Gerichtsbescheid vom Verwaltungsgericht Schwerin (7. Kammer) - 7 A 1809/12

Tenor

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 257 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 8. November 2012 zu zahlen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Gerichtsbescheid ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in der Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Tatbestand

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Die Klägerin begehrt die Bezahlung der Inanspruchnahme des von ihr unterhaltenen öffentlichen Rettungsdienstes.

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Der von Polizeikräften am Vortag um 23.56 Uhr alarmierte Rettungsdienst fand ausweislich des Einsatzprotokolls am 23. Mai 2011 um 0.01 Uhr den 1977 geborenen Beklagten, seinerzeit im Dorf gemeldet, in alkoholisiertem Zustand (Blutalkoholkonzentration laut Polizei ca. 3 ‰) auf einer Parkbank am Platz in der Stadt sitzend vor. Der Beklagte hatte eine Platzwunde am Kopf, war ansprechbar und gab an, von jemandem mit einem Schlagstock auf den Kopf geschlagen worden zu sein. Mit einem Rettungstransportwagen wurde er auf notärztliche Anordnung in die Notaufnahme der ca. 4½ km entfernten Kliniken befördert und während der Fahrt von einem Rettungssanitäter und -assistenten betreut; bei der Notaufnahme wurde er gegen 0.30 Uhr eingeliefert.

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Die Klägerin, die über die Allgemeine Ortskrankenkasse keinen Krankenversicherer hatte ermitteln können, stellte unter dem 23. August 2011 dem Beklagten für den Einsatz eine Einsatzpauschale von 257 € in Rechnung, zu bezahlen innerhalb von dreißig Tagen. Die Höhe der Einsatzpauschale hatte die Klägerin mit undatiertem Vertrag nach § 11 Abs. 1 des Rettungsdienstgesetzes – RDG M-V – für das erste Halbjahr 2011 mit den in Satz 2 der Vorschrift bezeichneten Landesverbänden der Sozialleistungsträger vereinbart.

4

Die Rechnung wurde weder von einer Krankenkasse noch — trotz einer, wie die Klägerin vorträgt, erfolgten Mahnung — vom Beklagten beglichen.

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Am 8. November 2012 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie beantragt in der Klageschrift,

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den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 257 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

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Der Beklagte hat sich zu der ihm zugestellten Klage nicht eingelassen.

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Mit Beschluss vom 30. Januar 2013 ist der Rechtsstreit dem erkennenden Einzelrichter zur Entscheidung übertragen und mit Verfügung vom 1. Februar 2013 sind die Beteiligten zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid gehört worden.

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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Das Gericht kann gemäß § 84 Abs. 1 Satz 1 und 2 der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – nach Anhörung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt im entscheidungserheblichen Umfang geklärt ist.

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Die Klage ist zulässig und begründet.

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Mangels einer gesetzlichen Ermächtigung, das allgemeinverbindlich (§ 11 Abs. 3 RDG M-V) vertraglich pauschal festgelegte Entgelt für die Benutzung des Rettungsdiensts vom Benutzer durch Verwaltungsakt zu erheben (vgl. den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Mecklenburg-Vorpommern – OVG M-V – vom 5. September 2008 – 2 L 169/08 –, juris Rdnr. 6 f.), ist die Klägerin auf die vorliegende Zahlungsklage angewiesen. Der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten ist hierfür nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO eröffnet, da es sich um eine nicht einem anderen Gericht zugewiesene öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art handelt. Zwar ist der öffentlich-rechtliche Charakter der eingeklagten Entgeltforderung den hierauf bezogenen Regelungen des RDG M-V selbst nicht zu entnehmen (OVG M-V, a. a. O. Rdnr. 7), und der Hessische Verwaltungsgerichtshof vertrat, mit Hinweis auch auf eine entsprechende gesetzgeberische Klarstellung, zum strukturell vergleichbaren hessischen Landesrecht die Auffassung, die von Rettungsdienst- und Sozialleistungsträgern bzw. deren Schiedsstelle allgemeinverbindlich festgelegten Entgeltzahlungen seien Inhalt privatrechtlicher Forderungen an die Benutzer des Rettungsdienstes (Urteil vom 22. März 2012 – 8 A 2255/10 –, juris Rdnr. 29 ff.; s. auch zuvor die Urteile des Verwaltungsgerichts Gießen vom 20. September 2010 – 9 K 194/10. GI –, juris, und vom 4. Juni 2007 – 10 E 1179/07 –, juris Rdnr. 17 ff., und nachfolgend dessen Beschluss vom 10. Oktober 2012 – 4 K 1881/12.GI –, NVwZ-RechtsprechungsReport – NVwZ-RR – 2013, S. 77 f., mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. Januar 2013 – 3 AV 2.12 –, www.bverwg.de). Die allgemeinverbindlich geregelten Entgeltforderungen nach dem RDG M-V ähneln auch, insbesondere hinsichtlich der Art der Festlegung, strukturell anderen von Privaten zu zahlenden Benutzungsentgelten für u. a. von öffentlichen Trägern vorgehaltene Einrichtungen, deren öffentlich-rechtlicher Charakter eher fernliegt, etwa den Elternbeiträgen für — öffentliche oder private — Einrichtungen der Kindertagesförderung nach § 16 Abs. 12 Satz 2 und § 22 Abs. 1 und 2 des Kindertagesförderungsgesetzes und den Entgelten für weitere Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe im Sinne von §§ 78a ff. des Achten Buchs des Sozialgesetzbuchs. Indessen entbehrt die, soweit ersichtlich, einzige die Rechtswegproblematik ohne die Hürden einer etwaigen Bindungswirkung nach § 17a Abs. 2 Satz 3 oder Abs. 5 des Gerichtsverfassungsgesetzes untersuchende höchstrichterliche Entscheidung, der ebenfalls zum hessischen Landesrecht ergangene Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 17. Dezember 2009 – III ZB 47/09 – (NVwZ-RR 2010, S. 502 ff.), nicht der Überzeugungskraft, indem er maßgeblich darauf abstellte, dass der die Notfallrettung und den Krankentransport umfassende öffentliche Rettungsdienst als Aufgabe der Gefahrenabwehr und Gesundheitsvorsorge gesetzlich den kommunalen Selbstverwaltungskörperschaften mit der Ermächtigung zur Gebührenerhebung übertragen (a. a. O., S. 503) und dass auch bei der möglichen Heranziehung Privater zur Wahrnehmung der Aufgabe des öffentlichen Rettungsdienstes diese insgesamt zu übertragen und die Berechnung und Erstattung der Kosten dem Grunde und der Höhe nach abschließend in Vorschriften des Rettungsdienstgesetzes geregelt war, unabhängig von den privatrechtlichen Beziehungen zu den Benutzern im Einzelfall (a. a. O., S. 504). Dieser Auffassung schlossen sich, zum jeweiligen Landesrecht, auch etwa das Verwaltungsgericht Wiesbaden (Urteil vom 13. Juni 2012 – 1 K 1384/11.WI –, juris Rdnr. 17) sowie die Amtsgerichte Kehl (Beschluss vom 7. Juni 2011 – 5 C 196/11 –, NVwZ-RR 2012, S. 215 f.), Schwerin (Beschluss vom 10. August 2011 – 12 C 430/10 – mit bestätigendem Beschluss des Landgerichts Schwerin vom 4. Januar 2012 – 5 T 327/11 –), Ludwigslust (Beschluss vom 25. April 2012 – 3 C 194/11 –) und Wismar (Beschluss vom 19. April 2013 – 12 C 3/13 –) an. Auch in Mecklenburg-Vorpommern ist nämlich diese Argumentation nach dem RDG M-V tragfähig. Denn § 6 des Gesetzes definiert die flächendeckende und bedarfsgerechte Versorgung der Bevölkerung mit Leistungen der Notfallrettung (§ 2 Abs. 2) und des Krankentransports (§ 2 Abs. 3) als öffentliche Aufgabe (Absatz 1) und überantwortet den öffentlichen Rettungsdienst (§ 2 Abs. 1) mit Ausnahme der Luftrettung den Landkreisen und kreisfreien Städten als Pflichtaufgabe zur Erfüllung nach Weisung (Absatz 2). Deren Personal- und Sachmittel sind in gesetzlich vorgeformte Organisationsstrukturen einzubinden (§§ 7 – 9); private Unternehmer können im Bereich von Notfallrettung und Krankentransport nach Genehmigung nur in regional bestimmten Betriebsbereichen tätig werden und nur, soweit der öffentliche Rettungsdienst nicht beeinträchtigt wird (§§ 14 ff.), ferner können sie durch Betriebs- und Einsatzpflichten in die öffentliche Rettungsdienstorganisation einbezogen werden (§§ 17, 25 f.). Die zunächst auch in Mecklenburg-Vorpommern erteilte Ermächtigung der Träger des öffentlichen Rettungsdienstes, durch Satzungen festgelegte (und per Leistungsbescheid einzufordernde) Benutzungsgebühren im Sinne von § 6 des Kommunalabgabengesetzes zu erheben, in der Ursprungsfassung von § 11 RDG M-V (die schon damals die amtliche Überschrift „Benutzungsentgelte“ trug) wurde zwar durch das Änderungsgesetz vom 29. Mai 1998 (GVOBl. M-V S. 552) zugunsten der jetzigen Regelung des Paragraphen aufgehoben, nach der zwischen den Rettungsdienstträgern und den Sozialleistungsträgern für alle Benutzer verbindliche Benutzungsentgelte zu vereinbaren sind; dies geschah nach der amtlichen Begründung des Änderungsgesetzes aber lediglich zu dem Zwecke, die Position der Sozialleistungsträger bei der Festlegung der Höhe der für die Leistungen zu berechnenden Kosten zu stärken — die alte Vorschrift hatte insoweit eine Art Benehmensregelung getroffen, wobei den Sozialleistungsträgern als Reaktionsmöglichkeit die Leistungsbeschränkung gemäß § 133 Abs. 2 des Sozialgesetzbuches Fünftes Buch zur Verfügung stand (vgl. Landtags-Drucksache 2/3327, S. 6). An dem Umstand, dass die Berechnung und Erstattung der Kosten dem Grunde und der Höhe nach unabhängig von den privatrechtlichen Beziehungen zu den Benutzern im Einzelfall abschließend in Vorschriften des RDG-MV geregelt ist, änderte sich nichts. Der erkennende Einzelrichter hat hiernach keine eine Verweisung der Streitsache rechtfertigenden Zweifel an der Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs.

13

Der Klageanspruch ergibt sich, wie die Klägerin zutreffend ausführt, entweder direkt aus vertraglichen Vereinbarungen über die Durchführung der Notfallrettung zwischen den Beteiligten als Vergütung entsprechend § 612 des Bürgerlichen Gesetzbuches – BGB – in Verbindung mit § 11 Abs. 3 RDG M-V und der — Wirksamkeitsbedenken nicht ausgesetzten — Vereinbarung über die Einsatzpauschale im ersten Halbjahr 2011, sofern sich der Beklagte trotz der seinerzeit erheblichen Alkoholbeeinflussung in wirksamer Weise die notärztliche Anordnung zu eigen machen konnte, sonst als gesetzlicher Aufwendungsersatzanspruch aus öffentlich-rechtlicher Geschäftsführung ohne Auftrag entsprechend § 683 BGB in gleicher Höhe. Denn der Notfalltransport zum nächsten Krankenhaus entsprach jedenfalls dem mutmaßlichen Willen des Beklagten, der, mit einem gefährlichen Gegenstand in erheblicher Weise verletzt, aufgrund der Alkoholbeeinträchtigung und der erlittenen Verletzung selbst nicht in der Lage war, die notwendigen Maßnahmen zur medizinischen Diagnose und Wundbehandlung sowie zur Abwendung einer lebensgefährlichen Verschlimmerung seines Zustands oder gar bestehender Lebensgefahr einzuleiten (vgl. die entsprechende Bewertung beim Vorliegen einer Alkoholintoxikation im Fall des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs, a. a. O., Rdnr. 32).

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Ob, wie die Klägerin meint, auch § 11 Abs. 1 Satz 4 RDG M-V eine weitere gesetzliche Anspruchsgrundlage darstellt oder ob die Regelung sich nicht nur auf die Höhe des „Benutzungsentgelts“ in einem Übergangszeitraum nach Ablauf der Vereinbarung zwischen Rettungsdienst- und Sozialleistungsträgern bezieht, bedarf daher keiner Entscheidung.

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Den eingeklagten Zinsanspruch ergibt die entsprechende Anwendung von § 288 Abs. 1 Satz 2 und § 291 BGB in Verbindung mit § 90 (Abs. 1) VwGO.

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Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 154 Abs. 1 VwGO.

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Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 11 und § 711 ZPO sowie § 167 in Verbindung mit § 84 Abs. 3 VwGO.

18

Beschluss

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Der Streitwert wird gemäß § 63 Abs. 2 Satz 1 und § 52 Abs. 3 des Gerichtskostengesetzes auf

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257 Euro

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festgesetzt.

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