Beschluss vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (8. Kammer) - 8 B 9/21
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 35.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
- 1
Die Antragstellerin wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen eine der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung.
- 2
Die Antragstellerin ist Eigentümerin des Grundstücks in A-Stadt, welches mit einem Wohngebäude bebaut ist. Die Beigeladene ist Eigentümerin der Grundstücke in A-Stadt, auf welchem sich unter anderem bereits ein Hochhaus befindet.
- 3
Am 3. August 2020 beantragte die Beigeladene bei der Antragsgegnerin die Erteilung einer Baugenehmigung für die Errichtung von zwei Wohngebäuden mit insgesamt 60 Wohneinheiten sowie einer Tiefgarage mit 31 Stellplätzen auf ihrem vorgenannten Grundstück. Beabsichtigt ist die Errichtung eines straßenseitig gelegenen fünfgeschossigen Gebäudes samt eines Nachbarschaftstreffs bzw. Stadtteilcafés im Erdgeschoss (Geb. 1) und eines rückwärtigen viergeschossigen Gebäudes (Geb. 2).
- 4
Die Antragsgegnerin erteilte der Beigeladenen mit Bescheid vom 15. Dezember 2020 die beantragte Baugenehmigung, woraufhin die Antragstellerin mit Schreiben vom 14. Januar 2021 Widerspruch erhob. Zur Begründung bezog sie sich auf ihre bereits im Baugenehmigungsverfahren eingebrachten Einwände. Hierin führte sie im Wesentlichen an, dass sich das Vorhaben hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung nicht in die nähere Umgebung einfüge und deswegen nicht genehmigungsfähig sei. Zu der bereits in Gestalt eines Hochhauses vorhandenen Nutzung des Grundstücks der Beigeladenen würden nunmehr zwei massive Baukörper hinzutreten, die zu einer ganz außergewöhnlichen Ausnutzung des Grundstücks führen und auf eine kleinteilige Bebauung treffen würden. Das baurechtliche Gebot der Rücksichtnahme sei verletzt. Im hinteren Bereich der maßgeblichen Grundstücke befinde sich eine überwiegende Wohnnutzung in einer ganz besonders ruhigen Lage. Die beabsichtigte Tiefgarage bzw. der hiermit zusammenhängende An- und Abfahrtsverkehr führe zu einer unzumutbaren Lärmbelästigung. Die Ausfahrt sei unmittelbar vor den Wohnhäusern der Nachbarn belegen. Eine schalltechnische Untersuchung liege gleichwohl nicht vor, so dass nicht absehbar sei, ob es zu einer unzumutbaren Belastung komme. Die Baugenehmigung sei zu unbestimmt. Den Bauvorlagen könne nicht entnommen werden, mit welchen Fahrzeugbewegungen zu rechnen sei. Es sei ebenso nicht erkennbar, mit welcher Lärmbelästigung zu rechnen sei. Auch hinsichtlich des Nachbarschaftstreffs fehle es an Angaben zu Kapazitäten, so dass nicht zu bestimmen sei, ob die Belastungen den Nachbarn zumutbar sei. Das Vorhaben habe außerdem eine abriegelnde und erdrückende Wirkung. Insbesondere das Gebäude in zweiter Reihe sei unverhältnismäßig hoch. Es sei auch ungeklärt, welche Verschattung von dem Vorhaben ausgehe. Schließlich sei die Erschließung ungeklärt, da der Verkehr zur Tiefgarage über einen schmalen Weg abgewickelt werden solle, der keinen Begegnungsverkehr zulasse. Der Weg sei auch die einzige Zuwegung zum Grundstück der Antragstellerin.
- 5
Die Antragsgegnerin wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 11. März 2021 als unbegründet zurück. Die Baugenehmigung verstoße nicht gegen den Gebietserhaltungsanspruch. Die Eigenart der näheren Umgebung, die sich auf die die Grundstücke, - sowie - erstrecke, entspreche einem faktischen allgemeinen Wohngebiet. In diesem seien Anlagen für soziale Zwecke wie der Nachbarschaftstreff bzw. das Stadtteilcafé zulässig. Die Tiefgarage sei in diesem faktischen allgemeinen Wohngebiet nach § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 12 Abs. 2 BauNVO zulässig. Das Gebot der Rücksichtnahme sei ebenfalls nicht verletzt. Der Nachbarschaftstreff sei nicht rücksichtslos, da dieser ausschließlich im südlichen Bereich des Erdgeschosses des Gebäudes 1 und damit innerhalb des Gebäudes geplant sei. Der Zugang erfolge über die . Angesichts des beabsichtigten Treffpunkts für die Wohnbevölkerung in einem ca. 500 m Radius sei mit einem geringen An- und Abfahrtsverkehr zu rechnen. Zwar sei keine exakte Personenzahl der gleichzeitigen Nutzung in der Betriebsbeschreibung benannt, bei dem eng eingegrenzten Nutzerkreis sei jedoch mit keiner hohen Personenzahl zu rechnen. Der Eingang befinde sich zudem 85 m Luftlinie von dem Gebäude der Antragstellerin entfernt und sei von dort nicht einsehbar. Möglicher Lärm werde durch das Gebäude 1 abgeschirmt. Es seien auch keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass durch die An- und Abfahrten der Tiefgarage wesentlich störende Immissionen für die Antragstellerin ausgingen. Die Tiefgarage sei nicht in einer bestehenden Ruhezone geplant. Die Bewohner des Gebäudes der Antragstellerin würden diese Zufahrt selbst nutzen, um zu ihrem Grundstück und zu den vor dem Gebäude befindlichen Stellplätzen zu gelangen. Die Tiefgarage diene der Wohnbebauung des Vorhabens, es sei mit Ein- und Ausfahrten hauptsächlich morgens und abends zu rechnen. Die Situation könne sich sogar dadurch verbessern, dass Fahrgeräusche in der Tiefgarage verlagert und Geräusche des Türenschlagens beim Ein- und Aussteigen durch die Tiefgarage abgeschirmt würden. Ein Schallschutzgutachten sei vor diesem Hintergrund nicht erforderlich. Von dem Vorhaben gehe schließlich keine erdrückende oder abriegelnde Wirkung für das Grundstück der Antragstellerin aus. Nördlich angrenzend an das Vorhaben Grundstück befinde sich eine öffentliche Verkehrsfläche. Erst dahinter liege das Grundstück der Antragstellerin. Die geplanten Gebäude würden in Richtung des Grundstücks der Antragstellerin die maßgeblichen Vorgaben des Abstandflächenrechts einhalten bzw. sogar überschreiten. Zudem liege das Grundstück der Antragstellerin auf Höhe eines bestehenden Hochhauses ca. 75 m von der entfernt, wohingegen das Vorhaben ca. 50 m von der entfernt liege. Das Vorhabengebäude 1 weise eine Höhe von ca. 15 m bei einem Abstand von 27 m zu dem Grundstück der Antragstellerin auf, auf welchem sich ein ca. 8 m hohes zweigeschossiges Haus mit Dachgeschoss befinde. Das straßenseitige Vorhabengebäude weise eine Höhe von 20 m und einen Abstand von ca. 56 m zu dem Gebäude der Antragstellerin auf. Die Umgebung sei zudem durch hohe Häuser geprägt. Die Erschließung sei ebenfalls gesichert. Ein Begegnungsverkehr sei lediglich zwischen dem öffentlichen Parkplatz und dem nördlichen Gehweg nicht möglich. Die Örtlichkeiten seien gut einsehbar und die Wegstrecke kurz. Es sei nicht erforderlich, Flächen für einen Begegnungsverkehr zu schaffen.
- 6
Die Antragstellerin hat am 10. März 2021 einstweiligen Rechtsschutz bei dem Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgericht nachgesucht. Zur Begründung wiederholt sie im Wesentlichen ihren Vortrag aus dem Vorverfahren. Ergänzend und vertiefend verweist sie im Wesentlichen darauf, dass die Antragstellerin mangels eingeholtem schalltechnischem Gutachten nicht erkennen könne, in welchen Maß sie aufgrund der Baugenehmigung durch eine von der Tiefgarage ausgehende Lärmbelästigung, insbesondere durch die auf der „Rampe“ beschleunigenden Fahrzeuge, betroffen sei. Es sei nicht nachvollziehbar, wieso die Antragsgegnerin meine zu wissen, dass Geräusche wie das Türenschlagen, Fahrgeräusche in der Tiefgarage und Radiogeräusche nicht hörbar seien sollen. Im Gegensatz zu dem früheren Parkplatz rücke der Lärm durch die Tiefgarageneinfahrt näher an das Grundstück der Antragstellerin heran. Hinsichtlich des Nachbarschaftstreffs gelte, dass die Baugenehmigung zu unbestimmt sei, da sie keine Festlegung derjenigen Personenzahl enthalte, die für eine maximale zeitgleiche Nutzung zugelassen ist. Weiterhin sei zu beachten, dass hier eine erdrückende Wirkung von dem Vorhaben ausgehe, wobei das Gegenteil nicht durch die Einhaltung der Abstandfläche zu dem Grundstück der Antragstellerin erwiesen sei. Das Gebäude sei im Vergleich zu demjenigen der Antragstellerin in etwa doppelt so hoch. Es entstehe im Zusammenhang mit der vorhandenen Bebauung im Übrigen ein abriegelnder Gebäudeblock.
- 7
Die Antragstellerin beantragt,
- 8
die aufschiebende Wirkung ihrer Klage vom 15. April 2021 (Az. 84/21) gegen die von der Antragsgegnerin erteilte Baugenehmigung vom 15. Dezember 2020 (Az.: 64.1.1.14 [20-02621] BG) in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. März 2021 (Az.: 64.0.1.07 [21-00175] W) wird angeordnet.
- 9
Die Antragsgegnerin beantragt,
- 10
den Antrag abzulehnen.
- 11
Zur Begründung nimmt sie auf den Inhalt der vorgelegten Verwaltungsvorgänge und insbesondere auf die angegriffenen Bescheide Bezug.
- 12
Die Beigeladene beantragt,
- 13
den Antrag abzulehnen.
- 14
Die Baugenehmigung sei nicht zu unbestimmt, da insbesondere das Fehlen eines schalltechnischen Gutachtens die Bestimmtheit der Baugenehmigung nicht tangiere. Das Vorhaben erweise sich gegenüber der Antragstellerin keinesfalls als rücksichtslos, weder aufgrund einer erdrückenden oder abriegelnden Wirkung noch aufgrund einer unzumutbaren Verschattung des Grundstücks der Antragstellerin. Das Vorhaben halte die Abstandflächen ein, so dass die Antragstellerin mehr grundsätzlich nicht verlangen könne, und es liege auch in dem Einzelfall kein Extremfall vor, der zu einer Annahme einer unzumutbaren Verschattung führe. Die Antragstellerin behaupte im Übrigen bloß „ins Blaue hinein“, dass von dem Zu- und Abfahrtsverkehr der Tiefgarage eine unzumutbare Lärmbelästigung ausgehen könne.
- 15
Wegen der Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und den von der Antragsgegnerin vorgelegten Verwaltungsvorgang Bezug genommen.
II.
- 16
Der nach §§ 80 a Abs. 3, 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO gestellte Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist zulässig, aber unbegründet.
- 17
Der Antrag ist statthaft. Die von der Antragstellerin am 15. April 2021 erhobene Klage (Az. 8 A 84/21) gegen die Baugenehmigung vom 15. Dezember 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. März 2021 entfaltet i.S.d. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO angesichts der Regelung des § 212a Abs. 1 BauGB keine aufschiebende Wirkung.
- 18
Die gerichtliche Entscheidung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ergeht auf der Grundlage einer umfassenden Interessenabwägung. Gegenstand der Abwägung sind das Interesse des beigeladenen Bauherrn an der sofortigen Ausnutzung der ihm erteilten Baugenehmigung einerseits und das Interesse des antragstellenden Nachbarn, von der Vollziehung der Baugenehmigung bis zur Entscheidung in der Hauptsache verschont zu bleiben, andererseits. Im Rahmen dieser Interessenabwägung können auch Erkenntnisse über die Rechtmäßigkeit oder die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes, der vollzogen werden soll, Bedeutung erlangen, allerdings nicht als unmittelbare Entscheidungsgrundlage, sondern als in die Abwägung einzustellende Gesichtspunkte. Darüber hinaus ist in die Abwägung einzustellen, dass nach dem Willen des Gesetzgebers Widerspruch und Anfechtungsklage eines Dritten gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens gemäß § 212 a Abs. 1 BauGB keine aufschiebende Wirkung haben sollen und der Gesetzgeber damit dem Bauverwirklichungsinteresse grundsätzlich den Vorrang eingeräumt hat. Insofern kann das Gericht die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage nur anordnen, wenn auf Seiten des Antragstellers geltend gemacht werden kann, dass mit überwiegender Wahrscheinlichkeit seine Rechtspositionen durch den Bau und die Nutzung des genehmigten Vorhabens unerträglich oder in einem nicht wiedergutzumachenden Maße beeinträchtigt bzw. gefährdet werden. Dabei macht der Verweis auf die Rechtsposition des antragstellenden Nachbarn allerdings deutlich, dass bei baurechtlichen Nachbarrechtsbehelfen nicht allein die objektive Rechtswidrigkeit der angefochtenen Baugenehmigung in den Blick zu nehmen ist, sondern dass Rechtsbehelfe dieser Art nur erfolgreich sein können, wenn darüber hinaus gerade der widersprechende bzw. klagende Nachbar in subjektiv-öffentlichen Nachbarrechten verletzt ist. Ob die angefochtene Baugenehmigung insgesamt objektiv rechtmäßig ist, ist dagegen nicht maßgeblich. Vielmehr ist die Baugenehmigung allein daraufhin zu untersuchen, ob sie gegen Vorschriften verstößt, die dem Schutz des um Rechtsschutz nachsuchenden Nachbarn dienen. Der Nachbar kann sich nur auf solche Interessen berufen, die das Gesetz im Verhältnis der Grundstücksnachbarn untereinander als schutzwürdig ansieht. Dabei ist für die Beurteilung der Verletzung von öffentlich-rechtlich geschützten Nachbarrechten durch eine Baugenehmigung allein der Regelungsinhalt der Genehmigungsentscheidung maßgeblich. Eine hiervon abweichende Ausführung kann die Aufhebung der Baugenehmigung demgegenüber nicht rechtfertigen.
- 19
Nach diesem Maßstab überwiegt vorliegend das Interesse der Beigeladenen, die ihr erteilte Baugenehmigung sofort, d.h. ungeachtet der Klage der Antragstellerin ausnutzen zu können; denn bei der in diesem Verfahren nur möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage lässt sich nicht mit hinreichender, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit feststellen, dass die angefochtene Baugenehmigung vom 15. Dezember 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. März 2021 Nachbarrechte der Antragstellerin verletzt. Ein Verstoß der erteilten Baugenehmigung gegen nachbarschützende Vorschriften einschließlich des Gebots der Rücksichtnahme ist nicht auszumachen. Die Baugenehmigung erweist sich auch nicht in nachbarrechtsrelevanter Weise als zu unbestimmt.
- 20
Eine Baugenehmigung muss inhaltlich i.S.d. § 108 Abs. 1 LVwG hinreichend bestimmt sein. Sie muss Inhalt, Reichweite und Umfang der genehmigten Nutzung eindeutig erkennen lassen, damit die mit dem Bescheid getroffene Regelung für die Beteiligten des Verfahrens nachvollziehbar und eindeutig ist. Nachbarn müssen zweifelsfrei feststellen können, ob und in welchem Umfang sie betroffen sind. Ist die Baugenehmigung hinsichtlich nachbarrechtsrelevanter Umstände unbestimmt und infolgedessen die Verletzung von Nachbarrechten bei der Ausführung des Vorhabens nicht auszuschließen, ist die Baugenehmigung im Regelfall als nachbarrechtswidrig aufzuheben (Schleswig-Holsteinisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 22. Dezember 2017 - 1 MB 19/17 -, Rn. 8, juris). Maßgebend sind hierbei die Umstände des Einzelfalls. Die angegriffene Baugenehmigung erweist sich zunächst nicht deshalb in nachbarrechtsrelevanter Weise als zu unbestimmt, weil sie kein prognostisches Lärmgutachten hinsichtlich der Auswirkungen der geplanten Tiefgarage umfasst. Prüfungsmaßstab für das Vorliegen eines Abwehrrechts der Antragstellerin ist – entsprechend der vorstehenden Maßgaben – insoweit lediglich die Frage, ob aufgrund der mangelnden Bestimmtheit der Baugenehmigung eine Verletzung von Nachbarrechten nicht auszuschließen ist. Derartiges ist nicht der Fall. Die Einholung eines schalltechnischen Gutachtens war nicht erforderlich. Gemäß § 12 Abs. 1 BauNVO sind Stellplätze und Garagen nämlich grundsätzlich in allen Baugebieten zulässig. Nach § 12 Abs. 2 BauNVO sind lediglich in Kleinsiedlungsgebieten, Reinen Wohngebieten und Allgemeinen Wohngebieten sowie Sondergebieten, die der Erholung dienen, Stellplätze und Garagen nur für den durch die zugelassene Nutzung verursachten Bedarf zulässig. Aus dieser normativen Duldungspflicht (vgl. Schleswig-Holsteinisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 29. Juni 2020 – 1 LA 97/19, n.v.) folgt, dass die durch Stellplätze und Garagen hervorgerufenen Immissionen auch in Allgemeinen bzw. Reinen Wohngebieten grundsätzlich hinzunehmen sind, soweit ihre Anzahl den für den durch die zugelassene Nutzung verursachten Bedarf nicht überschreiten. Vorliegend ist dies bei 31 (Tiefgaragen-)Stellplätzen für zwei Mehrfamilienhäuser mit 60 Wohnungen der Fall. Auch die konkrete Lage der Tiefgarage erweist sich nicht als rücksichtslos. Die geplante Tiefgarage dringt keinesfalls erstmals in einen besonderen Ruhebereich ein, sondern soll ihre Ein- und Ausfahrt an einem Standort zwischen der (Wohn-)Bebauung erhalten, der bei Auswertung der in den Verfahrensunterlagen enthaltenen Karten und Übersichten sowie der allgemein verfügbaren Satellitenbilder auch bisher durch Stellplätze samt des dazugehörigen An- und Abfahrtverkehrs geprägt ist. Die für das Wohngebäude der Antragstellerin errichteten Stellplätze finden sich gleichermaßen in diesem Bereich, auf jener der Ein- und Ausfahrt der Tiefgarage gegenüberliegenden Seite. Weiter ist zu erwarten, dass die mit dem Parkgeschehen verbundenen impulshaltigen Geräusche wie Türen- und Kofferraumdeckelschließen in der Tiefgarage stattfinden und somit von dem Grundstück der Antragstellerin abgeschirmt werden. Die Antragstellerin hat daher von der Tiefgarage insgesamt keine Immissionen zu erwarten, die über das in Wohngebieten üblicherweise bestehende und hinzunehmende Maß hinausgehen.
- 21
Gleiches gilt im Ergebnis in Bezug auf das von dem Vorhaben umfasste Stadtteilcafé bzw. den Nachbarschaftstreff. Die angegriffene Baugenehmigung erweist sich insoweit gegenüber der Antragstellerin nicht deswegen als in nachbarrechtsrelevanter Weise zu unbestimmt, weil in Bezug auf den Nachbarschaftstreff keine konkrete Zahl der maximal gleichzeitigen Nutzer benannt ist. Eine Verletzung von Nachbarrechten der Antragstellerin ist insoweit jedenfalls ausgeschlossen. Unabhängig von der konkreten maximalen zeitgleichen Nutzerzahl, die durch die Größe der Räumlichkeiten und den in der Betriebsbeschreibung benannten Nutzungskonzept als Nachbarschafts- und Mitgliedertreff für Bewohnerinnen und Bewohner der unmittelbaren Umgebung in einem Radius von ca. 500 m beschränkt ist, gilt, dass wesentliche Beeinträchtigungen des Grundstücks der Antragstellerin bereits aufgrund der Lage des Stadtteilcafés nicht zu erwarten stehen. So beabsichtigt die Beigeladene die Errichtung des Nachbarschaftstreffs im Erdgeschoss des straßenseitig zur belegenen Gebäudes 1. Der Zugangsbereich soll sich ausweislich der Bauvorlagen ebenfalls zur orientieren und sich demzufolge auf der dem Grundstück der Antragstellerin abgewandten Seite des Gebäudes 1 befinden. Beachtliche Lärmimmissionen sind überdies deswegen nicht zu erwarten, weil die Nutzung ausweislich der Betriebsbeschreibung ausschließlich im Innenraum vorgesehen ist. Darüber hinaus hat die Antragsgegnerin auch zutreffend dargelegt, dass selbst von vor dem Gebäude stehenden Personen ausgehender Lärm in Bezug auf das rund 85 m Luftlinie vom Eingang des Nachbarschaftstreffs entfernte Gebäude der Antragstellerin durch die beiden Vorhabengebäude abgeschirmt wird. Von dem Vorhaben des Nachbarschaftstreffs ausgehende unzumutbare Lärmeinwirkungen auf das Grundstück der Antragstellerin erscheinen vor diesem Hintergrund fernliegend.
- 22
Die Antragstellerin kann sich nicht mit Erfolg auf einen sog. Gebietserhaltungs- oder Gebietsbewahrungsanspruch berufen. Dieser Anspruch wird durch die Zulassung eines mit der Gebietsart unvereinbaren Vorhabens ausgelöst, weil hierdurch eine „Verfremdung“ des Gebiets eingeleitet und damit das nachbarliche Austauschverhältnis gestört wird, das auf dem Gedanken beruht, dass sich jeder Grundstückseigentümer davor schützen können muss, dass er über die durch die Festsetzung einer Gebietsart normierte oder aus einer wie hier faktisch vorhandenen Gebietsart eines allgemeinen oder gar reinen Wohngebietes sich ergebenden Beschränkung seiner Baufreiheit hinaus durch eine nicht zulässige Nutzung eines anderen Grundstückseigentümers nochmals zusätzlich belastet wird (BVerwG, Urteil 16. September 1993, - 4 C 28.91 -; Urteil vom 23. August 1996, - 4 C 13.94 -; Schleswig-Holsteinisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 07. Juni 1999, - 1 M 119/98 -). Ein solches seiner Art nach gebietsunverträgliches Vorhaben liegt mit jenem der Beigeladenen genehmigten Wohnbauvorhaben samt eines Nachbarschaftstreffs offenkundig nicht vor. Das Gericht nimmt diesbezüglich auf die zutreffenden Gründe des angegriffenen Bescheides Bezug, denen es sich anschließt (vgl. § 117 Abs. 5 VwGO).Einen darüber hinausgehenden Gebietsprägungserhaltungsanspruch des Inhalts, dass dieser unabhängig von der Art der Nutzung des geplanten Bauvorhabens einen Abwehranspruch vermittelt, weil das Vorhaben einem für das Baugebiet charakteristischen harmonischen Erscheinungsbild nicht entspricht, erkennt das Gericht in ständiger Rechtsprechung nicht an (vgl. etwa Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht, Beschluss vom 24. Februar 2014 - 2 B 12/14 -; vom 24. November 2017 - 2 B 56/17 -; so auch OVG Lüneburg, Beschluss vom 28. Mai 2014, - 1 ME 47/14 -; Schleswig-Holsteinisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 21. Juli 2015 – 1 MB 16/15 -).
- 23
Das sich aus § 15 Abs. 1 BauNVO bzw. aus § 34 Abs. 1 BauGB ergebende nachbarschützende Gebot der Rücksichtnahme ist nach dem Sachstand im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht verletzt. Welche Anforderungen das Rücksichtnahmegebot begründet, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung derer ist, denen die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zugutekommt, umso mehr kann an Rücksichtnahme verlangt werden. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, desto weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu üben. Das Rücksichtnahmegebot verlangt in diesem Sinne eine Abwägung zwischen dem, was einerseits dem durch das Gebot begünstigten Nachbarn und andererseits dem zur Rücksichtnahme verpflichteten Bauherrn nach Lage der Dinge zuzumuten ist, und ist verletzt, wenn diese Abwägung ergibt, dass das Vorhaben dem Nachbarn gegenüber als rücksichtslos anzusehen ist, weil die mit dem Vorhaben verbundenen Folgen die Grenzen des dem Nachbarn unter den gegebenen Umständen Zumutbaren überschreiten (Schleswig-Holsteinisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 10. Februar 2020 – 1 MB 1/20, n.v.). Letzteres ist vorliegend nicht der Fall.
- 24
Rücksichtslos ist das Vorhaben der Beigeladenen insbesondere nicht hinsichtlich seiner Ausmaße. Es ist zwar in der Rechtsprechung anerkannt, dass nachbarliche Belange in unzumutbarer Weise beeinträchtigt sein können, wenn ein Nachbaranwesen durch die Ausmaße eines Bauvorhabens geradezu „erdrückt“, „eingemauert“ oder „abgeriegelt“ würde. Dies wird insbesondere dann angenommen, wenn die baulichen Dimensionen des „erdrückenden Gebäudes“ aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalles derart übermächtig sind, dass das „erdrückte“ Gebäude oder Grundstück nur noch überwiegend wie eine von dem herrschenden Gebäude dominierte Fläche ohne eigene baurechtliche Charakteristik wahrgenommen wird, oder das Bauvorhaben das Nachbargrundstück regelrecht abriegelt, d.h. dort das Gefühl des Eingemauertseins oder der Gefängnishofsituation hervorruft (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. März 1981 - 4 C 1.78 -; OVG Münster, Urteil vom 9. August 2006, - 8 A 32726/ -). Dem Grundstück muss gleichsam die Luft zum Atmen genommen werden. Dass das Vorhaben die bislang vorhandene Situation lediglich verändert oder dem Nachbarn unbequem ist, reicht nicht aus. Die in den gewählten Ausdrücken bzw. Bildern („Gefängnishofsituation“, „Eingemauertsein“, „Erdrücken“, „Erschlagen“, „Luft zum Atmen nehmen“) liegende „Dramatik“ ist danach vielmehr ernst zu nehmen (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 15. Januar 2007, - 1 ME 80/07 - und vom 13. Januar 2010, - 1 ME 237/09).Ob eine solche Wirkung vorliegt oder nicht, kann nur unter wertender Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls entschieden werden. Neben den Ausmaßen der betreffenden Baukörper in ihrem Verhältnis zueinander kann auch deren jeweilige Lage eine maßgebliche Rolle spielen.
- 25
Diese vorgenannten Voraussetzungen erfüllt das streitbefangene Vorhaben nicht. Es wahrt unstreitig zu dem Grundstück der Antragstellerin alle erforderlichen Abstände, was bereits gegen eine „erdrückende“ Wirkung spricht (vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Schleswig-Holstein, Beschluss vom 17. Juli 2018 – 1 MB 21/17 –, Rn. 31, juris, m.w.N.). Es erreicht vor dem Hintergrund der benannten Maßgaben im Übrigen nicht ein derartiges Ausmaß, dass von einer das Gebot der Rücksichtnahme verletzenden erdrückenden oder abriegelnden Wirkung die Rede sein kann. Die Vorhabengebäude weisen als vier- bis fünfgeschossige Mehrfamilienhäuser gegenüber dem zweigeschossigen und mit einem Dachgeschoss versehenen Mehrfamilienhaus der Antragstellerin unzweifelhaft sichtbare Differenzen hinsichtlich der Höhe auf, die für die Antragstellerin unangenehm sein mögen. Zu berücksichtigen ist indes, dass – worauf die Antragsgegnerin zutreffend abgestellt hat – zwischen den Gebäuden ein den gesetzlich erforderlichen (Mindest-)Abstand (vgl. § 6 LBO) deutlich überschreitender Abstand von ca. 27 m (Gebäude 2) bzw. ca. 56 m (Gebäude 1) verbleibt, der durch eine teilweise begrünte öffentliche Verkehrsfläche geprägt ist. Das Vorhaben hat zulasten des auf dem Grundstück der Antragstellerin befindlichen Gebäudes auch deswegen keinen abriegelnden oder erdrückenden Effekt, weil die Rückwand des Vorhabengebäudes 2 in etwa 50 m Entfernung zur und damit deutlich versetzt von dem Gebäude der Antragstellerin, dessen (von der aus gesehene) vordere Gebäudewand in etwa 80 m Entfernung zur belegen ist, befindet.
- 26
Eine Rücksichtslosigkeit des Vorhabens lässt sich schließlich nicht unter dem Aspekt einer Verschlechterung der Belichtungs- und Belüftungssituation des Grundstücks der Antragstellerin feststellen. In bebauten innerörtlichen Bereichen muss mit (begrenzten) Verschattungswirkungen ebenso gerechnet werden wie mit veränderten Möglichkeiten des Ausblicks oder der Einsichtnahme. Das Rücksichtnahmegebot gewährleistet keine bestimmte Dauer oder „Qualität“ der Tagesbelichtung oder die unveränderte Beibehaltung einer einmal gegebenen Besonnung eines Grundstücks. Diese Frage wird nur mittelbar – über das Abstandflächenrecht – erfasst (Oberverwaltungsgericht für das Land Schleswig-Holstein, Beschluss vom 17. Juni 2010 – 1 MB 11/10 –, Rn. 13 f., juris; Beschluss vom 11. November 2010 – 1 MB 16/10 –, Rn. 20, juris; Beschluss vom 31. März 2020 – 1 MR 2/20 –, Rn. 14, juris), wobei die erforderlichen Abstände hier gewahrt sind. Der im Baugenehmigungsverfahren eingereichten Schattensimulation (vgl. Bl. 48 ff. der Beiakte „B“) lässt sich im Übrigen allenfalls eine geringfügige zusätzliche Verschattung des Grundstücks der Antragstellerin durch das Vorhaben entnehmen, die keinesfalls eine abweichende Beurteilung rechtfertigt.
- 27
Soweit die Antragstellerin sinngemäß darauf verweist, dass der Verkehrsfluss zu ihrem Grundstück aufgrund der Erschließungssituation des genehmigten Vorhabens und des dadurch ausgelösten Verkehrs behindert werde, gilt, dass kein rechtlich schützenswerter Anspruch des an einem Grundstück dinglich Berechtigten darauf besteht, dass dieses Grundstück über eine öffentliche Straße, an der es liegt, zu jeder Zeit ohne jegliche Verzögerung und ohne vorübergehende Behinderung durch andere Verkehrsteilnehmer, die die öffentliche Straße ebenfalls ordnungsgemäß für die Durchfahrt oder als Zubringer zu einem anderen Grundstück nutzen, mit dem Kraftfahrzeug zu erreichen ist (Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 18. Februar 2020 – 2 B 1701/19 –, Rn. 15, juris). Angesichts des verhältnismäßig kurzen Wegstückes, auf welchem kein Begegnungsverkehr möglich ist, ist jedenfalls nicht davon auszugehen, dass derart chaotische Verkehrsverhältnisse zu erwarten stehen, die zu einer gänzlichen Unerreichbarkeit des Grundstücks der Antragstellerin führen.
- 28
Nach alledem war der Antrag mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen waren gemäß § 162 Abs. 3 VwGO für erstattungsfähig zu erklären, da diese einen eigenen Antrag gestellt und somit an dem Kostenrisiko (§ 154 Abs. 3 VwGO) teilgenommen hat.
- 29
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 63 Abs. 2 GKG. Die Kammer geht unter Berücksichtigung der regelmäßigen Wertannahmen des Berufungsgerichts bei Nachbarklagen betreffend die Beeinträchtigung eines Mehrfamilienhauses regelmäßig von einem Streitwert i.H.v. 10.000,00 € pro Wohneinheit aus, wenn keine Besonderheiten geltend gemacht werden, hier also angesichts von sieben Wohneinheiten 70.000,00 €. In dem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes wird jener Wert eines entsprechenden Hauptsacheverfahrens in ständiger Spruchpraxis der Kammer mit der Hälfte des Betrages veranschlagt, so dass sich hier der mit 35.000,00 € festgesetzte Streitwert errechnet.
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
- VwGO § 80a 1x
- VwGO § 80 3x
- §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 63 Abs. 2 GKG 3x (nicht zugeordnet)
- § 6 LBO 1x (nicht zugeordnet)
- § 34 Abs. 2 BauGB 1x (nicht zugeordnet)
- BauNVO § 12 Stellplätze und Garagen 3x
- § 212a Abs. 1 BauGB 1x (nicht zugeordnet)
- § 212 a Abs. 1 BauGB 1x (nicht zugeordnet)
- § 108 Abs. 1 LVwG 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 117 1x
- BauNVO § 15 Allgemeine Voraussetzungen für die Zulässigkeit baulicher und sonstiger Anlagen 1x
- § 34 Abs. 1 BauGB 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 154 2x
- VwGO § 162 1x
- 8 A 84/21 1x (nicht zugeordnet)
- Beschluss vom Schleswig Holsteinisches Oberverwaltungsgericht (1. Senat) - 1 MB 19/17 1x
- 1 LA 97/19 1x (nicht zugeordnet)
- 1 M 119/98 1x (nicht zugeordnet)
- Beschluss vom Bundesverwaltungsgericht (2. Senat) - 2 B 12/14 1x
- Beschluss vom Bundesverwaltungsgericht (2. Senat) - 2 B 56/17 1x
- 1 ME 47/14 1x (nicht zugeordnet)
- 1 MB 16/15 1x (nicht zugeordnet)
- 1 MB 1/20 1x (nicht zugeordnet)
- Beschluss vom Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht (1. Senat) - 1 ME 80/07 1x
- Beschluss vom Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht (1. Senat) - 1 ME 237/09 1x
- 1 MB 21/17 1x (nicht zugeordnet)
- Beschluss vom Schleswig Holsteinisches Oberverwaltungsgericht (1. Senat) - 1 MB 11/10 1x
- Beschluss vom Schleswig Holsteinisches Oberverwaltungsgericht - 1 MB 16/10 1x
- 1 MR 2/20 1x (nicht zugeordnet)
- Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 2 B 1701/19 1x