Urteil vom Verwaltungsgericht Trier (1. Kammer) - 1 K 3157/20.TR
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens; Gerichtskosten werden nicht erhoben.
3. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger wird nachgelassen, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des vollstreckungsfähigen Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils vollstreckbaren Betrages leistet.
Tatbestand
- 1
Der Kläger ist syrischer Staatsangehöriger mit arabischer Volkszugehörigkeit und konfessionslos. Er begeht die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens.
- 2
Er reiste eigenen Angaben zufolge erstmals am 26. Dezember 2015 in das Bundesgebiet ein und stellte einen Asylerstantrag, der nicht auf die Zuerkennung internationalen Schutzes beschränkt wurde. In seiner persönlichen Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gab der Kläger an, dass er Syrien wegen der allgemeinen Bürgerkriegsereignisse verlassen habe. Zudem habe ihm nach Ablauf einer Befreiung ab dem 1. Mai 2016 die Einziehung zum Wehrdienst gedroht. Er sei jedoch nicht bereit sich am Bürgerkrieg zu beteiligen. Er habe in seiner Stadt als Freiwilliger für den Roten Halbmond gearbeitet und versucht, der Bevölkerung zu helfen. Schließlich sei seine Familie zunächst ins Regierungsgebiet gezogen und dann legal ausgereist. Mit Bescheid vom 7. Oktober 2016 - 6417392-475 - erkannte die Beklagte dem Kläger den subsidiären Schutzstatus zu, lehnte jedoch den weitergehenden Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und Anerkennung als Asylberechtigter ab. Seine hiergegen erhobene Klage zum Verwaltungsgericht Trier nahm der Kläger am 6. Februar 2018 zurück, woraufhin das Verfahren eingestellt wurde (Beschluss vom 9. Februar 2018 - 1 K 8442/16.TR -).
- 3
Am 2. März 2020 stellte der Kläger, vertreten durch seinen Bevollmächtigten, bei der Beklagten einen Asylfolgeantrag und berief sich zur Begründung darauf, dass er sich exilpolitisch betätige und im Dezember 2019 hierbei in besonderem Maße exponiert habe. Er sei in der Vergangenheit bereits untergeordnet bei einer regierungskritischen Gruppe in K*** aktiv gewesen. Zum Beleg hierfür legte er mehrere amtliche Bestätigungen über die Anmeldung öffentlicher Versammlungen vor, aus denen hervorgeht, dass u.a. Leiter einer Kundgebung zum Thema „Friedliche Syrische Revolution“ am 15. Juni 2019 in K*** sowie einer Kundgebung mit dem Motto „Für den Frieden in Idlib“ am 10. August 2019 in K***gewesen war (vgl. Bl. 12-17 d. VA.). Im Oktober oder November 2019 habe er sich zudem den Gruppen Freie Syrer K***, Freie Syrer M*** und Freie Syrer S*** angeschlossen. Bei den Freien Syrer K*** gehöre er dem Orgateam an. Am 7. Dezember 2019 habe er an der Kundgebung eines Freundes in M*** gegen den Auftritt des syrischen Sängers *** teilgenommen. Über diese Kundgebung habe der *** am 9. Dezember 2019 in einer Fernsehsendung berichtet. In diesem Beitrag habe er - der Kläger - ein Interview gegeben und sei namentlich erwähnt worden. Am 17. Dezember 2019 sei auch in dem syrischen Fernsehsender *** über diese Demonstration und den Fernsehbeitrag des *** berichtet worden, woraufhin sowohl seine Familie in Syrien als auch er selbst auf dieses Interview angesprochen worden seien. Am 31. Dezember 2019 habe er sodann unter eigenem Namen eine weitere Kundgebung gegen den syrischen Sänger unter dem Motto „Keine Plattform für einen Verherrlicher des Regimes von Assad“ in M*** angemeldet, die sehr erfolgreich gewesen sei. Hierüber sei in mehreren Zeitungen berichtet worden.
- 4
Mit angefochtenem Bescheid vom 24. September 2020 - 8088209-475 -, zugestellt am 2. Oktober 2020, lehnte die Beklagte den Asylfolgeantrag des Klägers als unzulässig ab, da ein Grund für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens im Sinne des § 71 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG nicht vorliege. Bei dem exilpolitischen Engagement des Klägers handele es sich um einen subjektiv geschaffenen Nachfluchtgrund i.S.d. § 28 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 AsylG. Der Kläger habe weder dargelegt noch glaubhaft gemacht, inwieweit seine politische Aktivität sich als Ausdruck und Fortführung einer schon während des Aufenthalts in Syrien vorhandenen und erkennbar betätigten gefestigten Überzeugung darstelle. In seiner Anhörung am 24. August 2016 habe er keine politischen Aktivitäten erwähnt und angegeben in keiner politischen Partei oder Organisation gewesen zu sein.
- 5
Hiergegen richtet sich die am 14. Oktober 2020 erhobene Klage, zu deren Begründung sich der Kläger auf sein Vorbringen im Verwaltungsverfahren bezieht. Er führt ergänzend aus, dass er bereits in Syrien ein politisches Bewusstsein entwickelt habe, wenn auch nicht in derart exponierter Weise wie in Deutschland. Er sei bereits in Syrien auf politischen Kundgebungen gewesen. Dies werde durch sein Engagement für den Roten Halbmond sowie seine Kriegsdienstverweigerung deutlich. Zudem liege in Form der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vom 19. November 2020 - C-238/19 - ein weiterer Grund für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens vor. Wenn der Gerichtshof - wie in diesem Fall - nachträglich die Unionsrechtswidrigkeit einer früheren nationalen Entscheidung feststelle, sei dies nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 14. Mai 2020 - C-924/19, C-925/19 [ungarische Transitzonen] - als neue Erkenntnis zu werten, die ein Wiederaufgreifen des Verfahrens rechtfertige. Er habe bereits in seinem Asylerstverfahren angegeben, Syrien wegen der drohenden Einberufung zum Wehrdienst verlassen zu haben. Daher drohe ihm bei Rückkehr eine Inhaftierung und Folter anknüpfend an die ihm zugeschriebene Eigenschaft als Verräter der Regierung.
- 6
Mit Schriftsatz vom 31. März 2021 hat der Kläger die Kopie seines syrischen Wehrpasses vorgelegt und ergänzend vorgetragen, zwischenzeitlich ein Podiumsgespräch mit dem hochrangigen syrischen Exiljuristen *** zu Thema „K*** Prozess zur Staatsfolter in Syrien“ moderiert zu haben, welches im Internet abrufbar sei. Sein Name sei dabei abgekürzt wiedergegeben worden. Die Liveübertragung der Diskussion auf Facebook sei von 17.000 Zuschauern gestreamt worden. Im Hinblick auf seine politischen Aktivitäten im Heimatland hat er vorgetragen, bereits im Rahmen des „Arabischen Frühlings“ an Protesten gegen das Assad-Regime teilgenommen zu haben. Er habe deswegen jedoch keine Probleme bekommen, weil er damals vermummt gewesen sei. Dies sei auch nicht sein vorrangiger Ausreisegrund gewesen. Er sei primär wegen des Krieges und aus Angst vor dem Wehrdienst ausgereist. In seiner Anhörung im Asylerstverfahren habe er die Protestteilnahme nicht erwähnt, da wenig Zeit gewesen sei und er diese Tatsache nicht als so wichtig erachtet habe. In der mündlichen Verhandlung vom
4. Mai 2021 hat der Kläger sein bisheriges Vorbringen ergänzt und vertieft; insoweit wird auf die Niederschrift der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
- 7
Er beantragt,
- 8
den Bescheid der Beklagten vom 24. September 2020 - 8088209-475 - aufzuheben.
- 9
Die Beklagte beantragt,
- 10
die Klage abzuweisen.
- 11
Zur Begründung bezieht sie sich auf den angefochtenen Bescheid vom 24. September 2020 und hat diesen mit ergänzenden rechtlichen Erwägungen verteidigt. Insbesondere stelle das Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 19. November 2020 - C-238/19 - keine Änderung der Rechtslage im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 VwVfG dar.
- 12
Die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands ergeben sich aus den zur Akte gereichten Schriftsätzen der Beteiligten, der bei Gericht vorhandenen Asyldokumentation über die asyl- und abschiebungsrelevanten Verhältnisse in Syrien, den ergänzend in die mündliche Verhandlung eingeführten Erkenntnismitteln, der beigezogenen Gerichtsakte 1 K 8442/16.TR und den vorgelegten Verwaltungsvorgängen der Beklagten, die jeweils Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
- 13
Die Klage, über die das Gericht unter Anwendung von § 76 Abs. 1 Alt. 2 AsylG als Kammer entscheidet, hat keinen Erfolg.
- 14
A. Die Klage ist als Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO statthaft (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 2016 - 1 C 4.16 -, juris Rn. 16) und auch im Übrigen zulässig, jedoch unbegründet. Die Beklagte hat den Asylfolgeantrag des Klägers zu Recht gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG als unzulässig abgelehnt, weil dessen früherer Asylantrag - 6417392-475 - im Hinblick auf die begehrte Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft bereits unanfechtbar abgelehnt wurde und die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nach § 71
Abs. 1 AsylG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG nicht vorliegen. Der Bescheid der Beklagten vom 24. September 2020 - 8088209-475 - erweist sich daher als rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in eigenen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
- 15
I. Stellt der Ausländer nach Rücknahme oder - wie hier - unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrags erneut einen Asylantrag (Folgeantrag), so ist nach § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen. Ist dies nicht der Fall, kann der Asylfolgeantrag unter Anwendung von § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG als unzulässig abgelehnt werden.
- 16
Dies entspricht auch unionsrechtlichen Vorgaben. Nach dem 36. Erwägungsgrund der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom
26. Juni 2013 (Asylverfahrensrichtlinie) wäre es unverhältnismäßig, die Mitgliedstaaten zur erneuten Durchführung des gesamten Prüfungsverfahrens zu verpflichten, wenn der Ausländer einen Folgeantrag stellt, ohne neue Beweise oder Argumente vorzubringen. In diesen Fällen sollen die Mitgliedstaaten einen Antrag daher gemäß dem Grundsatz der rechtskräftig entschiedenen Sache (res iudicata) als unzulässig abweisen können. Dementsprechend berechtigt Art. 33 Abs. 2 lit. d) der Asylverfahrensrichtlinie, ein Asylgesuch als unzulässig zu betrachten, wenn es sich um einen Folgeantrag handelt, bei dem keine neuen Umstände oder Erkenntnisse zu der Frage, ob der Antragsteller als Person mit Anspruch auf internationalen Schutz anzuerkennen ist, zutage getreten oder vom Antragsteller vorgebracht worden sind.
- 17
Ein erfolgreicher Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens setzt daher gemäß
§ 51 Abs. 1 VwVfG zunächst voraus, dass sich die Sach- oder Rechtslage nachträglich - d.h. nach Abschluss des früheren Asylverfahrens - zugunsten des Betroffenen geändert hat (§ 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG), neue Beweismittel vorliegen, die eine für den Betroffenen günstigere Entscheidung über sein Asylbegehren herbeigeführt haben würden (§ 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG) oder Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 ZPO gegeben sind (§ 51 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG). Zudem ist der Antrag gemäß § 51 Abs. 2 und 3 VwVfG nur zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außerstande gewesen ist, den Grund für das Wiederaufgreifen im früheren Asylverfahren geltend zu machen und er den Antrag binnen drei Monaten nach Kenntnis des Grundes für das Wiederaufgreifen gestellt hat.
- 18
II. Dies zugrunde gelegt, hat der Kläger keinen Anspruch auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens. Ein Wiederaufgreifensgrund im Sinne des § 51 Abs. 1 VwVfG liegt nicht vor.
- 19
1. Der Kläger kann sich nicht auf eine veränderte Sachlage nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 VwVfG berufen.
- 20
a. Eine solche ist gegeben, wenn sich entweder die allgemeinen politischen Verhältnisse, die Lebensbedingungen im Heimatstaat oder die das persönliche Schicksal des Asylbewerbers bestimmenden Umstände so verändert haben, dass eine für den Asylbewerber günstigere Entscheidung möglich erscheint (vgl. Dickten, in: BeckOK, Ausländerrecht, 29. Edition [Stand: 1. April 2021], § 71 AsylG Rn. 18). Dabei genügt die pauschale Behauptung einer Änderung der Sachlage nicht, vielmehr bedarf es eines schlüssigen Vortrags des Antragstellers, aus dem sich eine nachträgliche Änderung im Verhältnis zum Sachverhalt im früheren Asylverfahrens tatsächlich ergibt. Dies erfordert wiederum eine substantiierte Darlegung entsprechender Tatsachen (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Juni 1991 - 9 C 33.90 -, juris Rn. 13). Darüber hinaus muss die Änderung der Sach- oder Rechtslage für den im früheren Asylverfahren ergangenen Verwaltungsakt entscheidungserhebliche Voraussetzungen betreffen, so dass diese Änderung im Asylfolgeverfahren eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung erfordert oder zumindest ermöglicht (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Oktober 2018 - 1 C 26.17 -, juris Rn. 18 m.w.N).
- 21
b. Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt, soweit der Kläger (erneut) seine drohende Einziehung zum Wehrdienst geltend macht. Dies stellt ersichtlich keine Änderung der Sachlage dar, da es sich um Umstände handelt, die der Kläger schon in seinem Asylerstverfahren (erfolglos) vorgebracht hat.
- 22
Auch ergibt sich aus den zur Verfügung stehenden Erkenntnismitteln im Vergleich zum Zeitpunkt des unanfechtbaren Abschlusses des Asylerstverfahrens im Jahr 2018 keine erhebliche Änderung der Gegebenheiten in Syrien, die eine Neubewertung des Sachverhalts erfordern und sich - im Hinblick auf das Asylbegehren - zugunsten des Klägers auswirken könnten. Das Gegenteil ist der Fall. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die Behandlung von Wehrdienstverweigerern im Falle ihrer hypothetischen Rückkehr. So war den im Jahr 2018 zur Verfügung stehenden Erkenntnismitteln noch zu entnehmen, dass Wehrdienstverweigerern jedenfalls zum Teil Bestrafung bei Rückkehr drohte, wobei die Umsetzung der gesetzlich vorgesehenen Bestrafung willkürlich erfolgte (vgl. Finnish Immigration Service, Syria: Military Service, National Defense Forces, Armed Groups Supporting Syrian Regime and Armed Opposition, 23. August 2016, S. 12-13; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Zwangsrekrutierung, Wehrdienstentzug, Desertion, 23. März 2017, S. 10-11; Auswärtiges Amt, Auskunft an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 2. Januar 2017 - 508-9-516.80/48808 -), so dass eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung erst aufgrund der fehlenden Verknüpfung mit einem Verfolgungsgrund ausschied (vgl. exemplarisch OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16. Dezember 2016 - 1 A 10922/16.OVG -, juris). Aus den aktuell zur Verfügung stehenden Berichten geht indes hervor, dass einfache Wehrdienstverweigerern in der Regel bereits die Verhängung der gesetzlich vorgesehenen oder einer anderen Form der Bestrafung nicht mehr zu befürchten haben (vgl. ausführlich: VG Trier, Urteil vom 20. April 2021 - 1 K 3528/20.TR -, zur Veröffentlichung anstehend).
- 23
c. Auch stellt das Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 19. November 2020 - C-238/19 - keine Änderung der Sachlage dar. Dieses beinhaltet die Auslegung unionsrechtlicher Normen - hier: der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 (Qualifikationsrichtlinie) - im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 AEUV. Diese ist zwar grundsätzlich geeignet, die rechtliche Würdigung eines Sachverhalts zu beeinflussen; eine Veränderung der tatsächlichen Umstände geht damit indes nicht einher (vgl. OVG NRW, Urteil vom 12. April 2021 - 14 A 818/19.A -, juris Rn. 48ff.).
- 24
d. Schließlich rechtfertigen auch die regierungskritischen exilpolitischen Aktivitäten des Klägers nicht die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens.
- 25
aa. Zwar handelt es sich um eine relevante Änderung der Sachlage, da sich der Kläger durch seine Aktivitäten individualisierbar und exponiert in öffentlichen Widerspruch zur syrischen Regierung gesetzt hat. Dies wird mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit im Falle seiner hypothetischen Rückkehr nach Syrien zu einer politischen Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG führen, da solchen Personen nach den zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel durch die Regierung systematische Verfolgung, Inhaftierung, Folter und Tod drohen (exemplarisch: UNHCR, International Protection Considerations with Regard to People Fleeing the Syrian Arab Republic - Update VI, März 2021, S. 99 ff.; European Asylum Support Office, Country Guidance: Syria Common analysis and guidance note, September 2020, S. 61-62; Auswärtiges Amt, Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, [Stand: November 2020], 4. Dezember 2020, S. 12). Diese Änderung der Sachlage ist auch - jedenfalls im Hinblick auf die besondere öffentliche Exponiertheit der exilpolitischen Aktivitäten - erst nach dem (insoweit) erfolglosen Abschluss des Asylerstverfahrens durch Klagerücknahme am 6. Februar 2018 eingetreten.
- 26
bb. Der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft steht vorliegend jedoch § 28 Abs. 2 AsylG entgegen. Hiernach kann die Flüchtlingseigenschaft in einem Folgeverfahren in der Regel nicht zuerkannt werden, wenn der Ausländer nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines Asylantrages erneut einen Asylantrag stellt und diesen auf Umstände stützt, die er nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Antrags selbst geschaffen hat (vgl. auch Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2011/95/EU).
- 27
Stützt ein Ausländer seinen Asylfolgeantrag demnach auf neue, selbst geschaffene, exilpolitische Nachfluchtaktivitäten, greift dieser Ausschlussgrund für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in der Regel. Das Bundesverwaltungsgericht, dessen Rechtsprechung sich die erkennende Kammer anschließt, hat in seinem Urteil vom 18. Dezember 2008 - 10 C 27.07 - zum inhaltsgleichen § 28 Abs. 2 AsylVfG ausgeführt:
- 28
„Mit § 28 Abs. 2 AsylVfG hat der Gesetzgeber die risikolose Verfolgungsprovokation durch Nachfluchtgründe, die der Betreffende nach Abschluss des ersten Asylverfahrens selbst geschaffen hat, regelhaft unter Missbrauchsverdacht gestellt. Das ergibt sich aus der Begründung des Gesetzentwurfs, die darauf abzielt, den bislang bestehenden Anreiz zu nehmen, nach unverfolgter Ausreise und abgeschlossenem Asylverfahren aufgrund neu geschaffener Nachfluchtgründe ein weiteres Asylverfahren zu betreiben (vgl. BTDrucks 15/420 S. 110). Demgegenüber greift kein Filter für subjektive Nachfluchttatbestände, die bereits während des Erstverfahrens verwirklicht worden sind; für die Flüchtlingsanerkennung müssen diese - anders als bei der Asylanerkennung gemäß § 28 Abs. 1 AsylVfG - nicht einmal auf einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar betätigten Überzeugung beruhen. In dem (erfolglosen) Abschluss des Erstverfahrens liegt die für das Verständnis der Vorschrift entscheidende zeitliche Zäsur; für nach diesem Zeitpunkt selbst geschaffene Nachfluchtgründe wird ein Missbrauch der Inanspruchnahme des Flüchtlingsschutzes in der Regel vermutet. Damit erübrigt sich ein positiver Nachweis des finalen Zusammenhangs zwischen selbst geschaffenem Nachfluchttatbestand und erstrebtem Flüchtlingsstatus im Einzelfall. § 28 Abs. 2 AsylVfG verlagert die Substantiierungs- sowie die objektive Beweislast auf den Asylbewerber, der die gesetzliche Missbrauchsvermutung widerlegen muss, um in den Genuss der Flüchtlingsanerkennung zu gelangen. (…)
- 29
Die Maßstäbe für die Abgrenzung des Regelausschlusses von einem Ausnahmefall, in dem nach Abschluss des Erstverfahrens geschaffene Nachfluchtgründe zur Flüchtlingsanerkennung führen, sind aus dem vom Gesetzgeber gewählten Regelungsmodell sowie dem Zweck der Vorschrift zu entwickeln. Die gesetzliche Missbrauchsvermutung ist dann widerlegt, wenn der Asylbewerber den Verdacht ausräumen kann, er habe Nachfluchtaktivitäten nach Ablehnung des Erstantrags nur oder aber hauptsächlich mit Blick auf die erstrebte Flüchtlingsanerkennung entwickelt oder intensiviert. (…) Bleibt das Betätigungsprofil des Betroffenen nach Abschluss des Erstverfahrens unverändert, liegt die Annahme einer missbräuchlichen Verknüpfung von Nachfluchtaktivitäten und begehrtem Status eher fern. Wird der Asylbewerber jedoch nach einem erfolglosen Asylverfahren erstmals exilpolitisch aktiv oder intensiviert er seine bisherigen Aktivitäten, muss er dafür gute Gründe anführen, um den Verdacht auszuräumen, dies geschehe in erster Linie, um die Voraussetzungen für eine Flüchtlingsanerkennung zu schaffen (…). Dazu hat der Tatrichter die Persönlichkeit des Asylbewerbers und dessen Motive für seine erstmalig aufgenommenen oder intensivierten Aktivitäten vor dem Hintergrund seines bisherigen Vorbringens und seines Vorfluchtschicksals einer Gesamtwürdigung zu unterziehen.“ (BVerwG, Urteil vom 18. Dezember 2008 - 10 C 27.07 -, juris Rn. 14, 16)
- 30
Ausgehend von diesem Maßstab steht § 28 Abs. 2 AsylG im Falle des Klägers der begehrten Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft aufgrund seiner exilpolitischen Aktivitäten entgegen, da die Kammer die gesetzliche Vermutung der missbräuchlichen Schaffung von Nachfluchtgründen nach dem Abschluss des Asylerstverfahrens aufgrund des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung als nicht widerlegt ansieht.
- 31
Selbst wenn man die - in der Anhörung des Asylerstverfahrens noch unerwähnt gebliebene (vgl. 54-55 d. VA - 6417392-475 -) - Demonstrationsteilnahme des Klägers in Syrien als wahr unterstellt, fehlt es erkennbar an der erforderlichen Kontinuität seiner politischen Aktivitäten. Zwar ist nachvollziehbar, dass er zwischen den Demonstrationsteilnahmen des Jahres 2011 und 2012 und der Ausreise aus Syrien im Dezember 2015 nicht regierungskritisch in Erscheinung getreten ist, da die Familie damals im Regierungsgebiet gelebt hat und der Kläger in diesem Falle mit hoher Wahrscheinlichkeit Opfer von Verfolgungsmaßnahmen der Regierung geworden wäre. Aber auch zwischen dem Zeitpunkt der erstmaligen Einreise ins Bundesgebiet im Dezember 2015 und dem Abschluss des Asylerstverfahrens im Februar 2018 sind überhaupt keine nennenswerten politischen Aktivitäten des Klägers dokumentiert, obschon man von einem hierfür ausreichenden Alter und einer politisch ausreichenden Reife ausgehen muss, wenn man unterstellt, dass der Kläger bereits im Alter von 14 Jahren ein politisches Bewusstsein entwickelt und im Heimatland demonstriert haben will. Auch nach dem Abschluss des Asylerstverfahrens wurde - mit Ausnahme der „einen oder anderen“ Demonstrationsteilnahme, die der Kläger indes in der mündlichen Verhandlung weder hinsichtlich Ort noch Thema konkretisieren konnte - kein nennenswertes exilpolitisches Engagement glaubhaft gemacht. Vielmehr führte der Kläger aus, dass seine politischen Aktivitäten im Wesentlichen erst im Sommer 2019 wieder begonnen hätten, weil er damals gedacht habe, wieder aktiv werden zu müssen. Dies ergibt jedoch in der Gesamtschau ein politisches Betätigungsprofil, das - nach einer zumindest mehrjährigen Unterbrechung des politischen Engagements - eine Wiederaufnahme der politischen Aktivitäten erst nach Abschluss des Asylerstverfahrens zeigt. Jedenfalls hat er sich erst nach diesem Zeitpunkt öffentlich exponiert und damit seine Aktivitäten erkennbar intensiviert.
- 32
Soweit der Kläger als Begründung für seine mehrjährige politische Inaktivität in der mündlichen Verhandlung vorgebracht hat, dass er sich zuerst an das Umfeld und die Freiheiten in Deutschland gewöhnen musste, vermag dies aus Sicht der Kammer allenfalls eine kurzzeitige Unterbrechung eines (ernsthaften) politischen Engagements zu rechtfertigen. Auch die Einlassung, er habe zuerst die deutsche Sprache erlernen wollen, plausibilisiert die Unterbrechung nicht, zumal zahlreiche politische Veranstaltungen innerhalb der syrischen Diaspora stattfinden, wo die Kommunikation vornehmlich auf Arabisch oder Kurdisch stattfindet. Zuletzt muss auch die Behauptung des Klägers, er habe wegen seiner Abiturprüfungen wenig Zeit für politische Aktivitäten gehabt, als widerlegt gelten, da diese im Sommer 2020 und damit nicht im Zeitraum seiner politischen Inaktivität, sondern während der Zeiten seines erhöhten exilpolitischen Engagements stattfanden.
- 33
2. Der Kläger kann sich auch nicht auf eine veränderte Rechtslage im Sinne des
§ 51 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 VwVfG berufen. Insbesondere stellt das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 19. November 2020 - C-238/19 - eine solche nicht dar.
- 34
a. Erforderlich hierfür ist, dass sich das einschlägige materielle Recht, dem eine allgemeinverbindliche Außenwirkung zukommt, nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Januar 1994 - 2 C 12.92 -, juris), also die für den bestandskräftigen Verwaltungsakt aus dem früheren Asylverfahren maßgeblichen Rechtsnormen, d.h. dessen entscheidungserhebliche rechtliche Grundlage, einer nachträglichen Änderung unterworfen gewesen sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. August 2020 - 1 C 23.19 -, juris), die nunmehr eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung erfordert oder zumindest ermöglicht (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Oktober 2018 - 1 C 26.17 -, juris Rn. 18 m.w.N)
- 35
b. Eine solche Änderung des materiellen Rechts vermag die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes weder abstrakt noch im konkreten Einzelfall zu begründen. Jedenfalls führt diese aber nicht zu einer möglicherweise günstigeren Entscheidung für den Kläger.
- 36
aa. Veränderungen der Rechtsprechung führen eine Änderung der Rechtslage grundsätzlich nicht herbei. Gegenstand der gerichtlichen Entscheidungsfindung ist und bleibt ausschließlich die rechtliche Würdigung des Sachverhalts am Maßstab der vorgegebenen Rechtsordnung. Rechtsprechende Tätigkeit ist aufgrund des rechtsstaatlichen Verfassungsgefüges grundsätzlich nicht geeignet oder darauf angelegt, die Rechtsordnung konstitutiv und allgemeingültig zu verändern (vgl. BVerwG, Beschluss vom 12. November 2020 - 2 B 1.20 -, juris Rn. 8 m.w.N.). Dies gilt auch für Änderungen einer höchstrichterlichen Entscheidungspraxis (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. November 2018 - 1 C 23.17 -, juris Rn. 17).
- 37
Dieser allgemeine Grundsatz ist lediglich für die Fälle umstritten, in denen das Gericht im Rahmen seiner Kompetenzen eine Rechtsvorschrift für nichtig (vgl. §§ 78, 82 Abs. 1, 95 Abs. 3 BVerfGG) oder unwirksam erklärt (§ 47 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 1 VwGO). Das Bundesverwaltungsgericht hat in diesem Zusammenhang vertreten, dass die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens auch dann nicht vorliegen, wenn die Rechtswidrigkeit der ursprünglichen Verwaltungsentscheidung auf der Anwendung einer vom Bundesverfassungsgerichts für nichtig erklärten Norm beruht, weil selbst die auf den Zeitpunkt des Erlasses der Norm zurückwirkende Nichtigerklärung keine nachträgliche Änderung der Rechtslage bewirkt, sondern die bereits bestehende Ungültigkeit bloß feststellt (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Oktober 2012 - 2 C 59.11 -, juris Rn. 10). Eine einhellige Rechtsauffassung hierzu hat sich jedoch insbesondere für Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, denen eine besondere Bindungswirkung nach § 31 Abs. 2 BVerfGG zukommt, nicht entwickelt (vgl. hierzu: Schoch, in: Schock/Schneider [Hrsg.], VwVfG, Stand: Juli 2020, § 51 Rn. 64).
- 38
Es besteht auch keine allgemeine Ausnahme vom vorstehend genannten Grundsatz für asylrechtliche Streitigkeiten abzuweichen. Soweit in der Kommentarliteratur teilweise unter Hinweis auf eine Kammerentscheidung des Bundesverfassungsgerichts - Beschluss vom 8. Oktober 1990 - 2 BvR 643/90 - vertreten wird, dass jedenfalls eine Änderung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung, die einen „Wandel des Bedeutungsinhalts des Grundrechts auf Asyl“ hervorrufe, als Änderung der Rechtslage im Sinne des § 71 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 51 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 VwVfG zu gelten habe (vgl. etwa: Falkenbach, in: Bader/Ronellenfitsch [Hrsg.], VwVfG, 50. Edition [Stand: 1. Januar 2021], § 51 Rn. 37.1), beruht dies auf einer Fehlinterpretation der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Dieses hatte vielmehr in einer Konstellation, in der sich der Ausländer zur Begründung seines Folgeantrags auf die Änderung einer verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung berufen hatte, die Abweisung der Klage durch das Verwaltungsgericht als offensichtlich unbegründet als Verstoß gegen verfassungsrechtliche Gewährleistungen eingeordnet, da zu dieser Frage unterschiedliche Auffassungen vertreten wurden und sich nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung die Abweisung der Klage daher nicht - wie verfassungsrechtlich erforderlich - aufdrängt hatte.
- 39
bb. Ausgehend hiervon stellt das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 19. November 2020 - C-238/19 - keine Änderung der Rechtslage im Sinne des § 71 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 51 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 VwVfG dar (vgl. auch OVG NRW, Urteil vom 12. April 2021 - 14 A 818/19.A -, juris Rn. 5).
- 40
(1) Der Europäische Gerichtshof befasst sich im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 Abs. 1 AEUV mit den Vorlagefragen des nationalen Gerichts betreffend die Auslegung der EU-Verträge sowie die Gültigkeit und Auslegung der Handlungen der Unionsorgane. Dabei kommt es für die Auslegungskompetenz des Europäischen Gerichtshofs nicht darauf an, ob den betreffenden Normen oder Rechtsakten des Unionsrechts innerstaatlich unmittelbare Wirkung zukommt (vgl. Dörr, in: Sodan/Ziekow [Hrsg.], VwGO, 5. Auflage 2018, Europäischer Verwaltungsrechtsschutz, Rn. 111).
- 41
Urteilen des Gerichtshofes im Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 Abs. 1 AEUV kommt eine direkte Bindungswirkung außerhalb des Ausgangsverfahrens („erga omnes“) nur dann zu, wenn der Gerichtshof die Ungültigkeit von Unionsrecht oder einer sonstigen Organhandlung festgestellt hat (vgl. EuGH, Urteil vom 13. Mai 1981 - Rs. 66/80 [International Chemical], juris Rn. 13; Wegener, in: Callies/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Auflage 2016, Art. 267 AEUV Rn. 50). In diesen Fällen sind die Unionsorgane, Einrichtungen und sonstigen Stellen analog Art. 266 AEUV verpflichtet, die sich aus dem Urteil ergebenden, erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen. Dasselbe gilt auch in Bezug auf die innerstaatlichen Behörden sowie die innerstaatlichen Gerichte (vgl. EuGH, Beschluss vom 8. November 2007 - C-421/06 [Fratelli Martini] -, juris Rn. 52 ff.). Entscheidungen über die Auslegung von Unionsrecht entfalten für Gerichte und Behörden außerhalb des Ausgangsrechtsstreits demgegenüber eine nur eingeschränkte erga omnes-Wirkung (vgl. Karpenstein, Das Recht der Europäischen Union, Stand: August 2020, Art. 267 AEUV, Rn. 104). Sie erläutern, in welchem Sinn und mit welcher Tragweite eine Unionsvorschrift seit ihrem Inkrafttreten zu verstehen und anzuwenden ist oder gewesen wäre (stRspr., vgl. nur: EuGH, Urteil vom 6. März 2007 - C-292/04 [Meilicke] -, juris Rn. 34, m.w.N.). Damit ist die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs in derartigen Verfahren auch nach dem eigenen Selbstverständnis nicht konstitutiver, sondern rein deklaratorischer Natur. Das Bundesverwaltungsgericht, dem sich die erkennende Kammer anschließt, hat hierzu bereits im Jahr 2009 ausgeführt:
- 42
„Eine Änderung der Rechtsprechung führt eine Änderung der Rechtslage grundsätzlich nicht herbei. Vielmehr bleibt die gerichtliche Entscheidungsfindung grundsätzlich eine rechtliche Würdigung des Sachverhalts am Maßstab der vorgegebenen Rechtsordnung (vgl. Urteil vom 27. Januar 1994 - BVerwG 2 C 12.92 - BVerwGE 95, 86 <89>). Das ist nicht nur für die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, sondern auch für die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte anerkannt (vgl. Beschluss vom 24. Mai 1995 - BVerwG 1 B 60.95 - Buchholz 316 § 51 VwVfG Nr. 32), gilt aber auch für Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, dessen Rechtsprechung in Vorabentscheidungsverfahren nach dem eigenen Selbstverständnis nicht konstitutiver, sondern rein deklaratorischer Natur ist (vgl. EuGH, Urteil vom 12. Februar 2008 - Rs. C-2/06, Kempter - Slg. 2008, I-00411 Rn. 35).“ (BVerwG, Urteil vom 22. Oktober 2009 - 1 C 26.08 -, juris Rn. 16).
- 43
(2) Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus Art. 40 Abs. 2 der Asylverfahrensrichtlinie und der hierzu ergangenen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, insbesondere dem durch den Kläger zur Begründung seines Begehrens zitierten Urteil vom 14. Mai 2020 - C-924/19, C-925/19 [ungarische Transitzonen] -. Diesem Urteil lag dabei eine Konstellation zugrunde, in der eine nationale Regelung (Art. 52 Abs. 2 lit. f) des ungarischen Asylgesetzes) gegen unmittelbar anwendbares Unionsrecht verstieß und es daher jeder nationalen Behörde geboten war, die Regelung unangewendet zu lassen (vgl. EuGH, Urteil vom 14. Mai 2020 - C-924/19,
C-925/19 [ungarische Transitzonen] -, juris Rn. 183 m.w.N.).
- 44
Insoweit hat der Europäische Gerichtshof zwar entschieden, dass ein Urteil des Gerichtshofes eine „neue Erkenntnis“ im Sinne des Art. 33 Abs. 2 lit. d) der Asylverfahrensrichtlinie, die die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens rechtfertigt, darstellen kann. Dies gilt jedoch ausschließlich für Fälle, in denen - wie im dortigen Verfahren - in dem betreffenden Urteil die Unvereinbarkeit einer nationalen Regelung mit dem Unionsrecht festgestellt wird, die für die dem Erstantrag zugrundeliegende Entscheidung entscheidungserheblich war (vgl. EuGH, Urteil vom 14. Mai 2020 - C-924/19, C-925/19 [ungarische Transitzonen] -, juris Rn. 194). Nur wenn die Unionsrechtswidrigkeit der Erstentscheidung feststeht, darf ein Folgeantrag nicht als unzulässig abgelehnt werden, da sich andernfalls die fehlerhafte Anwendung von Unionsrecht mit jedem neuen Antrag auf internationalen Schutz wiederholen könnte, ohne dass gewährleistet wäre, dass der Asylantrag des Antragstellers ohne Verstoß gegen Unionsrecht geprüft wird (vgl. EuGH, Urteil vom 14. Mai 2020 - C-924/19, C-925/19 [ungarische Transitzonen] -, juris Rn. 197). Erforderlich ist insoweit, dass die Unionsrechtswidrigkeit der konkreten Erstentscheidung durch nationale Behörden festgestellt wird oder sich diese aus einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes unmittelbar ergibt oder von einem nationalen Gericht inzident festgestellt wird (vgl. EuGH, Urteil vom 14. Mai 2020 - C-924/19, C-925/19 [ungarische Transitzonen] -, juris Rn. 198).
- 45
Eine solche Feststellung der Unvereinbarkeit einer nationalen Regelung mit vorrangigem Unionsrecht lässt sich der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vom 19. November 2020 - C-238/19 - indes nicht entnehmen (vgl. OVG NRW, Urteil vom 12. April 2021 - 14 A 818/19.A - juris; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 22. Dezember 2020 - A 4 S 4001/20 -, juris Rn. 13; VG Stuttgart, Urteil vom 4. März 2021 - A 7 K 244/19 -, juris Rn. 29). Vielmehr hat der Gerichtshof eine umfassende Auslegung des Art. 9 Abs. 2 lit. e) der Qualifikationsrichtlinie vorgenommen, der die Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt als Verfolgungshandlung definiert, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die den Tatbestand von Kriegsverbrechen erfüllen.
- 46
Hierzu hat er erstens ausgeführt, dass es, wenn das Recht des Herkunftsstaates die Möglichkeit der Verweigerung des Militärdienstes nicht vorsieht, möglich ist, die Verweigerung des Militärdienstes auch in dem Fall festzustellen, in dem der Betroffene seine Verweigerung nicht in einem bestimmten Verfahren formalisiert hat und aus seinem Herkunftsland geflohen ist, ohne sich der Militärverwaltung zur Verfügung zu stellen (vgl. EuGH, Urteil vom 19. November 2020 - C-238/19 -, juris Rn. 29 ff.). Zweitens soll Art. 9 Abs. 2 lit. e) der Qualifikationsrichtlinie so auszulegen sein, dass eine hinreichend wahrscheinliche Gefahr der Beteiligung an Kriegsverbrechen auch für einen Wehrpflichtigen vorliegt, der seinen Militärdienst in einem Konflikt verweigert, seinen künftigen militärischen Einsatzbereich aber nicht kennt, wenn die Ableistung des Militärdienstes in einem Kontext eines allgemeinen Bürgerkriegs stattfände, der durch die wiederholte und systematische Begehung von Kriegsverbrechen durch die Armee unter Einsatz von Wehrpflichtigen gekennzeichnet ist (vgl. EuGH, Urteil vom 19. November 2020 - C-238/19 -, juris Rn. 38). Drittens hat der Gerichtshof klargestellt, dass auch zwischen der Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 Abs. 2 lit. e) der Qualifikationsrichtlinie und den in Art. 10 der Qualifikationsrichtlinie genannten fünf Verfolgungsgründen eine Verknüpfung bestehen muss (vgl. EuGH, Urteil vom 19. November 2020 - C-238/19 -, juris Rn. 44), wobei er auf der Ebene der Beweislast eine „starke Vermutung“ für das Bestehen einer solchen Verknüpfung aufstellt, wobei es Sache der zuständigen nationalen Behörden und Gerichte sein soll, in Anbetracht sämtlicher in Rede stehender Umstände die Plausibilität dieser Verknüpfung zu prüfen (vgl. EuGH, Urteil vom 19. November 2020 - C-238/19 -, juris Rn. 45-61). Die Feststellung, dass § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG, der Art. 9 Abs. 2 lit. e) der Qualifikationsrichtlinie in deutsches Recht umsetzt, unionsrechtswidrig und daher unanwendbar wäre, ist hiermit erkennbar nicht verbunden (vgl. OVG NRW, Urteil vom 12. April 2021 - 14 A 818/19.A - juris Rn. 68).
- 47
(3) Selbst wenn man indes zu dem Ergebnis gelangen würde, dass mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 19. November 2020 - C-238/19 - inzident die Unionsrechtswidrigkeit einer bestimmten Auslegung des § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG festgestellt worden wäre, würde das Unionsrecht im Falle des Klägers nicht die Wiederaufnahme seines Asylverfahrens bzw. die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens gebieten.
- 48
Zwar ist eine durch den Gerichtshof ausgelegte Bestimmung des Unionsrechts von den nationalen Behörden im Rahmen ihrer Zuständigkeit auch auf Rechtsbeziehungen anzuwenden, die - wie vorliegend mit der Stellung des Asylerstantrags - zeitlich vor dem Erlass der Vorabentscheidung des Gerichtshofs entstanden sind. Im Hinblick auf den Grundsatz der Rechtssicherheit verlangt das Unionsrecht allerdings nicht, dass die nationale Behörde grundsätzlich verpflichtet ist, eine Verwaltungsentscheidung zurückzunehmen, die nach Ablauf angemessener Fristen oder durch Erschöpfung des Rechtswegs bestandskräftig geworden ist, weil sich nur durch die Beachtung des Grundsatzes der Rechtssicherheit verhindern lässt, dass Handlungen der Verwaltung, die Rechtswirkungen entfalten, unbegrenzt in Frage gestellt werden können (stRspr., vgl. EuGH, Urteil vom 14. Mai 2020 - C-924/19, C-925/19 [ungarische Transitzonen] -, juris Rn. 186 m.w.N.).
- 49
Nach dem unionsrechtlichen Grundsatz der Zusammenarbeit (Art. 4 Abs. 3 EUV) soll die Behörde daher nur verpflichtet sein, ihre Entscheidung zu überprüfen und eventuell zurückzunehmen, wenn vier Voraussetzungen erfüllt sind: Die Behörde muss erstens nach nationalem Recht befugt sein, die Entscheidung zurückzunehmen. Die Entscheidung muss zweitens infolge des Urteils eines in letzter Instanz entscheidenden nationalen Gerichts bestandskräftig geworden sein. Das Urteil muss, wie eine nach seinem Erlass ergangene Entscheidung des Gerichtshofs zeigt, drittens auf einer unrichtigen Auslegung des Unionsrechts beruhen, die erfolgt ist, ohne dass der Gerichtshof um Vorabentscheidung ersucht wurde, obwohl der Tatbestand des Art. 267 Abs. 3 AEUV erfüllt war. Der Betroffene muss sich viertens, unmittelbar nachdem er Kenntnis von der Entscheidung des Gerichtshofs erlangt hat, an die Verwaltungsbehörde gewandt haben (vgl. EuGH, Urteil vom 14. Mai 2020 - C-924/19, C-925/19 [ungarische Transitzonen] -, juris Rn. 187, unter Verweis auf: EuGH, Urteil vom 13. Januar 2004 - C-453/00 [Kühne & Heitz] - juris Rn. 28; EuGH, Urteil vom 19. September 2006 - C-392/04 und C-422/04 [ i-21 Germany und Arcor] - juris Rn. 52).
- 50
Im Falle des Klägers sind jedenfalls die zweite und die dritte der genannten Voraussetzungen nicht erfüllt. Der im Asylerstverfahren ergangene Bescheid vom 7. Oktober 2016 - 6417392-475 - ist nicht infolge des Urteils eines in letzter Instanz entscheidenden nationalen Gerichts bestandskräftig geworden, aufgrund der Klagerücknahme im erstinstanzlichen Verfahren (Beschluss vom 9. Februar 2018 - 1 K 8442/16.TR -). Entsprechend ist auch kein Verstoß gegen Art. 267 Abs. 3 AEUV feststellbar, auf der die unrichtige Auslegung des Unionsrechts - eine solche unterstellt - beruhen würde. Diese Vorlagepflicht trifft nur ein Gericht, dessen Entscheidungen nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können (vgl. Karpenstein, Das Recht der Europäischen Union, Stand: August 2020, Art. 267 AEUV, Rn. 51-53). Die letzte Instanz des nationalen Verwaltungsrechtswegs hat der Kläger, dessen bereits in erster Instanz durch Klagerücknahme rechtskräftig beendet wurde, nicht erreicht, so dass der innerstaatliche Rechtsweg nicht erschöpft worden ist.
- 51
cc. Jenseits dessen bestehen auch Zweifel daran, ob sich aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 19. November 2020 - C-238/19 - überhaupt eine konkrete Änderung im Vergleich zur bisherigen Rechtslage ergibt.
- 52
Vielmehr handelt es sich bei der Entscheidung um sehr punktuelle, überwiegend mit der bisherigen Auslegung der Richtlinie übereinstimmende Ausführungen, die weder für jedes Asylbegehren eines syrischen Wehrdienstverweigerers von Bedeutung sind noch im Falle der Entscheidungserheblichkeit das Ergebnis präjudizieren. Selbst wenn die „starke Vermutung“ für eine Verknüpfung zwischen der Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 Abs. 2 lit. e) der Qualifikationsrichtlinie und den in Art. 10 der Qualifikationsrichtlinie genannten fünf Verfolgungsgründen eingreift, hängt ein (vollständiger) Erfolg des Asylbegehrens weiterhin von einer Prüfung der Plausibilität der Verknüpfung in Anbetracht sämtlicher in Rede stehender Umstände ab (vgl. EuGH, Urteil vom 19. November 2020 - C-238/19 -, juris Rn. 61) und führt daher gerade nicht gleichsam automatisch zur Unionsrechtswidrigkeit der im Erstverfahren ergangenen Entscheidung (vgl. OVG NRW, Urteil vom 12. April 2021 - 14 A 818/19.A - juris Rn. 68; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 22. Dezember 2020 - A 4 S 4001/20 -, juris Rn. 13).
- 53
Dies zeigt sich nicht zuletzt daran, dass infolge des Urteils des Gerichtshofes die deutschen Verwaltungsgerichte - sofern sie bislang darüber entschieden haben - überwiegend ihre bisherige Rechtsprechung zu der Frage, ob Wehrdienstverweigerern eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung in Syrien droht, beibehalten haben (vgl. nur NiedersOVG, Urteil vom 23. April 2021 - 2 LB 408/20 und 2 LB 147/18 -, zur Veröffentlichung anstehend; OVG NRW, Urteil vom 22. März 2021 - 14 A 3439/18.A - juris; VG Trier, Urteil vom 20. April 2021 - 1 K 3528/20.TR -, zur Veröffentlichung anstehend; VG Düsseldorf, Urteil vom 24. November 2020 - 17 K 3037/20.A - juris; VG Düsseldorf, Urteil vom 1. Dezember 2020 - 17 K 6482/19.A -, juris; VG Berlin, Urteil vom 8. Dezember 2020 - 13 K 146.17 A -, juris; VG Regensburg, Urteil vom 15. Dezember 2020 - RN 11 K 20.31283 - juris; VG Regensburg, Urteil und vom 25. Februar 2021 - RO 11 K 20.31897 -, juris; VG Stuttgart, Urteil vom 11. Februar 2021 - A 4 K 2581/19 -, juris; in diese Richtung: VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 22. Dezember 2020 - A 4 S 4001/20 -, juris; a.A. OVG Berlin-Brandenburg, Urteile vom 29. Januar 2021 - OVG 3 B 108.18, OVG 3 B 68.18, OVG 3 B 109.18 -, juris; VG Stuttgart, Urteil vom 14. Dezember 2020 - A 13 K 3224/20 -, juris; VG Frankfurt (Oder), Urteil vom 29. Januar 2021 - 3 K 2873/16.A -, juris; VG Potsdam, Urteil vom 19. Februar 2021 - 12 K 390/16.A -, juris).
- 54
Das Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 19. November 2020 - C-238/19 -vermag im Übrigen auch deshalb keine Änderung der Rechtslage im Vergleich zum Jahr 2017 zu begründen, weil die Wehrdienstentziehung durch die nationalen Gerichte bereits damals als Sonderrisikofaktor betrachtet und in jedem Einzelfall die Gefahr einer flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgung geprüft wurde (vgl. exemplarisch: OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16. Dezember 2016 - 1 A 10922/16.OVG -, juris; OVG Saarland, Urteil vom 2. Februar 2017 - 2 A 515/16 -, juris; BayVGH, Urteil vom 21. März 2017 - 21 B 16.31013 -, juris; vgl. auch VG Trier, Urteil vom 7. Oktober 2016 - 1 K 5093/16.TR -, juris).
- 55
dd. Schließlich fordert ein Wiederaufgreifen nach § 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Alt. 2 VwVfG auch, dass die Rechtslagenänderung die für den ergangenen Verwaltungsakt entscheidungserheblichen Voraussetzungen betrifft, sodass eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung zumindest möglich ist (vgl. BVerwG, Urteil vom
10. Oktober 2018 - 1 C 26.17 -, juris Rn. 18 m.w.N.).
- 56
Selbst wenn man - entgegen der obigen Ausführungen - das Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 19. November 2020 - C-238/19 - als Änderung der Rechtslage ansehen würde, wäre jedenfalls die Möglichkeit der günstigeren Entscheidung im hier maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt der mündlichen Verhandlung am 4. Mai 2021 nicht (mehr) gegeben. Zwar haben einige deutsche Verwaltungsgerichte ihre Rechtsprechung zu der Frage, ob Wehrdienstverweigerern eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung in Syrien droht, infolge des Urteils des Europäischen Gerichtshofes geändert (vgl. oben).
- 57
Bei Berücksichtigung der nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bestehenden Pflicht zu einer tagesaktuellen Erfassung und Bewertung der entscheidungsrelevanten Tatsachengrundlage (vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. März 2017 - 2 BvR 681/17 -, juris; BVerfG, Beschluss vom 25. April 2018 - 2 BvR 2435/17 -, juris; BVerfG, Einstweilige Anordnung vom 9. Februar 2021 - 2 BvQ 8/21 -, juris) muss auf Grundlage jüngster Erkenntnismittel, insbesondere den Berichten des UNHCR (International Protection Considerations with Regard to People Fleeing the Syrian Arab Republic - Update VI, März 2021) und des European Asylum Support Office (Syria - Military Service, April 2021), die bei den oben genannten Entscheidungen aus den Monaten Dezember 2020 bis Anfang März 2021 denknotwendig noch nicht berücksichtigt werden konnten, davon ausgegangen werden, dass einfachen Wehrdienstverweigerern mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit keine Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes droht. Auch fehlt es ausweislich dieser jüngsten Erkenntnisse an einer erkennbaren Verknüpfung einer Strafverfolgung oder Bestrafung wegen der Wehrdienstverweigerung mit einem Verfolgungsgrund, so dass die vom Europäischen Gerichtshof aufgestellte „starke Vermutung“ als widerlegt zu gelten hat (vgl. VG Trier, Urteil vom 20. April 2021 - 1 K 3528/20.TR -, zur Veröffentlichung anstehend; ebenso OVG NRW, Urteil vom 22. März 2021 - 14 A 3439/18.A - juris; NiedersOVG, Urteil vom 23. April 2021 - 2 LB 408/20 und 2 LB 147/18 -, zur Veröffentlichung anstehend).
- 58
3. Sonstige Gründe für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens liegen ebenfalls nicht vor. Der Kläger hat kein „neues Beweismittel“ im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG vorgelegt, das geeignet wäre, eine für ihn günstigere Entscheidung herbeizuführen (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. April 1982 - 8 C 75/80 - juris). Auch bestehen keine Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Wiederaufgreifensgrundes nach § 51 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG i.V.m. § 580 ZPO.
- 59
III. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf ein Wiederaufgreifen seines Verfahrens „im weiteren Sinne“ (§ 51 Abs. 5 i.V.m. §§ 48, 49 VwVfG), da § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG lediglich auf § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG verweist und daher § 51 Abs. 5 VwVfG explizit ausnimmt.
- 60
Ein entsprechender Anspruch wäre auch materiell-rechtlich nicht gegeben. Die Beklagte handelt grundsätzlich nicht ermessensfehlerhaft, wenn sie ein Wiederaufgreifen im Hinblick auf einen rechtskräftigen Bescheid im früheren Asylverfahren ablehnt. In diesen Fällen bedarf es regelmäßig keiner weiteren ins Einzelne gehenden Ermessenserwägungen. Umstände, die ausnahmsweise eine erneute Sachentscheidung gebieten, das Ermessen der Behörde also zugunsten des Betroffenen verdichten, müssen von einer den in § 51 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 VwVfG geregelten zwingenden Wiederaufgreifensgründe vergleichbaren Bedeutung und Gewicht sein (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Oktober 2009 - 1 C 26.08 - juris Rn 20). Dies ist - wie vorliegend dargestellt - nicht der Fall.
- 61
B. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.
- 62
C. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
- 2 A 515/16 1x (nicht zugeordnet)
- 14 A 3439/18 2x (nicht zugeordnet)
- § 28 Abs. 2 AsylG 2x (nicht zugeordnet)
- BVerfGG § 82 1x
- VwVfG § 48 Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes 1x
- VwGO § 47 1x
- VwGO § 113 1x
- VwGO § 167 1x
- § 76 Abs. 1 Alt. 2 AsylG 1x (nicht zugeordnet)
- § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG 2x (nicht zugeordnet)
- § 83b AsylG 1x (nicht zugeordnet)
- 2 BvR 681/17 1x (nicht zugeordnet)
- 14 A 818/19 5x (nicht zugeordnet)
- 2 BvQ 8/21 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung 1x
- 1 K 3528/20 3x (nicht zugeordnet)
- § 28 Abs. 1 AsylVfG 1x (nicht zugeordnet)
- 12 K 390/16 1x (nicht zugeordnet)
- 4 S 4001/20 3x (nicht zugeordnet)
- 1 K 8442/16 3x (nicht zugeordnet)
- BVerfGG § 95 1x
- BVerfGG § 78 1x
- § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG 2x (nicht zugeordnet)
- § 71 AsylG 1x (nicht zugeordnet)
- 8 C 75/80 1x (nicht zugeordnet)
- § 71 Abs. 1 AsylG 3x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 42 1x
- 3 K 2873/16 1x (nicht zugeordnet)
- 13 K 3224/20 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 154 1x
- § 28 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 AsylG 1x (nicht zugeordnet)
- § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG 2x (nicht zugeordnet)
- VwVfG § 51 Wiederaufgreifen des Verfahrens 21x
- 2 LB 147/18 2x (nicht zugeordnet)
- 17 K 3037/20 1x (nicht zugeordnet)
- BVerfGG § 31 1x
- 17 K 6482/19 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 580 Restitutionsklage 2x
- 2 BvR 2435/17 1x (nicht zugeordnet)
- VwVfG § 49 Widerruf eines rechtmäßigen Verwaltungsaktes 1x
- 2 BvR 643/90 1x (nicht zugeordnet)
- 4 K 2581/19 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 711 Abwendungsbefugnis 1x
- § 3 Abs. 1 AsylG 1x (nicht zugeordnet)
- 7 K 244/19 1x (nicht zugeordnet)
- 1 K 5093/16 1x (nicht zugeordnet)
- Urteil vom Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz (1. Senat) - 1 A 10922/16 2x
- 2 LB 408/20 2x (nicht zugeordnet)
- § 28 Abs. 2 AsylVfG 3x (nicht zugeordnet)