Stattgebender Kammerbeschluss vom Bundesverfassungsgericht (1. Senat 3. Kammer) - 1 BvR 1951/13

Tenor

1. Die Beschlüsse des Amtsgerichts Lübeck vom 9. Januar 2013 - 100 Gs 31/13 - und vom 25. Januar 2013 - 100 Gs 240/13 - sowie der darauf bezogene Beschluss des Landesgerichts Lübeck vom 17. Mai 2013 - 4 Qs 112/13 - verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 13 Absatz 1 des Grundgesetzes. Sie werden insoweit aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht Lübeck zurückverwiesen. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

2. Das Land Schleswig-Holstein hat der Beschwerdeführerin ihre notwendigen Auslagen zu erstatten.

3. Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit im Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 25.000 € (in Worten: fünfundzwanzigtausend Euro) festgesetzt.

Gründe

I.

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Die Verfassungsbeschwerde betrifft zwei Durchsuchungsbeschlüsse, die im Rahmen eines gegen die Beschwerdeführerin wegen Missbrauchs von Titeln geführten Strafverfahrens erlassen wurden.

2

1. Die Beschwerdeführerin ist Inhaberin einer in Dortmund ansässigen Kommunikationsagentur. Sie betreibt darüber hinaus einen Weblog, in dem sie sich vornehmlich mit Fragestellungen aus dem Bereich sozialer Medien auseinandersetzt. Am 3. März 2012 erhielt die Beschwerdeführerin zu ihrem Geburtstag einen "Ehrendoktor" (Dr. h.c. of Ministry der Miami Life Developement Church & Institute) geschenkt, der über das Internet zum Kauf angeboten worden war. In ihrem Blog schrieb die Beschwerdeführerin im März 2012 einen Beitrag unter dem Titel: "Dr. h.c. of Ministry I. stellt sich vor: ,Ich setze mir selbst die Krone auf…ʻ". In dem Beitrag heißt es auszugsweise:

"Sollte ich mir also zum Geburtstag einen Ehrendoktortitel gönnen? Meine Kinder fanden die Idee gut und wollten sich an der Aktion gern beteiligen (…). Im Internet fand ich einige Dr. h.c.ʻs, denen ihr Ehrentitel alles andere als unangenehm war: Dr. h.c. T., Dr. h.c. G. (…). Ich bin stolz auf das, was um mich herum entstanden ist, auf unser Netzwerk, unsere Zusammenarbeit, unser Wirken (…). Herzlichen Dank für diese unsichtbare Fakultät von großartigen Menschen, mit deren Hilfe ich das geworden bin, was ich seit dem 10. März 2012 bin: Dr. h.c. of Ministry I., MLDC Miami!"

3

Unterzeichnet hat die Beschwerdeführerin den Blog-Beitrag mit ihrem Namen, ohne den "Dr. h.c. of Ministry"-Zusatz.

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2. Mit angefochtenem Beschluss vom 9. Januar 2013 ordnete das Amtsgericht nach §§ 94, 98, 102, 105 StPO die Durchsuchung der Wohnräume, Geschäftsräume sowie der Nebenräume wie Keller-, Dachboden- und Abstellräume der Beschwerdeführerin an.

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Die Durchsuchung diene dazu, Beweismittel aufzufinden, namentlich die Ernennungsurkunde der "Miami Life Developement Church & Institute, MLDC" sowie solcher Gegenstände, auf denen der erworbene Titel verwendet wird (Visitenkarten, Stempel, Schilder, Ausweise). Für die Durchführung der Durchsuchung wurde die Anordnung getroffen, dass Computer sowie Mobiltelefone von der Beschlagnahmeanordnung nicht umfasst seien und ohne vorherige gesonderte richterliche Entscheidung nur bei Gefahr im Verzug beschlagnahmt werden dürften. Die Beschwerdeführerin sei verdächtig, unbefugt eine einem akademischen Grad zum Verwechseln ähnliche Bezeichnung geführt zu haben, indem sie den käuflich erworbenen Titel im Internet verwendet habe. Dabei handele es sich um ein Vergehen gemäß § 132a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 StGB. Der Tatverdacht beruhe auf einer Internetrecherche. Mildere, gleich geeignete Ermittlungsmaßnahmen seien nicht ersichtlich. Auch im Übrigen sei der Eingriff in die Grundrechte aus Art. 2 und 13 GG verhältnismäßig. Zwar sei die Eingriffsintensität trotz der Beschränkung des Durchsuchungsziels immer noch als erheblich und die Tat, deren Strafrahmen von Geldstrafe bis zu Freiheitsstrafe von einem Jahr reiche, nicht als schwer anzusehen. Der Verdachtsgrad sei jedoch hoch und auch die Bedeutung der zu erwartenden Beweismittel groß, da diese für das Verfahren gegen den gesondert verfolgten Verkäufer des Titels relevant seien.

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3. Mit ebenfalls angefochtenem Beschluss vom 25. Januar 2013 erstreckte das Amtsgericht die Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnung ausdrücklich auf die Geschäftsräume der Beschwerdeführerin sowie geschäftlich genutzte Fahrzeuge.

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4. Die Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnung wurde am 16. April 2013 in den Privat- und Geschäftsräumen der Beschwerdeführerin vollzogen. In den Geschäftsräumen wurde die Ernennungsurkunde aufgefunden und beschlagnahmt.

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5. Mit ebenfalls angefochtenem Schreiben vom 10. Mai 2013 half das Amtsgericht der Beschwerde gemäß §§ 304, 306 Abs. 2 StPO nicht ab und legte den Rechtsbehelf dem Beschwerdegericht vor. Dies verwarf die Beschwerde als unbegründet. Das Amtsgericht habe sich sowohl mit der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme auseinandergesetzt als auch mit dem Vorliegen des Tatverdachts, der sich aus der Verwendung des Titels auf bestimmten Internetseiten ergebe.

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6. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde macht die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 13 Abs. 1, 2 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 sowie aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG geltend.

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7. Dem Ministerium für Justiz, Kultur und Europa des Landes Schleswig-Holstein und der Präsidentin des Bundesgerichtshofs ist Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden. Die Akten des Ausgangsverfahrens haben dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen. Das Strafverfahren gegen die Beschwerdeführerin wurde mit Beschluss des Amtsgerichts vom 25. Oktober 2013 gemäß § 153 Abs. 2 StPO eingestellt.

II.

11

Die Verfassungsbeschwerde ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang zur Entscheidung anzunehmen (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Soweit die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihres Rechts auf Unverletzlichkeit der Wohnung gemäß Art. 13 Abs. 1 GG rügt, liegen die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung vor (§ 93 c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).

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1. Ein Durchsuchungsbeschluss kann als Zwischenentscheidung im Strafverfahren mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen werden. Die Verfassungsbeschwerde ist insoweit zulässig. Ausnahmsweise können auch Zwischenentscheidungen unmittelbar mit der Verfassungsbeschwerde angefochten werden, wenn diese in weiteren Instanzen nicht mehr nachgeprüft und korrigiert werden können (vgl. BVerfGE 58, 1 <23>). Zu den Ausnahmefällen gehört auch die Durchsuchung, die gemäß § 305 Satz 2 StPO von der fachgerichtlichen Beschwerde ausgeschlossen ist. Diese wird dadurch charakterisiert, dass die bereits eingetretene Beschwer des Betroffenen durch eine Anfechtung des Urteils nicht mehr beseitigt werden kann (vgl. BVerfGE 21, 139 <143>; BVerfGK 4, 227 <231>).

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Unzulässig ist die Verfassungsbeschwerde, soweit sie sich gegen die Nichtabhilfeentscheidung des Amtsgerichts vom 10. Mai 2013 richtet, die als verfahrensinterne Entscheidung keine selbstständige Beschwer der Beschwerdeführerin begründet.

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2. Die Verfassungsbeschwerde ist, soweit sie zulässig ist, auch begründet. Die Beschlüsse verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 GG, denn sie verstoßen gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

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a) Art. 13 Abs. 1 GG garantiert die Unverletzlichkeit der Wohnung. Damit wird dem Einzelnen zur freien Entfaltung der Persönlichkeit ein elementarer Lebensraum gewährleistet. In seinen Wohnräumen hat er das Recht, in Ruhe gelassen zu werden. Neben Privatwohnungen fallen auch Betriebs- und Geschäftsräume in den Schutzbereich des Art. 13 GG (vgl. BVerfGE 32, 54 <69 ff.>; 44, 353 <371>; 76, 83 <88>; 96, 44 <51>; 120, 274 <309>; stRspr). In diese grundrechtlich geschützte Lebenssphäre greift eine Durchsuchung schwerwiegend ein (vgl. BVerfGE 42, 212 <219 f.>; 59, 95 <97>; 96, 27 <40>; 103, 142 <150 f.>). Dem Gewicht dieses Eingriffs und der verfassungsrechtlichen Bedeutung des Schutzes der räumlichen Privatsphäre entspricht es, dass Art. 13 Abs. 2 GG die Anordnung einer Durchsuchung grundsätzlich dem Richter vorbehält. Dieser Richtervorbehalt zielt auf eine vorbeugende Kontrolle der Maßnahme durch eine unabhängige und neutrale Instanz (vgl. BVerfGE 20, 162 <223>; 57, 346 <355 f.>; 76, 83 <91>; 103, 142 <150 f.>).

16

Die Durchsuchung bedarf einer Rechtfertigung nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Sie muss im Blick auf den bei der Anordnung verfolgten gesetzlichen Zweck Erfolg versprechend sein. Ferner muss gerade diese Zwangsmaßnahme zur Ermittlung und Verfolgung der Straftat erforderlich sein; dies ist nicht der Fall, wenn andere, weniger einschneidende Mittel zur Verfügung stehen. Schließlich muss der jeweilige Eingriff in angemessenem Verhältnis zu der Schwere der Straftat und der Stärke des Tatverdachts stehen. Der Richter darf die Durchsuchung nur anordnen, wenn er sich aufgrund eigenverantwortlicher Prüfung der Ermittlungen überzeugt hat, dass die Maßnahme verhältnismäßig ist (vgl. BVerfGE 96, 44 <51>; BVerfGK 4, 227 <233>).

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b) Die mit Beschlüssen des Amtsgerichts vom 9. Januar 2013 und vom 25. Januar 2013 angeordnete und mit Beschluss des Landgerichts vom 17. Mai 2013 bestätigte Durchsuchung genügt diesen Anforderungen nicht.

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aa) Die Durchsuchungsanordnung war zwar geeignet, den vorgeblichen Besitz der Beschwerdeführerin an den in den Beschlüssen genannten Beweismitteln aufzuklären. Die Maßnahme war jedoch zur Ermittlung und Verfolgung der Straftat nicht erforderlich. Hierfür hätten andere, weniger einschneidende Mittel zur Verfügung gestanden.

19

Die Beschwerdeführerin hat in ihrem Blogeintrag behauptet, einen Ehrendoktor einer ausländischen Fakultät von ihren Kindern zum Geburtstag geschenkt bekommen zu haben und diesen in dem Beitrag ihrem Namen vorangestellt. Die tatsächlichen Umstände für die Prüfung eines tatbestandsmäßigen Handelns im Sinne der Strafnorm waren den Strafverfolgungsbehörden aufgrund einer Internetrecherche bekannt. Für das gegen die Beschwerdeführerin geführte Ermittlungsverfahren wegen Missbrauchs von Titeln nach § 132a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 StGB bedurfte es daher der Ernennungsurkunde als Beweismittel nicht.

20

Unter diesen Umständen hätte der Zweck, verwertbare und verfahrenserhebliche Beweismittel zu erlangen, auch durch die Aufforderung wirksam erreicht werden können, den Strafverfolgungsbehörden die Ernennungsurkunde und weitere Beweismittel (Visitenkarten, etc.) zeitnah vorzulegen. Dieses wäre gegenüber der Durchsuchung ein milderes, aber für die Verfolgung der hier in Frage stehenden, eher gering wiegenden Straftat ein hinreichend wirksames Mittel gewesen. Zwar ist die Beschwerdeführerin als Beschuldigte nicht dazu verpflichtet, zu ihrer Strafverfolgung durch aktives Handeln beizutragen (vgl. BGHSt 34, 39 <46>) und unterliegt im Strafverfahren keiner Darlegungs- und Beweislast (vgl. BVerfGK 4, 227 <234> m.w.N.). Im Falle einer etwaigen Nichtvorlage der Ernennungsurkunde wären die Fachgerichte jedoch nicht gehindert gewesen, hieraus verwertbare Schlüsse zu ziehen. Diese Folgerungen hätten dem Beweiswert einer vollzogenen, die Beschwerdeführerin in schwer wiegender Weise belastenden Durchsuchung im Wesentlichen entsprochen. Eine Vorlage der Ernennungsurkunde hätte - wie auch das Auffinden im Rahmen der Durchsuchung - deren Überprüfung ermöglicht (vgl. BVerfGK 4, 227 <234>). Auch der besondere Beweiswert der Urkunde in einem Strafverfahren gegen den gesondert verfolgten Titelverkäufer vermag eine Durchsuchung bei der Beschwerdeführerin nicht zu rechtfertigen, zumal die Strafverfolgungsbehörden im vorliegenden Fall keine Anhaltspunkte dafür hatten, die Beschwerdeführerin werde Beweismittel bei einer bloßen Aufforderung zu ihrer Herausgabe unterdrücken.

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bb) Ob die Durchsuchung wegen der Intensität des Grundrechtseingriffs auch außer Verhältnis zu der geringen Schwere des Tatvorwurfs gestanden hat, den auch die angegriffenen Beschlüsse konzediert haben (vgl. BVerfGE 20, 162 <187>), kann hiernach offen bleiben.

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3. Ob die Durchsuchung in den Geschäftsräumen der Beschwerdeführerin zugleich eine Verletzung der Pressefreiheit begründet, bedarf danach ebenfalls keiner Entscheidung.

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4. Die angefochtenen Beschlüsse beruhen auf dem Grundrechtsverstoß. Sie sind daher aufzuheben. Die Sache ist an das Landgericht zur erneuten Entscheidung über die Kosten zurückzuverweisen (§ 93c Abs. 2 i.V.m. § 95 Abs. 2 BVerfGG).

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5. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>).

25

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

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