Beschluss vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (12. Kammer) - 12 B 1/21

Tenor

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

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Ob der Antrag im Hinblick auf die vom Antragsgegner in seiner Erwiderungsschrift genannten Gründe bereits unzulässig ist, kann dahinstehen.

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Der Antrag bleibt jedenfalls in der Sache ohne Erfolg.

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Das Verwaltungsgericht kann eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung des Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden
oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint (§ 123 Abs. 1 VwGO). Dazu hat der Antragsteller Tatsachen glaubhaft zu machen, aus denen sich ergibt, dass ihm ein Anspruch, ein Recht oder ein sonstiges schützenswertes Interesse zusteht (sog. Anordnungsanspruch) und ferner, dass dieser Anordnungsanspruch in Folge einer Gefährdung durch vorläufige Maßnahmen gesichert werden muss, somit eine Eilbedürftigkeit besteht (sog. Anordnungsgrund, § 123 Abs. 3 VwGO in Verb. mit §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO).

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Vorliegend hat der Antragsteller einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Ein solcher setzt voraus, dass dem Antragsteller trotz der vom Antragsgegner und der Gemeinschaftsschule an der Xxxin Xxx, dem Dienstort des Antragstellers, ergriffenen Maßnahmen die Durchführung von Präsenzunterricht in den Abschlussklassen 9 und 10 (insgesamt 10 von 24 Unterrichtsstunden) unter Abwägung der Fürsorgepflicht des Dienstherrn mit seiner beamtenrechtlichen Einsatzpflicht unzumutbar ist.

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Die Fürsorgepflicht des Dienstherrn wird verfassungsrechtlich durch Art. 33 Abs. 5 GG garantiert. Sie hat einfachgesetzliche Konkretisierungen in § 45 BeamtStG erfahren. Danach hat der Dienstherr im Rahmen des Dienst- und Treueverhältnisses für das Wohl der Beamtinnen und Beamten und ihrer Familien zu sorgen und die Beamtinnen und Beamten bei ihrer amtlichen Tätigkeit und in ihrer Stellung zu schützen. Von der Fürsorgepflicht ist auch die Pflicht des Dienstherrn umfasst, für die Ausübung des Amtes angemessene Arbeitsbedingungen zu schaffen (BVerwG, Urteil vom 24.01.2013 - 5 C 12/12 - juris Rn. 24 mit weit. Nachw.). Der Beamte hat kraft der Fürsorgepflicht des Dienstherrn einen Anspruch gegen diesen auf Schutz nicht nur vor sicheren, sondern schon vor ernstlich möglichen Beeinträchtigungen seiner Gesundheit durch Einwirkungen am Arbeitsplatz (BVerwG, Urteil vom 13.09.1984 - 2 C 33/82 - juris Rn. 18).

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Darüber hinaus sind die Vorschriften des Arbeitsschutzgesetzes (ArbSchG) unmittelbar auch auf Beamte anwendbar, § 2 Abs. 2 Nr. 4 ArbSchG (vgl. OVG Schleswig, Beschluss vom 22.11.2017 - 2 LA 117/15 - juris Rn. 11). Dieses wird wiederum durch die Regelungen der Arbeitsstättenverordnung noch näher konkretisiert. Danach ist der Dienstherr verpflichtet, die Arbeit so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das Leben sowie die physische und die psychische Gesundheit möglichst vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering gehalten wird, § 4 Nr. 1 ArbSchG. Nach § 4 Nr. 6 ArbSchG sind dabei auch spezielle Gefahren für besonders schutzbedürftige Beschäftigtengruppen zu berücksichtigen. Hieraus folgt im Einzelnen auch ein ggf. gerichtlich durchsetzbarer Anspruch des Beamten auf Einhaltung der gesetzlichen Arbeitsschutzvorschriften. Die Auswahl zwischen mehreren möglichen Mitteln zur Abhilfe liegt allerdings im pflichtgemäßen Ermessen des Dienstherrn (BVerwG, Urteil vom 13.09.1984, a.a.O., Rn. 19).

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Der danach dem Antragsteller zustehende Anspruch auf Einhaltung der Arbeitsschutzvorschriften gewährt ihm jedoch nicht das Recht, seinen Dienst an seinem Dienstort in Form von (teilweisen) Präsenzunterricht zu verweigern. Ob diesbezüglich ein Verweigerungsrecht entsprechend § 273 BGB besteht, richtet sich nach den Umständen im jeweiligen Einzelfall. Das Interesse des Arbeitgebers, die Arbeitsleistung zu erhalten, ist abzuwägen mit dem individuellen Interesse des Arbeitnehmers an der Einhaltung der beanspruchten arbeitsrechtlichen Schutzpflichten. Entsprechendes gilt im öffentlichen Dienstrecht, wo die vom Antragsteller beanspruchte, durch arbeitsschutzrechtliche Regelungen konkretisierte Fürsorgepflicht des Dienstherrn in einem vergleichbaren Verhältnis zu seiner beamtenrechtlichen Einsatzpflicht (§ 34 Satz 1 BeamtStG) steht. Ein Recht zur Verweigerung der Arbeits- oder Dienstleistung besteht nur, wenn diese bei Nichteinhaltung der Schutzvorschriften unzumutbar ist (HessVGH, Beschluss vom 14.05.2020 - 1 B 1308/20 - juris Rn. 10 mit weit. Nachw.). Maßgeblich für die Beurteilung des Einzelfalls sind dabei insbesondere die vom Dienstherrn im Hinblick auf die Coronapandemie für den jeweiligen Dienstort aufgestellten Schutzkonzepte. Bieten diese neben dem Schutz der Allgemeinheit ausreichende Maßnahmen zum Individualschutz, um die Wahrscheinlichkeit einer Infektion des Beamten unter Berücksichtigung seiner Zugehörigkeit zu einer Risikogruppe möglichst zu vermeiden, muss ein darüberhinausgehendes Dienstverweigerungsrecht ausgeschlossen sein.

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Diesen - strengen - Maßstab für die Annahme eines Dienstverweigerungsrechts seitens eines Beamten zugrunde gelegt, ist ein Anspruch des Antragstellers auf Verweigerung des Präsenzunterrichts nicht glaubhaft gemacht. Die nach dem Vorstehenden gebotene Bewertung der Zumutbarkeit zur (teilweisen) Heranziehung zum (Präsenz-) Dienst geht zu Lasten des Antragstellers aus. Denn die hier vom Antragsgegner und der Schule getroffenen Maßnahmen werden dem sich aus der Fürsorgepflicht und den arbeitsrechtlichen Schutzpflichten ergebenden Maßstab gerecht. Der Antragsteller ist nach § 34 Satz 1 BeamtStG grundsätzlich verpflichtet, seine Kernaufgabe der Unterrichtserteilung zu erfüllen. Die Unterrichtserteilung erfolgt grundsätzlich gegenüber den Schülerinnen und Schülern in persönlicher Präsenz. Aufgrund steigender Infektionszahlen auch in Schleswig-Holstein ist der Präsenzunterricht indes ab dem 11.01.2021 sehr stark reduziert worden und findet nur noch in den Abschlussklassen und in der Notbetreuung statt,

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Im Ergebnis führt die besondere Schutzbedürftigkeit des Antragstellers aufgrund seiner Zugehörigkeit zu einer Risikogruppe nicht dazu, dass ihm die Erfüllung dieser Pflicht (als Kern seiner beamtenrechtlichen Einsatzpflicht) in Form von 10 Präsenzstunden (von insgesamt 24) gegenwärtig nicht zugemutet werden kann.

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Zwar gehört der Antragsteller grundsätzlich aufgrund seiner Erkrankungen zur Gruppe der besonders schutzbedürftigen Beschäftigten. Er ist unter Zugrundelegung der Information des Robert Koch-Instituts (SARS-CoV-2 Steckbrief zur Coronavirus-Krankheit-2019 - COVID-19 - Stand: 08.01.2021) zunächst Teil einer der Personengruppen, bei denen im Fall einer Infektion mit SARS-CoV-2 häufiger schwere Krankheitsverläufe beobachtet werden.

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Die vom Antragsgegner und der Schulleitung ergriffenen konkreten und im gerichtlichen Verfahren umfassend dargelegten Maßnahmen erscheinen gegenwärtig indes ausreichend, um das Risiko einer Erkrankung des Antragstellers an SARS-CoV-2 auch in Anbetracht der bei ihm erhöhten Wahrscheinlichkeit eines schweren Verlaufs auf ein zumutbares Maß zu reduzieren. Zu dieser Einschätzung ist die Betriebsärztin, eine Fachärztin für Arbeitsmedizin, in Kenntnis der schulischen Gegebenheiten auf der Basis der einschlägigen rechtlichen Regelungen (ArbSchG, Biostoffverordnung und Infektionsschutzgesetz) sowie unter Berücksichtigung des vom Antragsteller vorgelegten ärztlichen Attests vom 17.06.2020 und des derzeitigen regionalen Infektionsgeschehens gelangt.

12

Das Ministerium für Soziales, Gesundheit, Jugend, Familie und Senioren hat eine „Empfehlung zur Lufthygiene in Unterrichtsräumen in Schulen und vergleichbaren Bildungseinrichtungen während der SARS-CoV-2-Pandemie“ herausgegeben. In der Handreichung des Antragsgegners zum Infektionsschutz („Infektionsschutz und Hygienemaßnahmen im Rahmen des Schulbetriebs unter dem Aspekt des Schutzes vor Ansteckung durch das SARS-CoV-2 (24. August 2020)") werden in Ziffer 5. die Grundregeln zur Lufthygiene angeführt, und den Schulen wurde ein Merkblatt „Richtig lüften in der Schule" (Stand: 16.10.2020) zur Verfügung gestellt. Die Empfehlung des Ministeriums für Soziales, Gesundheit, Jugend, Familie und Senioren des Landes Schleswig-Holstein zur Lufthygiene in Unterrichtsräumen in Schulen und vergleichbaren Bildungseinrichtungen während der SARS-CoV-2-Pandemie vom 12. Oktober 2020 enthält ausführliche Anweisungen zum Lüften während des Schulbetriebs. Zudem regelt die Landesverordnung über besondere Maßnahmen zur Verhinderung der Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 an Schulen (Schulen-Corona-Verordnung¸ in Kraft ab 09.01.2021) in § 2 die Mund-Nasen-Bedeckungspflicht auf dem Gelände von Schulen und in § 5 die erweiterte Mund-Nasen-Bedeckungspflicht (in den Unterrichtsräumen, bei schulischen Veranstaltungen, auf Schulwegen zwischen Bus-und Bahnhaltestellen), die (zunächst) bis zum 31.01.2021 gilt.

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Die Schule des Antragstellers hat auf dieser Grundlage sowie unter Berücksichtigung der Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts ein umfangreiches Hygienekonzept (aktuelle Fassung, vgl. Anlage 2 in der Beiakte A) entwickelt, das unter anderem Regelungen zur Kohortenbildung, Handhygiene, zur Einhaltung des Abstandsgebots und zur Lüftung enthält. Zudem wird dort im Einzelnen geregelt, dass Lehrkräfte, die einer Risikogruppe angehören, individuell nach Lage vor Ort und ärztlichen Vorgaben, die ebenfalls nach Lage der Dinge jederzeit angepasst werden können, so eingesetzt werden, dass ihre Gesundheit nicht gefährdet wird (Einsatz in möglichst wenig Kohorten, Ausschluss von Vertretungsunterricht in weiteren Kohorten, Spuckschutz um das Lehrerpult, Zuweisung eigener WC-Anlagen und Schaffung eines separaten Aufenthaltsbereichs als „Ersatzlehrerzimmer“).

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Die Kammer hat auch keinen Anlass, daran zu zweifeln, dass sowohl der Antragsgegner als auch die Schule des Antragstellers entsprechend auf das jeweilige aktuelle Infektionsgeschehen und etwaige noch bzw. wieder steigende Inzidenzwerte reagieren werden. Der Kreis Schleswig-Flensburg, in dem sich der Dienstort des Antragstellers befindet, weist einen Inzidenzwert von 62,1 auf (https://www.uni-kiel.de/infmed/ifsg/data/COVID-19/bericht.pdf Stand.15.01.2021). Nur die Kreise Plön und Rendsburg-Eckernförde weisen niedrigere Werte auf. Er gehört damit in Schleswig-Holstein zu den nach wie vor am geringsten betroffenen Kreisen.

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Der öffentliche Gesundheitsdienst hat gemäß § 34 Absatz 9 Infektionsschutzgesetz (IfSG) die notwendigen Schutzmaßnahmen zu ergreifen, soweit der Fall eintritt, dass die Gefahr einer Weiterverbreitung des Virus besteht. Beim Antragsgegner ist eine sog. Covid 19 Task Force eingerichtet. Durch die 24-stündige Erreichbarkeit der mit der Hygiene beauftragten Betriebsärztin ist gewährleistet, dass umgehend auf eine mögliche Positiv-Testung von Schülern oder Lehrkräften reagiert werden kann. Die vorgesehenen Abläufe werden im „Corona-Reaktions-Plan Schule SH“ verdeutlicht. Auch wenn zwischenzeitlich auch in Schleswig-Holstein - nicht zuletzt wohl verursacht durch die Feiertage am Ende des Jahres 2020 - deutlich steigende Infektionszahlen zu beobachten waren, sind diese nunmehr offenbar im Begriff zu sinken (vgl. https://www.uni-kiel.de/infmed/ifsg/data/COVID-19/bericht.pdf). Allerdings erfolgen die meisten Ansteckungen nach wie vor nicht in der Schule, sondern im privaten Bereich.

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Aus dem Anspruch auf Fürsorge und aus den arbeitsschutzrechtlichen Vorschriften ergibt sich kein Anspruch des Antragstellers darauf, an der Schule eine NulIrisiko-Situation anzutreffen. Ein allumfassender Gesundheitsschutz während einer pandemischen Lage kann nicht sichergestellt werden. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass Schulen Gemeinschaftseinrichtungen im Sinne des Infektionsschutzgesetzes sind, vgl. § 33 Nr. 3 IfSG. Mithin besteht in einer Gemeinschaftseinrichtung bereits eine allgemeine Infektionsgefährdung in Bezug auf sämtliche Infektionserkrankungen, denen sich eine Lehrkraft aufgrund ihrer Dienstleistungspflicht grundsätzlich auszusetzen hat. Seiner Pflicht als Dienstherr, mögliche Gesundheitsgefahren für die Lehrkräfte auf ein zumutbares Maß zu verringern, ist der Antragsgegner hinreichend nachgekommen.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs.1 VwGO.

18

Die Streitwertentscheidung folgt aus §§ 63 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG).


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