Beschluss vom Verwaltungsgericht Neustadt an der Weinstraße (5. Kammer) - 5 L 334/21.NW

Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Antragstellerin wendet sich im Wege des Eilrechtschutzantrags gegen die in der Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin vom 24. März 2021 enthaltene Vorschrift der Nr. 3 b.

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Die am 25. März 2021 in Kraft getretene Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin vom 24. März 2021, die bis zum 11. April 2021 gilt, trifft u.a. folgende Regelungen:

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1. Die nachfolgenden Vorschriften ergänzen oder ändern die Regelungen der 18. Corona-Bekämpfungsverordnung Rheinland-Pfalz (18. CoBeLVO), da in der Stadt Pirmasens die 7-Tages-Inzidenz pro 100.000 Einwohnerinnen und Einwohner an drei aufeinander folgenden Tagen auf über 100 gestiegen ist.

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2. ………………

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3. Abweichend von § 5 der 18. CoBeLVO gilt:

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a. ….

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b. Gewerbliche Einrichtungen sind, soweit im Folgenden nichts Abweichendes bestimmt ist, für den Kundenverkehr geschlossen. Abhol-, Liefer- und Bringdienste gewerblicher Einrichtungen sind nach vorheriger Bestellung unter Beachtung der allgemeinen Schutzmaßnahmen zulässig. Abweichend von Satz 1 dürfen gewerbliche Einrichtungen öffnen, wenn nach vorheriger Vereinbarung Einzeltermine vergeben werden, bei denen ausschließlich Personen, die demselben Hausstand angehören, zeitgleich Zutritt zu der Einrichtung gewährt wird. Bei den Einzelterminen gilt die Pflicht zur Kontakterfassung nach § 1 Abs. 8 Satz 1 der 18. CoBeLVO. Werden mehrere Einzeltermine in Folge für einen Tag vergeben, so ist ein Zeitraum von mindestens fünfzehn Minuten zwischen Ende und Beginn der jeweiligen Einzeltermine freizuhalten. Das Vorstehende gilt auch für Büchereien und Archive.

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c. Von der Schließung nach Buchstabe b ausgenommen sind

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aa. Einzelhandelsbetriebe für Lebensmittel, Direktvermarkter von Lebensmitteln, Getränkemärkte, Drogerien, Babyfachmärkte,

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bb. Verkaufsstände auf Wochenmärkten, deren Warenangebot den zulässigen Einzelhandelsbetrieben entspricht,

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cc. Apotheken, Sanitätshäuser, Reformhäuser,

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dd. Tankstellen,

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ee. Banken und Sparkassen, Poststellen,

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ff. Reinigungen, Waschsalons,

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gg. Zeitungs- und Zeitschriftenverkauf, Buchhandlungen,

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hh. Baumärkte, Tierbedarfsmärkte und Futtermittelmärkte,

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ii. Großhandel,

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jj. Blumenfachgeschäfte,

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kk. Gärtnereien, Gartenbaubetriebe, Gartenbaumärkte

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Bietet eine Einrichtung neben den oben genannten Waren oder Dienstleistungen weitere Waren oder Dienstleistungen an, ist dies zulässig, soweit im Folgenden nichts Abweichendes bestimmt ist und das weitere Waren- oder Dienstleistungsangebot nicht den Schwerpunkt des Verkaufssortiments oder Angebots bildet.

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d. In den Einrichtungen nach den Buchstaben a bis c gelten vorbehaltlich der Bestimmungen des § 2 Abs. 4 der 18. CoBeLVO sowohl in geschlossenen Räumen als auch im Freien, insbesondere in Wartesituationen, das Abstandsgebot nach § 1 Abs. 2 Satz 1 der 18. CoBeLVO, die Maskenpflicht nach § 1 Abs. 3 der 18. CoBeLVO mit der Maßgabe, dass eine medizinische Gesichtsmaske (OP-Maske) oder eine Maske der Standards KN95/N95 oder FFP2 oder eines vergleichbaren Standards zu tragen ist, und die Personenbegrenzung nach § 1 Abs. 7 der 18. CoBeLVO. Die Maskenpflicht nach § 1 Abs. 3 Satz 4 der 18. CoBeLVO gilt auch im unmittelbaren Umfeld der Einrichtung und auf Parkplätzen. Die Personenbegrenzung nach § 1 Abs. 7 der 18. CoBeLVO gilt nicht

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aa. für Stellen und Einrichtungen, die öffentlich-rechtliche Aufgaben wahrnehmen,

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bb. auf Wochenmärkten gemäß Buchstabe c Doppelbuchst. bb sowie

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cc. in persönlichen Beratungsgesprächen, wenn sich ausschließlich Personen, die höchstens zwei Hausständen angehören, in einem Raum aufhalten.

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Die Antragstellerin ist Inhaberin mehrere Modegeschäfte in der Innenstadt der Antragsgegnerin. Zum einen betreibt sie ein Baby- und Kindermodengeschäft mit einer Fläche von ca. 300 m², auf der die Antragstellerin das komplette Sortiment an Bekleidung für Babys, Kinder und Jugendliche führt. Zudem werden dort auch Kinderunterwäsche, Schlafanzüge, Bademäntel usw. verkauft. Ferner beinhaltet das Sortiment auch Accessoires, wie Rucksäcke, Sporttaschen, Turnbeutel, Mützen, Strümpfe. Daneben betreibt die Antragstellerin auf einer Fläche von jeweils 80 m² ein Damenmodegeschäft sowie einen … Store.

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Gegen die Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin legte die Antragstellerin am 29. März 2021 Widerspruch ein. Ferner hat sie am 30. März 2021 zusätzlich um vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutz nachgesucht. Zur Begründung führt sie aus, die Allgemeinverfügung sei rechtswidrig, da deren Ermächtigungsgrundlage, die 18. CoBeLVO, ihrerseits rechtwidrig sei. Bei der Bewertung der Fragen, wann ein gesteigertes Infektionsrisiko bestehe, setze die 18. CoBeLVO überholte und nicht sachgerechte Kriterien an. Alleine bei der 7-Tage-Inzidenz anzusetzen sei nicht sachgerecht und werde den Erkenntnissen und Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts (RKI) nicht gerecht. So sehe etwa die ControlCOVID-Strategie und Handreichung zur Entwicklung von Stufenkonzepten bis Frühjahr 2021 des RKI ein sogenanntes Intensitätsstufenkonzept vor. Auf Basis verschiedener Indikatoren stelle das RKI Szenarien auf, bei denen es sich zwar um einen größeren, aber dennoch gut kontrollierbaren lokalen Ausbruch handele. In diesem Fall komme es zu dem Ergebnis, dass eine großflächige Schließung nur auf Basis des führenden Leitindikators nicht angemessen sei. Beachte man dies, und den Umstand, dass vorliegend der Anstieg lediglich auf ein bzw. zwei lokal begrenztes Vorfälle in zwei Kindertagesstätten zurückzuführen seien, die im Wesentlichen auch abgegrenzt und nachverfolgt seien, so sei vorliegend von einer Rechtswidrigkeit der 18. CoBeLVO auszugehen.

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Der Privilegierungskatalog, wie er in der Muster-Allgemeinverfügung in der Anlage zur 18. CoBeLVO vorgegeben werde, beinhalte Ausnahmen von der Schließungspflicht für beispielsweise Babyfachmärkte, Buchhandlungen und Blumenfachgeschäfte. Es handele sich hierbei um Geschäfte, die typischerweise ein Mischsortiment anböten. So werde beispielsweise auch in Babyfachgeschäften Kleidung für Babys und Kleinkinder angeboten. Buchhandlungen beschränkten sich typischerweise nicht nur auf Bücher, sondern verkauften mittlerweile auch Spielzeuge sowie auch Elektrogeräte. Es sei aus Sicht eines sortimentsbezogenen Geschäfts, das nicht dieser Privilegierung unterliege, nicht zumutbar, einen solchen Verstoß gegen Artikel 3 Abs. 1 GG zu tolerieren. Es gebe keinen Anhaltspunkt, warum derartige Geschäfte mit Mischsortiment ein geringeres Infektionsrisiko bedeuteten als sortimentsbezogene Einzelhändler wie die Antragstellerin. Es würden Vergleichsgruppen geschaffen, bei denen jedenfalls im Hinblick auf Ausbreitungs- und Ansteckungsrisiko kein wesentlicher Unterschied zu erkennen sei. Sie handele auch mit Baby- und Kinderbekleidung. Dies seien Artikel, die auch in einem Babyfachgeschäft erhältlich seien. Die Differenzierung zwischen einem Geschäft, das auch Babykleidung verkaufe und einem solchen, das ausschließlich Kleidung verkaufe, sei willkürlich.

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Zudem werde in ihr Grundrecht aus Art. 12 GG eingegriffen. Sie werde an der generellen Ausübung ihres Berufs gehindert. Es finde kein Eingriff in das „wie“ der Berufsausübung statt, der ggf. noch epidemiologisch noch eine Rechtfertigung in Form von Hygienekonzepten, Einhaltung der AHA-Regeln oder Einhaltung von Höchstzahlen pro m² finden könnte. Vielmehr handele es sich um einen Eingriff in das „Ob“, das alleine im Lichte der Verhinderung der Ausbreitung nicht zu rechtfertigen sei.

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Die 18. CoBeLVO räume im Übrigen der Antragsgegnerin einen Ermessensspielraum ein. Aus der Begründung ergebe sich aber der Eindruck, dass die Allgemeinverfügung zwingend zu erlassen gewesen sei. Damit liege vorliegend ein Ermessensnichtgebrauch vor. Es sei ein falscher Sachverhalt unterstellt bzw. ein entscheidungserheblicher Sachverhalt bei der Begründung der Allgemeinverfügung nicht berücksichtigt worden. Da der Grund für die Überschreitung des Grenzwerts von 100 darin begründet sei, dass in zwei Kindertagesstätten Vorfälle stattgefunden hätten, liege ein besonderer Fall vor, der in der Allgemeinverfügung nicht berücksichtigt worden sei.

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Die Antragstellerin beantragt,

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die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs gegen Nr. 3 der Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin vom 24. März 2021 anzuordnen.

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Die Antragsgegnerin beantragt,

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den Antrag abzulehnen.

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Sie führt aus, die Allgemeinverfügung sei rechtmäßig. Da die 7-Tages-Inzidenz in Pirmasens an drei Tagen in Folge den Wert von 100 überstiegen habe (11. bis 13. März 2021), habe die Verwaltung handeln müssen. Die Tatbestandsvoraussetzungen der Ermessensnorm des § 23 Abs. 4 Satz 4 der 18. CoBeLVO, wonach in besonderen atypischen Ausnahmefällen, insbesondere wenn das Infektionsgeschehen vollständig eingrenzbar sei, im Einvernehmen mit dem für die gesundheitlichen Angelegenheiten zuständigen Ministerium auch abweichende Allgemeinverfügungen erlassen werden könnten, seien nicht erfüllt.

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Sie, die Antragsgegnerin, habe in einer an Herrn Staatssekretär Dr. ……… adressierten Mail vom 14. März 2021 darauf hingewiesen, dass in Pirmasens ein besonderes Infektionsgeschehen in Kindergärten vorliege; insbesondere sei der Waldorfkindergarten betroffen. So sei es in den letzten 7 Tagen zu insgesamt zu 64 Neuinfektionen gekommen, von denen alleine 25 den Waldorfkindergarten betroffen hätten, 3 weitere Fälle habe es in anderen Kitas gegeben. Knapp 44 % der aktuellen Neuinfektionen rührten mithin aus dem Waldorfkindergarten und anderen Kitas. Der starke Anstieg der Inzidenz in sehr kurzer Zeit sei in Pirmasens also maßgeblich von diesem einen „Hotspot“ geprägt. In einer kleinen Stadt mit geringer Einwohnerzahl wie Pirmasens wirkten sich solche Infektionsgeschehen bei den Inzidenzen sehr viel stärker aus als bei größeren Landkreisen oder Städten. Ohne die Infektionen im Waldorfkindergarten läge die Inzidenz in Pirmasens unter 100.

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Das Ministerium habe sich dieser Auffassung jedoch nicht angeschlossen und habe die Stadt Pirmasens mit Erlass vom 15. März 2021 angewiesen, eine Allgemeinverfügung zu erlassen. Das Ministerium vertrete die Auffassung, das Infektionsgeschehen in der Kita sei nicht abgrenzbar, da die Betroffenen sich über die ganze Stadt verteilten.

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Da die Voraussetzungen des § 23 Abs. 4 Satz 4 der 18. CoBeLVO seien hier nach der für die Antragsgegnerin bindenden Rechtsauffassung des Gesundheitsministeriums nicht erfüllt. Deshalb habe sie, die Antragsgegnerin, nicht tätig werden dürfen. Eine Ermessensausübung sei nicht in Betracht gekommen.

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II.

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Der Antrag ist zulässig (A.), in der Sache aber unbegründet (B.).

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A. Der Antrag, der gerichtet ist auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die Nr. 3 der Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin vom 24. März 2021, ist gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 1. Alt. Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – statthaft, denn es handelt sich um eine auf § 28 Abs. 1 Infektionsschutzgesetz – IfSG – vom 20. Juli 2000, zuletzt geändert durch das Gesetz zur Fortgeltung der die epidemische Lage von nationaler Tragweite betreffenden Regelungen vom 29. März 2021 (BGBl. I S. 370), gestützte Regelung, gegen die Widersprüche nach §§ 28 Abs. 3, 16 Abs. 8 IfSG keine aufschiebende Wirkung haben.

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Der Antrag ist auch ansonsten zulässig. Insbesondere ist die Antragstellerin analog § 42 Abs. 2 VwGO antragsbefugt. Sie ist als Inhaberin von drei Bekleidungsgeschäften in Pirmasens durch die Betriebsbeschränkung in ihren Grundrechten aus Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz – GG –, Art. 3 Abs. 1 GG betroffen.

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B. Der Antrag ist in der Sache jedoch unbegründet.

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Die gerichtliche Entscheidung ergeht auf der Grundlage einer umfassenden Interessenabwägung des Gerichts. Dieses hat zwischen dem in der gesetzlichen Regelung – hier § 28 Abs. 3 i.V.m. § 16 Abs. 8 IfSG – zum Ausdruck kommenden Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit der infektionsschutzrechtlichen Allgemeinverfügung und dem Interesse der Antragstellerin an der aufschiebenden Wirkung ihres Rechtsbehelfs abzuwägen. Im Rahmen dieser Abwägung sind in erster Linie die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des Eilverfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende summarische Prüfung, dass der Rechtsbehelf voraussichtlich keinen Erfolg haben wird, weil keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der beanstandeten Allgemeinverfügung bestehen, tritt das Interesse der Antragstellerin regelmäßig zurück (vgl. VG Neustadt/Wstr., Beschluss vom 7. November 2020 – 5 L 984/20.NW –; VG Freiburg, Beschluss vom 25. März 2020 – 4 K 1246/20 –, juris). Erweist sich der zugrundeliegende Verwaltungsakt bei dieser Prüfung hingegen als offensichtlich rechtswidrig und das Hauptsacheverfahren damit voraussichtlich als erfolgreich, ist das Interesse an der sofortigen Vollziehung regelmäßig zu verneinen. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens offen, kommt es zu einer allgemeinen Abwägung der widerstreitenden Interessen. Dabei schlägt das Vollzugsinteresse bei offenem Prozessausgang in der dann gebotenen Interessenabwägung mit erheblichem Gewicht zu Buche. Das bedeutet aber nicht, dass sich dieses Interesse gegenüber dem Aufschubinteresse regelhaft durchsetzt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 14. April 2005 – 4 VR 1005.04 –, juris, Rn. 12).

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Gemessen an diesem Maßstab überwiegt bei der hier allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Allgemeinverfügung das private Interesse der Antragstellerin an einem einstweiligen Aufschub der Vollziehung.

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Rechtsgrundlage für die Beschränkung gewerblicher Einrichtungen in Nr. 3 der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung vom 24. März 2021 sind die § 32 Satz 1 und 2 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1, § 28a Abs. 1 Nr. 14 IfSG i.V.m. § 23 Abs. 4 Satz 1 der 18. CoBeLVO.

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Nach § 32 Satz 1 IfSG werden die Landesregierungen ermächtigt, unter den Voraussetzungen, die für Maßnahmen nach den §§ 28 bis 31 IfSG maßgebend sind, auch durch Rechtsverordnungen entsprechende Gebote und Verbote zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten zu erlassen. Die Landesregierungen können gemäß § 32 Satz 2 IfSG die Ermächtigung zum Erlass von Rechtsverordnungen nach Satz 1 der Vorschrift durch Rechtsverordnung auf andere Stellen übertragen. Nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 IfSG trifft die zuständige Behörde, wenn Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt werden oder sich ergibt, dass ein Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider war, die notwendigen Schutzmaßnahmen, insbesondere die in § 28a Abs. 1 IfSG und in den §§ 29 bis 31 IfSG genannten, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist. § 28a Abs. 1 Nr. 14 IfSG bestimmt ausdrücklich, dass eine notwendige Schutzmaßnahme im Sinne des § 28 Abs. 1 Satz 1 und 2 IfSG zur Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 für die Dauer der Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite nach § 5 Absatz 1 Satz 1 durch den Deutschen Bundestag auch die Schließung oder Beschränkung von Betrieben, Gewerben, Einzel- oder Großhandel sein kann. Nach dem auf der Grundlage des § 32 Satz 1 IfSG erlassenen § 5 Satz 1 der 18. CoBeLVO sind u.a. gewerbliche Einrichtungen unter Beachtung der allgemeinen Schutzmaßnahmen geöffnet, soweit in dieser Verordnung nichts Abweichendes bestimmt ist. Eine solche abweichende Bestimmung enthält § 23 Abs. 4 Satz 1 der 18. CoBeLVO. Danach haben Landkreise und kreisfreie Städte, in denen die 7-Tages-Inzidenz an drei Tagen in Folge den Wert von 100 überstiegen hat, am darauffolgenden Werktag mit Wirkung zum nächstmöglichen Zeitpunkt eine Allgemeinverfügung gemäß der als Anlage 3 beigefügten Muster-Allgemeinverfügung für Landkreise und kreisfreie Städte mit einer 7-Tages-Inzidenz von mehr als 100 zu erlassen, die gegenüber den Bestimmungen dieser Verordnung zusätzliche Schutzmaßnahmen in Bezug auf die Regelungen in § 2 Abs. 1 Satz 1, den §§ 5 und 6 Abs. 3 und 4, § 7 Abs. 2, § 10 Abs. 1, § 11 Abs. 2 sowie § 15 Abs. 2 und 4 enthält. Diese Allgemeinverfügungen dürfen erst aufgehoben werden, wenn die 7-Tages-Inzidenz des Landkreises oder der kreisfreien Stadt mindestens sieben Tage in Folge unter 100 gelegen hat. In besonderen atypischen Ausnahmefällen, insbesondere wenn das Infektionsgeschehen vollständig eingrenzbar ist, können nach § 23 Abs. 4 Satz 3 der 18. CoBeLVO im Einvernehmen mit dem für die gesundheitlichen Angelegenheiten zuständigen Ministerium auch abweichende Allgemeinverfügungen erlassen werden.

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1. Die Regelung in Nr. 3 der Allgemeinverfügung vom 24. März 2021 ist formell rechtmäßig.

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1.1. Gemäß § 1 Landesverwaltungsverfahrensgesetz – LVwVfG – i.V.m. § 28 Abs. 2 Nr. 4 Verwaltungsverfahrensgesetz – VwVfG – war keine Anhörung erforderlich.

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1.2. Nach § 1 LVwVfG i.V.m. § 41 Abs. 3 Satz 2 VwVfG konnte die Allgemeinverfügung öffentlich bekannt gemacht werden, da eine individuelle Bekanntgabe an die Beteiligten untunlich war.

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1.3. Die Allgemeinverfügung ist auch im Einvernehmen mit dem für die gesundheitlichen Angelegenheiten zuständigen Ministerium zustande gekommen (s. § 23 Abs. 1 CoBeLVO). Dabei spielt es keine Rolle, dass die Antragsgegnerin gegen ihren Willen und auf Anweisung des Ministeriums die Allgemeinverfügung erlassen hat.

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1.3.1. Zum einen ist dies rechtlich nicht zu beanstanden. Gemäß § 2 Satz 2 der Landesverordnung zur Durchführung des Infektionsschutzgesetzes nehmen die Landkreise und die kreisfreien Städte die Aufgaben als Auftragsangelegenheit wahr, so dass die Antragsgegnerin die ihr übertragenen Auftragsangelegenheiten nach dem Infektionsschutzgesetz nach Weisung des zuständigen Ministeriums zu erfüllen hat (s. § 2 Abs. 2 Satz 1 Gemeindeordnung – GermO –). Die Antragsgegnerin wird durch eine solche Weisung nicht in eigenen Rechten verletzt (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 1994 – 11 C 4/94 –, NVwZ 1995, 910).

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1.3.2. Zum anderen hätte ein eventueller Verfahrensfehler beim Zustandekommen des Einvernehmens nicht zu einer möglichen Verletzung eines materiell-subjektiven Rechts der Antragstellerin geführt. Das Einvernehmenserfordernis des § 23 Abs. 1 der 18. CoBeLVO dient vielmehr ausschließlich dem Schutz von Mitwirkungsrechten des Gesundheitsministeriums bei Allgemeinverfügungen mit weitergehenden Schutzmaßnahmen auf kommunaler Ebene (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 30. November 2020 – 6 B 11424/20.OVG –).

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2. Unter Berücksichtigung des derzeitigen Sach- und Streitstands kann nicht hinreichend geklärt werden, ob die Betriebsbeschränkung in Nr. 3 der Allgemeinverfügung vom 24. März 2021 offensichtlich rechtmäßig oder rechtswidrig ist. Es spricht aber Überwiegendes dafür, dass die Antragstellerin im Hauptsacheverfahren keinen Erfolg haben wird.

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2.1. Maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei einem Dauerverwaltungsakt wie im vorliegenden Fall der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, da der Dauerverwaltungsakt seine Regelungswirkung ständig neu entfaltet und das zu Grunde liegende Verwaltungsrechtsverhältnis ständig neu konkretisiert wird (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 30. November 2020 – 6 B 11424/20.OVG –).

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2.2. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 32 Satz 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1, § 28a Abs. 1 Nr. 14 und Abs. 3 IfSG sowie § 23 Abs. 4 Satz 1 der 18. CoBeLVO sind voraussichtlich erfüllt. Infolge der Corona-Pandemie, der zuletzt mit Beschluss des Bundestages vom 04. März 2021 festgestellten epidemischen Lage von nationaler Tragweite und des derzeit erheblichen Infektionsgeschehens ist die Antragsgegnerin grundsätzlich verpflichtet, infektionsschutzrechtliche Maßnahmen zu ergreifen, die auch die Schließung oder Beschränkung des Einzelhandels umfassen können (§ 28a Abs. 1 Nr. 14 IfSG).

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2.2.1. Die Feststellung einer übertragbaren Krankheit bedingt, dass die zuständige Stelle zum Handeln verpflichtet ist. Die Stelle hat lediglich ein Ermessen hinsichtlich der Auswahl der anzuwendenden Schutzmaßnahmen. Die Bandbreite der Schutzmaßnahmen, die bei Auftreten einer übertragbaren Krankheit in Frage kommen können, lässt sich nicht im Vorfeld bestimmen. Der Gesetzgeber hat § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG daher als Generalklausel ausgestaltet und in § 28a Abs. 1 IfSG – im Rahmen dessen Anwendungsbereichs während der aktuellen Pandemielage – bestimmte notwendige Standardschutzmaßnahmen benannt.

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Das Ermessen wird dadurch beschränkt, dass es sich um „notwendige“ Schutzmaßnahmen handeln muss, nämlich Maßnahmen, „soweit“ sie zur Verhinderung der (Weiter-)Verbreitung der Krankheit „erforderlich“ sind. Weiterhin betont das Gesetz den zeitlichen Aspekt: Maßnahmen dürfen nur getroffen werden, „solange“ sie erforderlich sind. Insgesamt sind dem Ermessen damit durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Grenzen gesetzt (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. März 2012 – 3 C 16.11 –, juris; Thüringer OVG, Beschluss vom 25. März 2021 – 3 EN 175/21 –, juris).

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2.2.2. Bei der in Nr. 3 der Allgemeinverfügung vom 24. März 2021 angeordneten Beschränkung für Gewerbebetriebe dürfte es sich um eine notwendige Schutzmaßnahme im Sinne von § 28 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 28a Abs. 1 Nr. 14 IfSG handeln.

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a) Maßstab für die zu ergreifenden Schutzmaßnahmen ist nach § 28a Abs. 3 Satz 4 IfSG insbesondere die Anzahl der Neuinfektionen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 je 100.000 Einwohnern innerhalb von sieben Tagen. Bei Überschreitung eines Schwellenwertes von über 50 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen sind umfassende Schutzmaßnahmen zu ergreifen, die eine effektive Eindämmung des Infektionsgeschehens erwarten lassen (§ 28a Abs. 3 Satz 5 IfSG). Ferner bestimmt § 28a Abs. 6 Satz 2 IfSG, dass bei Entscheidungen über Schutzmaßnahmen soziale, gesellschaftliche und wirtschaftliche Auswirkungen auf den Einzelnen und die Allgemeinheit einzubeziehen und zu berücksichtigen sind, soweit dies mit dem Ziel einer wirksamen Verhinderung der Verbreitung der COVID-19-Krankheit vereinbar ist. Einzelne soziale, gesellschaftliche oder wirtschaftliche Bereiche, die für die Allgemeinheit von besonderer Bedeutung sind, können von den Schutzmaßnahmen ausgenommen werden, soweit ihre Einbeziehung zur Verhinderung der Verbreitung der COVID-19-Krankheit nicht zwingend erforderlich ist (§ 28a Abs. 6 Satz 3 IfSG).

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b) Vorliegend ist zudem der Anwendungsbereich des § 28a Abs. 3 Satz 9 IfSG aktuell eröffnet. Denn der Schwellenwert von über 50 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen ist zurzeit bundesweit überschritten. Die bundesweite 7-Tage-Inzidenz betrug zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts 128 (s. https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/ Fallzahlen. html, abgerufen am 05. April 2021).

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c) Die Antragsgegnerin bzw. die anweisende Ministerin hat infolgedessen gegenwärtig nach § 28a Abs. 3 Satz 9 IfSG weiterhin „bundesweit abgestimmte umfassende, auf eine effektive Eindämmung des Infektionsgeschehens abzielende Schutzmaßnahmen anzustreben“. Die Entscheidung der Antragsgegnerin bzw. der Ministerin in der angefochtenen Allgemeinverfügung, den nicht „privilegierten“ Einzelhandel nur unter bestimmten Maßgaben zu öffnen, ist auch Teil einer solchen „bundesweiten Abstimmung“ im Sinne von Satz 9. Bei der der Videoschaltkonferenz der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder am 03. März 2020 wurde beschlossen, dass die Länder unter bestimmten, näher definierten Voraussetzungen (7-Tage-Inzidenz, Kundenbegrenzung, vorherige Terminbuchung, Hygienekonzepte) eine landesweite oder regionale Öffnung des Einzelhandels vorsehen können (s. Nr. 6 und 7, https://www.bundesregierung.de/resource/blob/997532/1872054/66dba48b5b63d8817615d11edaaed849/2021-03-03-mpk-data.pdf?download=1, abgerufen am 05. April 2021). Die 18. CoBeLVO vom 20. März 2021 dient der Umsetzung dieses Stufenplans. Ausweislich der Begründung zur 18. CoBeLVO sieht diese eine Verpflichtung zum Erlass von Allgemeinverfügungen mit verschärften Maßnahmen in Landkreisen und kreisfreien Städten mit einer 7-Tages-Inzidenz von mehr als 50, mehr als 100 und mehr als 200 vor, um dem gegenwärtig wieder ansteigenden Infektionsgeschehen entgegenzuwirken und die im Beschluss der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder vom 03. März 2021 geregelte sogenannte „Notbremse“ umzusetzen. Auf diese Weise soll regional auf erhöhte Infektionsgeschehen reagiert und zugleich in anderen Teilen von Rheinland-Pfalz, in denen die Infektionszahlen sich auf einem niedrigen Niveau bewegen, die erfolgten Lockerungen und Öffnungen beibehalten werden.

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d) Die getroffene Entscheidung der Antragsgegnerin bzw. der Ministerin, den nicht „privilegierten“ Einzelhandel nur unter den am 03. März 2021 beschlossenen Maßgaben zu öffnen, stellt damit keine landesspezifische Entscheidung dar, sondern ist Teil der vom Bundesgesetzgeber bei bundesweiter Überschreitung des Schwellenwerts von 50 ausdrücklich gewünschten „bundesweit möglichst einheitlichen Strategie“ (vgl. BT-Drucksache 19/23944 vom 03. November 2020, S. 34 f. zu § 28a Abs. 2 des Entwurfs).

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e) Aus § 28a Abs. 3 Satz 10 IfSG folgt im insoweit maßgeblichen Zeitpunkt der vorliegenden Kammerentscheidung schon deshalb nichts anderes, weil der dort normierte, auf den Landesdurchschnitt bezogene Inzidenzschwellenwert von 50 in Rheinland-Pfalz seit geraumer Zeit wieder überschritten wird. Er beträgt zurzeit 103,0 (s. „Inzidenzen Rheinland-Pfalz“, https://lua.rlp.de/de/unsere-themen/infektionsschutz/meldedaten-coronavirus/, abgerufen am 05. April 2021).

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2.2.3. Auf der Grundlage des § 32 Satz 1 IfSG und § 1 Nr. 1 der Landesverordnung zur Durchführung des Infektionsschutzgesetzes hat die rheinland-pfälzische Ministerin für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie die 18. CoBeLVO erlassen, nach deren § 5 Satz 1 u.a. gewerbliche Einrichtungen unter Beachtung der allgemeinen Schutzmaßnahmen geöffnet sind, soweit in dieser Verordnung nichts Abweichendes bestimmt ist. Wie oben bereits ausgeführt, enthält § 23 Abs. 4 Satz 1 der 18. CoBeLVO eine solche abweichende Bestimmung. Nach dessen Satz 1 haben Landkreise und kreisfreie Städte, in denen die 7-Tages-Inzidenz an drei Tagen in Folge den Wert von 100 überstiegen hat, am darauffolgenden Werktag mit Wirkung zum nächstmöglichen Zeitpunkt eine Allgemeinverfügung gemäß der als Anlage 3 beigefügten Muster-Allgemeinverfügung für Landkreise und kreisfreie Städte mit einer 7-Tages-Inzidenz von mehr als 100 zu erlassen, die gegenüber den Bestimmungen dieser Verordnung zusätzliche Schutzmaßnahmen in Bezug auf die Regelungen in § 2 Abs. 1 Satz 1, den §§ 5 und 6 Abs. 3 und 4, § 7 Abs. 2, § 10 Abs. 1, § 11 Abs. 2 sowie § 15 Abs. 2 und 4 enthält. Diese Allgemeinverfügungen dürfen gemäß Satz 2 der genannten Bestimmung erst aufgehoben werden, wenn die 7-Tages-Inzidenz des Landkreises oder der kreisfreien Stadt mindestens sieben Tage in Folge unter 100 gelegen hat.

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2.2.4. Die Voraussetzungen des § 23 Abs. 4 Satz 1 der 18. CoBeLVO waren im Falle der Stadt Pirmasens sowohl zum Zeitpunkt der öffentlichen Bekanntmachung der Allgemeinverfügung vom 24. März 2021 als auch zum hier maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts gegeben.

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In Pirmasens überstieg die 7-Tages-Inzidenz den Wert von 100 nach längerer Zeit erstmals wieder am 11. März 2021 mit einem Wert von 101,9. Dieser stieg am 16. März 2021 auf einen zwischenzeitlichen Höchstwert von 169 an und sank bis zum Zeitpunkt der Entscheidung der Kammer nicht unter einen Wert von 100 (s. die Statistik „Inzidenzen Rheinland-Pfalz“ auf: https://lua.rlp.de/de/unsere-themen/infektionsschutz/meldedaten-coronavirus/, abgerufen am 05. April 2021). Die Voraussetzungen für eine Aufhebung der Allgemeinverfügung nach § 23 Abs. 4 Satz 2 der 18. CoBeLVO durch die Antragsgegnerin – dies ist erst zulässig, wenn die 7-Tages-Inzidenz mindestens sieben Tage in Folge unter 100 gelegen hat – sind damit ersichtlich nicht gegeben.

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2.3. Die Antragstellerin kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, Grund für die Überschreitung des Grenzwerts von 100 sei der Umstand, dass in zwei Kindertagesstätten Vorfälle stattgefunden hätten, weshalb ein besonderer Fall vorliege, der in der Allgemeinverfügung nicht berücksichtigt worden sei.

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2.3.1. Zwar können gemäß § 23 Abs. 4 Satz 4 der 18. CoBeLVO in besonderen atypischen Ausnahmefällen, insbesondere wenn das Infektionsgeschehen vollständig eingrenzbar ist, im Einvernehmen mit dem für die gesundheitlichen Angelegenheiten zuständigen Ministerium auch abweichende Allgemeinverfügungen erlassen werden.

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2.3.2. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 23 Abs. 4 Satz 4 der 18. CoBeLVO sind zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts jedoch nicht gegeben.

71

Denn die Vorfälle in den beiden Kindergärten in Pirmasens haben unmittelbar vor dem oder am 11. März 2021 stattgefunden (s. die hausinterne Mail der Antragsgegnerin vom 11. März 2021, Blatt 19 der Verwaltungsakte sowie die Mail des Oberbürgermeisters der Antragsgegnerin vom 14. März 2021 an den Staatssekretär im Gesundheitsministerium, Blatt 41 der Verwaltungsakte). Dies lässt sich auch anschaulich an der Inzidenzstatistik des Landes Rheinland-Pfalz ablesen. So betrug die 7-Tages-Inzidenz am 10. März 2021 in Pirmasens – also vor Meldung der Neuinfektionen in den beiden Kindergärten – noch 89,5 und stieg am darauf folgenden Tag erstmals seit dem 26. Januar 2021 wieder auf einen Wert von über 100 (101,9). Infolge der gemeldeten Neuinfektionen in den beiden Kindergärten erhöhte sich die 7-Tages-Inzidenz in Pirmasens in den folgenden Tagen vom 12. März 2021 bis zum 17. März 2021 auf einen Wert von 154,1, 156,6, 154,1, 169, 151,6 und 144,1, um dann am 19. März 2021 auf einen Wert von unter 100 (99,4) zu sinken. In den Tagen nach dem 24. März 2021 stieg die 7-Tages-Inzidenz wieder stark an auf Werte bis zu 144,1 am 29. März 2021 und 31. März 2021. Für die über 100 liegende 7-Tages-Inzidenz am 31. März 2021 können aber die Ausbrüche in den beiden Kindergärten nicht kausal sein. Dies ergibt sich auch aus der von der Antragsgegnerin am 01. April 2021 übermittelten Statistik von diesem Tag. Danach gab es am 01. April 2021 im Stadtgebiet von Pirmasens 115 aktuelle Fälle. Diese teilten sich wie folgt auf: Haushalt/Familie 57, unbekannt 27, Arbeit 10, Bekanntschaft 8, Kita 7, noch nicht ermittelt 5, Krankernhaus 1. Ein besonders atypischer Ausnahmefall, der eine abweichende Allgemeinverfügung nach § 23 Abs. 4 Satz 4 der 18. CoBeLVO rechtfertigen könnte, ist daher nicht gegeben. Infolgedessen war vorliegend auch insoweit kein Ermessensspielraum eröffnet.

72

2.4. Mit dem weiteren Einwand der Antragstellerin, bei der Bewertung der Fragen, wann ein gesteigertes Infektionsrisiko bestehe, setze die 18. CoBeLVO überholte und nicht sachgerechte Kriterien an, kann sie nicht durchdringen. Es trifft zwar zu, dass das Robert-Koch-Institut, das bei der Vorbeugung übertragbarer Krankheiten und Verhinderung der Weiterverbreitung von Infektionen eine besondere Expertise aufweist (vgl. § 4 IfSG), in seinem Stufenplan „ControlCOVID – Strategie und Handreichung zur Entwicklung von Stufenkonzepten bis Frühjahr 2021 –, Stand 19. März 2021, veröffentlicht unter: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/ Neuartiges_Coronavirus/nCoV.html, abgerufen am 05. April 2021) ein Intensitätsstufenkonzept vorsieht, in dem die 7-Tages-Inzidenz zur Einordnung der epidemischen Lage auf lokaler Ebene nur einen von vier Indikatoren darstellt. Dies ändert aber nichts daran, dass das RKI in dem Strategiepapier empfiehlt, bereits bei einer 7-Tages-Inzidenz von 50 die Schließung des Einzelhandels zu erwägen (vgl. Thüringer OVG, Beschluss vom 25. März 2021 – 3 EN 175/21 –, juris). In dem Strategiepapier ist zudem festgestellt, dass bei der De-Eskalation vorsichtig und langsam vorgegangen werden soll, bei einer Eskalation hingegen schnell und effektiv. Führender Leitindikator bei einer Eskalation soll nach wie vor die 7-Tages-Inzidenz sein. Die anderen genannten Indikatoren (Anteil intensivmedizinisch behandelter COVID-19-Fälle an der Gesamtzahl der betreibbaren ITS-Bettenkapazität, wöchentliche Inzidenz hospitalisierter Fälle unter den über 60-Jährigen (pro 100.000), Anteil der Kontaktpersonen („KoNa“ in Stufenkonzept), die nachverfolgt werden können sowie der R-Wert; der Anteil neuer Varianten; der Anteil der Fälle ohne ermittelbare Infektionsquelle; Anzahl, Größe und Setting der Ausbruchsgeschehen) sind im Falle einer Eskalation lediglich als Hilfsindikatoren heranzuziehen.

73

Überdies stellt sich das Infektionsgeschehen in der Stadt Pirmasens auch unter Berücksichtigung der im Strategiepapier genannten Hilfsindikatoren als äußerst kritisch dar. So ist laut dem sog. „DIVI-Intensivregister“ die Intensivbettenkapazität in der Stadt Pirmasens bereits zu 83 % ausgeschöpft, wobei der Anteil an COVID-19 Patienten 25 % beträgt. Es sind nur noch zwei von insgesamt 12 Betten überhaupt verfügbar (s. https://www.intensivregister.de/#/aktuelle-lage/ kartenansichten, abgerufen am 05. April 2021). Der 7-Tages-R-Wert liegt laut dem COVID-19-Lagebericht des RKI vom 05. April 2021 um 1 und die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland wird aufgrund der anhaltend hohen Fallzahlen und des aktuell beschleunigten Wiederanstiegs der Inzidenz als sehr hoch eingeschätzt (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_ Coronavirus/Situationsberichte/Apr_2021/2021-04-05-de.pdf?__blob= publicationFile, abgerufen am 05. April 2021). Auch mit einer Impfquote von aktuell 12,8 % Erstimpfungen und 4,5 % vollständig geimpften Personen ist noch kein Zustand erreicht, der die hohe Gefährdungslage entspannen könnte.

74

2.5. Die in Nr. 3 b Satz 3 und 4 der Allgemeinverfügung für den nicht „privilegierten“ Einzelhandel angeordneten Bedingungen einer reduzierteren Kundenzahl aus demselben Hausstand und einer vorherigen Terminbuchung finden voraussichtlich einen hinreichend tragfähigen Sachgrund in dem auf eine schrittweise und kontrollierte Öffnung des gesamten Einzelhandels hin angelegten Regelungskonzept des Verordnungsgebers (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 24. März 2021 – 1 S 677/21 –, juris). Dieses will angesichts des nach dem langen Lockdown aufgestauten Versorgungsbedarfs für die sonstigen Handelsgeschäfte eine erste Öffnungsperspektive realisieren, diese aber zugleich infektiologisch in besonderer Weise absichern, um die Auswirkungen der Öffnung auf das Infektionsgeschehen zu minimieren und rechtzeitig gegensteuern zu können. Andererseits soll das auf eine schrittweise und kontrollierte Öffnung aller Handelsgeschäfte zielende Regelungskonzept nicht aus Gründen der Gleichbehandlung zu einer Verschärfung der Zugangsbedingungen für diejenigen Ladengeschäfte führen, die bislang von der Schließung ausgenommen waren (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 19. März 2021 – 13 B 252/21.NE –, juris).

75

2.6. Mit der aus Nr. 3 der Allgemeinverfügung folgenden Betriebsbeschränkung ist voraussichtlich keine nach Art. 3 Abs. 1 GG ungerechtfertigte Ungleichbehandlung zu Lasten der Antragstellerin verbunden.

76

2.6.1. Das OVG Rheinland-Pfalz hat zum Gleichbehandlungsgrundsatz im Infektionsschutzrecht in seinem Beschluss vom 18. Januar 2021 – 6 B 11642/20.OVG –, juris, Folgendes ausgeführt:

77

a) Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet dem Normgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Insoweit ergeben sich indes je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Hoheitsträger, wobei das Niveau der Rechtfertigungsanforderungen sich nach den Besonderheiten des geregelten Lebens- und Sachbereichs bestimmt (vgl. BVerfG, Urteil vom 19. Februar 2013 – 1 BvL 1/11 –, juris Rn. 72, m.w.N.). Im Bereich des Infektionsschutzes als besonderem Gefahrenabwehrrecht (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. März 2012 – 3 C 16.11 –, juris Rn. 32) darf der Verordnungsgeber im Hinblick auf Massenerscheinungen, die sich – wie das gegenwärtige weltweite Infektionsgeschehen – auf eine Vielzahl von Lebensbereichen auswirken, generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen treffen, ohne wegen der damit unvermeidlich verbundenen Härten gegen den Gleichheitsgrundsatz zu verstoßen. Unebenheiten, Friktionen und Mängel sowie gewisse Benachteiligungen in besonders gelagerten Einzelfällen, die sich im Zusammenhang mit Differenzierungen ergeben, müssen in Kauf genommen werden, solange sich für das insgesamt gefundene Regelungsergebnis ein plausibler, sachlich vertretbarer Grund anführen lässt (vgl. BayVerfGH, Entscheidung vom 21. Oktober 2020 – Vf. 26-VII-20 –, juris Rn. 24, m.w.N.). Insoweit kann auch die strikte Beachtung des Gebots innerer Folgerichtigkeit nicht eingefordert werden (OVG RP, Beschluss vom 5. November 2020 – 6 B 11353/20.OVG –, juris Rn. 8 m.w.N.). Dies gilt in besonderer Weise bei Auftreten neuartiger Gefahrenlagen und Entwicklungen, die ein schnelles Eingreifen des Verordnungsgebers erforderlich machen, für die es bisher aber an zuverlässigen Erfahrungen fehlt.

78

aa) Die sachliche Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung und die Differenzierung einzelner Schutzmaßnahmen ist zudem nicht allein anhand des infektionsschutzrechtlichen Gefahrengrades der betroffenen Tätigkeit zu beurteilen (BT-Drs. 19/24334, S. 82). Gemäß § 28a Abs. 6 Satz 2 IfSG sind bei Entscheidungen über Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 auch soziale, gesellschaftliche und wirtschaftliche Auswirkungen auf den Einzelnen und die Allgemeinheit einzubeziehen und zu berücksichtigen, soweit dies mit dem Ziel einer wirksamen Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 vereinbar ist. Einzelne soziale, gesellschaftliche oder wirtschaftliche Bereiche, die für die Allgemeinheit von besonderer Bedeutung sind, können nach § 28a Abs. 6 Satz 3 IfSG auch von den Schutzmaßnahmen ausgenommen werden, soweit ihre Einbeziehung zur Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 nicht zwingend erforderlich ist. Ferner kann auch die Überprüfbarkeit der Einhaltung von Ge- und Verboten bei der sachlichen Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung durch eine Schutzmaßnahme berücksichtigt werden (NdsOVG, Beschluss vom 16. Dezember 2020 – 13 MN 552/20 –, juris Rn. 65).

79

bb) Ob das Gesamtkonzept von Beschränkungen und Lockerungen in jedem Einzelfall in sich folgerichtig und tragbar ist (vgl. dazu VGH BW, Beschluss vom 15. Oktober 2020 – 1 S 3156/20 –, juris Rn. 44; OVG NRW, Beschluss vom 8. September 2020 – 13 B 902/20.NE –, juris Rn. 29) und damit den Anforderungen des Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Gesamtheit genügt (offenlassend: VG Mainz, Beschlüsse vom 20. November 2020 – 1 L 859/20.MZ – und 30. November 2020 – 1 L 770/20.MZ sowie 1 L 771/20.MZ –), bedarf in Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nach § 123 Abs. 1 VwGO – vorbehaltlich einer offensichtlichen Unstimmigkeit – keiner Klärung. Die Frage, ob der Verordnungsgeber mit der getroffenen Auswahl von zu schließenden oder zu beschränkenden Betrieben unter Berücksichtigung des infektionsschutzrechtlichen Gefahrengrades der insgesamt betroffenen Lebensbereiche und aller sonstigen relevanten Belange eine auf hinreichenden Sachgründen beruhende und angemessene Differenzierung tatsächlich erreicht hat, mag bei einer objektiven Rechtsprüfung in einem Normenkontrollverfahren zu beantworten sein (vgl. NdsOVG, Beschluss vom 6. November 2020 – 13 MN 411/20
–, juris Rn. 61). Das einstweilige Rechtsschutzverfahren nach § 123 VwGO dient hingegen dem Schutz individueller Rechte. Dies umfasst zwar die Prüfung, ob der Verordnungsgeber mit dem aufgestellten Gesamtkonzept seinen Beurteilungs- und Prognosespielraum überschritten hat. Ausgangspunkt für die Beurteilung, ob sich die im Streit stehende Schutzmaßnahme möglichst schlüssig in das verfolgte Gesamtkonzept einfügt, ist jedoch nur derjenige Lebensbereich, aus dem der jeweilige Antragsteller seine behauptete individuelle Rechtsverletzung herleitet. Die aus § 4 Abs. 1 Satz 2 des Landesgesetzes zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung folgende Unzulässigkeit eines Normenkontrollantrags gemäß § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO gegen die Corona-Bekämpfungsverordnungen in Rheinland-Pfalz (vgl. dazu OVG RP, Beschluss vom 16. April 2020 – 6 B 10497/20.OVG –, juris) ändert an diesem Prüfungsmaßstab nichts.“

80

2.6.2. Wendet man diese überzeugenden Ausführungen auf den vorliegenden Fall an, so spricht Überwiegendes dafür, eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung zu Lasten der Antragstellerin zu verneinen. Diese beanstandet, der Privilegierungskatalog, wie er in der Muster-Allgemeinverfügung in der Anlage zur 18. CoBeLVO vorgegeben werde, beinhalte Ausnahmen von der Schließungspflicht für beispielsweise Babyfachmärkte, Buchhandlungen und Blumenfachgeschäfte, also Einzelhandelsbetriebe, die typischerweise ein Mischsortiment anböten. Es sei aus Sicht eines sortimentsbezogenen Geschäfts, das nicht dieser Privilegierung unterliege, nicht zumutbar, einen solchen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG zu tolerieren. Denn es gebe keinen Anhaltspunkt, warum derartige Geschäfte mit Mischsortiment ein geringeres Infektionsrisiko bedeuteten als sortimentsbezogene Einzelhändler wie die Antragstellerin. Mit dieser Argumentation dringt die Antragstellerin jedoch nicht durch.

81

a) Die Entscheidung der Antragsgegnerin bzw. des anweisenden Ministeriums, die in Nr. 3 c Satz 1 der Allgemeinverfügung aufgeführten Betriebe von der Schließung bzw. Beschränkung nach Nr. 3 b der Allgemeinverfügung auszunehmen, ist voraussichtlich kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Denn die Privilegierung der darin genannten Betriebe dürfte durch gewichtige Belange des Gemeinwohls gerechtfertigt sein.

82

b) Zwar werden in der aktuellen obergerichtlichen Rechtsprechung insbesondere Zweifel an der Aufnahme von Buchhandlungen und Gartenmärkten geltend gemacht (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 19. März 2021 – 13 B 252/21.NE -, juris; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 24. März 2021 – 1 S 677/21 –; vgl. ferner OVG des Saarlandes, Beschluss vom 09. März 2021 – 2 B 58/21 –, juris). Dem vermag die Kammer bei der hier nur möglichen summarischen Prüfung jedoch nicht zu folgen.

83

c) Die dem Katalog der Nr. 3 c Satz 1 der Allgemeinverfügung vom 24. März 2021 zugrundeliegende Annahme des Verordnungsgebers, dass die in der Musterallgemeinverfügung aufgeführten Bereiche von besonderer Bedeutung sind für die Deckung des Grundbedarfs der Bevölkerung (vgl. die Begründung zur 18. COBeLVO vom 20. März 2021, Seite 23), dürfte auch auf Buchhandlungen zutreffen, die ebenso wie der Zeitungs- und Zeitschriftenverkauf als von der Schließung ausgenommene, für die Deckung des Grundbedarfs der Bevölkerung besonders wichtige Verkaufsstellen eingestuft werden. Diese Einschätzung erscheint auch nicht offensichtlich sachwidrig, denn zum einen kommt Buchhandlungen im Hinblick auf die Bildung (Schule, Studium) und die Berufsausübung eine besondere Bedeutung zu (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 29. März 2021 – OVG 11 S 42/21 –, juris; OVG Sachsen, Beschluss vom 23. März 2021 – 3 B 78/21 -, juris; Thüringer OVG, Beschluss vom 25. März 2021 – 3 EN 175/21 –, juris) und zum anderen trägt die Versorgung mit Produkten des Buchhandels unter den Bedingungen eines infektionsbedingten Lockdowns auch wegen der stark eingeschränkten Möglichkeiten anderweitiger Freizeitaktivitäten einem Grundbedarf der Bevölkerung Rechnung (vgl. OVG Bremen, Beschluss vom 23. März 2021 – 1 B 89/21 –). Eine offensichtliche Überschreitung des dem Verordnungsgeber zustehenden Einschätzungs- und Gestaltungsspielraums vermag die Kammer nicht festzustellen, zumal das Gericht insoweit nicht darüber zu entscheiden hat, ob es sich um die zweckmäßigste Regelung handelt. Soweit die Bedeutung von Buchhandlungen für die Deckung des Grundbedarfs der Bevölkerung in der obergerichtlichen Rechtsprechung teilweise abweichend beurteilt wird, muss eine abschließende Klärung der Hauptsache vorbehalten bleiben, in der der Instanzenzug zum Bundesverwaltungsgericht eröffnet ist.

84

d) Entsprechendes gilt auch für die in Nr. 3 c Satz 1 der Allgemeinverfügung aufgeführten Blumenfachgeschäfte, Gartenbaumärkte, Baumärkte und Gärtnereien (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 29. März 2021 – OVG 11 S 42/21 –, juris; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 24. März 2021 – 1 S 677/21 –, juris).

85

e) Auch dürfte es voraussichtlich nicht zu beanstanden sein, die ebenfalls in Nr. 3 c Satz 1 der Allgemeinverfügung genannten Babyfachmärkte zu den privilegierten Betrieben zu zählen. Zwar gehören diese nicht zu den Fachgeschäften, die für weite Teile der Bevölkerung nachgefragte Produkte anbieten, aber sie dienen offensichtlich der Befriedigung eines speziellen unabweisbaren Bedarfs, vergleichbar etwa zu Sanitätshäusern. Dieser Bedarf kann aufgrund seiner beschriebenen Spezifität in weitem Umfang – abgesehen vom Bereich Babynahrung, Windeln und einiger Kosmetikprodukte für Babys, der jedoch nicht für das Angebot der Babyfachmärkte prägend ist – auch offensichtlich nicht von den nach Nr. 3 c aa) oder bb) der Allgemeinverfügung derzeit zur Öffnung befugten Geschäften angeboten werden (vgl. OVG Sachsen, Beschluss vom 23. März 2021 – 3 B 67/21 –, juris).

86

Soweit die Antragstellerin in Bezug auf die Privilegierung von Babyfachmärkten moniert, die Differenzierung zwischen einem Babyfachmarkt, der auch Babykleidung verkaufe und einem solchen, das ausschließlich Kleidung verkaufe, sei willkürlich, folgt dem die Kammer nicht. Aus der Nr. 3 c Satz 1 der Allgemeinverfügung folgt nicht, dass die dort abschließend benannten Geschäfts- und Markttypen lediglich ein entsprechendes „Reinsortiment“ anbieten müssen. In Bezug auf Mischsortimente bestimmt Nr. 3 c Satz 2 vielmehr ausdrücklich Folgendes: „Bietet eine Einrichtung neben den oben genannten Waren oder Dienstleistungen weitere Waren oder Dienstleistungen an, ist dies zulässig, soweit im Folgenden nichts Abweichendes bestimmt ist und das weitere Waren- oder Dienstleistungsangebot nicht den Schwerpunkt des Verkaufssortiments oder Angebots bildet.“ Mit dieser Regelung wird dem Umstand Rechnung getragen, dass es im Handel allgemein üblich ist, ein Mischsortiment an Produkten anzubieten. Den in Nr. 3 c Satz 1 abschließend aufgezählten Geschäfts- und Markttypen können Geschäfte und Märkte jedoch nicht schon dann zugeordnet werden, wenn sie nur überhaupt ein entsprechend privilegierendes Sortiment des täglichen Bedarfs anbieten. Erforderlich ist vielmehr darüber hinaus, dass dieses privilegierende Sortiment auch das jeweilige Geschäft oder den Markt nachhaltig prägt. Auch das mit Nr. 3 b der Allgemeinverfügung verfolgte Ziel, Mobilität und hieraus resultierende persönliche Kontakte der Bevölkerung im Rahmen des Einkaufens jenseits der notwendigen Grundversorgung zu verhindern oder zu beschränken, zwingt zu dem Schluss, dass zu den in Nr. 3 c Satz 1 der Allgemeinverfügung benannten, öffnungsberechtigten Geschäfts- und Markttypen nur solche Geschäfte und Märkte zählen können, die in erster Linie wegen ihres privilegierenden „Grundversorgungssortiments“ aufgesucht werden, nicht aber vorrangig wegen darüber hinausgehender, anderer Angebote (vgl. OVG Sachsen, Beschluss vom 07. Januar 2021 – 3 B 446/20 –, juris). Ob ein privilegierendes Sortiment des täglichen Bedarfs und der Grundversorgung das jeweilige Geschäft oder einen Markt nachhaltig prägt und ob jene in erster Linie wegen dieses Sortiments aufgesucht werden, ist eine Frage des jeweiligen Einzelfalls. Im Regelfall wird sich dies nach der objektiven Verkehrsanschauung und der Kauferwartung der Kunden schon anhand der Verkaufsflächen beurteilen lassen, die auf die jeweiligen Sortimentsbestandteile über einen längeren Zeitraum entfallen, weil es üblich ist, dass den für ein Geschäft zentralen Produktgruppen der meiste Raum eingeräumt wird. Mithin kann regelmäßig davon ausgegangen werden, dass den in Nr. 3 c Satz 1 der Allgemeinverfügung einzeln benannten Geschäfts- und Markttypen solche Geschäfte und Märkte unterfallen, bei denen die Summe der auf die entsprechenden „Grundversorgungssortimente“ entfallenden Anteile der Verkaufsflächen dauerhaft – nicht nur temporär – den Anteil überwiegt, auf den sich die Verkaufsflächen für Sortimentsbestandteile summieren, die nicht zu einem privilegierenden „Grundversorgungssortiment“ gehören (vgl. OVG Sachsen, Beschluss vom 07. Januar 2021 – 3 B 446/20 –, juris).

87

Hiervon ausgehend unterfällt die Antragstellerin mit keinem ihrer drei Betriebe der Privilegierung der Nr. 3 c Satz 1 der Allgemeinverfügung. Dies ergibt sich für den „… Store“ sowie für das Geschäft „………“ allein aus dem Umstand, dass dort ausschließlich Frauenmode angeboten wird (s. https://www………..de/ und https://www………..de/). Aber auch in dem Geschäft „……….“ (s. https://www………………./) liegt der Schwerpunkt offenkundig nicht auf dem Verkauf von Waren, die auch in einem Babyfachgeschäft verkauft werden. Von einer willkürlichen Ungleichbehandlung der Antragstellerin im Vergleich zu den Betreibern eines reinen Babyfachmarkts kann im Hinblick auf das genannte Ziel, Mobilität und hieraus resultierende persönliche Kontakte der Bevölkerung im Rahmen des Einkaufens jenseits der notwendigen Grundversorgung zu verhindern oder zu beschränken, nicht gesprochen werden.

88

2.7. Der Vortrag der Antragstellerin zeigt auch nicht auf, dass die Betriebsbeschränkung offensichtlich gegen Art. 12 Abs. 1 GG verstößt. Die Maßnahme führt zwar unverkennbar zu – mittlerweile länger andauernden – Grundrechtseinschränkungen von erheblicher Intensität in Bezug auf das Grundrecht der Berufsfreiheit der Antragstellerin. Dieses Recht wird jedoch nicht unbeschränkt gewährt, sondern unterliegt einem Gesetzesvorbehalt. Dass diesem im Ergebnis ein unbedingter Vorrang gegenüber dem mit der Betriebsbeschränkung bezweckten Schutz von Leib und Leben (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) gebührt, ist nicht festzustellen. Die Berufsausübung in einem Bereich von gefahrerhöhender Tätigkeit kann vorübergehend gegenüber der Durchsetzung überragend gewichtiger Gemeinwohlbelange zurückzustehen haben. Zwar führt die Antragstellerin – sehr nachvollziehbar – zu den Folgen der getroffenen Maßnahmen aus; der Vortrag zeigt jedoch angesichts einer in Pirmasens derzeit bestehenden pandemischen Lage mit hohen Infektionsraten den unbedingten Vorrang dieser Beeinträchtigungen vor dem staatlichen Auftrag zum Schutz von Leib, Leben und Gesundheit der Bevölkerung nicht auf. Angesichts der aktuellen indiziellen Fallzahlen handelt es sich dabei gerade nicht um ein fernliegendes Risiko, sondern um eine konkrete alltägliche Gefährdungssituation (vgl. Thüringer OVG, Beschluss vom 26. März 2021 – 3 EN 180/21 –, juris).

89

2.8. In den Beschränkungen durch Nr. 3 b der Allgemeinverfügung liegt voraussichtlich gegenwärtig auch noch kein Eingriff in das Eigentumsgrundrecht aus Art. 14 Abs. 1 GG in seiner Ausgestaltung als Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb. Dieses Recht vermittelt lediglich einen Bestandsschutz. Es schützt nicht bloße Gewinn- und Umsatzchancen sowie tatsächliche Gegebenheiten (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 24. März 2021 – 1 S 677/21 –, juris m.w.N.). Selbst wenn die angefochtene Vorschrift als Inhalts- und Schrankenbestimmung einzuordnen wäre, würde sie sich derzeit aus den oben genannten Gründen voraussichtlich als verhältnismäßig erweisen.

90

3. Im Ergebnis spricht damit zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts Überwiegendes dafür, dass die Betriebsbeschränkung in Nr. 3 b der Allgemeinverfügung vom 24. März 2021 rechtmäßig ist. Aber selbst wenn man nur von offenen Erfolgsaussichten in der Hauptsache ausgeht, fällt die Interessenabwägung hier zu Lasten der Antragstellerin aus.

91

Würde der Vollzug von Nr. 3 b der Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin ausgesetzt und sich diese Regelung in einem späteren Hauptsacheverfahren als rechtmäßig herausstellen, könnten in der Zwischenzeit die Infektionszahlen weiter ansteigen und dazu führen, dass die Funktionsfähigkeit der Gesundheitsver-sorgung sowie die überragenden Schutzgüter der menschlichen Gesundheit und des Lebens (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) erheblich und gegebenenfalls irreversibel beeinträchtigt werden. Das Robert Koch-Institut schätzt die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland derzeit insgesamt als sehr hoch ein (s. Täglicher Lagebericht des RKI zur Coronavirus-Krankheit-2019, Stand 05. April 2021, Seite 8, s. https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_ Coronavirus/Situationsberichte/Apr_2021/2021-04-05-de.pdf?__blob=publication File, abgerufen am 05. April 2021). Insbesondere zeigen die derzeit vorliegenden Daten und Analysen, dass sich der Anteil der Virusvariante B.1.1.7 in den letzten Wochen deutlich erhöht hat (inzwischen in Deutschland der vorherrschende COVID-19-Erreger). Die Virusvariante B.1.1.7 ist nach bisherigen Erkenntnissen des Robert Koch-Instituts deutlich ansteckender und verursacht vermutlich schwerere Krankheitsverläufe als andere Varianten. Zudem vermindert die zunehmende Verbreitung und Dominanz der Virusvariante B.1.1.7 die Wirksamkeit der bislang erprobten Infektionsschutzmaßnahmen erheblich (Täglicher Lagebericht des Robert-Koch-Instituts zur Coronavirus-Krankheit-2019, a.a.O., Seite 3). Auch im Stadtgebiet der Antragsgegnerin sind die Fallzahlen weiter konstant hoch. Derzeit liegt der 7-Tages-Inzidenzwert mit 106,9 über dem Wert, der die Gemeinden nach § 23 Abs. 4 Satz 1 der 18. CoBeLVO zum Einschreiten verpflichtet.

92

Bleibt die Anordnung dagegen sofort vollziehbar und stellt sich im Hauptsachever-fahren heraus, dass sie rechtswidrig gewesen ist, entstehen bei der Antragstellerin keine unumkehrbaren Beeinträchtigungen ihrer Rechte aus Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG. Ihr bleibt es trotz der grundsätzlichen Schließung ihrer Laden-geschäfte möglich, u.a. einen Abhol-, Liefer- oder Bringdienst anzubieten sowie Einzeltermine zu vergeben und somit ihren Beruf unter veränderten Bedingungen auszuüben. Ferner könnte die Antragstellerin bei einer Rechtswidrigkeit der streitigen Regelung auch im Nachhinein noch in Geld für entgangenen Gewinn entschädigt werden.

93

Daher vermögen die von der Antragstellerin befürchteten Grundrechtseinbußen die aufgrund der hohen Infektionszahlen gefährdeten überragenden Rechtsgüter des Funktionierens des Gesundheitssystems, der Gesundheit und des Lebens Ein-zelner nicht zu überwiegen (vgl. auch VG Koblenz, Beschluss vom 29. März 2021 – 3 L 281/21.KO –).

94

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

95

Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz – GKG –. Eine Reduzierung des Streitwerts im Hinblick auf den Eilrechtsschutz war nicht angezeigt, da die Antragstellerin eine Vorwegnahme der Hauptsache begehrt (Ziffer 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013).

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