Beschluss vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (11. Kammer) - 11 B 15/21
Tenor
Die Anträge werden abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 15.000,00 € festgesetzt.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt xxx wird abgelehnt.
Gründe
I.
- 1
Die Antragstellerin begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die Rücknahme einer Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen sowie gegen die Ablehnung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Erwerbstätigkeit und beansprucht die Ausstellung einer Fiktionsbescheinigung.
- 2
Sie ist serbische Staatsangehörige und seit dem 29.03.2016 mit dem deutschen Staatsangehörigen xxx. verheiratet. Zuletzt reiste sie Ende 2016 mit einem gültigen Visum zur Familienzusammenführung in das Bundesgebiet ein. Ab dem 24.10.2016 erhielt sie eine bis zum 23.10.2019 gültige Aufenthaltserlaubnis aufgrund der Ehe mit einem deutschen Staatsangehörigen. Zunächst lebten die Eheleute gemeinsam in Geesthacht.
- 3
Im Mai 2017 wurde ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen die Antragstellerin eingeleitet. Dem lag der Verdacht zugrunde, dass die Antragstellerin Herrn A. geheiratet habe, um eine Aufenthaltserlaubnis zu erhalten. Dieser Verdacht beruhte auf den Ergebnissen einer Telekommunikationsüberwachung, welche aufgrund strafrechtlicher Ermittlungen gegen Herrn xxx eingeleitet wurde. Im Rahmen dieser Ermittlungen sei bekannt geworden, dass die Antragstellerin die Lebensgefährtin des Herrn xxx sei und sich in seiner Wohnung in A-Stadt aufhalte. Während der Telekommunikationsüberwachung wurde ein Gespräch vom 14.02.2017 mitgehört, in welchem die Antragstellerin mit einer „xxx“ über ihre Probleme mit der Familie von xxx gesprochen habe. Die Familie sage, dass xxx nicht sagen dürfe, dass sie seine Frau sei, da sie mit einem anderen verheiratet sei. Der sei Deutscher und bekomme bis November 400 € vom Sozialamt, die eigentlich ihr zustehen würden. Sie müsse drei Jahre warten und danach noch ein Jahr getrennt von ihm leben. In einem weiteren abgehörten Gespräch vom 26.02.2017 habe „xxx“ gesagt, die Antragstellerin müsse mit dem Deutschen reden und gefragt, was sie abgemacht hätten, wie viel sie ihm zahle. Die Antragstellerin habe darauf geantwortet, es seien um die 400 €. Im Verlauf der weiteren Ermittlungen stellte die Polizeiinspektion xxx im Rahmen des polizeilichen Informationsaustauschs mit Serbien fest, dass die Antragstellerin am 07.10.2016 gemeinsam mit xxx aus Serbien ausgereist ist. Das strafrechtliche Ermittlungsverfahren gegen die Antragstellerin wurde sodann nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt, da die Ergebnisse der Telekommunikationsüberwachung im Hinblick auf das Fehlen einer Katalogstraftat nach § 100a Abs. 2 StPO nicht verwertbar waren und andere Beweise für eine Strafbarkeit nicht vorlagen.
- 4
Mit Schreiben vom 12.09.2019 beantragte die Antragstellerin die Verlängerung des Aufenthaltstitels und hilfsweise die Erteilung eines neuen Aufenthaltstitels gemäß § 18 AufenthG sowie ebenfalls hilfsweise die Erteilung einer Fiktionsbescheinigung. Zwar führe sie mit ihrem Mann keinen gemeinsamen Haushalt, allerdings sei eine Scheidung nicht beabsichtigt. Die Eheleute stünden füreinander ein. Zudem absolviere sie eine Fortbildung zur Assistentin in der Altenpflege. Im weiteren Verlauf legte sie einen zunächst befristeten, später entfristeten Anstellungsvertrag der xxx Schleswig-Holstein gGmbH vor.
- 5
Am 17.09.2019 erfolgte eine Begutachtung der Wohnung der Antragstellerin in A-Stadt. Dort sei sie seit dem 15.08.2018 gemeldet. Dabei kam man zu dem Ergebnis, dass sich keine männliche Person längerfristig oder über Nacht in der Wohnung aufhalte. Im Rahmen dieser Wohnungsbegehung habe die Antragstellerin angegeben, dass ihr Mann sie alle zwei bis fünf Tage in A-Stadt besuche.
- 6
Ab dem 22.10.2019 erhielt die Antragstellerin eine Fiktionsbescheinigung, welche regelmäßig verlängert wurde und zuletzt bis zum 22.03.2021 gültig war.
- 7
Mit Schreiben vom 08.06.2020 beantragte sie unter Verweis auf ihre Tätigkeit bei der xxx Pflege Schleswig-Holstein gGmbH nochmals eine Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Ausübung einer Erwerbstätigkeit. Daneben teilte sie mit, sie sei zwar noch mit Herrn A. verheiratet, lebe aber in Trennung von ihm.
- 8
Mit Bescheid vom 23.10.2020 nahm die Antragsgegnerin die Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 AufenthG rückwirkend bis zum 24.10.2016 zurück. Die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis sei aufgrund einer Scheinehe rechtswidrig. Das Vorliegen einer Scheinehe ergebe sich aus den Erkenntnissen der Telekommunikationsüberwachung. Daraus sei erkennbar, dass die Antragstellerin die Erteilungsvoraussetzungen von § 28 AufenthG und § 31 AufenthG kenne und bewusst die Zeiten der Ehe abwarte, um dann ein eigenständiges Aufenthaltsrecht zu erwirken. Ein gesetzlich geregeltes Verwertungsverbot gebe es im Verwaltungsverfahren nicht. Auch übergeordnete Gründe sprächen im Einzelfall nicht gegen die Verwertung.
- 9
Hiergegen legte die Antragstellerin Widerspruch ein. Sie habe keinesfalls eine Scheinehe geschlossen. Bei Beantragung und Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 AufenthG habe die eheliche Lebensgemeinschaft vorgelegen. Inzwischen hätten sich die Eheleute aber auseinandergelebt. Die aus der Telekommunikationsüberwachung geschlossenen Schlussfolgerungen gingen fehl. Es handele sich um Gesprächszusammenfassungen, die aus dem Zusammenhang gerissen worden seien und die in keiner Beziehung mit der Behauptung einer Scheinehe stehen würden. Mit Widerspruchsbescheid vom 14.01.2021 wies die Antragsgegnerin den Widerspruch zurück. Zur Begründung wiederholte und vertiefte sie die Ausführungen des Ausgangsbescheides.
- 10
Mit weiterem Bescheid vom 26.01.2021 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ab. Die Antragstellerin verwirkliche Ausweisungsinteressen, da sie mit der Scheinehe falsche Angaben zur Erlangung eines Aufenthaltstitels gemacht habe. Zudem wurde die Antragstellerin unter Androhung der Abschiebung dazu aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb eines Monats zu verlassen. Hiergegen legte die Antragstellerin mit Schreiben vom 10.02.2021 Widerspruch ein. Dazu legte sie eine eidesstattliche Versicherung vom 09.02.2021 vor, in welcher sie versicherte, keine Scheinehe geschlossen zu haben. Zur Trennung hätten Probleme mit der Mutter ihres Mannes geführt. Zugleich forderte sie die Erteilung einer Fiktionsbescheinigung, die es ihr ermögliche, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen.
- 11
Am 18.02.2021 hat die Antragstellerin Klage gegen die Rücknahme der Aufenthaltserlaubnis nach § 28 AufenthG erhoben (– 11 A 92/21 –).
- 12
Die Antragstellerin hat am 18.02.2021 um einstweiligen Rechtsschutz ersucht. Zur Begründung führt sie aus, sie erfülle alle Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Ausübung einer Beschäftigung nach § 19c Abs. 1 AufenthG. Aufgrund der Regelungen der Beschäftigungsverordnung für serbische Staatsangehörige sei davon auszugehen, dass ihr die Zustimmung zur Ausübung der Beschäftigung erteilt werde. Es bestehe auch kein Ausweisungsinteresse, da die Ehe nicht zum Schein geschlossen worden sei. Außerdem reicht sie eine weitere eidesstattliche Versicherung vom 12.03.2021 ein, nach welcher sie der Ausländerbehörde mitgeteilt habe, dass sie und ihr Mann in getrennten Wohnungen leben würden. Sie habe Herrn A. keine 400 € gezahlt, dafür hätten ihr die finanziellen Möglichkeiten gefehlt. Das diesem Vorwurf zugrundeliegende Verfahren sei eingestellt worden, wovon die Antragsgegnerin seit Jahren Kenntnis habe. Die angebliche Telekommunikationsüberwachung sei nicht geeignet, ein anderes Ergebnis herbeizuführen. Es liege überdies ein Verwertungsverbot vor, welches auch im Verwaltungsverfahren Anwendung finden müsse. Zudem legt sie ein Schreiben der Frauenberatungsstelle der xxx gGmbH vom 07.06.2018 vor, nach welcher die Antragstellerin seit Oktober 2017 dort betreut werde.
- 13
Mit Widerspruchsbescheid vom 23.03.2021 hat die Antragsgegnerin den Widerspruch gegen die Ablehnung der Aufenthaltserlaubnis zurückgewiesen. Hiergegen hat die Antragstellerin am 29.03.2021 Klage erhoben (– 11 A 140/21 –).
- 14
Die Antragstellerin beantragt,
- 15
1. die aufschiebende Wirkung der Klage vom 18.02.2021 gegen die Rücknahme der Aufenthaltserlaubnisse nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG mit Bescheid der Antragsgegnerin vom 23.10.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.01.2021 anzuordnen,
- 16
2. die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 10.02.2021 und der Klage vom 29.03.2021 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 26.01.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.03.2021 über die Ablehnung der Anträge vom 12.09.2019 bzw. 13.09.2019 und 08.06.2020 auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung einer Beschäftigung bzw. Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis und der Aufforderung der Antragsgegnerin zur Ausreise anzuordnen,
- 17
3. die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihr für die Dauer von sechs Monaten eine Bescheinigung auszustellen, aus welcher sich der rechtmäßige Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland und die Gestattung der Ausübung einer Erwerbstätigkeit ergibt.
- 18
Die Antragsgegnerin beantragt,
- 19
den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abzulehnen.
- 20
Zur Begründung führt sie aus, dass die Antragstellerin spätestens seit März 2017 in A-Stadt mit einem anderen Mann zusammengelebt habe. Zum Zeitpunkt der Telekommunikationsüberwachung sei sie bereits die Partnerin von Herrn xxx gewesen. Demnach müsse sie seit spätestens Februar 2017 nicht mehr mit ihrem Ehemann liiert gewesen sein. Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass Herr A. und die Antragstellerin jemals eine Ehe eingehen und leben wollten. Dies zeige sich darin, dass die Antragstellerin bereits nach wenigen Monaten ausgezogen und mit einem anderen Mann zusammengezogen sei. Zudem sprächen die Zahlung einer monatlichen Summe an Herrn A., die Ergebnisse der Wohnungsbegutachtung und der Tatsache, dass keine Anhörung der Eheleute erfolgen konnte für diese Annahme.
- 21
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge verwiesen.
II.
- 22
Der Antrag zu 1. ist bereits unzulässig. Die Anträge zu 2. und zu 3. sind zulässig, aber unbegründet.
1.
- 23
Der Antrag der Antragstellerin auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen die Rücknahme des im Jahre 2016 erteilten Aufenthaltstitels ist schon unzulässig. Ein hier einzig in Betracht kommender Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist diesbezüglich nicht statthaft, da Rechtsmittel gegen die Rücknahme einer Aufenthaltserlaubnis nach § 116 LVwG schon de lege lata den regelmäßigen Suspensiveffekt des § 80 Abs. 1 VwGO auslösen. Ein ausnahmsweiser Ausschluss der aufschiebenden Wirkung ergibt sich nicht aus dem Gesetz, insbesondere nicht aus der abschließenden Aufzählung in § 84 AufenthG. Darüber hinaus hat auch die Antragsgegnerin die sofortige Vollziehung nicht nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO angeordnet.
2.
- 24
Der Antrag zu 2. wird dahingehend verstanden, dass die Antragstellerin die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage und nicht auch des Widerspruchs meint. Die Doppelung, dass sowohl die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs als auch der Klage angeordnet werden soll, ist als unschädliche sprachliche Ungenauigkeit zu verstehen.
- 25
Der so verstandene Antrag ist zulässig und insbesondere als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO statthaft, da die aufschiebende Wirkung gemäß § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG kraft Gesetzes entfällt, vgl. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO.
- 26
Der Antrag ist jedoch unbegründet. Die Entscheidung über einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ergeht aufgrund einer Interessenabwägung. In diese Abwägung ist die Erfolgsaussicht des eingelegten Rechtsbehelfs dann maßgeblich einzubeziehen, wenn sie in der einen oder anderen Richtung offensichtlich ist. An der Vollziehung eines offensichtlich rechtswidrigen Bescheides besteht kein öffentliches Interesse. Ist der Bescheid hingegen offensichtlich rechtmäßig, ist ein Aussetzungsantrag in den Fällen des gesetzlich angeordneten Sofortvollzugs regelmäßig abzulehnen – eine Abwägungsentscheidung ist insoweit regelmäßig durch den Gesetzgeber bereits getroffen worden. Sind die Erfolgsaussichten hingegen offen, ist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls eine Folgenabwägung durchzuführen. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist vorliegend der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts.
- 27
Gemessen daran ist der Antrag unbegründet. Die Ablehnung der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 19c AufenthG erweist sich nach summarischer Prüfung als offensichtlich rechtmäßig.
- 28
Nach § 19c Abs. 1 AufenthG kann einem Ausländer unabhängig von einer Qualifikation als Fachkraft eine Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung einer Beschäftigung erteilt werden, wenn die Beschäftigungsverordnung oder eine zwischenstaatliche Vereinbarung bestimmt, dass der Ausländer zur Ausübung der Beschäftigung zugelassen werden kann. Für Staatsangehörige u.a. von Serbien bestimmt § 26 Abs. 2 Satz 1 BeschV, dass in den Jahren 2021 bis einschließlich 2023 Zustimmungen mit Vorrangprüfung zur Ausübung jeder Beschäftigung erteilt werden können. Die erstmalige Zustimmung darf nur erteilt werden, wenn der Antrag auf Erteilung des Aufenthaltstitels bei der jeweils zuständigen deutschen Auslandsvertretung in einem der in Satz 1 genannten Staaten gestellt wird, § 26 Abs. 2 Satz 2 BeschV.
- 29
Diese gesetzlichen Vorgaben sind hier nicht erfüllt. Die Antragstellerin hat ihren Antrag auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nicht bei der zuständigen deutschen Auslandsvertretung in Serbien gestellt, wie es der insoweit eindeutige Wortlaut von § 26 Abs. 2 Satz 2 BeschV verlangt. Dies wäre jedoch grundlegende Voraussetzung für die Möglichkeit einer Zustimmung nach § 26 Abs. 2 Satz 1 BeschV. Dieses Erfordernis ergibt sich auch aus der Gesetzesbegründung zum Entwurf der Änderung von § 26 BeschV. Danach ist es zwingende Voraussetzung, dass das „zweckentsprechende Visum“ im Herkunftsstaat des Bewerbers bei einer deutschen Auslandsvertretung beantragt wird (vgl. BT-Drs. 447/15, S. 11). Damit wird deutlich, dass es nicht ausreichend ist, dass die Antragstellerin vor ihrer letzten Ausreise ein Visum zum Zwecke der Familienzusammenführung in Serbien beantragt hat. Ein Visum zum Zwecke der Familienzusammenführung ist kein „zweckentsprechendes“ Visum für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Erwerbstätigkeit. Es ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber solche Ausländer privilegieren wollte, deren ursprünglich bestehender Aufenthaltszweck während ihres Aufenthalts in Deutschland weggefallen ist (vgl. zu alledem: VG Stuttgart, Beschluss vom 18.04.2019 – 16 K 1382/19 –, juris Rn. 26; so auch VG München, Beschluss vom 10.07.2018 – M 25 S 18.1470 –, juris Rn. 34).
- 30
Darüber hinaus erfüllt die Antragstellerin nicht die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 AufenthG. Nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG setzt die Erteilung eines Aufenthaltstitels in der Regel voraus, dass kein Ausweisungsinteresse besteht. Ein Ausweisungsinteresse im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG besteht, wenn die Voraussetzungen der §§ 53 Abs. 1, 54 AufenthG gegeben sind. Ob ein Bleibeinteresse besteht, spielt hingegen keine Rolle, eine Abwägung beider Interessen muss nicht vorgenommen werden (vgl. Zeitler in: HTK-AuslR / § 5 AufenthG / zu Abs. 1 Nr. 2, Stand: 08.02.2021, Rn. 10).
- 31
Die Antragstellerin verwirklicht ein Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 2 Nr. 8 a) AufenthG. Danach wiegt ein Ausweisungsinteresse schwer, wenn der Ausländer in einem Verwaltungsverfahren, das von Behörden eines Schengen-Staates durchgeführt wurde, im In- oder Ausland falsche oder unvollständige Angaben zur Erlangung eines deutschen Aufenthaltstitels gemacht hat. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
- 32
Zunächst einmal liegt ein Verwaltungsverfahren, das von Behörden eines Schengen-Staates durchgeführt wurde, vor, da es sich um ein Verfahren zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis bei der deutschen Ausländerbehörde gehandelt hat. Weiterhin hat die Antragstellerin auch falsche Angaben gemacht. Bei den falschen oder unvollständigen Angaben kann es sich um Angaben aller Art handeln, beispielsweise auch um Angaben zu Erlangung eines Aufenthaltstitels nach § 28 AufenthG, also auch um Angaben hinsichtlich des Bestehens einer sog. Scheinehe (vgl. Neidhardt in: HTK-AuslR, § 54 AufenthG / zu Abs. 2 Nr. 8, Stand: 18.11.2016, Rn. 18 ff., m.w.N.). Dies ist hier der Fall. Die Antragstellerin hat gegenüber der Ausländerbehörde geltend gemacht, eine eheliche Lebensgemeinschaft mit einem deutschen Staatsangehörigen zu führen. Die Ehe hatte zwar in formaler Hinsicht Bestand, allerdings ist nicht davon auszugehen, dass es sich um eine schutzwürdige, tatsächlich gelebte Ehe handelte. Für die Annahme einer Scheinehe sprechen die Erkenntnisse aus der Telekommunikationsüberwachung. Zunächst einmal ist festzustellen, dass diese im Verwaltungsverfahren verwertbar sind, auch wenn dies im Strafverfahren nicht der Fall war. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts stellt ein Beweisverwertungsverbot eine Ausnahme dar, die nur nach ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift oder aus übergeordneten wichtigen Gründen im Einzelfall anzuerkennen ist (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 24.02.2011 – 2 BvR 1596/10 –, juris Rn. 10; Hessischer VGH, Urteil vom 27.02.2018 – 6 A 2148/16 –, juris Rn. 26). Für das Verwaltungsverfahren gibt es keine entsprechende ausdrückliche Vorschrift (vgl. Hessischer VGH, Urteil vom 27.02.2018 – 6 A 2148/16 –, juris Rn 26). Übergeordnete wichtige Gründe, die es ausnahmsweise gebieten könnten, es zu unterlassen, die Ergebnisse der Telekommunikationsüberwachung zu verwerten, sind nicht ersichtlich.
- 33
Aus den abgehörten Gesprächen ergibt sich zum einen, dass die Antragstellerin einem Deutschen aufgrund einer Vereinbarung 400 € zuwachsen lässt. Bei lebensnahem Verständnis folgt aus diesen Gesprächsinhalten, dass die Antragstellerin Herrn A. 400 € dafür zahlt, dass sie formal miteinander verheiratet sind. Die Formulierung, sie müsse drei Jahre abwarten, macht zum anderen deutlich, dass der dreijährige Bestand der Ehe Voraussetzung für ein Begehren der Antragstellerin ist. In Zusammenschau aller Umstände muss daher angenommen werden, dass es um die Voraussetzungen der Aufenthaltstitel ging. Zu berücksichtigen ist auch, dass diese Gespräche bereits ein knappes Jahr nach der Eheschließung stattfanden.
- 34
Gegen eine tatsächlich gelebte eheliche Gemeinschaft spricht zudem die Tatsache, dass die Antragstellerin offenbar bereits seit Anfang 2017 eine Beziehung zu einem anderen Mann unterhält. Dass sie mit Herrn xxx liiert ist, ergibt sich ebenfalls aus der Telekommunikationsüberwachung und den Erkenntnissen des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens sowie aus der Tatsache, dass die Antragstellerin bereits mit Herrn xxx zusammen aus Serbien ausreiste und kurz nach der Einreise Ende 2016 zu ihm zog.
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Weiterhin hat die Antragstellerin die Angaben auch zum Zwecke der Erlangung der genannten Vergünstigungen gemacht. Auf die Rechtsfolgen falscher oder unvollständiger Angaben wurde sie hingewiesen.
- 36
Es ist auch keine atypische Fallkonstellation gegeben, die ausnahmsweise ein Abweichen von den Regelerteilungsvoraussetzungen gebietet. Gemäß § 5 Abs. 1 AufenthG setzt die Erteilung des Aufenthaltstitels das Nichtvorliegen eines Ausweisungsinteresses lediglich „in der Regel“ voraus. Eine Ausnahme von einer Regelerteilungsvoraussetzung besteht, wenn ein atypischer Fall vorliegt, der so weit vom Regelfall abweicht, dass die Versagung des Aufenthaltstitels mit der Systematik oder den grundlegenden Entscheidungen des Gesetzgebers nicht mehr vereinbar ist. Dies ist hier nicht der Fall. Anhaltspunkte, die die Annahme einer Ausnahme rechtfertigen würden, sind nicht ersichtlich.
- 37
Die ebenfalls im Bescheid vom 26.01.2021 verfügte Abschiebungsandrohung ist ebenfalls rechtmäßig. Nach § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist die Abschiebung unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen. Der Erlass einer Abschiebungsandrohung setzt grundsätzlich das Bestehen einer Ausreisepflicht nach § 50 Abs. 1 AufenthG voraus. Nach dieser Vorschrift ist ein Ausländer zur Ausreise verpflichtet, wenn er einen erforderlichen Aufenthaltstitel nicht oder nicht mehr besitzt. Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Wie oben ausgeführt besitzt die Antragstellerin keinen Aufenthaltstitel und hat auch keinen Anspruch auf Erteilung eines solchen, sodass sie vollziehbar zur Ausreise verpflichtet ist.
- 38
3.
Der Antrag zu 3. ist zulässig, insbesondere statthaft als Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO. Der Antrag ist jedoch unbegründet.
- 39
Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung des Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach Satz 2 des § 123 Abs. 1 VwGO sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung notwendig erscheint, um insbesondere wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern. § 123 Abs. 1 VwGO setzt daher sowohl ein Bedürfnis für die Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes (Anordnungsgrund) als auch einen sicherungsfähigen Anspruch (Anordnungsanspruch) voraus. Die tatsächlichen Voraussetzungen für die besondere Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) und das Bestehen eines zu sichernden Rechts (Anordnungsanspruch) sind glaubhaft zu machen, § 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO. Maßgeblich sind dabei die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.
- 40
Die Antragstellerin hat keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Nach § 81 Abs. 5 AufenthG ist dem Ausländer eine Bescheinigung über die Wirkung seiner Antragstellung (Fiktionswirkung) auszustellen. Es kann hier offen bleiben, ob der Antrag auf Erteilung bzw. Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis eine Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 3 oder Abs. 4 AufenthG ausgelöst hat. Darauf kommt es nicht an, da eine Fiktionswirkung jedenfalls nur bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde über den gestellten Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis besteht. Diese Entscheidung erging durch den ablehnenden Bescheid vom 26.01.2021 und den Widerspruchsbescheid vom 23.03.2021, sodass im entscheidungserheblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung eine Fiktionswirkung nicht mehr besteht, eine entsprechende Bescheinigung daher auch nicht mehr ausgestellt werden kann.
- 41
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über den Streitwert aus §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 GKG.
- 42
Die Voraussetzungen für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe nach § 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO sind nicht gegeben. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung der Antragstellerin in diesem Eilrechtsverfahren bietet wie gezeigt keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Auf die Prüfung der wirtschaftlichen Verhältnisse kam es damit nicht mehr an.
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