Urteil vom Bundesgerichtshof (9. Zivilsenat) - IX ZR 117/16

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des 17. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 3. Februar 2016 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

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Der Kläger ist Verwalter in dem am 8. November 2013 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der G   GmbH (Schuldnerin). Die Schuldnerin war im Gerüstbau tätig und erhielt Aufträge von der Beklagten. Dazu gab es einen Rahmenvertrag vom 2. Mai 2013, in dem es hieß:

"2.2 Die folgenden, gültigen Nachweise, die nicht älter als drei Monate sein dürfen, sind regelmäßig vom AN im Original beizubringen:

• Unbedenklichkeitsbescheinigung des Finanzamtes

• Unbedenklichkeitsbescheinigung der Betriebskrankenkasse

• Unbedenklichkeitsbescheinigung der Sozialkasse des Gerüstbaugewerbes

• Unbedenklichkeitsbescheinigung der BauBG

• Nachweis (Mitarbeiterliste und Sozialversicherungsausweise usw. aller auf den Baustellen eingesetzter Mitarbeiter) ...

2.8 Werklohnansprüche des Auftragnehmers sind erst bei Vorlage sämtlicher Unterlagen sowie Nachweise in der vertraglich vereinbarten Form zur Zahlung fällig. Bis zum Eintritt dieser Fälligkeitsbedingung ist der Auftraggeber berechtigt, Werklohnzahlungen ganz oder teilweise zurückzuhalten, auch wenn die Vertragsleistung vom Auftragnehmer bereits vollständig erbracht worden ist. ...

10.3 Zahlungen können zurückgehalten werden, wenn die unter Ziffern 2.2) dieses Vertrages aufgeführten, gültigen Nachweise beim AG nicht vollständig vorliegen."

2

In einer Zusatzvereinbarung vom 2. Mai 2013, welche die persönliche Verpflichtung des Geschäftsführers der Schuldnerin zur Freistellung in Bezug auf "nicht abgeführte Steuern sowie Sozialbeiträge" regelt, heißt es:

"Mir ist weiter bekannt, dass Werklohnforderungen des Auftragnehmers erst dann zur Zahlung fällig werden, wenn von diesem seine Vorleistungsverpflichtungen nach Maßgabe des heute unterzeichneten Rahmenvertrages vollständig erfüllt worden sind."

3

Der Kläger verlangt restlichen Werklohn in Höhe von 6.265,05 € aus einem im August 2013 erteilten Auftrag. Die Schuldnerin hatte die ihr obliegenden Werkleistungen bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen vollständig erbracht, jedoch die vereinbarten Unbedenklichkeitsbescheinigungen nicht beigebracht, nachdem sie Mitarbeiter nicht angemeldet, Beiträge zur Bauberufsgenossenschaft nicht gezahlt und konkrete Lohnsummen nicht gemeldet hatte.

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Die Beklagte hat den Klageanspruch anerkannt, soweit er auf Zahlung Zug um Zug gegen Vorlage der Unbedenklichkeitsbescheinigung der Sozialkasse des Gerüstbaus und derjenigen der Bauberufsgenossenschaft ab dem 17. September 2013 gerichtet ist. Sie ist im Umfang ihres Anerkenntnisses verurteilt worden. Im Übrigen hat die Beklagte die Einrede des nicht erfüllten Vertrages gemäß § 320 BGB erhoben. Die auf unbedingte Zahlung gerichtete Klage ist in den Tatsacheninstanzen erfolglos geblieben. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger diesen Antrag weiter.

Entscheidungsgründe

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Die Revision bleibt ohne Erfolg.

I.

6

Das Berufungsgericht hat ausgeführt (vgl. NZI 2016, 304): Die Verpflichtung der Schuldnerin, die Unbedenklichkeitsbescheinigungen gemäß Nr. 2.2 des Rahmenvertrages vorzulegen, stehe nach dem Vertragszweck und dem Willen der Vertragsparteien in dem für § 320 Abs. 1 Satz 1 BGB erforderlichen Gegenseitigkeitsverhältnis. Die Parteien seien berechtigt, auch Nebenleistungspflichten zu Hauptleistungspflichten zu erheben, die dann im Austauschverhältnis zur Hauptleistungspflicht der Gegenseite stünden. Die Vorlage der Bescheinigungen sei im Rahmenvertrag ausdrücklich zur Fälligkeitsvoraussetzung erhoben worden. Die Beklagte sei damit weiterhin zur Leistungsverweigerung berechtigt. Das Leistungsverweigerungsrecht gemäß § 320 BGB sei grundsätzlich insolvenzfest.

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Der Kläger habe konkludent die Erfüllung des beiderseits nicht vollständig erfüllten Vertrages verlangt, indem er den restlichen Werklohn gefordert habe. Den restlichen Werklohn könne er nur verlangen, wenn er die geschuldeten Unterlagen vorlege. Er habe nicht dargetan, dass dies unmöglich sei. Ebenso wie er Restarbeiten erledigen könne, könne er die Rückstände bei den Sozialkassen und bei der Berufsgenossenschaft zahlen und dann die erforderlichen Unbedenklichkeitsbescheinigungen beibringen. Die Beklagte müsse befürchten, gemäß § 28e Abs. 3a SGB IV in Anspruch genommen zu werden, nachdem die Sozialkassen erhebliche Forderungen von mehr als 50.000 € zur Tabelle angemeldet hätten.

II.

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Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung im Ergebnis stand. Der Kläger kann den restlichen Werklohn nur nach Maßgabe des Teil-Anerkenntnisurteils verlangen, also Zug um Zug gegen Vorlage der Unbedenklichkeitsbescheinigung der Sozialkasse des Gerüstbaus und derjenigen der Baugenossenschaft ab dem 17. September 2013. Ein darüber hinausgehender Anspruch steht dem Kläger nicht zu.

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1. Grundlage des Anspruchs des Klägers sind §§ 631, 632, 640 BGB in Verbindung mit dem im August 2013 geschlossenen Werkvertrag zwischen der Schuldnerin und der Beklagten. Die Schuldnerin hat die vereinbarten Werkleistungen mangelfrei erbracht. Nach den vertraglichen Vereinbarungen der Vertragsparteien war der Werklohnanspruch jedoch erst bei Vorlage sämtlicher Unterlagen und Nachweise in der vertraglich vereinbarten Form zur Zahlung fällig. Bis zum Eintritt dieser Voraussetzung sollte die Beklagte berechtigt sein, Werklohnzahlungen ganz oder teilweise zurückzuhalten. Die Schuldnerin hatte die geschuldeten Unterlagen und Nachweise bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht vorgelegt. Der Kläger hat dies bisher ebenfalls nicht getan.

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2. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat nicht die unbedingte Fälligkeit des restlichen Werklohnanspruchs zur Folge.

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a) Die Vorschrift des § 41 InsO, nach welcher nicht fällige Forderungen in der Insolvenz als fällig gelten, betrifft Insolvenzforderungen (vgl. § 38 InsO), nicht jedoch die Forderungen des Insolvenzschuldners gegen Dritte.

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b) Soweit die vertraglichen Regelungen zivilrechtlich wirksam sind und die Insolvenzordnung keine Sondervorschriften bereithält, kann der Verwalter für die Masse nicht mehr und keine anderen Rechte beanspruchen, als dem Insolvenzschuldner vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegen seinen Vertragspartner zustanden. Er hat den vertraglichen Anspruch des Schuldners in dem Zustand hinzunehmen, in dem er im Zeitpunkt der Eröffnung bestand (BGH, Urteil vom 26. September 1985 - VII ZR 19/85, BGHZ 96, 34, 37; vom 27. Mai 2003 - IX ZR 51/02, BGHZ 155, 87, 97). Hat der Schuldner vor der Eröffnung den Anspruch auf Rückzahlung einer Vorleistung an einen Dritten abgetreten, ist die Abtretung regelmäßig insolvenzfest (BGH, Urteil vom 27. Mai 2003, S. 97 f). Eine vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Vertrag vereinbarte Schiedsabrede bindet auch den Verwalter, welcher beim Einzug einer Forderung aus diesem Vertrag die vom Schuldner vor der Eröffnung wirksam geschaffene Rechtslage insoweit hinzunehmen hat (BGH, Beschluss vom 30. Juni 2011 - III ZB 59/10, NZI 2011, 634 Rn. 14; Urteil vom 25. April 2013 - IX ZR 49/12, NZI 2013, 934 Rn. 8 ff).

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c) Für Werklohnansprüche gelten insoweit keine Besonderheiten. Der Insolvenzverwalter eines Werkunternehmers ist an die Vereinbarung eines Sicherheitseinbehalts gebunden (BGH, Urteil vom 17. Dezember 1998 - IX ZR 151/98, NZI 1999, 72 f; vom 10. Juli 2003 - IX ZR 119/02, BGHZ 155, 371, 377). Er kann den restlichen Werklohn in einem solchen Fall erst nach Ablauf der Verjährungsfrist für Gewährleistungsansprüche verlangen. Hängt die Fälligkeit des Werklohnanspruchs von der Vorlage bestimmter Bescheinigungen und Nachweise ab, hat der Insolvenzverwalter diese Bescheinigungen und Nachweise beizubringen.

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3. Die Rechtsfragen, um die in den Vorinstanzen gestritten wurden, sind überwiegend nicht entscheidungserheblich.

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a) Das gilt zunächst für die Frage, ob der Werkvertrag im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens von beiden Seiten nicht vollständig erfüllt war (§ 103 Abs. 1 InsO). Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hindern auch ausstehende Nebenleistungen die Annahme einer vollständigen Erfüllung (BGH, Urteil vom 17. März 1972 - V ZR 53/70, BGHZ 58, 246, 249 zu § 36 VerglO; MünchKomm-InsO/Huber, 3. Aufl., § 103 Rn. 123; HK-InsO/Marotzke, 8. Aufl., § 103 Rn. 70; Schmidt/Ringstmeier, InsO, 19. Aufl., § 103 Rn. 18; Flöther/Wehner in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsO, 2. Aufl., § 103 Rn. 16). In der Kommentarliteratur wird teilweise vertreten, dass nur selbständige Nebenpflichten die Anwendbarkeit des § 103 InsO rechtfertigten, Pflichten also, die einen klagbaren Anspruch gewähren und dem Leistungsinteresse dienen (Uhlenbruck/Wegener, InsO, 14. Aufl., § 103 Rn. 58). Nach anderer Ansicht ist ein gegenseitiger Vertrag nur dann im Sinne von § 103 InsO beiderseits nicht erfüllt, wenn es sich bei den im Zeitpunkt der Eröffnung noch ausstehenden Leistungen um im Synallagma stehende Hauptleistungspflichten handelt (Jaeger/Jacoby, InsO, § 103 Rn. 109, 111 unter Hinweis auf die Senatsurteile vom 10. Juli 2003 - IX ZR 119/02, BGHZ 155, 371, 374 und vom 22. Januar 2009 - IX ZR 66/07, WM 2009, 471 Rn. 15). Die Vorschrift des § 103 InsO regele die Fortgeltung des Synallagmas in der Insolvenz; deshalb müssten bei Insolvenzeröffnung auch noch in diesem Verhältnis stehende Ansprüche bestehen. Hätte die Schuldnerin den Vertrag im Sinne von § 103 InsO vollständig erfüllt, bestünde das in dieser Vorschrift geregelte Wahlrecht nicht. Der Kläger könnte den Werklohnanspruch aus diesem Vertrag unmittelbar geltend machen. Auf die Frage der Fälligkeit des Anspruchs hat die Frage der Anwendbarkeit des § 103 InsO jedoch keinen Einfluss.

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b) Geht man mit der bisherigen Senatsrechtsprechung von einem im Zeitpunkt der Eröffnung beiderseits nicht vollständig erfüllten Vertrag aus, ändert sich ebenfalls nichts. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens ließ die beiderseitigen Ansprüche unberührt, nahm ihnen jedoch ihre Durchsetzbarkeit (BGH, Urteil vom 25. April 2002 - IX ZR 313/99, BGHZ 150, 353, 359; vom 7. Februar 2013 - IX ZR 218/11, BGHZ 196, 160 Rn. 8; vom 19. November 2015 - IX ZR 198/14, NZI 2016, 128 Rn. 18; MünchKomm-InsO/Kreft, 3. Aufl., § 103 Rn. 13). Verlangt der Insolvenzverwalter in dieser Lage die Erfüllung des Anspruchs zur Masse, liegt darin in aller Regel die Erfüllungswahl im Sinne von § 103 Abs. 1 InsO; denn diese ist Voraussetzung der Durchsetzung des Anspruchs (vgl. BGH, Urteil vom 10. Juli 2003, aaO S. 376; vom 19. November 2015, aaO). Aber auch die Frage der Erfüllungswahl ist nicht entscheidungserheblich. Lehnt der Verwalter die Erfüllung des Vertrages ab oder belässt er es bei dem Zustand der Hemmung der beiderseitigen Ansprüche, kann er den Anspruch nicht geltend machen. Von diesem Grundsatz gibt es zwar Ausnahmen. In einem Urteil vom 22. Januar 2009 (IX ZR 66/07, WM 2009, 471 Rn. 15) heißt es, die Vorschrift des § 103 InsO sei unanwendbar, wenn der Verwalter einen nicht im Gegenseitigkeitsverhältnis wurzelnden Anspruch geltend mache. Wie weit dieser Grundsatz verallgemeinerungsfähig ist, bedarf keiner Entscheidung. Der Kläger klagt einen Werklohnanspruch ein, damit einen im Synallagma stehenden Anspruch, der sicher unter § 103 InsO fällt.

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c) Entgegen der Ansicht der Revision macht die Beklagte kein Zurückbehaltungsrecht aus § 273 BGB mit dem Ziel der in der Insolvenzordnung nicht vorgesehenen abgesonderten Befriedigung einer eigenen Forderung oder der Forderung eines Dritten geltend. Die Vertragsparteien haben die Zahlung des Werklohns nicht nur von der vollständigen und mangelfreien Erstellung des geschuldeten Werkes abhängig gemacht, sondern auch von der Vorlage der im Vertrag näher beschriebenen Bescheinigungen und Nachweise. Bedenken gegen die Zulässigkeit einer solchen Vereinbarung (§ 311 Abs. 1 BGB) werden von der Revision mit Recht nicht erhoben. Dass es sich insoweit um Allgemeine Geschäftsbedingungen handele, ist nicht vorgetragen worden.

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4. Das Ergebnis des Berufungsgerichts steht schließlich nicht im Widerspruch zur bisherigen Senatsrechtsprechung oder zu Grundsätzen des Insolvenzrechts.

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a) Im Urteil vom 2. Dezember 2004 (IX ZR 200/03, BGHZ 161, 241, 251) hat der Senat angenommen, dass die gesetzliche Pflicht des Unternehmers (im konkreten Fall: des Arbeitnehmerüberlassers) zur Abführung der Sozialversicherungsbeiträge nicht in einem synallagmatischen Verhältnis zur Entgeltpflicht des Bestellers (im konkreten Fall: des Verleihers) steht. Der Entleiher verspreche das Entgelt nicht als Gegenleistung dafür, dass der Verleiher seinen gesetzlichen Pflichten als Arbeitnehmer gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 AÜG nachkomme. Im damaligen Fall ging es jedoch um eine Pflicht, welche den Arbeitgeber kraft Gesetzes trifft. Anders als im vorliegenden Fall hatten die dortigen Vertragsparteien die Entgeltpflicht des Entleihers nicht von der Vorlage einer Unbedenklichkeitsbescheinigung des Sozialversicherungsträgers abhängig gemacht.

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b) Die Geltendmachung fehlender Fälligkeit entspricht hier nicht einer nach § 95 Abs. 1 Satz 3 InsO verbotenen Aufrechnung. Wäre die Beklagte gemäß § 28e Abs. 3a SGB IV als Bürgin für nicht abgeführte Gesamtsozialversicherungsbeiträge in Anspruch genommen worden, stünde ihr ein Regressanspruch gegen die Schuldnerin zu. Dann wäre zu prüfen, ob dieser Anspruch gegen den Anspruch auf restlichen Werklohn aufgerechnet werden könnte. Die Voraussetzungen des Aufrechnungsverbots des § 95 Abs. 1 Satz 3 InsO wären jedoch nicht, jedenfalls nicht ohne weiteres erfüllt. Die Unbedenklichkeitsbescheinigung, deren Vorlage erst die Fälligkeit des Werklohnanspruchs begründete, hätte frühestens mit der Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge durch die Bürgin ausgestellt werden können. Der Werklohn wäre daher nicht vor der Entstehung des Rückgriffanspruchs unbedingt und fällig geworden. Abgesehen davon geht es hier nicht um die Aufrechnung mit einem Rückgriffanspruch, sondern um die Abwehr des noch nicht einredefrei bestehenden Werklohnanspruchs.

Kayser        

       

Lohmann        

       

Pape   

       

Möhring        

       

Meyberg        

       

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