdB, D. Polizeiaufgaben Rn. 16.
77Dieser allgemeine Schutzzweck konkretisiert sich im Infektionsschutzgesetz – wie in anderen Rechtsgebieten der besonderen Gefahrenabwehr – insbesondere durch die mit dem Gesetz verfolgten speziellen Schutzzwecke. Im Falle des Infektionsschutzgesetzes ergibt sich dieser aus § 1 Abs. 1 IfSG. Zweck des Infektionsschutzgesetzes ist es nach dieser Vorschrift, übertragbaren Krankheiten beim Menschen vorzubeugen, Infektionen frühzeitig zu erkennen und ihre Weiterverbreitung zu verhindern. Gemeint ist hiermit das selbständige Schutzgut der Freiheit des Bundesgebiets von übertragbaren Krankheiten, dessen Inhalt aufgrund der vielgestaltigen individuellen und überindividuellen, mit der Anwesenheit und notwendigen Bekämpfung übertragbarer Krankheiten im Bundesgebiet typischerweise einhergehenden Rechtsgutsbeeinträchtigungen über die Schutzgüter der körperlichen Unversehrtheit, der Gesundheit und des Lebens von Einzelpersonen (Art. 2 Abs. 2 GG) hinausgeht. Mittelbar, doch in hervorgehobener Weise dient das Infektionsschutzgesetz auch damit zwar dem Erhalt der vorgenannten Individualrechtsgüter aus Art. 2 Abs. 2 GG. Es verlagert das Schutzgut jedoch vor und ermöglicht Eingriffe, schon bevor konkrete Infektionen oder Erkrankungen bei Einzelpersonen vorliegen, etwa schon dann, wenn „nur“ Ansteckungsverdächtige festgestellt werden.
78Vgl. zu dieser Definition des infektionsschutzrechtlichen Schutzguts etwa Vießmann, „Corona-Entschädigungen“ für Unternehmer im Lockdown: Kein Sonderopfer wegen Störereigenschaft?, NVwZ 2021, 15 (17).
79Zu beachten ist nämlich, dass es sich bei der Infektion mit einer übertragbaren Krankheit zugleich schon um den Schadenseintritt handelt, der infektionsschutzrechtlich gerade – nach Möglichkeit – verhindert werden soll. Dem muss nach dem Sinn und Zweck des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG und auch denklogisch ein Zeitraum, in dem die Gefahr besteht, sich der Schaden aber noch nicht realisiert hat und Eingriffe zur Verhinderung dieses Schadenseintritts noch möglich sind, vorgeordnet sein. Eine konkrete Gefahr im Sinne des Infektionsschutzgesetzes setzt demnach gemessen an seinem Schutzzweck eine Sachlage voraus, die die Übertragung von Krankheiten, bzw. der jeweils zu bekämpfenden Krankheit, hinreichend wahrscheinlich erscheinen lässt. Wann eine solche hinreichende Übertragungsgefahr vorliegt, wird zunächst durch die Übertragungswege der jeweils zu bekämpfenden übertragbaren Krankheit – hier Covid19 bzw. SARS-CoV-2 – konkretisiert.
80Die Übertragung des SARS-CoV-2-Virus erfolgt nach der allgemein vorherrschenden Erkenntnislage, wie sie sich aus den Informationen des Robert-Koch-Instituts ergibt,
81vgl. https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief.html;jsessionid=906C5C86BF2E58A0590DB899BB73FC02.internet072?nn=13490888#doc13776792bodyText2 (zuletzt abgerufen am: 23. September 2021),
82im Wesentlichen über Aerosole und Tröpfchen in der Atemluft. Bei dieser Übertragung spielen in aller Regel nicht nur das Ausatmen einer infizierten Person, sondern ebenso andere Faktoren, wie die Gestaltung des Umfelds, zu verrichtende Tätigkeiten, die Möglichkeit, Abstand von anderen Menschen zu halten, Durchlüftung etc. eine erhebliche Rolle. Diese Faktoren treten nicht prinzipiell hinter den Beitrag einer infizierten Person zurück, sondern können durch entsprechende Gestaltung schon für sich genommen Infektionen auch bei Anwesenheit einer unerkannt infizierten Person effektiv verhindern oder – im Umkehrschluss, bei ungünstigen Bedingungen – fördern. Wäre dies nicht der Fall, wären allgemeine Schutzmaßnahmen, wie die AHA+L (Abstand halten, Hygieneregeln befolgen, Alltag mit Maske und Lüften), die das Robert-Koch-Institut empfiehlt, kaum wirksam.
83Vgl. https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Buerger/Infografik_Tipps_Alltag.html;jsessionid=EFE2FB2D273FEA7324E120B8F443A478.internet052?nn=13490888 (zuletzt abgerufen am: 23. September 2021).
84Die Anforderungen an die „hinreichende“ Wahrscheinlichkeit der Krankheitsübertragung sind sodann abhängig vom Gewicht der von der Erkrankung ausgehenden Schutzgutbeeinträchtigungen, also insbesondere von ihrem Ansteckungsrisiko und ihren Auswirkungen auf die Gesundheit des Menschen.
85Vgl. BVerwG, Urteil vom 22. März 2012 - 3 C 16.11 -, juris, Rn. 32; VGH C1. , Beschluss vom 15. Januar 2021 - 1 S 4180/20 -, juris, Rn. 55; OVG Lüneburg, Beschluss vom 14. Mai 2020 - 13 MN 162/20 -, juris, Rn. 29.
86Insoweit gelten mithin die allgemeinen gefahrenabwehrrechtlichen Grundsätze: Je gewichtiger die drohende oder erfolgte Rechtsgutbeeinträchtigung und je weniger gewichtig der Grundrechtseingriff ist, um den es sich handelt, desto geringer darf die Wahrscheinlichkeit sein, mit der auf eine drohende oder erfolgte Verletzung des Rechtsguts geschlossen werden kann, und desto weniger fundiert dürfen gegebenenfalls die Tatsachen sein, die dem Verdacht zugrunde liegen. Die Anforderungen an den Wahrscheinlichkeitsgrad und die Tatsachenbasis der Prognose dürfen allerdings nicht beliebig herabgesenkt werden, sondern müssen auch in angemessenem Verhältnis zur Art und Schwere der Grundrechtsbeeinträchtigung und zur Aussicht auf den Erfolg des beabsichtigten Rechtsgüterschutzes stehen. Für polizeiliche und ordnungsrechtliche Maßnahmen zum Schutz von Leben und Gesundheit genügt bereits die entfernte Möglichkeit eines Schadenseintritts, nicht jedoch die nur rein theoretische, praktisch aber auszuschließende Möglichkeit. Denn selbst bei höchstem Gewicht der drohenden Rechtsgutbeeinträchtigung kann auf das Erfordernis einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit nicht verzichtet werden. Auch muss als Voraussetzung eines schweren Grundrechtseingriffs gewährleistet bleiben, dass Annahmen und Schlussfolgerungen einen konkret umrissenen Ausgangspunkt im Tatsächlichen besitzen. Insbesondere sind Grundrechtseingriffe „ins Blaue hinein“ unzulässig.
87Vgl. BVerfG, Beschluss vom 4. April 2006 - 1 BvR 518/02 -, juris, Rn. 136; BVerwG, Urteil vom 22. März 2012 - 3 C 16.11 -, juris, Rn. 32; VGH C1. , Beschluss vom 15. Januar 2021 - 1 S 4180/20 -, juris, Rn. 55; OVG Niedersachsen, Beschluss vom 14. Mai 2020 - 13 MN 162/20 -, juris, Rn. 29; OVG NRW, Beschluss vom 30. Januar 2009 - 5 A 2239/08 -, juris, Rn. 19 - 20.
88Ob eine konkrete Gefahr im vorstehenden Sinne vorliegt, ist jedenfalls auf Ebene der Rechtmäßigkeit der Ordnungsmaßnahme (Primärebene) grundsätzlich auf Basis einer pflichtgemäßen, verständigen und besonnenen Lagebeurteilung der entscheidenden Behörde zu deren Entscheidungszeitpunkt, mit den ihr zur Verfügung stehenden und ermittelbaren Informationen und aus ihrem Blickwinkel („ex ante“-Betrachtung) zu bestimmen.
89Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Februar 1974 - 1 C 31.72 -, juris, Rn. 32; OVG NRW, Beschluss vom 26. Februar 2013 - 2 A 1674/10 -, juris, Rn. 19, und Urteil vom 15. Juli 2002 - 7 A 1717/01 -, juris, Rn. 89; VG Freiburg, Urteil vom 22. April 2021 - 10 K 2592/19 -, juris, Rn. 28; Lisken/Denninger PolR-HdB, D. Polizeiaufgaben Rn. 48.
90Diese Grundsätze entfalten im gesamten Gefahrenabwehrrecht, das typischerweise von Unsicherheitsentscheidungen unter Zeit‑ und Problemdruck geprägt ist, aber ganz besonders im Falle infektionsschutzrechtlicher Gefahrenabwehr besondere Bedeutung. Die zur Gefahrenabwehr berufenen Behörden sind gehalten, bei ihrer Lagebeurteilung im Interesse des Grundrechtsschutzes den Sachverhalt einerseits soweit aufzuklären, wie dies erforderlich ist, um möglichst effektive Maßnahmen gegen die richtigen Adressaten zu treffen. Sie sind andererseits gehalten, die Ausbreitung gerade sich viral – im Sinne einer exponentiellen Ausbreitungskurve – übertragender Infektionskrankheiten rechtzeitig – also frühzeitig und schnell – zu bekämpfen. Dies ist ebenso ein gewichtiges Gebot des Rechtsgüterschutzes, sind doch zu einem späteren Zeitpunkt im Falle einer weitreichenden Ausbreitung der Krankheit ergriffene Maßnahmen regelmäßig mit sehr viel weitreichenderen Grundrechtseingriffen, insbesondere einer wesentlich größeren Adressatenzahl, verbunden. Darüber hinaus führt ein verspätetes Einschreiten gegenüber einem Infektionsherd mit hoher Wahrscheinlichkeit – je nachdem, um welche Krankheit es sich handelt – zu einer nicht unerheblichen Zahl von Erkrankungen oder sogar Todesfällen, mithin – wie oben bereits ausgeführt – zu bereits eintretenden Schutzgutsbeeinträchtigungen. Bei einer solchen Ausgangslage dürfen aber an die Aufklärung des Sachverhalts im Rahmen der Lagebeurteilung keine unerfüllbaren Anforderungen gestellt werden; es genügt, wenn die Behörde ihre Entscheidung unter Berücksichtigung der zu erwartenden Anzahl und Schwere durch die Krankheit hervorgerufener Erkrankungen auf eine Tatsachengrundlage stützt, die deren Willkürfreiheit gewährleistet.
91Vgl. zu diesem Gedanken schon BVerwG, Urteil vom 28. Februar 1961 - 1 C 54.57 -, juris, Rn. 51 f.
92(b) Nach diesen Grundsätzen durfte der Beklagte die Ordnungsverfügung in der Nacht vom 00.00.00 auf den 00.00.0000 gegen die Klägerin als Zustandsverantwortliche richten. Nach den dem Beklagten am Abend des 00.00.0000 vorliegenden Informationen konnte dieser auf Grundlage einer pflichtgemäßen, verständigen und besonnenen Lagebeurteilung annehmen, dass von der Beschaffenheit der Betriebsanlage der Klägerin mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine Gefahr für das vom Infektionsschutzgesetz geschützte Rechtsgut der Freiheit der Bundesrepublik Deutschland von übertragbaren Krankheiten (sog. „Volksgesundheit“) und für die ebenfalls davon erfassten Rechtsgüter des Lebens, der körperlichen Unversehrtheit und der Gesundheit von Menschen (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) ausging.
93C1. einige Tage vor Erlass der streitgegenständlichen Verfügung, am 00.00.0000, lagen dem Beklagten 51 positive Ergebnisse auf eine Infektion mit SARS-CoV-2 vor, die ausschließlich Personen betrafen, die am Standort T. 2 (G3. D1. ) eingesetzt waren. Infolge der umfassenden Testungen vor Ort ab dem 00.00.0000 lagen am Abend des 00.00.0000 um 19.30 Uhr bereits 171 positive und 182 negative Testergebnisse vor, was einer „Durchseuchungsrate“ von nahezu 50% – gemessen an den im Entscheidungszeitpunkt vorliegenden Ergebnissen – entsprach. Zudem betraf im Erlasszeitpunkt der Verfügung kein einziges positives Testergebnis eine Person, die im Verwaltungsbereich des Standorts T. tätig war, weshalb die dort tätigen Mitarbeitenden von dem mit der Verfügung ausgesprochenen Betretungsverbot auch ausgenommen wurden. Alle positiv getesteten Personen waren mithin in der Anlieferung, am Schlachtband, am Zerlegeband oder bei der Verpackung bzw. im Abtransport tätig gewesen. Darüber hinaus hatte das Amt für Arbeitsschutz der Bezirksregierung N. den Standort der Klägerin am 00.00.0000 überprüft und hatte unter anderem festgehalten, dass es in den Umkleiden und am Zerlegeband Probleme gegeben habe, den Mindestabstand von 1,5 m einzuhalten, und außerdem der Mund-Nasen-Schutz nicht durchgängig getragen worden sei, wenn am Zerlegeband von den Vorarbeitern Anweisungen erteilt worden seien.
94Diese vorgenannten Erkenntnisse und die bis zu diesem Zeitpunkt eingesetzten Erkenntnismittel reichten für eine nach den oben dargelegten Grundsätzen gebotene besonnene und sorgfältige Sachverhaltsermittlung und Lagebeurteilung aus. Denn diese tatsächlichen Anhaltspunkte für das Vorliegen einer hinreichenden Schadenseintrittswahrscheinlichkeit gewährleisteten die Willkürfreiheit der behördlichen Entscheidung. Der Beklagte durfte aufgrund der ihm vorliegenden, diese Annahme plausibilisierenden Erkenntnisse im Erlasszeitpunkt der streitgegenständlichen Verfügung („ex ante“) davon ausgehen, dass die Ursache für die in den vorangegangenen Tagen zunehmend vermehrt auftretenden SARS-CoV-2-Infektionen in der Betriebsanlage der Klägerin zu suchen war. Der mit der Ordnungsverfügung verbundene Grundrechtseingriff erfolgte auf dieser Grundlage insbesondere nicht „ins Blaue hinein“.
95Weitere Ermittlungen oder das Zuwarten bis zur vollständigen Auswertung aller noch ausstehenden 517 Testungen waren nicht erforderlich. Insbesondere greift der Einwand der Klägerin nicht durch, dass die Kontrolle durch das Amt für Arbeitsschutz lediglich von 11.18 Uhr bis 12.45 Uhr, also weniger als 1 1/2 Stunden gedauert und die effektive Kontrollzeit von rund einer Stunde bei Weitem nicht ausgereicht habe, um das gesamte ca. 15.000 qm große Betriebsgelände zu kontrollieren. Denn für den Beklagten war im Entscheidungszeitpunkt nichts dafür ersichtlich, dass die vom Amt für Arbeitsschutz als zuständiger Fachbehörde getätigten Feststellungen innerhalb dieser Kontrollzeit nicht möglich gewesen oder nach Durchführung einer längeren Kontrollzeit anders ausgefallen wären.
96Die erforderliche hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Ursache im Betrieb der Klägerin lag, war mit Blick auf den erheblichen drohenden Schaden bei einer Ausbreitung der Infektionen im Kreis D1. (und darüber hinaus) gegeben. An die Wahrscheinlichkeit dieses Ursprungs waren vor diesem Hintergrund keine überhöhten Anforderungen zu stellen. Die Plausibilität einer vom Betrieb der Klägerin ausgehenden Begünstigung von Virus-Übertragungen genügte vielmehr, ohne dass demgegenüber andere Übertragungswege oder Beschleunigungseffekte völlig unwahrscheinlich oder gar gänzlich ausgeschlossen hätten sein müssen. Denn der in zeitlicher Nähe drohende Schaden an den Schutzgütern des Infektionsschutzgesetzes war als schwerwiegend einzustufen. Dies gilt ganz besonders vor dem Hintergrund der mit SARS-CoV-2 bekanntermaßen verbundenen exponentiellen Ausbreitungskurve, die eine immer schneller zunehmende Beschleunigung der Virusausbreitung bei im Entscheidungszeitpunkt noch fehlender Immunität in der Bevölkerung bedingte. Vor diesem Hintergrund bestand am 00.00.0000 eine besondere Eilbedürftigkeit des gefahrenabwehrrechtlichen Einschreitens, bevor es zur Wiederaufnahme des klägerischen Betriebs am 00.00.0000 um 3.00 Uhr nachts kam, die weitere Ermittlungen nicht zuließ. Auch aus diesem Grund waren ein von der Klägerin angesprochenes Zuwarten bis zur vollständigen Auswertung der Testergebnisse bei zwischenzeitlichem Weiterlaufen des Betriebs oder weitere Untersuchungen beziehungsweise Sachverständigengutachten oder Ähnliches zu den genauen Übertragungswegen innerhalb des Betriebsstandorts T. 2 – oder alternativ während des Transports der dort tätigen Personen von und zur Arbeit beziehungsweise in deren Unterkünften – nicht geboten.
97Nicht erforderlich war es zu diesem Zeitpunkt nach dem Vorstehenden insbesondere, dass der Beklagte ausschließen konnte, dass die (Mit)Ursache in der Beschaffenheit der Gemeinschaftsunterkünfte oder in den Transport‑ bzw. Reisebedingungen der überwiegend aus Osteuropa stammenden und im Betrieb der Klägerin eingesetzten Beschäftigten lag. Die Frage, ob die Werkvertragspartner der Klägerin als Arbeitgeber der Kranken, Krankheitsverdächtigen oder Ansteckungsverdächtigen ebenfalls als Verantwortliche in Betracht kamen, spielt für die Inanspruchnahme der Klägerin als Zustandsverantwortliche zunächst keine Rolle. Selbst wenn diese neben der Klägerin nach den am 00.00.0000 vorliegenden Informationen ebenfalls verantwortlich nach § 17 OBG NRW oder § 18 OBG NRW gewesen wären, wirkt sich dies nicht hinsichtlich der Frage aus, ob die Klägerin (auch) zustandsverantwortlich war, sondern stellt eine Frage des Auswahlermessens dar, das sich bei mehreren möglichen Verantwortlichen unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit vorrangig nach den Grundsätzen einer effektiven Gefahrenabwehr zu richten hat, ohne dass eine starre Reihenfolge einzuhalten wäre.
98Auch die übrigen Einwendungen der Klägerin greifen nicht durch: Auf die Frage, ob über die vorstehenden Umstände hinaus eine Durchmischung der Arbeitsgruppen aufgrund von Personalmangel Anfang 00.00.00 im Betrieb der Klägerin tatsächlich stattgefunden hat, was die Klägerin bestreitet, kommt es nicht entscheidungserheblich an. Auch ohne diese Feststellung reichte die vorgefundene Tatsachengrundlage, insbesondere die Vielzahl der Infektionen unter den im Betrieb der Klägerin Tätigen, für die getroffene Prognoseentscheidung aus. Entgegen der Annahme der Klägerin ist es auch unerheblich, ob die Mitarbeiter des Amtes für Arbeitsschutz im Rahmen der von ihnen durchgeführten Kontrolle mangelnden Abstand und fehlenden Mund-Nasen-Schutz bei Mitarbeitern im kontrollierten Betrieb bemängelt haben. Den festgestellten Mangel an sich hat die Klägerin damit nicht substantiiert in Abrede gestellt. Daran ändert sich auch nicht dadurch etwas, dass sie nach ihrem weiteren Vortrag durch organisatorische Maßnahmen die Einhaltung von Abständen und das Tragen des Mund-Nasen-Schutzes und die entsprechende Kontrolle sichergestellt haben will. Unerheblich ist des Weiteren der Hinweis der Klägerin, dass sich im Zeitpunkt der Kontrolle nur eine Person im Umkleideraum aufgehalten habe. Hierzu hat das Amt für Arbeitsschutz festgehalten, dass es in den Umkleiden Probleme gebe, den Mindestabstand von 1,5 m einzuhalten. Auf die Anzahl der sich im Zeitpunkt der Kontrolle im Umkleideraum aufhaltenden Personen kommt es hierbei nicht an. Dass die tatsächlichen räumlichen Gegebenheiten durch das Amt für Arbeitsschutz falsch eingeschätzt worden sind, hat die Klägerin nicht vorgetragen. Soweit die Klägerin zudem sinngemäß eine Voreingenommenheit der Mitarbeiter des Amtes für Arbeitsschutz rügt, indem sie vermutet, diese hätten von Anfang an nur das Ziel gehabt, Gründe für die Schließung des Betriebs der Klägerin zu finden, bleibt in Anbetracht der insoweit unergiebigen Ausführungen der Klägerin spekulativ. Dies ändert sich auch nicht durch den Hinweis auf eine behauptete vorzeitige Mitteilung der Betriebsschließung durch den Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes NRW bereits am Nachmittag des 00.00.0000. Diese ließen aus der damaligen Sicht des Beklagten keinen unmittelbaren Rückschluss darauf zu, dass die vom Amt für Arbeitsschutz der Bezirksregierung N. im Betrieb der Klägerin getroffenen, entscheidungserheblichen Feststellungen in der Sache unzutreffend gewesen wären. Jedenfalls – und hierauf kommt es entscheidungserheblich an – waren sie als Feststellungen einer Fachbehörde hinreichend fundiert, um in der eiligen Entscheidungssituation vom Beklagten im Rahmen einer rechtmäßigen Prognoseentscheidung zugrunde gelegt zu werden.
99Soweit die Klägerin die Rechtmäßigkeit der auf § 25 IfSG gestützten Untersuchungen ihrer Mitarbeiter durch den Beklagten bezweifelt, die schriftliche Bestätigung der mündlich ausgesprochenen Untersuchungsanordnungen anfordert und sich Rechtsbehelfe hiergegen vorbehält, stellt dies die Richtigkeit der infolge der Untersuchungen festgestellten Infektionszahlen der Mitarbeiter als Anhaltspunkt für die im damaligen Entscheidungszeitpunkt getroffene behördliche Annahme, dass von ihrem Betrieb eine infektionsschutzrechtliche Gefahr ausging, nicht in Frage. Auch soweit die Klägerin ihre Verantwortlichkeit unter Hinweis darauf in Abrede zu stellen versucht, dass ihr Betrieb immissionsschutzrechtlich genehmigt sei, ist dies unerheblich. Ihre Verantwortlichkeit beruht auf infektionsschutzrechtlichen Erwägungen.
100(c) Ungeachtet der vorstehenden Ausführungen ist die Gefahrenprognose des Beklagten auch aus einem weiteren, eigenständig tragenden Grund nicht zu beanstanden. Für die Frage, ob eine konkrete Gefahr vorliegt, dürfen auch solche gefahrbegründenden Umstände, die der handelnden Behörde im Zeitpunkt ihres Eingreifens („ex ante“) noch nicht bekannt waren, Berücksichtigung finden können. Hierfür sprechen eine grammatische und teleologische Auslegung des Gefahrbegriffs in den Generalermächtigungen des Polizei‑ und Ordnungsrechts.
101Vgl. im Einzelnen Schenke, Polizei‑ und Ordnungsrecht, 7. Auflage 2011, Rn. 79a m. w. N.
102Diese Erwägungen sind auch auf den Fall zu übertragen, dass eine Ordnungsbehörde zwar das Vorliegen einer konkreten Gefahr als solche im Zeitpunkt des Erlasses der Maßnahme – „objektiviert ex ante“ – zutreffend erkannt hat, sie aber (weitere) tatsächliche Umstände, die die ordnungsrechtliche Verantwortlichkeit des Adressaten ihrer Maßnahme für die Entstehung der Gefahr zusätzlich begründet hätten, im Zeitpunkt des Erlasses der Ordnungsverfügung nicht oder nicht verlässlich kennt.
103Dies folgt aus einer teleologischen Interpretation der Vorschriften der §§ 17 – 19 OBG NRW. Diese – und insbesondere § 18 OBG – dienen im Wege eines Interessenausgleichs einerseits dem Zweck, den Ordnungsbehörden die Möglichkeit zu geben, ihre Maßnahmen der Gefahrenabwehr im Interesse des Schutzes individueller und überindividueller Rechtsgüter durch effektive Gefahrenabwehr gegen denjenigen zu richten, der die effektivsten Möglichkeiten hat, die Gefahr zu beseitigen. Das sind zum einen die Person, die durch ihr eigenes Verhalten, dessen Änderung ihr zu Gebote steht, eine Gefahr verursacht (Verhaltensverantwortlicher, § 17 OBG NRW) und zum anderen die Person, der eine Sache, die eine Gefahr durch ihre Beschaffenheit oder ihre Lage im Raum begründet, gehört oder die die tatsächliche Sachherrschaft darüber ausübt.
104Vgl. Wittreck/Barczak, in: BeckOK PolR NRW, 19. Ed. 1.9.2021, OBG § 18 Rn. 1 m. w. N.
105Andererseits dienen §§ 17 – 19 OBG NRW dazu, den Kreis der möglichen Adressaten einer Ordnungsmaßnahme grundrechtskonform einzuschränken, indem vorrangig nur gegen solche Personen – insbesondere ohne Entschädigungspflicht, vgl. § 39 Abs. 1 a) OBG NRW – Maßnahmen der Gefahrenabwehr gerichtet werden können, auf deren rechtlichen Verantwortungsbereich (Verantwortung für eigenes Verhalten oder für den Zustand eigener beziehungsweise tatsächlich beherrschter Sachen) die Entstehung der Gefahr zurückzuführen ist und die aus diesem Grunde eine besondere Nähebeziehung zur Gefahr aufweisen. Bei der Zustandsverantwortlichkeit nach § 18 OBG NRW tritt der Gedanke hinzu, dass derjenige, der von der Beschaffenheit, dem Betrieb oder der Lage im Raum einer Sache profitiere, auch die Lasten zu tragen habe, die aus einer Abwehr von Gefahren erwachsen, die von der Sache ausgehen.
106Vgl. Denninger, in: Lisken/Denninger PolR-HdB, D. Polizeiaufgaben Rn. 72; Wittreck/Barczak, in: BeckOK PolR NRW, 19. Ed. 1.9.2021, OBG § 18 Rn. 1.
107Diese mit §§ 17, 18 OBG NRW verbundenen Zwecke lassen nicht darauf schließen, dass es für die Frage, ob eine Gefahrenabwehrbehörde objektiv berechtigt ist, eine Person als verantwortlich für eine Gefahr in Anspruch zu nehmen, entscheidend darauf ankommt, dass der Behörde die Umstände, die die Verantwortlichkeit der Person begründen, umfassend bekannt sein müssen. Es ist vielmehr ohne weiteres möglich, die gefahrenabwehrrechtlich objektiv bestehende Verantwortlichkeit im Nachhinein („ex post“) auch auf solche Umstände zu stützen, die im Zeitpunkt der Behördenentscheidung noch nicht bekannt waren, die aber die gefahrenabwehrrechtliche Verantwortlichkeit, wären sie im Entscheidungszeitpunkt („ex ante“) bekannt gewesen, aus Sicht der Behörde hätten tragen können. Insoweit ist nämlich zu berücksichtigen, dass die „ex ante“-Betrachtung auf Grundlage der der Behörde im Entscheidungszeitpunkt zur Verfügung stehenden Informationen dem Zweck der effektiven Gefahrenabwehr unter Zeit‑ und Problemdruck dient und nicht dem Schutz von potentiell Verantwortlichen vor der – entschädigungslosen – ordnungsrechtlichen Inanspruchnahme.
108Für den vorliegenden Fall ergibt sich hieraus das Folgende: Im zeitlichen Verlauf nach der streitgegenständlichen Ordnungsverfügung vom 00.00.0000 ist verschiedentlich festgestellt worden, dass die typische Beschaffenheit bestimmter fleischverarbeitender Betriebe (Kühlung von Arbeitsräumen auf niedrige Temperaturen, schwere körperliche Arbeit in räumlicher Nähe an den Schlacht‑ bzw. Zerlegebändern, Umluftkühlungen ohne hinreichende Viruspartikelfilter bei nur geringer Frischluftzufuhr) die Anreicherung und Verbreitung infektiöser Aerosole in der Luft stark begünstigen.
109Vgl. hierzu VG N. , Beschluss vom 6. August 2020 - 5 L 596/20 -, juris, Rn. 20 ff. m. w. N.
110Ungeachtet der Frage, ob diese Umstände auch im konkreten Fall der Klägerin vor dem 00.00.0000 für die Verbreitung des SARS-CoV-2-Virus entscheidend gewesen sind, hätte diese – im Erlasszeitpunkt der streitgegenständlichen Verfügung noch nicht bekannte – Erkenntnis über die typischerweise mit fleischverarbeitenden Betrieben verbundenen Infektionsgefahren am Abend des 00.00.0000 erst Recht die hinreichende Wahrscheinlichkeit begründet, dass eine Infektionsgefahr bestand und diese auch von der Beschaffenheit des Betriebs der Klägerin ausging. Auf die Kenntnis des Beklagten von diesen Umständen im Erlasszeitpunkt der streitgegenständlichen Verfügung kommt es – wie oben ausgeführt – demgegenüber nicht entscheidend an.
111(3) Ungeachtet der vorstehenden Ausführungen durfte die Klägerin auch als Nichtverantwortliche gemäß § 19 Abs. 1, Abs. 4 i. V. m. § 17 Abs. 4 OBG NRW in Anspruch genommen werden. Es bestand – wie unter I. 2. c) aa) bbb) (2) (a) ausgeführt – eine im Erlasszeitpunkt bestehende, mithin gegenwärtige erhebliche Gefahr (§ 19 Abs. 1 Nr. 1 OBG NRW). Wie unter I. 2. c) bb) bbb) ausgeführt, waren Maßnahmen gegen die nach den §§ 17 oder 18 OBG NRW Verantwortlichen – abgesehen von der Klägerin selbst – nicht rechtzeitig möglich und versprachen auch keinen Erfolg (§ 19 Abs. 1 Nr. 2 OBG NRW). Dem Beklagten war es nicht möglich, die Gefahr rechtzeitig selbst oder durch Beauftragte abzuwehren (§ 19 Abs. 1 Nr. 3 OBG NRW). Die Klägerin konnte ohne jegliche eigene Gefährdung und auch ohne Verletzung höherwertiger Pflichten in Anspruch genommen werden (§ 19 Abs. 1 Nr. 4 OBG NRW); bezogen auf etwaige tierschutzrechtliche Belange wird auf die Ausführungen unter I. 2. d) dd) und I. 2. d) bb) ccc) verwiesen.
112ccc) Die Verfügung bedurfte keiner Befristung, bis eine Entscheidung durch die örtliche Infektionsschutzbehörde zu erreichen war. Gemäß § 28 Abs. 3 i. V. m. § 16 Abs. 7 Satz 4 IfSG gilt die Anordnung als von der zuständigen Behörde getroffen, wenn sie nicht innerhalb von zwei Arbeitstagen nach der Unterrichtung dieser Behörde aufgehoben wird. Dies ist jedoch vorliegend nicht geschehen.
113bb) Auf Rechtsfolgenseite bestehen ebenfalls keine Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Ordnungsverfügung. Weder lagen Ermessensfehler vor (aaa), noch ließ die Adressatenauswahl Rechtsfehler erkennen (bbb); die Verfügung war auch im Übrigen verhältnismäßig (ccc).
114aaa) Ermessensfehler im Sinne des § 114 S. 1 VwGO lagen nicht vor. Gemäß § 114 Satz 1 VwGO prüft das Gericht, soweit die Verwaltungsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, auch, ob der Verwaltungsakt rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Hiervon erfasst sind die Ermessensüberschreitung, die vorliegt, wenn die Behörde die gesetzlichen Grenzen des Ermessens dergestalt überschreitet, dass sie eine Rechtsfolge setzt, die von der Ermächtigung nicht vorgesehen ist (Ermessensüberschreitung i. e. S.) oder von dem ihr nach der Ermächtigungsgrundlage zustehenden Ermessen überhaupt keinen Gebrauch macht, weil sie davon ausgeht, dass ihr kein Ermessen zusteht (sog. Ermessensnichtgebrauch). Ferner regelt die Vorschrift gesondert den Fall der Ermessensfehleinschätzung. Dieser Ermessensfehler kann in Gestalt des Ermessensdefizits auftreten, wenn die Behörde ihre Entscheidung auf einer unzureichenden Tatsachengrundlage getroffen hat, und in Gestalt des Ermessensfehlgebrauchs, wenn sie sich bei ihrer Entscheidung von sachfremden Erwägungen leiten lässt.
115Nach diesen Maßstäben erweist sich die Entscheidung des Beklagten als ermessensfehlerfrei.
116Der Beklagte war ermächtigt, nach Ermessen zu handeln; ihm stand nach der Ermächtigungsgrundlage des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG a. F. zwar kein Entschließungs‑, aber ein Auswahlermessen zu. Bei § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG handelt es sich um eine Generalklausel, die die zuständigen Behörden zum Handeln verpflichtet (gebundene Entscheidung). Hinsichtlich Art und Umfang der Bekämpfungsmaßnahmen – „wie“ des Eingreifens – ist der Behörde jedoch ein Ermessen eingeräumt. Das behördliche Ermessen wird dadurch beschränkt, dass es sich um „notwendige Schutzmaßnahmen“ handeln muss, nämlich Maßnahmen, die zur Verhinderung der (Weiter-) Verbreitung der Krankheit geboten sind. Der Begriff der „Schutzmaßnahmen“ ist umfassend und eröffnet der Infektionsschutzbehörde ein möglichst breites Spektrum an geeigneten Schutzmaßnahmen, welche durch die Notwendigkeit der Maßnahme im Einzelfall begrenzt wird. Schutzmaßnahmen sind nur erlaubt, soweit dies inhaltlich („soweit“) und zeitlich („solange“) erforderlich ist. Darüber hinaus sind dem Ermessen durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Grenzen gesetzt.
117Vgl. VG Regensburg, Beschluss vom 17. Juni 2020 - RO 14 S 20.1002 -, juris, Rn. 49.
118Ein Fall des Ermessensnichtgebrauchs liegt nicht vor. Der Beklagte hat das ihm nach dem Vorstehenden zustehende Auswahlermessen in sachlicher und adressatenbezogener Hinsicht als solches zutreffend erkannt und – wie sich aus der umfassenden Begründung der Ordnungsverfügung vom 00.00.0000 ergibt – auch betätigt.
119Auch liegt kein Fall der Ermessensüberschreitung vor. Die von § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG a. F. angeordnete Rechtsfolge der „notwendigen Maßnahmen“ erfasst nach ihrem weit gefassten Wortlaut auch die Schließung eines fleischverarbeitenden Betriebs. Der Beklagte hat die Betriebsschließung nebst Betretungsverbot insbesondere auch nur „solange und soweit es erforderlich (war)“ angeordnet. Denn er hat sie auf diejenigen Bereiche des klägerischen Betriebsstandorts in D1. und auf diejenigen Personenkreise beschränkt, die mit zuvor nachweislich positiv getesteten Mitarbeitern in Verbindung standen. So waren insbesondere Beschäftigte der Standortverwaltung, unter denen sich kein positiver Fall gefunden hatte, sowie der Geschäftsleitung, Techniker, Handwerker, Reinigungskräfte und Sicherheitskräfte vom Betretungsverbot ausgenommen. Die Schließungsdauer wurde ferner eng auf nur neun Tage begrenzt. Hiermit handelt es sich um einen knapp und insofern jedenfalls hinsichtlich der Belange der Klägerin angemessen erscheinenden Zeitraum, um einen vollständigen Überblick über das Infektionsgeschehen in der 1.200 Personen starken Belegschaft zu erlangen und Maßnahmen wie den am 00.00.0000 erstmals im Entwurf von der Klägerin vorgelegten und sodann von dem Beklagten überarbeiteten Pandemieplan zu entwickeln und zu implementieren, um dieses zu stoppen.
120Eine Ermessensfehleinschätzung in Gestalt eines Ermessensdefizits durch unzureichende Tatsachenaufklärung liegt ebenfalls nicht vor. Insoweit kann auf die oben stehenden Ausführungen zu den Voraussetzungen der Inanspruchnahme der Klägerin als Zustandsverantwortliche verwiesen werden. Das erhebliche, in zeitlicher Nähe drohende Schadensausmaß bei einer weiteren Verbreitung des SARS-CoV-2-Virus in und über den Betrieb der Klägerin hinaus führte dazu, dass der Beklagte im Entscheidungszeitpunkt – auf den es auch in diesem Zusammenhang ankommt – den Sachverhalt nicht weiter aufklären musste, sondern vom Vorliegen einer konkreten, vom Betrieb der Klägerin ausgehenden Gefahr ausgehen durfte. Insbesondere führt auch die Tatsache, dass der Beklagte seine Auswahlentscheidung ohne Kenntnis der in fleischverarbeitenden Betrieben typischerweise die Virusverbreitung begünstigenden, erst später bekannt gewordenen Umstände getroffen hat, nicht zu einem Ermessensdefizit, weil auch die dem Beklagten im Erlasszeitpunkt bereits bekannten Umstände die Auswahl der Klägerin als Zustandsverantwortliche selbständig tragen und die Annahme einer die Ermessensentscheidung tragenden Gefahr für die infektionsschutzrechtlichen Schutzgüter aus der maßgeblichen ex ante-Perspektive stützen (s. o.). Eine Aufklärung der vorgenannten Umstände wäre in der Kürze der Zeit zum damaligen Zeitpunkt zudem unmöglich gewesen; insoweit wird auf die oben stehenden Ausführungen Bezug genommen.
121Vgl. zu diesen Maßstäben Schenke, Polizei‑ und Ordnungsrecht, 7. Auflage 2011, Rn. 79a.
122Auch eine Ermessensfehleinschätzung in Gestalt eines Ermessensfehlgebrauchs liegt nicht vor. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass sich der Beklagte bei seiner Entscheidung von anderen Gesichtspunkten als der effektiven Abwehr einer Infektionsgefahr hätte leiten lassen. Auch der von der Klägerin angeführte Umstand, dass von Seiten des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes NRW schon im Laufe des Nachmittags am 00.00.0000 mitgeteilt worden sei, dass der Betrieb der Klägerin geschlossen werde, stützt nicht die Annahme eines Ermessensfehlgebrauchs. Es ist weder vorgetragen noch ergibt es sich aus der Begründung der Ordnungsverfügung oder den Gerichtsakten und Verwaltungsvorgängen, dass der Beklagte seiner Entscheidung andere Erwägungen zugrunde gelegt hätte als solche des Infektionsschutzes auf Grundlage des festgestellten Sachverhalts. Darüber hinaus tragen die festgestellten Tatsachen und die in der Ordnungsverfügung dargelegten Erwägungen – wie bereits ausgeführt – als solche selbständig die ordnungsbehördliche Entscheidung. Selbst wenn bei der behördeninternen Entscheidung ein politischer Druck mitgewirkt haben sollte, den Betrieb der Klägerin zu schließen, was angesichts der seinerzeit bestehenden angespannten Lage als nicht unvorstellbar erscheint, hätten sich derartige, nicht infektionsschutzrechtlich begründete Erwägungen nicht erkennbar auf den dokumentierten Entscheidungsvorgang ausgewirkt.
123bbb) Auch die Adressatenauswahl des Beklagten erweist sich als rechtmäßig. Hinsichtlich der Auswahl des Adressaten der Ordnungsverfügung räumt § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG a. F. dem Beklagten nach seinem Wortlaut, seiner Systematik und seinem Sinn und Zweck ein durch die allgemeinen Grundsätze der ordnungsrechtlichen Verantwortlichkeit begrenztes Auswahlermessen ein. Insoweit wird zunächst auf die oben stehenden Ausführungen zur Anwendbarkeit der §§ 17, 18 OBG NRW Bezug genommen.
124Das Ausmaß der rechtlichen Bindungen der Behörde bei der Auswahl unter mehreren in Betracht kommenden Verantwortlichen ist umstritten.
125Gewichtige Teile der Literatur vertreten die Auffassung, die Auswahl unter mehreren Verhaltens- oder Zustandsverantwortlichen zähle zu den seltenen Fällen des praktisch freien Ermessens: Gegen vereinzelte Versuche, der Ordnungsbehörde auch hier noch ein Prüf- und Entscheidungsprogramm bzw. eine Rangfolge der Inanspruchnahme vorzugeben, sei sie frei, an welchen von mehreren für eine Gefahr Verantwortlichen und zu ihrer Beseitigung rechtlich wie faktisch Fähigen sie sich hält. Dabei fungiere die Maxime von der Effektivität der Gefahrenabwehr als Grund wie als Grenze für diese Freistellung: Diese streite auf der einen Seite gegen eine Pflicht, zunächst eine womöglich unübersichtliche zivilrechtliche Verantwortungsteilung zu ermitteln, um die Inanspruchnahme dieser anzupassen. In umgekehrter Perspektive sei die Störerauswahl dann ermessensfehlerhaft, wenn die Ordnungsbehörde entweder aus sachfremden Gründen handle (persönliche Abneigung oder Ressentiment), einzig denjenigen Störer zur Beseitigung einer komplexen Gefahrenlage heranziehe, der erkennbar nur einen untergeordneten Verursachungsbeitrag geleistet habe, oder aber namentlich bekannte, leistungsfähige und gut greifbare Störer schone und stattdessen solche Verantwortliche belaste, die kaum oder nur hart an der Grenze der Verhältnismäßigkeit zur Gefahrenabwehr in der Lage seien.
126Vgl. Wittreck/Barczak, in: BeckOK PolR NRW, 19. Ed. 1.9.2021, OBG § 17 Rn. 32, unter Verweis auf Schoch, JURA 2012, 685; Kugelmann, PolR Kap. 8 Rn. 73 ff.; Haurand, NRWPolR 96 ff.; WHT, BWPolR § 5 Rn. 358 ff.; Kingreen/Poscher, POR § 9 Rn. 86 ff. m. w. N.
127Teilweise wird demgegenüber vertreten, unter mehreren nach den vorstehenden Grundsätzen als Adressaten in Betracht kommenden „konkurrierenden“ Verantwortlichen hätten die Ordnungsbehörden ihre Auswahl nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffen (§ 16 OBG, § 40 VwVfG). Das Auswahlermessen bedeute kein freies Belieben der Behörde; die verfassungsmäßige Bindung an die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Gleichbehandlung verböten jede Willkür. In Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips müsse die Behörde bei der Adressatenauswahl zunächst nach der Geeignetheit des Mittels, hier der Geeignetheit der Auswahl des konkret in Anspruch genommenen Verantwortlichen fragen. Auch die weiteren Schritte müssten sich von den Teilprinzipien des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes leiten lassen. Außer dem Grundsatz der Geeignetheit des Mittels seien also die Grundsätze der Erforderlichkeit, das heißt des mildesten, gleich effektiven Eingriffs, und der Angemessenheit, das heißt der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne zu beachten.
128Vgl. zu den vorstehenden Maßstäben Denninger, in: Lisken/Denninger PolR-HdB, D. Polizeiaufgaben Rn. 131 ff.
129Der Streit bedarf indes im vorliegenden Fall keiner Entscheidung. Denn auch unter Zugrundlegung der letzteren, das Ermessen der Behörde einschränkenden Auffassung, erweist sich die Auswahl der Klägerin als Adressatin der Maßnahme des Beklagten als rechtmäßig.
130Die Betriebsschließung war nach der maßgeblichen ex ante-Betrachtung – und, ohne dass es entscheidungserheblich darauf ankäme, auch rückblickend – geeignet, den mit der Maßnahme verfolgten Zweck, die Weiterverbreitung von SARS-CoV-2-Viren vom Betrieb der Klägerin aus zu verhindern, zu fördern, indem durch die Betriebsschließung Kontakte reduziert und mögliche Ansteckungswege in den Umkleiden, an den Schlacht‑ und Zerlegebändern mangels dauerhaft hinreichenden Abstands oder ggf. vermittelt über die Lüftungsanlage ausgeschlossen wurden. Ohne dass es entscheidungserheblich darauf ankäme, hat sich diese Einschätzung auch bewahrheitet. Im Anschluss an die neuntägige Betriebsschließung konnte das Infektionsgeschehen zunächst gestoppt und unter Kontrolle gebracht werden.
131Die Inanspruchnahme der Klägerin war auch erforderlich. Erforderlich ist eine Maßnahme dann, wenn sie das mildeste gleich effektive Mittel zur Zweckverfolgung ist. Bezogen auf die Konstellation einer Auswahl unter mehreren möglichen Verantwortlichen bedeutet dies, dass die Ordnungsbehörden grundsätzlich den Verantwortlichen auszuwählen haben, der die Gefahr mit dem für sich vergleichsweise geringsten Aufwand gleichermaßen effektiv beseitigen kann. Nach diesen Maßstäben hat der Beklagte seine Maßnahme zurecht gegen die Klägerin als Betriebsinhaberin und nicht gegen eine oder mehrere andere Personen gerichtet.
132Eine Inanspruchnahme aller potentiellen Kranken, Krankheitsverdächtigen oder Ansteckungsverdächtigen im Sinne des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG a. F., mithin der Mitarbeiter der Werkvertragspartner (Subunternehmer) der Klägerin, wäre im Entscheidungszeitpunkt zwar nicht gänzlich unmöglich, aber jedenfalls nicht gleich effektiv gewesen. So ist bereits unklar, wie der Beklagte die erforderliche große Anzahl an Verfügungen gegen alle potentiell zum Kreis der Kranken, Krankheitsverdächtigen oder Ansteckungsverdächtigen zählenden Personen vor Beginn der nächsten Schicht am Morgen des 00.00.0000, 3.00 Uhr, hätte bekannt geben sollen. Zwar hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin in der mündlichen Verhandlung die Möglichkeit angesprochen, Verwaltungsakte formlos, etwa mündlich am Werkstor, zu erlassen, indem am Drehkreuz des Werkseingangs gegenüber allen erscheinenden Mitarbeitern der Subunternehmer der Klägerin, die weder genesen noch ggf. negativ getestet gewesen wären, ein Betretungsverbot hätte ausgesprochen werden können. Es ist jedoch schon verwaltungspraktisch nicht erkennbar, wie der Beklagte zu diesem Zeitpunkt – ohne hinreichende Vorbereitungszeit – genesene oder negativ getestete Mitarbeiter von anderen Mitarbeitern hätte unterscheiden können. Vielmehr erscheint ein solches Unterfangen als höchst fehleranfällig und mithin nicht in gleicher Weise geeignet, das Infektionsgeschehen im Betrieb der Klägerin zu stoppen, wie die zeitweise Schließung der von positiven Fällen betroffenen Betriebsteile. Hierbei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass zwischen den Beamten des Beklagten und den betroffenen Mitarbeitern der Subunternehmer der Klägerin mit Verständigungsschwierigkeiten zu rechnen war, da diese ganz überwiegend aus Osteuropa, insbesondere Rumänien, stammten. Außerdem waren zum damaligen Zeitpunkt noch keine Systeme wie der europäische digitale Impf‑ und Genesungsnachweis entwickelt, geschweige denn etabliert, um etwa eine Genesung oder einen negativen PCR-Test am Werkstor mit der erforderlichen Verlässlichkeit nachzuweisen.
133Ferner wäre auch eine – unterstellte – fehlerfreie Differenzierung zwischen Genesenen (und ggf. negativ Getesteten) einerseits und allen anderen Arbeitnehmern andererseits nach den damals verfügbaren Kenntnissen (ex ante) nicht vergleichbar effektiv gewesen.
134Insoweit ist zunächst zu berücksichtigen, dass auch negative PCR-Tests nur eine Momentaufnahme darstellen und zudem negativ ausfallen können, etwa im Falle einer qualitativ schlechten Probenentnahme, wie sie insbesondere bei Massentestungen immer vorkommen kann, oder wenn bereits eine unterschwellige Infektion besteht und der Patient binnen kurzer Zeit infektiös wird.
135Vgl. https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Vorl_Testung_nCoV.html;jsessionid=2CE60D2903FBDDAAC67D45CF615B1C38.internet062?nn=13490888#doc13490982bodyText10, siehe Stichpunkte „Testung prä‑ und asymptomatischer Personen“ sowie „Sensitivität“ (zuletzt abgerufen am 27. September 2021).
136Bei Fortführung des Betriebs unter Einsatz genesener, negativ getesteter Personen oder gar Personen, deren Testergebnis nicht vorlag, wäre daher aus Sicht des Beklagten zu erwarten gewesen, dass sich weitere, bislang als nicht infiziert geltende Personen infizieren und das Virus weitertragen würden. Dies gilt – wie bereits ausgeführt – auch mit Blick auf bereits genesene Personen. Denn auch insoweit kommt es auf eine ex-ante-Betrachtung aus dem Blickwinkel der entscheidenden Behörde zum Entscheidungszeitpunkt an. Zum Erlasszeitpunkt der Ordnungsverfügung war jedoch noch nicht bekannt, ob eine überstandene Covid19-Erkrankung zu einer die Weiterverbreitung des SARS-CoV-2-Virus hemmenden Immunität führt oder nicht. Noch heute sind in diesem Zusammenhang viele Fragen offen.
137Vgl. https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief.html;jsessionid=BC786947994480317ED4AC8FA8211F35.internet071?nn=13490888#doc13776792bodyText18 (zuletzt abgerufen am 27. September 2021).
138Gleiches gilt für die von der Klägerin angesprochene Möglichkeit, ihre Werkvertragspartner, bei denen die im Betrieb der Beklagten tätigen Mitarbeiter angestellt sind, in Anspruch zu nehmen. Auf die Frage, ob diese nach dem damaligen Kenntnisstand des Beklagten mit Blick auf die Übertragungswahrscheinlichkeit in den Unterkünften oder beim Transport ebenfalls als ordnungsrechtlich verantwortlich nach §§ 17, 18 OBG NRW hätten eingeordnet werden können, kommt es insoweit nicht entscheidungserheblich an. Dies kann vielmehr unterstellt werden.
139Insoweit stellte sich zunächst schon die Frage, welchen Inhalt Verfügungen des Beklagten gegenüber den Werkvertragspartnern der Klägerin hätten haben können. Dies wird von der Klägerin in ihren Einwendungen offen gelassen. Jedoch dürften insbesondere Anordnungen betreffend die Gruppenunterkünfte mit dem Ziel der Reduktion von Kontakten und der Einhaltung von Mindestabständen sowie hygienischer Art in Betracht kommen sowie Anordnungen gegenüber den Werkvertragspartnern, ihre Arbeitnehmer anzuweisen, den Betrieb der Klägerin nicht mehr zur Arbeit aufzusuchen. Andere Einwirkungsmöglichkeiten der Werkvertragspartner sind nicht erkennbar.
140Diese Maßnahmen wären jedoch ex ante aus Sicht des Beklagten ebenfalls weniger effektiv gewesen als die zeitweise Schließung des klägerischen Betriebs. So war für den Beklagten im Entscheidungszeitpunkt – und ist es aus Sicht des erkennenden Gerichts auch nach der mündlichen Verhandlung bis heute – nicht erkennbar, wie eine maßgebliche Änderung der infektionsrelevanten Bedingungen in den Gruppenunterkünften flächendeckend und in vergleichbar kurzer Zeit wie die erlassene Ordnungsverfügung (quasi über Nacht) hätte umgesetzt werden sollen. Eine für diese Zwecke wohl unentbehrliche Verteilung der Arbeitnehmer auf mehr Unterkünfte stellte sich nicht als trivial dar. Die Klägerin hatte ausweislich der Verwaltungsvorgänge vielmehr bereits im Vorfeld der Ordnungsverfügung erhebliche Schwierigkeiten, nur die bereits erkrankten Mitarbeiter ihrer Subunternehmer getrennt von den noch nicht Erkrankten in einem Tagungshotel unterzubringen und bedurfte hierzu der Hilfe des Beklagten. Wie in der Nacht vom 00.00.00 auf den 00.00.0000 die gesamte Belegschaft – oder zumindest, mit dem Zweck einer infektionsschutzmäßig wirksamen Entzerrung der Unterbringung – große Teile der Belegschaft in andere Unterkünfte hätten verlegt werden sollen, war und ist nicht erkennbar.
141Auch die Verbesserung der hygienischen Standards in den Unterkünften hätte erwartbar erheblichen Verwaltungsaufwand, schon angesichts der Anzahl der Unterkünfte, ihrer Lage nicht ausschließlich im Zuständigkeitsbereich des Beklagten, sondern etwa auch im Kreis X3. , und bestehender Sprachbarrieren erhebliche organisatorische Schwierigkeiten und – da es sich um den von Art. 13 GG geschützten Wohnraum der Arbeitnehmer handelt, in den von staatlicher Seite nur in engen Grenzen eingegriffen werden kann – zwangsläufig das erhebliche Risiko weitreichender Vollzugsdefizite bedeutet.
142Eine bloße Anordnung, die eigenen Arbeitnehmer anzuweisen, nicht im Betrieb der Klägerin zur Arbeit zu erscheinen, wäre demgegenüber zwar grundsätzlich möglich gewesen, hätte aber dieselben Auswahlschwierigkeiten aufgeworfen wie hinsichtlich der einzelnen betroffenen Arbeitnehmer. Auch hier wäre zudem in der Nacht vom 00 auf den 00.00.0000 eine Mehrzahl von Verfügungen an unterschiedliche Adressaten nötig gewesen. Es war aus Sicht der Beklagten nicht anzunehmen, dass derartige Verfügungen die Werkvertragspartner der Klägerin so rechtzeitig erreicht hätten, dass diese in der Lage gewesen wären, ihre Mitarbeiter innerhalb der verbleibenden weniger als zwei Stunden vor Schichtbeginn – ausgehend vom Zustellungszeitpunkt der streitgegenständlichen Ordnungsverfügung, wenn eine Mehrzahl an Verfügungen an unterschiedliche Adressaten ebenso schnell hätte gefertigt werden können – darüber zu informieren, dass sie nicht zur Arbeit erscheinen sollten.
143Darüber hinaus hätte dies keine gegenüber der zeitweisen Betriebsschließung mildere Maßnahme dargestellt. Denn derartige Verfügungen gegenüber den Werkvertragspartnern der Klägerin hätten notwendig bezogen auf alle im klägerischen Betrieb eingesetzten Mitarbeiter ergehen müssen, weil eine effektive Differenzierung zwischen erkrankten, genesenen und nicht erkrankten Personen bis zum Schichtbeginn um 3.00 Uhr morgens am 00.00.0000 auch bei diesem Vorgehen nicht möglich gewesen wäre. Im Ergebnis hätte der Betrieb der Klägerin auch dann nicht aufgenommen werden können. Soweit ersichtlich wäre der einzige Unterschied die Möglichkeit eines Schadensersatzanspruchs der Klägerin gegenüber ihren Werkvertragspartnern gewesen. Für jene jedoch wäre die Anordnung, allen Arbeitnehmern zu untersagen, zur Arbeit bei der Klägerin zu erscheinen, ebenfalls einer Betriebsschließung gleichgekommen, die zudem – wie aus zahlreichen Entschädigungsklagen in vergleichbaren Konstellationen bei Gericht bekannt ist – eine existenzielle Gefahr für die Werkvertragspartner der Klägerin hätten darstellen können, zumal in Ermangelung von Absonderungsverfügungen gegen die Arbeitnehmer keine Entschädigung nach dem Infektionsschutzgesetz in Betracht gekommen wäre, sondern voraussichtlich ein Fall des arbeitgeberischen Annahmeverzugs bei fortbestehender Lohnzahlungspflicht vorgelegen hätte. Demgegenüber ist bei der Klägerin jedenfalls eine existenzielle wirtschaftliche Gefahr durch die Betriebsschließung – soweit vorgetragen und ersichtlich – nicht eingetreten.
144Auch eine Kombination des Vorgehens gegen die Werkvertragspartner der Klägerin und gegen deren – von ihren Arbeitgebern nicht rechtzeitig informierten – Mitarbeiter am Werkstor wäre bei dem Versuch einer Binnendifferenzierung zwischen Genesenen und negativ Getesteten und allen anderen, zumal ohne hinreichende Vorbereitung auch auf die Sprachbarrieren, fehleranfällig und dementsprechend nicht gleich effektiv gewesen. Ohne Differenzierung zwischen Genesenen, negativ Getesteten und den übrigen Mitarbeitern wäre sie ebenfalls nicht milder ausgefallen, da der Betrieb der Klägerin sodann dennoch faktisch zum Stillstand gekommen wäre.
145Die Adressatenauswahl des Beklagten war auch verhältnismäßig im engeren Sinne. Sie diente dem effektiven Schutz der vom Infektionsschutzgesetz geschützten Rechtsgüter der Volksgesundheit (Freiheit des Bundesgebiets von übertragbaren Krankheiten, vgl. § 1 Abs. 1 IfSG) sowie der Gesundheit, der körperlichen Unversehrtheit und des Lebens von Menschen und zwar nicht nur der Mitarbeiter der Klägerin, sondern auch der anderen Menschen im Kreis D1. und darüber hinaus (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG). Dem standen die Berufsfreiheit der Klägerin (Art. 12, 19 Abs. 3 GG) und ihr aus dem Eigentumsrecht folgendes Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb (Art. 14, 19 Abs. 3 GG) gegenüber. Die Gefahr für die zu schützenden Rechtsgüter war aufgrund der vergleichsweise hohen Verbreitungsgeschwindigkeit von SARS-CoV-2, der aus diesem Grund nach wie vor im Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung ernsthaft drohenden Möglichkeit einer Überlastung des Gesundheitswesens, der noch nicht hinreichend entwickelten Behandlungsmöglichkeiten schwerer Covid19-Fälle und aufgrund der noch fehlenden Schutzimpfung als sehr schwerwiegend einzustufen. Darüber hinaus war zu berücksichtigen, dass jedes Zuwarten bei einer höheren Verbreitung des Virus‘ zu umfassenden Grundrechtseingriffen in weiten Bevölkerungsteilen des Kreisgebiets hätte führen müssen, wenn das Virus aus dem noch verfolgbaren Umfeld der Belegschaft der Klägerin bei alltäglichen Verrichtungen wie dem Einkaufen oder bei Arztbesuchen in die übrige Bevölkerung des Kreises D1. übergesprungen, bzw. „eingesickert“ wäre. Die dem gegenüberstehende Schließung des klägerischen Betriebs für neun Tage stellt nach alledem auch eingedenk der hierdurch der Klägerin entstandenen wirtschaftlichen Einbußen eine angemessene Maßnahme der Gefahrenabwehr dar. Das Risiko mit derartigen Eingriffen verbundener wirtschaftlicher Schäden aufgrund veränderter Umstände in der Außenwelt wie dem Auftreten eines ansteckenden Virus‘ hat die Klägerin als Betriebsrisiko, das dem allgemeinen (unternehmerischen) Lebensrisiko zuzuordnen ist, zu tragen, zumal auch ex ante keine existenzielle Gefährdung des klägerischen Betriebs zu erwarten war.
146ccc) Die streitgegenständliche Ordnungsverfügung war auch im Übrigen verhältnismäßig, insbesondere angemessen.
147Sie verfolgte ersichtlich einen legitimen Zweck. Die Corona-Pandemie begründet eine ernstzunehmende Gefahrensituation, die staatliches Einschreiten nicht nur rechtfertigt, sondern mit Blick auf die Schutzpflicht des Staates gebietet.
148Vgl. BVerfG, Urteil vom 28. Januar 1992 - 1 BvR 1025/82 u. a. - , juris, Rn. 69, m. w. N.
149Auch wenn sich der Reproduktionsfaktor R sowie die absolute Zahl der täglichen Neuinfektionen zum Zeitpunkt der Ordnungsverfügung reduziert hatten, war – wie das Gericht in seinem Eilbeschluss vom 9. Mai 2020,
150vgl. VG N. , Beschluss vom 9. Mai 2020, - 5 L 400/20 -,
151unter Bezugnahme auf die damalige Pandemielage ausgeführt hat, ohne wirksame Gegenmaßnahmen eine massive Überlastung des Gesundheitswesens immer noch konkret zu befürchten mit der Folge, dass aus Kapazitätsgründen nicht mehr alle Patienten, die eine intensivmedizinische Behandlung benötigt hätten (insbesondere auch die zahlreichen Patienten, die eine Behandlung nicht wegen einer schweren Erkrankung an Covid19 dringend benötigt hätten), hätten ausreichend versorgt werden können. Hierbei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass zum Zeitpunkt des Erlasses der Ordnungsverfügung noch keine Impfung gegen Covid19 zur Verfügung stand.
152Vgl. im zugehörigen Eilverfahren VG N. , Beschluss vom 9. Mai 2020 - 5 L 400/20 -, juris m. w. N. zum Kenntnisstand im Entscheidungszeitpunkt.
153Dass diese Einschätzung zum damaligen Zeitpunkt nicht nur prognostisch aus einer ex ante-Perspektive gerechtfertigt war – was bereits ausreichen würde – sondern auch inhaltlich zutreffend, zeigte sich im auf die streitgegenständliche Ordnungsverfügung folgenden Herbst und Winter 2020/2021 vor Beginn der Impfkampagne mit erneut rapide steigenden und zuvor unbekannte Ausmaße annehmenden Infektionszahlen im Zuge der sog. zweiten und dritten Welle.
154Vgl. Dashboard des Robert-Koch-Instituts, https://experience.arcgis.com/experience/478220a4c454480e823b17327b2bf1d4 (zuletzt abgerufen am: 24. September 2021).
155Die Maßnahme war – wie oben bereits ausgeführt – auch geeignet, diesen Zweck zu fördern.
156Sie war auch in der Sache erforderlich, da mildere, aber gleichermaßen effektive Mittel nicht ersichtlich waren. Dies gilt auch für eine Kombination aller von der Klägerin vorgeschlagenen Einzelmaßnahmen und der Arbeitsquarantäne, einer Hygieneschulung, strengerer Abstands‑ und Maskenregeln etc. Mit ca. 48% der zum Erlasszeitpunkt vorliegenden Testergebnisse hatte die Durchseuchungsrate in den von der Schließung betroffenen Betriebsteilen ein so hohes Maß erreicht, dass eine Aufrechterhaltung des Betriebs, auch (angesichts der Anzahl von mehreren hundert Mitarbeitern und der bestehenden Sprachbarrieren in lebensferner Weise zugunsten der Klägerin) unterstellt, alle Maßnahmen einschließlich der Arbeitsquarantäne hätten unverzüglich und vollständig fehlerfrei umgesetzt werden können, keine der sofortigen Betriebsschließung gleichwertige Wirksamkeit entfaltet hätte. Insoweit ist zunächst auf die obigen Ausführungen zur Adressatenauswahl – insbesondere betreffend die Aussagekraft von negativen PCR-Testergebnissen und die Fehleranfälligkeit der Differenzierung – zu verweisen.
157Zu berücksichtigen ist ferner, dass es gerade Konzept der Arbeitsquarantäne ist, dass Kontaktpersonen der Kategorie I, die ansteckungsverdächtig sind und grundsätzlich infektionsschutzrechtlich abgesondert werden sollen (vgl. etwa § 17 Corona-Test-und-Quarantäneverordnung – CoronaTestQuarantäneVO – NRW vom 8. April 2021), miteinander trotz der hierbei bestehenden erhöhten Infektionsgefahr weiterarbeiten, Kontakte zwischen Ansteckungsverdächtigen also gerade nicht unterbunden, sondern – unter bestimmten Einschränkungen – zugelassen werden. Für bestimmte – in besonderer Weise systemrelevante – Einrichtungen, insbesondere Krankenhäuser, handelt es sich bei der Arbeitsquarantäne um die einzige Möglichkeit, den zwingend notwendigen Versorgungsbetrieb unter Inkaufnahme eines Sonderopfers des die Arbeitsquarantäne durchführenden Fachpersonals, dessen erhöhtes Infektionsrisiko bewusst in Kauf genommen wird, aufrecht zu erhalten. Derartige Maßnahmen betreffen naturgemäß in erster Linie Einrichtungen der medizinischen Versorgung. In Rechnung gestellt ist hierbei, dass es sich bei den die Arbeitsquarantäne durchführenden Personen in der Regel um medizinisches Fachpersonal handelt, das in besonderer Weise für diese anspruchsvolle Form des Infektionsschutzes bei weiterlaufendem Betrieb geschult ist, nämlich im Umgang mit Infektionsbarrieren (Masken, Schutzkleidung etc.) sowie im Erkennen möglicher Krankheitszeichen, die im Regelfall zu einer Isolation aus der Arbeitsquarantäne heraus führen. Weder liegen all diese Voraussetzungen im Falle der im Betrieb der Klägerin tätigen Personen vor, noch hat der Betrieb der Klägerin eine etwa mit einem Covid19-Patienten versorgenden Krankenhaus vergleichbare sog. Systemrelevanz. Ohnehin würde es sich bei der Anordnung von Arbeitsquarantäne anstelle einer Betriebsschließung nach dem Vorstehenden – wie auf der Hand liegt – nicht um ein gleich effektives milderes Mittel handeln, sondern um ein weniger effektives Mittel, das aus bestimmten Gründen, wie der zwingend notwendigen Gewährleistung der Versorgung insbesondere an Covid19 Erkrankter, von behördlicher Seite für geboten angesehen wird.
158Auch die von der Klägerin angeführten Maßnahmen des Amtes für Arbeitsschutz der Bezirksregierung wären weniger effektiv gewesen als die Schließung des Betriebs. Die Entzerrung von Umkleidevorgängen, oder das Anordnen des Tragens von FFP2-Masken an den Zerlegebändern stellen allenfalls ergänzende, die Infektionsgefahr senkende Maßnahmen dar, führen aber im Gegensatz zur Schließung des Betriebs nicht zu einer Unterbindung nahezu aller betriebsbedingten Kontakte und einem mit dieser Maßnahme verbundenen weitgehenden Ausschluss der Virenübertragung im Betrieb der Klägerin.
159Die Ordnungsverfügung war auch angemessen. Auf die zutreffenden Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid wird gemäß § 117 Abs. 5 VwGO Bezug genommen. Insbesondere stand der mit der streitgegenständlichen Verfügung verbundene Eingriff in die Grundrechte der Klägerin aus Art. 12 Abs. 1, Art. 14 GG, Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 19 Abs. 3 GG in Form einer auf neun Tage beschränkten teilweisen Schließung eines Betriebsstandorts der Klägerin nicht außer Verhältnis zu dem verfolgten Zweck, die körperliche Unversehrtheit, die Gesundheit und das Leben einer potentiell unüberschaubar großen Zahl von Menschen und nicht zuletzt der überwiegend betroffenen rumänischen Arbeitnehmer sowie die Volksgesundheit bzw. die Freiheit des Bundesgebiets von übertragbaren Krankheiten (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) zu schützen. Auch insoweit ist auf die obigen Ausführungen zur Adressatenauswahl Bezug zu nehmen. Darüber hinaus hat der Beklagte durch Ausnahmen vom Betretungsverbot auch für die übrigen Mitarbeiter innerhalb einer angemessenen Frist von ca. zwei Arbeitstagen (bis zum 00.00.0000, 18.00 Uhr) den Abtransport der bis zum 00.00.0000 geschlachteten Tiere sowie die Entsorgung von Schlachtabfällen und Konfiskaten unter Einhaltung der Hygiene‑ und Abstandsregeln des Robert-Koch-Instituts gestattet und hiermit die dringlichen und berechtigten unternehmerischen Belange der Klägerin als Betriebsinhaberin angemessen berücksichtigt.
160Auch soweit die Klägerin anführt, sie habe sich zum damaligen Zeitpunkt an alle Hygieneempfehlungen des Robert-Koch-Instituts gehalten, führt dies nicht zur Unangemessenheit der Maßnahme. Am 00.00.0000 war in ihrem Betrieb auch ungeachtet der konkreten Übertragungswege bei einer bereits bestehenden positiven Testquote von 48% im Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung von einer erheblich höheren Infektionsgefahr als im übrigen Bundesgebiet oder Betrieben, die nicht von einem konkreten Ausbruchsgeschehen dieses Ausmaßes betroffen waren, auszugehen (zum Vergleich der Infektionsraten 00.00.0000 im Betrieb der Klägerin: 205 Infizierte von etwa 1.200 Beschäftigten; im Stadtgebiet D1. 106 Personen von über 35.000 Einwohnern; im Stadtgebiet N. : 16 Personen von über 300.000 Einwohnern). Die von der Klägerin angeführten Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts waren für eine solche Sachlage ersichtlich nicht ausgelegt und hatten – dies sei nur ergänzend angemerkt – für den Beklagten auch keine Bindungswirkung.
161Aus dem von der Klägerin im zugehörigen Eilverfahren zitierten und von ihr auch zum Gegenstand des Verfahrens in der Hauptsache gemachten Erlass des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales vom 00.00.0000 ergibt sich nichts Abweichendes. Er erfasst ersichtlich nicht den hier vorliegenden Fall, dass aufgrund einer auffällig hohen Infektionszahl die vorübergehende Teilschließung eines Schlachtbetriebs angezeigt ist, sondern beschäftigt sich lediglich mit der Möglichkeit eines zügigen Wiedereinsatzes der Kontaktpersonen der Kategorie I.
162Ob es für die Klägerin aufgrund der in den Medien bekannt gewordenen Teilbetriebsschließung über den ihr bereits zum Imagenachteil gereichenden Umstand eines unkontrollierten Ausbruchs von Covid19 in ihrem Betrieb hinaus zu einem (weitergehenden) Imageschaden gekommen ist, muss im Übrigen nicht aufgeklärt werden – sofern dies überhaupt möglich wäre. Denn dieser Belang ist infektionsschutzrechtlich irrelevant. Hinter den berechtigten grundrechtlich geschützten Interessen der bei der Klägerin Beschäftigten und der Bevölkerung im Übrigen hat er jedenfalls zurückzutreten.
163Auf die wirtschaftlichen Belange der Schweineproduzenten kann sich die Klägerin nicht berufen; hierdurch sind ihre eigenen rechtlichen Belange nicht betroffen.
164Die von der Klägerin auch im Hauptsacheverfahren betonten Umstände des Tierwohls – T1. , die für die Schlachtung vorgesehen seien, müssten in einer bestimmten Zeit auch tatsächlich der Schlachtung zugeführt werden – sind zum einen keine rechtlich relevanten Belange der Klägerin; zum anderen war dem Tierwohl ungeachtet der Frage, inwieweit dieser Einwand in der Sache überhaupt belastbar ist, auf andere Weise als durch eine Fortführung des Teilbetriebs in D1. bei gleichzeitig auffällig hoher Infektionsrate Rechnung zu tragen.
165d) Nach der vorstehenden rechtlichen Bewertung war den in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisanträgen nicht nachzugehen, weil diese im Sinne des § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO, der auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren Anwendung findet,
166vgl. BVerwG, Beschluss vom 29. Juli 2015 - 8 B 75.14 -, juris, Rn. 26 m. w. N.,
167unerheblich für die Entscheidung des Rechtsstreits waren. Denn die unter Beweis gestellten Tatsachen können als wahr unterstellt werden, ohne dass sich hierdurch an der oben stehenden Beurteilung im Ergebnis etwas ändert. Auch bei Wahrunterstellung der unter Beweis gestellten Tatsachen ist die Klage nach dem Vorstehenden zulässig, aber unbegründet. Insbesondere erweist sich die Ordnungsverfügung des Beklagten auch unter Berücksichtigung der als wahr unterstellten Tatsachen als rechtmäßig.
168aa) Der Antrag zum Beweis der Tatsache, dass die Mitarbeiter der Klägerin schon am 00.00.0000 verpflichtet waren, einen Mund-Nasen-Schutz ausnahmslos vom Betreten des Werksgeländes bis zu dessen Verlassen zu tragen, Zeugen zu vernehmen und Kopien der Aushänge im Betrieb vorzulegen, ist entscheidungsunerheblich, § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO.
169Auch eine solche Verpflichtung vermag an dem vom Beklagten im Betrieb der Klägerin festgestellten Ausbruchsgeschehen nichts zu ändern. Insbesondere erweist sich die Ordnungsverfügung vom 00.00.0000 auch vor diesem Hintergrund nicht als unverhältnismäßig; zur Begründung wird auf die obigen Ausführungen zur Angemessenheit der Verfügung verwiesen.
170bb) Der Antrag zum Beweis der Tatsache, dass die von der Klägerin schriftsätzlich im Einzelnen aufgeführten Schutzmaßnahmen tatsächlich getroffen und auch gelebt wurden, Zeugen zu vernehmen, ist entscheidungsunerheblich, § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO.
171Ungeachtet der genannten Infektionsschutzmaßnahmen stellte der Beklagte das beschriebene Ausbruchsgeschehen im Betrieb der Klägerin fest. Auch die Einhaltung und Durchsetzung der im einzelnen beschriebenen Tatsachen genügt – schon aufgrund der damaligen Informationslage – nicht, um anzunehmen, dass der Beklagte aufgrund der ihm vorliegenden Informationen nicht darauf hätte schließen dürfen, dass die Infektionsgefahr vom Betrieb der Klägerin ausging. Denn neben der Tatsache, dass in den ersten Durchgängen bis zum 00.00.0000 alle positiven Tests Personen betrafen, die in den sodann geschlossenen Bereichen des Betriebs der Klägerin tätig waren, verblieben die Informationen, die dem Beklagten vom Amt für Arbeitsschutz der Bezirksregierung N. übermittelt worden waren, und auf die sie – ungeachtet der Frage, ob sich diese ex post vollumfänglich als zutreffend herausgestellt hätten – rechtsfehlerfrei und ohne eine Pflicht zur weiteren Sachaufklärung zu verletzen, ihre Entscheidung stützen durfte. Insoweit wird auf die obigen Ausführungen zur Inanspruchnahme der Klägerin als Zustandsverantwortliche gemäß § 18 OBG NRW Bezug genommen. Auch unter Berücksichtigung der beschriebenen Infektionsschutzmaßnahmen im Betrieb der Klägerin hätte sich die Betriebsschließung nicht als unverhältnismäßiges Mittel dargestellt; insoweit wird auf die obigen Ausführungen zur Angemessenheit der Ordnungsverfügung mit Blick auf die Adressatenauswahl sowie in sachlicher Hinsicht Bezug genommen.
172cc) Der Antrag zum Beweis der Tatsache, dass fortlaufende Dokumentationen der Neuinfektionen geführt wurden und Infizierte sowie Kontaktpersonen unverzüglich in häusliche Quarantäne gesandt wurden, Zeugen zu vernehmen, ist entscheidungsunerheblich, § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO.
173Eine fortlaufende Dokumentation sowie Durchsetzung von Quarantäne ändert nichts an den festgestellten erheblichen Infektionszahlen. Auch bei Wahrunterstellung der Tatsache musste der Beklagte im Entscheidungszeitpunkt davon ausgehen, dass diese Maßnahmen nicht ausreichten, um den Ausbruch zu stoppen. Er musste nach den damals vorliegenden Erkenntnissen auch unter Berücksichtigung der Dokumentation und Quarantänevorkehrungen der Klägerin davon ausgehen, dass sich das erhebliche Infektionsgeschehen weiter beschleunigen würde. Insbesondere kann auch die Wahrunterstellung der fortlaufenden Dokumentation und Quarantänisierung nichts daran ändern, dass aus Sicht des Beklagten nach den im Entscheidungszeitpunkt zur Verfügung stehenden Informationen aufgrund einer besonnenen und pflichtgemäßen Lagebeurteilung davon auszugehen war, dass die Infektionsgefahr vom Betrieb der Klägerin ausging und Maßnahmen als Zustandsverantwortliche gegen diese gerichtet werden konnten. Es hätte sodann aufgrund der Infektionszahlen vielmehr der Eindruck entstehen müssen, dass diese Maßnahmen nicht ausreichten.
174dd) Der Antrag zum Beweis der Tatsache, dass die Schließung des Betriebs zu Tierleid geführt und die Gefahr von Versorgungsengpässen begründet hat, einen Presseartikel vorzulegen sowie ein Sachverständigengutachten einzuholen, ist ebenfalls unerheblich, § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO.
175Auch bei Wahrunterstellung der Tatsache, dass die Maßnahme zu Tierleid geführt hat, überwiegt demgegenüber auf Ebene der Verhältnismäßigkeit die erhebliche Gefahr für die körperliche Unversehrtheit, Gesundheit und das Leben einer unüberschaubar großen Zahl von Menschen (Art. 2 Abs. 2 GG). Zwar ist der Schutzbereich des Art. 20a GG durch die Verfassungsnovelle aus dem Jahr 2002 auch auf den Schutz einzelner „konkreter“ Tiere oder Gruppen von Tieren vor vermeidbarem Leid erstreckt worden,
176vgl. Scholz, in: Maunz/Dürig, 94. EL Januar 2021, GG Art. 20a Rn. 69.
177Dies führt jedoch nicht dazu, dass gegenüber dem verursachten Tierleid die sehr hochrangigen Zwecke des Infektionsschutzes vor gefährlichen und ansteckenden, sich schnell verbreitenden Krankheiten zurückstehen müssten. Diesen ist vielmehr weiterhin der Vorrang einzuräumen, das verursachte Tierleid gegebenenfalls durch Ausweichen auf andere Schlachtkapazitäten der Klägerin oder ihrer Konkurrenten oder durch Unterbringung der Tiere gegen Entgelt auf Weideplätzen im ländlichen Bereich zu begrenzen.
178Der von der Klägerin angesprochene Konflikt zwischen dem Infektionsschutz und dem Tierschutz würde sich auch bei jeder anderen vorübergehenden Betriebsstörung seitens der Klägerin realisieren, weil es zwangsläufige Konsequenz der ökonomisch optimierten Verfahrensweise in Massenaufzucht, Schlachtung und Verarbeitung mit ihrer auf den Tag genauen engen Taktung und ständigen Auslastung aller Kapazitäten ist. Soweit bei Wahrunterstellung der unter Beweis gestellten Tatsache dieser Konflikt als bestehend anzusehen ist, wäre er durch eine Umstrukturierung des Wirtschaftszweigs, in dem die Klägerin tätig ist, zu beheben und nicht dadurch, jedwede berechtigten Belange – des Infektionsschutzes oder anderer Art, etwa des Arbeitsschutzes im Falle technischer Störungen im Betrieb der Klägerin, Arbeitskräftemangel o. Ä. – gegenüber der fortlaufenden Schlachtung und Verarbeitung der Tiere hintanzustellen.
179Auch bei Wahrunterstellung der Tatsache, dass die Maßnahme die Gefahr von Versorgungsengpässen begründet hat, ergibt sich für den vorliegenden Rechtsstreit nichts Abweichendes. Im Interesse des Schutzes der Bevölkerung vor gefährlichen übertragbaren Krankheiten sind jedenfalls auch vorübergehende Engpässe bei der Versorgung der Bevölkerung mit bestimmten Nahrungsmitteln wie verarbeitetem Schweinefleisch gegenüber einer möglichen massiven Ausbreitung mit nach damaligem Wissensstand und damaligen Behandlungsmöglichkeiten erwartbaren schweren Verläufen und Todesfällen hinzunehmen. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass der Betrieb der Klägerin für sich allein genommen nicht in ähnlicher Weise systemrelevant ist wie etwa ein Krankenhaus mit Behandlungskapazitäten für an Covid19 erkrankte Personen, weil er sich in einem Kontext der Überproduktion von Nahrungsmitteln insgesamt auf dem europäischen Kontinent bewegt. Vor diesem Hintergrund können auch Versorgungsengpässe in einem Zweig der Nahrungsmittelproduktion – hier Schweinefleisch – nicht zu Versorgungslücken führen, die in ihrer Schwere wegen möglichen existenziellen Nahrungsmangels und der Gefahr einer regelrechten Unterversorgung der Bevölkerung mit notwendigen Nahrungsmitteln ein Gewicht erreichen, dass die Hinnahme stark vermehrter Covid19-Erkrankungsfälle rechtfertigen würde, sondern auf der Ebene vorübergehender Unannehmlichkeiten durch leere Fächer in deutschen (und zu einem erheblichen Teil ausländischen, insbesondere chinesischen,
180vgl. https://www.zeit.de/wirtschaft/2020-09/fleischindustrie-schweinefleisch-export-deutschland-china-importstopp-fleisch, zuletzt abgerufen am 27. September 2021),
181Supermärkten angesiedelt sind.
182ee) Der Antrag zum Beweis der Tatsache, dass die Klägerin die Arbeitsquarantäne in der Besprechung am 00.00.0000 nicht abgelehnt hat, ein Gesprächsprotokoll vorzulegen sowie Zeugen zu vernehmen, ist unerheblich, § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO.
183Ob die Klägerin Maßnahmen der Arbeitsquarantäne, die als hoheitliche Maßnahmen einseitig verpflichtend vom Beklagten hätten verhängt werden können, in der Besprechung zwischen ihren Mitarbeitern und Vertretern des Beklagten am 00.00.0000 nicht abgelehnt hat, vermag sich auf das Auswahlermessen des Beklagten nicht auszuwirken. Auch bei Wahrunterstellung der Nichtablehnung durch die Klägerin erweist sich die zeitweise Betriebsschließung als effektiver zum Zwecke des Infektionsschutzes, da auf diese Weise Fehler bei der Auffindung und Isolierung von Kontaktpersonen und Erkrankten ausgeschlossen sind und zudem Kontaktpersonen der Kategorie I, von denen erwartbar einige infiziert, andere nicht infiziert sind anders als im Falle der Arbeitsquarantäne nicht in räumlicher Nähe zueinander weiterarbeiten und so eine Infektionsgefahr begründen. Ergänzend wird auf die vorstehenden Ausführungen zur Arbeitsquarantäne Bezug genommen.
184ff) Der Antrag zum Beweis der Tatsache, dass die Anträge auf Erteilung von Ausnahmegenehmigungen von der Quarantänepflicht noch am 00.00.0000 gegen 18.30 Uhr durch Frau S2. gegenüber Frau H1. /Kreis D1. gestellt worden sind, Zeugen zu vernehmen, ist ebenfalls unerheblich, § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO.
185Dieser Beweisantrag wurde ersichtlich mit dem Ziel eines mittelbaren Beweises des Umstands gestellt, dass Maßnahmen der Arbeitsquarantäne nach dem Gespräch am 00.00.0000 zwischen den Beteiligten des Rechtsstreits im Raum standen und nicht abgelehnt wurden. Auch bei Wahrunterstellung dieser Tatsache ergibt sich jedoch nichts anderes. Insoweit ist auf die Ausführungen unter ee) zu verweisen.
186gg) Der Antrag zum Beweis der Tatsache, dass die im Gespräch vom 00.00.0000 entwickelte Arbeitsquarantäne mittlerweile gängige und erfolgreiche Praxis in zahlreichen Betrieben, auch in medizinischen Einrichtungen ist, einen Fernsehbericht in Augenschein zu nehmen, ist zunächst bereits aus den unter ee) genannten Gründen ebenfalls unerheblich, § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO.
187Auch bei Wahrunterstellung bleibt überdies festzuhalten, dass die Schließung des klägerischen Betriebs insbesondere auf Grundlage der allein maßgeblichen Lagebeurteilung des Beklagten ex ante und unter Berücksichtigung der damaligen Kenntnisse und Möglichkeiten (Testkapazitäten, keine verfügbaren Schutzimpfungen etc.) ein effektiveres Mittel zur Kontaktreduzierung und Bekämpfung von Infektionen war als die Einführung einer Arbeitsquarantäne ohne maßgebliche Erfahrungen zu Um‑ und Durchsetzungsmöglichkeiten. Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass die infektionsschutzmäßige Effektivität einer Arbeitsquarantäne maßgeblich von der Disziplin und der medizinischen Schulung der diese Art der Quarantäne praktizierenden Personen abhängt. Insoweit kann – ohne, dass es entscheidungserheblich darauf ankommt – insbesondere nicht davon ausgegangen werden, dass eine von der medizinisch nicht spezifisch geschulten Belegschaft im Betrieb der Klägerin durchgeführte Arbeitsquarantäne unter den im Betrieb der Klägerin herrschenden Bedingungen ebenso effektiv wäre, wie eine etwa in einem Krankenhaus unter den dortigen, auf die Vermeidung von Infektionen ausgerichteten Bedingungen sowie von medizinischem Fachpersonal durchgeführte Arbeitsquarantäne.
188hh) Der Antrag zum Beweis der Tatsache, dass der Zeuge M1. nicht erklärt hat, dass der Betrieb durch die Klägerin selbst „sowieso“ geschlossen werden wird, sondern erklärt hat, dass bei weiteren positiven Befunden die Aufrechterhaltung des weiteren Betriebs aufgrund Personalmangels rein faktisch nicht möglich sein werde und allein aus diesem Grunde der Betrieb seitens der Klägerin geschlossen werden müsse, Herrn M1. als Zeugen zu vernehmen, ist ebenfalls unerheblich, § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO.
189Insoweit wird auf die obigen Ausführungen zur Erforderlichkeit der zeitweisen und teilweisen Betriebsschließung wegen ihrer höheren Effektivität gegenüber anderen Infektionsschutzmaßnahmen nach damaligem Kenntnisstand verwiesen. Für diese – objektivierend ex ante – angesichts der tatsächlichen Sachlage, wie sie damals bekannt war, zu treffende Entscheidung ist die unter Beweis gestellte Tatsache einer Aussage des Zeugen M1. im Gespräch am 00.00.0000 erkennbar irrelevant. Insbesondere wird die Ordnungsverfügung nicht unverhältnismäßig dadurch, dass die Klägerin durch ihren Mitarbeiter gegenüber dem Beklagten nicht erklärt hat, sie würde den Betrieb sowieso schließen, sondern erklärt hat, dass bei weiteren Absonderungsverfügungen eine Schließung faktisch unausweichlich sei.
190ii) Zuletzt ist auch der Antrag zum Beweis der Tatsache, dass der Beklagte die Arbeitsquarantäne in der Besprechung am 00.00.0000 nicht abgelehnt hat, ein Protokoll vorzulegen und Zeugen zu vernehmen, unerheblich, § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO.
191Denn aus der unter Beweis gestellten Tatsache, der Nichtablehnung einer Arbeitsquarantäne durch den Beklagten, lässt sich selbst bei Wahrunterstellung nichts dafür herleiten, dass der Beklagte im Gespräch vom 00.00.0000 sein Auswahlermessen hätte einschränken wollen oder gar eine den Anforderungen des § 38 VwVfG NRW genügende, Bindungswirkung entfaltende Zusicherung des Inhalts erteilt hätte, eine Betriebsschließung würde nicht stattfinden, sondern lediglich eine Arbeitsquarantäne angeordnet. Der Beklagte war auch aus anderen Gründen nicht daran gehindert, am Abend des 00.00.0000 eine zwar eingriffsintensivere, aber effektivere Gefahrenabwehrmaßnahme als die der Arbeitsquarantäne zu treffen, zumal genauere Infektionszahlen und konkretere Anhaltspunkte zum Ausmaß des Infektionsgeschehens im Betrieb der Klägerin erst im Laufe des 00. und 00.00.0000 bekannt und zur Tatsachengrundlage des Auswahlermessens wurden.
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Referenzen
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- VwVfG § 28 Anhörung Beteiligter 2x
- 1 BvL 46/80 1x (nicht zugeordnet)
- § 3 Abs. 3 Nr. 1 IfSBG 2x (nicht zugeordnet)
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- Beschluss vom Verwaltungsgericht Münster - 5 L 596/20 1x
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