Beschluss vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg - 11 S 321/16

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 29. Januar 2016 - 2 K 519/16 - mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung geändert. Der Antrag wird abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,-- Euro festgesetzt.

Gründe

 
Die fristgerecht eingelegte (§ 147 Abs. 1 VwGO) und den Anforderungen des § 146 Abs. 4 Sätze 1 und 3 VwGO entsprechend begründete Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 29.01.2016 hat Erfolg. Die vom Antragsgegner vorgebrachten Gründe, auf deren Prüfung sich das Beschwerdeverfahren zu beschränken hat (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), ergeben, dass die Entscheidung insoweit abzuändern und der Antrag, dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig die Abschiebung der Antragstellerin zu untersagen, abzulehnen ist. Der Rechtsstreit hat sich nicht dadurch erledigt, dass die Abschiebung der Antragstellerin nach Thailand am konkret vorgesehene Termin, nämlich dem 29.01.2016 um 21.35 Uhr mit einem Flug von Frankfurt nach Bangkok, aufgrund der Entscheidung des Verwaltungsgericht nicht vollzogen werden konnte, denn der Antragsgegner hält weiter daran fest, die vollziehbare Ausreisepflicht der Antragstellerin außerhalb der Mutterschutzfristen (vgl. §§ 3 Abs. 2 und 6 Abs. 1 MuSchG) zwangsweise durchzusetzen.
Die Antragstellerin ist zuletzt am 17.03.2015 mit einem Besuchsvisum in das Bundesgebiet eingereist und hält sich seitdem bei dem deutschen Staatsangehörigen H. auf. Sie ist aufgrund der bestandskräftig gewordenen Verfügung der unteren Ausländerbehörde vom 21.07.2015, mit der der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur Pflege des an Parkinson erkrankten Herrn H. abgelehnt und ihr die Abschiebung nach Thailand angedroht worden ist, vollziehbar ausreisepflichtig. Ein Antrag bei der Härtefallkommission beim Ministerium für Integration Baden-Württemberg vom 21.05.2016 mit dem Ziel ihren Aufenthalt für die Pflege und psychosoziale Betreuung von Herrn H. zu gestatten, wobei sie der Eingabe zufolge die Arbeit kostenfrei gegen Gewährung von Kost und Logis leiste, blieb nach der Mitteilung der Geschäftsstelle der Härtefallkommission vom 23.12.2015 ohne Erfolg.
Das Verwaltungsgericht hat dem am 29.01.2016 um 16.15 Uhr eingegangenen Antrag auf vorläufige Untersagung der Abschiebung der Antragstellerin entsprochen, weil in der Antragsbegründung vorgetragen war, sie erwarte ein Kind von dem deutschen Staatsbürger H. und dieses Kind sei kraft Gesetzes deutscher Staatsbürger. Das Verwaltungsgericht war der Auffassung, dass ungeachtet dessen, dass keine wirksame Vaterschaftsanerkennung vorliege, mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden könne, das Kind werde die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben. Deutsche Staatsangehörige hätten - was selbstverständlich sei - ein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet. Dieses Aufenthaltsrecht erstrecke sich auch auf noch zu gebärende Kinder. Das voraussichtliche Erlangen der deutschen Staatsangehörigkeit vermittele bereits für das werdende Kind und damit zwangsläufig auch für die Schwangere ein Bleiberecht. Sollte sich später herausstellen, dass das momentan noch nicht geborene Kind nicht die deutsche Staatsangehörigkeit erlange, wäre eine Abschiebung der Antragstellerin allerdings wieder möglich.
Diese Entscheidung beruht auf einer unzureichenden Tatsachengrundlage und Glaubhaftmachung. Sie hätte auf der Grundlage des Vortrags zum damaligen Zeitpunkt nicht erlassen werden dürfen und kann auch nicht nach dem aktuellen Sach- und Streitstand aufrecht erhalten werden. Die Antragstellerin hat gegenüber dem Verwaltungsgericht zwar behauptet, das Kind eines deutschen Staatsangehörigen zu erwarten. Sie hat dies jedoch nicht glaubhaft gemacht. Damit fehlt es schon an einer Tatsachengrundlage für die Frage einer vorläufigen Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 oder Satz 3 AufenthG. Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist nämlich, dass die tatsächlichen Voraussetzungen eines Anordnungsanspruchs glaubhaft gemacht werden (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Glaubhaftmachung bedeutet, sofern - was hier nicht vorliegt - die maßgeblichen Tatsachen nicht ohnehin unstreitig oder geklärt sind, dass abweichend vom Überzeugungsgrundsatz des § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO das Vorliegen der entscheidungserheblichen Tatsachen nur überwiegend wahrscheinlich sein muss (Funke-Kaiser, in Bader, u.a., VwGO, 6. Aufl. 2014, § 123 Rn. 30; Schoch, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 123 Rn. 94 - jew. m.w.N.). Das konkret notwendige Maß an Glaubhaftmachung entzieht sich einer generalisierenden Umschreibung und kann nur im Einzelfall bestimmt werden; die Anforderungen an die Glaubhaftmachung durch den Antragsteller des Eilverfahrens dürfen nicht überspannt werden und haben sich am Rechtsschutzziel zu orientieren, das er mit seinem Begehren verfolgt (BVerfG, Kammerbeschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 -, NVwZ 2005, 927; Schoch, a.a.O.). Der Antragsgegner hat allerdings mit seiner Beschwerde zurecht geltend gemacht, dass allein die behauptete Vaterschaft des deutschen Staatsangehörigen H. für das (ungeborene) Kind nicht zu einem Duldungsgrund führt. Auch nach der Sachlage, wie sie sich im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats darstellt, ist das Vorliegen eines Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht.
Begehrt eine (werdende) ausländische Mutter unter Berufung auf die voraussichtliche deutsche Staatsangehörigkeit ihres Kindes aufgrund Abstammung von einem deutschen Mann, mit dem sie nicht verheiratet ist, die vorläufige Aussetzung ihrer Abschiebung im Bundesgebiet im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO, so bedarf es zur Glaubhaftmachung der deutschen Abstammung des (werdenden) Kindes grundsätzlich der Vorlage einer Urkunde über die Vaterschaftsanerkennung nach § 1592 Nr. 2 BGB i.V.m. 1594 ff. BGB. Eine (vorgeburtliche) Vaterschaftsanerkennung ist in der Regel geeignet aber auch erforderlich, damit eine hinreichend verlässliche tatsächliche Grundlage für die Prüfung eines vorläufigen Duldungsanspruchs auch mit Blick auf eine mögliche aufenthaltsrechtlichen Vorwirkung des Art. 6 GG besteht (siehe hierzu auch OVG LSA, Beschluss vom 10.12.2014 - 2 M 127/14 -, juris Rn. 6; OVG BB, Beschluss vom 16.12.2014 - OVG 11 S 52.14 -, juris, Rn. 6; Funke-Kaiser, in GK-AufenthG, § 60a Rn. 174 ).
Es ist nicht ersichtlich, dass mit dieser Anforderung die Erlangung effektiven Rechtsschutzes insbesondere im vorliegenden Fall in unzumutbarer Weise erschwert wäre. Zwar ist die ursprünglich für den 29.01.2016 vorgesehene Abschiebung entsprechend § 59 Abs. 1 Satz 8 AufenthG nicht angekündigt worden. Es wäre jedoch zeitlich ohne weiteres möglich gewesen, zuvor eine (vorgeburtliche) Vaterschaftsanerkennung in die Wege zu leiten und eine entsprechende Urkunde vorzulegen. Die am 03.08.2015 in der 6. Schwangerschaftswoche festgestellte Schwangerschaft der Antragstellerin war der unteren Ausländerbehörde am 09.11.2015 unter der Angabe der Vaterschaft von Herrn H. mitgeteilt worden. Die Behörde forderte unter dem gleichen Datum zur Vorlage von Mutterpass, Vaterschaftsanerkennung und Sorgerechtserklärung auf. Die Antragstellerin legte zwar am 07.01.2016 bei der unteren Ausländerbehörde den Mutterpass vor, jedoch trotz erneuter Aufforderung keine Vaterschaftsanerkennung. Spätestens mit der Einbehaltung ihres Reisepasses durch die Ausländerbehörde am 07.01.2016 und der an ihren Prozessbevollmächtigten zugestellten Entscheidung vom 19.01.2016 über die Befristung der Sperrwirkungen der Abschiebung musste ihr allerdings nochmals deutlich geworden sein, dass ihre Abschiebung demnächst droht.
Zwar ist es auch in der Konstellation, die dem vorliegenden Fall zugrunde liegt, denkbar, dass einem Antrag nach § 123 VwGO auf vorläufige Aussetzung der Abschiebung keine Urkunde über die Vaterschaftsanerkennung beigefügt werden kann, weil einer Vaterschaftsanerkennung nach § 1592 Nr. 2 BGB rechtliche oder tatsächliche Hindernisse entgegen stehen. Insbesondere kann in Betracht kommen, dass die Vaterschaft mit familiengerichtlicher Hilfe geklärt werden muss und daher der weitere Aufenthalt im Bundesgebiet primär zunächst der Sicherung eines (zukünftigen) familiengerichtlichen Verfahrens dienen soll. Dann ist es aber unerlässlich, dass im Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung substantiiert und nachvollziehbar Tatsachen dazu vorgetragen werden, weshalb eine Vaterschaftsanerkennung nicht vorliegt und dennoch von der Vaterschaft eines deutschen Staatsangehörigen auszugehen ist. Zur erforderlichen Glaubhaftmachung steht insbesondere die eidesstattliche Versicherung entsprechend § 294 Abs. 1 ZPO (ggfs. auch durch Dritte) zur Verfügung (siehe hierzu und zu weiteren Mitteln der Glaubhaftmachung (Vollmer, in: Zöller, ZPO, 31. Aufl. 2016 § 920 Rn. 8 ff.).
Weder gegenüber dem Verwaltungsgericht noch im Beschwerdeverfahren ist eine Vaterschaft des deutschen Staatsangehörigen H. glaubhaft gemacht worden. Ungeachtet des Umstands, dass im Schriftsatz des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 12.02.2016 ausdrücklich das Fehlen einer Vaterschaftsanerkennung und die rechtliche Bedeutung dessen thematisiert worden ist, beschränkt sich die Äußerung der Antragstellerin im Schriftsatz vom 26.02.2016 darauf, „sich in vorbezeichneter Angelegenheit dem Urteil der ersten Instanz anzuschließen“. Da es sich bei der Vaterschaft des (erwarteten) Kindes um persönliche, ausschließlich aus der Sphäre der Antragstellerin resultierende Umstände handelt, obliegt es ihrer Mitwirkungspflicht (vgl. auch § 82 AufenthG) hierzu vorzutragen. Es ist nicht Aufgabe des Gerichts, von Amts wegen „ins Blaue hinein“ zu ermitteln.
Dass eine beabsichtigte Eheschließung und eine geltend gemachte Pflegebedürftigkeit von Herrn H. nicht zu einer vorübergehenden Duldung im Bundesgebiet führen, hat das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt. Hierauf wird nach § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO Bezug genommen.
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Sollte eine Änderung der Sachlage eintreten, wie etwa eine Vaterschaftsanerkennung und eine Sorgerechtserklärung vorliegen oder ein tatsächlich gelebtes schützenswertes Familienleben gegeben sein, so bleibt es der Antragstellerin unbenommen, dies gegenüber dem Beklagten geltend zu machen und ggfs. erneut eine einstweilige Anordnung zu beantragen (Funke-Kaiser, in Bader, u.a., VwGO, 6. Aufl. 2014, § 123 Rn. 64).
11 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2, § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1GKG.
12 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 152 Abs. 1 VwGO.

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