Urteil vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (12. Kammer) - 12 A 28/19

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin wird nachgelassen, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor ihrerseits Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt mit der Klage die Aufhebung arbeitszeitrechtlicher Anordnungen.

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Die Klägerin betätigt sich seit Juli ... als Lagerdienstleisterin und hat acht Beschäftigte.

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Mit Schreiben vom ... forderte die Beklagte die Klägerin zur Vorlage der Arbeitszeitnachweise aller Beschäftigten für den Zeitraum vom ... bis zum ... auf, nachdem bei der Beklagten zuvor eine anonyme telefonische Beschwerde bezüglich möglicher Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz (ArbZG) durch die Klägerin eingegangen war. In der Beschwerde war von Arbeitszeiten von bis zu 13 Stunden die Rede.

4

Zunächst war die Klägerin nicht zu der geforderten Auskunft bereit, da sie die Aufforderung für ermessensfehlerhaft und damit für rechtswidrig hielt. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, dass keine konkreten Anhaltspunkte gegeben seien, die die Beklagte zum Handeln ermächtigten. Die Beklagte betreibe vielmehr eine ungezielte und anlasslose Ausforschung, die nur die behördliche Aufsicht erleichtern solle.

5

Dem trat die Beklagte mit Schreiben vom ... entgegen und forderte weiterhin die Vorlage der entsprechenden Arbeitszeitnachweise. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, dass § 17 Abs. 2 und 4 ArbZG in Anbetracht des verfolgten Zweckes, nämlich der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes des Arbeitnehmers, keinen Verdacht auf das Vorliegen von Rechtsverstößen voraussetze. Es müsse kein besonderer Anlass zur Prüfung gegeben sein. Vorliegend sei eine ungezielte Ausforschung schon deshalb abzulehnen, da ein Hinweis durch den anonymen Anruf auf Verstöße gegen das ArbZG vorliege.

6

Am ... gingen dann schließlich die geforderten Arbeitszeitnachweise bei der Beklagten ein.

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Hinsichtlich des Inhalts der Arbeitszeitnachweise wird auf Bl. 26 - 66 der Beiakte A verwiesen.

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Mit Bescheid vom ... ordnete die Beklagte gegenüber der Klägerin an, dass die gesetzlichen Vorgaben der §§ 3 und 5 ArbZG einzuhalten seien. Die werktägliche Arbeitszeit der Arbeitenehmer/innen dürfe mit Ausnahme von außergewöhnlichen Fällen nach § 14 ArbZG acht Stunden nicht überschreiten. Sie könne auf bis zu zehn Stunden nur verlängert werden, wenn innerhalb von 6 Kalendermonaten oder innerhalb von 24 Wochen im Durchschnitt 8 Stunden nicht überschritten würden, § 3 ArbZG (Ziffer 1). Die Arbeitnehmer/innen müssten mit Ausnahme von außergewöhnlichen Fällen nach § 14 ArbZG nach Beendigung der täglichen Arbeitszeit eine ununterbrochene Ruhezeit von mindestens elf Stunden haben, § 5 ArbZG (Ziffer 2). Weiter ordnete die Beklagte an, dass die Klägerin ihr bis zum ... die Arbeitszeitnachweise für den Zeitraum vom ... bis einschließlich ... vorzulegen habe. Für den Fall, dass die Klägerin einer der Anordnungen nicht innerhalb der genannten Fristen nachkomme, drohte die Beklagte ihr ein Zwangsgeld in Höhe von 300,00 € an. Zur Begründung trug die Beklagte im Wesentlichen vor, dass die eingereichten Arbeitszeitnachweise mehrere Verstöße gegen §§ 3 und 5 ArbZG enthielten. Im Einzelnen habe die Arbeitszeit in mehreren Fällen mehr als 10 Stunden pro Tag, teilweise sogar bis zu 18:30 Stunden bei dem Herrn ... am ..., 18:00 Stunden bei Herrn ... am ... und 17:30 Stunden bei Herrn ... am ... betragen. Ebenso sei festzustellen gewesen, dass die Ruhezeit von mindestens 11 Stunden zwischen zwei Schichten häufig erheblich unterschritten worden sei. Dies gelte beispielsweise für Herrn ... am ... mit einer Ruhezeit von 8 Stunden und Herrn ... am ... mit einer Ruhezeit von 8:30 Stunden. Die Beklagte führte weiter an, dass die Anordnungen im Interesse des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer erforderlich seien. Für den Erlass der Anordnung setzte die Beklagte Verwaltungsgebühren und Auslagen in Höhe von 54,11 € fest.

9

Die Klägerin legte mit Schreiben vom ... Widerspruch gegen die Anordnungen der Beklagten vom 05.03.2018 ein. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen an, dass bereits die Anordnung vom ... über die Vorlage von Arbeitszeitnachweisen rechtswidrig gewesen sei. Zudem sei vorliegend keine stichprobenartige Überprüfung gegeben. Vielmehr seien sämtliche Arbeitszeitnachweise seit Unternehmensgründung angefordert und geprüft worden, was eine unverhältnismäßige Maßnahme darstelle. Ferner sei sie vor Erlass der Anordnung vom ... nicht angehört worden. Dadurch sei ihr die Möglichkeit genommen worden, außergewöhnliche Fälle gemäß § 14 ArbZG darzulegen.

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Mit Bescheid vom ..., der per Postzustellungsurkunde am ... einem Samstag, unmittelbar der Bevollmächtigten der Klägerin zugestellt wurde, wies die Beklagte, den Widerspruch zurück. Dies begründete sie im Wesentlichen damit, dass sich aus den vorgelegten Arbeitszeitnachweisen diverse massive Verstöße gegen die in §§ 3 und 5 ArbZG enthaltenen Regelungen zur Arbeitszeit ergäben und die Klägerin weder im Rahmen des Verwaltungsverfahrens noch im Rahmen des Widerspruchsverfahrens außergewöhnliche Fälle gemäß § 14 ArbZG näher dargelegt habe. Ein etwaiger Anhörungsmangel sei jedenfalls aufgrund der Durchführung des Widerspruchsverfahrens geheilt worden. Die Überwachungstätigkeit der staatlichen Arbeitsschutzbehörden setze keinen konkreten Verdacht auf das Vorliegen von Verstößen voraus. Die Anordnung vom ... stelle sich auch nicht als unverhältnismäßig dar. Hinsichtlich des Zeitraumes bedürfe es zur Überprüfung des § 3 ArbZG der Anforderung eines 6 - Monatszeitraums. Da die Klägerin nur wenige Angestellte habe, sei auch die Überprüfung der Arbeitszeiten aller Angestellten nicht unverhältnismäßig. Von einem ungezielten Ausforschen könne angesichts der Vielzahl an massiven Verstößen gegen das ArbZG nicht ausgegangen werden. Auch die Zwangsgeldandrohung sei rechtmäßig und angesichts der Bedeutung des verfolgten Schutzzwecks, nämlich des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer, auch angemessen. Für den Widerspruchsbescheid setzte die Beklagte Kosten in Höhe von ebenfalls 54,11 € fest.

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Die Klägerin hat am ... Klage erhoben.

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Zur Begründung trägt sie vor, die Beklagte hätte den Sachverhalt weiter aufklären müssen, insbesondere, ob es sich bei den Arbeitszeitüberschreitungen um außergewöhnliche Fälle gemäß § 14 ArbZG gehandelt habe. Zudem habe die Beklagte ermessensfehlerhaft gehandelt, da die Anordnung vom ... weder erforderlich noch verhältnismäßig sei. Die Anordnung vom ... sei bereits rechtswidrig gewesen, da keine konkreten Anhaltspunkte bestanden hätten, die die Maßnahme erforderlich gemacht hätten. Die Beklagte dürfe sich zur Begründung der Anordnung vom ... daher nicht auf die rechtswidrig erlangten Kenntnisse berufen. Im Übrigen verweist die Klägerin auf ihre vorgerichtlichen Schriftsätze.

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Die Klägerin beantragt,

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den Bescheid vom ... in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom ... aufzuheben;

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

17

Zur Begründung nimmt sie Bezug auf den Widerspruchsbescheid vom .... Ergänzend trägt sie vor, es bestünden aufgrund der Vielzahl und der Erheblichkeit der Verstöße gegen die Arbeitszeiten keine Anhaltspunkte, dass außergewöhnliche Fälle gemäß § 14 ArbZG vorgelegen hätten. Sofern die Klägerin sich auf die Ausnahmevorschrift des § 14 ArbZG berufe, habe sie auch entsprechend vorzutragen. Dies sei bislang ausgeblieben.

18

Die Kammer hat den Rechtsstreit durch Beschluss vom ... auf den Einzelrichter übertragen.

19

Die Klägerin hat mit Schreiben vom ... und die Beklagte mit Schreiben vom ... auf die Durchführung der mündlichen Verhandlung verzichtet.

20

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach-und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und den Inhalt der Beiakte A Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

21

Der Einzelrichter ist zuständig, nachdem ihm die Kammer den Rechtsstreit mit Beschluss vom 02.02.2021 zur Entscheidung übertragen hat (§ 6 Abs. 1 S. 1 VwGO).

22

Die Klage, über die mit Einverständnis der Beteiligten gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entschieden werden kann, ist zulässig, aber unbegründet.

23

Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzten die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).

24

Rechtsgrundlage für die Anordnungen ist die Vorschrift des § 17 Abs. 2 ArbZG. Danach kann die Aufsichtsbehörde die erforderlichen Maßnahmen anordnen, die der Arbeitgeber zur Erfüllung der sich aus diesem Gesetz oder den auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen ergebenden Pflichten zu treffen hat. In der Ordnungsverfügung kann die Aufsichtsbehörde zugleich Zwangsmittel androhen. Zur Durchsetzung einer sich aus dem ArbZG ergebenden Pflicht kann die Aufsichtsbehörde auch gesetzeswiederholende Anordnungen mit Zwangsgeldandrohung erlassen (ErfK/Wank, 21. Aufl. 2021, ArbZG § 17 Rn. 3).

25

Die Anordnungen zu 1. und 2. sind formell rechtmäßig.

26

Die staatliche Arbeitsschutzbehörde bei der Unfallkasse Nord war sachlich und örtlich zuständig für die streitgegenständliche Anordnung, § 17 Abs. 1 ArbZG, § 1 Landesverordnung über die zuständigen Behörden nach dem nach dem Arbeitsschutzgesetz (ArbSchGzustBehV SH).

27

Zwar erfolgte vor Erlass der Anordnung keine ausdrückliche Anhörung gemäß § 87 Abs. 1 Landesverwaltungsgesetz (LVwG SH). Allerdings wurde dieser Anhörungsmangel mit der Durchführung des Widerspruchsverfahrens gemäß § 114 Abs. 1 Nr. 3 LVwG SH geheilt. Denn durch die Möglichkeit der Widerspruchsbegründung wurde der Klägerin die Möglichkeit der Stellungnahme gegeben und die Beklagte setzte sich innerhalb des Widerspruchsverfahrens mit dem entsprechenden klägerischen Vorbringen auseinander. Zudem teilte die Beklagte n dem Bescheid vom ... auch die tragenden tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen gemäß § 109 Abs. 1 LVwG SH mit.

28

Die Anordnungen erfolgten auch materiell rechtmäßig. Die Voraussetzungen des § 17 Abs. 2 ArbZG liegen vor.

29

Die Bestimmung des § 17 Abs. 2 ArbZG gewährt der Aufsichtsbehörde in Form einer Generalklausel die notwendigen Befugnisse, um die Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes sicherzustellen und durchzusetzen (OVG Münster, Urteil vom 10.05.2011 – 4 A 1403/08 – juris Rn. 26) und eine im Einzelfall bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren (BVerwG, Urteil vom 04.07.1989 – 1 C 3/87 – juris Rn. 15 zu § 27 AZO, der weitgehend in § 17 ArbZG übernommen wurde, vgl. BT-Drs. 12/5888, S. 32; Kock in BeckOK, Arbeitsrecht, 57. Ed., Stand: 01.09.2020, § 17 ArbZG Rn. 4; Wank in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 20. Aufl. 2020, § 17 Rn. 3). Eine solche im Einzelfall bestehende, sprich konkrete Gefahr liegt vor, wenn eine Sachlage besteht, die nach allgemeiner Lebenserfahrung bei ungehindertem Verlauf des objektiv zu erwartenden Geschehens im Einzelfall mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einer Verletzung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung führt (BVerfG, Urteil vom 27.o2.2008 – 1 BvR 370/07– juris Rn. 251).

30

Zum Zeitpunkt des Erlasses der Anordnung am ... lag eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit vor, da ausgehend von dem bis dahin ermittelten Sachverhalt eine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür bestand, dass die Klägerin gegen die Regelungen zur täglichen Höchstarbeitszeit in § 3 ArbZG und gegen die Regelungen zu den Mindestruhezeiten in § 5 Abs. 1 ArbZG verstößt.

31

Nach § 3 ArbZG darf die werktägliche Arbeitszeit der Arbeitnehmer acht Stunden nicht überschreiten. Sie kann auf bis zu zehn Stunden nur verlängert werden, wenn innerhalb von sechs Kalendermonaten oder innerhalb von 24 Wochen im Durchschnitt acht Stunden werktäglich nicht überschritten werden.

32

Aus den Arbeitszeitnachweisen der Klägerin gegenüber der Beklagten ergibt sich eine Vielzahl von Verstößen gegen die Vorgaben des § 5 ArbZG. Danach kam es zu wiederholten erheblichen Überschreitungen der Höchstarbeitszeiten. Zum Teil betrug danach die Arbeitszeit mehr als 10 Stunden pro Tag, teilweise sogar bis zu 18:30 Stunden bei dem Beschäftigten Herrn ... am ..., 18:00 Stunden bei dem Beschäftigten Herrn ... am ... und 17:30 Stunden bei dem Beschäftigten Herrn ... am ....

33

Auch gegen die Ruhezeitregelung des § 5 ArbZG waren zahlreiche Verstöße festzustellen. Nach § 5 ArbZG müssen Arbeitnehmer nach Beendigung der täglichen Arbeitszeit eine ununterbrochene Ruhezeit von mindestens elf Stunden haben. Aus den Arbeitszeitnachweisen ergeben sich erhebliche und wiederholte Unterschreitungen dieser Vorgabe. Unter anderem liegt zwischen den Arbeitszeiten der Beschäftigten lediglich eine Ruhezeit von 8 bis 9 Stunden. So betrug die Ruhezeit für den Beschäftigten Herrn ... am ... lediglich 8 Stunden und für den Beschäftigten Herrn ... am ... lediglich 8:30 Stunden.

34

Es ist nichts dafür ersichtlich, dass Ausnahmefälle gemäß § 14 ArbZG vorgelegen haben, die die Verstöße gegen §§ 3 und 5 ArbZG hätten rechtfertigen können. Die Klägerin hat nicht hinreichend substantiiert und plausibel dargelegt, dass Notfälle oder außergewöhnliche Fälle gemäß § 14 ArbZG vorgelegen hätten; insbesondere wäre über die Arbeiten in außergewöhnlichen Fällen ein Nachweis gem. § 16 Abs. 2 ArbZG zu führen. (Erbs/Kohlhaas/Häberle, 236. EL Mai 2021, ArbZG § 14 Rn. 13). Dies ist nicht geschehen.

35

Die Darlegung der Voraussetzungen eines Falles nach § 14 ArbZG obliegt dem Arbeitgeber, sofern nicht der Aufsichtsbehörde hinreichende Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Ausnahmefalles bekannt waren oder zumindest hinreichend erkennbar waren. Dies war vorliegend nicht der Fall. Es waren keine Anhaltspunkte für die Beklagte erkennbar, die für einen Ausnahmefall nach § 14 ArbZG hätten sprechen können. Die Klägerin hat zu keinem Zeitpunkt Tatsachen dargelegt, die für einen außergewöhnlichen Fall sprechen würden. Die bloße Behauptung, dass ein außergewöhnlicher Fall vorgelegen hätte, ohne hinreichende Tatsachen darzulegen, reicht angesichts des Schutzzwecks des Arbeitszeitgesetzes und der hohen Anforderungen des § 14 ArbZG nicht aus. Bereits der Ausnahmecharakter der Vorschrift und die Regelmäßigkeit der Verstöße verbietet die Annahme, dass es sich bei allen Verstößen um Notsituationen im Sinne des § 14 ArbZG gehandelt habe. Ist die Tätigkeit des Betriebs derart, dass es laufend zu größeren oder kleineren Fällen im Sinne des § 14 ArbZG kommt, so sind diese für die Geschäftsführung vorhersehbar und müssen organisatorisch vorausplanend bewältigt werden, ohne dass deshalb der gesetzliche Schutz der Arbeitnehmer vor übermäßiger Belastung abgeschwächt werden darf (vgl. VGH München Urteil vom 28.10.1993 – 22 B 90.3225 – juris Rn. 16)

36

Entgegen der klägerischen Auffassung unterlagen die bereits erbrachten Arbeitszeitnachweise auch keinem Verwertungsverbot, sodass diese zur Begründung der Gefahr herangezogen werden durften.

37

Der Einwand der Klägerin greift schon deshalb nicht durch, da sich das erste Auskunftsverlangen bereits nicht als rechtswidrig erweist. Das erste Auskunftsverlangen entspricht vielmehr dem § 17 Abs. 4 ArbZG. Ein berechtigtes Auskunftsverlangen ist dabei abzugrenzen zu einer allgemeinen, ungezielten Ausforschung des Arbeitgebers, die nur die behördliche Aufsicht erleichtern soll. (vgl. Nöthlichs in: Nöthlichs, Sozialer Arbeitsschutz, 14/2009, SAs 15040.17, Rn. 12) Das erste Auskunftsverlangen stellte sich bereits als erforderliche Ermittlungsmaßnahme der Beklagten dar. Ein anonymer Anruf hatte nämlich hinreichend konkrete Hinweise darauf ergeben, dass es bei der Klägerin zu erheblichen Arbeitszeitüberschreitungen kam. Die verlangten Arbeitszeitnachweise sollten sodann alleine dem Zweck dienen festzustellen, ob die §§ 3 und 5 ArbZG von der Klägerin eingehalten werden.

38

Selbst wenn dem klägerischen Vortrag gefolgt werden würde und von fehlenden Anhaltspunkten auszugehen wäre, würde dies nach Auffassung des Gerichts den folgenden rechtmäßigen Anordnungen des Bescheides vom ... nicht im Wege stehen. Denn die rechtswidrige Informationserlangung würde nicht per se die Rechtswidrigkeit weiterer Ermittlungsmaßnahmen nach sich ziehen. Dafür spricht entscheidend der Zweck des ArbZG, nämlich die effektive Abwehr von Gefahren für die Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer. Würden grundsätzlich rechtmäßige Ermittlungsmaßnahmen aufgrund der Rechtswidrigkeit einer früheren Ermittlungsmaßnahme gänzlich unmöglich sein, obwohl erhebliche Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz feststehen, dann würde der Zweck der effektiven Gefahrenabwehr durch arbeitszeitrechtliche Maßnahmen konterkariert werden. Aufgrund der besonderen Schutzwürdigkeit der Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer ist demnach nicht von einer Fernwirkung für weitere Ermittlungsmaßnahmen auszugehen.

39

Schließlich begegnet auch die Ermessensausübung der Beklagten hinsichtlich der Anordnungen zu 1. und 2. im Rahmen des nach § 114 VwGO eingeschränkten gerichtlichen Prüfungsumfangs keinen Bedenken. Es wurde erkannt, dass § 17 Abs. 2 ArbZG ein Ermessen eröffnet. Die im Rahmen der Ermessensausübung maßgeblichen Ermessensgesichtspunkte wurden in nachvollziehbarer Weise dargelegt. Insbesondere richtete die Beklagte alle Entscheidungen nach dem durch § 17 ArbZG verfolgten Schutzzweck, nämlich dem Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer, aus. Die Anordnungen waren auch erforderlich und verhältnismäßig; der verfolgte Gesundheitsschutz stellt ein besonders schützenswertes Rechtsgut dar und die Anordnungen gehen nicht über die gesetzlichen Anforderungen des Arbeitszeitgesetzes hinaus, sondern schreiben diese lediglich in zulässiger Weise gesetzeswiederholend vor.

40

Ebenso erweist sich die in dem streitgegenständlichen Bescheid getroffene Anordnung der Vorlage der Arbeitszeitnachweise für den Zeitraum vom ... bis einschließlich ... zur Überprüfung der Einhaltung der Arbeitszeiten als rechtmäßig.

41

Rechtsgrundlage für diese Anordnung ist § 17 Abs. 4 Satz 2 ArbZG, nach dem die Aufsichtsbehörde vom Arbeitgeber die für die Durchführung dieses Gesetzes und der auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen erforderliche Vorlage von Arbeitszeitnachweisen verlangen kann.

42

Die Anordnung ist formell rechtmäßig. Zuständige Aufsichtsbehörde im Sinne des § 17 ArbZG war die Beklagte gemäß § 17 Abs. 1 ArbZG, § 1 ArbSchGzustBehV SH.

43

Die Anhörung gemäß § 87 LVwG SH wurde mit dem Widerspruchsverfahren gemäß § 114 Abs. 1 Nr. 3 LVwG SH nachgeholt.

44

Die Anordnung ist auch materiell rechtmäßig.

45

Die Voraussetzungen für ein Auskunftsverlangen gemäß § 17 Abs. 4 Satz 2 ArbZG liegen vor. Die Anordnung zur Vorlage der Arbeitszeitnachweise für einen sechsmonatigen Zeitraum war für die Durchführung des Arbeitszeitgesetzes erforderlich.

46

Die Beklagte ist als Aufsichtsbehörde gemäß § 17 Abs. 1 ArbZG zur Überwachung der Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes und der auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen zuständig. Damit sie diese Aufgabe wahrnehmen kann, hat sie gemäß § 17 Abs. 4 Satz 2 ArbZG ein Auskunftsrecht gegenüber den Arbeitgebern. Ein Auskunftsverlangen setzt zwar keinen konkreten Verdacht eines Gesetzesverstoßes voraus, unzulässig ist indes die allgemeine, ungezielte Ausforschung des Arbeitgebers, die nur die behördliche Aufsicht erleichtern soll (Anzinger/Koberski, ArbZG, 4. Aufl. 2014, § 17 Rn. 19; Kock in BeckOK, Arbeitsrecht, 57. Ed., Stand: 01.09.2020, § 17 ArbZG Rn. 7; Wank in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 20. Aufl. 2020, § 17 Rn. 4; VG Ansbach, Urteil vom 25.01.2017 – AN 4 K 15.00907 – juris Rn. 67 ff.). Vorliegend bestand ein konkreter Anlass für die Anordnung zur Vorlage der Arbeitszeitnachweise für den Zeitraum vom ... bis einschließlich .... Denn aus den bereits vorliegenden Arbeitszeitnachweisen ergeben sich – wie oben festgestellt – erhebliche wiederholte Verstöße gegen die Vorschriften der §§ 3 und 5 ArbZG. Es bestehen auch keine Bedenken gegen die Verwertbarkeit der bereits eingereichten Arbeitszeitnachweise. Aufgrund der Erheblichkeit und Häufigkeit der Nichteinhaltung der Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes bestand für die Beklagte Anlass dazu, von der Klägerin weitere Informationen zu verlangen, um zu überprüfen, ob die Klägerin sich nunmehr an die gesetzlichen Vorgaben zur Höchstarbeitszeit und zu den Ruhezeiten hält.

47

Damit handelt es sich vorliegend nicht lediglich um ein Auskunftsverlangen mit dem Ziel, die behördliche Aufsicht zu erleichtern, welches unzulässig wäre. Vielmehr steht das streitgegenständliche Auskunftsverlangen in Zusammenhang mit konkreten Maßnahmen der Beklagten, nämlich den Anordnungen unter der Ziffern 1 und 2 des streitgegenständlichen Bescheides.

48

Die nach § 17 Abs. 4 Satz 2 ArbZG zu treffende Ermessensentscheidung lässt bei der insoweit – auf den Rahmen des § 114 Satz 1 VwGO – beschränkten gerichtlichen Überprüfungsmöglichkeit keine Fehler erkennen.

49

Der Beklagten wird von § 17 Abs. 4 ArbZG ein Entschließungs- und ein Auswahlermessen eröffnet. Sie muss ermessensfehlerfrei darüber entscheiden, ob sie einschreitet und welche Maßnahmen sie ergreift. Ihr Handeln steht wie jedes andere ordnungsrechtliche Handeln unter dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, auch wenn das Gesetz dies nicht ausdrücklich vorschreibt. Die von ihr ergriffenen Maßnahmen müssen daher geeignet, erforderlich und verhältnismäßig sein (Baeck/Deutsch, ArbZG, Komm., 3. Aufl. 2014, § 17 Rn. 22).

50

Die Beklagte hat erkannt, dass das Gesetz ihr Ermessen einräumt. Zur Kontrolle der Einhaltung der Anordnungen zu 1. und 2. War die Vorlage der weiteren Arbeitszeitnachweise auch erforderlich, da sie die einzige praktikable Möglichkeit und damit das mildeste Mittel darstellt, die Einhaltung der Anordnungen und damit des Arbeitszeitgesetzes zu überprüfen. Die Festsetzung eines sechsmonatigen Zeitraumes erweist sich auch als erforderlich, da nur so zu ermitteln ist, ob die Regelung des § 3 ArbZG eingehalten wurde. Dieser stellt gerade auf einen sechsmonatigen Zeitraum ab. Ebenso ist auch die Vorlage von Arbeitszeitnachweisen für alle Mitarbeiter nicht unverhältnismäßig, da die Klägerin zum einen nur über eine geringe Anzahl von Beschäftigten verfügt und damit kein besonderer Mehraufwand für sie bei der Zusammenstellung der Arbeitszeitnachtweise entsteht und zum anderen Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz bei einer Vielzahl der Beschäftigten festzustellen waren. Um eine effektive Gefahrenabwehr zu erreichen, müssen auch die Arbeitszeiten aller Beschäftigten erneut kontrolliert werden. Der Umfang der Vorlageverpflichtung erweist sich insbesondere angesichts des mit dem Auskunftsverlangen verfolgten Zwecks, die Einhaltung der gesetzlichen Höchstarbeitszeiten zu überwachen und damit die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer sicherzustellen (vgl. § 1 Nr. 1 ArbZG), als verhältnismäßig.

51

Auch das gemäß § 236 LVwG SH angedrohte Zwangsgeld von 300,00 € für den Fall der Zuwiderhandlung gegen die Anordnungen in den Ziffern 1 und 2 des Bescheides vom 05.03.2018 ist dem Grunde und der Höhe nach nicht zu beanstanden.

52

Letztlich begegnet die jeweilige Kostenfestsetzung in Höhe von 54,11 € im Bescheid vom 05.03.2018 und im Widerspruchbescheid vom 04.01.2019 dem Grunde und der Höhe nach keinen rechtlichen Bedenken.

53

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

54

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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