Beschluss vom Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht (13. Senat) - 13 ME 220/18

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der vorläufigen Rechtsschutz gewährende Beschluss des Verwaltungsgerichts Braunschweig - 4. Kammer - vom 29. Mai 2018 geändert.

Der Antrag des Antragstellers auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.

Die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen trägt der Antragsteller.

Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 2.500 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

1

Der 1971 geborene Antragsteller, serbischer Staatsangehöriger aus dem Kosovo, begehrt vorläufigen Rechtsschutz im Wege der einstweiligen Anordnung des Inhalts, dem Antragsgegner vorläufig seine Abschiebung aus dem Bundesgebiet zu untersagen.

2

Er reiste am 18. Februar 2014 mit Ehefrau und drei gemeinsamen Kindern in das Bundesgebiet ein. Nach im Jahre 2014 erfolgslos durchgeführtem Asylverfahren (vgl. den bestandskräftig gewordenen Ablehnungsbescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt - v. 29.4.2014, Bl. 26 ff. der BA 001 Bd. I, aufgrund dessen die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht am 16. November 2014 eintrat) wurden der Antragsteller und seine Familie mit Rücksicht auf verschiedene gesundheitliche Probleme zunächst vom 16. Februar 2015 bis zum 31. März 2017 wiederholt geduldet. Bereits diesen - zunächst auf dem Trägervordruck mit Zusatzblatt Nr. Q 1434378 (vgl. Bl. 119 f. der BA 001 Bd. I) - dem Antragsteller erteilten bzw. verlängerten Duldungen wurde jeweils die Nebenbestimmung „Die Duldung erlischt mit Ankündigung des Abschiebungstermins.“ beigefügt. Eine im Jahre 2015 vom Antragsteller und seiner Familie eingereichte Eingabe an die Niedersächsische Härtefallkommission wurde nicht zur Beratung angenommen. Aufgrund einer am 6. Januar 2016 durchgeführten Untersuchung gelangte der Amtsarzt Dr. C. vom Gesundheitsamt für die Stadt Salzgitter und den Landkreis Goslar in seinem Gutachten vom 7. Januar 2016 (Bl. 166 ff. der BA 001 Bd. I) zu dem Ergebnis, die physischen Krankheiten des Antragstellers allein begründeten eine Reiseunfähigkeit nicht; in psychischer Hinsicht sei jedoch die beim Antragsteller gegebene depressive Erkrankung mit Selbstmordgefährdung als Risikofaktor im Falle einer erzwungenen Ausreise anzusehen. Nähere Vorgaben zur Gestaltung des Abschiebevorgangs im Interesse der Aufrechterhaltung oder Schaffung von Reisefähigkeit insoweit enthielt das amtsärztliche Gutachten nicht. Der Antragsgegner verstand diese Ausführungen dahin, dass der Antragsteller bei einer Betreuung durch Ärzte und Sicherheitspersonal während der Abschiebung reisefähig sei. Aufgrund sich anschließender wiederholter stationärer Aufenthalte des Antragstellers sowie eines am 17. Juni 2016 beim Bundesamt gestellten isolierten Folgeschutzgesuchs zu zielstaatsbezogenen Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG wurde die Familie jedoch weiterhin geduldet. Nach mehrfachen häuslichen Übergriffen des Antragstellers gegenüber seiner Familie lebt er nach vorgeschalteter einstweiliger Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz des Amtsgerichts - Familiengerichts - Seesen vom 16. Juni 2017 - 2 F 78/17 EAGS - seit Juli 2017 dauerhaft von dieser getrennt. Seit dem 23. August 2017 ist für ihn ein rechtlicher Betreuer (ohne Einwilligungsvorbehalt) bestellt (Amtsgericht - Betreuungsgericht - Seesen - 5a XVII 8019 -, Bl. 332 der BA 001 Bd. II). Mit Bescheid vom 15. November 2017 lehnte das Bundesamt das isolierte Folgeschutzgesuch des Antragstellers ab und erweiterte die auf Kosovo bezogene Abschiebungsandrohung aus seinem Bescheid vom 29. April 2014 ausdrücklich um Serbien (vgl. Bl. 342 ff. der BA 001 Bd. II). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot für den Fall der Abschiebung nach Serbien oder Kosovo wurde für den Antragsteller durch Bescheid vom 20. November 2017 auf 30 Monate festgesetzt. Nachdem dem Antragsteller nochmals Gelegenheit zur freiwilligen Ausreise gegeben worden war, bereitete der Antragsgegner ab dem 15. Dezember 2017 dessen Abschiebung vor. Ein am 30. Januar 2018 unternommener Abschiebungsversuch scheiterte daran, dass der Antragsteller nicht zuhause angetroffen wurde. Ab Februar 2018 befand sich der Antragsteller erneut in stationärer psychiatrischer Behandlung. Die gegen den Bundesamtsbescheid vom 15. November 2017 gerichtete Klage wurde zwischenzeitlich durch rechtskräftig gewordenes Urteil des Verwaltungsgerichts Braunschweig vom 10. September 2018 - 8 A 695/17 - abgewiesen. Zuvor war ein am 13. Juni 2018 gestellter Eilantrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ebenfalls erfolglos geblieben (vgl. VG Braunschweig, Beschl. v. 26.6.2018 - 8 B 335/18 -).

3

Auch den seit dem 30. März 2017 (vgl. Kopie des neuen Trägervordrucks mit Zusatzblatt Nr. Q 1611017 auf Bl. 303 f. der BA 001 Bd. II) dem Antragsteller erteilten bzw. - zuletzt bis zum 31. Mai 2018 (Bl. 419 der BA 001 Bd. II) - verlängerten Duldungen war jeweils die Nebenbestimmung „Die Duldung erlischt mit Ankündigung des Abschiebungstermins.“ beigefügt worden.

4

Mit per Fax an den Prozessbevollmächtigten des Antragstellers gerichtetem Schreiben vom 29. Mai 2018 (vgl. Bl. 425 der BA 001 Bd. II) teilte der Antragsgegner mit, dass der Antragsteller am selben Tage in den Kosovo abgeschoben werde, und wies darauf hin, dass die erteilte Duldung durch diese Mitteilung der Abschiebung erloschen sei. Im Laufe dieses Tages betrieb der Antragsgegner sodann die Abschiebung des Antragstellers.

5

Auf den hiergegen noch am 29. Mai 2018 gerichteten Eilantrag hat das Verwaltungsgericht Braunschweig mit dem angegriffenen Beschluss vom selben Tage dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Sicherungsanordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO aufgegeben, die Abschiebung des Antragstellers vorläufig zu unterlassen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Duldungsgrund einer Reiseunfähigkeit des Antragstellers (§ 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) liege zwar nicht vor, weil keine ärztlichen Bescheinigungen vorlägen, welche die Anforderungen des § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG erfüllten, so dass es bei der Vermutung der Reisefähigkeit aus § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG verbleibe. Jedoch stehe einer Abschiebung derzeit das gesetzliche Hindernis aus § 60a Abs. 5 Satz 4 AufenthG entgegen, wonach die Abschiebung dem zuvor länger als ein Jahr geduldeten Antragsteller im Falle eines - hier mit dem Schreiben des Antragsgegners vom 29. Mai 2018 gegebenen - Duldungswiderrufs mindestens einen Monat vorher angekündigt werden müsse, was offenbar nicht geschehen sei.

6

Gegen den am 1. Juni 2018 zugestellten vollständigen Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 29. Mai 2018 richtet sich die am 12. Juni 2018 eingelegte und am 29. Juni 2018 begründete Beschwerde des Antragsgegners.

II.

7

1. Die zulässige Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Braunschweig vom 29. Mai 2018 ist unter Berücksichtigung der hiergegen vom Antragsgegner dargelegten Gründe, auf die sich der Senat bei seiner Prüfung gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu beschränken hat, begründet und führt daher zur Abänderung des angefochtenen Beschlusses und Ablehnung des Eilrechtsschutzbegehrens des Antragstellers.

8

Zu Unrecht hat das Verwaltungsgericht dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Sicherungsanordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO vorläufig untersagt, den Antragsteller abzuschieben.

9

a) Der Einwand des Antragsgegners, das vom Verwaltungsgericht allein bejahte gesetzliche Abschiebungshindernis aus § 60a Abs. 5 Satz 4 AufenthG (vgl. zur Reichweite VG Aachen, Beschl. v. 22.8.2005 - 3 L 538/05 -, juris) mit der Folge eines entsprechenden Anordnungsanspruchs des Antragstellers bestehe im vorliegenden Fall nicht, greift durch. Diese Norm ist hier weder unmittelbar noch entsprechend anwendbar.

10

aa) Zunächst scheidet eine unmittelbare Anwendbarkeit dieser Norm aus, weil die Regelung nach ihrem Wortlaut nur die „durch Widerruf vorgesehene“ Abschiebung betrifft. Ein danach erforderlicher Widerruf der Duldung im Sinne des § 60a Abs. 5 Satz 2 AufenthG liegt hier, anders als es das Verwaltungsgericht in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit offenbar ohne Vorliegen vollständiger Verwaltungsvorgänge angenommen hat, nicht in dem Schreiben des Antragsgegners vom 29. Mai 2018 (Bl. 425 der BA 001 Bd. II), demzufolge die dem Antragsteller erteilte Duldung durch die darin enthaltene Mitteilung, der Antragsteller solle am 29. Mai 2018 abgeschoben werden, erloschen sei. Vielmehr ist mit dieser (bloßen) Ankündigung des Abschiebungstermins lediglich die spätestens den seit März 2017 erteilten Duldungen des Antragstellers jeweils beigefügte auflösende (Potestativ-)Bedingung eingetreten und hat deshalb die innere Wirksamkeit der letztmals bis zum 31. Mai 2018 (vgl. Bl. 419 der BA 001 Bd. II) verlängerten Duldung eo ipso geendet, ohne dass der Antragsgegner eine Entscheidung bzw. Regelung (einen gestaltenden Verwaltungsakt) getroffen hätte oder hätte treffen müssen. Ob die Beifügung der auflösenden Bedingung „Ankündigung des Abschiebungstermins“ gemessen an der Rechtsgrundlage (§ 61 Abs. 1e AufenthG n.F., früher § 61 Abs. 1 Satz 2 AufenthG a.F.) und insbesondere unter Berücksichtigung der rechtsstaatlichen Anforderungen unter den Aspekten der Bestimmtheit und Rechtsschutzgarantie (vgl. hierzu Bayerischer VGH, Beschl. v. 19.1.2015 - 10 C 14.1182 -, juris Rn. 22; VG Oldenburg, Beschl. v. 23.1.2013 - 11 A 4635/12 -, juris Rn. 3 ff., 6, 9) sowie Verhältnismäßigkeit (insbesondere zur Vermeidung einer „reinen Vorratsbedingung“, bei der eine Abschiebung vor Ablauf der Geltungsdauer der Duldung überhaupt nicht beabsichtigt ist, vgl. hierzu OVG Bremen, Beschl. v. 29.3.2011 - 1 B 57/11 u. 1 B 67/11 -, juris Rn. 10) rechtmäßig gewesen ist, ist im vorliegenden Zusammenhang ohne Bedeutung. Als unselbständige Nebenbestimmung (vgl. § 36 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG in Verbindung mit § 1 Abs. 1 NVwVfG) und integraler Bestandteil des begünstigenden Hauptverwaltungsakts (Duldung) teilte sie dessen Rechtscharakter und wäre daher - abgesehen vom hier nicht einschlägigen Fall einer Nichtigkeit nach § 44 VwVfG in Verbindung mit § 1 Abs. 1 NVwVfG - auch dann wirksam gewesen, wenn sie rechtswidrig gewesen sein sollte. Die Nebenbestimmung ist auch weder erfolgreich isoliert angefochten worden (§ 42 Abs. 1, 1. Alt. VwGO), noch hat der Antragsteller im Verpflichtungswege (§ 42 Abs. 1, 2. Alt. VwGO) ihre behördliche Aufhebung (§ 51 VwVfG in Verbindung mit § 1 Abs. 1 NVwVfG) erzwungen. Im Übrigen spricht bei summarischer Prüfung vieles dafür, dass die betreffende auflösende Bedingung rechtmäßig, insbesondere weder unbestimmt noch unverhältnismäßig gewesen ist.

11

bb) Das sich aus § 60a Abs. 5 Satz 4 AufenthG ergebende gesetzliche Abschiebungshindernis (Wartezeit oder Vorlauffrist von einem Monat nach pflichtiger Ankündigung der Abschiebung) ist seiner Rechtsfolge nach auf die hier gegebene Konstellation des eo-ipso-Erlöschens der dem Antragsteller damals zuletzt bis zum 31. Mai 2018 befristet erteilten Aussetzung der Abschiebung (Duldung) nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG am 29. Mai 2018 durch Eintritt einer auflösenden Bedingung auch nicht entsprechend anwendbar.

12

Der Senat teilt nicht die zum Teil in der ober- und instanzgerichtlichen Rechtsprechung und der Kommentarliteratur (vgl. Bayerischer VGH, Beschl. v. 16.2.2015 - 10 C 14.1183 -, juris Rn. 24, und v. 19.1.2015, a.a.O., Rn. 23; OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 17.8.2010 - 2 M 124/10 -, Rn. 4; VG Berlin, Beschl. v. 19.7.2005 - 25 A 90.05 -, juris Rn. 7; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: 95. EL Februar 2016, AufenthG § 60a Rn. 111 a.E.; Bauer, in: Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl. 2013, AufenthG § 60a Rn. 46, etwas weniger eindeutig indes Bauer/Dollinger, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Aufl. 2018, AufenthG § 60a Rn. 41; VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 22.9.2000 - 13 S 2260/99 -, juris Rn. 21, und Funke-Kaiser, in: GK-AuslR II, Stand: 58. EL Januar 2000, AuslG 1990 § 56 Rn. 35; Renner, Ausländerrecht in Deutschland, 1998, § 43 Rn. 748; die drei Letztgenannten jeweils für die Vorläufernorm in § 56 Abs. 6 Satz 2 AuslG 1990 in der seit dem 1.11.1997 geltenden Fassung) vertretene Auffassung, auf das Erlöschen einer Duldung durch Eintritt einer auflösenden Bedingung sei generell oder zumindest im Falle einer nur vom Willen der Behörde abhängigen Potestativbedingung § 60a Abs. 5 Satz 4 AufenthG analog anzuwenden. Denn die Voraussetzungen einer Analogie sind bei Lichte besehen nicht erfüllt.

13

(1) Zwar liegt eine Regelungslücke vor, weil der allein auf den Duldungswiderruf bezogene Tatbestand dieser Norm diesen Fall seinem Wortlaut nach nicht erfasst.

14

(2) Soweit die oben genannten Entscheidungen und Kommentierungen die Vergleichbarkeit der Interessenlagen der beiden Erlöschensgründe „Widerruf“ und „Eintritt einer auflösenden (Potestativ-)Bedingung“ betonen, ergeben sich nach Ansicht des Senats bereits hieran erhebliche Zweifel.

15

(a) Zu konzedieren ist die Gemeinsamkeit, dass in beiden Fällen die innere Wirksamkeit der Aussetzung der Abschiebung (Duldungswirkung) jeweils vor dem Ende der durch Befristung (vgl. Überschrift zu § 60a AufenthG: „Vorübergehende“ Aussetzung der Abschiebung) geregelten und damit noch nicht ausgeschöpften Geltungsdauer endet, und zwar durch ein einseitiges Handeln der Behörde (hierauf hebt vor allem OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 17.8.2010, a.a.O., Rn. 4, ab).

16

(b) Allerdings weisen beide Erlöschensgründe auch eine Reihe von Unterschieden auf.

17

(aa) Diese betreffen zum einen die Handlungsform. Während der Widerruf der Duldung nach § 60a Abs. 5 Satz 2 AufenthG eine behördliche Entscheidung (einen anfechtbaren belastenden gestaltenden Verwaltungsakt) darstellt, der rechtlich - dann und nur dann - erlassen werden darf und muss, sobald sämtliche Duldungsgründe entfallen sind (das heißt bisherige geendet haben und keine neuen an deren Stelle getreten sind), kann beim Konstrukt der auflösenden Bedingung wie hier eine einseitige Mitteilung der Ausländerbehörde ohne irgendwelche Anlässe genügen, das heißt kann es nur vom Willen der Behörde und nicht - wie bei § 60a Abs. 5 Satz 2 AufenthG - vom Gesetz abhängen, ob eine bisher bestehende Duldung zum Erlöschen gebracht wird. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass auch in diesen Fällen in der nächsten „logischen“ Sekunde eine neue Duldung etwa nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG - pflichtig - zu erteilen sein kann, soweit alte Duldungsgründe fortbestehen oder neue an ihre Stelle oder neben sie getreten sind, oder dass gemäß § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG eine Duldung nach Ermessen in Betracht zu ziehen sein kann. Der damit verbleibende formale Unterschied ist nach alledem nicht besonders gravierend und stünde als solcher einer Vergleichbarkeit der Interessenlagen wohl nicht entgegen.

18

(bb) Eine erhebliche Differenz ergibt sich jedoch materiell im Hinblick auf die Stärke der teleologisch vorausgesetzten Schutzwürdigkeit von Vertrauen. Sinn und Zweck der Vorlaufzeit von einem Monat nach Ankündigung der Abschiebung aus § 60a Abs. 5 Satz 4 AufenthG ist es, angesichts der besonderen Situation, die aus der längere Zeit andauernden Nichtvollziehung der Ausreisepflicht resultiert, das schutzwürdige Vertrauen der länger als ein Jahr (längerfristig) geduldet im Bundesgebiet aufhältigen Ausländer in zumindest den Fortbestand der Aussetzung der Abschiebung bis zum Ende der Geltungsdauer der aktuell befristeten Duldung zu respektieren und deshalb die Betroffenen nicht überraschend mit dem vorzeitigen Ende der Aussetzung der Abschiebung und der Durchführung derselben zu konfrontieren, sondern ihnen ausreichend Zeit zum Treffen von Vorkehrungen zur Regelung ihrer persönlichen Angelegenheiten einzuräumen, um sich auf die Abschiebung einzustellen (vgl. zur Vorläuferregelung in § 56 Abs. 6 Satz 2 AuslG 1990: Bericht des Innenausschusses des Deutschen Bundestages v. 24.4.1990, BT-Drs. 11/6960, S. 25, zu dessen Beschlussempfehlung v. selben Tage, BT-Drs. 11/6955, S. 40; BVerwG, Urt. v. 22.12.1997 - BVerwG 1 C 14.96 -, InfAuslR 1998, 217, 218; Funke-Kaiser, in: Fritz/Vormeier (Hrsg.), GK-AufenthG, Stand: 79. EL März 2015, § 60a Rn. 306).

19

(aaa) Die Situation, in der sich der Geduldete befindet, ist in beiden Erlöschenskonstellationen im Hinblick darauf grundsätzlich durchaus unterschiedlich. Bei wie hier erfolgter Erteilung einer mit beigefügter auflösender Bedingung versehenen Duldung, die zusätzlich zur ohnehin nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG (wegen des „vorübergehenden“ Charakters der Duldungsgründe) auszusprechenden Befristung unter dem „Damoklesschwert“ der jederzeit möglichen Ankündigung eines Abschiebungstermins und damit eines „vorzeitigen“ Endes der Duldungswirkung steht, muss der Ausländer - anders als bei einer bedingungsfreien Duldung - aufgrund dieser ihm bewusst gewordenen „Signalwirkung“ jederzeit auch mit dem Eintritt dieser Bedingung und daher mit einem Erlöschen seiner Duldung vor deren eigentlichem Auslaufen rechnen (vgl. hierzu auch VG Berlin, Beschl. v. 19.7.2005, a.a.O., Rn. 8). Das rückt diesen Erlöschensgrund in die Nähe des Archetyps „(von vornherein) absehbares Auslaufen der Duldung“ (= zeitliches Ende der Geltungsdauer), nach welchem sich der Ausländer grundsätzlich auf eine Abschiebung einstellen muss (so auch Zühlcke, Abschiebung ohne Ankündigung, ZAR 2007, 361, 364).

20

(bbb) Andererseits kann die beschriebene Situation (jederzeit mögliches „vorzeitiges“ Erlöschen) wegen § 60a Abs. 5 Satz 2 AufenthG, der eine gebundene Widerrufsentscheidung der Ausländerbehörde vorsieht, je nach Duldungsgrund der Sache nach auch bei einer bedingungsfrei erteilten Duldung jederzeit drohen; der Unterschied zwischen beiden Erlöschensgründen besteht dann letztlich in der Stärke und Aktualität des für diese „Gefahr“ bei dem Geduldeten erzeugten Bewusstseins. Weiter nivelliert sich dieser Unterschied dann, wenn Beifügung sowie behördliche „Eintretensbewirkensmöglichkeit“ in Bezug auf die auflösende Bedingung einerseits und Widerrufsgrund andererseits zusammentreffen und sich die Ausländerbehörde rechtlich zulässigerweise bewusst für einen Widerruf der Duldung entscheidet und deshalb nach § 60a Abs. 5 Satz 4 AufenthG unmittelbar der Ankündigungsfrist und -pflicht unterliegt.

21

(c) Ob nach diesem Für und Wider tatsächlich noch eine Vergleichbarkeit der Interessenlagen gegeben ist, wie die eingangs genannten Ober- und Instanzgerichte sowie Kommentatoren angenommen haben, kann jedoch dahinstehen.

22

(3) Denn jedenfalls - und dies ist entscheidend - kann für die Fälle des Entfalls der Duldungswirkung wegen Eintritts einer allein vom Willen der Ausländerbehörde abhängigen auflösenden (Potestativ-)Bedingung (hier: „Ankündigung des Abschiebungstermins“) - ebenso wie für die Konstellation des bloßen Auslaufens (Endes der befristeten Geltungsdauer) der Duldung (vgl. hierzu Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 16.3.2010 - 8 ME 47/10 -, juris Rn. 4, m.w.N.) - aufgrund der Entstehungsgeschichte der aktuellen Fassung des § 60a Abs. 5 Satz 4 AufenthG nicht von einer Planwidrigkeit der eingangs festgestellten Regelungslücke (Nichtstatuierung einer ausdrücklichen Ankündigungspflicht auch für diese Konstellation) ausgegangen werden.

23

Vielmehr muss insbesondere unter Berücksichtigung der im Jahre 1997 reformierten Vorläufernorm (§ 56 Abs. 6 Satz 2 AuslG 1990) in ihrer am 31. Dezember 2004 geltenden letzten Fassung, deren Gehalt nahezu wortgleich in den ab dem 1. Januar 2005 zunächst geltenden § 60a Abs. 5 Satz 4 AufenthG a.F. übernommen und bis zur Reform im Jahre 2007 beibehalten worden war, konstatiert werden, dass der Gesetzgeber die Ankündigungspflicht bewusst und gewollt bis dato schrittweise (in mehreren Stufen) auf diesen Erlöschensgrund (Widerruf) beschränkt und damit in der aktuellen Fassung des Aufenthaltsgesetzes eine nicht analogiefähige Ausnahmeregelung geschaffen hat. Versuche der rechtsanwendenden staatlichen Gewalten wie der Justiz und Verwaltung, deren Anwendungsbereich im Wege der Analogie wie hier etwa auf den Erlöschensgrund „Eintritt einer auflösenden (Potestativ-)Bedingung“ zu erweitern, liefen diesem ergründbaren klaren gesetzgeberischen Willen zuwider und verstießen daher gegen das rechtsstaatliche Gewaltenteilungsprinzip (Art. 20 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 GG). Im Einzelnen:

24

(a) Mangels gegenteiliger Anhaltspunkte muss davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber des AuslG 1990 (geschaffen durch das Gesetz zur Neuregelung des Ausländerrechts v. 9.7.1990, BGBl. I S. 1354) die dort in § 56 Abs. 6 Satz 2 geregelte, seit dem 1. Januar 1991 geltende Ankündigungspflicht mit einer Wartefrist von (damals noch) drei Monaten, die für eine nach „Erlöschen der Duldung“ im Sinne des § 56 Abs. 6 Satz 1 AuslG 1990 durchzuführende Abschiebung vorgesehen war, im Ausgangspunkt auf sämtliche denkbaren Gründe des Erlöschens einer Duldung bezogen hat; insbesondere auf den Ablauf der Geltungsdauer (§ 56 Abs. 2 Satz 1 AuslG 1990), den Widerruf (§ 56 Abs. 5 AuslG 1990) und den Eintritt einer auflösenden Bedingung (§ 56 Abs. 3 Satz 2 AuslG 1990 in Verbindung mit § 36 Abs. 1, 1. Alt., Abs. 2 Nr. 2 VwVfG, § 1 Abs. 1 NVwVfG), die Rücknahme (§ 48 VwVfG in Verbindung mit § 1 Abs. 1 NVwVfG) sowie die Ausreise (§ 56 Abs. 4 AuslG 1990) des Ausländers (so auch VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 22.9.2000, a.a.O., Rn. 21; Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, a.a.O., Stand: 90. EL Oktober 2017, § 60a Rn. 86).

25

(b) Eine erhebliche Einschränkung hat der Anwendungsbereich des § 56 Abs. 6 Satz 2 AuslG 1990 indes bereits durch das Gesetz zur Änderung ausländer- und asylverfahrensrechtlicher Vorschriften vom 29. Oktober 1997 (BGBl. I S. 2584) mit Wirkung vom 1. November 1997 erfahren.

26

Aufgrund eines Prüfauftrags für das Vermittlungsverfahren nach Art. 77 Abs. 2 GG (vgl. Unterrichtung durch den Bundesrat v. 23.12.1996, BT-Drs. 13/6668, S. 6, unter Bezugnahme auf die Empfehlungen der Ausschüsse v. 10.12.1996 zur 707. Sitzung des Bundesrates am 19.12.1996, BR-Drs. 870/1/96 Nr. 9), der ursprünglich nur das Ziel einer Verkürzung der Wartefrist auf einen Monat verfolgt hatte, weil die vorgesehenen drei Monate sich als „unnötige Abschiebungsverzögerung“ (a.a.O.) erwiesen hätten, gelangte der Vermittlungsausschuss in seiner später von Deutschem Bundestag und Bundesrat angenommenen Beschlussempfehlung vom 12. Juni 1997 (BT-Drs. 13/7956, S. 3) zu einer Neufassung des § 56 Abs. 6 Satz 2 AuslG 1990 (n.F.) dergestalt, bei länger als ein Jahr geduldeten Ausländern nur noch eine Pflicht der Ausländerbehörde zu statuieren, die für den Fall des Erlöschens der Duldung durch Ablauf der Geltungsdauer oder durch Widerruf vorgesehene Abschiebung mit einer Wartefrist von mindestens einem Monat vorher anzukündigen.

27

Auch ohne ausdrückliche Begründung dieses Punkts des Vermittlungsvorschlags (etwa in einem Schriftlichen Bericht) spricht - insbesondere weil der Gesetzgeber die gesamte „Palette“ der insbesondere in verschiedenen Absätzen des § 56 AuslG 1990 geregelten möglichen Gründe für ein Erlöschen von Duldungen gekannt hat - alles dafür, dass die im Ergebnis in § 56 Abs. 6 Satz 2 AuslG 1990 n.F. bewirkte Beschränkung der Ankündigungspflicht auf nur noch zwei dieser Erlöschensgründe vom Gesetzgeber ausdrücklich und abschließend gewollt war. Offenbar handelt es sich dabei um einen Teil der vom berichterstattenden damaligen Hessischen Staatsminister des Innern D. im Plenum des Bundesrates in dessen 714. Sitzung vom 4. Juli 1997 (PlProt. 714/97, S. 260 D) erwähnten „Reihe von rechtlichen Präzisierungen und Klarstellungen“, für die es „in der Vollzugspraxis ein erhebliches Bedürfnis“ gebe.

28

Jedenfalls fehlen für die vom VGH Baden-Württemberg (Urt. v. 22.9.2000, a.a.O., Rn. 21 a.E.) zur Stützung seiner Auffassung, § 56 Abs. 6 Satz 2 AuslG 1990 n.F. sei (im Wege extensiver Auslegung oder Analogie) auch auf den Fall des Erlöschens der Duldung durch Eintritt einer auflösenden Bedingung anzuwenden gewesen, geäußerte Annahme, die Nichterwähnung dieses Erlöschensfalls in § 56 Abs. 6 Satz 2 AuslG 1990 n.F. beruhe offensichtlich auf einem Versehen (für diesen Reformschritt so allerdings auch Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, a.a.O., § 60a Rn. 86 a.E.), jegliche belastbaren Anhaltspunkte. Das Gericht hat zur Begründung dieser Annahme ausgeführt, dem ändernden Gesetzgeber sei es nur um die „Klarstellung“ gegangen, dass der Erlöschensgrund „Ausreise“ (mit anschließender illegaler Rückkehr in das Bundesgebiet) nicht von § 56 Abs. 6 Satz 2 AuslG 1990 erfasst sein solle und mithin in dem genannten Fall vor der Abschiebung keine Ankündigung erfolgen müsse, auch nicht im Falle etwaiger Alt-Duldungszeiträume von länger als einem Jahr vor der Erstausreise. Eine derartige - vermutete - Motivation des Gesetzgebers wird zwar auch in der Literatur wiedergegeben (vgl. etwa Renner, Ausländerrecht in Deutschland, a.a.O., § 43 Rn. 748). Die daraus von diesem und vom VGH Baden-Württemberg gezogene Schlussfolgerung überzeugt jedoch bereits aus logischen Gründen nicht. Unter Berücksichtigung der Gesetze der Mengenlehre kann nicht plausibel angenommen werden, die positive Erwähnung nur noch zweier Elemente (Widerruf und Ablauf der Geltungsdauer) einer zuvor nur unter einer Sammelbezeichnung (Erlöschensgründe) in Bezug genommenen Menge habe allein dem Ausschluss eines dritten Elements (Ausreise) gedient, nicht aber auch weitere, ebenfalls nicht genannte Elemente dieser Menge (z.B. Eintritt einer auflösenden Bedingung) ausgeschlossen.

29

Auch das für eine Analogie ins Feld geführte Argument des Bayerischen VGH (Beschl. v. 16.2.2015, a.a.O., Rn. 24), durch eine auflösende Bedingung, deren Eintritt die Ausländerbehörde selbst beeinflussen könne, drohe andernfalls die Ankündigungspflicht aus (heute) § 60a Abs. 5 Satz 4 AufenthG umgangen zu werden, ist bei Lichte besehen nicht stichhaltig, wenn und weil schon die Vorläufernorm § 56 Abs. 6 Satz 2 AuslG 1990 n.F. diesen Erlöschensgrund bewusst nicht mehr der Rechtsfolge einer Ankündigungspflicht mit Wartefrist unterworfen hat. Denn dieser alternative Weg, der im Einzelfall einen Duldungswiderruf rechtskonstruktiv entbehrlich erscheinen lässt, erweist sich vor diesem Hintergrund auch in der Gesamtschau - unter Einhaltung der Anforderungen insbesondere in Bezug auf Bestimmtheit, effektiven Rechtsschutz und Verhältnismäßigkeit (vgl. oben II.1.a)aa)) - als rechtlich zulässig, so dass eine „Umgehung“ in Wirklichkeit nicht vorliegt. Als rechtsstaatliches Korrektiv zu der damit im Vergleich zu einem Duldungswiderruf - zugestanden - schwächeren Rechtsposition des betroffenen Ausländers ist die Möglichkeit der gerichtlichen Überprüfbarkeit der Beifügung der auflösenden Bedingung zur Duldung zu nennen, sei es im Wege der isolierten Anfechtung und Aufhebbarkeit dieser Nebenbestimmung, sei es - nach fruchtlosem Ablauf der Anfechtungsfristen - durch ein mit Verpflichtungsrechtsbehelfen durchzusetzendes Wiederaufgreifensbegehren nach §§ 51, 48, 49 VwVfG in Verbindung mit § 1 Abs. 1 NVwVfG.

30

(c) Dem am 1. Januar 2005 in Kraft getretenen Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz) vom 30. Juli 2004 (BGBl. I S. 1950) lag im hier interessierenden Zusammenhang zunächst die Zielstellung zugrunde, die Duldung als Rechtsinstrument abzuschaffen und stattdessen eine auf eine Aufenthaltserlaubnis gerichtete Anspruchsgrundlage in § 25 Abs. 5 AufenthG einzuführen, um weitere langjährige Aufenthalte von Ausländern auf der Basis von „Kettenduldungen“ zu vermeiden (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung v. 7.2.2003, Entwurf eines Zuwanderungsgesetzes, BT-Drs. 15/420, S. 64), wenngleich § 60 Abs. 11 Satz 3 AufenthG-E nach wie vor eine Grundlage für eine gebundene „Aussetzung der Abschiebung“ bei deren rechtlicher oder tatsächlicher Unmöglichkeit vorsah, die terminologisch nur nicht mehr als „Duldung“ bezeichnet wurde, in welcher allerdings eine § 56 Abs. 6 Satz 2 AuslG 1990 n.F. vergleichbare Regelung nicht enthalten war. Letztlich (vgl. die angenommene Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses v. 30.6.2004, BT-Drs. 15/3479, S. 10) kam jedoch eine Fassung des neuen Aufenthaltsgesetzes zustande, die in § 60a Abs. 2 AufenthG eine § 55 Abs. 2 AuslG 1990 entsprechende Regelung über die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung (Duldung) erhielt und in § 60a Abs. 5 Satz 4 AufenthG - mit gewissen sprachlichen Anpassungen - den Regelungsgehalt von § 56 Abs. 6 Satz 2 AuslG 1990 tradierte, also weiterhin bei längerfristig Geduldeten nur noch für die beiden Erlöschensgründe „Ablauf der Geltungsdauer“ und „Widerruf“ der Duldung eine Ankündigungspflicht mit einer einmonatigen Wartefrist normierte.

31

(d) Hieran änderte sich erst durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union ((Erstes) Richtlinienumsetzungsgesetz) vom 19. August 2007 (BGBl. I S. 1970) etwas, das mit Wirkung vom 28. August 2007 in § 60a Abs. 5 Satz 4 AufenthG den Anwendungsfall des Ablaufs der Geltungsdauer der Duldung strich (vgl. hierzu Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 16.3.2010, a.a.O., Rn. 4; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschl. v. 19.4.2010 - 2 M 111/10 -, juris Rn. 8; BGH, Beschl. v. 10.11.2011 - V ZB 317/10 -, juris Rn. 10). Diese Streichung wurde mit den Vollzugsproblemen begründet, welche die normierte Ankündigungspflicht insbesondere bei nur kurzfristig gültigen Passersatzpapieren im Falle des durch deren Ausstellung weggefallenen Duldungsgrundes „Passlosigkeit“ bei einem Auslaufen der Duldung empirisch bereite (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung v. 23.4.2007, Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union, BT-Drs. 16/5065, S. 188). Jedenfalls seither bezieht sich diese Norm bewusst nur noch auf den Fall des Erlöschens der Duldung durch Widerruf. Unmissverständlich führt die Gesetzesbegründung nämlich weiter aus, mit der Beibehaltung der Ankündigungspflicht mit Wartefrist für die von einem Duldungswiderruf Betroffenen sollten gerade diese privilegiert werden, weil deren „Ausreisepflicht“ (gemeint: der Wegfall ihrer Verschonung vor einer Abschiebung bereits vor dem Ablauf der Geltungsdauer ihrer aktuellen Duldung) „nicht von vornherein ersichtlich“ gewesen sei (a.a.O.). Für die von Anfang an mit einer „unständig“, unter einer auflösenden (Potestativ-)Bedingung Geduldeten (vgl. oben II.1.a)bb)(2)) wurde ein gleichartiger Bedarf nicht gesehen. Nach alledem muss angenommen werden, dass der Gesetzgeber spätestens mit der Änderung durch das (Erste) Richtlinienumsetzungsgesetz im Jahre 2007 nur noch die Widerrufsfälle mit einer Ankündigungspflicht und einer Wartefrist von einem Monat privilegieren wollte (so auch Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 16.3.2010, a.a.O.; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschl. v. 19.4.2010, a.a.O.; BGH, Beschl. v. 10.11.2011, a.a.O.).

32

(e) Das Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht vom 20. Juli 2017 (BGBl. I S. 2780) schließlich schränkte mit Wirkung vom 29. Juli 2017 innerhalb der in § 60a Abs. 5 Satz 4 AufenthG verbliebenen Fallgruppe des Duldungswiderrufs deren Anwendungsbereich nochmals dadurch ein, dass die Ankündigungspflicht gemäß § 60a Abs. 5 Satz 5 AufenthG n.F.in bestimmten Konstellationen der (fortgesetzten oder fortwirkenden) Behinderung der Rückführung u.a. durch Identitäts- oder Staatsangehörigkeitstäuschung oder fehlende zumutbare Mitwirkung bei der Beseitigung von Ausreisehindernissen entfällt (vgl. hierzu Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses des Deutschen Bundestages v. 17.5.2017, BT-Drs. 18/12415, S. 14).

33

Nach alledem ist nach Ansicht des Senats für eine Planwidrigkeit der Nichtregelung einer Ankündigungspflicht für den Fall des Erlöschens einer Duldung infolge des Eintritts einer dieser als Nebenbestimmung beigefügten auflösenden Bedingung kein Raum (so auch Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, Stand: 79. EL März 2015, § 60a Rn. 87, 307; Zühlcke, a.a.O., S. 364).

34

b) Die angegriffene Entscheidung des Verwaltungsgerichts erweist sich auch nicht aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig. Denn auch ein Anordnungsanspruch des Antragstellers auf Aussetzung oder Unterlassung seiner Abschiebung aus anderen Gründen ist entgegen § 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 ZPO nicht glaubhaft gemacht.

35

Das Verwaltungsgericht hat das Bestehen des alternativ in Betracht kommenden Duldungsgrundes Reiseunfähigkeit (§ 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG), wie der Antragsgegner im Einzelnen ausführt, zu Recht unter Bezugnahme auf die nicht entkräftete Vermutung aus § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG verneint.

36

aa) Sämtliche bislang eingereichten Atteste und Entlassungsberichte sowie das amtsärztliche Gutachten vom 7. Januar 2016 zeigen Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung wegen der psychischen Erkrankung (Depression) des Antragstellers bei einer Abschiebung - das heißt bereits während des Abschiebevorgangs - voraussichtlich ergeben, in der von § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG regelhaft geforderten Weise (vgl. hierzu Senatsbeschl. v. 7.6.2017 - 13 ME 107/17 -, juris Rn. 6 f.) nicht auf. Die im Gutachten dem Grunde nach erwähnte Selbstmordgefährdung (Bl. 170 der BA 001 Bd. I) wird im Ergebnis nur vage als „Risikofaktor“ bei zwangsweiser Rückführung beschrieben. Konkrete Prognosen zu einem objektiv zu erwartenden Eigengefährdungsgeschehen im Falle einer Abschiebung gibt das Gutachten nicht ab. Anforderungen an bestimmte Vorkehrungen zur Herstellung und Aufrechterhaltung von Reisefähigkeit wegen der psychischen Probleme des Antragstellers formuliert es ebenfalls nicht. Auch aus sonstigen Umständen lassen sich für den Senat dahingehende Wahrscheinlichkeiten und Anforderungen nicht ableiten. Die Abschlussmeldung der Bundespolizeiinspektion IV Flughafen Frankfurt/Main vom 29. Mai 2018 (Bl. 438 der BA 001 Bd. II) über den erst aufgrund des angegriffenen Beschlusses des Verwaltungsgerichts am 29. Mai 2018 kurz vor dem geplanten Abflug von Frankfurt am Main nach Tirana abgebrochenen Abschiebungsversuch verneint sowohl Widerstandshandlungen des rückzuführenden, medikamentös behandelten Antragstellers als auch Personen- und Sachschäden und dokumentiert sonstige besondere Vorkommnisse bis zum Abbruch der Abschiebung nicht.

37

bb) Der erstinstanzlich vom Prozessbevollmächtigten des Antragstellers betonte Umstand, dass für den Antragsteller in Deutschland im Jahre 2017 die rechtliche Betreuung (§§ 1896 ff. BGB) durch Herrn E. aus Einbeck angeordnet worden ist, reicht für sich allein nicht aus, um ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis einer rechtlichen Unmöglichkeit im Sinne des § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG zu begründen, weil damit - wie der Antragsgegner zu Recht betont - nicht zugleich per se Anhaltspunkte für bei einer Abschiebung zu befürchtende Gefahren einhergehen (vgl. Senatsbeschl. v. 9.3.2018 - 13 ME 27/18 -, V.n.b., S. 6 des Beschlussabdrucks).

38

cc) Das im erstinstanzlichen Eilverfahren eingereichte ärztliche Attest der Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Dr. F. aus Bad Sachsa vom 29. Mai 2018 (Bl. 10 der GA) bezieht sich ungeachtet der Verwendung des Terminus „Rückführung“ - wie diverse in der Beiakte 001 befindliche, von dieser Ärztin für den Antragsteller in den Jahren 2015 bis 2017 ausgestellte Atteste - erkennbar auf die Situation nach „Rückkehr“ des Antragstellers in das Herkunftsland unter dem Gesichtspunkt einer ärztlich prognostizierten Retraumatisierung wegen eines vom Antragsteller vorgetragenen dortigen Ereignisses, von fremden Dritten in ein Feuer geworfen worden zu sein, und macht damit allenfalls Ausführungen zu zielstaatsbezogenen Aspekten, die wegen der negativen Bindungswirkung der Ziffer 4. des Bundesamtsbescheides vom 29. April 2014 (vgl. Bl. 26 der BA 001 Bd. I) gemäß §§ 42 Satz 1, 24 Abs. 2 Asyl(Vf)G, welche aufgrund der Ablehnung des isolierten Folgeschutzgesuchs (§§ 51 Abs. 1 bis 3, Abs. 5, 48, 49 VwVfG in Verbindung mit § 1 Abs. 1 NVwVfG) durch bestandkräftigen Bundesamtsbescheid vom 15. November 2017 (Bl. 342 der BA 001 Bd. II) fortdauert, im vorliegenden Verfahren nicht zu prüfen sind (vgl. hierzu Senatsbeschl. v. 13.7.2018 - 13 ME 373/17 -, juris Rn. 25). Sollte das Attest, das „Suizidhandlungen (als) hoch wahrscheinlich - im Zusammenhang mit Abschiebung, bei Rückführung unter der ständigen Angst, erneut getötet zu werden“ einstuft, sich dennoch auch bereits auf die Phase eines gedachten Abschiebevorgangs als solchen beziehen, wird diese Prognose nicht hinreichend konkret begründet; im Übrigen fehlte es dann an Ausführungen, weshalb der angenommenen Suizidgefahr unter keinen Umständen mit ärztlichen Begleitmaßnahmen begegnet werden könnte.

39

2. Die Entscheidung über die Verfahrenskosten des Eilrechtsstreits in beiden Rechtszügen beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

40

3. Die Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren folgt aus §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG und Nrn. 8.3, 1.5 Satz 2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (NordÖR 2014, 11).

41

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

 


Abkürzung FundstelleWenn Sie den Link markieren (linke Maustaste gedrückt halten) können Sie den Link mit der rechten Maustaste kopieren und in den Browser oder in Ihre Favoriten als Lesezeichen einfügen.', WIDTH, -300, CENTERMOUSE, true, ABOVE, true );" onmouseout="UnTip()"> Diesen Link können Sie kopieren und verwenden, wenn Sie genau dieses Dokument verlinken möchten:
http://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/?quelle=jlink&docid=MWRE190000249&psml=bsndprod.psml&max=true

Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen