Beschluss vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg - 12 S 3027/21

Tenor

Das Verfahren wird eingestellt.Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 8. September 2021 - 13 K 2489/21 - ist mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung wirkungslos.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Der Streitwert wird unter Abänderung der Streitwertfestsetzung durch das Verwaltungsgericht von Amts wegen für beide Rechtszüge auf jeweils 2.500,– EUR festgesetzt.

Gründe

 
I. Nachdem die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache mit Schriftsätzen vom 27.10. bzw. 09.11.2021 übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren in entsprechender Anwendung von § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO insgesamt einzustellen, die Entscheidung des Verwaltungsgerichts mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung für wirkungslos zu erklären (§ 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO in entsprechender Anwendung) und gemäß § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO nach billigem Ermessen über die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen durch Beschluss der Berichterstatterin (§ 87a Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 VwGO) zu entscheiden.
Billigem Ermessen im Sinne des § 161 Abs. 2 VwGO entspricht es in der Regel, nach dem Grundsatz des § 154 Abs. 1 VwGO dem Beteiligten die Kosten aufzuerlegen, der voraussichtlich in der Hauptsache unterlegen wäre, hätte der Rechtsstreit sich nicht in der Hauptsache erledigt (vgl. näher VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 17.12.2018 - 12 S 1536/18 -, juris Rn. 6). Maßgebend ist dabei die Sach- und Rechtslage unmittelbar vor Eintritt des erledigenden Ereignisses (vgl. Schenke in: Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, § 161 Rn. 16). Im Rahmen der Kostenentscheidung ist der voraussichtliche Ausgang des Verfahrens zu berücksichtigen, soweit dies im Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses überblickt werden kann und ohne dass dabei schwierige, bislang nicht entschiedene Rechtsfragen beantwortet werden müssen (stRspr, vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 18.01.2019 - 2 B 62.18 -, juris Rn. 2 m.w.N.).
Danach entspricht es billigem Ermessen, die Verfahrenskosten dem Antragsteller aufzuerlegen. Denn die Beschwerde hätte im Zeitpunkt unmittelbar vor Eintritt des erledigenden Ereignisses wahrscheinlich Erfolg gehabt.
1. Das erledigende Ereignis trat mit Ablauf des 29.09.2021 ein.
Streitgegenstand der Beschwerde war der Beschluss des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 08.09.2021, mit dem das Verwaltungsgericht den Antrag des Antragstellers auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gegen die seiner Duldung vom 01.07.2021 beigefügte auflösende Bedingung „Duldung erlischt mit der Bekanntgabe des Abschiebetermins“ dahingehend ausgelegt hat, dass der Antragsteller die Feststellung der aufschiebenden Wirkung seiner dagegen erhobenen Klage 13 K 2488/21 begehre, und dem das Verwaltungsgericht stattgegeben hat.
Bei dem Zusatz zu der im Auftrag des Regierungspräsidiums Karlsruhe erteilten Duldung „Duldung erlischt mit der Bekanntgabe des Abschiebetermins“ handelt es sich um eine „klassische“ unselbständige Nebenbestimmung in Form der auflösenden Bedingung (vgl. § 36 Abs. 2 Nr. 2 LVwVfG), die auf die innere Wirksamkeit des begünstigenden Haupt-Verwaltungsakts, der Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG, von Einfluss ist (vgl. dazu Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 11.01.2019 - 13 ME 220/18 -, juris Rn. 10). Daher hat sich mit dem Ablauf der Geltungsdauer der Duldung - hier am 29.09.2021 - ipso iure auch die der Duldung beigefügte unselbständige Nebenbestimmung erledigt.
2. Zum Zeitpunkt unmittelbar vor Eintritt des erledigenden Ereignisses hätte die Beschwerde bei summarischer Prüfung wahrscheinlich Erfolg gehabt. Sie dürfte zulässig, insbesondere statthaft (dazu a)), und begründet gewesen sein (dazu b)).
a) Dass die Beschwerde gemäß § 80 AsylG nicht statthaft gewesen wäre, ist nicht anzunehmen.
Nach § 80 AsylG können Entscheidungen in Rechtsstreitigkeiten nach diesem Gesetz vorbehaltlich des § 133 Abs. 1 VwGO nicht mit der Beschwerde angefochten werden. Dabei führt nicht schon der Umstand, dass die streitige Nebenbestimmung „Duldung erlischt mit der Bekanntgabe des Abschiebetermins“ einer Duldung beigefügt wurde, mit welcher die Vollstreckung einer vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erlassenen Abschiebungsandrohung ausgesetzt worden ist, dazu, dass es sich bei der Streitigkeit um die Rechtmäßigkeit der Nebenbestimmung um eine solche nach dem Asylgesetz handelte. Denn auch der Streit um die Aussetzung der Abschiebung, also die Erteilung der Duldung, ist keine Streitigkeit nach dem Asylgesetz (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 26.10.2020 - 12 S 2380/20 -, juris Rn. 11, vom 26.04.2016 - 11 S 432/16 -, juris Rn. 1, und vom 04.03.1999 - 11 S 215/99 -, juris Rn. 2 ff.; Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 13.09.2016 - 13 PA 151/16 -, juris Rn. 5 f.; Bayerischer VGH, Beschluss vom 04.01.2016 - 10 C 15.2105 -, juris Rn. 17 f.; siehe auch BVerwG, Urteil vom 25.09.1997 - 1 C 6.97 -, juris Rn. 15, zu einer Klage auf Erteilung einer Duldung nach Ergehen einer Abschiebungsandrohung durch das Bundesamt; a.A. etwa Hessischer VGH, Beschluss vom 07.10.2019 - 6 B 2277/19.A -, juris Rn. 2 ff.; Bergmann in: Bergmann/Dienelt, AuslR, 13. Aufl. 2020, § 80 AsylG Rn. 4; Funke-Kaiser in: GK-AsylG, § 80 AsylG Rn. 13 ).
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Maßgeblich für die Einordnung einer Streitigkeit als solcher nach dem Asylgesetz ist der geltend gemachte Anspruch im jeweiligen Verfahren als Teil des verwaltungsprozessualen Streitgegenstands. Es geht darum, ob die begehrte Maßnahme oder Entscheidung ihre rechtliche Grundlage im Asylgesetz findet (vgl. BVerwG, Urteil vom 25.09.1997 - 1 C 6.97 -, juris Rn. 14). Der Streitgegenstand bestimmt sich über den geltend gemachten, im Zentrum stehenden Anspruch - also über die begehrte Rechtsfolge - und den dafür herangezogenen Grund - nämlich den Sachverhalt, aus dem sich die Rechtsfolge ergeben soll (vgl. BVerwG, Urteil vom 10.05.1994 - 9 C 501.93 -, juris Rn. 9; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 17.09.2018 - 11 S 809/18 -, juris Rn. 7; Rennert in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 121 Rn. 23). Im Rahmen der einstweiligen Anordnung ist Gegenstand die vorläufige Sicherung des Hauptsacheanspruchs (vgl. Funke-Kaiser in: Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth/von Albedyll, VwGO, 8. Aufl. 2021, § 123 Rn. 12), sodass sich der Streitgegenstand des Hauptsacheverfahrens mittelbar auf denjenigen des Verfahrens nach § 123 VwGO auswirkt (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 26.10.2020 - 12 S 2380/20 -, juris Rn. 10).
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Ausgehend von diesen Grundsätzen liegt keine Streitigkeit nach dem Asylgesetz vor, wenn der ehemalige Asylbewerber gegenüber der für die Abschiebung zuständigen Ausländerbehörde unter Berufung auf Duldungsgründe (§§ 60a ff. AufenthG) die Aussetzung seiner Abschiebung begehrt (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 26.10.2020 - 12 S 2380/20 -, juris Rn. 11, und vom 18.12.2018 - 11 S 2125/18 -, juris Rn. 3; offengelassen, wenn der Aufenthalt - anders als im vorliegenden Fall - aufgrund einer Folgeantragstellung auf § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG beruht, VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 03.02.2022 - 12 S 3238/20 -, n.v.). Entsprechend dürfte auch in Fällen, in denen sich der ehemalige Asylbewerber - wie hier - gegen eine einer Duldung beigefügte auflösende Bedingung zur Wehr setzt, keine Streitigkeit nach dem Asylgesetz im Sinne von § 80 AsylG vorliegen.
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Die Beschwerde gegen den am 13.09.2021 zugestellten Beschluss des Verwaltungsgerichts dürfte auch sonst zulässig gewesen sein. Sie ist mit am 16.09.2021 bei dem Verwaltungsgericht Freiburg eingegangenem Schreiben fristgemäß eingelegt und begründet worden (§ 146 Abs. 4 Satz 1, § 147 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Antragsgegner dürfte zudem einen hinreichend bestimmten Antrag gestellt haben (§ 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO). Dem formulierten Antrag, den Beschluss des Verwaltungsgerichts aufzuheben, und den dazu vorgebrachten Ausführungen des Antragsgegners dürfte (noch) mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen gewesen sein, dass neben der Aufhebung der angefochtenen Entscheidung auch die Ablehnung des ursprünglich von dem Antragsteller gestellten Antrages begehrt wurde.
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b) Die Beschwerde dürfte überdies begründet gewesen sein. Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts dürfte - wie die Beschwerde den Darlegungsanforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO entsprechend geltend gemacht hat - der Klage gegen die streitgegenständliche Nebenbestimmung keine aufschiebende Wirkung zugekommen und demzufolge auch nicht die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Nebenbestimmung festzustellen gewesen sein (dazu aa)). Der somit inhaltlich zu prüfende Antrag des Antragstellers auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes dürfte zulässig, jedoch unbegründet gewesen sein (dazu bb)).
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aa) Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts dürfte nicht festzustellen gewesen sein, dass der (Anfechtungs-)Klage des Antragstellers gegen den Zusatz zu seiner Duldung „Duldung erlischt mit der Bekanntgabe des Abschiebetermins“ aufschiebende Wirkung zukam.
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Zutreffend ist zwar, dass eine entsprechende Anwendung des § 80 Abs. 5 VwGO für den Fall anerkannt ist, in dem die Behörde zu Unrecht vom Nichteintritt der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs ausgeht (vgl. Bayerischer VGH, Beschluss vom 18.11.2019 - 4 CS 19.1839 -, juris Rn. 4; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 31.05.2006 - 2 S 946/06 -, juris Rn. 3).
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Richtig ist auch, dass der Antragsteller gegen die seiner Duldung beigefügte Nebenbestimmung in der Hauptsache eine statthafte Anfechtungsklage im Sinne des § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO erhoben hat, sodass im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes das Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO statthaft ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 22.11.2000 - 11 C 2.00 -, juris Rn. 25; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 24.02.2016 - 11 S 1626/15 -, juris Rn. 27; OVG Bremen, Beschluss vom 29.03.2011 - 1 B 57/11, 1 B 67/11 -, juris Rn. 6 ff.).
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Überdies dürfte das Verwaltungsgericht fehlerfrei angenommen haben, dass die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die streitgegenständliche Nebenbestimmung insbesondere nicht gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2a AufenthG - jeweils in der Fassung des Art. 1 des Zweiten Gesetzes zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht vom 15.08.2019 (BGBl. I S. 1294) - entfallen ist. Danach haben Widerspruch und Klage gegen Auflagen zur Sicherung und Durchsetzung der vollziehbaren Ausreisepflicht nach § 61 Abs. 1e AufenthG keine aufschiebende Wirkung. Es spricht viel dafür, dass - worauf sich auch der Antragsgegner in seiner Antragserwiderung bei dem Verwaltungsgericht berufen hat - Rechtsgrundlage der auflösenden Bedingung „Duldung erlischt mit der Bekanntgabe des Abschiebetermins“ § 61 Abs. 1f AufenthG ist (vgl. auch OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 07.12.2015 - OVG 12 S 77.15 - juris Rn. 3; Bayerischer VGH, Beschluss vom 18.02.2015 - 10 C 14.1117 -, juris Rn. 25, Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 11.01.2019 - 13 ME 220/18 -, juris Rn. 10, jeweils zum gleichlautenden § 61 Abs. 1e AufenthG in der bis zum 20.08.2019 geltenden Fassung; Hailbronner, Ausländerrecht, § 61 Rn. 55 ; Dollinger in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, AufenthG, § 61 Rn. 28; siehe auch VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 24.02.2016 - 11 S 1626/15 -, juris Rn. 30 zu § 36 Abs. 1 Alt. 2 LVwVfG). Ob sich die Nebenbestimmung alternativ auch auf den durch das Zweite Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht neu geschaffenen § 61 Abs. 1e AufenthG stützen ließe, weil der Begriff „Auflage“ im Sinne dieses Absatzes weit zu verstehen sein und auch die hier streitgegenständliche auflösende Bedingung erfassen könnte, bedarf keiner Entscheidung. Denn dies wäre nur dann in Betracht gekommen, wenn in Bezug auf die auflösende Bedingung die weiteren Voraussetzungen des § 61 Abs. 1e AufenthG vorgelegen hätten, d.h. konkrete Maßnahmen der Aufenthaltsbeendigung unmittelbar bevorgestanden hätten. Dass dies der Fall gewesen wäre, hat der Antragsgegner mit der Beschwerde nicht dargelegt.
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Für eine Bedingung nach § 61 Abs. 1f AufenthG, der keine weiteren Tatbestandsvoraussetzungen vorschreibt, hat der Gesetzgeber weder in Nr. 2 noch in Nr. 2a noch sonst in § 84 Abs. 1 Satz 1 AufenthG den Wegfall der aufschiebenden Wirkung angeordnet. Gleiches gilt für den Fall, wenn Rechtsgrundlage der angefochtenen Nebenbestimmung § 36 Abs. 1 Alt. 2 LVwVfG wäre.
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Anders als das Verwaltungsgericht meinte, dürfte die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Nebenbestimmung „Duldung erlischt mit der Bekanntgabe des Abschiebetermins“ indes - wie von der Beschwerde geltend gemacht - gemäß § 80 Abs. 2 Satz 2 VwGO i.V.m. § 12 Satz 1 LVwVG entfallen sein.
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Nach § 80 Abs. 2 Satz 2 VwGO können die Länder bestimmen, dass Rechtsbehelfe keine aufschiebende Wirkung haben, soweit sie sich gegen Maßnahmen richten, die in der Verwaltungsvollstreckung durch die Länder nach Bundesrecht getroffen werden.
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Von der verwaltungsprozessualen Ermächtigung nach § 80 Abs. 2 Satz 2 VwGO hat das Land Baden-Württemberg mit der Vorschrift des § 12 Satz 1 LVwVG Gebrauch gemacht. Danach haben Widerspruch und Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung, soweit sie sich gegen Maßnahmen richten, die in der Verwaltungsvollstreckung getroffen werden. Diese Vorschrift dürfte im vorliegenden Fall anwendbar gewesen sein. § 1 Abs. 1 Satz 1 LVwVG dürfte dem nicht entgegengestanden haben (a.A. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 11.12.2020 - OVG 2 S 47/20 -, juris Rn. 4 ff., zur weitgehend gleichlautenden Vorschrift des § 16 VwVG des Landes Brandenburg).
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Zwar gilt das Landesverwaltungsvollstreckungsgesetz nach seinem § 1 Abs. 1 Satz 1 für die Vollstreckung von Verwaltungsakten, die zu einer Geldleistung, einer sonstigen Handlung, einer Duldung oder Unterlassung verpflichten. Es regelt damit das sogenannte gestreckte Vollstreckungsverfahren, dem ein die materiell-rechtliche Verpflichtung konkretisierender Grundverwaltungsakt vorausgeht (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 06.04.2000 - 10 S 2583/99 -, juris Rn. 2; Schoch in: Schoch/Schneider, VwGO § 80 Rn. 186 ). Vollstreckungsmaßnahmen können danach grundsätzlich nur dann getroffen werden, wenn die zu erzwingende Pflicht durch Verwaltungsakt begründet oder festgestellt worden ist.
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Insoweit hätte der Beschwerde wohl nicht der Einwand des Antragsgegners zum Erfolg verholfen, ein solcher Grundverwaltungsakt sei in der Rückkehrentscheidung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge im Rahmen der ablehnenden Entscheidung über den Asylantrag des Antragstellers zu sehen. Denn mit der Abschiebung wird kein Verwaltungsakt vollstreckt, sondern allein eine gesetzliche Handlungspflicht, für die ein Verwaltungsakt insoweit nur mittelbar eine Rolle spielt (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 28.03.2022 - 1 S 1265/21 -, juris Rn. 38, und Beschluss vom 20.06.2016 - 11 S 914/16 -, juris Rn. 5; OVG Bremen, Beschluss vom 30.09.2019 - 2 S 262/19 -, juris Rn. 11; Hessischer VGH, Urteil vom 21.06.2018 - 3 A 2411/16 -, juris Rn. 33; zu einer differenzierenden Betrachtungsweise vgl. Schoch in: Schoch/Schneider, VwGO § 80 Rn. 195a ).
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Es dürfte allerdings davon auszugehen sein, dass von der gesetzlichen Regelung über den Wegfall der aufschiebenden Wirkung von Rechtsmitteln gegen Vollstreckungsmaßnahmen in § 12 Satz 1 LVwVG nicht nur Vollstreckungsmaßnahmen erfasst sind, denen ein Grundverwaltungsakt vorausgegangen ist (a.A. Schoch in: Schoch/Schneider, VwGO § 80 Rn. 186, 195a ). Vielmehr dürfte § 12 Satz 1 LVwVG wohl auch auf die Vollstreckung einer gesetzlichen Pflicht Anwendung finden, wenn Bundesrecht - wie hier gemäß § 58 Abs. 2 AufenthG - die Vollstreckung einer gesetzlichen Pflicht vorsieht (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 28.03.2022 - 1 S 1265/21 -, juris Rn. 38; OVG Bremen, Beschluss vom 30.09.2019 - 2 S 262/19 -, juris Rn. 11). Denn der Anwendungsbereich des § 12 Satz 1 LVwVG dürfte, wie dessen Rechtsnatur und Entstehungsgeschichte zeigen, über den Geltungsbereich des Landesverwaltungsvollstreckungsgesetzes hinausgehen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 18.12.1991 - 11 S 1275/91 -, juris Rn. 6, vom 15.04.1991 - 1 S 931/91 -, juris Rn. 6 ff., und vom 27.06.1991 - 11 S 1455/91 -, juris Rn. 5). § 12 LVwVG, der sich vor seinem Inkrafttreten am 01.07.1974 vergleichbar in § 9 AGVwGO i.V.m. § 187 Abs. 3 VwGO a.F. fand, ist nämlich nach seiner Rechtsnatur nicht vollstreckungsrechtlicher, sondern verwaltungsprozessualer Art (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 18.12.1991 - 11 S 1275/91 -, juris Rn. 6, vom 27.06.1991 - 11 S 1455/91 -, juris Rn. 5, und vom 15.04.1991 - 1 S 931/91 -, juris Rn. 10; zu landesgesetzlichen Normierungen, die nicht im Landesverwaltungsvollstreckungsgesetz, sondern im Gesetz zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung - AGVwGO - und somit im Verwaltungsprozessrecht geregelt sind, vgl. Schoch in: Schoch/Schneider, VwGO § 80 Rn. 186, 195 f. ).
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Die Absicht des Gesetzgebers, an der früheren Rechtslage (vgl. § 9 AGVwGO in der bis zum Inkrafttreten des Landesverwaltungsvollstreckungsgesetzes am 01.07.1974 geltenden Fassung) inhaltlich nichts ändern zu wollen, dürfte aus der Regelung des § 12 LVwVG auch noch hinreichend deutlich zu ersehen sein. Denn der Begriff „Maßnahme in der Verwaltungsvollstreckung“ im Sinne von § 12 Satz 1 LVwVG setzt nicht voraus, dass ein Verwaltungsakt vollstreckt wird. Auch eine Maßnahme zur Vollstreckung einer Pflicht, die sich unmittelbar aus dem Gesetz ergibt, wird im Sinne von § 12 LVwVG in der Verwaltungsvollstreckung getroffen, wenn Bundesrecht die Vollstreckung einer gesetzlichen Pflicht vorsieht (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 18.12.1991 - 11 S 1275/91 -, juris Rn. 6; a.A. VG Stuttgart, Beschluss vom 14.01.1991 - 16 K 3457/90 -). Hinzu kommt, dass dem Zweck des Gesetzes, die aufschiebende Wirkung von Rechtsmitteln gegen Vollstreckungsmaßnahmen im Interesse der Beschleunigung auszuschließen (vgl. die Begründung im Gesetzentwurf des Bundesrates BT-Drs. 12/8553, 11), allein die Deutung entspricht, dass die aufschiebende Wirkung bei der Vollstreckung einer gesetzlichen Pflicht nicht anders als bei der zwangsweisen Durchsetzung eines Verwaltungsakts entfällt, wenn die zu vollstreckende Pflicht vollziehbar ist (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 15.04.1991 - 1 S 931/91 -, juris Rn. 6 ff., und vom 27.06.1991 - 11 S 1455/91 -, juris Rn. 5; zur Heranziehung des auf eine Beschleunigung gerichteten Regelungszwecks im Rahmen der Auslegung vgl. BVerwG, Beschluss vom 14.04.2005 - 4 VR 1005/04 -, juris Rn. 8, zu § 10 Abs. 6 Satz 1 LuftVG). Auf die Frage, ob die gesetzliche Ausreisepflicht durch einen Verwaltungsakt entstanden ist, dürfte es dabei nicht ankommen (so aber Schoch in: Schoch/Schneider, VwGO § 80 Rn. 195a ). Denn auch in einem solchen Fall würde die gesetzliche Ausreisepflicht vollstreckt und nicht der Verwaltungsakt, der die Ausreisepflicht begründet (vgl. Funke-Kaiser in: Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth/von Albedyll, VwGO, 8. Aufl. 2021, § 80 Rn. 43; Funke/Kaiser, GK-AufenthG, § 59 Rn. 262 f. ).
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Um eine Maßnahme, die von dem Antragsgegner in der Verwaltungsvollstreckung durch die Länder nach Bundesrecht getroffen wurde, dürfte es sich auch bei der mit der Klage angefochtenen Nebenbestimmung gehandelt haben. Eine Maßnahme der Verwaltungsvollstreckung stellt ohne Zweifel die Abschiebung (§ 58 AufenthG) als bundesrechtlich geregelter Fall des unmittelbaren Zwangs zur Durchsetzung der Ausreisepflicht nach § 50 Abs. 1 AufenthG dar (vgl. BVerwG, Urteil vom 29.04.1983 - 1 C 5.83 -, juris Rn. 21; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 28.03.2022 - 1 S 1265/21 -, juris Rn. 37, und Beschlüsse vom 14.06.1996 - 13 S 1400/96 -, juris Rn. 7, sowie vom 25.02.2002 - 11 S 2443/01 -, juris Rn. 12; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 20.02.2009 - 18 A 2620/08 -, juris Rn. 33; Bayerischer VGH, Beschluss vom 17.07.2019 - 10 CS 19.1212 -, juris Rn. 4; Kluth in: BeckOK AuslR, § 58 AufenthG Rn. 5 ; Schoch in: Schoch/Schneider, VwGO § 80 Rn. 195 ). Auch bei der Duldung handelt es sich angesichts ihrer Funktion, die Abschiebung zeitweise auszusetzen und damit Regelungen über die Vollstreckung der Ausreisepflicht zu treffen, um eine „Maßnahme in der Verwaltungsvollstreckung“ im Sinne des § 80 Abs. 2 Satz 2 VwGO (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 11.12.2020 - OVG 2 S 47/20 -, juris Rn. 3; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 10.03.2010 - 18 B 1702/09 -, juris Rn. 23; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 19.01.1999 - 9 S 3097/98 -, juris Rn. 2; Funke-Kaiser, GK-AufenthG, § 60a Rn. 331 m.w.N.). Davon ausgehend dürfte der Anwendungsbereich dieser Ermächtigung auch Rechtsbehelfe gegen Nebenbestimmungen zur Duldung gemäß § 36 Abs. 1 Alt. 2 LVwVfG (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 24.02.2016 - 11 S 1626/15 -, juris Rn. 30) erfassen, sofern diese Nebenbestimmungen - wie hier - die Wirksamkeit der Duldung betreffen und sich unmittelbar auf die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht auswirken (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 11.12.2020 - OVG 2 S 47/20 -, juris Rn. 3; ebenso für eine Wohnsitzauflage OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 10.03.2010 - 18 B 1702/09 -, juris Rn. 18; anders für das einer Duldungsverfügung beigefügte Verbot einer Erwerbstätigkeit, VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 06.04.2000 - 10 S 2583/99 -, juris Rn. 2).
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bb) Hatte die Klage des Antragstellers damit wohl nicht schon kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung, wäre, da auch eine Anordnung der sofortigen Vollziehung unterblieben ist (vgl. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO), über den vom Antragsteller in der ersten Instanz sinngemäß gestellten Antrag zu entscheiden gewesen, die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen die Nebenbestimmung gemäß § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen. Dabei wäre das Interesse des Antragstellers an der Aussetzung der Vollziehung der Nebenbestimmung gegen das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit der auflösenden Bedingung abzuwägen gewesen. Bei dieser Abwägung kommt den Erfolgsaussichten in der Hauptsache maßgebliche Bedeutung zu. Ergibt die (summarische) Prüfung, dass der angefochtene Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig und der Antragsteller dadurch in seinen Rechten verletzt ist, kann kein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts bestehen; ist der Verwaltungsakt hingegen offensichtlich rechtmäßig, überwiegt in der Regel das Vollziehungsinteresse. Sind die Erfolgsaussichten demgegenüber offen, bedarf es einer weiteren Interessenabwägung, bei der die Folgen, die einträten, wenn die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes versagt würde, das Verfahren in der Hauptsache hingegen Erfolg hätte, mit den Nachteilen zu vergleichen sind, die entstünden, wenn die aufschiebende Wirkung angeordnet würde, dem Rechtsbehelf in der Hauptsache aber der Erfolg versagt bliebe (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16.05.2022 - 11 S 99/21 -, juris Rn. 2; Hoppe in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 80 Rn. 89; Gersdorf in: BeckOK VwGO, Stand: 01.07.2021, § 80 Rn. 187 ff.).
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Gemessen an diesem Maßstab wäre der Antrag des Antragstellers im Zeitpunkt unmittelbar vor Eintritt des erledigenden Ereignisses voraussichtlich erfolglos geblieben, da er nach summarischer Prüfung zwar zulässig, insbesondere statthaft (s.o.), aber unbegründet gewesen wäre. Auf die überzeugenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts Freiburg in dessen Beschluss vom 08.04.2022 - 13 K 2488/21 -, mit dem das Klageverfahren zur streitgegenständlichen Nebenbestimmung nach übereinstimmender Erledigungserklärung der Beteiligten eingestellt worden ist, wird Bezug genommen und von einer weiteren Begründung abgesehen (§ 122 Satz 3 VwGO analog). Ergänzend ist lediglich darauf hinzuweisen, dass der Antragsgegner prognostisch auch deshalb davon ausgehen konnte, dass eine Abschiebung vor Ablauf der erteilten Duldung nicht von vornherein unwahrscheinlich oder ausgeschlossen war (vgl. dazu VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 24.02.2016 - 11 S 1626/15 -, juris Rn. 31), weil der Ausländerbehörde am 01.04.2021 der - mit Passverfügung vom 19.02.2021 angeforderte - Reisepass des Antragstellers vorgelegt worden war. Soweit der Antragsteller gegen die streitgegenständliche Nebenbestimmung vorgebracht hat, dass er sich in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis befinde, weswegen der Antragsgegner ermessensfehlerhaft handele, wenn er verhindern wolle, dass er in die Rechtsstellung gemäß § 60d AufenthG hineinwachse, wäre diesem Einwand wahrscheinlich nicht zu folgen gewesen. Denn dem Antragsteller war mit der streitgegenständlichen Duldung die Ausübung einer Beschäftigung gestattet, sodass er die Voraussetzungen des § 60d AufenthG gegebenenfalls aus eigener Kraft erfüllen konnte. Inwiefern die von dem Antragsteller in diesem Zusammenhang angeführte Entscheidung des erkennenden Gerichtshofs vom 14.01.2020 - 11 S 2956/19 -, juris, eine andere Beurteilung rechtfertigen sollte, wurde weder substantiiert dargelegt noch ist dies sonst ersichtlich. Soweit er schließlich geltend gemacht hat, im Dezember 2021 seien die Voraussetzungen gemäß § 25b AufenthG erfüllt, hätte auch dies wahrscheinlich nicht zum Erfolg seiner Rechtsverfolgung geführt. Zutreffend hat der Antragsgegner in der Antragserwiderung bei dem Verwaltungsgericht ausgeführt, weder vom Antragsteller noch vom Antragsgegner könne vorhergesehen werden, ob im Dezember 2021 die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG vorliegen würden.
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II. Die Streitwertfestsetzung und die Änderung der Festsetzung des Verwaltungsgerichts von Amts wegen ergeben sich aus § 63 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, § 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1 und 2, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG. In Streitigkeiten um eine Nebenbestimmung zu einer Duldung bestimmt sich der Streitwert nach dem halben Auffangwert je Person (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 24.02.2016 - 11 S 1626/15 -, juris Rn. 37). Dies gilt auch in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 23.06.2020 - 11 S 766/20 -, juris Rn. 20).
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Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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