Urteil vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (2. Kammer) - 2 A 177/16

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens werden den Klägern auferlegt. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind erstattungsfähig.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils vollstreckbaren Betrages leistet.

Tatbestand

1

Die Kläger begehren die Erteilung einer Baugenehmigung für den Neubau eines eingeschossigen Vierfamilienhauses mit Staffelgeschoss.

2

Die Kläger sind Eigentümer der Grundstücke Flurstück X und X, Flur X der Gemarkung S. (im Folgenden bezeichnet als Grundstück W-Straße). Das Grundstück W-Straße liegt innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils, für den kein Bebauungsplan existiert. Die südlich an das Grundstück angrenzenden Grundstücke B-Straße (Flurstück X), I-Straße (Flurstück X), W-Straße X und X (Flurstück X) liegen im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 37. Hinsichtlich Lage und Ausrichtung der Grundstücke sowie ihrer Bebauung im Einzelnen wird auf die Kartenauszüge der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen (siehe Bl. 14, 138 f. der Beiakten A).

3

Am 11.09.2015 beantragten die Kläger die Erteilung einer Baugenehmigung für den Neubau eines eingeschossigen Vierfamilienhauses mit Staffelgeschoss in 2. Baulinie auf dem Grundstück W-Straße.

4

Mit Bescheid vom 01.12.2015 lehnte der Beklagte den Antrag mit der Begründung ab, dass sich das Bauvorhaben nach dem Maß der baulichen Nutzung nicht in die nähere Umgebung einfüge. Der für die Beurteilung der Zulässigkeit des beantragten Vorhabens maßstabsbildende nähere Bereich sei die Bebauung B-Straße X, X, K-Straße und X-Straße. Die Bebauung für den Bereich B-Straße, W-Straße X und I-Straße sei nicht heranzuziehen, da das genannte Gebiet im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 37 liege und daher nach § 30 BauGB zu beurteilen sei. Die maßstabsbildende nähere Umgebung des streitbefangenen Grundstücks sei geprägt durch eine eingeschossige Bebauung mit gesattelten Dächern und entsprechenden Traufhöhen. Das beantragte Bauvorhaben füge sich insbesondere aufgrund seiner im Staffelgeschossbereich z.T. deutlich größeren Traufhöhe nicht störungsfrei in die nähere Umgebung ein. Das streitgegenständliche Vorhaben füge sich zudem aufgrund seines Bruttorauminhaltes von 1.180 m³ nicht störungsfrei in die durch kleinteilige Bebauung geprägte Umgebung ein. Das Vorhaben könne auch nicht als rahmenüberschreitendes Vorhaben zugelassen werden, da es eine negative Vorbildwirkung ausübe und damit eine ungeordnete städtebauliche Entwicklung einleiten könne. Die Beigeladene habe ihr Einvernehmen aus gleichen Gründen nicht erteilt.

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Mit Schreiben vom 11.12.2015 legten die Kläger gegen den Bescheid vom 01.12.2015 Widerspruch ein und trugen mit weiterem Schreiben vom 08.04.2016 zur Begründung vor, dass die gesamte nähere Umgebung zu berücksichtigen sei, soweit sich die Ausführung des Vorhabens auf sie auswirken könne und soweit die Umgebung ihrerseits den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks präge oder doch jedenfalls beeinflusse. Zur maßstabsbildenden vorhandenen Bebauung iSv § 34 BauGB gehöre auch ein qualifiziert beplantes Gebiet. Daher sei nicht ersichtlich, weshalb der Beklagte die Bebauung im Bereich B-Straße, W-Straße und I-Straße nicht herangezogen habe. Das Bauvorhaben füge sich mit einer Grundfläche von 202,92 m² auch gegenüber der von dem Beklagten als „nähere Umgebung“ zu zählenden Bebauung B-Straße mit einer dortigen Grundfläche von 203,48 m² in die unmittelbare Umgebung ein. Die Firsthöhe des beantragten Bauvorhabens betrage 7,99 m, wohingegen die Bebauung B-Straße Nr. X eine größere Firsthöhe von 8,675 m und die Bebauung W-Straße Nr. X eine Firsthöhe von 9,25 m aufweise. Die Traufhöhe des beantragten Bauvorhabens betrage derzeit 3,06 m und – lediglich für das Staffelgeschoss – 5,465 m. Die Traufhöhe der Bebauung B-Straße betrage 3,375 m, jene der Bebauung W-Straße X 3,40 m. Der angefochtene Bescheid setze sich mit diesen Parametern nicht auseinander. Die vorhandene Bebauung B-Straße Nr. X weise hinsichtlich der aufgezeigten Parameter überwiegend höhere Werte auf und sei daher maßstabsbildend. Aufgrund der heterogenen Bebauung im gesamten Gebiet sei der maßstabsbildende Rahmen zudem weit zu ziehen. Auch hinsichtlich des Bruttorauminhaltes füge sich das Bauvorhaben in die nähere Umgebung ein, da es das Bauvolumen des Nachbargebäudes W-Straße Nr. X sowie das Gebäude auf dem Grundstück B-Straße um lediglich 6 bzw. 7 % übersteige. Es liege insoweit nur eine marginale Überschreitung des Bruttorauminhaltes sowie eine lediglich teilweise (hinsichtlich des Staffelgeschosses) Überschreitung der Traufhöhe vor. Leichte Überschreitungen hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung seien jedoch zulässig, da es bei dem Kriterium des „Einfügens“ nicht um „Einheitlichkeit“, sondern um „Harmonie“ gehe. „Uniformität“ werde gerade nicht gefordert. Der angefochtene Bescheid lasse auch nicht erkennen, weshalb das Bauvorhaben zumindest nicht als rahmenüberschreitendes Vorhaben zulässig sei.

6

Mit Widerspruchsbescheid vom 27.07.2016 wies der Beklagte den Widerspruch vom 11.12.2015 zurück. Zur Begründung vertiefte er die Ausführungen des Bescheides vom 01.12.2015 und führte ergänzend aus, dass sich das streitgegenständliche Bauvorhaben aufgrund seiner Traufhöhe von 5,465 m nicht in die nähere Umgebung einfüge. Zudem widerspreche die Kubatur dem vorhandenen Bestand der durch Ein- und Zweifamilien- bzw. Doppelhäuser geprägten Bebauung. Das Vorhaben erreiche durch die Höhe des Staffelgeschosses eine Wirkung, die in ihrer Massivität deutlich über den vorhandenen Rahmen hinausgehe. Folglich entstehe eine negative Bezugsfallwirkung, die bodenrechtlich relevante Spannungen auslöse. Daher könne das Vorhaben auch nicht rahmenüberschreitend zugelassen werden.

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Die Kläger haben am 26.08.2016 Klage erhoben.

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Zur Begründung wiederholt er seine vorgerichtlichen Ausführungen. Ergänzend trägt er vor, dass eine Drittwiderspruchsakte eines Nachbarn existiere. Die pauschale Argumentation des Beklagten im Genehmigungs- und Widerspruchsverfahren erwecke den Eindruck, dass diese den dramatisierend verzehrenden Schreiben des Nachbarn angelehnt seien.

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Die Kläger beantragen,

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den Versagungsbescheid des Beklagten vom 01.12.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.07.2016 zugestellt am 29.07.2016, aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, die beantragte Baugenehmigung zu erteilen.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Zur Begründung nimmt sie Bezug auf ihren Widerspruchsbescheid vom 02.03.2016. Ergänzend führt sie mit weiterem Schreiben vom 18.09.2017 aus, dass selbst bei einer Einbeziehung der vom Kläger benannten Grundstücke in die nähere Umgebung sich das beantragte Vorhaben nicht einfüge. Die rückwärtigen Gebäude auf dem Grundstück B-Straße Nr. X genössen Bestandsschutz und seien als Fremdkörper ohnehin nicht prägend. Aufgrund ihrer im Vergleich zur übrigen Bebauung andersartigen Anordnung seien sie nicht maßstabsbildend. Der maßgebliche Bereich sei mit kleineren Wohngebäuden bebaut, die durch eine eingeschossige Bauweise mit gesattelten Dächern und einer entsprechend niedrigen Traufhöhe geprägt seien.

14

Die Beigeladene beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Die Kammer hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 29.09.2017 auf den Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.

17

Es wurde vor Ort mündlich verhandelt. Das Gericht hat die Örtlichkeit in Augenschein genommen. Fotos wurden gefertigt.

18

Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat der Prozessbevollmächtigte der Kläger Schriftsatznachlass „zur Stellungnahme zu der Klageerwiderung des Beklagten vom 18.09.2017 von gut drei Wochen, bis zum 10.11.2017“ beantragt.

19

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist unbegründet.

21

Das Gericht konnte entscheiden, ohne den Klägern einen Schriftsatznachlass zu gewähren. Ein solcher ist im Verwaltungsprozess nach Maßgabe der § 173 VwGO i.V.m. § 283 ZPO nur dann zu gewähren, wenn sich eine Partei in der mündlichen Verhandlung auf ein Vorbringen des Gegners nicht erklären kann, weil es ihr nicht rechtzeitig vor dem Termin mitgeteilt worden ist. Voraussetzung ist, dass ein Vorbringen nicht mit dem in § 132 ZPO und § 282 Abs. 2 ZPO vorgegebenen zeitlichen Vorlauf durch einen vorbereitenden Schriftsatz angekündigt worden ist. Diese Voraussetzungen lagen nicht vor. Der gut zweiseitige Schriftsatz des Beklagten vom 18.09.2017 wurde dem Prozessbevollmächtigten der Kläger mehr als drei Wochen vor der mündlichen Verhandlung übersandt. Darüber hinaus erschöpfen sich die Ausführungen des Beklagten überwiegend in Wiederholungen aus dem verwaltungsgerichtlichen Vorverfahren. Der dem Schriftsatz als Anlage beigefügte Lageplan (Bl. 52 der Gerichtsakten) dient lediglich der Veranschaulichung der bereits im Vorverfahren vom Beklagten vertretenen Auffassung zur maßstabsbildenden näheren Umgebung iSv § 34 BauGB. Kartenauszüge der Umgebung waren bereits den Verwaltungsvorgängen (siehe etwa Bl. 14, 138 f. der Beiakten A), in die der Prozessbevollmächtigte Akteneinsicht erhalten hat, zu entnehmen. Es handelt sich daher nicht um „neues“ Vorbringen im Sinne des § 283 ZPO. § 283 ZPO soll den Gegner vor „überraschendem“ Vorbringen schützen und ihm angemessen Reaktionsmöglichkeiten eröffnen. Zudem bedurfte es keiner Einlassung, weil die Ausführungen des Beklagten für die das Urteil tragenden Gründe nicht entscheidungserheblich waren. Das erkennende Gericht ist nach in Augenscheinnahme der Örtlichkeiten im Termin zu der Auffassung gelangt, dass die maßstabsbildende nähere Umgebung iSv § 34 BauGB weiter zu fassen ist, als dies von dem Beklagten vertreten wird.

22

Die Klage hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.

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Der Ablehnungsbescheid vom 01.12.2015 und der Widerspruchsbescheid vom 27.07.2016 sind rechtmäßig und verletzen die Kläger nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Erteilung der beantragten Baugenehmigung entsprechend ihrer Antragstellung vom 11.09.2015.

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Anspruchsgrundlage ist § 73 Abs. 1 Satz 1 LBO. Danach ist eine Baugenehmigung zu erteilen, wenn dem Vorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Verfahren zu prüfen sind. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Das beantragte Vorhaben verstößt gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften. Der Erteilung einer Baugenehmigung für das Wohnbauvorhaben stehen bauplanungsrechtliche Vorschriften entgegen.

25

Das unstreitig in einem im Zusammenhang bebauten Ortsteil der Beklagten belegene klägerische Grundstück liegt weder im Geltungsbereich eines qualifizierten Bebauungsplans iSv § 30 Abs. 1 BauGB noch eines einfachen Bebauungsplans iSv § 30 Abs. 3 BauGB mit Festsetzungen über die Geschosszahl und Traufhöhe, sodass sich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens nach § 34 Abs. 1 BauGB beurteilt. Danach ist innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils ein Vorhaben nur zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise, der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist. Die Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse müssen gewahrt bleiben; das Ortsbild darf nicht beeinträchtigt werden.

26

Das Vorhaben ist nicht zulässig, da es sich hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung, konkret wegen der Geschosszahl, nicht iSv § 34 Abs. 1 BauGB in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt. Mit dem beantragten Neubau eines eingeschossigen Vierfamilienhauses mit Staffelgeschoss erhöht sich die Anzahl der in der maßstabsbildenden näheren Umgebung iSv § 34 Abs. 1 BauGB (1.) nach außen in Erscheinung tretenden (Voll)Geschosse von eins auf zwei (2.).

27

1. Ausgangspunkt der Bestimmung des Rahmens der näheren Umgebung ist zunächst die vorhandene Bebauung. Dies gilt unabhängig davon, ob diese städtebaulich „wünschenswert“ ist oder unter anderen baurechtlichen Vorgaben, etwa aufgrund eines Bebauungsplans, entstanden ist. Die „nähere Umgebung“ ist in dem Umfang maßgeblich, wie – zum einen – das Vorhaben auf sie „ausstrahlen“ kann und – zum anderen – das Baugrundstück durch die Umgebung geprägt oder doch beeinflusst wird. Dabei ist die „nähere Umgebung“ für jedes der in § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB aufgeführten Bezugsmerkmale gesondert zu ermitteln. Fügt sich etwa ein Vorhaben seiner Art nach ein, so kommt es im Rahmen der Prüfung, ob es sich auch nach seinem Maß einfügt, nicht mehr erneut auf seine Art an, also darauf, welches Maß von anderen baulichen Anlagen gleicher Art in der näheren Umgebung bereits verwirklicht ist. Dasselbe gilt für die Prüfung, ob ein Vorhaben sich nach der Geschosszahl in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt. Dafür ist allein entscheidend, ob in der näheren Umgebung Bebauung in gleicher Geschosszahl vorhanden ist, die den Bereich der näheren Umgebung prägt. Die Art der Nutzung dieser Gebäude ist in diesem Zusammenhang grundsätzlich unerheblich. Nur Nebenanlagen gemäß § 14 BauNVO sind insoweit unbeachtlich.

28

Generell wird der „Radius“ der näheren Umgebung bei der Bestimmung des Maßes enger als bei dem Merkmal der Art der baulichen Nutzung zu bemessen sein, weil die von dem Maß der baulichen Nutzung ausgehende Prägung im Allgemeinen hinter der Reichweite der von der Art der baulichen Nutzung ausgehenden Wirkung zurückbleibt (so OVG Schleswig, Urteil vom 02.09.2004 – 1 LB 24/04 -).

29

Angesichts der sich aus den in den Verwaltungsvorgängen enthaltenen Lagepläne und dem Eindruck, den der Einzelrichter im Rahmen des Termins vor Ort gewonnen hat, sieht das Gericht für die Beurteilung der Frage, ob sich das Vorhaben hinsichtlich der Geschosszahl in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt, als maßgebliche nähere Umgebung die Bebauung innerhalb des Straßengevierts B-Straße (Nrn. X, X/X, X, X, X), K-Straße (Nrn. X bis X) und W-Straße (X bis X) sowie die beidseitige Bebauung der Straße I. (Nrn. X bis X). Entgegen der Auffassung des Beklagten gehört zu der den Maßstab bildenden vorhandenen Bebauung iSv § 34 BauGB auch ein qualifiziert beplantes Gebiet, soweit sich die Ausführung des Vorhabens auch auf sie auswirken kann und soweit die Umgebung ihrerseits den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks prägt oder jedoch beeinflusst. Dementsprechend waren vorliegend das o.g. Straßengeviert sowie die angrenzende Bebauung I-Straße (Nr. X bis X) als maßgebliche nähere Umgebung des Bauvorhabens heranzuziehen, weil von diesen Grundstücken schon aufgrund optischer Wahrnehmbarkeit eine wechselseitige Prägung bzw. Beeinflussung gegenüber dem beantragten Bauvorhaben anzunehmen ist.

30

Nach § 34 Abs. 1 und 2 BauGB richtet sich die planungsrechtliche Zulässigkeit baulicher Vorhaben im unbeplanten Innenbereich nach dem sich aus der vorhandenen Bebauung der zuvor bestimmten näheren Umgebung ergebenden Maßstab; hier also nach der Bebauung innerhalb des beschriebenen Straßengevierts sowie der angrenzenden Bebauung I-Straße Nrn. X bis X.

31

Das bedeutet, dass - gleichsam auf der ersten Stufe der Betrachtung - alles an Bebauung in den Blick zu nehmen ist, was in der näheren Umgebung tatsächlich vorhanden ist. Nicht jegliche vorhandene Bebauung in der näheren Umgebung bestimmt jedoch ihren Charakter. Vielmehr muss die Betrachtung - zweitens - auf das Wesentliche zurückgeführt werden. Es muss alles außer Acht gelassen werden, was die vorhandene Bebauung nicht prägt oder in ihr gar als Fremdkörper erscheint. Auszusondern sind zum einen solche baulichen Anlagen, die von ihrem quantitativen Erscheinungsbild (Ausdehnung, Höhe, Zahl usw.) nicht die Kraft haben, die Eigenart der näheren Umgebung zu beeinflussen, die der Betrachter also nicht oder nur am Rande wahrnimmt. Ihre Aussonderung hat mit dem Begriff "Fremdkörper" nichts zu tun, sondern ist Ergebnis einer Beschränkung auf das Wesentliche. Schon diese Beschränkung ist zwar nicht ganz frei von wertenden Elementen; sie knüpft aber noch stärker an die Feststellung des tatsächlich Gegebenen an (BVerwG, Urt. v. 15.02.1990, - 4 C 23/86 -, juris-Rn 12-14). Auszuschließen sind ferner solche Baukörper, bei denen es sich um Fremdkörper im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts handelt (Urt. v. 15.02.1990, – 4 C 23.86 –). Grundsätzlich sprechen große Qualitätsunterschiede zwischen einer einzelnen Anlage und ihrer im Wesentlichen homogenen Umgebung dafür, dass die Anlage als ein für die Eigenart der Umgebung unbeachtlicher Fremdkörper zu werten ist. Es können dabei auch solche Baukörper ausgesondert werden, die sich nur hinsichtlich eines Merkmals besonders deutlich von der übrigen Bebauung in der näheren Umgebung unterscheiden. So sind in der Rechtsprechung einzelne Baukörper, die nur hinsichtlich der Bebauungstiefe von der sonstigen Bebauung abweichen, als Fremdkörper, zum Teil auch als „Ausreißer“ bezeichnet, angesehen worden (vgl. OVG Schleswig, Urt. v. 23.09.2010, - 1 LB 3/10 -; Beschl. v. 13.09.2007 – 1 LA 27/07 -; Urt. v. 02.09.2004 – 1 LB 24/04 –; Urt. v. 23.02.1994 – 1 L 172/92 -). Entscheidend ist, ob die zu beurteilende bauliche Anlage geeignet ist, die Eigenart der näheren Umgebung zu prägen. Dies wird in der Regel dann nicht der Fall sein, wenn der zu beurteilende Baukörper nach seiner Lage zur Erschließungsstraße ganz erheblich anders angeordnet ist als alle übrigen Baukörper. Die vorgenannte Regel darf nur dann durchbrochen werden, wenn ein Baukörper seine Umgebung beherrscht oder aus anderen Gründen trotz der Andersartigkeit mit ihr eine Einheit bildet.

32

Diese Maßstäbe zugrunde gelegt ist die auf dem Grundstück W-Straße (Flurstück X) vorhandene rückwärtige Bebauung nicht in die maßstabsbildende nähere Umgebung iSv § 34 Abs. 1 BauGB einzubeziehen. Selbst wenn nicht von einer gänzlich fehlenden prägenden Wirkung des Gebäudes gesprochen werden kann, ist es für die übrige – insofern homogene - eingeschossige Bebauung mit Satteldächern nicht maßstabsbildend. Es handelt sich bei dem Gebäude um das bislang einzige Bauwerk im gesamten Straßengeviert mit einem zweiten Vollgeschoss. Überdies würde die Übereinstimmung des streitigen Bauvorhabens mit Referenzobjekten in nur einem Maßfaktor nicht ausreichen, weil sie dazu führen könnte, dass durch eine Kombination von Bestimmungsgrößen, die einzelnen Gebäuden in der näheren Umgebung jeweils separat entnommen werden, Baulichkeiten entstehen, die in ihrer Dimension kein Vorbild in der näheren Umgebung haben (BVerwG, Urt. v. 08.12.2016, - 4 C 7.15 -, juris).

33

2. In diesen durch eine eingeschossige Bebauung geprägte nähere Umgebung fügt sich das beabsichtigte Vorhaben hinsichtlich seiner nach außen in Erscheinung tretenden  (Voll-)Geschosszahl nicht ein.

34

Bei der Beurteilung, ob sich ein Vorhaben bezüglich des Maßes der baulichen Nutzung einfügt, ist auf die von außen wahrnehmbare Erscheinung des Gebäudes im Verhältnis zu seiner Umgebungsbebauung abzustellen, wobei vorrangig diejenigen Maßkriterien wesentlich sind, in denen die prägende Wirkung besonders zum Ausdruck kommt. Als solche Faktoren können die flächenmäßige Ausdehnung, die Geschosszahl und die Höhe baulicher Anlagen der den Rahmen bildenden Gebäude angesehen werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 23.03.1994 - 4 C 18.92 -; Beschl. v. 21.06.1996 - 4 B 84.96 -; Beschl. v. 21.06.2007 - 4 B 8.08 -; OVG Schleswig, Urt. v. 21.11.2013 - 1 LB 6/13 - ; alle juris). § 34 Abs. 1 BauGB enthält wie die übrigen Vorschriften des BauGB keine näheren Bestimmungen zum Maß der baulichen Nutzung. Zur Bestimmung dieser Zulässigkeitsmerkmale kann jedoch auf die Begriffsbestimmungen der BauNVO zurückgegriffen werden (allg. Ansicht, BVerwG, Urt. v. 23.04.1969 – 4 C 12.67 -; Urt. v. 23.03.1994 – 4 C 18.92 -; alle juris). Der aus der vorhandenen Bebauung zu gewinnende Maßstab ist dabei notwendig grob und ungenau; auch sprechen Gründe einer praktischen, handhabbaren Rechtsanwendung dafür, in erster Linie auf solche Maße abzustellen, die nach außen wahrnehmbar in Erscheinung treten und an Hand derer sich die vorhandenen Gebäude in der näheren Umgebung leichter in Beziehung zueinander setzen lassen. Daraus folgt, dass vorrangig die absoluten Größen von Grundflächen, Geschosszahl und Höhe zugrunde zu legen sind. Demgegenüber müssen die anderen Maßfaktoren wie Grundflächenzahl und Geschossflächenzahl zurücktreten und können nur in begrenzter Weise als Auslegungshilfen hinzugezogen werden (BVerwG, Urt. v. 23.03.1994 - 4 C 18.92 - a.a.O.).

35

Zur Relevanz der Geschosszahl eines Gebäudes bei der Prüfung, ob sich ein Vorhaben hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung gem. § 34 Abs. 1 BauGB in die nähere Umgebung gilt Folgendes:

36

Nach der Rechtsprechung des BVerwG ergibt sich aus § 16 Abs. 2 Nr. 3 sowie § 20 BauNVO, dass insoweit nur dem Merkmal des „Vollgeschosses“ rechtliche Bedeutung zukommt. Dabei sei nicht die objektive Zahl der (Voll-)Geschosse als maßgeblich anzusehen, sondern eine bewertende Betrachtung des äußeren Erscheinungsbildes durch den Betrachter vorzunehmen (BVerwG, Beschl. v. 27.07.2011 - 4 B 4/11 - juris). Für das Einfügen im Hinblick auf die Anzahl der Vollgeschosse komme es nicht auf das Ergebnis komplizierter Berechnungen an (Beschl. v. 21.06.1996 - 4 B 84.96 - juris). Auch nach der Rechtsprechung des OVG Schleswig ist die äußere Sichtbarkeit einer Maßabweichung entscheidend (vgl. OVG Schleswig, Urt. v. 21.11.2013 - 1 LB 6/13 -, mit Verweis auf BVerwG, Beschlüsse v. 14.03.2013 - 4 B 49.12 -, v. 21.06.2007 - 4 B 8.07 -, jeweils juris).

37

Hinsichtlich der Geschosszahl ist – wie bereits ausgeführt – das von außen wahrnehmbare Erscheinungsbild des jeweiligen Gebäudes maßgeblich. Dabei sind auch Staffelgeschosse in die Beurteilung der Eigenart der näheren Umgebung einzubeziehen. Von Bedeutung ist hierbei, welchen Eindruck vorhandene Staffelaufbauten im Verhältnis zur übrigen Dachfläche vermitteln. Ähnlich wie bei Gauben eines ausgebauten Dachgeschosses ist darauf abzustellen, inwieweit das Staffelgeschoss im Verhältnis zur gesamten Dachfläche untergeordnete Ausmaße aufweist bzw. ob es – je nach Breite und Umfang – vom First, von der Traufe und von den seitlichen Dachrändern deutlich abgesetzt ist.

38

Unter Anwendung der vorgenannten Maßstäbe entstünde durch Realisierung des beantragten eingeschossigen Vierfamilienhauses mit Staffelgeschoss - auch wenn sich die absolute Gebäudehöhe (Firsthöhe) in die nähere Umgebung ohne weiteres einfügen würde – ein Bauwerk mit optisch zweitem Vollgeschoss. Das geplante Staffelgeschoss erstreckt sich zumindest in südlicher Richtung über die gesamte Breite des Hauses und erzeugt damit von außen betrachtet die Wirkung eines zweiten Vollgeschosses. Das Staffelgeschoss ist im Vergleich zu der übrigen Dachfläche auch nicht untergeordnet. Im Einzelnen wird Bezug genommen auf die zu den Verwaltungsvorgängen gereichten Planunterlagen des streitgegenständlichen Vorhabens (siehe Bl. 145 ff. der Beiakten A). In der maßgeblichen näheren Umgebung findet sich kein weiteres zweigeschossiges Gebäude. Die z.T. ausgebauten Dachgeschosse mit Gauben in der näheren Umgebung vermitteln nicht den Eindruck vollwertiger Geschosse.

39

Das Vorhaben ist auch nicht als rahmenüberschreitendes Vorhaben zulässig. Eine Überschreitung des festgestellten Rahmens ist nur zulässig, wenn diese weder selbst noch infolge einer nicht auszuschließenden Vorbildwirkung geeignet ist, bodenrechtlich beachtliche Spannungen zu begründen oder vorhandene Spannungen zu vertiefen. Angesichts dessen ist das Bauvorhaben der Kläger nicht zulässig, weil es direkte Auswirkungen auf die gesamte Bebauung im Straßengeviert, insbesondere eine negative Vorbildwirkung für eine „Aufstockung“ der bisherigen - durch Satteldächer geprägten - Dachgeschosse haben würde und somit eine ungeordnete städtebauliche Entwicklung einleiten könnte. Das rahmenüberschreitende Vorhaben der Kläger würde folglich ein Planungsbedürfnis auslösen und fügt sich daher nicht iSv § 34 Abs. 1 BauGB nach der optisch wahrnehmbaren Geschosszahl in die Eigenart der näheren Umgebung ein.

40

Daher war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen waren aus Billigkeit gemäß § 162 Abs. 3 VwGO der unterliegenden Partei aufzuerlegen, weil die Beigeladene einen eigenen Sachantrag gestellt und sich damit einem Kostenrisiko ausgesetzt hat (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO).

41

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO iVm §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 ZPO.


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