Beschluss vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (17. Kammer) - 17 B 1/18
Tenor
Die Durchsuchung der Wohnung des Antragsgegners, ..., ... zwecks Auffindens einer Patrone 9 mm mit der Aufschrift „Edda“ wird angeordnet.
Gründe
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Der Antrag hat Erfolg; er ist zulässig und begründet.
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Zwar wird in dem Antrag des Antragsgegners vom 22.01.2018 nicht ausdrücklich der Gegenstand bezeichnet, der aufgefunden werden soll. Jedoch ergibt sich aus seiner Begründung, dass sich der Antragsgegner von der Durchsuchung das Auffinden des im Tenor genannten Gegenstandes erhofft. Weiterhin ist im Einzelnen der Tatvorwurf umschrieben und das zu durchsuchende Objekt und die Art des Beweismittels, nach dem gesucht wird, genau bezeichnet worden. Insoweit ist der äußere Rahmen abgesteckt, innerhalb dessen die Zwangsmaßnahme durchzuführen ist. So ist es dem Betroffenen möglich, die Durchsuchung seinerseits zu kontrollieren und etwaigen Ausuferungen im Rahmen seiner rechtlichen Möglichkeiten entgegen zu treten.
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Der Antrag ist auch begründet.
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Der Beamte musste vor dem Antrag auf Wohnungsdurchsuchung über die Einleitung des Disziplinarverfahrens nicht unterrichtet werden. Nach § 20 Abs. 1 Satz LDG ist der Beamte über die Einleitung des Disziplinarverfahrens unverzüglich zu unterrichten, sobald dies ohne Gefährdung der Aufklärung des Sachverhalts möglich ist. Eine Gefährdung der Aufklärung des Sachverhalts liegt vor, wenn der Sachverhalt noch nicht hinreichend aufgeklärt ist und konkrete Umstände dafür sprechen, dass der Beamte, wenn er weiß, dass gegen ihn ein Disziplinarverfahren eingeleitet wurde und auf welchen Sachverhalt es sich bezieht, versuchen könnte, die Aufklärung zu erschweren oder zu verhindern, um sich dadurch seiner disziplinarrechtlichen Verantwortung zu entziehen (vgl. GKÖD-Weiß, § 20 Randnummer 28). Vorliegend würde eine Durchsuchung nach Unterrichtung des Beamten im konkreten Fall die Gefahr in sich bergen, dass der Beamte den aufzufindenden Gegenstand versteckt oder vernichtet.
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Die materiellen Voraussetzungen für eine Durchsuchung liegen vor. Gemäß § 27 Abs.1 Satz 2 Landesdisziplinargesetz (LDG) darf die Anordnung über Beschlagnahme und Durchsuchungen nur getroffen werden, wenn der Beamte des ihm zur Last gelegten Dienstvergehens dringend verdächtig ist und die Maßnahme zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Disziplinarmaßnahme nicht außer Verhältnis steht.
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Der Beamte ist der Begehung eines schwerwiegenden Dienstvergehens dringend verdächtig. Dringender Tatverdacht im vorgenannten Sinne ist dann anzunehmen, wenn nicht nur eine auf wage Anhaltspunkte oder bloße Vermutungen, sondern eine auf Tatsachen gestützte hohe Wahrscheinlichkeit (so Bayrischer VGH, Beschluss vom 19.10.2009 - 16b DC 09.2188 – Juris) bzw. eine überwiegende Wahrscheinlichkeit (so OVG Münster, Beschluss vom 28.04.2017 - 3d B 441/17.O - Juris) dafür gegeben ist, dass der Beamte das ihm zur Last gelegte Dienstvergehen begangen hat.
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Gemessen daran besteht für die Kammer im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung ein hinreichender Verdacht, dass der Beamte ein schweres Dienstvergehen im Sinne von § 47 Abs. 1 Satz 1 Beamtenstatusgesetz (BeamtStG) begangen hat. Anzuknüpfen ist zunächst an den Vorwurf der Nachstellung (vgl. § 238 Abs. 1 Strafgesetzbuch – StGB). Seit einem Streit am 21.08.2017 ist von seiner Tochter und seinem Schwiegersohn ihm gegenüber ein Hausverbot für deren Wohnung sowie ein Kontaktverbot ausgesprochen worden. Nach dem derzeitigen Ermittlungstand spricht vieles dafür, dass der Beamte sich an diese Verbote nicht gehalten hat. Vielmehr hat er seiner Tochter auf dem Weg zur Schule und zum Kindergarten aufgelauert und sie auch auf ihrer Arbeitsstelle zur Rede gestellt. Weiterhin ist er dabei beobachtet worden, mehr als ein Dutzend Mal an einem Tag am Haus der Tochter vorbei gefahren zu sein, als diese sich in einer Tagesklinik in therapeutischer Behandlung befand. Schließlich hat der Schwiegersohn ausgesagt, dass er – der Beamte – in die Fenster der Wohnung seiner Tochter geschaut habe. Die Tochter des Beamten wurde aufgrund dieser Umstände im September 2017 krankgeschrieben und therapeutisch behandelt.
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Weiterhin bestehen begründete Anhaltspunkte dafür, dass der Beamte seine Ex-Ehefrau im Jahre 2002 mit der Dienstwaffe bzw. Teilen davon bedroht hat (vgl. § 240 StGB). Nach den Aussagen der Tochter (vgl. im einzelnen Blatt 66 bis 140 der Beiakte) und seiner Ex-Frau (vgl. Blatt 141 bis 156 der Beiakte) hat der Beamte seiner Ex-Frau eine 9 mm Patrone vor das Gesicht gehalten mit dem Hinweis, dass diese für sie sei, wenn sie ihn verlassen würde.
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Schließlich hat die Tochter des Beamten ausgesagt, dass er sich ihr im Jahre 2000/ 2001, während sie im Bett der Eltern geschlafen habe, unsittlich genährt habe. Er habe sie an der Brust und im Genitalbereich berührt und dabei den Namen „....“ gemurmelt .Seine Tochter sei zunächst von ihm weggerückt und nach etwa 15 Minuten aufgestanden und in ihr Zimmer gegangen. Das begründet den Verdacht des sexuellen Missbrauchs eines Kindes (§ 176 Abs. 1 StGB).
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Diese Vorwürfe begründen den Verdacht eines Verstoßes gegen die sogenannte Wohlverhaltenspflicht nach § 34 Satz 3 BeamtStG. Danach muss das Verhalten von Beamtinnen und Beamten der Achtung und dem Vertrauen gerecht werden, die ihr Beruf erfordert. Das Fehlverhalten des Beklagten ist nach der gebotenen materiellen Betrachtungsweise (BVerwG, Urt. v. 20.02.2001 - 1 D 55.99 -, Juris) zwar als außerdienstlich zu qualifizieren, weil es weder formell in sein Amt noch materiell in die damit verbundene dienstliche Tätigkeit eingebunden war. Dennoch berührt dieses Fehlverhalten den durch § 34 Satz 3 BeamtStG definierten Pflichtenkreis des Beamten. Denn das Vertrauen der Bürger, dass der Beamte dem Auftrag gerecht wird, als Repräsentant des demokratischen Rechtsstaates eine unabhängige, unparteiliche und gesetzestreue Verwaltung zu sichern, darf er auch durch sein außerdienstliches Verhalten nicht beeinträchtigen (BVerwG, Urt. v. 18.06.2015 - 2 C 9.14 -, Juris Rn. 11). Begeht er außerhalb des Dienstes eine Straftat, liegt darin nach der Wertung des § 47 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG allerdings erst dann ein Dienstvergehen, wenn weitere, auf die Eignung zur Vertrauensbeeinträchtigung bezogene Umstände hinzutreten und die Straftat nach den Umständen des Einzelfalls zugleich in besonderem Maße geeignet ist, das Vertrauen in einer für sein Amt bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen. Der erforderliche Bezug zum Amt des Beamten ist vorliegend gegeben. Einem außerdienstlichen Fehlverhalten kommt eine Indizwirkung für die Erfüllung der Dienstpflichten umso eher zu, je näher sein Bezug zu den dem Beamten übertragenen Dienst- und Obhutspflichten ist. Ebenso, wie außerdienstliche Sexualdelikte gegen Kinder geeignet sind, Rückschlüsse auf die dienstliche Vertrauenswürdigkeit von Erziehern oder Lehrern zu ziehen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 23.06.2010 - 2 B 59.09 -, Juris Rn. 9), gilt dies für Polizeibeamte. Ihnen sind zwar keine spezifischen Dienstpflichten zu Schutz und Obhut gerade von Kindern auferlegt, doch haben gerade Polizeibeamte Straftaten zu verhüten, aufzuklären und zu verfolgen, weshalb sie in der Öffentlichkeit – insbesondere auch für schutzbedürftige Personen – generell eine besondere Vertrauens- und Garantenstellung genießen. Besteht das außerdienstliche Fehlverhalten eines Polizeibeamten daher in der Begehung von Vorsatztaten, teilweise sogar zum Nachteil eines Schutzbedürftigen, beeinträchtigt dies das berufserforderliche Vertrauen in besonderem Maße und unabhängig davon, ob er auf seinem konkreten Dienstposten gerade mit der Verfolgung solcher Delikte betraut war. Entsprechendes gilt bei vorsätzlichen Sexualdelikten gegenüber Kindern. Hier kommt es auch nicht darauf an, ob der Polizeibeamte Kontakt mit Kindern oder Jugendlichen hatte.
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Losgelöst vom konkreten Dienstbezug kann ein Dienstvergehen im Übrigen regelmäßig angenommen werden, wenn der vom Gesetzgeber vorgegebene Strafrahmen für eine vorsätzlich begangene Straftat im mittleren Bereich – mit einer Höchststrafe von bis zu zwei Jahren – liegt und der daran gemessene Unrechtsgehalt der konkreten Tat nicht nur gering wiegt. Ein solcher Strafrahmen lässt ohne Weiteres darauf schließen, dass das Fehlverhalten das Ansehen des Beamtentums in einer Weise beschädigt, die im Interesse der Akzeptanz des öffentlichen Dienstes in der Bevölkerung und damit seiner Funktionsfähigkeit nicht hingenommen werden kann (zum Ganzen: OVG Schleswig, Urteil vom 25.10.2017 – 14 LB 4/16 – Juris unter Hinweis auf BVerwG, Urt. v. 28.07.2011 - 2 C 16.10 -, Juris; Urt. v. 19.08.2010 - 2 C 13.10 - und OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 12.01.2015 - OVG 81 D 2.11 -, beide Juris ). Der vom Beamten begangene sexuelle Missbrauch nach § 176 Abs. 1 StGB weist einen Strafrahmen bis zu einer Freiheitsstrafe von 10 Jahren, die Nachstellung nach § 238 Abs. 1 StGB einen solchen bis zu drei Jahren auf.
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Der Antragsgegner hat darüber hinaus in seinem Antrag in Bezug auf die Bedrohung nach § 241 StGB zutreffend darauf hingewiesen, dass die Verwendung dienstlicher Ausrüstungsgegenstände, die dem Beamten zu seinem Schutz bei der Dienstverrichtung oder zur Durchsetzung der staatlichen Exekutive zur Verfügung gestellt werden, besonders verwerflich und mit einem Berufsethos eines Polizisten nicht vereinbar ist.
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Jeder einzeln aufgeführte Pflichtenverstoß mag zwar für sich allein betrachtet nicht notwendigerweise dazu geeignet sein, im Disziplinarverfahren auf Entfernung des Beamten aus dem Dienst oder – wegen Eingreifens des Maßnahmeverbots nach § 15 LDG - auf Zurückstufung - zu erkennen. Allerdings ist im Disziplinarverfahren der Grundsatz der Einheit des Dienstvergehens in den Blick zu nehmen. Dieser bedeutet, dass auch lange zurückliegende Pflichtverletzungen in die disziplinare Betrachtung einbezogen werden können und müssen, wenn weitere Pflichtverletzungen hinzutreten, die für sich alleine oder zusammen mit den älteren eine nicht der „ Verjährung“ unterliegende Disziplinarmaßnahme notwendig machen. Auszuscheiden aus dieser Betrachtung sind nur solche Pflichtverletzungen die mit den übrigen, später hinzugetretenen in keinem inneren oder äußeren Zusammenhang stehen (grundsätzlich dazu: BVerwG, Urteil vom 22.06.1978 - I D 46.77 - Juris). Bei einer Mehrheit von Pflichtverletzungen richtet sich das Maßnahmeverbot wegen der Einheit des Dienstvergehens im Allgemeinen nach dem Maßnahmeverbot hinsichtlich des gesamten Dienstvergehens, also nach der zeitlich letzten Einzelverfehlung bzw. nach dem Gewicht und Maßnahmenwahl der schwerwiegendsten.
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Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass, anknüpfend an den Vorwurf der Nachstellung als letzte (noch) nicht dem Maßnahmeverbot unterliegende Pflichtverletzung, auch die übrigen zeitlich davor liegenden oben beschriebenen Taten – weil insoweit in einem wesensmäßigen Zusammenhang stehend – in die disziplinare Ahndung einbezogen werden können. Auszuscheiden haben indes der Vorwurf des Alkoholismus, des Cannabiskonsums und die innerdienstlichen Vorwürfe. Abgesehen davon, dass die beiden erstgenannten überhaupt nicht weiter konkretisiert worden und damit zu unbestimmt sind, sind alle drei Verfehlungen aus den für die Anordnung der Durchsuchung maßgeblichen Tatkomplex deshalb auszuklammern, weil sie ebenso wie die auf die Dienstverrichtung bezogenen Anschuldigungen in keinem inneren und äußeren Zusammenhang mit den oben geschilderten Vorwürfen stehen. (Die auf die Dienstverrichtung bezogenen Vorwürfe stellen einen eigenständigen Tatkomplex dar). Im Ergebnis dürfte dies auch für den Vorwurf, seine Kinder bis zum Teenageralter geschlagen und deshalb den Tatbestand der Misshandlung Schutzbefohlener erfüllt zu haben, gelten. Diesem Vorwurf dürfte es ebenfalls an der ausreichenden Bestimmtheit fehlen.
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Die Durchsuchung steht zur Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Disziplinarmaßnahme nicht außer Verhältnis. Regelmäßig wird die vorliegend beantragte Zwangsmaßnahme allerdings nur in Betracht kommen, wenn die Zurückstufung oder die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis zu erwarten ist. Sie kann als unverhältnismäßig erscheinen, wenn das mutmaßliche Dienstvergehen nur einen Verweis oder eine Geldbuße nach sich ziehen würde (vgl. BVerG, Beschlüsse vom 21.06.2006 – 2 BvR 1780/04-14.11.2007-2 BvR 371/07 - Juris). Sollte sich die von den Zeuginnen geschilderte Bedrohung mit dienstlich zur Verfügung gestellten Gegenständen bzw. Mitteln durch Auffinden der entsprechenden gekennzeichneten Patrone bestätigen, läge allein dadurch eine Pflichtverletzung von so erheblichen Gewicht vor, dass als Disziplinarmaßnahme zumindest eine Zurückstufung in Betracht käme. Dies gilt erst recht, wenn sich die weiteren o.g. Vorwürfe im Rahmen des Disziplinarverfahrens bewahrheiten sollten.
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Die Maßnahme ist auch im Übrigen verhältnismäßig, insbesondere ist sie geeignet, um zu dem entsprechenden Beweismittel zu kommen. Mit der Durchsuchung kann der Gegenstand, der noch vor zwei oder drei Jahren in einer Schublade unter dem Fernseher in der Wohnung des Beamten gesehen worden sein soll, aufgefunden werden und so die Aussagen der vernommenen Zeuginnen zur Bedrohung der Ex- Ehefrau des Beamten bestätigen.
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Die Kostenentscheidung bleibt, weil es sich um eine unselbstständige Nebenentscheidung handelt, dem Hauptsacheverfahren vorbehalten (Bay. VGH, Beschluss vom 19.10.2009 a.a.O.).
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Referenzen
- StGB § 240 Nötigung 1x
- 2 BvR 371/07 1x (nicht zugeordnet)
- StGB § 238 Nachstellung 1x
- 3d B 441/17 1x (nicht zugeordnet)
- BeamtStG § 34 Wahrnehmung der Aufgaben, Verhalten 2x
- § 15 LDG 1x (nicht zugeordnet)
- StGB § 176 Sexueller Mißbrauch von Kindern 2x
- BeamtStG § 47 Nichterfüllung von Pflichten 1x
- 2 BvR 1780/04 1x (nicht zugeordnet)
- Urteil vom Schleswig Holsteinisches Oberverwaltungsgericht (14. Senat) - 14 LB 4/16 1x
- § 20 Abs. 1 Satz LDG 1x (nicht zugeordnet)
- StGB § 241 Bedrohung 1x