Beschluss vom Bundessozialgericht (6. Senat) - B 6 KA 81/16 B

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 27. Juli 2016 wird zurückgewiesen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe

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I. Der Kläger ist Nachlassverwalter über den Nachlass des 2009 verstorbenen Dr. M., der in den streitbefangenen Quartalen IV/1993 bis III/1997 als Laborarzt zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen war. In dieser Zeit war er in einer Praxis tätig, die im Alleineigentum von Dr. R. stand. Es entstanden nach den mit Dr. R. getroffenen Vereinbarungen Dr. M. keine Finanzierungskosten und es traf ihn kein wirtschaftliches Risiko. Alle gegenwärtigen und zukünftigen Honoraransprüche wurden an Dr. R. abgetreten. Dieser fungierte auch als Arbeitgeber der Mitarbeiter der Praxis. Dr. M. erhielt als ärztlicher Geschäftsführer eine Vergütung in Höhe von 210 000 DM im Jahr. Die Beklagte führte Anfang 1998 eine Plausibilitätsprüfung durch und forderte mit Bescheiden vom 25.5.1998 und 16.7.1998 das gesamte in den streitbefangenen Quartalen erzielte Honorar von Dr. M. in Höhe von 16 310 396,80 DM zurück, weil Dr. M. seine vertragsärztliche Tätigkeit nicht in freier Praxis ausgeübt habe. Den Widerspruch hiergegen wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 10.12.1998 zurück. Das SG hat die Klage mit Urteil vom 24.7.2008 abgewiesen. Mit dem angefochtenen Urteil hat das LSG die Berufung zurückgewiesen. Dr. M. habe weder ein wirtschaftliches Risiko getragen noch habe er über die erforderliche Handlungsfreiheit in fachlicher und persönlicher Hinsicht verfügt.

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Gegen die Nichtzulassung der Revision in der Entscheidung des LSG wendet sich der Kläger mit seiner Beschwerde, zu deren Begründung er die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) sowie Verfahrensfehler (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) geltend macht.

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II. Die Beschwerde des Klägers hat keinen Erfolg.

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1. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 160 Abs 2 Nr 1 SGG liegen nicht vor. Die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache setzt eine Rechtsfrage voraus, die in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl BSG SozR 4-1500 § 153 Nr 3 RdNr 13 mwN; BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 5 RdNr 3). Die Klärungsbedürftigkeit fehlt dann, wenn die Frage bereits geklärt ist und/oder wenn sie sich ohne Weiteres aus den Rechtsvorschriften und/oder aus der bereits vorliegenden Rechtsprechung klar beantworten lässt. Das ist hier der Fall.

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a) Der Kläger stellt die Frage,
"Stellt es eine besondere Härte dar und verstößt zugleich gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, wenn der vermeintlich 'abhängige' und nicht am wirtschaftlichen Erfolg der Praxis beteiligte Vertragsarzt, gleichwohl (faktisch) das volle wirtschaftliche Risiko der Praxis wegen der Honorarrückforderung durch die Kassenärztliche Vereinigung trägt und wie ist dies mit der Gesamtschau, wonach Gesichtspunkte in ihrer Gesamtheit in die Abwägung einzubeziehen sind, vereinbar?".

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Diese Frage kann auf der Grundlage der Rechtsprechung des Senats eindeutig beantwortet werden. Dr. M. trug nach den mit Dr. R. geschlossenen Vereinbarungen das wirtschaftliche Risiko der Praxis nicht mit und war in keiner Weise am Wert der Praxis beteiligt, der durch seine Tätigkeit mit geschaffen wurde. Jedenfalls soweit beides explizit ausgeschlossen ist, wird die ärztliche Tätigkeit nicht mehr in freier Praxis ausgeübt (vgl BSGE 106, 222 = SozR 4-5520 § 32 Nr 4, RdNr 33). Der in Wahrheit abhängig beschäftigte Arzt trägt das wirtschaftliche Risiko dann, wenn er als derjenige, der über eine Zulassung verfügt, allein gegenüber der Beklagten abrechnungsberechtigt ist. "Vertragspartner" der Beklagten war hier Dr. M., sodass auch die Rückabwicklung in diesem Verhältnis zu erfolgen hat (vgl BSGE 106, 222 = SozR 4-5520 § 32 Nr 4, RdNr 31). Zu Dr. R. bestand seitens der Beklagten keine Rechtsbeziehung. Eine solche konnte nicht dadurch begründet werden, dass ihm tatsächlich die in der Praxis erwirtschafteten Honorare zuflossen.

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Dass Dr. M. mit der Honorarrückforderung die wirtschaftlichen Folgen dieses Vorgehens treffen, ist weder eine besondere Härte noch unverhältnismäßig. Allein der von Dr. M. gegenüber den Zulassungsgremien und der Beklagten erweckte Anschein einer selbstständigen Praxisführung ermöglichte erst das in kollusivem Zusammenwirken mit Dr. R. errichtete Konstrukt zur rechtswidrigen Generierung von Honorar. Eine Unverhältnismäßigkeit ergibt sich auch nicht aus der absoluten Höhe der Rückforderung, weil diese sich am zuvor erzielten Honorar orientiert. Dabei kann offenbleiben, ob dem Kläger nicht Ausgleichsansprüche gegen Dr. R. und seinen damaligen Prozessbevollmächtigten zustehen. Soweit der Kläger auf die zugunsten von Dr. M. ergangene Entscheidung des BVerfG vom 7.6.2005 (2 BvR 1822/04) rekurriert, ging es darin um die Annahme eines das Eigentumsgrundrecht von Dr. M. überwiegenden Sicherstellungsbedürfnisses der Beklagten im Rahmen eines Arrestes iS der §§ 111 ff Abs 2 StPO. Eine vergleichbare Situation ist hier nicht gegeben.

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Die Frage, ob und wie ein wirtschaftliches Risiko des "abhängigen" Vertragsarztes wegen der gegen ihn persönlich gerichteten Honorarrückforderung im Rahmen der Gesamtschau einzubeziehen ist, ist entgegen der Auffassung des Klägers im Urteil des Senats vom 23.6.2010 in der oben dargelegten Weise angesprochen (vgl BSGE 106, 222 = SozR 4-5520 § 32 Nr 4, RdNr 42 ff). Das wirtschaftliche Risiko bildet einen wesentlichen Gesichtspunkt für die Bewertung des Gesamtbildes der Praxisführung. Da eine etwaige Rückforderung nicht im Ermessen der KÄV steht, ist nicht ersichtlich, inwiefern die aus der Rückforderung entstehende wirtschaftliche Belastung zu berücksichtigen wäre. Inwiefern der Fall von Dr. M. im Zusammenhang mit dem Vertragsarztrechtsänderungsgesetz Fragen von grundsätzlicher Bedeutung aufwirft, ist ebenfalls nicht erkennbar.

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b) Auch die Frage,

        

"Trägt die Kassenärztliche Vereinigung oder der Vertragsarzt die 'volle' Beweis- bzw Feststellungslast für die tatbestandlichen Voraussetzungen des Vorliegens der vertragsärztlichen Tätigkeit 'in freier Praxis'?"

ist nicht von grundsätzlicher Bedeutung. Sie ist weder klärungsbedürftig noch klärungsfähig. Der Kläger hat insofern zu Recht ausgeführt, dass nach allgemeinen Beweislastregeln die Beklagte die Beweislast für die Berechtigung ihrer Rückforderung trifft. Das LSG hat jedoch keine Beweislastentscheidung getroffen. Soweit der Kläger meint, dies aus der Formulierung, "ergeben die vorliegenden vertraglichen Gestaltungen wesentliche Indizien gegen eine selbstständige Tätigkeit des Klägers" schließen zu können, berücksichtigt er nicht hinreichend den Kontext der Entscheidung. Wie sich aus der anschließenden Schlussfolgerung des LSG ergibt, ist es anhand der vertraglichen Gestaltung unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des BSG zu dem Ergebnis gekommen, dass Dr. M. nicht in freier Praxis tätig war. Die Frage nach der Beweislastverteilung stellte sich damit nicht.

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2. Ein Verfahrensmangel ist nicht hinreichend gerügt. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von § 109 SGG und § 128 Abs 1 Satz 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Der Vortrag des Klägers, das LSG habe entschieden, ohne dass der nicht mehr auffindbare Band I der Akte des SG S 39 KA 148/99 vorgelegen habe, ist insoweit unzureichend. Mit der Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art 103 GG; § 62 SGG) müssen nicht nur die genauen Umstände des geltend gemachten Verstoßes bezeichnet werden. Da die Verletzung des rechtlichen Gehörs im sozialgerichtlichen Verfahren nicht als absoluter Revisionsgrund geregelt ist (vgl § 202 SGG iVm § 547 ZPO), ist zudem der Vortrag erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen Rechtsansicht - auf dem Gehörsverstoß beruhen kann, also die Möglichkeit der Beeinflussung des Urteils besteht (BSG SozR 1500 § 160a Nr 14 und 36). Zudem müssen die Umstände aufgezeigt werden, aus denen sich ergibt, dass der Betroffene alles getan hat, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen. Mit den pauschalen Ausführungen, sein - nicht näher konkretisiertes - unberücksichtigt gebliebenes Vorbringen ua zum tatsächlichen "Leben" der vertragsärztlichen Praxis hätte zu einem anderen Urteilsspruch führen können, ist diesen Darlegungsanforderungen in keiner Hinsicht genügt. Da Dr. M. bereits vor dem SG von dem jetzigen Prozessbevollmächtigten des Klägers vertreten wurde, wäre ein ergänzender Vortrag ohne Weiteres möglich gewesen.

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3. Die Kostenentscheidung beruht, da die Klageerhebung 1999 und damit vor Einfügung des § 197a SGG erfolgte, auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

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