Beschluss vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (1. Kammer) - 1 B 40/20

Tenor

Die Anträge werden abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 5.000, -- festgesetzt.

Gründe

1

Der als Hauptantrag gestellte Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Inhalt, festzustellen, dass die Anreise und der Aufenthalt der Antragstellerin und ihrer Familie in der Wohnung XXX-Straße in XXX, rechtmäßig sind, ist – soweit die Antragstellerin selbst betroffen ist – zulässig.

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Der Antrag ist jedoch nicht zulässig, soweit die Antragstellerin im eigenen Namen eine Feststellung zugunsten ihrer Angehörigen begehrt, da die Antragstellerin insoweit nicht geltend machen kann, in eigenen Rechten verletzt zu sein (§ 42 Abs. 2 VwGO analog), der Antragstellerin fehlt insoweit die Antragsbefugnis. Antragsbefugt im vorläufig Rechtschutzverfahren ist nur, wer im Verfahren der Hauptsache klagebefugt wäre. Für die Feststellungsklage bedarf es einer Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 Alt. 2 VwGO (stRspr, vgl. BVerwG, Urteile vom 28. Juni 2000 – 11 C 13.99 – BVerwGE 111, 276 <279>, vom 10. Juli 2001 – 1 C 35.00 – BVerwGE 114, 356 <360> und vom 26. November 2003 – 9 C 6.02 – BVerwGE 119, 245 <249>; Urteil vom 18. Dezember 2014 – 4 C 35/13 –, Rn. 51, juris). Die Feststellung oder Nichtfeststellung eines sie betreffenden Rechtsverhältnisses können zulässigerweise nur die Angehörigen der Antragstellerin selbst, nicht jedoch die Antragstellerin im eigenen Namen geltend machen, da es ansonsten der Geltendmachung der Verletzung eigener Rechte fehlt.

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Der Antrag auf Erlass einer alsbaldigen Anordnung ist – soweit es um die Antragstellerin geht – nicht begründet.

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Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung treffen, wenn diese Regelung notwendig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden. Erforderlich ist danach zum einen das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d.h. die Notwendigkeit einer Eilentscheidung, und zum anderen ein Anordnungsanspruch, also ein rechtlicher Anspruch auf die begehrte Maßnahme. Dem Wesen und Zweck einer einstweiligen Anordnung entsprechend kann das Gericht im einstweiligen Anordnungsverfahren grundsätzlich nur vorläufige Regelungen treffen und einem Antragssteller nicht schon das zusprechen, was er – sofern ein Anspruch besteht – nur in einem Hauptsacheverfahren erreichen könnte. Dieser Grundsatz des Verbotes einer Vorwegnahme der Hauptsacheentscheidung gilt jedoch im Hinblick auf den durch Artikel 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) gewährleisteten wirksamen Rechtschutz dann nicht, wenn die erwarteten Nachteile bei einem Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache unzumutbar wären und ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg in der Hauptsache spricht.

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Es besteht vorliegend im Hinblick auf eine mögliche Strafbarkeit des beabsichtigten Verbleibs der Antragstellerin an dem Ort ihrer Nebenwohnung in XXX gemäß § 75 Absatz 1 Nr. 1, Absatz 3 IfSG in Verbindung mit der Allgemeinverfügung des Antragsgegners zum Verbot der Anreise zu selbst genutzten Nebenwohnungen auf dem Gebiet des Kreises Ostholstein vom 24. März 2020 eine besondere Eilbedürftigkeit und das Abwarten einer rechtskräftigen Entscheidung im Verfahren der Hauptsache ist für die Antragstellerin nicht zumutbar. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts stellt der Verweis auf ein im etwaigen Bußgeldverfahren, gleiches gilt für ein Strafverfahren, zur Verfügung stehendes Rechtsmittel keinen ausreichenden effektiven Rechtsschutz dar. Einem Betroffenen sei es nicht zuzumuten, die Klärung verwaltungsrechtlicher Zweifelsfragen auf der Anklagebank erleben zu müssen. Der Betroffene habe vielmehr ein schutzwürdig anzuerkennendes Interesse daran, den Verwaltungsrechtsweg als fachspezifischere Rechtsschutzform einzuschlagen, insbesondere, wenn ein Ordnungswidrigkeitenverfahren oder Strafverfahren droht. Seien die Gerichte zur Sachprüfung verpflichtet, könnten sie sich auch einer Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren insoweit nicht entziehen (BVerfG, Beschluss vom 7. März 2003 – 1 BvR 2129/02 – NVwZ 2003, 856). Dies bedeutet für den vorliegenden Fall, dass sowohl ein Bedürfnis für eine gerichtliche Eilentscheidung vorliegt, als auch, dass einer gerichtlichen Eilentscheidung nicht der Grundsatz des Verbots einer Vorwegnahme der Entscheidung in der Hauptsache entgegensteht.

6

Der Antrag ist vorliegend auf die vorläufige Feststellung des Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gerichtet. Im Verfahren der Hauptsache wäre dazu die Feststellungsklage statthaft. Nach § 43 Abs. 1 VwGO kann durch Klage die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat. Unter einem feststellungsfähigen Rechtsverhältnis sind die rechtlichen Beziehungen zu verstehen, die sich aus einem konkreten Sachverhalt aufgrund einer öffentlich-rechtlichen Norm für das Verhältnis von (natürlichen oder juristischen) Personen untereinander oder einer Person zu einer Sache ergeben, kraft deren einer der beteiligten Personen etwas Bestimmtes tun muss, kann oder darf oder nicht zu tun braucht (BVerwG, Urteil vom 26. Januar 1996 – 8 C 19.94 – BVerwGE 100, 262). Rechtliche Beziehungen haben sich nur dann zu einem Rechtsverhältnis im Sinne des § 43 Abs. 1 VwGO verdichtet, wenn die Anwendung einer bestimmten Norm des öffentlichen Rechts auf einen bereits übersehbaren Sachverhalt streitig ist (BVerwG, Urteil vom 7. Mai 1987 – 3 C 53.85 – BVerwGE 77, 207). Vorliegend ist zwischen der Antragstellerin und dem Antragsgegner als zuständiger Gesundheitsbehörde streitig, ob die Allgemeinverfügung mit dem Verbot der Anreise und dem daraus folgenden Gebot, bei einer rechtswidrigen Anreise auch wieder abzureisen, auf die Antragstellerin Anwendung findet. Die durch die Allgemeinverfügung begründete Pflichtenbeziehung zwischen den Beteiligten hat sich durch den gegenteiligen Rechtsstandpunkt des Antragsgegners und die damit verbundene Behauptung der rechtlichen Unzulässigkeit der vorgenommenen Anreise der Antragstellerin zu einem Rechtsverhältnis im Sinne von § 43 Abs. 1 VwGO verdichtet. Die Antragstellerin hat auch ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung.

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Der Antrag ist jedoch nicht begründet. Der von der Antragstellerin geltend gemachte Anordnungsanspruch besteht nicht.

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Nach der Allgemeinverfügung des Antragsgegners zum Verbot der Anreise zu selbstgenutzten Nebenwohnungen auf dem Gebiet des Kreises Ostholstein vom 24. März 2020 ist die Anreise in den Kreis Ostholstein zur Nutzung einer im Kreis gelegenen Nebenwohnung (sogenannte Zweitwohnung) im Sinne des Bundesmeldegesetzes nach Ziffer 1 untersagt, wenn die Nebenwohnung für einen Aufenthalt a.) aus touristischem Anlass im Sinne von § 2 der Landesverordnung über Maßnahmen zur Bekämpfung der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 in Schleswig-Holstein vom 23. März 2020 (SARS-CoV-2-BekämpfV), nunmehr § 2 der Landesverordnung vom 2. April 2020, in Kraft seit 3. April 2020, erfolgt, b.) zu Freizeitzwecken, c.) zu Fortbildungszwecken oder d.) zur Entgegennahme von vermeidbaren oder aufschiebbaren Maßnahmen der medizinischen Versorgung, Vorsorge oder Rehabilitation genutzt werden soll. Nach Ziffer 3 der Allgemeinverfügung liegt eine touristische Nutzung im Sinne von § 2 SARS-CoV-2BekämpfV insbesondere vor, wenn a.) die Nebenwohnung aus zwingenden beruflichen sowie aus ehe-, sorge- und betreuungsrechtlichen Gründen genutzt wird, b.) Verwandte 1. Grades, die Ehegattin, der Ehegatte, die Lebenspartnerin oder der Lebenspartner in der Nebenwohnung ihren derzeitigen Aufenthaltsort haben, c.) eine zwingende Betreuung von betreuungs- oder pflegebedürftigen Familienangehörigen (Eltern, Kinder) in oder bei der Nebenwohnung sichergestellt werden soll, oder d.) um eine am Hauptwohnsitz nicht zu gewährleistende Trennung von Personen vorzunehmen, die aufgrund behördlicher Anordnung unter häusliche Quarantäne gestellt wurden, oder e.) um zwingende und nicht aufschiebbare Erhaltungs- und Sicherungsmaßnahmen an der Nebenwohnung vorzunehmen. Dies gilt nicht für Renovierungsarbeiten.

9

Die Regelungen der Allgemeinverfügung konkretisieren und ergänzen die Landesverordnung über Maßnahmen zur Bekämpfung der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 in Schleswig-Holstein – SARS-CoV-2-BekämpfV – in der Fassung zunächst vom 17. März 2020, nunmehr in der Fassung vom 2. April 2020. Nach § 2 SARS-CoV-2-BekämpfV sind Reisen aus touristischem Anlass in das Gebiet des Landes Schleswig-Holstein untersagt. Dies gilt auch für Reisen, die zu Freizeitzwecken, zu Fortbildungszwecken oder zur Entgegennahme von vermeidbaren oder aufschiebbaren Maßnahmen der medizinischen Versorgung, Vorsorge oder Rehabilitation unternommen werden.Versorgung, Vorsorge oder Rehabilitation unternommen werden.

10

Es handelt sich bei der erst nach Bekanntmachung der Allgemeinverfügung vom 24. März 2020 erfolgten Rückkehr der Antragstellerin an den Ort der Nebenwohnung um eine Anreise im Sinne der Allgemeinverfügung. Ziffer 1 der Allgemeinverfügung unterscheidet nicht zwischen einer Anreise nach einer längeren Abwesenheit vom Ort der Nebenwohnung und einer Anreise nach vorheriger Abreise am Wochenende 21./22. März 2020. Darüber hinaus stellt Ziffer 5 Satz 1 der Allgemeinverfügung klar, dass Personen, die sich im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Allgemeinverfügung in ihrer Nebenwohnung aufhalten, nicht zur Rückkehr an ihren Erstwohnsitz verpflichtet sind. Nach Ziffer 5 Satz 2 gelten jedoch für die Wiederanreise die Vorgaben von Ziffer 1, wenn dennoch eine Abreise erfolgt. Danach kann es keinem Zweifel unterliegen, dass der Antragsgegner die Allgemeinverfügung so verstanden wissen wollte, dass auch die Wiederanreise nach einem Aufenthalt und der Abreise am Wochenende des 21./22. März 2020 von dem Verbot umfasst sein soll.

11

Die Allgemeinverfügung kann insoweit auch nicht wegen der geltend gemachten Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes des Artikels 3 Abs. 1 GG einschränkend ausgelegt werden. Der Gleichbehandlungsgrundsatz des Artikels 3 Abs. 1 GG entbindet die Behörde zwar auch im Anwendungsbereich des Infektionsschutzgesetzes nicht generell von der Verpflichtung, ihre Tätigkeit am Gleichheitssatz auszurichten. Dies erlaubt der Behörde jedoch nicht, von als notwendig erkannten Bekämpfungsmaßnahmen abzusehen. Nach § 28 Abs. 1 Satz 1, 2 IfSG in der Fassung des Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 27. März 2020 (BGBl. I S. 587), insoweit am Tag nach der Verkündung im Bundesgesetzblatt in Kraft getreten, trifft die zuständige Behörde, wenn Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt werden, die notwendigen Schutzmaßnahmen, insbesondere die in den §§ 29-31 genannten, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist; sie kann insbesondere Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten (Satz 1). Unter den Voraussetzungen von Satz 1 kann die zuständige Behörde Veranstaltungen oder sonstiger Ansammlungen von Menschen beschränken oder verbieten und Badeanstalten oder in § 33 genannte Gemeinschaftseinrichtungen oder Teile davon schließen (Satz 2). Eine Heilbehandlung darf nicht angeordnet werden (Satz 3). Die Grundrechte der Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes), der Versammlungsfreiheit (Art. 8 des Grundgesetzes), der Freizügigkeit (Art. 11 Abs. 1 des Grundgesetzes) und der Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 Abs. 1 des Grundgesetzes) werden insoweit eingeschränkt (Satz 4). Bei einer Inhaltsbestimmung des Eigentums im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG würde das Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG nicht greifen (BVerfG, Beschluss vom 12. Januar 1967 – 1 BvR 168/64 –, BVerfGE 21, 92-93, Rn. 4).

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Es handelt sich bei der Bestimmung des § 28 Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz IfSG n. F. um eine Generalklausel, die die zuständigen Behörden zum Handeln verpflichtet (sog. gebundene Entscheidung). Nur hinsichtlich Art und Umfang der Bekämpfungsmaßnahmen, – "wie" des Eingreifens – ist der Behörde Ermessen eingeräumt. Sie muss dabei jedoch ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermessensermächtigung im Interesse des effektiven Schutzes des Lebens und der Gesundheit der Bevölkerung unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ausüben. Dass vorliegend die im Interesse des Gesundheitsschutzes zunächst verfügte und auch weitgehend befolgte Abreise der Bewohner von Nebenwohnungen dann auf äußeren Druck durch den Antragsgegner ausgerechnet für die dann aller Voraussicht nach rechtswidrig dort noch verbliebenen Bewohner von Nebenwohnungen aufgehoben wurde, kann im Interesse des Gesundheitsschutzes nicht dazu führen, dass der Antragsgegner von als notwendig erkannten Maßnahmen absehen dürfte (vgl. dazu Schleswig-Holsteinisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 2. April 2020 – 3 MB 11/20). Eine solche notwendige Maßnahme ist eben auch die Verhinderung der Wiederanreise der zahlenmäßig sehr großen Gruppe von Personen, die am Wochenende des 21./22. März 2020 sich rechtstreu zum Ort ihrer Hauptwohnung begeben haben.

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Der von der Antragstellerin geplante weitere Verbleib am Ort der Nebenwohnung würde zu einem touristischen Zweck erfolgen. Unter welchen Voraussetzungen ein touristischer Anlass in diesem Sinne vorliegt, ist in der Allgemeinverfügung wie auch in der genannten Landesverordnung positiv nicht näher definiert. Es kann – und muss voranging – jedoch anhand von Wortlaut, Sinn und Zweck sowie Systematik der Allgemeinverfügung selbst ermittelt werden, welchen Regelungsgehalt diese hat. Auf den allgemeinen Wortsinn kommt es nur als äußerste Auslegungsgrenze an. Der von der Antragstellerin verfolgte Zweck der Anreise an den Nebenwohnsitz zur Führung ihres von Art. 6 Abs. 1 GG geschützten Familienlebens sowie zur Ausübung von beruflichen Tätigkeiten ist danach als „touristischer Anlass“ im Sinne der Ziffer 5 Satz 1 der Allgemeinverfügung einzuordnen.

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Dem liegen die folgenden Erwägungen zugrunde:

15

Nach der Formulierung in Ziffer 1 der Allgemeinverfügung wird einer Anreise zu einem touristischen Anlass gleichgestellt die Anreise zu Freizeitzwecken, zu Fortbildungszwecken oder zur Inanspruchnahme von vermeidbaren oder aufschiebbaren Maßnahmen der medizinischen Versorgung, Vorsorge oder Rehabilitation. Daraus wird die grundsätzliche Entscheidung des Antragsgegners deutlich, dass jegliche Form vermeidbarer Anreisen – selbst wenn hierfür (mittelfristig) eine medizinische Indikation besteht – untersagt ist.

16

Aus den zur Ermittlung des Regelungsgehaltes der Ziffer 1 ebenfalls in den Blick zu nehmenden Ausschlusstatbeständen der Ziffer 3 kann gefolgert werden, wann insbesondere im Bereich einer beruflichen Tätigkeit eine „touristische Nutzung“ im Sinne der Allgemeinverfügung vorliegt. Denn ausweislich der dort normierten Negativliste liegt insbesondere keine touristische Nutzung vor, wenn die Nebenwohnung aus zwingenden gesundheitlichen, beruflichen sowie aus ehe-, sorge- und betreuungsrechtlichen Gründen genutzt wird.

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Dabei werden die zwingenden Gründe in der nachfolgenden Aufzählung weiter konkretisiert. So liegt insbesondere dann keine Anreise aus touristischem Anlass vor, wenn

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- Verwandte 1. Grades, die Ehegattin, der Ehegatte, die Lebenspartnerin oder der Lebenspartner in der Nebenwohnung ihren derzeitigen Aufenthaltsort haben,

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- eine zwingende Betreuung von betreuungs- oder pflegebedürftigen Familienangehörigen in oder bei der Nebenwohnung sichergestellt werden soll,

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- eine am Hauptwohnsitz nicht zu gewährleistende Trennung von Personen vorzunehmen ist, die aufgrund behördlicher Anordnung unter häusliche Quarantäne gestellt wurden, oder

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- zwingende und nicht aufschiebbare Erhaltungs- und Sicherungsmaßnahmen an der Nebenwohnung vorzunehmen sind, wobei dies nicht für Renovierungsarbeiten gilt.

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Der Aufzählung lässt sich – systematisch konsequent zur Regelung in Ziffer 1 – das an Sinn und Zweck der Ausbreitungseindämmung des Coronavirus SARS-CoV-2 orientierte Auslegungsergebnis entnehmen, dass nur Anreisen aus zwingenden und nicht aufschiebbaren (beruflichen) Gründen unter den Ausnahmetatbestand fallen. Im Umkehrschluss sind solche Anreisen verboten, die zwar beruflichen, aber keinen zwingenden beruflichen Zwecken dienen. Dies wird auch durch die Untersagung von Anreisen zu Fortbildungszwecken verdeutlicht. Dieses Auslegungsergebnis ist auch mit dem Wortlaut vereinbar. Denn „touristisch“ bedeutet laut Duden „den Tourismus betreffend, für den Tourismus charakteristisch, zum Tourismus gehörend“. Vorliegend gibt die Antragstellerin an, in ihrer Nebenwohnung soll von Ihrer Ehefrau an einer Dissertation gearbeitet werden und es soll auch beruflichen Zwecken dadurch nachgegangen werden, dass mehrmals täglich Telefonkonferenzen in geschäftlichen Angelegenheiten unter Teilnahme der Antragstellerin als Mehrheitsgesellschafterin des Unternehmens abgehalten werden sollen. Insgesamt ist die Anschaffung und Unterhaltung einer Nebenwohnung in XXX grundsätzlich als „zum Tourismus gehörend“ einzuordnen. Es liegt auf der Hand, dass die Antragstellerin hier jedenfalls auch Erholungszwecken nachgehen kann, die ihnen nur die Besonderheiten der Landschaft und Natur am Nebenwohnsitz ermöglichen (vgl. dazu Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht, Beschluss vom 27. März 2020 – 1 B 31/20 –, Rn. 7 - 16, juris).

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Die Antragstellerin kann sich nicht auf den Ausnahmetatbestand des zwingenden beruflichen Grundes berufen. Die Antragstellerin macht geltend, sie sei Mehrheitsgesellschafterin eines in Lübeck ansässigen Touristikverlages mit mehr als 50 Mitarbeitern. Dieses Unternehmen befinde sich aufgrund der Corona-Krise in einer existenziell bedrohlichen Lage, die einer extrem engen Absprache mit täglich mehreren Telefonkonferenzen bedürfe. Insbesondere in dieser Woche fänden lärmintensive Schleifarbeiten am Boden in der Wohnung über der Wohnung der Antragstellerin in A-Stadt statt. Es ist nachvollziehbar, dass lärmintensive Arbeiten in der Nachbarschaft die notwendige berufliche Kommunikation erheblich stören, wenn auch nicht verhindern kann. Solche Störungen durch Bauarbeiten innerhalb einer Wohnung treten erfahrungsgemäß in Intervallen auf und werden durch Arbeitspausen und weniger lärmintensive Arbeiten unterbrochen. Es ist nicht nachvollziehbar dargelegt, dass durch die Arbeiten zwingend notwendige berufliche Absprachen verhindert werden, wenn auch die Kommunikation durch Lärmbelästigungen erschwert wird. Die Antragstellerin und ihre Familie befindet sich in einer Lage, in der sich auch Familien befinden, die keine Ausweichmöglichkeit in einer weiteren Wohnung haben und bei denen lärmintensivere Arbeiten in der Nachbarschaft durchgeführt werden. Die besonders lärmintensiven Schleifarbeiten dürften inzwischen ohnehin beendet sein. Solche immer wieder auftretenden Situationen müssen mit gegenseitiger Toleranz und Rücksichtnahme bewältigt werden.

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Die Antragstellerin hat auch nicht entsprechend ihrem Hilfsantrag einen Anspruch auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach Ziffer 4 der Allgemeinverfügung wegen eines schwerwiegenden Grundes, der mit den in Ziffer 3 aufgeführten vergleichbar ist. Selbst wenn die Antragstellerin sich auf die geltend gemachten gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Säuglings in ihrer Familie berufen könnte, würde insoweit keine Ausnahmesituation vorliegen. Auch insoweit befindet sich die Antragstellerin und ihre Familie in einer Lage, in der sich auch Familien befinden, die keine Ausweichmöglichkeit in einer weiteren Wohnung haben und bei denen lärmintensivere Arbeiten in der Nachbarschaft durchgeführt werden.

25

Der weiter gestellte Hilfsantrag ist als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die Allgemeinverfügung des Antragsgegners vom 24. März 2020 nach § 80 Abs. 5 Satz 1 1. Alt. VwGO zulässig, jedoch nicht begründet.

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Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 1. Alt. VwGO i.V.m § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO kann das Gericht in dem vorliegenden Fall des nach § 28 Abs. 3 i.V.m. § 16 Abs. 8 IfSG gesetzlich angeordneten Sofortvollzuges die aufschiebende Wirkung des Widerspruches ganz oder teilweise anordnen. Die gerichtliche Entscheidung ergeht dabei auf der Grundlage einer umfassenden Interessenabwägung. Gegenstand der Abwägung sind das Aufschubinteresse der Antragsteller einerseits und das öffentliche Interesse an der Vollziehung des streitbefangenen Verwaltungsaktes andererseits. Im Rahmen dieser Interessenabwägung können auch Erkenntnisse über die Rechtmäßigkeit und die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes, der vollzogen werden soll, Bedeutung erlangen, allerdings nicht als unmittelbare Entscheidungsgrundlage, sondern als in die Abwägung einzustellende Gesichtspunkte, wenn aufgrund der gebotenen summarischen Prüfung Erfolg oder Misserfolg des Rechtsbehelfs offensichtlich erscheinen. Lässt sich bei der summarischen Überprüfung die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides ohne weiteres feststellen, ist sie also offensichtlich, so ist die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs anzuordnen, weil an einer sofortigen Vollziehung eines offensichtlich rechtswidrigen Bescheides kein öffentliches Interesse bestehen kann. Erweist sich nach der genannten Überprüfung der angefochtene Bescheid als offensichtlich rechtmäßig, so führt dies in Fällen des gesetzlich angeordneten Sofortvollzuges regelmäßig dazu, dass der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung abzulehnen ist.

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Lässt sich nach der im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotenen summarischen Überprüfung weder die offensichtliche Rechtmäßigkeit noch die offensichtliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes mit der erforderlichen Sicherheit feststellen, so ergeht die Entscheidung aufgrund einer weiteren Interessenabwägung, in der zum einen die Auswirkungen in Bezug auf das öffentliche Interesse in dem Fall, dass dem Antrag stattgegeben wird, der Rechtsbehelf im Hauptsacheverfahren indes erfolglos bleibt, und zum anderen die Auswirkungen auf den Betroffenen für den Fall der Ablehnung eines Antrags und des erfolgreichen Rechtsbehelfs in der Hauptsache gegenüberzustellen sind. Bei dieser Interessenabwägung ist jeweils die Richtigkeit des Vorbringens desjenigen als wahr zu unterstellen, dessen Position gerade betrachtet wird, soweit das jeweilige Vorbringen ausreichend substantiiert und die Unrichtigkeit nicht ohne weiteres erkennbar ist (OVG Schleswig, Beschluss vom 13. September 1991 – 4 M 125/91 –, Rn. 14, juris; Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht, Beschluss vom 11. September 2017 – 1 B 128/17 –, Rn. 28 - 29, juris).

28

Die Kammer kann vorliegend in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit weder die offensichtliche Rechtmäßigkeit noch die offensichtliche Rechtswidrigkeit der ergangenen Allgemeinverfügung im Hinblick auf das Verbot der Anreise zum Zwecke der touristischen Nutzung einer dort gelegenen Nebenwohnung feststellen.

29

Maßgebend für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Allgemeinverfügung ist der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts, da es sich bei dem Verbot der Anreise insoweit um einen Dauerverwaltungsakt handelt. Die Frage des maßgeblichen Zeitpunkts für die Erteilung der Sach- und Rechtslage ergibt sich grundsätzlich aus den Regelungen des materiellen Rechts (BVerwG, Urteil vom 27. April 1990 – 8 C 87/88 –, Rn. 11, juris). Enthält dieses insoweit keine Regelung, gilt für Anfechtungssachen im Zweifel die Regel, dass bei Verwaltungsakten mit Dauerwirkung auch spätere nach Erlass des Verwaltungsaktes entstandene Veränderungen der Sach- und Rechtslage zu berücksichtigen sind (vgl. BVerwG, Urteile vom 18. März 2004 – 3 C 16.03 - NVwZ 2005, 87; vom 21. August 2003 – 3 C 15.03 - NJW 2004, 698; vom 22. Januar 1998 – 3 C 6.97 - BVerwGE 106, 141).

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Die streitgegenständliche Allgemeinverfügung kann ihre Rechtsgrundlage in der bereits oben genannten Vorschrift des § 28 Abs. 1 Satz 1, 2 IfSG in der Fassung des Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 27. März 2020 (BGBl. I S. 587), insoweit am Tag nach der Verkündung im Bundesgesetzblatt in Kraft getreten, finden.

31

Es handelt sich bei der Bestimmung des § 28 Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz IfSG n. F. um eine Generalklausel, die die zuständigen Behörden zum Handeln verpflichtet (sog. gebundene Entscheidung). Hinsichtlich Art und Umfang der Bekämpfungsmaßnahmen, – "wie" des Eingreifens – ist der Behörde Ermessen eingeräumt. Dem liegt die Erwägung zugrunde, dass sich die Bandbreite der Schutzmaßnahmen, die bei Auftreten einer übertragbaren Krankheit in Frage kommen können, nicht in jeder Hinsicht im Vorfeld bestimmen lässt. Der Gesetzgeber hat § 28 Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz IfSG als Generalklausel ausgestaltet. Das behördliche Ermessen wird dadurch beschränkt, dass es sich um "notwendige Schutzmaßnahmen" handeln muss, nämlich Maßnahmen, die zur Verhinderung der (Weiter-)Verbreitung der Krankheit geboten sind. Darüber hinaus sind dem Ermessen durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Grenzen gesetzt (BVerwG, Urteil vom 22. März 2012 – 3 C 16/11 –, BVerwGE 142, 205-219, Rn. 24). Die Eingriffsbefugnisse werden für bestimmte notwendige Maßnahmen in § 28 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz und Satz 2 IfSG weiter konkretisiert.

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Bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der verfügten Beschränkungen ist der im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht geltende Grundsatz heranzuziehen, dass an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts umso geringere Anforderungen zu stellen sind, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist. Dafür sprechen das Ziel des Infektionsschutzgesetzes, eine effektive Gefahrenabwehr zu ermöglichen (§ 1 Abs. 1, § 28 Abs. 1 IfSG), sowie der Umstand, dass die betroffenen Krankheiten nach ihrem Ansteckungsrisiko und ihren Auswirkungen auf die Gesundheit des Menschen unterschiedlich gefährlich sind. Es erscheint sachgerecht, einen am Gefährdungsgrad der jeweiligen Erkrankung orientierten, "flexiblen" Maßstab für die hinreichende (einfache) Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen (VG Bayreuth, Beschluss vom 11. März 2020 – B 7 S 20.223 –, Rn. 44 - 45, juris). Sind Schutzmaßnahmen erforderlich, so können diese grundsätzlich nicht nur gegen die in Satz 1 genannten Personen, also gegen Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider getroffen werden, sondern – soweit erforderlich – auch gegenüber anderen Personen (Bales/Baumann/Schnitzler, Infektionsschutzgesetz, Kommentar, 2. Aufl. § 28 Rn. 3). Es bestehen keine Zweifel daran, dass es sich bei der Infektion mit dem SARS-CoV-2, der zur Lungenkrankheit Covid-19 führen kann, um eine übertragbare Krankheit im Sinne des § 2 Nr. 3 IfSG handelt, so dass der Anwendungsbereich des 5. Abschnitts des Infektionsschutzgesetzes, der sich mit der Bekämpfung übertragbarer Krankheiten befasst, eröffnet ist (vgl. hierzu den Steckbrief des RKI zur Coronavirus-Krankheit:

33

https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/ nCoV_node.html).

34

Das Coronavirus ist eine übertragbare Krankheit, die bereits landesweit aufgetreten und dadurch gekennzeichnet ist, dass sie sehr leicht übertragbar ist und sich dadurch sehr schnell ausbreitet. Das Robert Koch-Institut, das bei der Vorbeugung übertragbarer Krankheiten und Verhinderung der Weiterverbreitung von Infektionen eine besondere Sachkunde aufweist (§ 4 IfSG), schätzt die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland derzeit insgesamt als hoch ein. Es handelt sich weltweit und in Deutschland um eine sehr dynamische und ernstzunehmende Situation. Bei einem Teil der Fälle sind die Krankheitsverläufe schwer, auch tödliche Krankheitsverläufe kommen vor. Nach Darstellung des Robert Koch-Instituts ist die Erkrankung sehr infektiös. Da weder eine spezifische Therapie noch eine Impfung zur Verfügung stünden, müssten alle Maßnahmen darauf gerichtet sein, die Verbreitung der Erkrankung in Deutschland und weltweit so gut wie möglich zu verlangsamen (Epidemiologisches Bulletin 12/2020: COVID-19: Verbreitung verlangsamen, S. 3, veröffentlicht unter www.rki.de). Zentral dabei seien bevölkerungsbasierte kontaktreduzierende Maßnahmen, wie die Absage von Großveranstaltungen sowie von Veranstaltungen in geschlossenen Räumlichkeiten, bei denen ein Abstand von 1 - 2 Metern nicht gewährleistet werden könne. Bei vergangenen Pandemien habe gezeigt werden können, dass bevölkerungsbasierte Maßnahmen zur Kontaktreduzierung durch Schaffung sozialer Distanz besonders wirksam seien, wenn sie in einem möglichst frühen Stadium der Ausbreitung des Erregers in der Bevölkerung eingesetzt würden (ebd., S. 5). Es seien von jetzt an und in den nächsten Wochen maximale Anstrengungen erforderlich, um die Epidemie in Deutschland zu verlangsamen, abzuflachen und letztlich die Zahl der Hospitalisierungen, intensivpflichtigen Patienten und Todesfälle zu minimieren (dies., Modellierung von Beispielszenarien der SARS-CoV-2-Epidemie 2020 in Deutschland vom 20.03.2020, vorletzte Seite). Die massiven Anstrengungen des öffentlichen Gesundheitsdienstes, dem insbesondere die möglichst frühzeitige Identifizierung von Kontaktpersonen und deren Management obliegt, sollten nach Ansicht der Robert Koch-Instituts durch gesamtgesellschaftliche Anstrengungen wie die Reduzierung von sozialen Kontakten mit dem Ziel der Vermeidung von Infektionen im privaten, beruflichen und öffentlichen Bereich sowie eine Reduzierung der Reisetätigkeit ergänzt werden (vgl. VG Bremen, Beschluss vom 26. März 2020 – 5 V 553/20 –, Rn. 37, juris). Mit den deutschlandweit auftretenden Fällen einer Infektion sind an einer übertragbaren Krankheit (§ 2 Nr. 3, § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. h IfSG) erkrankte Personen und damit Kranke im Sinne von § 2 Nr. 4 IfSG festgestellt worden (vgl. VG Bremen, Beschluss vom 26. März 2020 – 5 V 553/20 –, Rn. 36, juris).

35

Die zeitweise Begrenzung von Anreisen nach und auch teilweise innerhalb von Schleswig-Holstein – auch zum Ort der Nebenwohnung – ist eine notwendige Maßnahme. Es besteht eine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Anreise von Personen zur Nutzung einer Nebenwohnung, von denen es im Gebiet des Antragsgegners mehrere Tausend gibt, die Infektionsausbreitung verstärken würde und in der Folge auch zu einer Überlastung der medizinischen Kapazitäten im Gebiet des Antragsgegners führen könnte (die medizinischen Kapazitäten im Gebiet des Antragsgegners sind auf die Inhaber einer Erstwohnung ausgelegt). Es geht insbesondere darum, für die Bevölkerung eine ausreichende Anzahl von Intensivbetten und Beatmungsgeräten vorzuhalten (vgl. dazu Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgericht vom 2. April 2020 – 3 MB 8/20 – für den Kreis Nordfriesland).

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Da im vorläufigen Rechtschutzverfahren nicht die offensichtliche Rechtmäßigkeit der Allgemeinverfügung festgestellt werden kann, sind in einer weitergehenden Interessenabwägung die Folgen gegenüberzustellen, die im Hinblick auf das öffentliche Interesse in dem Fall einträten, dass dem Antrag stattgegeben wird, der Rechtsbehelf im Hauptsacheverfahren indes erfolglos bleibt, und zum anderen die Auswirkungen auf den Betroffenen für den Fall der Ablehnung eines Antrags.

37

Gemessen an diesen Maßstäben überwiegt im vorliegenden Fall das öffentliche Interesse an der sofortigen Durchsetzung des sich aus der Allgemeinverfügung ergebenden Anreiseverbots das private Aufschubinteresse zum Zwecke der Anreise an den Ort der Nebenwohnung.

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Vorliegend streiten auf Seiten des öffentlichen Interesses überragende Gründe der Abwehr von Gefahren für die Gesundheit der Bevölkerung und der Sicherstellung der Leistungsfähigkeit der ärztlichen, insbesondere krankenhausärztlicher (Intensiv-)Versorgung für die Bevölkerung. Es geht insbesondere auch darum, für die Bevölkerung eine ausreichende Anzahl von Behandlungsplätzen zur Verfügung stellen zu können. Es muss vermieden werden, dass – wie in Italien – das medizinische Personal darüber entscheiden muss, beatmungspflichtige Angehörige bestimmter Bevölkerungsgruppen wegen eines Mangels an Geräten und Personal von der intensivmedizinischen Behandlung mit Beatmungsgeräten auszuschließen und sie dem wahrscheinlichen, ansonsten vermeidbaren Tod zu überlassen. Hierbei ist nicht allein in den Blick zu nehmen, dass die Antragstellerin selbst möglicherweise (derzeit) nicht infiziert ist und daher kein Ansteckungsrisiko für andere ausgeht. Die aktuelle Infektionsgefahr ist bekanntermaßen insbesondere dadurch extrem risikobehaftet, dass bislang unentdeckt infizierte Personen sich im öffentlichen Raum bewegen und andere unwissentlich infizieren. Alltagskontakten etwa beim Einkaufen oder auf der Straße werden auch nach aller Lebenswahrscheinlichkeit Personen wie die Antragstellerin ausgesetzt sein, sodass allein dadurch eine potentielle Erhöhung des Infektionsrisikos durch jede weitere hier aufhältliche Person anzunehmen ist. Vorliegend geht es auch bei der hier streitigen Allgemeinverfügung um den Schutz vor den Folgen der exponentiellen Ausbreitung des Corona-Virus SARS-CO-2.

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Ebenso ist die Sicherung medizinischer Kapazitäten, die nach den Grundsätzen der Krankenhausplanung im Wesentlichen ausgelegt sind auf die in Schleswig-Holstein mit Erstwohnsitz ansässige Bevölkerung, ein überwiegender öffentlicher Belang von erheblichem Gewicht. Es ist bei einer noch immer im Raum stehenden unbedingt zu begrenzenden exponentiellen Ausbreitung zu befürchten, dass weder in ausreichendem Maß die in absehbarer Zeit notwendig werdenden Intensivbetten noch das ausreichende Pflegepersonal flächendeckend zur Verfügung stehen. Die Sicherung der Leistungskapazität medizinischer Versorgung hängt mithin ebenfalls davon ab, dass sich nicht eine weitere große Anzahl auswärtig ansässiger Personen im Gebiet des Antragsgegners aufhält. Dabei ist dieser Aspekt ebenfalls nicht individuell zu betrachten, sondern ist als genereller Maßstab unabhängig von der nicht im Einzelnen bekannten tatsächlichen Anzahl hier aufhältlicher Zweitwohnungsinhaber zugrunde zu legen. Indes ist davon auszugehen, dass sich bereits eine nicht unbeachtliche Anzahl solcher Zweitwohnungsbesitzer hier aufhalten, da jedenfalls seit der geänderten Allgemeinverfügung ein Verbleib der bereits zum Zeitpunkt des Erlasses der neuen Allgemeinverfügung hier aufhältlichen auswärtigen Personen möglich ist. Die Anreise einer ebenfalls nicht unerheblichen Anzahl weiterer Personen – in Schleswig-Holstein gibt es zehntausende Zweitwohnungen – könnte zu einer erheblichen Verschärfung der Lage beitragen.

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Gegenüber diesem gewichtigen öffentlichen Interesse setzt ein im Rahmen der Folgenabwägung überwiegendes privates Interesse voraus, dass im Einzelfall Umstände vorliegen, die so gewichtig sind, dass entgegen der gesetzgeberischen Anordnung in §§ 28 Abs. 3, 16 Abs. 8 IfSG eine vorläufige Aussetzung der Vollziehung angezeigt ist.

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Die Antragstellerin macht zwar das Vorliegen besonderen Gründen geltend; diese sind jedoch am Maßstab der in der Allgemeinverfügung geregelten Begrenzungen und Ausnahmetatbeständen zu berücksichtigen. Damit wird den privaten Interessen gegenwärtig ausreichend Rechnung getragen. Mit den von ihm durch die Allgemeinverfügung getroffenen Maßnahmen kommt der Antragsgegner seiner grundrechtlichen Pflicht zum Schutz des Lebens und der Gesundheit der Bevölkerung aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nach. Der Verlangsamung der Ansteckungsrate durch Vermeidung von sozialen Kontakten und des zusätzlichen Aufenthaltes einer Vielzahl von Menschen in einer Nebenwohnung ist bei der Abwägung entscheidende Bedeutung beizumessen, auch um eine Überlastung und einen Zusammenbruch des Gesundheitssystems, wie dies bereits in anderen europäischen Ländern festzustellen ist, zu verhindern und Leben und Gesundheit der Bevölkerung wirksam zu schützen. Vor diesem Hintergrund müssen die grundrechtlich geschützten Freiheiten der Antragstellerin für einen begrenzten Zeitraum zurückstehen

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO; der Streitwert wurde gemäß § 63 Abs. 2, § 53 Abs. 2 Nr. 2 iVm § 52 Abs. 2 GKG festgesetzt.


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