Urteil vom Anwaltsgerichtshof NRW - 1 AGH 39/19
Tenor
Der Bescheid der Beklagten vom 17.09.2019 wird aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Beklagte und die Beigeladene je zur Hälfte.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten und der Beigeladenen bleibt nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Der Streitwert wird auf 25.000,00 EUR festgesetzt
1
Tatbestand
2Die Klägerin begehrt die Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 17.09.2019, mit dem diese die Beigeladene als Syndikusrechtsanwältin gemäß § 46a BRAO zugelassen hat.
31.
4Mit am 21.12.2018 eingegangenem Schreiben beantragte die bei der Beklagten als Rechtsanwältin zugelassene Beigeladene die Zulassung als Syndikusrechtsanwältin für Ihre ab 01.01.2019 beginnende Tätigkeit bei der Wirtschaftsförderung XGmbH in C. In der von der Vorsitzenden des Aufsichtsrates der Wirtschaftsförderung XGmbH und der Beigeladenen unterzeichneten und zum Gegenstand des undatierten Geschäftsführervertrages gemachten Tätigkeitsbeschreibung vom 18.03./17.04.2019 werden die Merkmale der anwaltlichen Tätigkeit im Wesentlichen wie folgt beschrieben (vgl. Anlage):
5Prüfung von Rechtsfragen:
6- Prüfung Fördermittelfähigkeit von Projekten
7- Prüfung der Möglichkeiten interkommunaler Zusammenarbeit, z. B. bei der
8gemeinsamen Erschließung von Gewerbegebieten auch zu Fragen des
9öffentlichen Rechts
10und des Steuerrechts
11- Prüfung von planungsrechtlichen Vorgaben
12(Regionalplanänderungsverfahren)
13- Prüfung von Rechtsfragen aus den Bereichen Gesellschaftsrecht,
14öffentliches Recht,
15Vergaberecht, EU-Beihilferecht und Vertragsrecht
16Erteilung von Rechtsrat:
17- Beratung der Gremien der Gesellschaft, insbesondere Aufsichtsrat und
18Gesellschafterversammlung
19- Rechtsrat in Fragen des Arbeits- und Beamtenrechts betreffend Angestellte
20und abgeordnete Beamten der GmbH
21- Rechtsrat in den Bereichen des Gesellschaftsrechts sowie des öffentlichen
22Rechts,
23Vergaberecht, EU-Beihilferechts sowie des Vertragsrechts für die GmbH und
24ihre Gremien
25Gestaltung von Rechtverhältnissen:
26- Verhandlung von Verträgen mit Referenten von Veranstaltungen,
27Veranstaltungs-
28stätten, Dienstleistung- und Hochschulen
29- Kooperationsverträge mit anderen Institutionen, wie z. B. Fachhochschulen
30- Arbeitsverträge für Mitarbeiter werden entworfen und abgeschlossen
31- Ausschreibung für zu beauftragende Dienstleitungen für die GmbH
32Außerdem habe die Beigeladene als einzelvertretungsberechtigte Geschäftsführerin die Befugnis zu eigenverantwortlichem Auftreten nach außen. Auch werde ihre fachliche Unabhängigkeit gewährleistet. Der prozentuale Anteil nicht-anwaltlicher Tätigkeit wird mit 45 % angegeben.
332.
34Mit Schreiben vom 27.08.2019 wurde die Klägerin zur beabsichtigten Zulassung der Beigeladenen angehört. In ihrem Schreiben vom 09.09.2019 wies sie darauf hin, dass die Zulassungsvoraussetzungen für die Zulassung als Syndikusrechtsanwältin nicht gegeben seien, weil der Anteil der anwaltlichen Tätigkeit mit 55% nicht prägend sei.
353.
36Mit Bescheid vom 17.09.2019 ließ der Beklagte die Beigeladene gem. § 46a BRAO als Syndikusrechtsanwältin zu.
374.
38Gegen diesen, der Klägerin am 20.09.2019 zugegangenem Bescheid richtet sich die am 21.10.2019 erhobene Klage. Zur Begründung ihrer Klage trägt sie im Wesentlichen folgendes vor:
39Die Zulassung als Syndikusrechtsanwältin sei bereits deshalb unzulässig, weil die Beigeladene als Geschäftsführerin entgegen § 46 Abs. 2 BRAO in keinem Arbeitsverhältnis mit der Wirtschaftsförderung XGmbH stehe. Der Geschäftsführer einer GmbH sei nicht Arbeitnehmer der Gesellschaft, sondern habe organschaftliche Aufgaben wahrzunehmen.
40Außerdem könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Beigeladene im Sinne von § 46 Abs. 3, 4 BRAO fachlich unabhängig tätig sei. Dies sei deshalb zu bezweifeln, weil die Gesellschafter einer GmbH gegenüber den Geschäftsführern ein umfassendes Weisungsrecht hätten, was sich aus § 37 Abs. 1 GmbhG ergebe. Zwar sei die Vertretungsmacht des Geschäftsführers im Außenverhältnis unbeschränkt, er sei jedoch im Innenverhältnis an Regelung des Gesellschaftsvertrages und Beschlüsse der Gesellschafter gebunden.
41Schließlich werde die von der Beigeladenen ausgebübte Tätigkeit nicht durch die in § 46 Abs. 3 Nr. 1-4 BRAO bezeichneten Tätigkeiten geprägt. Wenn davon auszugehen sei, dass der Anteil anwaltlicher Tätigkeit an der Gesamttätigkeit der Beigeladenen bei etwa 55 % liege, entspreche dies nicht den in der Rechtsprechung entwickelten Anforderungen hinsichtlich des zeitlichen prägenden Anteils von mindestens 65 %.
42Die Klägerin beantragt,
43den Zulassungsbescheid des Beklagten vom 17.09.2019 aufzuheben.
44Die Beklagte beantragt,
45die Klage abzuweisen.
46Die Beigeladene beantragt,
47die Klage abzuweisen.
48Der Beklagte sieht die Beigeladene im Kern in einem Angestelltenverhältnis, wie sich aus einigen Passagen des Geschäftsführervertrages ergebe. Administrative Aufgaben stünden bei ihr nicht im Vordergrund, weil es sich bei ihrer Arbeitgeberin nicht um eine erwerbswirtschaftlich tätige GmbH handele. Die GmbH sei insbesondere in der rechtlichen/wirtschaftsrechtlichen Beratung ihrer Gesellschafter tätig. Der Beklagten habe im Zeitpunkt der Zulassungsentscheidung ausgereicht, wenn die Beigeladene zu 55 % anwaltlich tätig war, die Entscheidung des BGH vom 30.9.2019 sei nach der Zulassungsentscheidung ergangen. Nachdem die Beigeladene einige Zeit tätig gewesen sei, könne der Anteil der anwaltlichen Tätigkeit nunmehr genauer beziffert werden.
49Entscheidungsgründe
50I.
51Die Anfechtungsklage der Klägerin ist zulässig. Gegen den Bescheid der Beklagten ist ohne Durchführung eines Vorverfahrens (§ 68 VwGO, § 110 JustG NRW) Anfechtungsklage zulässig (§ 42 VwGO, §§ 112 Abs. 1, 112c Abs. 1 BRAO) Der Anwaltsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen ist für die Klage zuständig (§ 112a BRAO).
52Die Klage ist auch rechtzeitig erhoben worden. Da der 20.10.2019 auf einen Sonntag fiel, fiel der Tag des Fristablaufs auf den 21.09.2019. An diesem Tag ist die Klageschrift bei Gericht eingegangen.
53II.
54Die Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 17.09.2019 ist aufzuheben, da er rechtswidrig ist und die Klägerin in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Zulassung der Beigeladenen als Syndikusrechtsanwältin ist zu Unrecht erfolgt, da die Voraussetzungen des § 46a Abs. 1 Satz 1 BRAO nicht vorliegen.
55Über die Zulassung der Beigeladenen als Syndikusrechtsanwältin hat die örtlich zuständige Rechtsanwaltskammer auf Antrag der Beigeladenen nach Anhörung des Trägers der Rentenversicherung (§ 46a Abs. 2 Satz 1 BRAO) zu entscheiden. Die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft als Syndikusrechtsanwältin ist gemäß § 46a Abs. 1 BRAO auf Antrag zu erteilen, wenn
56- 57
1. die allgemeinen Zulassungsvoraussetzungen zum Beruf des Rechtsanwalts gemäß § 4 erfüllt sind
- 58
2. kein Zulassungsversagungsgrund nach § 7 vorliegt und
- 59
3. die Tätigkeit den Anforderungen des § 46 Abs. 2 bis 5 entspricht.
1.
61Die Voraussetzungen für den Zugang zum Beruf des Rechtsanwalts gemäß § 4 BRAO liegen vor. Die Beigeladene ist zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Zulassungsversagungsgründe nach § 7 BRAO sind nicht ersichtlich.
622.
63Allerdings entspricht die Tätigkeit der Beigeladenen nicht den Anforderungen des § 46 Abs. 2 - 5 BRAO.
64a)
65Gem. § 46 Abs. 3 BRAO üben Angestellte anderer als der in Abs. 1 genannten Personen oder Gesellschaften ihren Beruf als Rechtsanwalt aus, sofern sie im Rahmen ihres Arbeitsverhältnisses für ihren Arbeitgeber anwaltlich tätig sind (Syndikusrechtsanwälte).
66Die Beigeladene ist mit nicht datiertem Geschäftsführervertrag mit der Wirtschaftsförderung XGmbH zur Geschäftsführerin dieser Gesellschaft bestellt worden. Die Wirtschaftsförderung XGmbH (XGG) wurde 1970 mit dem Ziel gegründet, einen kreisweit agierenden Ansprechpartner für Existenzgründer, bereits ortansässige Unternehmen und Investoren zu etablieren. Gegenstand und Zweck der XGG sind gemäß § 2 des Gesellschaftsvertrages darüber hinaus u.a. ansiedlungsinteressierten Betrieben Grundstücke, Arbeitskräfte und Kredite zu beschaffen sowie sie zu beraten und zu unterstützen und Koordinierungsaufgaben für die Gesellschafter auf dem Gebiet der Wirtschaftsförderung zu übernehmen. Außerdem gehört zu ihren Aufgaben, Informationssysteme aufzubauen und die Gesellschafter bei der örtlichen und überörtlichen Planung zu beraten und zu unterstützen.
67Gesellschafter der XGG ist zu über 85 % der S-Kreis. Die übrigen Gesellschafter sind die 10 Städte des S-Kreises sowie die Kreissparkasse L zu je 1,316 %. Bei der XGG sind neben der Beigeladenen als Geschäftsführerin ein Vertreter der Geschäftsführerin, eine Assistentin der Geschäftsführung sowie weitere Projektleiter und Projektmitarbeiter, insgesamt derzeit 7-9 Mitarbeiter beschäftigt.
68Organe der Gesellschaft sind entsprechend § 5 des Gesellschaftsvertrages die Geschäftsführung, die Gesellschafterversammlung und der Aufsichtsrat. Entsprechend § 1 des Geschäftsführervertrages vertritt die Beigeladene die Gesellschaft als Geschäftsführerin gerichtlich und außergerichtlich und führt die Geschäfte der Gesellschaft und hat die verantwortliche Leitung des gesamten Geschäftsbetriebes. Die Geschäftsführerin hat Beschlüsse und Anweisungen des Aufsichtsrates und der Gesellschafterversammlung auszuführen. Eine Ausnahmeregelung von dieser Weisungsgebundenheit für ihre Tätigkeit als Syndikusrechtsanwältin enthält der Geschäftsführervertrag nicht. Sie übt entsprechend § 2 des Geschäftsführervertrages ihre Tätigkeit als sozialversicherungspflichtige Vollzeittätigkeit aus. Sie hat ihr Amt mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns zu führen (§ 2 Ziff. 3 Geschäftsführervertrag). Die Gesellschaft unterhält zu Gunsten der Beigeladenen entsprechend § 5 für die Dauer des Dienstvertrages eine Eigenschadenversicherung, einschließlich einer umfassenden Haftpflichtversicherung. Der Vertrag wird entsprechend § 8 auf fünf Jahre fest geschlossen und endet am 31.12.2023.
69Die Beigeladene als Angestellte der XGG ist nicht im Rahmen „ihres Arbeitsverhältnisses für ihren Arbeitgeber“ anwaltlich tätig (§ 46 Abs. 2 BRAO).
70Die Geschäftsführerin einer GmbH ist ihr gesetzlicher Vertreter und Organ (§ 35 GmbHG). Der Anstellungsvertrag der Geschäftsführerin einer GmbH ist ein auf die Geschäftsbesorgung durch Ausübung des Geschäftsführeramtes gerichteter freier Dienstvertrag (vgl. BGH, Urteil vom 10.01.2000 – II ZR 251/98 – ZIP 2000, 508). Dieser Vertrag regelt nachrangig zum gesellschaftsrechtlichen Organverhältnis diejenigen Rechtsbeziehungen zwischen der Geschäftsführerin und der Gesellschaft, welche nicht bereits durch die organschaftliche Stellung der Geschäftsführerin vorgegeben sind. Dieses Verhältnis zwischen Geschäftsführerin und Gesellschaft stellt sich nicht als Arbeitsverhältnis dar (vgl. insoweit BGH, Urteil vom 10.05.2010 – II ZR 70/09 – und BGH, Urteil vom 18.03.2019 – AnwZ (Brfg) 22/17 –, NJOZ 2019, 964).
71Zwar kommt es nicht alleine auf die Bezeichnung als Geschäftsführerin an, wenn sich aus den Umständen des Einzelfalls ein für eine Syndikusrechtsanwältin typisches Betätigungsbild ergibt (so zu einem Sonderfall BGH, Urt. v. 18.03.2019 – AnwZ Brfg 22/17 –). Weder aus dem Geschäftsführervertrag noch aus der Tätigkeitsbeschreibung ihrer anwaltlichen Tätigkeit ergibt sich, dass die Beigeladenen eine „geradezu typisch für ein Syndikusrechtsanwalt“ zu wertende Tätigkeit ausübt. Eine derartige Besonderheit konnte auch nicht aufgrund der Vernehmung der Beigeladenen in der mündlichen Verhandlung ermittelt werden. Die von der Beigeladenen geschilderte Tätigkeit entspricht vielmehr einer typischen Geschäftsführer- und damit Organtätigkeit. Ihre Tätigkeit sei zunehmend auf das Prüfen von Förderprogrammen und Beihilfen im Bereich der Wirtschaftsförderung und damit auf die Ansiedlung von Unternehmen ausgerichtet. Bei der Flächenentwicklung werde die interkommunale Zusammenarbeit gefördert und sodann Verfahren zur Baurechtsschaffung durch Beauftragung von Gutachtern und Unterstützung der Kommunen bei der Durchführung etwa von Regionalplanänderungsverfahren durchgeführt. In diesem Zusammenhang erfülle die XGG vorrangig koordinierende Funktion, unterstütze die Kommunen aber auch rechtlich bei der Vereinbarung interkommunaler Zusammenarbeit.
72Die Ausgestaltung des Geschäftsführervertrages enthält bereits keine Besonderheiten, die eine abweichende Beurteilung rechtfertigen könnte. Insbesondere wird deutlich, dass die Beigeladene als Geschäftsführerin der XGG nicht nach den allgemeinen Regeln des Zivil- und Arbeitsrechts haftet, die Grundsätze der Arbeitnehmerhaftung also unberührt bleiben. Wie sich aus § 5 des Geschäftsführervertrages ergibt, unterhält die XGG zugunsten der Beigeladenen eine Eigenschadenversicherung einschließlich einer umfassenden Haftpflichtversicherung, was ihre organschaftliche Haftung für die XGG verdeutlicht. Vielmehr ist der Geschäftsführervertrag auch im Übrigen auf ihre organschaftliche Stellung als alleinige Geschäftsführerin der XGG ausgerichtet. Auch die von der Beigeladenen geschilderte Tätigkeit stellt sich nicht als atypische Geschäftsführertätigkeit dar. Sie nimmt zur Überzeugung des Senats vielmehr klassische Geschäftsführertätigkeiten einer Wirtschaftsförderungsgesellschaft wahr, zu denen auch rechtliche Beratungstätigkeiten zählen, die aber nicht in einem Sinne prägend sind, dass sich ihre Tätigkeit als „geradezu typisch für eine Syndikusrechtsanwältin“ darstellt.
73Im Ergebnis ist davon auszugehen, dass eine Zulassung als Syndikusrechtsanwältin bereits deshalb ausscheidet, weil sie nicht entsprechend § 46 Abs. 2 BRAO im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses für ihren Arbeitgeber anwaltlich tätig ist.
74b)
75Zwar können die in der Tätigkeitsbeschreibung dargelegten Merkmale anwaltlicher Tätigkeiten grundsätzlich auf § 46 Abs. 3 Ziff. 1 – 4 BRAO gestützt werden. Die Beigeladene prüft im Rahmen ihrer rechtlichen Tätigkeit Rechtsfragen in fördermittelrechtlicher Hinsicht, einschließlich EU-Recht, planungsrechtlicher Hinsicht aber auch zu Fragen des Gesellschaftsrechts, Vergaberechts und des Vertragsrechts. In diesem Rahmen erteilt sie auch Rechtsrat und ist offensichtlich auch mit der Gestaltung von Rechtverhältnissen beschäftigt. Schließlich hat sie die Befugnis, nach Außen verantwortlich aufzutreten.
76Allerdings ist das Anstellungsverhältnis der Beigeladenen nicht durch die die anwaltliche Tätigkeit kennzeichnenden Merkmale geprägt. Durch dieses Tatbestandsmerkmal soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass der ganz eindeutige Schwerpunkt der im Rahmen des Anstellungsverhältnisses ausgeübten Tätigkeiten und der bestehenden vertraglichen Leistungspflichten im anwaltlichen Bereich liegen muss (vgl. hierzu amtliche Begründung zu § 46 Abs. 3 BRAO-E BT-Drs. 18/5201). In dem Tatbestandsmerkmal der Prägung der fachlich unabhängig und eigenverantwortlich auszuübenden Tätigkeit durch die in § 46 Abs. 3 BRAO genannten Merkmale wird die Stellung deutlich, die der Syndikusrechtsanwalt im Verhältnis zu seinem Arbeitgeber einnimmt. Er ist im Rahmen der Rechtsberatung und Rechtsvertretung in erster Linie den Pflichten der BRAO unterworfen. Als unabhängiger Berater und Vertreter in allen Rechtsangelegenheiten (§ 3 BRAO) muss das Weisungsrecht des Arbeitgebers in Rechtsangelegenheiten zurücktreten. Dies lässt sich praktisch nur dann gewährleisten, wenn auch der überwiegende Anteil der Tätigkeit der Syndikusrechtsanwältin von anwaltlichen Merkmalen geprägt ist.
77Soweit in dem Zulassungsantrag angegeben wird, die nicht-anwaltliche Tätigkeit der Beigeladenen liege bei 45 %, entspricht ein derartiger Anteil nicht den gesetzlichen Anforderungen. Entscheidend für die Annahme einer Prägung im Sinne des § 46 Abs. 3 BRAO ist, dass die anwaltliche Tätigkeit den Kern bzw. Schwerpunkt der Tätigkeit darstellt, mithin das Arbeitsverhältnis durch die anwaltliche Tätigkeit beherrscht wird (vgl. BGH, Urteil vom 15.10.2018-AnwZ (Brfg) 20/18-). Der BGH (Urteil vom 30.09.2019 -AnwZ (Brfg) 63/17-) geht nunmehr davon aus, dass ein Anteil von 65 % anwaltlicher Tätigkeit am unteren Rand des für eine anwaltliche Prägung des Arbeitsverhältnisses Erforderlichen liegt. Zwar kann dieser Anteil nicht als zwingende Grenze angesehen werden. Doch liegt der im Zulassungsantrag – in Unkenntnis der BGH-Entscheidung- genannte Anteil von 55 % so deutlich unterhalb dieser Grenze, dass nicht mehr von einer prägenden Wirkung ausgegangen werden kann. Der Klägerin ist zu Gute zu halten, dass sie bei Antragstellung noch keinen belastbaren Überblick über den Anteil der anwaltlichen Tätigkeit im Rahmen ihrer Geschäftsführertätigkeit haben konnte. In der mündlichen Verhandlung beziffert sie diesen Anteil mit 60 bis 65 %. Auch ist nachvollziehbar, dass sie vom Aufsichtsrat in Hinblick auf zunehmende juristische Fragestellungen bewusst deshalb eingestellt wurde, weil sie anders als ihre Vorgängerin im Amt, Juristin ist. Dass ihre Tätigkeit allerdings von anwaltlicher Tätigkeit im Sinne der Anforderungen des BGH geprägt ist, konnte die Beigeladene in der mündlichen Verhandlung nicht vermitteln.
78Zum einen gehören weiterhin in großem Umfang administrative Aufgaben zum Tätigkeitsfeld, die nicht juristisch geprägt sind. Zum anderen bezieht sich ein nicht unerheblicher Teil der anwaltlichen Tätigkeit, die sie beschrieben hat nicht auf Rechtsangelegenheiten ihrer Gesellschaft, also ihres Arbeitgebers (§ 46 Abs. 5 BRAO). Sie gibt den Anteil der anwaltlichen Tätigkeit mit jeweils rd. 50 % für die Gesellschaft und die Gesellschafter an. Der auf die Beratung der Gesellschafter entfallende Anteil sind keine Rechtsangelegenheiten des Arbeitgebers i.S.v. § 46 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 BRAO, da es sich auch nicht um erlaubte Rechtsdienstleistungen i.S.v. § 8 Abs. 1 Nr. 2 RDG handelt. Es handelt sich bei der rechtsberatenden Tätigkeit der XGG zugunsten ihrer Gesellschafter nicht um eine Tätigkeit eines zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Unternehmens einer Behörde oder juristischen Person des öffentlichen Rechts. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts dürfen auch Rechtsdienstleistungen nur im Rahmen ihres Aufgaben- und Zuständigkeitsbereichs erbringen. Dieser Aufgaben- und Zuständigkeitsbereich ergibt sich aus formellen Gesetzen, Verwaltungsvorschriften, Vereinbarungen, Satzungen und den allgemeinen Grundsätzen der öffentlichen Verwaltung. Die XGG ist nicht zur Erfüllung der den Behörden oder juristischen Personen des öffentlichen Rechts obliegenden öffentlichen Aufgaben gegründet worden, sondern wie sich aus § 2 des Gesellschaftsvertrages ergibt zur „Verbesserung der sozialen und wirtschaftlichen Struktur des S-Kreises“. Dies stellt keine öffentliche Aufgabe im engeren Sinne dar.
793.
80Nach alledem war der Klage stattzugeben.
81III.
82Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 112c BRAO, 154, 162 Abs. 3 VwGO und §§ 167 Abs. 2 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO. Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 194 Abs. 1 und 2 BRAO, 52 GKG.
83Ein Anlass, die Berufung nach § 112 c BRAO, 124, 124a Abs. 1 VwGO zuzulassen, besteht nicht. Weder weist die Rechtssage besondere, tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten auf, noch hat sie grundsätzliche Bedeutung (§§ 124 Abs. 1 Satz 1, 124 Abs. 2 Nr. 2 und 3 VwGO).
84Rechtsmittelbelehrung
85Gegen dieses Urteil kann innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils die Zulassung der Berufung beantragt werden. Der Antrag ist bei dem Anwaltsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen, Heßlerstraße 53, 59065 Hamm, zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Bundesgerichtshof, Herrenstraße 45 a, 76133 Karlsruhe, einzureichen.
86Die Berufung ist nur zuzulassen,
87- 88
1. wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
- 89
2. wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
- 90
3. wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
- 91
4. wenn das Urteil von einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs, des Bundesverwaltungsgerichts, des. gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
- 92
5. wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
Vor dem Anwaltsgerichtshof und dem Bundesgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Das gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bundesgerichtshof eingeleitet wird. Als Bevollmächtigte sind Rechtsanwälte und Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, zugelassen. Ferner sind die in § 67 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) bezeichneten Personen und Organisationen als Bevollmächtigte zugelassen. Ein nach dem Vorstehenden Vertretungsberechtigter kann sich selbst vertreten; es sei denn, dass die sofortige Vollziehung einer Widerrufsverfügung angeordnet und die aufschiebende Wirkung weder ganz noch teilweise wiederhergestellt worden ist. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen.
94Die Festsetzung des Streitwerts ist unanfechtbar.
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