Beschluss vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg - 1 S 1024/21

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 2. März 2021 - 1 K 10225/18 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

 
I.
Die Beteiligten streiten im vorliegenden Zwischenverfahren um den Rechtsweg für eine Klage, mit der sich der im Maßregelvollzug befindliche Kläger gegen polizeiliche Maßnahmen in einem psychiatrischen Krankenhaus wendet.
Der Kläger ist seit dem xxxxxxxxxx gemäß § 63 StGB im Psychiatrischen Zentrum Nordbaden (PZN), einem Fachkrankenhaus für Psychiatrie, untergebracht.
Er befand sich am xxxxxxxxx in einem Krisenraum der Station xx der Klinik des PZN für Forensische Psychiatrie. Bei einer der dort regelmäßig durchgeführten Kontrollen vernahm ein Pfleger ein metallisches Geräusch in dem Raum. Da der Kläger hierzu keine Auskunft gab, wurde ihm sinngemäß mitgeteilt, er müsse in einen anderen Krisenraum verbracht werden, um zur Gewährleistung der Sicherheit auf der Station den bisher genutzten Raum und ihn selbst durchsuchen zu können. Der Kläger weigerte sich, den Raum zu verlassen und bedrohte die Bediensteten, die ihn als hoch aggressiv und unberechenbar einschätzten. Nachdem es diesen nicht gelungen war, den verbal eskalierenden und an die Tür schlagenden Kläger zu beruhigen, kontaktierte der stellvertretende Stationsleiter den Polizeivollzugsdienst und bat diesen sinngemäß um Hilfe bei der Verbringung des Klägers in einen Fixierraum. Bis zum Eintreffen des Polizeivollzugsdienstes hatte der Kläger zerrissene Bettwäsche um Hände und Unterarme gewickelt, den Boden des Raumes teils mit Butter beschmiert, die Zugangstür mit in den Türspalt geschobenen Zeitschriften blockiert und sich hinter einer Schaumstoffmatratze verschanzt. Den Polizeibeamten streckte er eine Metallschraube als Waffe entgegen und kündigte ihnen „Kampf bis aufs Blut“ an. Nachdem der Kläger auf entsprechende Androhungen nicht reagiert hatte, setzte der Polizeivollzugsdienst einen Polizeihund ein, der dem Kläger Bisse an der rechten Körperhälfte zufügte. Der Kläger stürzte und wurde schließlich, sich weiter mit Tritten und Schlägen wehrend, von acht Polizeibeamten unter Schlagstockeinsatz am Boden festgehalten, mit Hand- und Fußschließen versehen, in einen nahegelegenen anderen Raum gebracht und dort fixiert. Er zog sich im Zuge dieser Maßnahmen Prellungen und eine Platzwunde am Hinterkopf zu. Die Wunden wurden in dem Krankenhaus chirurgisch versorgt.
Am 13.10.2017 hat der Kläger Klage zum Verwaltungsgericht Karlsruhe erhoben und im Wesentlichen beantragt, festzustellen, dass der am xxxxxxxxxx gegenüber ihm vorgenommene Einsatz des Polizeihundes und der Schlagstockeinsatz rechtswidrig waren.
Während des erstinstanzlichen Verfahrens hat die Staatsanwaltschaft Heidelberg gegen die an dem Einsatz beteiligten Beamten des Polizeivollzugsdienstes ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Körperverletzung im Amt geführt. Dieses Verfahren hat sie mit Verfügung vom xxxxxxxxx - xxx xx xxxxxxx - nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.
Mit Beschluss vom 02.03.2021 - 1 K 10225/18 - hat das Verwaltungsgericht den Rechtsweg für unzulässig erklärt und das Klageverfahren an das Landgericht Heidelberg verwiesen. Gegen diesen Beschluss wendet sich der Kläger mit der vorliegenden Beschwerde, der der Beklagte entgegengetreten ist.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die in beiden Instanzen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und auf die Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft Heidelberg verwiesen.
II.
1. Die Beschwerde ist zulässig, aber nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat den Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten zu Recht und mit zutreffender Begründung gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 17 a Abs. 2 Satz 1 GVG für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das im Zivilrechtsweg sachlich und örtlich zuständige Landgericht Heidelberg verwiesen.
Der Verwaltungsrechtsweg ist nicht eröffnet. Denn die vorliegende öffentlich-rechtliche Streitigkeit ist durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen (vgl. § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die abdrängende Sonderzuweisung ergibt sich aus § 109 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 110 StVollzG.
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§ 109 Abs. 1 Satz 1 StVollzG bestimmt, dass gegen eine Maßnahme zur Regelung einzelner Angelegenheiten auf dem Gebiet des Strafvollzuges oder des Vollzuges freiheitsentziehender Maßregeln der Besserung und Sicherung eine gerichtliche Entscheidung beantragt werden kann, wobei über einen solchen Antrag gemäß § 110 StVollzG die Strafvollstreckungskammer (vgl. § 78a Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 2 GVG), in deren Bezirk die beteiligte Vollzugsbehörde ihren Sitz hat, entscheidet. Diese Vorschriften sind auch maßgeblich, wenn die Maßregel der Besserung und Sicherung - wie hier - durch eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus erfolgt (vgl. § 61 Nr. 1, § 63 StGB), die sich gemäß § 138 Abs. 1 Satz 1 StVollzG, soweit Bundesrecht nichts anderes bestimmt, nach Landesrecht richtet (vgl. § 138 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 StVollzG und § 54 Abs. 2 PsychKHG jeweils i.V.m. §§ 109 f. StVollzG).
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Die tatbestandlichen Voraussetzungen für die abdrängende Sonderzuweisung aus § 109 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 110 StVollzG sind vorliegend erfüllt. Insbesondere handelte es sich bei den am xxxxxxxxxx gegen den Kläger ergriffenen Maßnahmen um „Maßnahmen zur Regelung einzelner Angelegenheiten auf dem Gebiet des Vollzuges freiheitsentziehender Maßregeln der Besserung und Sicherung“ im Sinne jener Vorschrift. Der Begriff der „Maßnahme zur Regelung einzelner Angelegenheiten auf dem Gebiet des Strafvollzuges oder des Vollzuges freiheitsentziehender Maßregeln der Besserung und Sicherung“ erfasst jedes vollzugsbehördliche Handeln, das in das Rechtsverhältnis zwischen einem Gefangenen bzw. Untergebrachten und dem Staat eingreift, das sich auf der Grundlage des Straß- bzw. Maßregelvollzugsrechts ergibt (vgl. Laubenthal, in: Schwind u.a., Strafvollzugsgesetz, 7. Aufl., § 109 Rn. 10 m.w.N.), und im Einzelfall auf die Gestaltung von Lebensverhältnissen mit zumindest auch rechtlicher Wirkung gerichtet ist (vgl. Euler, in: Graf, BeckOK Strafvollzugsrecht Bund, 19. Ed., § 109 StVollzG Rn. 7 m.w.N.). Für die Beantwortung der Frage, ob eine Maßnahme einen in diesem Sinne „regelnden“ Charakter hat, kommt es (nur) darauf an, ob die Möglichkeit besteht, dass - was im Lichte von Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG ausreicht - das Handeln oder Unterlassen Rechte des Gefangenen bzw. Untergebrachten verletzt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 12.03.2019 - 2 BvR 2255/17 u.a. - NJW 2019, 1667). Vom Tatbestand des § 109 Abs. 1 Satz 1 StVollzG erfasst sind nach diesen Grundsätzen neben Verwaltungsakten beispielsweise auch Realakte wie Sicherungsmaßnahmen, Zellendurchsuchungen oder Entnahmen von Sachen aus einem Haft- bzw. Unterbringungsraum (vgl. Euler, a.a.O., § 109 Rn. 7 f. m.w.N.). Unerheblich für die Einordnung einer Maßnahme als vollzugliche Maßnahme im Sinne des § 109 Abs. 1 Satz 1 StVollzG ist, ob der Bedienstete der Einrichtung, der die Anordnung im Einzelfall getroffen hat, dafür zuständig war. Diese Frage betrifft nicht die Rechtsnatur, sondern nur die Rechtmäßigkeit der Maßnahme (vgl. Laubenthal, a.a.O., § 109 Rn. 10 m.w.N.) und ist deshalb auch für den Rechtsweg, auf dem die Rechtmäßigkeit gegebenenfalls zu überprüfen ist, ohne Belang.
12 
An diesen Maßstäben gemessen, handelte es sich auch bei den am xxxxxxxxxx gegen den Kläger ergriffenen Maßnahmen um vollzugliche Maßnahmen im Sinne des § 109 Abs. 1 Satz 1 StVollzG. Der stellvertretende Stationsleiter hat - ohne dass es insoweit auf seine Zuständigkeit ankäme - die Verlegung des Klägers von einem Unterbringungsraum in einen anderen veranlasst, um im Interesse der Sicherheit der Bediensteten des Krankenhauses und des Klägers selbst den zuerst genutzten Raum sowie den Kläger auf Waffen und gefährliche Werkzeuge hin durchsuchen zu können. Hierbei handelte es sich jeweils um Maßnahmen, die auf der Grundlage des Maßregelvollzugsrechts (vgl. nur § 50 PsychKHG) in das Rechtsverhältnis zwischen dem Staat und dem Kläger als nach § 63 StGB Untergebrachtem in dessen Grundrechte eingriffen. Nichts anderes gilt für die Anordnung und Anwendung von unmittelbarem Zwang, die im Maßregelvollzugsrecht eigens normiert sind (vgl. § 130 i.V.m. §§ 94 ff. StVollzG, § 49 Abs. 1 i.V.m. §§ 25 f. PsychKHG) und im vorliegenden Fall auch für die Zwecke des Maßregelvollzugs erfolgten.
13 
Der Kläger kann dem nicht mit Erfolg seinen Einwand aus der Beschwerdebegründung entgegenhalten, im vorliegenden Fall sei es um „originäres Polizeihandeln“ gegangen, was insbesondere an dem für eine psychiatrische Anstalt untypischen Polizeihundeeinsatz zum Ausdruck gekommen sei. Die Hinzuziehung des Polizeivollzugsdienstes durch den stellvertretenden Stationsleiter stellte sich im vorliegenden Fall als ein Amtshilfeersuchen (vgl. § 4 Abs. 1, § 5 Abs. 1 LVwVfG) der Maßregelvollzugseinrichtung (vgl. § 34 Abs. 1 PsychKHG), einer rechtsfähigen Anstalt des öffentlichen Rechts (vgl. § 1 Abs. 1 EZPsychG), um Vollzugshilfe (vgl. § 60 Abs. 5 PolG a.F., heute § 105 Abs. 5 PolG) dar, dem der Polizeivollzugsdienst im Ergebnis entsprach (vgl. zur grundsätzlichen Zulässigkeit von Amtshilfe durch den Polizeivollzugsdienst in Justizvollzugsanstalten und Maßregelvollzugseinrichtungen Wachs, in: Graf, a.a.O., § 94 StVollzG Rn. 5; Baier/Koepsel, in: Schwind u.a., a.a.O., § 94 Rn. 2 f.; jeweils m.w.N.). Bei dieser Inanspruchnahme von Amtshilfe blieb die Maßregelvollzugseinrichtung „Herrin des Verfahrens“ (vgl. BVerwG, Urt. v. 25.10.2017 - 6 C 46.16 - BVerwGE 160, 169) und die von dem Polizeivollzugsdienst auf ihr Ersuchen durchgeführte Anwendung von unmittelbarem Zwang Teil der von ihr angeordneten und ihr zuzurechnenden (vgl. Euler, a.a.O., § 109 Rn. 7 m.w.N.) vollzuglichen Maßnahmen im Sinne des § 109 Abs. 1 Satz 1 StVollzG. Unerheblich ist auch in diesem Zusammenhang entsprechend dem oben Gesagten, ob diese Maßnahme, wie der Kläger es fordert, von der „eigentlich zuständigen Person (…) initiiert“ wurden. Für den Tatbestand des § 109 Abs. 1 Satz 1 StVollzG und damit den Rechtsweg ebenfalls ohne Belang ist, ob diese Maßnahmen im Übrigen in jeder Hinsicht rechtmäßig waren. Diese Frage ist auf dem durch § 109 Abs. 1 Satz 1 StVollzG eröffneten Rechtsweg zu beantworten.
14 
Der Kläger kann der erfolgten Verweisung des Klageverfahrens an die ordentliche Gerichtsbarkeit auch nicht mit Erfolg seinen Einwand entgegenhalten, ihm würde dadurch effektiver Rechtsschutz verweigert, weil im Falle der Verweisung die (mit Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 01.03.2018 - 1 K 13803/17 -) erfolgte Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten beendet wäre und im Rahmen des Strafvollzugsgesetzes für eine Angelegenheit wie die vorliegende keine Beiordnung eines Pflichtverteidigers vorgesehen sei. Dieses Vorbringen vermag der Beschwerde schon deshalb nicht zum Erfolg zu verhelfen, weil es an den insoweit allein maßgeblichen gesetzlichen Vorschriften über die Bestimmung des Rechtswegs aus § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO und § 109 Abs. 1 Satz 1 StVollzG vorbeigeht. Nach diesen kommt es nicht auf prozess- bzw. verfahrenskostenhilferechtliche Gesichtspunkte, sondern, wie gezeigt, allein auf die materiell-rechtliche Frage an, ob sich der Kläger bzw. Antragsteller gegen eine „Maßnahme zur Regelung einzelner Angelegenheiten auf dem Gebiet des Vollzuges freiheitsentziehender Maßregeln der Besserung und Sicherung“ im Sinne der zuletzt genannten Vorschrift wendet. Unabhängig davon - und ohne dass dies vorliegend entscheidungserheblich wäre - ist nicht ersichtlich, weshalb der Kläger in der ordentlichen Gerichtsbarkeit in dem Verfahren nach § 109 Abs. 1 Satz 1, § 110 StPO nicht erforderlichenfalls Prozesskostenhilfe in einem den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügenden Umfang erlangen können sollte (vgl. § 120 Abs. 3 StVollzG i.V.m. §§ 114 ff. ZPO und dazu Laubenthal, a.a.O., § 120 Rn. 11 f. m.w.N.).
15 
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 17 a Abs. 4 Satz 3 GVG i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO.
16 
Ein Streitwert muss nicht festgesetzt werden, weil bei Erfolglosigkeit der Beschwerde eine vom Streitwert unabhängige Gerichtsgebühr von 66,00 EUR anzusetzen ist (vgl. Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses, Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG).
17 
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (vgl. § 17 a Abs. 4 Satz 5 GVG) liegen nicht vor. Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

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