Urteil vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (12. Kammer) - 12 A 219/11
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht die Beklagte Sicherheit zuvor in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
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Der Kläger begehrt die Verpflichtung der Beklagten, die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.
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Der Kläger steht als Polizeihauptmeister (Besoldungsgruppe A 9) im Dienste der Beklagten.
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Zum Stichtag 01. Oktober 2008 erhielt er eine dienstliche Beurteilung mit der Gesamtnote
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6 (entspricht den Anforderungen in jeder Hinsicht, wobei gelegentlich herausragende Leistungen erbracht werden; die Noten - bzw. Notenstufenskala reicht von 1 - 9). Er erklärte sich im Beurteilungsgespräch mit dieser Beurteilung zwar nicht einverstanden, legte aber keinen Rechtsbehelf ein.
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Eine weitere dienstliche Beurteilung erhielt der Kläger zum Stichtag 01. Oktober 2010. Von 16 bewerteten Kriterien fielen neun in die Leistungsstufe 6 und sieben in die Leistungsstufe 7, insgesamt wurde die Gesamtnote 6 festgesetzt. Über seinen Prozessbevollmächtigten ließ er Widerspruch erheben. Zur Begründung verwies dieser auf die besonderen Leistungen des Klägers. Außerdem bezeichnete er die Bewertungen teilweise als unstimmig, unlogisch oder widersprüchlich. Darüber hinaus habe ein in der Beurteilung aufgeführtes (und nach den Beurteilungsbestimmungen vorgesehenes) Gespräch tatsächlich nicht stattgefunden; der Kläger habe an diesem Tag dienstfrei gehabt. Des Weiteren sei in der Beurteilung von einem zuletzt durchgeführten Personalgespräch am 18. Dezember 2010 die Rede, obwohl die Beurteiler ihre Bewertungen schon vorher abgegeben hätten. Schließlich hätte die Quote, wonach auf einer Dienststelle nur eine bestimmte Anzahl von Beurteilungen nach bestimmten Leistungsstufen vergeben werden dürfe, dem Kläger zum Nachteil gereicht.
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Eine daraufhin von der Beklagten eingeholte Stellungnahme des Zweitbeurteilers kam zu dem Ergebnis, dass die Beurteilung an mehreren Fehlern leide. Wegen der Einzelheiten dieser Stellungnahme wird auf Bl. 39 f. der Verwaltungsakte A Bezug genommen.
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Mit Bescheid vom 18. Juli 2011 hob die Beklagte die Beurteilung auf und ordnete eine Neubewertung an. Gleichzeitig stellte sie unter Verweis auf Rechtsprechung Literatur dar, dass Rechtsanwaltskosten im Vorverfahren von ihr nicht ersetzt würden. Sie führte dazu aus, dass ausschließlich Tatsachenfehler gerügt worden seien, die der Kläger auch selbst hätte vortragen können. Außerdem habe ein schwieriger Sachverhalt, der einen juristischen Beistand erfordert hätte, nicht vorgelegen.
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Diesen Ausführungen widersprach der Prozessbevollmächtigte mit Schreiben vom 22.Juli 2011.
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Die Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 01. August 2011 zurück. Der Bescheid war nicht mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen.
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Der Kläger hat am 26. September 2001 Klage erhoben.
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Zur Begründung trägt er vor, dass im Hinblick darauf, sämtliche Angriffsmöglichkeiten gegen die Beurteilung zu finden, nicht nur Tatsachenfehler hätten gerügt werden müssen, sondern auch die Richtlinien für die Beurteilung der Beamtinnen/Beamten in der Bundespolizei hätten durchgearbeitet werden müssen. Einige der aufgezeigten Fehler seien zudem keine reinen Tatsachenargumente. In seiner Verwaltungsausbildung sei er nicht mit den Grundzügen des Beurteilungswesens vertraut gemacht worden, so dass der Hinweis der Beklagten, dass an die Kenntnisse eines Polizeibeamten im Verwaltungsrecht höhere Anforderungen zu stellen seien, nicht durchgreife. Schließlich habe die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts im Vorverfahren der Herstellung der Waffengleichheit gedient.
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Der Kläger beantragt (sinngemäß),
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unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide die Beklagte zu verpflichten, die Hinzuziehung eines Prozessbevollmächtigten im Widerspruchsverfahren im Rahmen der Anfechtung der Regelbeurteilung zum Stichtag 01. Oktober 2010 für notwendig zu erklären.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Unter Hinweis auf ihren bisherigen Vortrag führt sie weiter aus, dass ausgehend von der Schwierigkeit der Sache, unter Berücksichtigung der Sachkunde und der persönlichen Verhältnisse des Klägers es diesem zumutbar gewesen sei, sich selbst gegen die Beurteilung zu wenden. Zu berücksichtigen sei die Laufbahnausbildung und die langjährige Berufserfahrung des Klägers. Bereits formale Bedenken, die nur auf Tatsachenfeststellungen beruhten, hätten zur Aufhebung der Beurteilung geführt, ohne dass es hierzu weiterer rechtlicher Ausführungen bedurft hätte. Die für die Richtquote vom Bevollmächtigten vorgenommene rechtliche Würdigung sei nicht Grund für die Aufhebung gewesen, da sie sich nicht auf die Beurteilung des Klägers ausgewirkt habe.
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Die Kammer hat den Rechtsstreit dem Berichterstatter als Einzelrichter durch Beschluss vom 25. März 2014 zur Entscheidung übertragen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf den beigezogenen Verwaltungsvorgang der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage, über die im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden kann (§ 101 Abs. 2 VwGO) ist zulässig, aber unbegründet.
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Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass die Beklagte verpflichtet wird, die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären. Zunächst nimmt das Gericht entsprechend § 117 Abs. 5 VwGO Bezug auf die zutreffenden Gründe des Bescheides der Beklagten vom 18. Juli 2010.
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Ergänzend bzw. vertiefend ist noch Folgendes festzustellen:
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Ausgangspunkt der rechtlichen Beurteilung ist die Vorschrift des § 80 Abs. 2 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG). Danach sind die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts im Vorverfahren erstattungsfähig, wenn dessen Hinzuziehung notwendig war.
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Notwendig ist die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten, wenn es der Partei nach ihren persönlichen Verhältnissen und der Schwierigkeit der Sache nicht zuzumuten war, das Vorverfahren selbst zu führen.
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Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.
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Nach der ständigen Rechtsprechung des 8. Senats des Bundesverwaltungsgerichts ist die notwendige Vertretung durch einen Rechtsanwalt oder sonstigen Bevollmächtigten im Vorverfahren nicht die Regel, sondern die Ausnahme (vgl. etwa Urteil vom 26.Februar 1993 - 8 C 68/91 - Juris). Denn die Vorschrift des § 80 Abs. 2 VwVfG bringt - ebenso wie die Vorschrift des § 162 Abs. 2 S. 2 VwGO im gerichtlichen Verfahren - zum Ausdruck, dass nach Einschätzung des Gesetzgebers beim verwaltungsrechtlichen Vorverfahren eine Vertretung des Bürgers durch Rechtsanwälte oder sonstige Bevollmächtigte in der Regel weder üblich noch erforderlich ist. Einschränkend hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. etwa Urteile vom 12. Dezember 2001 - 6 C 19/01 - und vom 14. Januar 1999 - 6 B 118/98 - beide Juris) klargestellt, dass für die Auslegung und Anwendung von § 80 Abs. 2 VwVfG (bzw. 162 Abs. 2 S. 2 VwGO) weniger das Begriffspaar
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„Regel/Ausnahme“ als vielmehr die Feststellung aussagekräftig ist, wonach die Erstattungsfähigkeit von Anwaltskosten im Vorverfahren - anders als diejenige im gerichtlichen Verfahren (§ 162 Abs. 2 S. 1 VwGO) - nicht automatisch, sondern je nach Lage des Einzelfalles nur unter der Voraussetzung der konkreten Notwendigkeit anzuerkennen ist. Maßgebend ist insoweit, ob sich ein vernünftiger Bürger mit gleichem Bildungs- und Erfahrungsstand bei der gegebenen Sachlage eines Anwalts bedient hätte (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 2001 a.a.O.). Entscheidend für die rechtliche Beurteilung ist die Schwierigkeit der Sachlage, die jedoch nicht abstrakt, sondern unter Berücksichtigung der Sachkunde und der persönlichen Verhältnisse des Widerspruchsführers festzustellen ist. Hierbei kommt es nicht auf die subjektive Sicht des Widerspruchsführers an, sondern darauf, wie ein verständiger Dritter in dieser Situation gehandelt hätte. Maßgeblicher Zeitpunkt ist die förmliche Vollmachterteilung oder - bei schon im Ausgangsverfahren erteilter Vollmacht - der Auftrag zur Einlegung des Widerspruchs (vgl. Kallerhoff in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 80 Rn. 80 f.).
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Den Gesamtumständen des vorliegenden Falles nach zu urteilen, war es danach dem Kläger zuzumuten, das Vorverfahren selbst durchzuführen. Es liegt weder ein Ausnahmefall iSd Rechtsprechung des 8. Senats des Bundesverwaltungsgerichts vor noch liegt eine konkrete Notwendigkeit für eine Erstattung im Einzelfall vor.
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Ausgangspunkt ist hierbei zunächst, dass der zugrunde liegende Fall weder rechtlich noch tatsächlich schwierig war.
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Der Kläger ist Polizeivollzugsbeamter im statusrechtlichen Amt eines Polizeihauptmeisters. Polizeibeamte nehmen eine Sonderstellung bei den Beamten ein. Sie können bei ihrem Handeln sowohl repressiv als auch präventiv vorgehen. Insbesondere das präventive Handeln ist Verwaltungsrecht, welches die Einhaltung von materiellen und formellen Anforderungen gebietet. Dies sind Grundsätze, die im gesamten öffentlichen Recht gelten. Der Kläger kommt - anders als der Durchschnittsbürger - durch seine Ausbildung, Arbeit und Informationsaustausch mit Kollegen eher mit den Grundzügen des Verwaltungsrecht und des (rechtmäßigen) Behördenhandelns in Berührung. Allein dieses Wissen hätte im vorliegenden Fall nach Auffassung des Gerichts ausgereicht, um gegen die dienstliche Beurteilung vorzugehen. Es ist nicht notwendig, über beamtenrechtliche Spezialkonstellationen informiert zu sein oder beamtenrechtliche Spezialkenntnisse zu haben. Die allgemeinen Grundzüge des verwaltungsrechtlichen Handelns - im Sinne von formeller Rechtmäßigkeit spielen vorliegend die größte Rolle.
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Die dienstliche Beurteilung des Klägers litt an mehreren Fehlern - die zudem offensichtlich waren. Zum Einen wurde in der angegriffenen Beurteilung unzutreffend festgehalten, dass ein Gespräch an einem Tag stattgefunden hat, an dem der Kläger aber, wie sich später herausstellte, dienstfrei gehabt hat. Auch ein anderes Gespräch, was mit in die Bewertung eingehen sollte, fand erst nach der endgültigen Bewertung durch die Bewerter statt. Diese Fehler waren offensichtlich und eine Aufhebung der Bewertung schon aus diesem Grunde geboten. Weiter fehlte - was ebenfalls leicht erkennbar war - die notwendige Begründung für die Herabstufung einer Note.
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Soweit der Kläger vortragen lässt, dass er schon nicht wissen musste, welcher Rechtsbehelf gegen seine Beurteilung opportun ist und daraus die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Rechtsanwalts schlussfolgert, ist dies ohne Belang. Zum Einen hatte der Kläger schon in der Besprechung explizit einen Widerspruch angekündigt, zum Anderen kann ein falsch bezeichnetes aber in der Sache statthaftes Rechtsmittel auch umgedeutet werden. Es ist weiterhin unerheblich, dass der Kläger zum wiederholten Male mit seiner dienstlichen Beurteilung nicht einverstanden war. Auch gegen die vorherigen Beurteilungen stand ihm ein Rechtsbehelf zu und ggf. der Rechtsweg offen.
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Weiterhin ist zu beachten, dass ein Großteil der Ausführungen im Widerspruch für die Abhilfeentscheidung überhaupt nicht erforderlich gewesen ist. Bereits die offensichtlichen Tatsachenfehler waren hier geeignet, eine Neubeurteilung zu veranlassen. Die Rüge aller möglicherweise kausalen Beurteilungsfehler war nicht notwendig. Die Behörde war ohnehin zu einer vollständigen und nicht nur punktuellen Überprüfung ihrer Entscheidung berufen. Ziel des Widerspruchsverfahrens ist es u. a., eine Selbstkontrolle der Verwaltung zu ermöglichen. Die Behörde ist dabei an keine Rügepflicht des Klägers gebunden, vielmehr ist sie gehalten, eine durchweg formell und materiell rechtmäßige Entscheidung zu treffen. Wäre eine neue Beurteilung wiederum fehlerhaft gewesen, stünde es dem Kläger auch offen, erneut Widerspruch einzulegen. Eine Präklusion findet insoweit nicht statt und rechtliche Nachteile waren ebenfalls nicht zu befürchten. Der Wunsch, eine gerichtliche Auseinandersetzung zu vermeiden, ist zwar auch Ziel eines Widerspruchsverfahrens. Diesem Ziel den Vorrang zu gewähren, würde aber zu einer Aushöhlung des Grundsatzes führen, das Rechtsanwaltsanwaltskosten im Vorverfahren die Ausnahme bzw. nicht automatisch, sondern nur nach jeweiliger Lage des Einzelfalles und unter der Voraussetzung der konkreten Notwendigkeit ersetzt würden (vgl. insoweit BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 2001 a.a.O.).
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Auch der Hinweis des Klägers, die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren diene der Waffengleichheit, greift schließlich nicht durch. Dieses Argument könnte allenfalls im Hinblick auf die Erstattung von Rechtsanwaltskosten im gerichtlichen Verfahren fruchtbar gemacht werden. Dort ist es in der Regel erforderlich, dem Gericht den Tatsachenstoff für die Entscheidung substantiiert darzutun. Vorliegend hätte indes ausgehend vom Zweck des Vorverfahrens (Selbstkontrolle der Verwaltung) vom Kläger lediglich Widerspruch ohne genaue Begründung erhoben werden müssen, um eine Vollprüfung zu veranlassen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO; sie ist gemäß §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO vorläufig vollstreckbar.
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Referenzen
- VwGO § 154 1x
- ZPO § 711 Abwendungsbefugnis 1x
- 8 C 68/91 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 101 1x
- VwGO § 117 1x
- VwGO § 162 2x
- ZPO § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung 1x
- ZPO § 167 Rückwirkung der Zustellung 1x
- 6 B 118/98 1x (nicht zugeordnet)
- 6 C 19/01 1x (nicht zugeordnet)
- VwVfG § 80 Erstattung von Kosten im Vorverfahren 2x