Urteil vom Verwaltungsgericht Sigmaringen - 1 K 2764/20

Tenor

Der Bescheid des Regierungspräsidiums Tübingen vom 06.08.2020 in Gestalt des Ergänzungsbescheids des Regierungspräsidiums Tübingen vom 11.03.2022 wird in seinen Ziffern 2 und 4 aufgehoben.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung aus dem Bundesgebiet, die Ablehnung der Erteilung bzw. Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis, eine Abschiebungsandrohung und ein Einreise- und Aufenthaltsverbot.
Der am …2000 in Aleppo (Syrien) geborene Kläger ist syrischer Staatsangehöriger, kurdischer Volkszugehöriger und Sunnit und wuchs mit seinen Eltern, drei Schwestern und zwei Brüdern im Bezirk Aleppo im zur Stadt Afrin gehörenden Dorf Koran auf. Der Kläger verließ sein Heimatland zusammen mit seiner Schwester im Sommer 2013 und hielt sich längere Zeit in der Türkei auf, wo bereits seine weiteren Geschwister lebten. Er reiste sodann zusammen mit seiner Schwester auf dem Landweg im Herbst 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte dort einen Asylantrag.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) erkannte dem Kläger mit Bescheid vom 26.08.2016 subsidiären Schutz zu und lehnte seinen Asylantrag im Übrigen ab. Der Kläger erhob dagegen Klage, und das Verwaltungsgericht Sigmaringen verpflichtete die Bundesrepublik Deutschland mit rechtskräftigem Urteil vom 30.03.2017 - A 5 K 3398/16 -, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen und hob den Bescheid vom 26.08.2016 auf, soweit er dem entgegenstand. Das Bundesamt erkannte dem Kläger daraufhin mit Bescheid vom 12.06.2017 die Flüchtlingseigenschaft zu. Mittlerweile hat das Bundesamt die mit Bescheid vom 12.06.2017 zuerkannte Flüchtlingseigenschaft mit Bescheid vom 22.09.2020 gestützt auf § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylG sowie auf § § 3 Abs. 4 AsylG i. V. m. § 60 Abs. 8 Satz 1, Alt. 1 und 2, Satz 3 AufenthG widerrufen (Ziffer 1), da die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht mehr vorlägen. Das Bundesamt erkannte den subsidiären Schutzstatus nicht zu (Ziffer 2), stellte aber das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich Syrien fest (Ziffer 3). Der Kläger hat dagegen Klage vor dem Verwaltungsgericht Sigmaringen erhoben (Az. A 2 K 3216/20).
Das Klageverfahren ist noch beim Verwaltungsgericht Sigmaringen anhängig.
Das Landratsamt Alb-Donau-Kreis erteilte dem Kläger als zuständige Ausländerbehörde gestützt auf § 25 Abs. 2 AufenthG am 30.08.2016 wegen des ihm zuerkannten subsidiären Schutzes eine Aufenthaltserlaubnis und sodann wegen der ihm zuerkannten Flüchtlingseigenschaft am 13.05.2017 eine Aufenthaltserlaubnis ebenfalls nach § 25 Abs. 2 AufenthG (gültig bis 12.05.2020).
Bereits in der Nacht vom 18.03.2018 auf 19.03.2018 verübten der Kläger und zwei ebenfalls aus dem Norden Syriens stammende Mittäter kurdischer Abstammung (K. und S.) einen Brandanschlag auf ein Gebäude in der Ulmer Innenstadt, in dem sich unter anderem die Moschee der islamischen Gemeinschaft Milli Görüs befindet. Sie handelten dabei, um ein politisches Signal gegen das Vorgehen der türkischen Armee in Afrin im nordwestlichen Syrien zu setzen. An dem Brandanschlag waren neben den vor Ort anwesenden Tätern drei weitere aus dem Norden Syriens stammende Männer kurdischer Abstammung beteiligt (u.a. S. O.). Der Tat und ihrer Planung lag zugrunde, dass die türkische Armee ab Januar 2018 im Rahmen einer Militäroffensive auf die Stadt Afrin vorrückte, die Stadt schließlich ab März 2018 einschloss und belagerte. Dabei kam es zu Artilleriefeuer und Luftangriffen, wodurch Zivilisten ums Leben kamen. Die Männer besuchten in der Zeit vor der Tat verschiedene kurdische Veranstaltungen im Raum Ulm und auch darüber hinaus. K., der Wortführer der Gruppe, fasste schließlich den Entschluss, ein Fanal gegen das Vorgehen der Türkei in Afrin zu setzen und berief für den Nachmittag des 18.03.2018 ein Treffen in seiner Wohnung in Ulm-B. ein. Der Kläger und die weiteren Beteiligten fanden sich sodann am Nachmittag des 18.03.2018 in der Wohnung des K. ein. Die Männer begaben sich am Abend des 18.03.2018 zum Ulmer Hauptbahnhof, wo sie ab ca. 19:30 Uhr mit anderen Kurden demonstrierten. Der Kläger und weitere Demonstranten sprangen dabei auf das Gleis, wodurch ein einfahrender Zug zu einer Vollbremsung gezwungen wurde. Die Bundespolizei nahm die Beteiligten des Brandanschlags in Polizeigewahrsam, wobei S. O. wegen seiner Äußerung, sterben zu wollen, vorsorglich auf eine psychiatrische Station verlegt wurde. Nachdem die Beteiligten des Brandanschlags - mit Ausnahme des S. O. - um ca. 23:30 Uhr aus dem Polizeigewahrsam entlassen worden waren, offenbarte K. den vier weiteren Personen den Plan, noch in dieser Nacht gemeinsam eine türkische Einrichtung, also ein Gebäude, zu „verbrennen“. Es sei eine Pflicht, dies zu tun. Zwei der Beteiligten wollten nicht mitmachen und gingen nach
Hause. Der Kläger und S. erklären sich hingegen bereit. Drei Männer (der Kläger, K. und S.) begaben sich zunächst in die Wohnung des K., wo sie die Molotow-Cocktails präparierten. Spätestens zu diesem Zeitpunkt gab K. das Ziel des Brandanschlags vor, das dem Kläger aus eigener Anschauung persönlich bekannt war. Von der Wohnung des K. aus machten sich die drei Männer zu Fuß auf den Weg zum Tatobjekt. Unterwegs brachten die Männer mit von ihnen mitgeführten Spraydosen zunächst zwischen 01:17 Uhr und 01:28 Uhr an einer Unterführung in Ulm-B. mit von ihnen mitgeführten Farbspraydosen politische Parolen gegen den türkischen Präsidenten Erdogan und für die PKK und die YPG (den bewaffneten Arm der PKK) an. Die Männer filmten sich hierbei. In der Nähe des Ulmer Münsters brachte der Kläger um ca. 02:22 Uhr weitere Parolen an einem dort aufgestellten Bauzaun an.
Das Tatobjekt, das im Eigentum der Islamischen Gemeinschaft Mili Görüs steht, verfügt über ein Erdgeschoss, vier Obergeschosse und ein Dachgeschoss. Im Erdgeschoss befindet sich u.a. eine Teestube bzw. ein kleiner türkischer Lebensmittelladen. Im ersten und zweiten Obergeschoss befinden sich Gebetsräume, im dritten Obergeschoss Unterrichtsräume, im vierten Obergeschoss und im Dachgeschoss zwei Wohnungen, welche vorwiegend an Türken vergeben werden. In der Wohnung im vierten Obergeschoss übernachteten in der Tatnacht sechs Männer. Die Wohnung im Dachgeschoss war in der Tatnacht vom Prediger der Moschee und seiner Ehefrau bewohnt. Dem Kläger und seinen Mittätern war nicht bekannt, wie viele Menschen sich in dem Gebäude aufhielten, sie rechneten allerdings damit, dass das Gebäude bewohnt ist.
Die Männer beobachteten das Objekt und entschieden aufgrund des trotz der späten Uhrzeit herrschenden Personenverkehrs und einer - tatsächlich defekten - Überwachungskamera, die Brandsätze durch ein von der Überwachungskamera ihrer Auffassung nach nicht erfasstes Fenster im Erdgeschoss zu werfen. K. äußerte Sorge, aufgrund einer Beinverletzung nicht schnell genug weglaufen zu können, um ohne Gefahr von Entdeckung oder Identifizierung fliehen zu können. Er erklärte S. und dem Kläger daher, dass sie die Brandsätze alleine zu werfen hätten. Gegen 02:53 Uhr entzündete S. die Lunte eines Brandsatzes und versuchte, diesen durch ein Fenster im Erdgeschoss zu werfen. Die Flasche durchschlug die Fensterscheibe jedoch nicht, sondern prallte daran ab und zerbarst laut klirrend am Boden, was zu einer Stichflamme führte. Daraufhin rannte S. vom Tatort weg, ohne die weiteren Brandsätze zu nutzen. Der Kläger warf die beiden Brandsätze, die er in den Händen hielt, in das entstehende und sich ausbreitende Feuer, ohne sie zu entzünden und rannte ebenfalls davon. Um die weitere Entwicklung des Feuers machten sich die Männer keine Gedanken. Ein Passant entdeckte das sich ausbreitende Feuer um 03:02 Uhr und verständigte die Polizei. Dem am Tatort eingesetzten Polizeihauptmeister gelang es, das Feuer mittels eines im Streifenwagen befindlichen Feuerlöschers zu löschen. Es entstanden lediglich geringfügige Schäden am Tatobjekt.
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Der Kläger befand sich wegen dieser Tat ab dem 29.03.2018 in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Adelsheim in Untersuchungshaft.
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Das Landgericht Ulm verurteilte den Kläger wegen versuchten Mordes in acht tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit versuchter schwerer Brandstiftung und mit vorsätzlichem Herstellen und Führen von Brandsätzen mit Urteil vom 05.04.2019 - nach Rücknahme der vom Kläger zunächst eingelegten Revision seit 13.09.2019 rechtskräftig - nach §§ 211, 306a Abs. 1 Nr. 1 und 2, 22, 23, 25 Abs. 2, 52 StGB, 52 Abs. 1 Nr. 1, 2 Abs. 3 WaffG i.V.m. Anlage 2, Abschnitt 1 Nr. 1.3.4, 1, 3, 17 Abs. 2, 105 JGG zu der Jugendstrafe von 3 Jahren. Das Landgericht Ulm sah den Kläger aufgrund seines Alters im Zeitpunkt der Tatbegehung als Heranwachsenden an und ging davon aus, dass die Verhängung einer Jugendstrafe wegen der Schwere der Schuld nach § 17 Abs. 2 Var. 2 JGG erforderlich war. Das Landgericht Ulm führte hinsichtlich der Strafzumessung im Wesentlichen aus, dass der Kläger bislang nicht straffällig geworden sei, aber vorliegend Straftatbestände verwirklicht habe, die nach der gesetzgeberischen Wertung der schwersten Kriminalität zuzurechnen seien. Die Tat zeichne sich durch ein grobes Missverhältnis zwischen Anlass und in Kauf genommenen Folgen aus. Der Kläger habe gehandelt, um auf das Leid der Zivilbevölkerung in Afrin aufmerksam zu machen. Er sei deswegen nachvollziehbar empört. Allerdings habe er um seines Zieles Willen den Tod vollkommen Unbeteiligter in Kauf genommen, deren Schicksal ihm gleichgültig gewesen sei. Die Kammer habe dabei gesehen, dass der Kläger (und der ebenfalls jugendliche S.) sich vom deutlich älteren K. in die Tat habe verstricken lassen und es sich um gruppendynamische und insofern in gewisser Weise jugendtypische Verhaltensweisen gehandelt habe, die das jugendtypische Maß allerdings bei Weitem überschritten hätten. Berücksichtigt werden müsse allerdings auch, dass der Kläger und S. sich am Abend kurz vor der eigentlichen Tat bereits in polizeilichem Gewahrsam befunden hätten und sowohl während des Marsches zum Tatort als auch während des Zuwartens vor dem Tatobjekt hinreichend Zeit zum Innehalten bestanden habe, was sie von der späteren Tatbegehung nicht habe abhalten können. Trotz des Bezugs zur aktuellen Lage in Syrien sei die Tat nicht durch Spontaneität geprägt. In der Tat werde daher eine charakterliche Haltung ersichtlich, die zur Bejahung der Schwere der Schuld führe. Die Kammer berücksichtige weiter, dass der Kläger sich bereits frühzeitig in seinen polizeilichen Vernehmungen geständig eingelassen habe. Dass er dabei den bedingten Tötungsvorsatz nicht eingeräumt habe, sondern nur die ihn indizierenden äußeren Umstände, sei menschlich nachvollziehbar und mindere den Wert des Geständnisses nicht. In der Hauptverhandlung habe der Kläger an seinem umfassenden Geständnis bei der Polizei nicht uneingeschränkt festgehalten. So sei der Kläger von dem Brandstiftungsvorsatz an einem Gebäude in der Hauptverhandlung wieder abgerückt und habe angegeben, er habe lediglich das an der Hauswand angebrachte Schild mit der türkischen Flagge beschädigen wollen.
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Im Anschluss an seine Verurteilung verbüßte der Kläger ab dem 13.09.2019 seine Strafhaft in der JVA Adelsheim bis zu seiner vorzeitigen Entlassung auf Bewährung am 05.05.2020. Der Kläger führte sich weitgehend beanstandungsfrei, erlangte dort seinen Hauptschulabschluss und stand im Kontakt zum hausinternen psychologischen Dienst. Die JVA Adelsheim gab die Einschätzung des psychologischen Dienstes in dem Bericht über den bisherigen Vollzugsverlauf vom 13.01.2020 auszugsweise wie folgt wieder: „Der Kläger zeigt sich offen für psychologische Einzelgespräche zur Auseinandersetzung mit der Straftat. Reue und Scham vorhanden. Tat wird im Nachhinein als kategorisch falsch eingestuft. Keine Hinweise auf extremistische Einstellung. Keine Vorstrafen. Im Gespräch entsteht der Eindruck eines relativ unpolitischen jungen Mannes, der - im Glauben seine Eltern in Afrin seien in Gefahr - sich von dem Anführer/Wortführer K. hat schnell radikalisieren/instrumentalisieren lassen. Es gibt keine Hinweise auf extremistische Einstellungen/Handlungen - weder Tage und Wochen vor der Tat noch aktuell.“
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Das Amtsgericht Adelsheim beschloss am 16.04.2020 (Az. 1 VRJs 588/19) nach persönlicher Anhörung des Klägers am 26.02.2020 und gestützt auf § 88 JGG, dass dieser am 08.05.2020 Tagende, jedoch nicht vor Rechtskraft dieses Beschlusses, aus der Jugendstrafhaft zu entlassen sei und setzte die Vollstreckung der Restjugendstrafe ab diesem Termin zur Bewährung aus. Die Bewährungszeit wurde auf drei Jahre festgesetzt und der Kläger wurde für die Dauer von 2 Jahren der Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers unterstellt. Zudem wurde dem Kläger auferlegt, sofort nach seiner Entlassung bei seiner Schwester Wohnsitz zu nehmen und sich um Schul-, Ausbildungs- oder Arbeitsplatz zu bemühen. Zur Begründung verwies das Amtsgericht Adelsheim darauf, dass es verantwortet werden könne, den Kläger bewährungsweise zu entlassen. Er habe sich im Vollzug gut geführt. Soweit ersichtlich werde er sich im Rahmen seiner Möglichkeiten Mühe geben, einen straffreien Lebenswandel zu führen. Die erforderliche weitere Resozialisierung erfolge am besten unter der Einwirkung eines nicht unbedeutenden Strafrestes und mit der Führung und Leitung eines Bewährungshelfers.
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Nach den Berichten der vom Amtsgericht Ulm bestellten Bewährungshelferin des Klägers (vom 29.06.2020, 11.03.2021 und vom 25.11.2021) verhält sich der Kläger im
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Bewährungsverlauf überwiegend positiv. Ein neuer Bericht soll zum 25.11.2022 folgen.
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Das Regierungspräsidium Tübingen hörte den Kläger mit Schriftsatz vom 18.02.2020 zu einer Ausweisung aus dem Bundesgebiet sowie einem Einreise- und Aufenthaltsverbot an. Abschließend wies das Regierungspräsidium Tübingen den Kläger als Besitzer eines befristeten Aufenthaltstitels darauf hin, dass er rechtzeitig, d. h. vor Ablauf der Geltungsdauer, die Verlängerung des Aufenthaltstitels beantragen sollte, da der Aufenthaltstitel mit Ablauf seiner Geltungsdauer erlösche.
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Nachdem der Kläger auf die Anhörung nicht reagiert hatte, wies das Regierungspräsidium Tübingen den Kläger mit streitgegenständlichem Bescheid vom 06.08.2020 - dem Kläger am 11.08.2020 zugestellt - aus der Bundesrepublik Deutschland aus (Ziffer 1), ordnete infolge der Ausweisung gegen ihn ein auf 6 Jahre befristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot an (Ziffer 2) und lehnte seinen Antrag auf Erteilung/Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis ab (Ziffer 3).
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Zur Begründung der Ziffer 1 führte das Regierungspräsidium Tübingen im Wesentlichen aus, dass der Kläger sich auf den erhöhten Ausweisungsschutz nach § 53 Abs. 3a AufenthG berufen könne, da das Widerrufsverfahren des Bundesamts noch nicht abgeschlossen sei. Die Voraussetzungen des § 53 Abs. 3a AufenthG seien erfüllt. Der Kläger habe durch die Begehung von gemeingefährlichen Straftaten bewusst und gewollt einen „Beitrag“ geleistet, um den kurdischen Aufforderungen im Internet zu folgen und entsprechend der Feststellungen des Landgerichts Ulm „den Krieg auf Europas Straßen zu tragen“ und stelle somit eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland dar. Die gewaltsame Austragung auswärtiger Konflikte, wie hier zwischen Kurden (gleich welcher Staatsangehörigkeit) und türkischstämmigen Personen auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland, sei aber in keinem Fall hinnehmbar. Aufgrund der Verurteilung durch das Landgericht Ulm sei der Kläger auch wegen einer schweren Straftat rechtskräftig verurteilt worden. Das Ausweisungsinteresse wiege aufgrund der rechtskräftigen Verurteilung des Klägers durch das Landgericht Ulm nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG besonders schwer.
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Im Fall des Klägers sei aufgrund einer umfassenden Beurteilung seiner Person, seines Verhaltens, seiner Lebensweise, der Art und des Ausmaßes der Erfüllung des Ausweisungsgrundes sowie der dabei herrschenden Umstände auch von einer erheblichen konkreten Wiederholungsgefahr auszugehen. Dass der Rest der Jugendstrafe zur Bewährung ausgesetzt worden sei, stehe dem nicht entgegen. Strafrichterliche Sozialprognosen unterschieden sich nach Zweck, Voraussetzungen und Prognosehorizont von der ordnungsrechtlichen Gefahrenprognose. Soweit dem Kläger vom Amtsgericht Adelsheim aufgegeben worden sei, seinen Wohnsitz bei seiner Schwester zu nehmen, habe er bereits zuvor mit seiner Schwester zusammengelebt, ohne dass ihn dies von der Begehung der Straftat habe abhalten können. Es sei daher nicht davon auszugehen, dass die Wohnsitzauflage so stabilisierend auf den Kläger einwirke, dass eine Wiederholungsgefahr fernläge. Auch sei der Anlass der Tat mit Bezug zur Kriegssituation in Syrien nicht so singulär, dass ein solcher Anlass sich nicht wieder ergeben könne. Das Kriegsgeschehen in Syrien dauere an und unterliege einem ständigen Wandel, sodass immer wieder eine vergleichbar empfundene persönliche Betroffenheit eintreten könne und der Kläger sodann mit vergleichbaren Mitteln erneut ein politisches Signal setzen wolle. Grundlage für die Annahme einer fortbestehenden Wiederholungsgefahr sei zudem, dass der Kläger sich ausweislich der Feststellungen des Landgerichts Ulm vom Rädelsführer in die Tat habe verstricken lassen und dass keine Indizien für den Fortfall dieser Anfälligkeit bestünden. Zudem habe es sich ausweislich der Feststellungen des Landgerichts Ulm nicht um eine von Spontaneität geprägte Tat gehandelt. Des Weiteren habe der Kläger sich seiner Verantwortung noch nicht vollumfänglich stellen können oder wollen, da er von seinem gegenüber den Ermittlungsbehörden abgegebenen weitgehenden Geständnis in der mündlichen Verhandlung teilweise wieder abgerückt sei. Ausweislich des Vollzugsberichts der JVA Adelsheim vom 13.01.2020 hätten zur Tataufarbeitung zwar Gespräche beim Psychologischen Dienst stattgefunden. Jedoch sei die Aufarbeitung noch nicht abgeschlossen und auch hiernach bestehe die Anfälligkeit des Klägers für Beeinflussungen fort. Dass der Kläger sich in der Jugendhaft beanstandungsfrei geführt habe und die Hauptschule mit guten Leistungen besucht habe, sei von begrenztem Aussagewert, da der erzieherische Druck und die Betreuung in der Freiheit fehlten und da allein der Plan, einen Schulabschluss und eine Ausbildung absolvieren zu wollen, noch keinen tauglichen Hinweis für eine positive Prognose biete.
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Hinsichtlich des Bleibeinteresses sei von Bedeutung, dass vorliegend der Fall einer sog. inlandsbezogenen Ausweisung vorliege. Da das Widerrufsverfahren des Bundesamts noch nicht abgeschlossen sei, stehe fest, dass eine Abschiebung des Klägers nicht möglich sei und der Kläger sich trotz der Ausweisung geduldet im Bundesgebiet aufhalten werde. Eine Ausweisung sei dennoch möglich, denn deren Rechtswirkungen zielten u.a. auf den Verlust eines bestehenden Aufenthaltstitels, die Herbeiführung der Wirkungen des Einreise- und Aufenthaltsverbots und den Verlust von Ansprüchen, die einen Aufenthaltstitel voraussetzten, ab. Bei einer sog. inlandsbezogenen Ausweisung sei Bezugspunkt für die Verhältnismäßigkeitsfrage auch nur die Ausweisung in der erfolgten Form mit der Folge einer ggf. auch langfristigen Duldung des Klägers im Bundesgebiet. Umstände, die ein Bleibeinteresse begründen könnten, seien vom Kläger nicht geltend gemacht worden und auch im Übrigen nicht ersichtlich.
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In der Gesamtabwägung überwiege das öffentliche Interesse an der Ausreise des Klägers dessen Interesse an einem weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet. Dies gelte zunächst aus spezialpräventiven Gründen. Das öffentliche Interesse sei entsprechend der obigen Ausführungen von erheblichem Gewicht. Demgegenüber hielten sich zumindest die Eltern des Klägers noch in Syrien auf, sodass nicht von einer völligen Entwurzelung aus den dortigen sozialen Verhältnissen ausgegangen werden könne. Der Kläger verfüge auch über keine langfristige Aufenthaltsberechtigung im Bundesgebiet und ein langfristiges Bleiberecht sei aufgrund der begangenen Straftaten auch nicht erkennbar. Die Ausweisung werde zudem nachrangig auch auf generalpräventive
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Gründe gestützt. Angesichts der Signalwirkung der vom Kläger begangenen Straftaten sei ein konsequentes Einschreiten erforderlich, um andere Ausländer in vergleichbaren Situationen von ähnlichen Regelverstößen abzuhalten.
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Die Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots in Ziffer 2 beruhe auf § 11 Abs. 1, Abs. 5 Satz 1, Abs. 3 AufenthG. Der Antrag des Klägers auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis sei durch Ziffer 3 abzulehnen, da allen in Betracht kommenden Aufenthaltstiteln zwingende Regelungen entgegenstünden. Mit der Bekanntgabe des Einreise- und Aufenthaltsverbots greife die Sperre des § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG. Zudem bestehe - wie ausgeführt - ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse und es fehle somit an der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG. Der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 1 oder 2 AufenthG stehe zudem ebenfalls entgegen, dass ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse bestehe (§ 25 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 2 AufenthG). Der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG stehe – die Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots unterstellt – jedenfalls § 25 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 AufenthG entgegen. Der Ausschlusstatbestand des speziellen § 25 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 AufenthG gelte auch für die allgemeine Regelung des § 25 Abs. 5 AufenthG. Hinsichtlich eines Titels nach § 25b AufenthG fehle es an der erforderlichen nachhaltigen Integration und dem langfristigen Aufenthalt im Bundesgebiet.
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Auch gegen die Mittäter des Klägers S. und S. O. ergingen dem streitgegenständlichen Bescheid (Ziffern 1 - 3) entsprechende Verfügungen des Regierungspräsidiums Tübingen, welche dieses durch Ergänzungsbescheide um eine nachträgliche Abschiebungsandrohung ergänzte (Ziffer 4). Diese Bescheide wurden ebenfalls durch Klagen angefochten (- 9 K 2999/20 - bzw. - 14 K 1888/21 -).
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Gegen den Bescheid des Regierungspräsidiums Tübingen vom 06.08.2020 hat der Kläger am 25.08.2020 die vorliegende Klage beim Verwaltungsgericht Sigmaringen erhoben. Zur Begründung seiner Klage verweist der Kläger darauf, dass die Voraussetzungen des § 53 Abs. 3a AufenthG nicht erfüllt seien. Er sei zwar wegen einer schweren Straftat rechtskräftig verurteilt worden, stelle aber keine Gefahr für die Allgemeinheit dar. Es sei von einer positiven Sozialprognose auszugehen. Der Kläger sei von der Haft beeindruckt und sehe das Unrecht seiner Tat ein. Die Aufarbeitung der
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Straftat habe bereits in der Strafhaft stattgefunden. Es bestünden auch keine Hinweise mehr auf extremistische oder radikale Haltungen und Einstellungen. Der Kläger wirke vielmehr unpolitisch und habe sich in der Angst um seine Eltern schnell radikalisieren und instrumentalisieren lassen. Zum Beweis legte der Kläger diesbezüglich Berichte der Bewährungs- und Gerichtshilfe vom 27.08.2020, 15.04.2021 und 26.04.2021 sowie eine Stellungnahme der Bewährungs- und Straffälligenhilfe Ulm e.V. vom 22.04.2021 vor. Im Hinblick auf die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit sei ein Transportunternehmen ausweislich seiner Stellungnahme vom 23.03.2021 zwar bereit, ihm einen unbefristeten Arbeitsvertrag zu geben. Voraussetzung sei allerdings eine entsprechende Genehmigung, welche das Regierungspräsidium Tübingen verweigere. Die günstige Sozialprognose folge weiter aus dem Beschluss des Amtsgerichts Adelsheim vom 16.04.2020, der eine gewisse Bindungswirkung entfalte und von dem die Beklagte nur bei Vorliegen überzeugender Gründe abweichen könne, an denen es hier fehle.
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Der Kläger beantragt,
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den Bescheid des Regierungspräsidiums Tübingen vom 06.08.2020 in Gestalt des Ergänzungsbescheids des Regierungspräsidiums Tübingen vom
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11.03.2022 aufzuheben
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und den Beklagten zu verpflichten, die Aufenthaltserlaubnis des Klägers zu verlängern.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung verweist die Beklagte auf den angegriffenen Bescheid und führt ergänzend aus, dass die dort angestellten Erwägungen zur Wiederholungsgefahr durch den Vortrag des Klägers nicht erschüttert worden seien und nach wie vor fortbestünden. Die Ausführungen des Amtsgerichts Adelsheim im Beschluss vom 16.04.2020 seien sehr knapp und schon fast formelhaft und könnten somit nicht mehr als eine indizielle Wirkung für die anzustellende Prognose haben.
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Mit - hier nicht streitgegenständlicher - Verfügung vom 18.02.2022 verbot das Regierungspräsidium Tübingen dem Kläger gestützt auf § 56 Abs. 4 Satz 1 AufenthG, Kontakt zu K. aufzunehmen, mit ihm zu verkehren, ihn zu beschäftigen, auszubilden oder zu beherbergen. Das Verbot umfasse insbesondere die briefliche Kontaktaufnahme, elektronische Kommunikation oder indirekte Kommunikation durch Einschaltung von Mittelsmännern (Ziffer 1). Für den Fall eines Verstoßes gegen Ziffer wurde dem Kläger ein Zwangsgeld in Höhe von 100 EUR angedroht (Ziffer 2). Zur Begründung verwies das Regierungspräsidium im Wesentlichen darauf, dass anlässlich der Haftentlassung des S. am 01.12.2020 festgestellt worden sei, dass der Kläger diesen zusammen mit S. O. im Gefängnis abgeholt und in seine Unterkunft begleitet habe. Dort sei der Kläger über Nacht geblieben. Nachdem die Polizei dies herausgefunden gehabt habe, habe ein Kontaktgespräch mit dem Kläger, S. und S. O. stattgefunden. Im Rahmen des Kontaktgesprächs sei übereinstimmend angegeben worden, dass weiterhin Kontakt gepflegt werde und eine enge Freundschaft bestehe. Nach der Einschätzung der Polizei sei der Kläger wie seine Mittäter weiterhin ideologisch gefestigt und bewege sich in denselben Strukturen wie vor der Tat. Das Kontaktverbot sei auch verhältnismäßig. Wie in der Ausweisungsverfügung ausführlich dargelegt, bestehe eine erhebliche Wiederholungsgefahr und damit eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter, und es sei daher davon auszugehen, dass der Kläger in Zukunft ähnlich gelagerte Straftaten begehen werde. Das Kontaktverbot sei zumutbar, da keine verwandtschaftlichen Beziehungen oder finanzielle Verflechtungen zu K. bestünden. Gleich geeignete, aber weniger einschneidende Maßnahmen seien nicht erkennbar.
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Mit Verfügung vom 11.03.2022 hat das Regierungspräsidium Tübingen seinen Bescheid vom 06.08.2020 wie folgt um eine Ziffer 4 ergänzt:
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„4. Ihnen wird die Abschiebung nach Syrien oder in einen anderen Staat, in den Sie einreisen dürfen oder der zu Ihrer Übernahme verpflichtet ist, auf Ihre Kosten unter Setzung einer Frist von 30 Tagen zur freiwilligen Ausreise angedroht. Sie dürfen bis zum vollziehbaren Widerruf des durch das BAMF mit Bescheid vom 22.09.2020 (Geschäftszeichen 7864771 —.475) festgestellten Abschiebungsverbots nicht nach Syrien abgeschoben werden.“
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Zur Begründung verwies das Regierungspräsidium Tübingen im Wesentlichen darauf, dass nach der jüngsten Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (Urteil vom 03.06.2021, - C-546/19 „BZ“-, Juris) sog. inlandsbezogene Ausweisungen nur noch mit einer Abschiebungsandrohung als mit der Richtlinie 2008/115/EG (Rückführungs-Richtlinie) vereinbar seien. Dem Regierungspräsidium Tübingen lägen zudem neue Erkenntnismittel vor (EASO, Country Guidance, September 2020, S. 41-43, 155-157), wonach jedenfalls die Regionen Damaskus und Tartus mittlerweile nicht mehr als generell unsicher einzustufen seien, sodass in absehbarer Zeit eine Aufhebung des Abschiebungsverbots zu erwarten sei. Aufgrund des Erlasses einer Abschiebungsandrohung ergebe sich nunmehr hinsichtlich der Bleibeinteressen ein anderer Prüfungsmaßstab, und etwaige Bleibeinteresse hätten nunmehr ein höheres Gewicht. Dies ändere am Ergebnis der Abwägung nach § 53 Abs. 1 AufenthG allerdings nichts, da im Fall des Klägers – wie bereits im Bescheid vom 06.08.2020 festgestellt – keine Bleibeinteressen erkennbar seien.
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Das Gericht hat den Kläger in der mündlichen Verhandlung informatorisch angehört; wegen der diesbezüglichen Einzelheiten wird auf das Protokoll verwiesen.
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Dem Gericht liegen die Akten der Beklagten (zwei Bände und ein Heft), die Gefangenenpersonalakte (ein Band), die Bewährungs- und Vollstreckungsakte (zwei Hefte) sowie die Akten des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge über das Asyl- und das Widerrufsverfahren vor. Auf diese sowie die Gerichtsakte des vorliegenden Verfahrens und des Verfahrens A 2 K 3216/20 wird wegen weiterer Einzelheiten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
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Die zulässige Anfechtungs- und Verpflichtungsklage hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Der Kläger setzt sich ohne Erfolg gegen seine Ausweisung (dazu I.) und die Ablehnung seines Antrags auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis (IV.) zur Wehr. Dagegen erweist sich die (nachträglich) verfügte Abschiebungsandrohung (dazu II.) und die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots (III.) als rechtswidrig und sind daher aufzuheben.
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I. Die in Ziffer 1 des angefochtenen Bescheids des Regierungspräsidiums Tübingen vom 06.08.2020 in Gestalt dessen Ergänzungsbescheids vom 11.03.2022 enthaltene Verfügung, wonach der Kläger aus dem Bundesgebiet ausgewiesen wird, ist zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (s. nur BVerwG, Urteil vom 15.11.2007 – 1 C 45.06 –, Rn. 13; Urteil vom 27.07.2017 – 1 C 28.16 –, Rn. 16, jeweils Juris) rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO.
42 
Ermächtigungsgrundlage dieser Anordnung ist § 53 Abs. 1 AufenthG. Nach dieser Vorschrift wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Bei der Abwägung sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen (§ 53 Abs. 2 AufenthG).
43 
Die vom Regierungspräsidium Tübingen verfügte Ausweisung des Klägers ist mit diesen gesetzlichen Vorgaben vereinbar. Der Kläger stellt eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung dar (dazu 1.). Den durch ihn verwirklichten Ausweisungsinteressen stehen allenfalls schwache Bleibeinteressen gegenüber (dazu 2.), sodass sich die Ausweisung auch nach Abwägung aller Umstände des Einzelfalls als verhältnismäßig erweist (dazu 3.). Der besondere Ausweisungsschutz nach § 53 Abs. 3a AufenthG steht der Ausweisung nicht entgegen (dazu 4.). Die Ausweisung ist schließlich mit unionsrechtlichen Vorgaben vereinbar (dazu 5.).
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1. Die vom Kläger begangenen erheblichen Straftaten, seine damit zum Ausdruck gekommene Persönlichkeit und seine sonstigen prägenden persönlichen Umstände lassen befürchten, dass er auch in Zukunft erhebliche Straftaten begehen wird.
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a) Nach den im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht entwickelten Grundsätzen liegt eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne des § 53 Abs. 1 AufenthG vor, wenn mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch die weitere Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet ein Schaden an einem der betroffenen Schutzgüter eintreten wird (BVerwG, Urteil vom 22.02.2017 - 1 C 3.16 - Rn. 23, Juris). An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist
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(vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 04.10.2012 - 1 C 13.11 -, Juris). Bei der Prüfung der Wiederholungsgefahr haben die Verwaltungsgerichte bei spezialpräventiven Ausweisungsentscheidungen eine eigenständige Prognose zu treffen (vgl. BVerwG, Urteil vom 15.01.2013 - 1 C 10.12 - Rn. 18, Juris). Bei dieser Prognoseentscheidung sind die besonderen Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung und das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts, aber auch die Persönlichkeit des Täters, seine Entwicklung und Lebensumstände (BVerwG, Beschluss vom 16.11.2000 - 9 C 6.00 - Rn. 16, Juris). Dabei gelten nicht an Resozialisierungsgesichtspunkten, sondern an strengeren Kriterien orientierte und darüber hinaus eine längerfristige Gefahrenprognose erfordernde gefahrenabwehrrechtliche Maßstäbe (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 11.04.2016 - 11 S 393/16 -, Juris; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 17.07.2008 - 18 A 1145/07 -, Juris).
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b) Der Kläger hat Ausweisungsinteressen nach § 54 AufenthG verwirklicht, die einen
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Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung indizieren. Der in der Nacht vom 18.03. auf den 19.03.2018 verübte Brandanschlag, aufgrund dessen der Kläger zu einer Jugendstrafe von 3 Jahren verurteilt wurde, begründet ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse gemäß § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG.
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c) Das Gericht hat die Überzeugung gewonnen, dass vom Kläger eine Wiederholungsgefahr für die Begehung vergleichbar schwerer Straftaten ausgeht.
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aa) Nach der jüngsten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Stattgebender Kammerbeschluss vom 06.12.2021 - 2 BvR 860/21 -, Juris) kommt der Entscheidung des Amtsgerichts Adelsheim (Beschluss vom 16.04.2020 - 1 VRJs 588/19 -), die Vollstreckung der Restjugendstrafe des Klägers ab diesem Termin zur Bewährung auszusetzen, Indizwirkung dahingehend zu, dass vom Kläger keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mehr ausgeht. Sofern die Verwaltungsgerichte, die an die tatsächlichen Feststellungen und Beurteilungen des Strafgerichts rechtlich nicht gebunden sind, im Rahmen der ihnen obliegenden aufenthaltsrechtlichen Prognose, insbesondere mit Blick auf den unterschiedlichen Gesetzeszweck des Ausländerrechts, zu einer von dieser Indizwirkung abweichenden Einschätzung der Wiederholungsgefahr kommen, bedarf es hierfür einer substantiierten, das heißt eigenständigen Begründung. Solche Gründe können zum Beispiel dann gegeben sein, wenn der Ausländerbehörde umfassenderes Tatsachenmaterial zur Verfügung steht, das genügend zuverlässig eine andere Einschätzung der Wiederholungsgefahr erlaubt (BVerfG, a.a.O., Rn. 19, Juris m.w.N.).
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bb) Auch unter Zugrundelegung dieser Maßgaben geht das Gericht von einer vom Kläger ausgehenden Wiederholungsgefahr aus.
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(1) Aus dem Umstand, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Begehung der Straftat zwischen 18 und 21 Jahre alt und somit Heranwachsender (vgl. § 1 Abs. 2 Var. 2 JGG) war und dass das Landgericht Ulm gemäß § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG die für einen Jugendlichen geltenden Vorschriften auf ihn angewendet hat, folgen diesbezüglich keine abweichenden rechtlichen Maßstäbe. Zwar richtete sich die vom Amtsgericht Adelsheim angestellte Prognose nicht - wie bei einem Erwachsenen - nach § 57 Abs. 1 Satz 2 StGB, sondern nach § 88 Abs. 1 JGG. Hieraus folgt jedoch keine grundlegende Unterscheidung hinsichtlich des Prognosemaßstabs (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 11.01.2018 - StB 33/17 -, Juris). Ungeachtet von Differenzen im Einzelnen verlangt die in beiden Vorschriften enthaltene Verantwortbarkeitsklausel eine Wahrscheinlichkeitsprognose für eine Legalbewährung in Freiheit, wobei die Anforderungen an die Aussicht auf künftige Straffreiheit umso höher anzusetzen sind, je schwerer die in Betracht kommenden Taten wiegen (BGH, a.a.O., Rn. 4 m.w.N.).
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(2) Für eine Wiederholungsgefahr spricht wesentlich die Verurteilung des Klägers durch das Landgericht Ulm und die der Verurteilung zugrunde liegende Tat. Bereits aus dem beträchtlichen Strafmaß der verhängten Freiheitsstrafe von drei Jahren Jugendstrafe ergibt sich indiziell, dass der Kläger eine besonders schwerwiegende Straftat begangen hat. Mord wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft (§ 211 Abs. 1, Abs. 2 2. Gruppe, 1. Alt., 2. Gruppe, 3. Alt. StGB), wobei der Versuch nach § 23 Abs. 2 StGB milder bestraft werden kann als die vollendete Tat. Schwere Brandstiftung stellt ebenfalls ein Verbrechen dar und wird mit Freiheitsstrafe von nicht unter einem Jahr bestraft (§ 306a Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB), wobei der Versuch wiederum nach § 23 Abs. 2 StGB milder bestraft werden kann als die vollendete Tat. Ebenso wiegt die Tat unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls schwer. Die Tat hatte ein sehr hohes Gefährdungspotenzial, da sie nachts (Tatzeitpunkt: 02:53 Uhr) verübt wurde, sodass die im 4. Obergeschoss bzw. im Dachgeschoss des Geschäftshauses schlafenden Personen auf ein durch den Kläger und seine Mittäter in den darunter liegenden Geschossen verursachtes Feuer nur verzögert sowie unter erschwerten Umständen hätten reagieren und das Gebäude insbesondere nur schwerlich hätten verlassen können. Damit, dass das Gebäude bewohnt ist, rechnete insbesondere der Kläger, der in Ulm ortskundig ist und dem das Gebäude bekannt war. Wer und wie viele Personen sich dort aufhielten, war dem Kläger - entsprechend der Feststellungen des Landgerichts Ulm - nicht klar, es war ihm jedoch egal. Dass nur der S. einen Molotow-Cocktail entzündete und auf das Gebäude warf, der jedoch an der Fensterscheibe abprallte, ohne diese zu durchschlagen, dass der Kläger und S. daraufhin vom Tatort flüchteten, ohne ihre weiteren (fünf) Molotow-Cocktails einzusetzen sowie dass der verursachte Brand bald gelöscht werden konnte, ohne dass größere Personen- oder Sachschäden entstanden, entlastet den Kläger kaum. Denn dass der Molotow-Cocktail die Fensterscheibe nicht durchschlug, war vom Kläger und seinem Mittäter nicht beabsichtigt, und da sie nach dem erfolglosen ersten Wurf vom Tatort flohen, unternahmen sie jedenfalls keine Versuche, die Folgen ihrer Tat abzumildern, sodass auch das Landgericht Ulm dieses Verhalten nicht als Rücktritt nach § 24 StGB wertete. Die Tat stellte zudem keineswegs eine Spontantat dar. Denn K., der Anführer der Gruppe und Kopf hinter der Tat, eröffnete dem Kläger und den weiteren Mitgliedern der Gruppe bereits am
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Nachmittag der Tat in seiner Wohnung, dass Molotow-Cocktails hergestellt und ein Brandanschlag auf ein türkisches Gebäude verübt werden sollte. Als der Kläger und die weiteren Mitglieder der Gruppe wegen der Vorkommnisse am Ulmer Hauptbahnhof in polizeilichen Gewahrsam genommen wurden, bot sich ihnen zudem die Gelegenheit, von diesem Vorhaben Abstand zu nehmen. Als K. der Gruppe nach der Entlassung aus dem Polizeigewahrsam um 23:30 Uhr eröffnete, dass eine türkische Einrichtung, also ein Gebäude, abgebrannt werden sollte, erklärte sich der Kläger - anders als zwei Mitglieder der Gruppe, die sich von der weiteren Durchführung des Vorhabens distanzierten - hierzu bereit. Auch im weiteren Verlauf blieb dem Kläger Zeit, Abstand von dem Vorhaben zu nehmen, denn der Kläger und seine beiden Mittäter fuhren zunächst zur Wohnung des K., bereiteten dort die Molotow-Cocktails vor und begaben sich sodann auf den Fußweg zum Tatort, wobei die Männer noch zweimal anhielten, um mit den Farbspraydosen politische Parolen anzubringen. Am Tatobjekt angekommen, erkundeten die Männer weiter die Umgebung, bevor es um 02:53 Uhr zur Tatbegehung kam. Dabei verfolgte nicht nur K. als Kopf der Gruppe, sondern auch der Kläger die politische Überzeugung, ein Zeichen bzw. ein Fanal gegen das Vorgehen der Türkei in Afrin zu setzen. Dies ergibt sich insbesondere aus den politischen Parolen, welche der Kläger und seine beiden Mittäter an zwei Orten sprayten und welche sich gegen den türkischen Präsidenten Erdogan und für die PKK und die YPG, den bewaffneten Arm der kurdischen Partei, richteten. Weiter filmten sich der Kläger und seine beiden Mittäter auf dem Weg zum Tatort, und der Kläger gab hierbei auf die Frage von S., wo er jetzt hingehe, an, er werde den Glauben der Türken „ficken“. Hierfür spricht auch, dass der Kläger im Vorfeld der Tat verschiedene kurdische Veranstaltungen besuchte, wo er seinen Angaben zufolge auch seine Mittäter kennenlernte, und insbesondere noch am Abend des 17.03.2018 am Ulmer Hauptbahnhof demonstrierte.
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(3) Die Situation in Syrien und insbesondere in der Gegend um Afrin, woher der Kläger stammt, die den Kläger nachvollziehbarerweise in Sorge um seine Familie versetzte, hat sich auch nicht derart verändert, dass zur Sorge des Klägers kein berechtigter Grund mehr bestünde. Zwar ist der Vater des Klägers nach dessen Angaben mittlerweile verstorben, seine Mutter lebt allerdings nach wie vor in Afrin, und auch ein Bruder und eine Schwester des Klägers leben mittlerweile wieder dort. Die Bombardierung von Afrin durch die türkische Luftwaffe, die der Tat als Auslöser zugrunde lag, besteht aktuell zwar nicht fort, diese oder eine andere Gefahr für die Familienmitglieder des Klägers dort kann nach Ansicht der Kammer jedoch jederzeit bzw. jedenfalls in absehbarer Zeit wieder entstehen, da sich die Lage dort im Speziellen bzw. in Syrien allgemein keineswegs soweit stabilisiert hat, dass dies vernünftigerweise als ausgeschlossen zu erachten wäre.
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(4) Auch der Kläger hat sich nach Ansicht der Kammer nicht derart stabilisiert, dass er auf eine erneute Gefahr für seine in Syrien bzw. Afrin lebenden Familienmitglieder nicht wieder in ähnlicher Weise reagieren würde.
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Soweit der Kläger die erneute Begehung einer ähnlichen Tat kategorisch ausgeschlossen hat, hält das Gericht seine Angaben für wenig überzeugend. Diesbezüglich ist zunächst zu berücksichtigen, dass der Kläger weiterhin nicht in vollem Umfang zu seinem Tatbeitrag steht. So hat der Kläger noch bei seiner polizeilichen Vernehmung am 28.03.2019 eingeräumt, dass es ihr Ziel gewesen sei, die Brandsätze durch das Fenster zu werfen und die Teestube zu verbrennen (Urteil des Landgerichts Ulm, S. 34). In der mündlichen Verhandlung behauptete der Kläger hingegen - wie wohl auch schon in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht Ulm -, dass sie ursprünglich allein auf ein Schild, auf dem sich eine türkische Fahne befinde, hätten werfen wollen. Daran seien sie jedoch gehindert worden, da sich dort eine Überwachungskamera befunden habe, und sie hätten sodann stattdessen auf das Fenster geworfen. Diese Einlassung wertet das Gericht als reine Schutzbehauptung. Um ein in einer Höhe von 6,30 m angebrachtes, ca. 3 Meter breites und 70 cm hohes Schild zu treffen, stellt sich ein Molotow-Cocktail als Tatmittel bereits als völlig ungeeignet dar, zumal die Gefahr besteht, sich bei dem Angriff selbst zu verletzen. Zudem lässt sich das Ziel des Brandanschlags, Aufmerksamkeit zu erregen und somit die Luftangriffe der türkischen Luftwaffe auf Afrin in den öffentlichen Fokus zu bringen, nicht mit einem Brandanschlag auf ein Schild vereinbaren, der - selbst bei erfolgreicher Durchführung - keinerlei öffentliche Reaktion provozieren würde. Zwar ist es nachvollziehbar, dass der Kläger - wie von ihm geäußert - nicht erneut inhaftiert sein möchte. Allerdings ist der Kläger in der von ihm geäußerten Distanzierung von der Tat bzw. seiner damaligen politischen Überzeugung nach Ansicht des Gerichts hauptsächlich dadurch motiviert, eine weitere Inhaftierung um seiner selbst willen zu vermeiden, um nicht sein persönliches Wohlergehen und sein ausländerrechtliches und berufliches Fortkommen in der Bundesrepublik Deutschland erneut zu gefährden bzw. zu schädigen. Eine hinreichende Auseinandersetzung mit sowie eine glaubhafte Distanzierung von seiner damaligen politischen Überzeugung hat der Kläger nach Ansicht der Kammer in der mündlichen Verhandlung hingegen vermissen lassen. Soweit der Kläger ausweislich des Vollstreckungshefts (vgl. etwa Bericht der JVA Adelsheim (Hauskonferenz G2) vom
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13.01.2020) während seiner Inhaftierung zur Tatauseinandersetzung und -aufarbeitung mit dem zuständigen psychologischen Dienst in Kontakt stand und nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung seit seiner Haftentlassung und nach wie vor regelmäßige Termine beim Kompetenzzentrum gegen Extremismus in Baden-Württemberg (Konex) wahrnimmt, haben diese Gespräche - deren Verlauf und Inhalt dem Gericht nicht bekannt sind - diesbezüglich nach Ansicht des Gerichts keinen dauerhaften Eindruck beim Kläger hinterlassen. Denn der Kläger hat nicht ausdrücklich erkennen lassen, dass er seine Tat auch um der Opfer willen bedauert. Der Kläger äußerte - wie ausgeführt - zwar mehrfach, dass er sich nicht erneut in eine solche Lage bringen wolle. Auf die Menschen, die sich im Zeitpunkt der Tatbegehung im Tatobjekt aufhielten, kam er jedoch zu keinem Zeitpunkt von sich aus zu sprechen. Angesprochen darauf, ob er sich bei diesen entschuldigt habe, verneinte der Kläger dies mit der lapidaren Begründung, er wisse nicht, wo diese wohnten, er traue sich nicht bzw. er befürchte, dann Probleme mit diesen zu bekommen. Auch wenn der Kläger selbst es momentan unter allen Umständen vermeiden will, erneut inhaftiert zu werden, sieht das Gericht gleichwohl die Gefahr, dass er sich erneut von Dritten zu entsprechenden Straftaten verleiten lässt.
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Die vom Kläger geäußerte Strategie, mit der er verhindern will, erneut mit der kurdischen Sache in Deutschland, kurdischen Aktivisten bzw. einer mit der Zeit vor der Tatbegehung vergleichbaren Gefährdungslage in Kontakt zu kommen, überzeugt das Gericht nicht. Der Kläger beließ es bei dem pauschalen Hinweis, er interessiere sich nicht mehr für Politik, und bei einem erneuten Angriff auf Afrin würde er nicht demonstrieren gehen bzw. er sperre sich dann ein oder unternehme etwas mit der Familie. Aus den vorherigen Ausführungen folgt auch, dass der Kläger, der bei Tatbegehung sehr jung war und der sich nach den überzeugenden Ausführungen des Landgerichts Ulm zu einem gewissen Grad von K., dem Kopf der Gruppe, in die Tat hat verstricken lassen, keinen derart starken Reifeprozess durchgemacht hat, dass davon auszugehen wäre, dass er künftig etwaigen Verführungen widerstehen könnte. Der Kläger hat diesbezüglich in der mündlichen Verhandlung weiter lediglich angegeben, dass er auf eine vergleichbare Aufforderung zur Tatbegehung durch andere nun entgegnen würde, dass sie das ohne ihn tun sollten. Die vom Kläger geltend gemachte Distanzierung von seinen vormaligen politischen Ansichten und seinem diesbezüglichen Umfeld lässt sich zudem schwerlich damit in Einklang bringen, dass er weiterhin Kontakt zu seinen Mittätern hält, zumal der Kläger diesen Kontakt in der mündlichen Verhandlung nur Stück für Stück einräumte. Das Gericht hat zwar keine Veranlassung zur Annahme, dass der Kläger Kontakt zu den Mittätern K. und S. O. hat. Denn die Tatsachen, die das Regierungspräsidium Tübingen seinem Bescheid vom 11.03.2022 zugrunde legte, sind nicht mehr hinreichend aktuell, und weitere diesbezügliche Anhaltspunkte konnte der Beklagte nicht darlegen und ergaben sich auch aus der informatorischen Anhörung des Klägers nicht. Allerdings hat der Kläger weiterhin Kontakt zu seinem Mittäter S. Nachdem der Kläger zunächst nur eingeräumt hatte, mit diesem weiterhin Kontakt zu haben, räumte er schließlich ein, dass S. seit ihrer gemeinsamen Zeit in Adelsheim sein bester Freund sei. Dieser Umstand erlangt nach Ansicht der Kammer jedenfalls deshalb Bedeutung, weil der Kläger auch in Bezug auf S. nicht darlegen konnte, dass dieser Kontakt nicht erneut zu einer mit der der Tat vom 19.03.2018 zugrunde liegenden Konfliktlage vergleichbaren Situation führen könnte. Zwar hat der Kläger angeführt, dass auch S. seinen Tatbeitrag bereue und seinen Fehler erkannt habe. Nur deshalb stehe er noch in Kontakt mit ihm. Auch die diesbezüglichen Ausführungen des Klägers stellten sich jedoch als pauschal dar und ließen eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Tat vermissen. Aus den Angaben des Klägers ergab sich in keiner Weise, dass die Aufarbeitung ein Thema zwischen ihm und S. sei, und der Kläger räumte zudem auch ein, dass S. im Gegensatz zu ihm nicht auf das freiwillige Gesprächsangebot von Konex eingegangen sei.
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(5) Etwas Anderes folgt auch nicht aus dem Verhalten des Klägers in Haft, wie es sich aus dem Vollstreckungsheft ergibt, aus den Stellungnahmen der Bewährungs- und
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Gerichtshilfe und den Ausführungen des Amtsgerichts Adelsheim im Beschluss vom
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16.04.2020 - 1 VRJs 588/19 -.
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Soweit der Kläger in der JVA Adelsheim erfolgreich die Hauptschule beendet hat, es potentielle Arbeitgeber gibt, die den Kläger (wieder) beschäftigen möchten und er während seiner Haftzeit sowie im Anschluss Kontakt mit seiner Schwester und deren Familie gehalten hat, bei der er nach wie vor lebt, stellt dies nach Ansicht des Gerichts keine hinreichend gesicherte Lebenssituation dar, die den Kläger von der Begehung weiterer Straftaten abhalten könnte. Denn der Kläger besuchte bereits im Zeitpunkt der Tatbegehung die Hauptschule, hatte bereits einen Ausbildungsvertrag für eine Ausbildung bei einer Schreinerei ab September 2018 unterschrieben und wohnte auch damals bei seiner Schwester und deren Familie. Soweit in dem Bericht über den bisherigen Vollzugsverlauf der JVA Adelsheim vom 13.01.2020 eine Stellungnahme des hausinternen psychologischen Dienstes wiedergegeben wird, folgt das Gericht dieser Einschätzung - entsprechend der obigen Ausführungen - nicht. Das Gericht sieht in der Tatbegehung deutliche Hinweise für eine extremistische politische Einstellung, die - wie ausgeführt - bei Entstehen einer neuerlichen akuten Gefährdungslage für die Familienangehörigen des Klägers in Syrien mit hinreichender Wahrscheinlichkeit erneut auftreten wird.
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Das Gericht erachtet es - wie dargelegt - für geboten, von der Indizwirkung des Beschlusses des Amtsgerichts Adelsheim vom 16.04.2020 abzuweichen. Die sehr knappen Ausführungen des Amtsgerichts Adelsheim betreffen allein die strafrechtliche Prognose der Legalbewährung und stehen der vom Gericht getroffenen öffentlichrechtlichen Gefahrenprognose somit nicht per se entgegen.
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2. Da das Gericht die nachträgliche Abschiebungsandrohung - wie noch auszuführen sein wird - für rechtswidrig erachtet, sind Bleibeinteressen im engeren Wortsinne (des § 54 AufenthG) nicht zu berücksichtigen. Dies folgt daraus, dass auf absehbare Zeit keine Aufenthaltsbeendigung möglich ist, weil ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK besteht und eine Beeinträchtigung möglicher Bleibeinteressen daher nicht konkret droht (vgl. BVerwG, Urteil vom 09.05.2019 - 1 C 21.18 -, Rn. 28, Juris). In der Folge ist - da es sich nach Aufhebung der Abschiebungsandrohung faktisch um eine inlandsbezogene Ausweisung handelt - nur das Interesse des Klägers zu berücksichtigen, ausländerrechtliche Folgewirkungen der Ausweisung zu vermeiden, etwa Aufenthaltsbeschränkungen und Meldeauflagen (vgl. § 56 AufenthG; vgl. hierzu VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 15.04.2021 - 12 S 2505/20 -, Rn. 130,
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Juris).
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Selbst wenn - trotz der Rechtswidrigkeit der nachträglichen Abschiebungsandrohung - eine fiktive Ausreise des Klägers unterstellt und Bleibeinteressen im engeren Wortsinne berücksichtigt würden (so VG Sigmaringen, Urteile vom 16.11.2021 - 4 K 4530/20 - und vom 28.03.2022 - 9 K 2999/20 -), könnte der Kläger sich allenfalls auf schwach ausgeprägte, nicht vertypte Bleibeinteressen berufen. Gesetzlich normierte Tatbestände des § 55 AufenthG liegen nicht vor. Die erstmals am 30.08.2016 erteilte Aufenthaltserlaubnis ist mit Ablauf des 12.05.2020 erloschen, und ein Anspruch auf Verlängerung besteht - wie noch darzulegen sein wird - nicht, sodass der volljährige Kläger sich zum maßgeblichen Zeitpunkt des Ergehens der Ausweisungsentscheidung (vgl. BVerwG, Urteil vom 15.11.2007 - 1 C 45.06 -, Rn. 24, Juris) nicht auf den „Besitz“ einer Aufenthaltserlaubnis berufen konnte. Familiäre Beziehungen weist er lediglich zu seiner Schwester, bei der er derzeit lebt, sowie zu seinem in Düsseldorf wohnenden Bruder auf. Eine verfestigte wirtschaftliche Integration ist dem ledigen und kinderlosen Kläger, der zwar über einen abgeschlossenen Hauptschulabschluss verfügt, aber keine Ausbildung abgeschlossen hat und derzeit in keinem Beschäftigungsverhältnis steht, bislang nicht gelungen.
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3. Die gebotene Abwägung der betroffenen Ausweisungs- und Bleibeinteressen fällt - auch unter Anwendung des für den Kläger günstigsten Maßstabs - vorliegend zulasten des Klägers aus.
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a) § 53 Abs. 1 AufenthG verlangt ein Überwiegen des Interesses an der Ausreise, das unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles im Rahmen einer umfassenden Verhältnismäßigkeitsprüfung festzustellen ist, wobei in die hierbei vorzunehmende
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Abwägung des Interesses an der Ausreise mit dem Bleibeinteresse die in § 53 Abs. 2 AufenthG niedergelegten Umstände in wertender Gesamtbetrachtung einzubeziehen sind. Insbesondere ist der Frage nachzugehen, ob und in welchem Maße die konkreten Umstände des Einzelfalles von vertypten gesetzlichen Wertungen abweichen. Sind im konkreten Fall keine Gründe – etwa auch solche rechtlicher Art – ersichtlich, die den gesetzlichen Wertungen der §§ 54, 55 AufenthG entgegenstehen, wird regelmäßig kein Anlass bestehen, diese Wertungen einzelfallbezogen zu korrigieren. Eine schematische und alleine den gesetzlichen Typisierungen und Gewichtungen verhaftete Betrachtungsweise, die einer umfassenden Bewertung der den Fall prägenden Umstände, jeweils entsprechend deren konkreten Gewicht, zuwiderlaufen würde, verbietet sich ebenso wie eine „mathematische" Abwägung im Sinne eines bloßen Abzählens von Umständen, die das Ausweisungsinteresse einerseits und das Bleibeinteresse andererseits begründen (vgl. VGH Baden–Württemberg, Beschluss vom
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11.04.2016 - 11 S 393/16 - Rn. 30; Urteil vom 13.01.2016 - 11 S 889/15 - Rn. 142, jeweils Juris). In die Abwägung sollen insbesondere folgende vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 8 EMRK entwickelten, nicht abschließenden, Kriterien einbezogen werden: Art und Schwere der Straftat, Dauer des Aufenthalts im Gastland, seit der Tatzeit verstrichene Zeitspanne und Verhalten des Ausländers in dieser Zeit, Staatsangehörigkeit der Betroffenen, familiäre Situation und Dauer einer etwaigen Ehe, etwaige Kenntnis des Ehegatten von der Straftat bei Aufnahme der Beziehung, etwaige aus der Ehe hervorgegangene Kinder, ihr Alter und das Maß an Schwierigkeiten, denen der Ehegatte und/oder die Kinder im Abschiebezielland begegnen können, sowie die Festigkeit der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen zum Gastland und zum Abschiebezielland (vgl. BT–Drs. 18/4097, S. 49 f.;
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EGMR, Urteil vom 02.08.2001 - 54273/00 -, InfAuslR 2001, 476, Urteil vom 18.10.2006 - 46410/99 -, NVwZ 2007, 1279; Urteil vom 21.03.2007 - 1683/03 -, InfAuslR 2007, 221 –, Urteil vom 23.06.2008 - 1683/03 -, InfAuslR 2008, 333 –; Urteil vom 12.01.2010 - 47486/06 -, InfAuslR 2010, 369).
73 
b) Ausgehend von diesen Maßstäben überwiegt das öffentliche Ausweisungsinteresse das Interesse des Klägers an der Vermeidung der ausländerrechtlichen Folgewirkungen der Auswirkung, hilfsweise auch die festgestellten Bleibeinteressen des Klägers. Dies ergibt sich bereits indiziell daraus, dass dem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse keine, allenfalls ungeschriebene, aber nicht ebenso gewichtige Bleibeinteressen gegenüberstehen. Die ausländerrechtlichen Folgen der Ausweisung hat sich der Kläger, der in der Vergangenheit über einen Aufenthaltstitel verfügte, selbst zuzuschreiben. In der Folge einer Aufenthaltsbeschränkung könnte es ihm zwar rechtlich unmöglich oder jedenfalls deutlich erschwert werden, seinen in Düsseldorf wohnenden Bruder zu besuchen. Dass und inwiefern diese oder vergleichbare ausländerrechtliche Folgen für den Kläger unzumutbar sein sollten, erschließt sich für das Gericht nicht, zumal der Bruder seinerseits den Kläger besuchen kann. Bis auf seine Familienangehörigen weist der Kläger auch keine nennenswerten verfestigten Beziehungen im Bundesgebiet auf. Der von ihm begangene versuchte Mord und die versuchte schwere Brandstiftung überschatten seine schwachen integrativen Leistungen und lassen aufgrund der auch sonst ungünstigen Umstände (extremistische politische Ansichten, verführbare Persönlichkeit) erwarten, dass er in Zukunft straffällig werden wird. Demgegenüber ist der Kläger in Syrien geboren, wuchs dort auf und wurde dort sozialisiert. Seine wesentliche Prägung und Entwicklung hat er im Ausland erfahren.
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Es erscheint möglich und zumutbar, dass er sich im Fall einer hypothetischen Rückkehr nach Syrien dort eine Existenz aufbauen kann, zumal jedenfalls seine Mutter, ein Bruder und eine Schwester noch bzw. wieder dort leben. Vor diesem Hintergrund ist die Ausweisung des Klägers verhältnismäßig.
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4. Der besondere Ausweisungsschutz gemäß § 53 Abs. 3a AufenthG steht der Ausweisung des Klägers nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift darf ein Ausländer, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings, nur ausgewiesen werden, wenn er aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder eine terroristische Gefahr anzusehen ist oder er eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellt, weil er wegen einer schweren Straftat rechtskräftig verurteilt wurde.
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a) Der Kläger dürfte sich schon deshalb nicht auf die Vorschrift des § 53 Abs. 3a AufenthG berufen können, weil er nicht mehr als Flüchtling anerkannt ist. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat die ihm zuerkannte Flüchtlingseigenschaft mit Bescheid vom 22.09.2020 zurückgenommen. Die Rücknahme entfaltet aufgrund der Regelung des § 75 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AsylG ihre rechtlichen Wirkungen, obwohl der Kläger hiergegen Klage erhoben hat, welche Gegenstand des Verfahrens A 2 K 3216/20 ist. Nach der genannten Vorschrift hat eine Klage gegen den Widerruf der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft wegen des Vorliegens der Voraussetzungen des §60Absatz 8 Satz 1 AufenthG oder des §3Absatz 2 AsylG keine aufschiebende Wirkung. Das ist hier der Fall. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat den Widerruf auf § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG gestützt. Dessen Voraussetzungen liegen auch in der Sache vor (siehe sogleich). Nachdem der Kläger sich gegen diesen Bescheid nicht im Eilrechtsschutz zur Wehr gesetzt hat, ist die Vollziehung des Widerrufs nicht gehemmt und daher zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung beachtlich.
77 
b) Dies ist aber letztlich nicht entscheidungserheblich, denn unabhängig hiervon sind auch die materiellen Voraussetzungen des § 53 Abs. 3a Var. 3 AufenthG erfüllt.
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Eine Ausweisung trotz besonderen Ausweisungsschutzes nach dieser Vorschrift setzt (in der 2. Alternative) voraus, dass der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellt, weil er wegen einer schweren Straftat rechtskräftig verurteilt wurde.
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Mit der durch das Zweite Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht vom
80 
15. August 2019 (BGBl. I S. 1294) in das AufenthG eingefügten Regelung des § 53a AufenthG sollten die Schwellen des Ausweisungsschutzes für Asylberechtigte und anerkannte Flüchtlinge auf den Kern der europa- und völkerrechtlichen Vorgaben zurückgeführt werden. Damit sollten die Möglichkeiten, bei schutzberechtigten Intensivstraftätern im Einzelfall ein Überwiegen des öffentlichen Ausreiseinteresses zu begründen, erleichtert werden. Diese Durchbrechung des Refoulement-Verbots ist als Ausnahmeregelung im Sinne einer ultima ratio eng auszulegen. Da dem Wortlaut nach die Gefahr von dem Ausländer selbst ausgehen muss („er“), ist klargestellt, dass eine Ausweisung nur aus spezialpräventiven, nicht aber aus generalpräventiven Gründen möglich ist (vgl. BT-Drs. 19/10047, S. 34; Fleuß, in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, § 53 AufenthG Rn. 126). Die Tatbestandsalternativen „er aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder eine terroristische Gefahr anzusehen ist“ bilden den Regelungsbereich der Ausweisung von Gefährdern beziehungsweise Terrorverdächtigen ab. Demgegenüber stellt der Ausländer eine „Gefahr für die Allgemeinheit“ i.S.d. § 53 Abs. 3a AufenthG dar, wenn er wegen einer schweren Straftat verurteilt wurde und die Erwartung berechtigt ist, er werde auch in Zukunft schwere Straftaten begehen. Die Ausnahmebestimmung „Gefahr für die Allgemeinheit“ setzt nicht nur voraus, dass der Flüchtling wegen einer schweren Straftat verurteilt worden ist, sondern auch die Feststellung einer Verbindung zwischen der Straftat, für die er verurteilt wurde, und der Gefahr, die von ihm ausgeht: Die Person muss aufgrund der konkreten von ihr begangenen Straftat eine Gefahr darstellen. Es reicht nicht aus, dass beispielsweise aufgrund ihres allgemeinen Verhaltens, das nicht zu einer Verurteilung wegen einer besonders schweren Straftat geführt hat, oder aufgrund mehrerer Verurteilungen wegen weniger schwerwiegender Straftaten eine Gefahr für die Allgemeinheit besteht (vgl. VG Bremen, Beschluss vom
81 
13. Juli 2020 - 2 V 199/20 - juris Rn. 43; Bauer, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Auflage 2020, § 53 AufenthG Rn. 98; Fleuß, in: Kluth/Heusch, a.a.O., § 53 AufenthG Rn. 124). Typischerweise sind etwa Vergewaltigung, Drogenhandel, versuchter Mord, schwerer Raub oder schwere Körperverletzung besonders schwere Straftaten; allerdings entbindet dies nicht von der Prüfung, ob die kriminelle Handlung im konkreten Einzelfall als objektiv und subjektiv besonders schwerwiegend zu betrachten ist. Anhaltspunkte für eine solche Einzelfallprüfung ergeben sich aus der vom European Asylum Support Office (EASO) herausgegebenen „Richterlichen Analyse, Beendigung des internationalen Schutzes: Artikel 11,14,16 und 19 der Anerkennungsrichtlinie (Richtlinie 2011/95/EU)“, 2018, S. 54 f. (https://www.easo.europa.eu/sites/default/files/ending-international-protection_de.pdf) (vgl. Bauer, in: Bergmann/Dienelt, a.a.O., § 53 AufenthG Rn. 98; vgl. zu alledem auch OVG des Landes Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 27.01.2021 - 2 M 101/20 -, Rn. 30, Juris).
82 
Nach diesen Maßgaben rechtfertigen die bereits getroffenen Feststellungen das Vorliegen auch der erhöhten Ausweisungsvoraussetzungen einer „schweren Straftat“ und einer „Gefahr für die Allgemeinheit“ im Sinne des § 53 Abs. 3a AufenthG. Hierzu wird zur Vermeidung von Wiederholungen vollumfänglich auf die obigen Ausführungen zur Würdigung der Tat und der Prognose einer Wiederholungsgefahr verwiesen (siehe oben I. 1. c)).
83 
5. Die Ausweisungsverfügung – welche aufgrund der aufgehobenen Rückkehrentscheidung in Form einer Abschiebungsandrohung (siehe unten III.) eine „inlandsbezogene Ausweisung“ darstellt – ist mit den Vorgaben der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (Rückführungsrichtlinie, im Folgenden: RFRL) vereinbar.
84 
Das Verwaltungsgericht Sigmaringen hat diesbezüglich ausgeführt (Urteil vom
85 
16.11.2021 - 4 K 4530/20 -):
86 
„a) Die Anwendung des § 53 Abs. 1 AufenthG und dessen Rechtsfolgen stehen nicht unmittelbar im Widerspruch mit den Regelungen der Rückführungsrichtlinie. Die Vorschrift des Art. 6 Abs. 1 RFRL sieht vor, dass die Mitgliedstaaten grundsätzlich gegen alle Drittstaatsangehörigen eine Rückkehrentscheidung erlassen, die nicht oder nicht mehr die Voraussetzungen erfüllen, in einen Mitgliedstaat einzureisen oder sich dort aufzuhalten. Die Regelung in Art. 3 Nr. 4
87 
RFRL definiert eine Rückkehrentscheidung als behördliche oder richterliche Entscheidung oder Maßnahme, mit welcher der illegale Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen festgestellt und eine Rückkehrverpflichtung auferlegt oder festgestellt wird. Nach nationalem Verständnis erfüllt eine Abschiebungsandrohung gemäß § 59 AufenthG die Funktion einer Rückkehrentscheidung im Sinne der genannten Vorschriften und muss daher die Garantien der Rückführungsrichtlinie beachten. Dahingegen stellt eine Ausweisungsentscheidung nach § 53 Abs. 1 AufenthG keine solche Rückführungsentscheidung dar, da sie lediglich die Legalität des Aufenthalts des Ausländers beendet (§ 51 Abs. 1 Nr. 5 i. V. m. § 50 Abs. 1 AufenthG) und – mittelbar über das nach § 11 Abs. 1 S. 1 AufenthG zwingend anzuordnende Einreise- und Aufenthaltsverbot – eine Verfestigung des Aufenthalts verhindern soll (vgl. BVerwG, Beschluss vom 9. Mai 2019 – 1 C 14.19 –, juris Rn. 30 ff.). Eine Ausweisungsentscheidung fällt damit nicht in den Anwendungsbereich der Rückführungsrichtlinie und muss sich damit nicht unmittelbar an deren Vorgaben messen lassen (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 15. April 2021 – 12 S 2505/20 –, juris Rn. 146).
88 
b) Eine inlandsbezogene Ausweisung ist auch nicht deshalb mit den Vorgaben der Rückführungsrichtlinie unvereinbar, weil sie nach nationalem Recht dazu führt, dass der betroffene Ausländer in einen „Zwischenstatus“ ohne legalen Aufenthalt, aber ohne eine Rückkehrentscheidung fallen könnte.
89 
Nach der zu Art. 6 RFRL ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union müssen die Mitgliedstaaten aufgrund dieser Vorschrift prüfen, ob sie illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen einen Aufenthaltstitel erteilen; tun sie dies nicht, so müssen sie gegen diesen eine Rückkehrentscheidung erlassen. Hieraus folgert der EuGH, dass es dem Gegenstand der Rückführungsrichtlinie als auch dem Wortlaut von Art. 6 RFRL zuwiderläuft, das Bestehen eines Zwischenstatus von Drittstaatsangehörigen zu dulden, die sich ohne Aufenthaltsberechtigung und ohne Aufenthaltstitel im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats befinden und gegebenenfalls einem Einreiseverbot unterliegen, gegen die aber keine wirksame Rückkehrentscheidung mehr besteht. Dies soll auch für solche Drittstaatsangehörige gelten, die sich illegal in einem Mitgliedstaat aufhalten, die aber nicht abgeschoben werden können, weil der Grundsatz der Nichtzurückweisung dem entgegensteht (EuGH, Urteil vom 3. Juni 2021 – C-546/19 „BZ“ –, juris Rn. 55 ff.). Ausgehend hiervon könnte eine Ausweisungsverfügung deshalb mit Art. 6 Abs. 1 RFRL unvereinbar sein, weil sie mittelbar über das nach § 11 Abs. 1 S. 1 AufenthG zwingend anzuordnende Einreise- und Aufenthaltsverbot zu einer Titelerteilungssperre führt (§ 11 Abs. 1 S. 2 AufenthG) und in Fällen, in denen keine Abschiebungsandrohung erlassen wird oder werden kann, dazu führt, dass der Ausländer aufgrund der Titelerteilungssperre sich allenfalls geduldet (§ 60a AufenthG) im Bundesgebiet aufhalten darf (andeutend Fleuß, in: BeckOK Ausländerrecht, 31. Edition 01.07.2021, § 53 AufenthG Rn. 6, siehe hierzu auch Bauer/Hoppe, NVwZ 2021, 1207).
90 
Das Gericht hält es im vorliegenden Fall jedoch nicht für erforderlich, die Vorschrift des § 53 Abs. 1 AufenthG im Hinblick auf die oben geschilderten unionsrechtlichen Maßgaben unangewendet zu lassen. Dies folgt zum einen daraus, dass Art. 6 RFRL die Mitgliedstaaten nicht dazu verpflichtet, illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen einen Aufenthaltstitel zu erteilen, und dies aus kompetenzrechtlichen Gründen auch nicht kann. Die Rückführungsrichtlinie beruht auf Art. 63 Nr. 3 lit. b) EGV, der einwanderungspolitische Maßnahmen in den Bereichen illegale Einwanderung und illegaler Aufenthalt, einschließlich der Rückführung solcher Personen, die sich illegal im Mitgliedstaat aufhalten, vorsieht. Kompetenziell erfasst diese Regelung gesetzgeberische und operative Maßnahmen zur Unterbindung der illegalen Einwanderung ebenso wie inhaltliche Vorgaben zur Beendigung des illegalen Aufenthalts, wenn Drittstaatsangehörige sich unrechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhalten; die Regelungsbefugnis zum illegalen Aufenthalt umfasst auch die Abschiebung und Rückführung. Ausgehend von dieser Kompetenznorm sieht die Rückführungsrichtlinie keine Regelungen zur Ausweisung aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vor (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 15. April 2021 – 12 S 2505/20, juris Rn. 141 ff. m. w. N.). Ebenso ist die Richtlinie nicht auf die Kompetenznorm des Art. 63 Nr. 3 lit. a) EGV (jetzt: Art. 79 Abs. 2 lit. a) AEUV) gestützt, welche unter anderem Regelungen zu materiellen Aufenthaltsrechten ermöglicht (vgl. Thym, in: BeckOK Ausländerrecht, 31. Edition 01.07.2020, Art. 79 AEUV Rn. 9). Mit anderen Worten dürfte die Rückführungsrichtlinie die Mitgliedstaaten nicht zwingen, einem Ausländer in Fällen einer inlandsbezogenen Ausweisung allein deshalb eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, weil er nicht auf absehbare Zeit abgeschoben werden kann (ähnlich Kluth, Die Auswirkungen der Rechtsprechung des EuGH zur EU-Rückführungsrichtlinie auf das Rechtsinstitut der Duldung nach dem Aufenthaltsgesetz, ZAR 2021, 416).
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Zum anderen verlangt der Anwendungsvorrang der einschlägigen Vorschriften der Rückführungsrichtlinie nicht, dass in Fällen einer inlandsbezogenen Ausweisung die Anwendung des § 53 Abs. 1 AufenthG unterbleiben muss. Eine hierfür erforderliche Kollision der nationalen und unionsrechtlichen Vorschriften (ausführlich hierzu Ruffert, in: Calliess/Ruffert, 6. Auflage 2022, Art. 1 AEUV Rn. 22) besteht nicht. Wie sich aus vorstehenden Ausführungen ergibt, führt eine Ausweisung als solche nicht zu Rechtsfolgen, die mit der Rückführungsrichtlinie unvereinbar sind. Im Übrigen – und zwar soweit der Erlass eines nach nationalem Recht zwingend anzuordnenden Einreise- und Aufenthaltsverbots mit unionsrechtlichen Vorgaben nicht zu vereinbaren ist (vgl. EuGH, Urteil vom 3. Juni 2021 – C-546/19 „BZ“ –, juris Rn. 60, siehe unten IV.) – kann die Effektivität der Rückführungsrichtlinie dadurch gewährleistet werden, dass in Fällen einer inlandsbezogenen Ausweisung allein die Vorschrift des § 11 Abs. 1 S. 2 AufenthG unangewendet bleibt.“
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Diesen überzeugenden Ausführungen schließt sich das Gericht nach eingehender eigener Überprüfung vollumfänglich an.
93 
Nach alledem ist die Ausweisungsverfügung in Ziffer 1 des Bescheids vom 06.08.2020 in Gestalt des Ergänzungsbescheids vom 11.03.2022 rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
94 
II. Die mit Ergänzungsbescheid vom 11.03.2022 nachträglich erlassene Abschiebungsandrohung ist dagegen rechtswidrig (so im Ergebnis auch VG Sigmaringen, Urteile vom 16.11.2021 - 4 K 4530/20 - und vom 28.03.2022 - 9 K 2999/20 -).
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Anlass für den vom Beklagten erlassenen Ergänzungsbescheid war die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union - EuGH - (Urteil vom 03.06.2021 - C546/19 „BZ“-, Juris), wonach die RFRL dahingehend auszulegen ist, dass sie der Aufrechterhaltung eines von einem Mitgliedstaat gegen einen Drittstaatsangehörigen verhängten Einreise- und Aufenthaltsverbots entgegensteht, wenn nicht auch eine gegen den Drittstaatsangehörigen gerichtete Rückkehrentscheidung des Mitgliedstaats vorliegt. Um eine Aufhebung des ohne gleichzeitige Rückkehrentscheidung rechtswidrigen Einreise- und Aufenthaltsverbots zu vermeiden, sah sich der Beklagte gezwungen, der Rechtsprechung des EuGH durch den Erlass der nachträglichen Abschiebungsandrohung nachzukommen. Soweit der Beklagte damit argumentiert, dass der EuGH (Urteil vom 03.06.2021 - C-546/19 „BZ“ -, Rn. 59, Juris) und der Generalanwalt (vgl. Schlussanträge des Generalanwalts vom 10.02.2021 in der Rechtssache C-546/19, Rn. 87, Juris) in einer Konstellation wie der hier gegebenen eine Rückkehrentscheidung für zulässig ansehen und darauf verweisen, dass es aus Sicht des Unionsrechts als ausreichend zu erachten sei, die Rückkehrentscheidung „auszusetzen“ (Generalanwalt) bzw. „die Abschiebung [des Drittstaatsangehörigen] in Vollstreckung dieser Entscheidung aufzuschieben“, könnte dies für die europarechtliche Zulässigkeit einer Abschiebungsandrohung sprechen. Allerdings hat der EuGH in seinem ebenfalls zur RFRL ergangenen Urteil vom 14.01.2021 (- C-441/19 -, Rn 80 f., Juris) entschieden, dass eine Abschiebung innerhalb „kürzester Frist“ durchzuführen ist, und eine Rückkehrentscheidung nicht erlassen werden darf, wenn der Betroffene anschließend nicht abgeschoben werden soll.
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Die Kammer lässt ausdrücklich offen, ob die hier ergangene Abschiebungsandrohung mit Europarecht vereinbar ist. Denn die Umsetzung der Rückkehrentscheidung unterliegt dem nationalen Recht des Mitgliedstaats, und die vorliegende Umsetzung des Beklagten ist nach deutschem Recht rechtswidrig.
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Rechtliche Grundlage der angefochtenen Abschiebungsandrohung ist die Vorschrift des § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG. Danach ist eine Abschiebung unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen. Die Abschiebungsandrohung ist nach der Systematik des nationalen Ausländerrechts eine vorbereitende Maßnahme der Verwaltungsvollstreckung und knüpft an die gesetzliche Ausreisepflicht nach § 50 Abs. 1 und 2 AufenthG an. Sie verfolgt den Zweck, den betroffenen Ausländer auf seine Ausreisepflicht hinzuweisen, ihn vor einer möglichen Abschiebung zu warnen und ihm zu ermöglichen, seine persönlichen Angelegenheiten zeitnah zu ordnen und die freiwillige Ausreise vorzubereiten (zum Ganzen: Dollinger, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Auflage 2020, § 59 AufenthG Rn 2 ff.). Eine Abschiebungsandrohung ist daher rechtswidrig, wenn feststeht, dass die zwangsweise Abschiebung ebenso wie eine freiwillige Rückkehr in den bestimmten Zielstaat praktisch auf unabsehbare Zeit unmöglich ist (vgl. Huber/Mantel AufenthG/Gordzielik, 3. Aufl. 2021, AufenthG § 59 Rn 20, unter Verweis auf BVerwG, Urteil vom 10.07.2003 - 1 C 21.02 -, BVerwGE 118, 308).
98 
Hier sind sowohl die gesetzte Ausreisefrist wie auch die Abschiebungsandrohung als solche rechtswidrig.
99 
Die Ausreisefrist, die den Zweck hat, dem Ausländer eine ausreichende Gelegenheit zu freiwilligen Ausreise, zur Einlegung von Rechtsmitteln, zur Geltendmachung von Abschiebungshindernissen und zur „Abwicklung“ seiner persönlichen und beruflichen Lebensverhältnisse zu geben, muss hinreichend klar, d.h. für den Adressaten leicht und eindeutig verstehbar übermittelt werden. Er muss insbesondere erkennen, ab wann er mit einer Abschiebung zu rechnen hat (BeckOK AuslR/Kluth, AufenthG (33. Edition; Stand 01.04.2022), § 59 Rn. 18; GK-AufenthG/Funke-Kaiser, § 59, Rn. 101 f.;
100 
Haedicke, HTK-AuslR / Stand: 25.09.2020 / § 59 AufenthG / zu Abs. 1 / Rn. 27). Diesen Maßgaben wird die vorliegende Ausreisefrist nicht gerecht, denn sie begann mit Bekanntgabe der Abschiebungsandrohung zu laufen, während es - wie noch auszuführen sein wird - völlig offen ist, ob und ggf. wann der Kläger nach Syrien abgeschoben werden kann. Nicht vergleichbar ist die vorliegende Konstellation mit der, in der das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge eine Ausreisefrist von einer Woche ab Bekanntgabe seiner Entscheidung erlassen hat, welche nicht im Einklang mit Unionsrecht steht (vgl. EuGH, Urteil vom 19.06.2018 - C-181/16 „Gnandi“ -, Juris), und das Bundesamt in Reaktion darauf und höchstrichterlich gebilligt (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.02.2020 - 1 C 19.19 -, Juris) die Vollziehung der Abschiebungsandrohung und auch den Lauf der Ausreisefrist bis zur Bekanntgabe der Ablehnung des Eilantrags durch das Verwaltungsgericht ausgesetzt hat bzw. nach wie vor aussetzt. Denn in der „Gnandi-Konstellation“ geht das Bundesamt davon aus, dass eine Abschiebung in den Herkunftsstaat grundsätzlich möglich ist, wobei die Aussetzung nur dazu dient, den Aufenthalt bis zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes zu sichern.
101 
Da die Rechtswidrigkeit der Ausreisefrist nicht zwingend zur Rechtswidrigkeit der Abschiebungsandrohung im Ganzen führt (vgl. BVerwG, Urteil vom 03.04.2001 - 9 C
102 
22.00 -, Juris), ist auch auf die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung einzugehen, welche ebenfalls Rechtsfehler erkennen lässt. Denn die vorliegende Abschiebungsandrohung ist mit dem gesetzlichen Zweck der Abschiebungsandrohung nicht vereinbar. Zwar steht dem Erlass der Androhung das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 59 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nicht entgegen. Sofern allerdings die konkrete Abschiebungsandrohung ihren Zweck, den Kläger zu warnen und ihm ausreichend Zeit für eine freiwillige Ausreise zu gewähren, gleichwohl auf Dauer, jedenfalls auf unabsehbare Zeit nicht erfüllen kann, ergibt eine Abschiebungsandrohung keinen Sinn und ist ausschließlich geeignet, die Betroffenen in Verwirrung zu stürzen. In solchen Fällen ist die Vorschrift teleologisch zu reduzieren, und es ist vom Erlass einer Abschiebungsandrohung abzusehen (GK-AufenthG/Funke-Kaiser, § 59, Rn. 60).
103 
So liegt der Fall hier. Nach Auffassung des Gerichts kann derzeit nicht hinreichend sicher prognostiziert werden, ob und ggf. wann das zugunsten des Klägers vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge festgestellte und auf § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK gestützte Abschiebungsverbot hinsichtlich Syrien widerrufen werden wird. An die im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung wirksame Feststellung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge ist die Ausländerbehörde gemäß § 42 Satz 1 AsylG derzeit gebunden. Das Gericht verkennt nicht, dass das Regierungspräsidium Tübingen in seinem Ergänzungsbescheid vom 11.03.2022 substantiiert zur Lage in Syrien ausführt und darlegt, dass die Lage in der Hauptstadt Damaskus und in der Küstenregion von Tartus (S. 6 f.) sich zwischenzeitlich soweit gebessert habe, dass diese beiden Regionen nicht mehr als generell unsicher einzustufen seien. Nicht dargelegt und auch im Übrigen nicht ersichtlich ist hingegen, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge diese Rechtsauffassung teilt. Auch unabhängig von der bindenden Feststellung des Bundesamts ist nach Auffassung des Gerichts die Situation in Syrien nach wie vor zu volatil ist, als dass diesbezüglich hinreichend belastbare Prognosen für die nähere Zukunft getroffen werden könnten. Damit unterscheidet sich die vorliegende Konstellation von der bereits erwähnten, vom Bundesamt praktizierten Aussetzung der Vollziehung der Abschiebungsandrohung, in der der Zeitpunkt des Endes der Aussetzung der Vollziehung (Bekanntgabe der Ablehnung des Eilantrags durch das Verwaltungsgericht) von Fall zu Fall und von Gericht zu Gericht zwar ebenfalls gewissen zeitlichen Schwankungen unterliegen mag, insgesamt jedoch hinreichend absehbar ist.
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Im Übrigen begegnet auch rechtlichen Bedenken, dass hier derselbe Staat (Syrien) zugleich als Zielstaat der Abschiebung (vgl. § 59 Abs. 2 Satz 1 AufenthG) und als Staat, in den nicht abgeschoben werden darf (vgl. § 59 Abs. 3 Satz 2 AufenthG) benannt wird. Auch dies ist geeignet, den Betroffenen in Verwirrung zu stürzen. Jedenfalls die Zielstaatsbezeichnung Syrien ist im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung rechtswidrig und aufzuheben, da diesbezüglich ein Abschiebungsverbot (mit der dargelegten Bindungswirkung des § 42 Satz 1 AsylG) besteht (vgl. BVerwG, Urteil vom 11.09.2007 - 10 C 8.07 -, Rn. 18, Juris). Ein anderer Zielstaat der Ausreise oder Abschiebung ist weder ersichtlich noch vom Beklagten vorgetragen worden. Es kann dahingestellt bleiben, ob eine isolierte Aufhebung der Zielstaatsbezeichnung schon deshalb ausscheidet, weil die verbleibende Abschiebungsandrohung ohne Zielstaatsbezeichnung mit der RFRL unvereinbar wäre (vgl. VG Freiburg, Urteil vom 13.04.2022 - 7 K 2089/20 -, Rn. 41 ff., Juris). Jedenfalls verbliebe im Falle einer isolierten Aufhebung der Zielstaatsbezeichnung im vorliegenden Fall lediglich eine Abschiebungsandrohung, die – wie oben ausgeführt - auf unabsehbare Zeit nicht vollzogen werden und ihren Zweck nicht erfüllen kann. Daher ist hier die Abschiebungsandrohung insgesamt aufzuheben.
105 
III. Da es somit an einer Rückkehrentscheidung in Form einer Abschiebungsandrohung gegen den Kläger fehlt, verstößt das mit Ziffer 2 des Bescheids vom 06.08.2020 in Gestalt des Ergänzungsbescheids vom 11.03.2022 verfügte Einreise- und Aufenthaltsverbot nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (Urteil vom 03.06.2021 - C-546/19 „BZ“ -, a.a.O.) gegen Unionsrecht und ist somit aufzuheben.
106 
IV. Die Ablehnung des Antrags auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis in Ziffer 3 des angefochtenen Bescheids des Regierungspräsidiums Tübingen vom 06.08.2020 in Gestalt des Ergänzungsbescheids vom 11.03.2022 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 VwGO. Er hat zum maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis.
107 
Unabhängig davon, auf welche konkrete Anspruchsgrundlage er sich beruft – in Betracht käme aufgrund des zu seinen Gunsten festgestellten Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK insbesondere die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis auf Grundlage des § 25 Abs. 3 S. 1 AufenthG oder auf Grundlage des § 25
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Abs. 5 S. 1 AufenthG sowie ggf. die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG –, steht einem Anspruch entgegen, dass die allgemeinen Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AufenthG vorliegend nicht erfüllt sind. Mangels Erwerbstätigkeit fehlt es bereits an der Sicherung des Lebensunterhalts des Klägers. Außerdem liegt ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse vor (siehe oben), das der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis entgegensteht. Angesichts der angenommenen Wiederholungsgefahr und den allenfalls schwach ausgeprägten Bleibeinteressen bestehen auch keine Anhaltspunkte für einen vom Regelfall abweichenden Sachverhalt (zu den hier zu berücksichtigenden Umständen vgl. BVerwG, Urteil vom 12.07.2018 - 1 C 16.17 -, Rn. 15, Juris m.w.N.). Zusätzlich dürften auch die
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Ausschlussgründe des § 25 Abs. 3 S. 3 Nr. 2 und Nr. 4 AufenthG vorliegen, deren Voraussetzungen mit denen des § 53 Abs. 3a AufenthG vergleichbar sind und zu denen sich das Gericht bereits oben geäußert hat. Dass die Ausschlussgründe des § 25 Abs. 3 S. 3 Nr. 2 und Nr. 4 AufenthG erfüllt sind, steht auch der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG entgegen, da die Spezialität des § 25 Abs. 3 AufenthG nicht dadurch unterlaufen werden darf, dass auf das allgemeine Gesetz zurückgegriffen wird (vgl. Zeitler, HTK-AusIR (Stand: 20.03.2022) / § 25 AufenthG / Abs. 5 / Rn. 23).
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Nach alledem hat die Klage im tenorierten Umfang Erfolg.
111 
V. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 S. 1 VwGO. Danach sind die Kosten verhältnismäßig zu teilen, wenn ein Beteiligter teils obsiegt, teils unterliegt. Der Kläger unterliegt, soweit er sich gegen die Ausweisung und die Ablehnung seines Antrags auf Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis wehrt. Der Beklagte unterliegt in Bezug auf die von ihm verfügte Abschiebungsandrohung und das Einreise- und Aufenthaltsverbot. Der Kläger erreicht nicht sein vorrangiges Ziel, seinen Aufenthalt im Bundesgebiet dauerhaft zu legalisieren. Andererseits kann er sich mit Erfolg gegen Anordnungen zur Wehr setzen, die eine Beendigung und Verfestigung seines Aufenthalts verhindern sollten. Angesichts dieser Interessenlage hält das Gericht eine Kostenaufhebung für angemessen.
112 
VI. Die Berufung ist wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen, § 124a Abs. 1 S. 1
113 
i. V. m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.
114 
Eine Sache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn mit ihr eine grundsätzliche, bisher höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht beantwortete Rechtsfrage oder eine im Bereich der Tatsachenfeststellungen bisher obergerichtlich nicht geklärte Frage von allgemeiner Bedeutung aufgeworfen wird, die sich in dem erstrebten Berufungsverfahren stellen würde und im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts berufungsgerichtlicher Klärung bedarf (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 19.10.2005 - 12 S 1558/05 -, Rn. 11, Juris).
115 
Das ist hier der Fall. Die entscheidungserhebliche Frage, ob und inwieweit inlandsbezogene Ausweisungen europarechtskonform verfügt werden können, ist vor dem Hintergrund der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 03.06.2021 in der Sache C-546/19 „BZ“ bislang ungeklärt und stellt sich in einer Vielzahl weiterer vergleichbarer Fälle, insbesondere bei syrischen Staatsangehörigen, die sich nach derzeitiger Rechtspraxis zumindest auf Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 AufenthG berufen können und auf absehbare Zeit faktisch nicht abgeschoben werden können. Ebenso ist ungeklärt, ob eine Abschiebungsandrohung erlassen werden kann, wenn der betreffende Ausländer zum maßgeblichen Zeitpunkt (und auf unabsehbare Zeit) aufgrund eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG in den einzigen realistischerweise in Betracht kommenden Staat nicht abgeschoben werden kann.

Gründe

 
40 
Die zulässige Anfechtungs- und Verpflichtungsklage hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Der Kläger setzt sich ohne Erfolg gegen seine Ausweisung (dazu I.) und die Ablehnung seines Antrags auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis (IV.) zur Wehr. Dagegen erweist sich die (nachträglich) verfügte Abschiebungsandrohung (dazu II.) und die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots (III.) als rechtswidrig und sind daher aufzuheben.
41 
I. Die in Ziffer 1 des angefochtenen Bescheids des Regierungspräsidiums Tübingen vom 06.08.2020 in Gestalt dessen Ergänzungsbescheids vom 11.03.2022 enthaltene Verfügung, wonach der Kläger aus dem Bundesgebiet ausgewiesen wird, ist zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (s. nur BVerwG, Urteil vom 15.11.2007 – 1 C 45.06 –, Rn. 13; Urteil vom 27.07.2017 – 1 C 28.16 –, Rn. 16, jeweils Juris) rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO.
42 
Ermächtigungsgrundlage dieser Anordnung ist § 53 Abs. 1 AufenthG. Nach dieser Vorschrift wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Bei der Abwägung sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen (§ 53 Abs. 2 AufenthG).
43 
Die vom Regierungspräsidium Tübingen verfügte Ausweisung des Klägers ist mit diesen gesetzlichen Vorgaben vereinbar. Der Kläger stellt eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung dar (dazu 1.). Den durch ihn verwirklichten Ausweisungsinteressen stehen allenfalls schwache Bleibeinteressen gegenüber (dazu 2.), sodass sich die Ausweisung auch nach Abwägung aller Umstände des Einzelfalls als verhältnismäßig erweist (dazu 3.). Der besondere Ausweisungsschutz nach § 53 Abs. 3a AufenthG steht der Ausweisung nicht entgegen (dazu 4.). Die Ausweisung ist schließlich mit unionsrechtlichen Vorgaben vereinbar (dazu 5.).
44 
1. Die vom Kläger begangenen erheblichen Straftaten, seine damit zum Ausdruck gekommene Persönlichkeit und seine sonstigen prägenden persönlichen Umstände lassen befürchten, dass er auch in Zukunft erhebliche Straftaten begehen wird.
45 
a) Nach den im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht entwickelten Grundsätzen liegt eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne des § 53 Abs. 1 AufenthG vor, wenn mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch die weitere Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet ein Schaden an einem der betroffenen Schutzgüter eintreten wird (BVerwG, Urteil vom 22.02.2017 - 1 C 3.16 - Rn. 23, Juris). An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist
46 
(vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 04.10.2012 - 1 C 13.11 -, Juris). Bei der Prüfung der Wiederholungsgefahr haben die Verwaltungsgerichte bei spezialpräventiven Ausweisungsentscheidungen eine eigenständige Prognose zu treffen (vgl. BVerwG, Urteil vom 15.01.2013 - 1 C 10.12 - Rn. 18, Juris). Bei dieser Prognoseentscheidung sind die besonderen Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung und das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts, aber auch die Persönlichkeit des Täters, seine Entwicklung und Lebensumstände (BVerwG, Beschluss vom 16.11.2000 - 9 C 6.00 - Rn. 16, Juris). Dabei gelten nicht an Resozialisierungsgesichtspunkten, sondern an strengeren Kriterien orientierte und darüber hinaus eine längerfristige Gefahrenprognose erfordernde gefahrenabwehrrechtliche Maßstäbe (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 11.04.2016 - 11 S 393/16 -, Juris; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 17.07.2008 - 18 A 1145/07 -, Juris).
47 
b) Der Kläger hat Ausweisungsinteressen nach § 54 AufenthG verwirklicht, die einen
48 
Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung indizieren. Der in der Nacht vom 18.03. auf den 19.03.2018 verübte Brandanschlag, aufgrund dessen der Kläger zu einer Jugendstrafe von 3 Jahren verurteilt wurde, begründet ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse gemäß § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG.
49 
c) Das Gericht hat die Überzeugung gewonnen, dass vom Kläger eine Wiederholungsgefahr für die Begehung vergleichbar schwerer Straftaten ausgeht.
50 
aa) Nach der jüngsten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Stattgebender Kammerbeschluss vom 06.12.2021 - 2 BvR 860/21 -, Juris) kommt der Entscheidung des Amtsgerichts Adelsheim (Beschluss vom 16.04.2020 - 1 VRJs 588/19 -), die Vollstreckung der Restjugendstrafe des Klägers ab diesem Termin zur Bewährung auszusetzen, Indizwirkung dahingehend zu, dass vom Kläger keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mehr ausgeht. Sofern die Verwaltungsgerichte, die an die tatsächlichen Feststellungen und Beurteilungen des Strafgerichts rechtlich nicht gebunden sind, im Rahmen der ihnen obliegenden aufenthaltsrechtlichen Prognose, insbesondere mit Blick auf den unterschiedlichen Gesetzeszweck des Ausländerrechts, zu einer von dieser Indizwirkung abweichenden Einschätzung der Wiederholungsgefahr kommen, bedarf es hierfür einer substantiierten, das heißt eigenständigen Begründung. Solche Gründe können zum Beispiel dann gegeben sein, wenn der Ausländerbehörde umfassenderes Tatsachenmaterial zur Verfügung steht, das genügend zuverlässig eine andere Einschätzung der Wiederholungsgefahr erlaubt (BVerfG, a.a.O., Rn. 19, Juris m.w.N.).
51 
bb) Auch unter Zugrundelegung dieser Maßgaben geht das Gericht von einer vom Kläger ausgehenden Wiederholungsgefahr aus.
52 
(1) Aus dem Umstand, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Begehung der Straftat zwischen 18 und 21 Jahre alt und somit Heranwachsender (vgl. § 1 Abs. 2 Var. 2 JGG) war und dass das Landgericht Ulm gemäß § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG die für einen Jugendlichen geltenden Vorschriften auf ihn angewendet hat, folgen diesbezüglich keine abweichenden rechtlichen Maßstäbe. Zwar richtete sich die vom Amtsgericht Adelsheim angestellte Prognose nicht - wie bei einem Erwachsenen - nach § 57 Abs. 1 Satz 2 StGB, sondern nach § 88 Abs. 1 JGG. Hieraus folgt jedoch keine grundlegende Unterscheidung hinsichtlich des Prognosemaßstabs (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 11.01.2018 - StB 33/17 -, Juris). Ungeachtet von Differenzen im Einzelnen verlangt die in beiden Vorschriften enthaltene Verantwortbarkeitsklausel eine Wahrscheinlichkeitsprognose für eine Legalbewährung in Freiheit, wobei die Anforderungen an die Aussicht auf künftige Straffreiheit umso höher anzusetzen sind, je schwerer die in Betracht kommenden Taten wiegen (BGH, a.a.O., Rn. 4 m.w.N.).
53 
(2) Für eine Wiederholungsgefahr spricht wesentlich die Verurteilung des Klägers durch das Landgericht Ulm und die der Verurteilung zugrunde liegende Tat. Bereits aus dem beträchtlichen Strafmaß der verhängten Freiheitsstrafe von drei Jahren Jugendstrafe ergibt sich indiziell, dass der Kläger eine besonders schwerwiegende Straftat begangen hat. Mord wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft (§ 211 Abs. 1, Abs. 2 2. Gruppe, 1. Alt., 2. Gruppe, 3. Alt. StGB), wobei der Versuch nach § 23 Abs. 2 StGB milder bestraft werden kann als die vollendete Tat. Schwere Brandstiftung stellt ebenfalls ein Verbrechen dar und wird mit Freiheitsstrafe von nicht unter einem Jahr bestraft (§ 306a Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB), wobei der Versuch wiederum nach § 23 Abs. 2 StGB milder bestraft werden kann als die vollendete Tat. Ebenso wiegt die Tat unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls schwer. Die Tat hatte ein sehr hohes Gefährdungspotenzial, da sie nachts (Tatzeitpunkt: 02:53 Uhr) verübt wurde, sodass die im 4. Obergeschoss bzw. im Dachgeschoss des Geschäftshauses schlafenden Personen auf ein durch den Kläger und seine Mittäter in den darunter liegenden Geschossen verursachtes Feuer nur verzögert sowie unter erschwerten Umständen hätten reagieren und das Gebäude insbesondere nur schwerlich hätten verlassen können. Damit, dass das Gebäude bewohnt ist, rechnete insbesondere der Kläger, der in Ulm ortskundig ist und dem das Gebäude bekannt war. Wer und wie viele Personen sich dort aufhielten, war dem Kläger - entsprechend der Feststellungen des Landgerichts Ulm - nicht klar, es war ihm jedoch egal. Dass nur der S. einen Molotow-Cocktail entzündete und auf das Gebäude warf, der jedoch an der Fensterscheibe abprallte, ohne diese zu durchschlagen, dass der Kläger und S. daraufhin vom Tatort flüchteten, ohne ihre weiteren (fünf) Molotow-Cocktails einzusetzen sowie dass der verursachte Brand bald gelöscht werden konnte, ohne dass größere Personen- oder Sachschäden entstanden, entlastet den Kläger kaum. Denn dass der Molotow-Cocktail die Fensterscheibe nicht durchschlug, war vom Kläger und seinem Mittäter nicht beabsichtigt, und da sie nach dem erfolglosen ersten Wurf vom Tatort flohen, unternahmen sie jedenfalls keine Versuche, die Folgen ihrer Tat abzumildern, sodass auch das Landgericht Ulm dieses Verhalten nicht als Rücktritt nach § 24 StGB wertete. Die Tat stellte zudem keineswegs eine Spontantat dar. Denn K., der Anführer der Gruppe und Kopf hinter der Tat, eröffnete dem Kläger und den weiteren Mitgliedern der Gruppe bereits am
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Nachmittag der Tat in seiner Wohnung, dass Molotow-Cocktails hergestellt und ein Brandanschlag auf ein türkisches Gebäude verübt werden sollte. Als der Kläger und die weiteren Mitglieder der Gruppe wegen der Vorkommnisse am Ulmer Hauptbahnhof in polizeilichen Gewahrsam genommen wurden, bot sich ihnen zudem die Gelegenheit, von diesem Vorhaben Abstand zu nehmen. Als K. der Gruppe nach der Entlassung aus dem Polizeigewahrsam um 23:30 Uhr eröffnete, dass eine türkische Einrichtung, also ein Gebäude, abgebrannt werden sollte, erklärte sich der Kläger - anders als zwei Mitglieder der Gruppe, die sich von der weiteren Durchführung des Vorhabens distanzierten - hierzu bereit. Auch im weiteren Verlauf blieb dem Kläger Zeit, Abstand von dem Vorhaben zu nehmen, denn der Kläger und seine beiden Mittäter fuhren zunächst zur Wohnung des K., bereiteten dort die Molotow-Cocktails vor und begaben sich sodann auf den Fußweg zum Tatort, wobei die Männer noch zweimal anhielten, um mit den Farbspraydosen politische Parolen anzubringen. Am Tatobjekt angekommen, erkundeten die Männer weiter die Umgebung, bevor es um 02:53 Uhr zur Tatbegehung kam. Dabei verfolgte nicht nur K. als Kopf der Gruppe, sondern auch der Kläger die politische Überzeugung, ein Zeichen bzw. ein Fanal gegen das Vorgehen der Türkei in Afrin zu setzen. Dies ergibt sich insbesondere aus den politischen Parolen, welche der Kläger und seine beiden Mittäter an zwei Orten sprayten und welche sich gegen den türkischen Präsidenten Erdogan und für die PKK und die YPG, den bewaffneten Arm der kurdischen Partei, richteten. Weiter filmten sich der Kläger und seine beiden Mittäter auf dem Weg zum Tatort, und der Kläger gab hierbei auf die Frage von S., wo er jetzt hingehe, an, er werde den Glauben der Türken „ficken“. Hierfür spricht auch, dass der Kläger im Vorfeld der Tat verschiedene kurdische Veranstaltungen besuchte, wo er seinen Angaben zufolge auch seine Mittäter kennenlernte, und insbesondere noch am Abend des 17.03.2018 am Ulmer Hauptbahnhof demonstrierte.
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(3) Die Situation in Syrien und insbesondere in der Gegend um Afrin, woher der Kläger stammt, die den Kläger nachvollziehbarerweise in Sorge um seine Familie versetzte, hat sich auch nicht derart verändert, dass zur Sorge des Klägers kein berechtigter Grund mehr bestünde. Zwar ist der Vater des Klägers nach dessen Angaben mittlerweile verstorben, seine Mutter lebt allerdings nach wie vor in Afrin, und auch ein Bruder und eine Schwester des Klägers leben mittlerweile wieder dort. Die Bombardierung von Afrin durch die türkische Luftwaffe, die der Tat als Auslöser zugrunde lag, besteht aktuell zwar nicht fort, diese oder eine andere Gefahr für die Familienmitglieder des Klägers dort kann nach Ansicht der Kammer jedoch jederzeit bzw. jedenfalls in absehbarer Zeit wieder entstehen, da sich die Lage dort im Speziellen bzw. in Syrien allgemein keineswegs soweit stabilisiert hat, dass dies vernünftigerweise als ausgeschlossen zu erachten wäre.
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(4) Auch der Kläger hat sich nach Ansicht der Kammer nicht derart stabilisiert, dass er auf eine erneute Gefahr für seine in Syrien bzw. Afrin lebenden Familienmitglieder nicht wieder in ähnlicher Weise reagieren würde.
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Soweit der Kläger die erneute Begehung einer ähnlichen Tat kategorisch ausgeschlossen hat, hält das Gericht seine Angaben für wenig überzeugend. Diesbezüglich ist zunächst zu berücksichtigen, dass der Kläger weiterhin nicht in vollem Umfang zu seinem Tatbeitrag steht. So hat der Kläger noch bei seiner polizeilichen Vernehmung am 28.03.2019 eingeräumt, dass es ihr Ziel gewesen sei, die Brandsätze durch das Fenster zu werfen und die Teestube zu verbrennen (Urteil des Landgerichts Ulm, S. 34). In der mündlichen Verhandlung behauptete der Kläger hingegen - wie wohl auch schon in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht Ulm -, dass sie ursprünglich allein auf ein Schild, auf dem sich eine türkische Fahne befinde, hätten werfen wollen. Daran seien sie jedoch gehindert worden, da sich dort eine Überwachungskamera befunden habe, und sie hätten sodann stattdessen auf das Fenster geworfen. Diese Einlassung wertet das Gericht als reine Schutzbehauptung. Um ein in einer Höhe von 6,30 m angebrachtes, ca. 3 Meter breites und 70 cm hohes Schild zu treffen, stellt sich ein Molotow-Cocktail als Tatmittel bereits als völlig ungeeignet dar, zumal die Gefahr besteht, sich bei dem Angriff selbst zu verletzen. Zudem lässt sich das Ziel des Brandanschlags, Aufmerksamkeit zu erregen und somit die Luftangriffe der türkischen Luftwaffe auf Afrin in den öffentlichen Fokus zu bringen, nicht mit einem Brandanschlag auf ein Schild vereinbaren, der - selbst bei erfolgreicher Durchführung - keinerlei öffentliche Reaktion provozieren würde. Zwar ist es nachvollziehbar, dass der Kläger - wie von ihm geäußert - nicht erneut inhaftiert sein möchte. Allerdings ist der Kläger in der von ihm geäußerten Distanzierung von der Tat bzw. seiner damaligen politischen Überzeugung nach Ansicht des Gerichts hauptsächlich dadurch motiviert, eine weitere Inhaftierung um seiner selbst willen zu vermeiden, um nicht sein persönliches Wohlergehen und sein ausländerrechtliches und berufliches Fortkommen in der Bundesrepublik Deutschland erneut zu gefährden bzw. zu schädigen. Eine hinreichende Auseinandersetzung mit sowie eine glaubhafte Distanzierung von seiner damaligen politischen Überzeugung hat der Kläger nach Ansicht der Kammer in der mündlichen Verhandlung hingegen vermissen lassen. Soweit der Kläger ausweislich des Vollstreckungshefts (vgl. etwa Bericht der JVA Adelsheim (Hauskonferenz G2) vom
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13.01.2020) während seiner Inhaftierung zur Tatauseinandersetzung und -aufarbeitung mit dem zuständigen psychologischen Dienst in Kontakt stand und nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung seit seiner Haftentlassung und nach wie vor regelmäßige Termine beim Kompetenzzentrum gegen Extremismus in Baden-Württemberg (Konex) wahrnimmt, haben diese Gespräche - deren Verlauf und Inhalt dem Gericht nicht bekannt sind - diesbezüglich nach Ansicht des Gerichts keinen dauerhaften Eindruck beim Kläger hinterlassen. Denn der Kläger hat nicht ausdrücklich erkennen lassen, dass er seine Tat auch um der Opfer willen bedauert. Der Kläger äußerte - wie ausgeführt - zwar mehrfach, dass er sich nicht erneut in eine solche Lage bringen wolle. Auf die Menschen, die sich im Zeitpunkt der Tatbegehung im Tatobjekt aufhielten, kam er jedoch zu keinem Zeitpunkt von sich aus zu sprechen. Angesprochen darauf, ob er sich bei diesen entschuldigt habe, verneinte der Kläger dies mit der lapidaren Begründung, er wisse nicht, wo diese wohnten, er traue sich nicht bzw. er befürchte, dann Probleme mit diesen zu bekommen. Auch wenn der Kläger selbst es momentan unter allen Umständen vermeiden will, erneut inhaftiert zu werden, sieht das Gericht gleichwohl die Gefahr, dass er sich erneut von Dritten zu entsprechenden Straftaten verleiten lässt.
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Die vom Kläger geäußerte Strategie, mit der er verhindern will, erneut mit der kurdischen Sache in Deutschland, kurdischen Aktivisten bzw. einer mit der Zeit vor der Tatbegehung vergleichbaren Gefährdungslage in Kontakt zu kommen, überzeugt das Gericht nicht. Der Kläger beließ es bei dem pauschalen Hinweis, er interessiere sich nicht mehr für Politik, und bei einem erneuten Angriff auf Afrin würde er nicht demonstrieren gehen bzw. er sperre sich dann ein oder unternehme etwas mit der Familie. Aus den vorherigen Ausführungen folgt auch, dass der Kläger, der bei Tatbegehung sehr jung war und der sich nach den überzeugenden Ausführungen des Landgerichts Ulm zu einem gewissen Grad von K., dem Kopf der Gruppe, in die Tat hat verstricken lassen, keinen derart starken Reifeprozess durchgemacht hat, dass davon auszugehen wäre, dass er künftig etwaigen Verführungen widerstehen könnte. Der Kläger hat diesbezüglich in der mündlichen Verhandlung weiter lediglich angegeben, dass er auf eine vergleichbare Aufforderung zur Tatbegehung durch andere nun entgegnen würde, dass sie das ohne ihn tun sollten. Die vom Kläger geltend gemachte Distanzierung von seinen vormaligen politischen Ansichten und seinem diesbezüglichen Umfeld lässt sich zudem schwerlich damit in Einklang bringen, dass er weiterhin Kontakt zu seinen Mittätern hält, zumal der Kläger diesen Kontakt in der mündlichen Verhandlung nur Stück für Stück einräumte. Das Gericht hat zwar keine Veranlassung zur Annahme, dass der Kläger Kontakt zu den Mittätern K. und S. O. hat. Denn die Tatsachen, die das Regierungspräsidium Tübingen seinem Bescheid vom 11.03.2022 zugrunde legte, sind nicht mehr hinreichend aktuell, und weitere diesbezügliche Anhaltspunkte konnte der Beklagte nicht darlegen und ergaben sich auch aus der informatorischen Anhörung des Klägers nicht. Allerdings hat der Kläger weiterhin Kontakt zu seinem Mittäter S. Nachdem der Kläger zunächst nur eingeräumt hatte, mit diesem weiterhin Kontakt zu haben, räumte er schließlich ein, dass S. seit ihrer gemeinsamen Zeit in Adelsheim sein bester Freund sei. Dieser Umstand erlangt nach Ansicht der Kammer jedenfalls deshalb Bedeutung, weil der Kläger auch in Bezug auf S. nicht darlegen konnte, dass dieser Kontakt nicht erneut zu einer mit der der Tat vom 19.03.2018 zugrunde liegenden Konfliktlage vergleichbaren Situation führen könnte. Zwar hat der Kläger angeführt, dass auch S. seinen Tatbeitrag bereue und seinen Fehler erkannt habe. Nur deshalb stehe er noch in Kontakt mit ihm. Auch die diesbezüglichen Ausführungen des Klägers stellten sich jedoch als pauschal dar und ließen eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Tat vermissen. Aus den Angaben des Klägers ergab sich in keiner Weise, dass die Aufarbeitung ein Thema zwischen ihm und S. sei, und der Kläger räumte zudem auch ein, dass S. im Gegensatz zu ihm nicht auf das freiwillige Gesprächsangebot von Konex eingegangen sei.
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(5) Etwas Anderes folgt auch nicht aus dem Verhalten des Klägers in Haft, wie es sich aus dem Vollstreckungsheft ergibt, aus den Stellungnahmen der Bewährungs- und
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Gerichtshilfe und den Ausführungen des Amtsgerichts Adelsheim im Beschluss vom
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16.04.2020 - 1 VRJs 588/19 -.
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Soweit der Kläger in der JVA Adelsheim erfolgreich die Hauptschule beendet hat, es potentielle Arbeitgeber gibt, die den Kläger (wieder) beschäftigen möchten und er während seiner Haftzeit sowie im Anschluss Kontakt mit seiner Schwester und deren Familie gehalten hat, bei der er nach wie vor lebt, stellt dies nach Ansicht des Gerichts keine hinreichend gesicherte Lebenssituation dar, die den Kläger von der Begehung weiterer Straftaten abhalten könnte. Denn der Kläger besuchte bereits im Zeitpunkt der Tatbegehung die Hauptschule, hatte bereits einen Ausbildungsvertrag für eine Ausbildung bei einer Schreinerei ab September 2018 unterschrieben und wohnte auch damals bei seiner Schwester und deren Familie. Soweit in dem Bericht über den bisherigen Vollzugsverlauf der JVA Adelsheim vom 13.01.2020 eine Stellungnahme des hausinternen psychologischen Dienstes wiedergegeben wird, folgt das Gericht dieser Einschätzung - entsprechend der obigen Ausführungen - nicht. Das Gericht sieht in der Tatbegehung deutliche Hinweise für eine extremistische politische Einstellung, die - wie ausgeführt - bei Entstehen einer neuerlichen akuten Gefährdungslage für die Familienangehörigen des Klägers in Syrien mit hinreichender Wahrscheinlichkeit erneut auftreten wird.
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Das Gericht erachtet es - wie dargelegt - für geboten, von der Indizwirkung des Beschlusses des Amtsgerichts Adelsheim vom 16.04.2020 abzuweichen. Die sehr knappen Ausführungen des Amtsgerichts Adelsheim betreffen allein die strafrechtliche Prognose der Legalbewährung und stehen der vom Gericht getroffenen öffentlichrechtlichen Gefahrenprognose somit nicht per se entgegen.
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2. Da das Gericht die nachträgliche Abschiebungsandrohung - wie noch auszuführen sein wird - für rechtswidrig erachtet, sind Bleibeinteressen im engeren Wortsinne (des § 54 AufenthG) nicht zu berücksichtigen. Dies folgt daraus, dass auf absehbare Zeit keine Aufenthaltsbeendigung möglich ist, weil ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK besteht und eine Beeinträchtigung möglicher Bleibeinteressen daher nicht konkret droht (vgl. BVerwG, Urteil vom 09.05.2019 - 1 C 21.18 -, Rn. 28, Juris). In der Folge ist - da es sich nach Aufhebung der Abschiebungsandrohung faktisch um eine inlandsbezogene Ausweisung handelt - nur das Interesse des Klägers zu berücksichtigen, ausländerrechtliche Folgewirkungen der Ausweisung zu vermeiden, etwa Aufenthaltsbeschränkungen und Meldeauflagen (vgl. § 56 AufenthG; vgl. hierzu VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 15.04.2021 - 12 S 2505/20 -, Rn. 130,
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Juris).
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Selbst wenn - trotz der Rechtswidrigkeit der nachträglichen Abschiebungsandrohung - eine fiktive Ausreise des Klägers unterstellt und Bleibeinteressen im engeren Wortsinne berücksichtigt würden (so VG Sigmaringen, Urteile vom 16.11.2021 - 4 K 4530/20 - und vom 28.03.2022 - 9 K 2999/20 -), könnte der Kläger sich allenfalls auf schwach ausgeprägte, nicht vertypte Bleibeinteressen berufen. Gesetzlich normierte Tatbestände des § 55 AufenthG liegen nicht vor. Die erstmals am 30.08.2016 erteilte Aufenthaltserlaubnis ist mit Ablauf des 12.05.2020 erloschen, und ein Anspruch auf Verlängerung besteht - wie noch darzulegen sein wird - nicht, sodass der volljährige Kläger sich zum maßgeblichen Zeitpunkt des Ergehens der Ausweisungsentscheidung (vgl. BVerwG, Urteil vom 15.11.2007 - 1 C 45.06 -, Rn. 24, Juris) nicht auf den „Besitz“ einer Aufenthaltserlaubnis berufen konnte. Familiäre Beziehungen weist er lediglich zu seiner Schwester, bei der er derzeit lebt, sowie zu seinem in Düsseldorf wohnenden Bruder auf. Eine verfestigte wirtschaftliche Integration ist dem ledigen und kinderlosen Kläger, der zwar über einen abgeschlossenen Hauptschulabschluss verfügt, aber keine Ausbildung abgeschlossen hat und derzeit in keinem Beschäftigungsverhältnis steht, bislang nicht gelungen.
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3. Die gebotene Abwägung der betroffenen Ausweisungs- und Bleibeinteressen fällt - auch unter Anwendung des für den Kläger günstigsten Maßstabs - vorliegend zulasten des Klägers aus.
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a) § 53 Abs. 1 AufenthG verlangt ein Überwiegen des Interesses an der Ausreise, das unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles im Rahmen einer umfassenden Verhältnismäßigkeitsprüfung festzustellen ist, wobei in die hierbei vorzunehmende
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Abwägung des Interesses an der Ausreise mit dem Bleibeinteresse die in § 53 Abs. 2 AufenthG niedergelegten Umstände in wertender Gesamtbetrachtung einzubeziehen sind. Insbesondere ist der Frage nachzugehen, ob und in welchem Maße die konkreten Umstände des Einzelfalles von vertypten gesetzlichen Wertungen abweichen. Sind im konkreten Fall keine Gründe – etwa auch solche rechtlicher Art – ersichtlich, die den gesetzlichen Wertungen der §§ 54, 55 AufenthG entgegenstehen, wird regelmäßig kein Anlass bestehen, diese Wertungen einzelfallbezogen zu korrigieren. Eine schematische und alleine den gesetzlichen Typisierungen und Gewichtungen verhaftete Betrachtungsweise, die einer umfassenden Bewertung der den Fall prägenden Umstände, jeweils entsprechend deren konkreten Gewicht, zuwiderlaufen würde, verbietet sich ebenso wie eine „mathematische" Abwägung im Sinne eines bloßen Abzählens von Umständen, die das Ausweisungsinteresse einerseits und das Bleibeinteresse andererseits begründen (vgl. VGH Baden–Württemberg, Beschluss vom
71 
11.04.2016 - 11 S 393/16 - Rn. 30; Urteil vom 13.01.2016 - 11 S 889/15 - Rn. 142, jeweils Juris). In die Abwägung sollen insbesondere folgende vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 8 EMRK entwickelten, nicht abschließenden, Kriterien einbezogen werden: Art und Schwere der Straftat, Dauer des Aufenthalts im Gastland, seit der Tatzeit verstrichene Zeitspanne und Verhalten des Ausländers in dieser Zeit, Staatsangehörigkeit der Betroffenen, familiäre Situation und Dauer einer etwaigen Ehe, etwaige Kenntnis des Ehegatten von der Straftat bei Aufnahme der Beziehung, etwaige aus der Ehe hervorgegangene Kinder, ihr Alter und das Maß an Schwierigkeiten, denen der Ehegatte und/oder die Kinder im Abschiebezielland begegnen können, sowie die Festigkeit der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen zum Gastland und zum Abschiebezielland (vgl. BT–Drs. 18/4097, S. 49 f.;
72 
EGMR, Urteil vom 02.08.2001 - 54273/00 -, InfAuslR 2001, 476, Urteil vom 18.10.2006 - 46410/99 -, NVwZ 2007, 1279; Urteil vom 21.03.2007 - 1683/03 -, InfAuslR 2007, 221 –, Urteil vom 23.06.2008 - 1683/03 -, InfAuslR 2008, 333 –; Urteil vom 12.01.2010 - 47486/06 -, InfAuslR 2010, 369).
73 
b) Ausgehend von diesen Maßstäben überwiegt das öffentliche Ausweisungsinteresse das Interesse des Klägers an der Vermeidung der ausländerrechtlichen Folgewirkungen der Auswirkung, hilfsweise auch die festgestellten Bleibeinteressen des Klägers. Dies ergibt sich bereits indiziell daraus, dass dem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse keine, allenfalls ungeschriebene, aber nicht ebenso gewichtige Bleibeinteressen gegenüberstehen. Die ausländerrechtlichen Folgen der Ausweisung hat sich der Kläger, der in der Vergangenheit über einen Aufenthaltstitel verfügte, selbst zuzuschreiben. In der Folge einer Aufenthaltsbeschränkung könnte es ihm zwar rechtlich unmöglich oder jedenfalls deutlich erschwert werden, seinen in Düsseldorf wohnenden Bruder zu besuchen. Dass und inwiefern diese oder vergleichbare ausländerrechtliche Folgen für den Kläger unzumutbar sein sollten, erschließt sich für das Gericht nicht, zumal der Bruder seinerseits den Kläger besuchen kann. Bis auf seine Familienangehörigen weist der Kläger auch keine nennenswerten verfestigten Beziehungen im Bundesgebiet auf. Der von ihm begangene versuchte Mord und die versuchte schwere Brandstiftung überschatten seine schwachen integrativen Leistungen und lassen aufgrund der auch sonst ungünstigen Umstände (extremistische politische Ansichten, verführbare Persönlichkeit) erwarten, dass er in Zukunft straffällig werden wird. Demgegenüber ist der Kläger in Syrien geboren, wuchs dort auf und wurde dort sozialisiert. Seine wesentliche Prägung und Entwicklung hat er im Ausland erfahren.
74 
Es erscheint möglich und zumutbar, dass er sich im Fall einer hypothetischen Rückkehr nach Syrien dort eine Existenz aufbauen kann, zumal jedenfalls seine Mutter, ein Bruder und eine Schwester noch bzw. wieder dort leben. Vor diesem Hintergrund ist die Ausweisung des Klägers verhältnismäßig.
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4. Der besondere Ausweisungsschutz gemäß § 53 Abs. 3a AufenthG steht der Ausweisung des Klägers nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift darf ein Ausländer, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings, nur ausgewiesen werden, wenn er aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder eine terroristische Gefahr anzusehen ist oder er eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellt, weil er wegen einer schweren Straftat rechtskräftig verurteilt wurde.
76 
a) Der Kläger dürfte sich schon deshalb nicht auf die Vorschrift des § 53 Abs. 3a AufenthG berufen können, weil er nicht mehr als Flüchtling anerkannt ist. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat die ihm zuerkannte Flüchtlingseigenschaft mit Bescheid vom 22.09.2020 zurückgenommen. Die Rücknahme entfaltet aufgrund der Regelung des § 75 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AsylG ihre rechtlichen Wirkungen, obwohl der Kläger hiergegen Klage erhoben hat, welche Gegenstand des Verfahrens A 2 K 3216/20 ist. Nach der genannten Vorschrift hat eine Klage gegen den Widerruf der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft wegen des Vorliegens der Voraussetzungen des §60Absatz 8 Satz 1 AufenthG oder des §3Absatz 2 AsylG keine aufschiebende Wirkung. Das ist hier der Fall. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat den Widerruf auf § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG gestützt. Dessen Voraussetzungen liegen auch in der Sache vor (siehe sogleich). Nachdem der Kläger sich gegen diesen Bescheid nicht im Eilrechtsschutz zur Wehr gesetzt hat, ist die Vollziehung des Widerrufs nicht gehemmt und daher zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung beachtlich.
77 
b) Dies ist aber letztlich nicht entscheidungserheblich, denn unabhängig hiervon sind auch die materiellen Voraussetzungen des § 53 Abs. 3a Var. 3 AufenthG erfüllt.
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Eine Ausweisung trotz besonderen Ausweisungsschutzes nach dieser Vorschrift setzt (in der 2. Alternative) voraus, dass der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellt, weil er wegen einer schweren Straftat rechtskräftig verurteilt wurde.
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Mit der durch das Zweite Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht vom
80 
15. August 2019 (BGBl. I S. 1294) in das AufenthG eingefügten Regelung des § 53a AufenthG sollten die Schwellen des Ausweisungsschutzes für Asylberechtigte und anerkannte Flüchtlinge auf den Kern der europa- und völkerrechtlichen Vorgaben zurückgeführt werden. Damit sollten die Möglichkeiten, bei schutzberechtigten Intensivstraftätern im Einzelfall ein Überwiegen des öffentlichen Ausreiseinteresses zu begründen, erleichtert werden. Diese Durchbrechung des Refoulement-Verbots ist als Ausnahmeregelung im Sinne einer ultima ratio eng auszulegen. Da dem Wortlaut nach die Gefahr von dem Ausländer selbst ausgehen muss („er“), ist klargestellt, dass eine Ausweisung nur aus spezialpräventiven, nicht aber aus generalpräventiven Gründen möglich ist (vgl. BT-Drs. 19/10047, S. 34; Fleuß, in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, § 53 AufenthG Rn. 126). Die Tatbestandsalternativen „er aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder eine terroristische Gefahr anzusehen ist“ bilden den Regelungsbereich der Ausweisung von Gefährdern beziehungsweise Terrorverdächtigen ab. Demgegenüber stellt der Ausländer eine „Gefahr für die Allgemeinheit“ i.S.d. § 53 Abs. 3a AufenthG dar, wenn er wegen einer schweren Straftat verurteilt wurde und die Erwartung berechtigt ist, er werde auch in Zukunft schwere Straftaten begehen. Die Ausnahmebestimmung „Gefahr für die Allgemeinheit“ setzt nicht nur voraus, dass der Flüchtling wegen einer schweren Straftat verurteilt worden ist, sondern auch die Feststellung einer Verbindung zwischen der Straftat, für die er verurteilt wurde, und der Gefahr, die von ihm ausgeht: Die Person muss aufgrund der konkreten von ihr begangenen Straftat eine Gefahr darstellen. Es reicht nicht aus, dass beispielsweise aufgrund ihres allgemeinen Verhaltens, das nicht zu einer Verurteilung wegen einer besonders schweren Straftat geführt hat, oder aufgrund mehrerer Verurteilungen wegen weniger schwerwiegender Straftaten eine Gefahr für die Allgemeinheit besteht (vgl. VG Bremen, Beschluss vom
81 
13. Juli 2020 - 2 V 199/20 - juris Rn. 43; Bauer, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Auflage 2020, § 53 AufenthG Rn. 98; Fleuß, in: Kluth/Heusch, a.a.O., § 53 AufenthG Rn. 124). Typischerweise sind etwa Vergewaltigung, Drogenhandel, versuchter Mord, schwerer Raub oder schwere Körperverletzung besonders schwere Straftaten; allerdings entbindet dies nicht von der Prüfung, ob die kriminelle Handlung im konkreten Einzelfall als objektiv und subjektiv besonders schwerwiegend zu betrachten ist. Anhaltspunkte für eine solche Einzelfallprüfung ergeben sich aus der vom European Asylum Support Office (EASO) herausgegebenen „Richterlichen Analyse, Beendigung des internationalen Schutzes: Artikel 11,14,16 und 19 der Anerkennungsrichtlinie (Richtlinie 2011/95/EU)“, 2018, S. 54 f. (https://www.easo.europa.eu/sites/default/files/ending-international-protection_de.pdf) (vgl. Bauer, in: Bergmann/Dienelt, a.a.O., § 53 AufenthG Rn. 98; vgl. zu alledem auch OVG des Landes Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 27.01.2021 - 2 M 101/20 -, Rn. 30, Juris).
82 
Nach diesen Maßgaben rechtfertigen die bereits getroffenen Feststellungen das Vorliegen auch der erhöhten Ausweisungsvoraussetzungen einer „schweren Straftat“ und einer „Gefahr für die Allgemeinheit“ im Sinne des § 53 Abs. 3a AufenthG. Hierzu wird zur Vermeidung von Wiederholungen vollumfänglich auf die obigen Ausführungen zur Würdigung der Tat und der Prognose einer Wiederholungsgefahr verwiesen (siehe oben I. 1. c)).
83 
5. Die Ausweisungsverfügung – welche aufgrund der aufgehobenen Rückkehrentscheidung in Form einer Abschiebungsandrohung (siehe unten III.) eine „inlandsbezogene Ausweisung“ darstellt – ist mit den Vorgaben der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (Rückführungsrichtlinie, im Folgenden: RFRL) vereinbar.
84 
Das Verwaltungsgericht Sigmaringen hat diesbezüglich ausgeführt (Urteil vom
85 
16.11.2021 - 4 K 4530/20 -):
86 
„a) Die Anwendung des § 53 Abs. 1 AufenthG und dessen Rechtsfolgen stehen nicht unmittelbar im Widerspruch mit den Regelungen der Rückführungsrichtlinie. Die Vorschrift des Art. 6 Abs. 1 RFRL sieht vor, dass die Mitgliedstaaten grundsätzlich gegen alle Drittstaatsangehörigen eine Rückkehrentscheidung erlassen, die nicht oder nicht mehr die Voraussetzungen erfüllen, in einen Mitgliedstaat einzureisen oder sich dort aufzuhalten. Die Regelung in Art. 3 Nr. 4
87 
RFRL definiert eine Rückkehrentscheidung als behördliche oder richterliche Entscheidung oder Maßnahme, mit welcher der illegale Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen festgestellt und eine Rückkehrverpflichtung auferlegt oder festgestellt wird. Nach nationalem Verständnis erfüllt eine Abschiebungsandrohung gemäß § 59 AufenthG die Funktion einer Rückkehrentscheidung im Sinne der genannten Vorschriften und muss daher die Garantien der Rückführungsrichtlinie beachten. Dahingegen stellt eine Ausweisungsentscheidung nach § 53 Abs. 1 AufenthG keine solche Rückführungsentscheidung dar, da sie lediglich die Legalität des Aufenthalts des Ausländers beendet (§ 51 Abs. 1 Nr. 5 i. V. m. § 50 Abs. 1 AufenthG) und – mittelbar über das nach § 11 Abs. 1 S. 1 AufenthG zwingend anzuordnende Einreise- und Aufenthaltsverbot – eine Verfestigung des Aufenthalts verhindern soll (vgl. BVerwG, Beschluss vom 9. Mai 2019 – 1 C 14.19 –, juris Rn. 30 ff.). Eine Ausweisungsentscheidung fällt damit nicht in den Anwendungsbereich der Rückführungsrichtlinie und muss sich damit nicht unmittelbar an deren Vorgaben messen lassen (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 15. April 2021 – 12 S 2505/20 –, juris Rn. 146).
88 
b) Eine inlandsbezogene Ausweisung ist auch nicht deshalb mit den Vorgaben der Rückführungsrichtlinie unvereinbar, weil sie nach nationalem Recht dazu führt, dass der betroffene Ausländer in einen „Zwischenstatus“ ohne legalen Aufenthalt, aber ohne eine Rückkehrentscheidung fallen könnte.
89 
Nach der zu Art. 6 RFRL ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union müssen die Mitgliedstaaten aufgrund dieser Vorschrift prüfen, ob sie illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen einen Aufenthaltstitel erteilen; tun sie dies nicht, so müssen sie gegen diesen eine Rückkehrentscheidung erlassen. Hieraus folgert der EuGH, dass es dem Gegenstand der Rückführungsrichtlinie als auch dem Wortlaut von Art. 6 RFRL zuwiderläuft, das Bestehen eines Zwischenstatus von Drittstaatsangehörigen zu dulden, die sich ohne Aufenthaltsberechtigung und ohne Aufenthaltstitel im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats befinden und gegebenenfalls einem Einreiseverbot unterliegen, gegen die aber keine wirksame Rückkehrentscheidung mehr besteht. Dies soll auch für solche Drittstaatsangehörige gelten, die sich illegal in einem Mitgliedstaat aufhalten, die aber nicht abgeschoben werden können, weil der Grundsatz der Nichtzurückweisung dem entgegensteht (EuGH, Urteil vom 3. Juni 2021 – C-546/19 „BZ“ –, juris Rn. 55 ff.). Ausgehend hiervon könnte eine Ausweisungsverfügung deshalb mit Art. 6 Abs. 1 RFRL unvereinbar sein, weil sie mittelbar über das nach § 11 Abs. 1 S. 1 AufenthG zwingend anzuordnende Einreise- und Aufenthaltsverbot zu einer Titelerteilungssperre führt (§ 11 Abs. 1 S. 2 AufenthG) und in Fällen, in denen keine Abschiebungsandrohung erlassen wird oder werden kann, dazu führt, dass der Ausländer aufgrund der Titelerteilungssperre sich allenfalls geduldet (§ 60a AufenthG) im Bundesgebiet aufhalten darf (andeutend Fleuß, in: BeckOK Ausländerrecht, 31. Edition 01.07.2021, § 53 AufenthG Rn. 6, siehe hierzu auch Bauer/Hoppe, NVwZ 2021, 1207).
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Das Gericht hält es im vorliegenden Fall jedoch nicht für erforderlich, die Vorschrift des § 53 Abs. 1 AufenthG im Hinblick auf die oben geschilderten unionsrechtlichen Maßgaben unangewendet zu lassen. Dies folgt zum einen daraus, dass Art. 6 RFRL die Mitgliedstaaten nicht dazu verpflichtet, illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen einen Aufenthaltstitel zu erteilen, und dies aus kompetenzrechtlichen Gründen auch nicht kann. Die Rückführungsrichtlinie beruht auf Art. 63 Nr. 3 lit. b) EGV, der einwanderungspolitische Maßnahmen in den Bereichen illegale Einwanderung und illegaler Aufenthalt, einschließlich der Rückführung solcher Personen, die sich illegal im Mitgliedstaat aufhalten, vorsieht. Kompetenziell erfasst diese Regelung gesetzgeberische und operative Maßnahmen zur Unterbindung der illegalen Einwanderung ebenso wie inhaltliche Vorgaben zur Beendigung des illegalen Aufenthalts, wenn Drittstaatsangehörige sich unrechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhalten; die Regelungsbefugnis zum illegalen Aufenthalt umfasst auch die Abschiebung und Rückführung. Ausgehend von dieser Kompetenznorm sieht die Rückführungsrichtlinie keine Regelungen zur Ausweisung aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vor (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 15. April 2021 – 12 S 2505/20, juris Rn. 141 ff. m. w. N.). Ebenso ist die Richtlinie nicht auf die Kompetenznorm des Art. 63 Nr. 3 lit. a) EGV (jetzt: Art. 79 Abs. 2 lit. a) AEUV) gestützt, welche unter anderem Regelungen zu materiellen Aufenthaltsrechten ermöglicht (vgl. Thym, in: BeckOK Ausländerrecht, 31. Edition 01.07.2020, Art. 79 AEUV Rn. 9). Mit anderen Worten dürfte die Rückführungsrichtlinie die Mitgliedstaaten nicht zwingen, einem Ausländer in Fällen einer inlandsbezogenen Ausweisung allein deshalb eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, weil er nicht auf absehbare Zeit abgeschoben werden kann (ähnlich Kluth, Die Auswirkungen der Rechtsprechung des EuGH zur EU-Rückführungsrichtlinie auf das Rechtsinstitut der Duldung nach dem Aufenthaltsgesetz, ZAR 2021, 416).
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Zum anderen verlangt der Anwendungsvorrang der einschlägigen Vorschriften der Rückführungsrichtlinie nicht, dass in Fällen einer inlandsbezogenen Ausweisung die Anwendung des § 53 Abs. 1 AufenthG unterbleiben muss. Eine hierfür erforderliche Kollision der nationalen und unionsrechtlichen Vorschriften (ausführlich hierzu Ruffert, in: Calliess/Ruffert, 6. Auflage 2022, Art. 1 AEUV Rn. 22) besteht nicht. Wie sich aus vorstehenden Ausführungen ergibt, führt eine Ausweisung als solche nicht zu Rechtsfolgen, die mit der Rückführungsrichtlinie unvereinbar sind. Im Übrigen – und zwar soweit der Erlass eines nach nationalem Recht zwingend anzuordnenden Einreise- und Aufenthaltsverbots mit unionsrechtlichen Vorgaben nicht zu vereinbaren ist (vgl. EuGH, Urteil vom 3. Juni 2021 – C-546/19 „BZ“ –, juris Rn. 60, siehe unten IV.) – kann die Effektivität der Rückführungsrichtlinie dadurch gewährleistet werden, dass in Fällen einer inlandsbezogenen Ausweisung allein die Vorschrift des § 11 Abs. 1 S. 2 AufenthG unangewendet bleibt.“
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Diesen überzeugenden Ausführungen schließt sich das Gericht nach eingehender eigener Überprüfung vollumfänglich an.
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Nach alledem ist die Ausweisungsverfügung in Ziffer 1 des Bescheids vom 06.08.2020 in Gestalt des Ergänzungsbescheids vom 11.03.2022 rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
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II. Die mit Ergänzungsbescheid vom 11.03.2022 nachträglich erlassene Abschiebungsandrohung ist dagegen rechtswidrig (so im Ergebnis auch VG Sigmaringen, Urteile vom 16.11.2021 - 4 K 4530/20 - und vom 28.03.2022 - 9 K 2999/20 -).
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Anlass für den vom Beklagten erlassenen Ergänzungsbescheid war die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union - EuGH - (Urteil vom 03.06.2021 - C546/19 „BZ“-, Juris), wonach die RFRL dahingehend auszulegen ist, dass sie der Aufrechterhaltung eines von einem Mitgliedstaat gegen einen Drittstaatsangehörigen verhängten Einreise- und Aufenthaltsverbots entgegensteht, wenn nicht auch eine gegen den Drittstaatsangehörigen gerichtete Rückkehrentscheidung des Mitgliedstaats vorliegt. Um eine Aufhebung des ohne gleichzeitige Rückkehrentscheidung rechtswidrigen Einreise- und Aufenthaltsverbots zu vermeiden, sah sich der Beklagte gezwungen, der Rechtsprechung des EuGH durch den Erlass der nachträglichen Abschiebungsandrohung nachzukommen. Soweit der Beklagte damit argumentiert, dass der EuGH (Urteil vom 03.06.2021 - C-546/19 „BZ“ -, Rn. 59, Juris) und der Generalanwalt (vgl. Schlussanträge des Generalanwalts vom 10.02.2021 in der Rechtssache C-546/19, Rn. 87, Juris) in einer Konstellation wie der hier gegebenen eine Rückkehrentscheidung für zulässig ansehen und darauf verweisen, dass es aus Sicht des Unionsrechts als ausreichend zu erachten sei, die Rückkehrentscheidung „auszusetzen“ (Generalanwalt) bzw. „die Abschiebung [des Drittstaatsangehörigen] in Vollstreckung dieser Entscheidung aufzuschieben“, könnte dies für die europarechtliche Zulässigkeit einer Abschiebungsandrohung sprechen. Allerdings hat der EuGH in seinem ebenfalls zur RFRL ergangenen Urteil vom 14.01.2021 (- C-441/19 -, Rn 80 f., Juris) entschieden, dass eine Abschiebung innerhalb „kürzester Frist“ durchzuführen ist, und eine Rückkehrentscheidung nicht erlassen werden darf, wenn der Betroffene anschließend nicht abgeschoben werden soll.
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Die Kammer lässt ausdrücklich offen, ob die hier ergangene Abschiebungsandrohung mit Europarecht vereinbar ist. Denn die Umsetzung der Rückkehrentscheidung unterliegt dem nationalen Recht des Mitgliedstaats, und die vorliegende Umsetzung des Beklagten ist nach deutschem Recht rechtswidrig.
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Rechtliche Grundlage der angefochtenen Abschiebungsandrohung ist die Vorschrift des § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG. Danach ist eine Abschiebung unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen. Die Abschiebungsandrohung ist nach der Systematik des nationalen Ausländerrechts eine vorbereitende Maßnahme der Verwaltungsvollstreckung und knüpft an die gesetzliche Ausreisepflicht nach § 50 Abs. 1 und 2 AufenthG an. Sie verfolgt den Zweck, den betroffenen Ausländer auf seine Ausreisepflicht hinzuweisen, ihn vor einer möglichen Abschiebung zu warnen und ihm zu ermöglichen, seine persönlichen Angelegenheiten zeitnah zu ordnen und die freiwillige Ausreise vorzubereiten (zum Ganzen: Dollinger, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Auflage 2020, § 59 AufenthG Rn 2 ff.). Eine Abschiebungsandrohung ist daher rechtswidrig, wenn feststeht, dass die zwangsweise Abschiebung ebenso wie eine freiwillige Rückkehr in den bestimmten Zielstaat praktisch auf unabsehbare Zeit unmöglich ist (vgl. Huber/Mantel AufenthG/Gordzielik, 3. Aufl. 2021, AufenthG § 59 Rn 20, unter Verweis auf BVerwG, Urteil vom 10.07.2003 - 1 C 21.02 -, BVerwGE 118, 308).
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Hier sind sowohl die gesetzte Ausreisefrist wie auch die Abschiebungsandrohung als solche rechtswidrig.
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Die Ausreisefrist, die den Zweck hat, dem Ausländer eine ausreichende Gelegenheit zu freiwilligen Ausreise, zur Einlegung von Rechtsmitteln, zur Geltendmachung von Abschiebungshindernissen und zur „Abwicklung“ seiner persönlichen und beruflichen Lebensverhältnisse zu geben, muss hinreichend klar, d.h. für den Adressaten leicht und eindeutig verstehbar übermittelt werden. Er muss insbesondere erkennen, ab wann er mit einer Abschiebung zu rechnen hat (BeckOK AuslR/Kluth, AufenthG (33. Edition; Stand 01.04.2022), § 59 Rn. 18; GK-AufenthG/Funke-Kaiser, § 59, Rn. 101 f.;
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Haedicke, HTK-AuslR / Stand: 25.09.2020 / § 59 AufenthG / zu Abs. 1 / Rn. 27). Diesen Maßgaben wird die vorliegende Ausreisefrist nicht gerecht, denn sie begann mit Bekanntgabe der Abschiebungsandrohung zu laufen, während es - wie noch auszuführen sein wird - völlig offen ist, ob und ggf. wann der Kläger nach Syrien abgeschoben werden kann. Nicht vergleichbar ist die vorliegende Konstellation mit der, in der das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge eine Ausreisefrist von einer Woche ab Bekanntgabe seiner Entscheidung erlassen hat, welche nicht im Einklang mit Unionsrecht steht (vgl. EuGH, Urteil vom 19.06.2018 - C-181/16 „Gnandi“ -, Juris), und das Bundesamt in Reaktion darauf und höchstrichterlich gebilligt (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.02.2020 - 1 C 19.19 -, Juris) die Vollziehung der Abschiebungsandrohung und auch den Lauf der Ausreisefrist bis zur Bekanntgabe der Ablehnung des Eilantrags durch das Verwaltungsgericht ausgesetzt hat bzw. nach wie vor aussetzt. Denn in der „Gnandi-Konstellation“ geht das Bundesamt davon aus, dass eine Abschiebung in den Herkunftsstaat grundsätzlich möglich ist, wobei die Aussetzung nur dazu dient, den Aufenthalt bis zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes zu sichern.
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Da die Rechtswidrigkeit der Ausreisefrist nicht zwingend zur Rechtswidrigkeit der Abschiebungsandrohung im Ganzen führt (vgl. BVerwG, Urteil vom 03.04.2001 - 9 C
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22.00 -, Juris), ist auch auf die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung einzugehen, welche ebenfalls Rechtsfehler erkennen lässt. Denn die vorliegende Abschiebungsandrohung ist mit dem gesetzlichen Zweck der Abschiebungsandrohung nicht vereinbar. Zwar steht dem Erlass der Androhung das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 59 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nicht entgegen. Sofern allerdings die konkrete Abschiebungsandrohung ihren Zweck, den Kläger zu warnen und ihm ausreichend Zeit für eine freiwillige Ausreise zu gewähren, gleichwohl auf Dauer, jedenfalls auf unabsehbare Zeit nicht erfüllen kann, ergibt eine Abschiebungsandrohung keinen Sinn und ist ausschließlich geeignet, die Betroffenen in Verwirrung zu stürzen. In solchen Fällen ist die Vorschrift teleologisch zu reduzieren, und es ist vom Erlass einer Abschiebungsandrohung abzusehen (GK-AufenthG/Funke-Kaiser, § 59, Rn. 60).
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So liegt der Fall hier. Nach Auffassung des Gerichts kann derzeit nicht hinreichend sicher prognostiziert werden, ob und ggf. wann das zugunsten des Klägers vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge festgestellte und auf § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK gestützte Abschiebungsverbot hinsichtlich Syrien widerrufen werden wird. An die im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung wirksame Feststellung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge ist die Ausländerbehörde gemäß § 42 Satz 1 AsylG derzeit gebunden. Das Gericht verkennt nicht, dass das Regierungspräsidium Tübingen in seinem Ergänzungsbescheid vom 11.03.2022 substantiiert zur Lage in Syrien ausführt und darlegt, dass die Lage in der Hauptstadt Damaskus und in der Küstenregion von Tartus (S. 6 f.) sich zwischenzeitlich soweit gebessert habe, dass diese beiden Regionen nicht mehr als generell unsicher einzustufen seien. Nicht dargelegt und auch im Übrigen nicht ersichtlich ist hingegen, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge diese Rechtsauffassung teilt. Auch unabhängig von der bindenden Feststellung des Bundesamts ist nach Auffassung des Gerichts die Situation in Syrien nach wie vor zu volatil ist, als dass diesbezüglich hinreichend belastbare Prognosen für die nähere Zukunft getroffen werden könnten. Damit unterscheidet sich die vorliegende Konstellation von der bereits erwähnten, vom Bundesamt praktizierten Aussetzung der Vollziehung der Abschiebungsandrohung, in der der Zeitpunkt des Endes der Aussetzung der Vollziehung (Bekanntgabe der Ablehnung des Eilantrags durch das Verwaltungsgericht) von Fall zu Fall und von Gericht zu Gericht zwar ebenfalls gewissen zeitlichen Schwankungen unterliegen mag, insgesamt jedoch hinreichend absehbar ist.
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Im Übrigen begegnet auch rechtlichen Bedenken, dass hier derselbe Staat (Syrien) zugleich als Zielstaat der Abschiebung (vgl. § 59 Abs. 2 Satz 1 AufenthG) und als Staat, in den nicht abgeschoben werden darf (vgl. § 59 Abs. 3 Satz 2 AufenthG) benannt wird. Auch dies ist geeignet, den Betroffenen in Verwirrung zu stürzen. Jedenfalls die Zielstaatsbezeichnung Syrien ist im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung rechtswidrig und aufzuheben, da diesbezüglich ein Abschiebungsverbot (mit der dargelegten Bindungswirkung des § 42 Satz 1 AsylG) besteht (vgl. BVerwG, Urteil vom 11.09.2007 - 10 C 8.07 -, Rn. 18, Juris). Ein anderer Zielstaat der Ausreise oder Abschiebung ist weder ersichtlich noch vom Beklagten vorgetragen worden. Es kann dahingestellt bleiben, ob eine isolierte Aufhebung der Zielstaatsbezeichnung schon deshalb ausscheidet, weil die verbleibende Abschiebungsandrohung ohne Zielstaatsbezeichnung mit der RFRL unvereinbar wäre (vgl. VG Freiburg, Urteil vom 13.04.2022 - 7 K 2089/20 -, Rn. 41 ff., Juris). Jedenfalls verbliebe im Falle einer isolierten Aufhebung der Zielstaatsbezeichnung im vorliegenden Fall lediglich eine Abschiebungsandrohung, die – wie oben ausgeführt - auf unabsehbare Zeit nicht vollzogen werden und ihren Zweck nicht erfüllen kann. Daher ist hier die Abschiebungsandrohung insgesamt aufzuheben.
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III. Da es somit an einer Rückkehrentscheidung in Form einer Abschiebungsandrohung gegen den Kläger fehlt, verstößt das mit Ziffer 2 des Bescheids vom 06.08.2020 in Gestalt des Ergänzungsbescheids vom 11.03.2022 verfügte Einreise- und Aufenthaltsverbot nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (Urteil vom 03.06.2021 - C-546/19 „BZ“ -, a.a.O.) gegen Unionsrecht und ist somit aufzuheben.
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IV. Die Ablehnung des Antrags auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis in Ziffer 3 des angefochtenen Bescheids des Regierungspräsidiums Tübingen vom 06.08.2020 in Gestalt des Ergänzungsbescheids vom 11.03.2022 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 VwGO. Er hat zum maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis.
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Unabhängig davon, auf welche konkrete Anspruchsgrundlage er sich beruft – in Betracht käme aufgrund des zu seinen Gunsten festgestellten Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK insbesondere die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis auf Grundlage des § 25 Abs. 3 S. 1 AufenthG oder auf Grundlage des § 25
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Abs. 5 S. 1 AufenthG sowie ggf. die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG –, steht einem Anspruch entgegen, dass die allgemeinen Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AufenthG vorliegend nicht erfüllt sind. Mangels Erwerbstätigkeit fehlt es bereits an der Sicherung des Lebensunterhalts des Klägers. Außerdem liegt ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse vor (siehe oben), das der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis entgegensteht. Angesichts der angenommenen Wiederholungsgefahr und den allenfalls schwach ausgeprägten Bleibeinteressen bestehen auch keine Anhaltspunkte für einen vom Regelfall abweichenden Sachverhalt (zu den hier zu berücksichtigenden Umständen vgl. BVerwG, Urteil vom 12.07.2018 - 1 C 16.17 -, Rn. 15, Juris m.w.N.). Zusätzlich dürften auch die
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Ausschlussgründe des § 25 Abs. 3 S. 3 Nr. 2 und Nr. 4 AufenthG vorliegen, deren Voraussetzungen mit denen des § 53 Abs. 3a AufenthG vergleichbar sind und zu denen sich das Gericht bereits oben geäußert hat. Dass die Ausschlussgründe des § 25 Abs. 3 S. 3 Nr. 2 und Nr. 4 AufenthG erfüllt sind, steht auch der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG entgegen, da die Spezialität des § 25 Abs. 3 AufenthG nicht dadurch unterlaufen werden darf, dass auf das allgemeine Gesetz zurückgegriffen wird (vgl. Zeitler, HTK-AusIR (Stand: 20.03.2022) / § 25 AufenthG / Abs. 5 / Rn. 23).
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Nach alledem hat die Klage im tenorierten Umfang Erfolg.
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V. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 S. 1 VwGO. Danach sind die Kosten verhältnismäßig zu teilen, wenn ein Beteiligter teils obsiegt, teils unterliegt. Der Kläger unterliegt, soweit er sich gegen die Ausweisung und die Ablehnung seines Antrags auf Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis wehrt. Der Beklagte unterliegt in Bezug auf die von ihm verfügte Abschiebungsandrohung und das Einreise- und Aufenthaltsverbot. Der Kläger erreicht nicht sein vorrangiges Ziel, seinen Aufenthalt im Bundesgebiet dauerhaft zu legalisieren. Andererseits kann er sich mit Erfolg gegen Anordnungen zur Wehr setzen, die eine Beendigung und Verfestigung seines Aufenthalts verhindern sollten. Angesichts dieser Interessenlage hält das Gericht eine Kostenaufhebung für angemessen.
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VI. Die Berufung ist wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen, § 124a Abs. 1 S. 1
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i. V. m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.
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Eine Sache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn mit ihr eine grundsätzliche, bisher höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht beantwortete Rechtsfrage oder eine im Bereich der Tatsachenfeststellungen bisher obergerichtlich nicht geklärte Frage von allgemeiner Bedeutung aufgeworfen wird, die sich in dem erstrebten Berufungsverfahren stellen würde und im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts berufungsgerichtlicher Klärung bedarf (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 19.10.2005 - 12 S 1558/05 -, Rn. 11, Juris).
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Das ist hier der Fall. Die entscheidungserhebliche Frage, ob und inwieweit inlandsbezogene Ausweisungen europarechtskonform verfügt werden können, ist vor dem Hintergrund der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 03.06.2021 in der Sache C-546/19 „BZ“ bislang ungeklärt und stellt sich in einer Vielzahl weiterer vergleichbarer Fälle, insbesondere bei syrischen Staatsangehörigen, die sich nach derzeitiger Rechtspraxis zumindest auf Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 AufenthG berufen können und auf absehbare Zeit faktisch nicht abgeschoben werden können. Ebenso ist ungeklärt, ob eine Abschiebungsandrohung erlassen werden kann, wenn der betreffende Ausländer zum maßgeblichen Zeitpunkt (und auf unabsehbare Zeit) aufgrund eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG in den einzigen realistischerweise in Betracht kommenden Staat nicht abgeschoben werden kann.

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