Beschluss vom Amtsgericht Essen - 106 F 84/21
Tenor
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vom 20.04.2021 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden den Eltern des Antragstellers zu gleichen Teilen auferlegt.
Der Verfahrenswert wird für den Antrag hinsichtlich des Antragstellers selbst auf 2.000 € und für den Antrag hinsichtlich aller weiteren Schulkinder auf 15.000 € festgesetzt.
1
Gründe:
2I.
3Im Schriftsatz vom 20. April 2021 trat die jetzige Verfahrensbevollmächtigte zunächst als – jedoch gerichtlich nicht bestellter – Beistand auf und „regte an,
4von Amts wegen ein Verfahren gemäß § 1666 Abs. 1 und 4 BGB zur Beendigung einer derzeit bestehenden nachhaltigen Gefährdung des körperlichen, seelischen und geistigen Wohls von TO
5wie darüber hinaus aller weiteren Schulkinder der F-Schule, Essen,
6die aufgrund von schulinternen Anordnungen zur Wahrung räumlicher Distanz zu anderen Personen und zur Zulassung von gesundheitlichen Testverfahren an Schülern auf dem Gelände der Schule ohne vorherige schriftliche ausdrückliche Genehmigung der Sorgeberechtigten besteht,
7zu eröffnen und darin auch die Rechtmäßigkeit der diesen Anordnungen zugrundeliegenden Vorschriften der CoronaSchVO sowie insbes. die §§ 1ff der VO zum Schutz von Neuinfektionen mit dem Coronavirsus Sars-CoV-2 im Bereich der Betreuungsinfrastruktur des Landes NRW i. d. F. vom 19.04.2021 zu überprüfen,
8hilfsweise für den Fall, dass eine Entscheidung der Hauptsache aus formellen Gründen kurzfristig nicht möglich ist, eine einstweilige Anordnung ohne mündliche Verhandlung nach § 49 ff. FamFG zu erlassen,
9mit der die nachstehend begründete Gefährdungslage für F bis zur Entscheidung in der Hauptsache durch vorläufige Aussetzung der schulinternen Anordnungen zum Tragen des Mund- und Nasenschutzes, zur Einhaltung von Mindestabständen anderen Personen gegenüber und/oder die Zulassung von gesundheitlichen Testungen vorläufig aufgehoben bzw. untersagt wird.“
10Auf gerichtlichen Hinweis bestellte sich die Einsenderin sodann als Verfahrensbevollmächtigte.
11II.
121.
13Der Antrag ist dahin auszulegen, dass der Antragsteller im vorliegenden Verfahren den Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen die o. g. Schule hinsichtlich der 3 Punkte Masken-, Abstands- und Testpflicht begehrt. Als Antragsgegner werden auf gerichtlichen Hinweis ausdrücklich der Schulleiter und die Lehrer der Schule benannt und der Antragsteller übermittelt nicht lediglich tatsächliche Informationen sondern begehrt diesen gegenüber den Erlass einer bestimmten Regelung zu seinen Gunsten.
14Der Antrag ist bereits nicht zulässig.
15Für alle weiteren Schulkinder der F-Schule gilt das bereits deshalb, weil der Antragsteller nicht befugt ist, für diese namentlich nicht benannten Kinder Anträge zu stellen. Ihm mangelt es an der entsprechenden elterlichen Sorge oder einer Vollmacht aller Eltern dieser Kinder.
16Die Ausführungen des Amtsgerichts Weimar, es sei wegen des Gleichbehandlungsgebots des Art. 3 GG verfassungsrechtlich nicht hinnehmbar, wenn nur für solche Kinder, deren Eltern bereit und in der Lage wären, gebotene gerichtliche Anträge zu stellen, ein Schutz bestehe, können nicht nachvollzogen werden. Denklogische Konsequenz dieser Argumentation wäre, dass (sämtliche) deutschen Familiengerichte für alle Kinder mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland von Amts wegen Kinderschutzverfahren im Rahmen der staatlichen Fürsorgepflicht einleiten müssten. Dies wäre jedoch ein Verstoß der Familiengerichte gegen den Erziehungsvorrang der Eltern, wie er in Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG als natürliches Recht der Eltern verankert ist. Das Wächteramt des Staates nach Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG ist subsidiär (AG Waldshut-Tiengen Beschl. v. 13.4.2021 – 306 AR 6/21, BeckRS 2021, 6998).
17Im Übrigen hat der Antragsteller hinsichtlich des ihn selbst betreffenden Antrags auch den falschen Rechtsweg gewählt. Nach gerichtlichem Hinweis soll keine Verweisung an die Verwaltungsgerichtsbarkeit erfolgen, sondern unter Hinweis auf Entscheidungen des AG Weimar vom 08.04.2021 (9 F 148/21) und Weilheim i. OB vom 13. April 2021 (2 F 192/21) eine sorgerechtliche Regelung.
18Der Antragsteller wendet sich jedoch gegen hoheitliche Maßnahmen der Schulverwaltung auf Grund der o. g. Vorschriften, womit es sich um eine öffentlich-rechtlichen Streitigkeit handelt. Hierfür ist der Verwaltungsrechtsweg nach § 40 Abs. 1 VwGO eröffnet, weil sich das Antragsbegehren gegen Maßnahmen der Träger öffentlicher Gewalt einschließlich der Schulbehörden richtet. Die gerichtliche Kontrolle dieser hoheitlichen Maßnahmen einschließlich der Gesundheitsschutzmaßnahmen in den Schulen, die auf öffentlichem Recht basieren, obliegt allein den Verwaltungsgerichten (vgl. zuletzt nur VG Weimar, B.v. 20.4.2021 – 8 E 416/21 We – juris Rn 6 f.; AG Waldshut-Tiengen, B.v. 13.04.2021 – 306 Ar 6/21 – juris Rn. 8; VG Würzburg, Beschluss vom 23. April 2021 – W 8 E 21.546 –, juris ; AG Dippoldiswalde, Beschluss 29.04.2021 – 7 F 204/21, juris).
192.
20In der Sache hätte der Antrag jedoch auch keinen Erfolg.
21a)
22Eine Maßnahme zum Schutz des Kindes gemäß § 1666 Abs. 1 BGB setzt zum einen eine gegenwärtige, erhebliche Gefährdung des Kindes voraus und zum anderen die fehlende Bereitschaft oder Fähigkeit der Eltern diese Gefährdungslage abzuwenden.
23Dass eine Gefährdungslage für ihn durch einen Elternteil gesetzt worden sei, ist durch den Antragsteller nicht behauptet worden. Gleiches gilt für die Fähigkeit oder Bereitschaft der Eltern, eine möglicherweise bestehende Gefährdungslage abzuwenden.
24Soweit er Einsamkeit, Schulunlust („selbst der Distanzunterricht habe ihm keine Freude bereitet“) und Gefahren bei einer unsorgfältigen Verwendung der Testmaterialien sowie eine psychische Belastung benennt, obliegt es seinen sorgepflichtigen Eltern, ihm die Situation altersgerecht zu erklären, ihn zu motivieren und – falls nötig – das Testprozedere mit ihm zu üben.
25Hinsichtlich der angegriffenen Pflicht zum räumlichen Abstand wird nichts weiter vorgetragen. In Bezug auf die – nur mit dem Antrag auf einstweilige Anordnung angegriffene - Maskenpflicht wird auf AG Wittenberg, Beschl. v. 8.4.2021 – 5 F 140/21 EASO, BeckRS 2021, 7140, verwiesen.
26Gerade umgekehrt wird die Gefahr einer Infektion des Antragstellers mit u. U. schwerwiegenden gesundheitlichen Folgen gerade deshalb vermieden, weil die vorgeschriebenen Abstandsgebote sowie die Test- und Maskentragungspflicht in der Schule umgesetzt werden, also die Schule die Vorschriften umsetzt, die das Land aufgrund der vom Bundestag festgestellten Pandemielage von nationaler Bedeutung aufgrund des Bundesinfektionsschutzes getroffen hat (ebenso AG Elmshorn, Beschluss vom 21.04.2021, 44 F 33/21).
27b)
28§ 1666 Abs. 4 BGB ist hier nicht einschlägig.
29Nach dem Wortlaut der Vorschrift kann das Gericht in Angelegenheiten der Personensorge auch Maßnahmen gegen Dritte treffen, um eine solche Gefährdungslage abzuwenden.
30Der Begriff des “Dritten” ist nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift auszulegen.
31Dazu gehören nach ganz einhelliger Rechtsprechung jedoch lediglich natürliche Personen wie Verwandte (BayObLG FamRZ 1995, 948: ältere Schwester des Kindes), Freunde eines Elternteils (OLG Düsseldorf NJW 1995, 1970), der Stiefelternteil (BayObLG FamRZ 1994, 1413), eine Pflegeperson (anders MüKoBGB/Olzen Rn. 40), ein Nachbar (BT-Drs. 8/2788, 59; OLG Zweibrücken FamRZ 1994, 976), aber auch der nicht sorgeberechtigte Elternteil sowie eine sonstige auf das Kind einwirkende Person, z. B. der neue Lebensgefährte, ersichtlich nicht jedoch Körperschaften des öffentlichen Rechts. Eine Einwirkung auf diese ist lediglich im Rahmen eines verwaltungsrechtlichen bzw. verwaltungsgerichtlichen Verfahrens möglich (OLG Nürnberg, Beschlüsse vom 29.04.2021, 9 WF 342/21 und 343/21, juris; AG Reutlingen Beschl. v. 7.4.2021 – 16 F 247/21, BeckRS 2021, 7047).
32Sinn und Zweck der Vorschrift ist nämlich die Erfüllung der durch Art. 6 Abs. 2 GG angeordneten Wächterpflicht des Staates über die Ausübung des Sorgerechts durch die Eltern. Dazu wird eine Eingriffsbefugnis des Familiengerichts bei einer Gefährdung des Kindes durch die eigenen Eltern normiert sowie - im Falle ihrer Untätigkeit - auch gegen andere natürliche Personen.
33Dies wird bestätigt durch die systematische Auslegung. Danach ist eine Vorschrift nicht isoliert sondern im Zusammenhang mit den weiteren desselben Gesetzes und unter Berücksichtigung ihrer Stellung in der Rechtsordnung auszulegen. Das Tatbestandsmerkmal der vorrangigen Elternabhilfe, der Inhalt des Maßnahmenkatalogs (öffentliche Hilfen anzunehmen, den Schulbesuch sicherzustellen usw.) und die Einordnung der Norm in den Titel 5 über die elterliche Sorge zeigen, dass Adressaten der Anordnungen primär die Inhaber der elterlichen Sorge sind. Schon für Vormünder und Pfleger gilt § 1666 BGB nicht direkt, sondern i. V. m. § 1837 Abs. 4 BGB bzw. 1915 Abs. 1 BGB. Der Rechtsschutz gegen behördliche Maßnahmen ist hingegen im öffentlichen Recht detailliert geregelt. Die spezialgesetzlichen Voraussetzungen können nicht durch erweiternde Auslegung von § 1666 BGB umgangen werden. Selbst bei etwaigen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit der Regelungen - die das Familiengericht jedoch nicht hat (so auch OVG Schleswig-Holstein (13.11.2020 3 MR 61/20) zur Maskenpflicht und VGH München (02.03.2021, 20 NE 21.369) zur Testpflicht - führt dies nicht dazu, dass das Familiengericht sich an die Stelle des Verwaltungsgerichtes setzen dürfte und Anordnungen gegenüber der Schule trifft (ebenso AG Elmshorn, Beschluss vom 21.04.2021, 44 F 33/21).
34Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1, 3 und 4 FamFG. Dem Antragsteller als minderjährigem Beteiligten in einem Kindschaftsverfahren können Kosten gemäß § 81 Abs. 3 FamFG nicht auferlegt werden. Die Kosten sind vorliegend gemäß § 81 Abs. 4 FamFG den Eltern aufzuerlegen, weil sie die Tätigkeit des Gerichtes veranlasst haben und sie ein grobes Verschulden trifft. Aus einer Vielzahl bei verschiedenen Amtsgerichten eingeleiteter Verfahren (s. o.) und dem im hiesigen Verfahren verwendeten Mustertext wird dem Gericht offenkundig, dass es sich bei dem Inhalt der Antragsschrift um ein vorgefertigtes Schreiben handelt. Das Antragsschreiben wurde lediglich im Hinblick auf das Kind sowie die Schule / Gemeinde individualisiert (u. a. AG Siegburg, Beschluss vom 20. April 2021 – 323 F 48/21 –, Rn. 4, juris; AG München, Beschluss vom 18. März 2021 – 542 F 2559/21 –, juris) Dabei wurde allerdings der Antragsteller z. T. auch als F bezeichnet, eine Überprüfung der Verordnung des Kreises Kleve gewünscht und die Anschrift des hiesigen Antragstellers nicht angegeben.
35Der Verfahrenswert der Anträge in der Hauptsache beträgt hinsichtlich des Antragstellers nach § 45 Abs. 1 FamGKG 4.000 Euro und hinsichtlicher aller weiteren Schulkinder der F-Schule 30.000 Euro, weil angesichts der hohen Schülerzahl eine Vielzahl weiterer Sorgerechtsverhältnisse Verfahrensgegenstand ist. Nicht ein und denselben Verfahrensgegenstand betreffen bereits jene Verfahren, in denen Anträge oder von Amts wegen zu regelnden rechtliche Beziehungen mehrerer Personen im Verhältnis zu demselben Kind zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden sind, wie z. B. die Regelung des Umgangs mehrerer Bezugspersonen mit demselben Kind gem. § 1685 BGB (OLG Brandenburg NJW-RR 2018, 584; BeckOK KostR/Neumann, 32. Ed. 1.1.2021, FamGKG § 45 Rn. 55). Hier geht es um eine Regelung für eine Vielzahl weiterer Kinder mit völlig anderen Sorgeberechtigten. Der Wert des vorläufigen Rechtsschutzes beträgt nach § 41 FamGKG die Hälfte.
36Rechtsbehelfsbelehrung:
37Gegen diesen Beschluss ist ein Rechtsmittel nicht gegeben. Auf Antrag ist eine mündliche Verhandlung durchzuführen und aufgrund dieser erneut zu entscheiden.
38Hinweis zum elektronischen Rechtsverkehr:
39Die Einlegung ist auch durch Übertragung eines elektronischen Dokuments an die elektronische Poststelle des Gerichts möglich. Das elektronische Dokument muss für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet und mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg gemäß § 130a ZPO nach näherer Maßgabe der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (BGBl. 2017 I, S. 3803) eingereicht werden. Weitere Informationen erhalten Sie auf der Internetseite www.justiz.de.
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Referenzen
- FamGKG § 45 Bestimmte Kindschaftssachen 1x
- 5 F 140/21 1x (nicht zugeordnet)
- BGB § 1666 Gerichtliche Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls 5x
- 323 F 48/21 1x (nicht zugeordnet)
- FamFG § 49 Einstweilige Anordnung 1x
- BGB § 1837 Beratung und Aufsicht 1x
- FamGKG § 41 Einstweilige Anordnung 1x
- 9 WF 342/21 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 130a Elektronisches Dokument 1x
- 9 F 148/21 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 40 1x
- 3 MR 61/20 1x (nicht zugeordnet)
- 44 F 33/21 2x (nicht zugeordnet)
- 2 F 192/21 1x (nicht zugeordnet)
- 306 AR 6/21 1x (nicht zugeordnet)
- FamFG § 81 Grundsatz der Kostenpflicht 3x
- 7 F 204/21 1x (nicht zugeordnet)
- §§ 1ff der VO 1x (nicht zugeordnet)
- 16 F 247/21 1x (nicht zugeordnet)
- BGB § 1685 Umgang des Kindes mit anderen Bezugspersonen 1x
- 8 E 416/21 1x (nicht zugeordnet)
- 306 Ar 6/21 1x (nicht zugeordnet)
- 542 F 2559/21 1x (nicht zugeordnet)