Urteil vom Bundesverwaltungsgericht (1. Senat) - 1 C 1/17

Tatbestand

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Die Klägerin erstrebt die Feststellung, dass sie deutsche Staatsangehörige ist.

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Sie wurde im März 2004 in Deutschland geboren. Ihre Mutter, eine serbische Staatsangehörige, hielt sich seit 1994 auf der Grundlage ausländerrechtlicher Duldungen im Bundesgebiet auf. Im Dezember 2013 wurde ihr eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG erteilt.

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Bereits vor der Geburt der Klägerin hatte der deutsche Staatsangehörige H. K. mit Zustimmung der Kindesmutter die Vaterschaft anerkannt. Nachdem bei der Beklagten Zweifel an der (biologischen) Vaterschaft aufgekommen waren, erklärte H. K. im Juni 2004 gegenüber der Ausländerbehörde, dass er nicht der leibliche Vater der Klägerin sei. Auf eine von ihm erhobene Vaterschaftsanfechtungsklage entschied das Amtsgericht - Familiengericht - W. nach Einholung eines Abstammungsgutachtens mit Urteil vom 3. November 2005 - 6 F 304/04 Kl -, dass die Klägerin nicht seine Tochter ist. Die Entscheidung ist seit dem 8. Dezember 2005 rechtskräftig. Bereits im März 2005 hatte ein serbisch-montenegrinischer (heute serbischer) Staatsangehöriger die Vaterschaft hinsichtlich der Klägerin anerkannt.

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Im März 2014 beantragte die Klägerin beim Beklagten, gemäß § 30 StAG festzustellen, dass sie deutsche Staatsangehörige ist. Mit Bescheid vom 12. Juni 2014 stellte der Beklagte fest, dass die Klägerin die deutsche Staatsangehörigkeit nicht besitzt. Die zunächst durch Abstammung von einem deutschen Vater im Rechtssinne erworbene deutsche Staatsangehörigkeit sei mit der Vaterschaftsanfechtung rückwirkend wieder entfallen. Das Verwaltungsgericht hat die Verpflichtungsklage der Klägerin abgewiesen.

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Die dagegen eingelegte Berufung hat das Oberverwaltungsgericht durch Urteil vom 7. Juli 2016 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die durch Geburt zunächst erworbene deutsche Staatsangehörigkeit der Klägerin sei mit der rechtskräftigen negativen Vaterschaftsfeststellung gemäß § 1599 Abs. 1 BGB i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 1 und 2 StAG rückwirkend auf den Zeitpunkt der Geburt wieder entfallen. Der Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit verstoße nicht gegen Art. 16 Abs. 1 GG. Es handele sich nicht um eine unzulässige Entziehung der Staatsangehörigkeit (Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG), denn der Verlust habe weder eine Diskriminierungswirkung noch habe die zu diesem Zeitpunkt erst ein Jahr und neun Monate alte Klägerin die Staatsangehörigkeit in einem Alter verloren, in dem Kinder normalerweise bereits ein eigenes Bewusstsein ihrer Staatsangehörigkeit und ein eigenes Vertrauen auf deren Bestand entwickelt hätten. Die rechtlichen Voraussetzungen für einen zulässigen Verlust der Staatsangehörigkeit gemäß Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG seien erfüllt. Er finde seine Grundlage in § 4 Abs. 1 StAG i.V.m. § 1599 Abs. 1 BGB in der 2005 geltenden Fassung. Diese Regelungen seien nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Vaterschaftsanfechtung durch den "Scheinvater" eine hinreichend bestimmte Schranke im Sinne des Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG. § 4 Abs. 1 StAG enthalte insoweit nicht nur eine Rechtsgrundlage für den Erwerb der Staatsangehörigkeit, sondern zugleich auch eine Verlustgrundlage. Abweichende Ausführungen in dem Beschluss des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts zur Behördenanfechtung der Vaterschaft bezögen sich auf einen völlig anderen Anwendungsfall des § 4 Abs. 1 StAG und seien daher nicht übertragbar. Trotz gewisser Einwirkungen der Ausländerbehörde auf den "Scheinvater" handele es sich hier auch nicht um eine "verkappte" Behördenanfechtung. Vielmehr habe die durch den Scheinvater erklärte Anfechtung auf dessen freiem Willensentschluss beruht. Die Klägerin sei auch nicht staatenlos geworden, weil sie durch Geburt von ihrer Mutter die serbische Staatsangehörigkeit erworben habe. Ein Verstoß gegen das Zitiergebot nach Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG liege nicht vor, weil dieses bereits nicht anwendbar sei. Auch Unionsrecht sei hier nicht deshalb verletzt, weil die Klägerin mit der deutschen Staatsangehörigkeit zugleich die Unionsbürgerschaft verloren habe. Der unionsrechtliche Verhältnismäßigkeitsgrundsatz sei gewahrt, denn die Klägerin habe die Unionsbürgerschaft nicht einmal zwei Jahre lang besessen und in diesem geringen Alter noch kein Vertrauen auf deren Bestand bilden können. Da die Auslegung der einschlägigen Bestimmungen des Unionsrechts nicht zweifelhaft sei, bedürfe es keiner Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union.

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Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision rügt die Klägerin vor allem eine Verletzung von Art. 16 Abs. 1 GG. Es liege eine unzulässige Entziehung der deutschen Staatsangehörigkeit vor. Das Berufungsgericht habe bei der Definition der "Entziehung" Maßstäbe zugrunde gelegt, die von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts abwichen; insbesondere habe es unzutreffend auf das Erreichen eines bestimmten Alters abgestellt. Entscheidend sei die fehlende bzw. unzumutbare Beeinflussbarkeit des Fortfalls der deutschen Staatsangehörigkeit im familiengerichtlichen Verfahren. Die Annahme eines Verlusts der deutschen Staatsangehörigkeit verstoße auch gegen den Gesetzesvorbehalt (Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG) sowie gegen das Zitiergebot (Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG). Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts handele es sich bei dem Staatsangehörigkeitsgesetz, das zahlreichen Änderungen unterworfen gewesen sei, nicht um eine vorkonstitutionelle Regelung. Das Bundesverfassungsgericht habe in seiner Entscheidung zur behördlichen Vaterschaftsanfechtung strenge Anforderungen an den Gesetzesvorbehalt gestellt und auch das Zitiergebot für einschlägig gehalten, obwohl im deutschen Recht bereits von 1938 bis 1961 eine behördliche Vaterschaftsanfechtung vorgesehen gewesen sei. Die Revision sei auch mit der Verfahrensrüge begründet, weil das Berufungsgericht es unter Verletzung von § 138 Nr. 1 VwGO i.V.m. Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG unterlassen habe, den Rechtsstreit zur Klärung der aufgeworfenen unionsrechtlichen Fragen dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen.

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Der Beklagte verteidigt die angegriffene Entscheidung.

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Der Vertreter des Bundesinteresses hat sich am Verfahren nicht beteiligt.

Entscheidungsgründe

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Die Revision der Klägerin hat keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat im Einklang mit revisiblem Recht (§ 137 Abs. 1 VwGO) entschieden, dass die Klägerin keinen Anspruch auf die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung hat, dass sie deutsche Staatsangehörige ist. Sie hat die mit der Geburt kraft Abstammung erworbene deutsche Staatsangehörigkeit infolge der erfolgreichen Vaterschaftsanfechtung rückwirkend wieder verloren.

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Gegenstand des Revisionsverfahrens ist das Verpflichtungsbegehren der Klägerin auf Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit durch die Staatsangehörigkeitsbehörde (§ 30 Abs. 1 Satz 1 StAG). Dieses verfolgt sie in statthafter Weise mit der Verpflichtungsklage (BVerwG, Urteil vom 19. Februar 2015 - 1 C 17.14 - BVerwGE 151, 245 Rn. 12-14).

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Maßgeblich für die Prüfung des Anspruchs auf behördliche Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit ist die gegenwärtige Sach- und Rechtslage (BVerwG, Urteil vom 1. Juni 2017 - 1 C 16.16 - Buchholz 130 § 10 StAG Nr. 9 Rn. 9) und damit das Staatsangehörigkeitsgesetz - StAG - in der aktuellen Fassung des Ersten Gesetzes zur Änderung des Bundesmeldegesetzes und weiterer Vorschriften vom 11. Oktober 2016 (BGBl. I S. 2218). Für den Erwerb und Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit kraft Gesetzes ist allerdings aus Gründen des materiellen Rechts auf die Rechtslage im Zeitpunkt des Eintritts der jeweiligen Voraussetzungen abzustellen (vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 25. Oktober 2017 - 1 C 30.16 - NJW 2018, 881 Rn. 11). Das gilt auch für einen Wegfall der Eigenschaft als rechtlicher Vater und dessen zeitliche (Rück-)Wirkung, die sich nach den im Zeitpunkt der Rechtskraft des familiengerichtlichen Urteils, mit dem das Nichtbestehen der Vaterschaft festgestellt wurde, geltenden Rechtsvorschriften des bürgerlichen Rechts richten.

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Die Klage ist nicht begründet, weil die Klägerin nicht deutsche Staatsangehörige ist. Sie hat die deutsche Staatsangehörigkeit zwar bei Geburt durch Abstammung von einem deutschen Vater im Rechtssinne zunächst erworben. Infolge der erfolgreichen Vaterschaftsanfechtung ist die deutsche Staatsangehörigkeit der Klägerin jedoch rückwirkend auf den Zeitpunkt ihrer Geburt wieder entfallen (1.). Dieser Staatsangehörigkeitsverlust steht im Einklang mit dem Grundgesetz; er verletzt insbesondere nicht Art. 16 Abs. 1 GG oder Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG (2.). Dem damit verbundenen Verlust der Unionsbürgerschaft stehen auch keine unionsrechtlichen Regelungen entgegen (3.). Die in diesem Zusammenhang erhobene Verfahrensrüge greift nicht durch (4.).

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1. Die Klägerin hat bei ihrer Geburt im Jahr 2004 die deutsche Staatsangehörigkeit nach § 4 Abs. 1 StAG in der damals geltenden Fassung zunächst kraft Abstammung von einem deutschen Staatsangehörigen erworben. Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 StAG erwirbt ein Kind durch Geburt die deutsche Staatsangehörigkeit, wenn ein Elternteil die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt. Ist bei der Geburt des Kindes nur der Vater deutscher Staatsangehöriger und ist zur Begründung der Abstammung nach den deutschen Gesetzen die Anerkennung oder Feststellung der Vaterschaft erforderlich, so bedarf es zur Geltendmachung des Erwerbs einer nach den deutschen Gesetzen wirksamen Anerkennung oder Feststellung der Vaterschaft (§ 4 Abs. 1 Satz 2 StAG).

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Wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, konnte die Mutter der Klägerin ihr die deutsche Staatsangehörigkeit nicht vermitteln. Ein Erwerb kraft Abstammung gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 StAG kam nicht in Betracht, weil die Mutter nicht deutsche, sondern (ausschließlich) serbische Staatsangehörige war. Die Voraussetzungen des § 4 Abs. 3 StAG in der seit 1. Januar 2000 geltenden Fassung für einen Erwerb durch Geburt im Inland (ius soli) lagen mangels Aufenthaltstitels der Mutter nicht vor. Für den (mutmaßlichen) biologischen Vater der Klägerin gilt nach den für das Revisionsgericht bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts im Ergebnis das Gleiche. Inwieweit dieser die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 StAG erfüllt und mithin als Vater im Rechtssinne anzusehen ist, kann daher dahinstehen.

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Die Klägerin hat die deutsche Staatsangehörigkeit aber aufgrund Abstammung von einem deutschen Vater im Rechtssinne erworben, weil der deutsche Staatsangehörige H. K. bereits vor ihrer Geburt mit Zustimmung der Kindesmutter nach § 1594 ff. BGB die Vaterschaft anerkannt hatte und deshalb als ihr Vater im Rechtssinne anzusehen war (§ 1592 Nr. 2 BGB). Zutreffend hat das Oberverwaltungsgericht in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass der Wirksamkeit dieser Vaterschaftsanerkennung nicht entgegensteht, dass H. K. sie in sicherer Kenntnis abgegeben hat, nicht der biologische Vater zu sein. Die Wirksamkeit einer Vaterschaftsanerkennung setzt nicht voraus, dass der Anerkennende tatsächlich der leibliche Vater des anerkannten Kindes ist oder dies zumindest glaubt (siehe auch OVG Magdeburg, Beschluss vom 25. August 2006 - 2 M 228/06 - juris Rn. 18 f.; OVG Koblenz, Urteil vom 6. März 2008 - 7 A 11276/07 - AuAS 2008, 194; Kau, in: Hailbronner u.a. , Staatsangehörigkeitsrecht, 6. Aufl. 2017, § 4 Rn. 25). Nach der hier maßgeblichen Rechtslage im Jahr 2004 konnte eine Vaterschaftsanerkennung vielmehr "aus beliebigen Gründen" erfolgen (so BVerfG, Beschluss vom 17. Dezember 2013 - 1 BvL 6/10 - BVerfGE 135, 48 Rn. 45 = juris Rn. 48).

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Unerheblich ist, dass der Gesetzgeber dies jüngst geändert und durch das Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht vom 20. Juli 2017 (BGBl. S. 2780) mit Wirkung vom 29. Juli 2017 ein Verbot missbräuchlicher Anerkennung der Vaterschaft (§ 1597a BGB neu) in das BGB eingefügt hat. Bei Verdacht einer solchen hat nunmehr die beurkundende Behörde die Beurkundung auszusetzen und die Ausländerbehörde zu informieren, die sodann gemäß § 85a AufenthG n.F. prüft und - unter Berücksichtigung der in § 85a Abs. 2 AufenthG aufgestellten Vermutungsregelungen - abschließend entscheidet, ob die Anerkennung der Vaterschaft missbräuchlich ist. Denn diese Neuregelungen messen sich keine Rückwirkung bei und haben mithin vorliegend als noch nicht maßgeblich außer Betracht zu bleiben. Unabhängig davon zielen sie nicht darauf, einen Unwirksamkeitsgrund für erfolgte Vaterschaftsanerkennungen zu schaffen, sondern darauf, bei Missbrauch dieses Instruments zu aufenthaltsrechtlichen Zwecken schon im Vorfeld zu verhindern, dass es zu einer Vaterschaftsanerkennung kommt.

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Geklärt ist ferner, dass die nach § 1592 Nr. 2 BGB entstandene rechtliche Vaterschaft bis zu ihrer erfolgreichen Anfechtung eine rechtlich vollwertige und nicht bloß "scheinbare" Vaterschaft auch dann ist, wenn der Anerkennende nicht der Erzeuger des Kindes ist. Schon deshalb ist auch die nach Maßgabe des § 4 Abs. 1 StAG von ihr abgeleitete deutsche Staatsangehörigkeit keine bloße Scheinstaatsangehörigkeit (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 24. Oktober 2006 - 2 BvR 696/04 - NJW 2007, 425 Rn. 12; Beschluss vom 17. Dezember 2013 - 1 BvL 6/10 - BVerfGE 135, 48 Rn. 24 = juris Rn. 27).

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Die Klägerin hat jedoch die deutsche Staatsangehörigkeit durch das auf die Vaterschaftsanfechtung des H. K. ergangene, rechtskräftig gewordene Feststellungsurteil des Amtsgerichts - Familiengerichts - W. nach § 4 Abs. 1 StAG i.V.m. § 1599 Abs. 1, § 1592 Nr. 2 BGB rückwirkend auf den Zeitpunkt ihrer Geburt wieder verloren. Durch dieses Urteil ist rechtskräftig festgestellt worden, dass die Klägerin nicht von H. K. abstammt (§ 1599 Abs. 1 BGB), womit seine nach § 1592 Nr. 2 BGB bestehende Vaterschaft im Rechtssinne mit Wirkung für und gegen alle (§ 640h ZPO a.F.) entfallen ist. Dass der Wegfall der Vaterstellung auf den Zeitpunkt der Geburt des Kindes zurückwirkt, entspricht einer allgemeinen Rechtsüberzeugung und ständiger Rechtsprechung der Zivilgerichte (vgl. etwa BGH, Urteil vom 11. Januar 2012 - XII ZR 194/09 - NJW 2012, 852 Rn. 17; Beschluss vom 22. März 2017 - XII ZB 56/16 - NJW 2017, 1954 Rn. 14; ebenso bereits Urteil vom 3. November 1971 - IV ZR 86/70 - BGHZ 57, 229 = juris Rn. 13 für die frühere Ehelichkeitsanfechtung; Wellenhofer, in: Münchener Kommentar zum BGB, 7. Aufl. 2017 § 1599 Rn. 51; Budzikiewicz, in: Jauernig, Kommentar zum BGB, 16. Aufl. 2015, Anm. zu §§ 1599-1600c Rn. 17).

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Im Zusammenwirken damit wird die in § 4 Abs. 1 StAG (und zuvor in § 4 Abs. 1 RuStAG) enthaltene Regelung zum Abstammungserwerb der deutschen Staatsangehörigkeit seit jeher dahin verstanden, dass sie diesen Erwerb - soweit er allein vom Vater abgeleitet wird - unter den Vorbehalt stellt, dass die Vaterschaft (bzw. früher: die Ehelichkeit des Kindes) nicht erfolgreich angefochten wird. Mit Rechtskraft eines familiengerichtlichen Urteils, wonach die Vaterschaft nicht besteht, entfallen rückwirkend auch die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 1 und 2 StAG für den Abstammungserwerb der deutschen Staatsangehörigkeit vom Vater; einfachrechtlich gilt dieser Erwerb als nicht erfolgt. Auch diese Annahme, wonach das Staatsangehörigkeitsrecht in vollem Umfang den familienrechtlichen Abstammungsvorschriften folgt, so dass der Staatsangehörigkeitserwerb mit erfolgreicher Vaterschaftsanfechtung rückwirkend entfällt, entspricht einer allgemeinen, hergebrachten Rechtsüberzeugung (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 24. Oktober 2006 - 2 BvR 696/04 - NJW 2007, 425 Rn. 21 unter Hinweis u.a. auf VG Düsseldorf, Urteil vom 10. September 1985 - 17 K 10419/85 - NJW 1986, 676 <677>; VG Gießen, Urteil vom 8. November 1999 - 10 E 960/99 - juris Rn. 17 f.; OVG Hamburg, Beschluss vom 20. September 2002 - 4 Bs 238/02 - NordÖR 2003, 213 <214>; VG Berlin, Urteil vom 27. Februar 2003 - 29 A 237.02 - juris Rn. 44; OVG Magdeburg, Beschluss vom 1. Oktober 2004 - 2 M 441/04 - InfAuslR 2006, 56 <57>; siehe auch Marx, in: GK-StAR, Stand Dezember 2014, § 4 StAG Rn. 176).

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2. Dieser Staatsangehörigkeitsverlust steht im Einklang mit dem Grundgesetz; er verletzt insbesondere nicht Art. 16 Abs. 1 GG oder Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG.

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a) Art. 16 Abs. 1 GG enthält Vorkehrungen gegen einen Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit. Er unterscheidet dabei zwischen einer - absolut unzulässigen - Entziehung der Staatsangehörigkeit (Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG) und einem unter bestimmten Voraussetzungen zulässigen - sonstigen - Verlust (Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG). Der aus § 4 Abs. 1 StAG in Verbindung mit § 1599 BGB folgende rückwirkende Wegfall des Staatsangehörigkeitserwerbs nach einer erfolgreichen Vaterschaftsanfechtung durch den die Staatsangehörigkeit vermittelnden rechtlichen Vater ("Scheinvater") greift zwar in den Schutzbereich des Art. 16 Abs. 1 GG ein (unten aa). Er verletzt diese Vorschrift aber nicht, weil darin keine nach Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG unzulässige Entziehung der Staatsangehörigkeit liegt (unten bb), sondern ein hier gemäß Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG zulässiger Verlust (unten cc).

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aa) Der Wegfall der deutschen Staatsangehörigkeit greift in die grundrechtlichen Gewährleistungen des Art. 16 Abs. 1 GG ein. Ein solcher Eingriff liegt auch vor, wenn - wie hier - infolge erfolgreicher Vaterschaftsanfechtung eine Voraussetzung für den Erwerb der Staatsangehörigkeit rückwirkend entfällt. Verfassungsrechtlich ist die durch § 4 Abs. 1 StAG i.V.m. § 1592 Nr. 2 BGB vermittelte Staatsangehörigkeit eine rechtlich vollwertige Staatsangehörigkeit, die nach Maßgabe des Art. 16 Abs. 1 GG vor Verlust geschützt ist (s.o.). Daran ändert der Umstand nichts, dass die deutsche Staatsangehörigkeit infolge des auf die Vaterschaftsanfechtung ergangenen rechtskräftigen Feststellungsurteils mit ex-tunc-Wirkung entfällt, rückblickend betrachtet also als nie erworben erscheint. Zwar ging die frühere Rechtsprechung überwiegend davon aus, dass aufgrund dieser Regelungstechnik ein vor Art. 16 Abs. 1 GG rechtfertigungsbedürftiger Verlust nicht vorlag, weil eine Staatsangehörigkeit, die bei ex-post-Betrachtung nicht erworben wurde, nicht verloren gehen könne. Danach griff Art. 16 Abs. 1 GG zwar auch für eine aufgrund Vaterschaftsanerkennung erworbene Staatsangehörigkeit ein, soweit es um anderweitige Aberkennungen ging. Gegen den rückwirkenden Wegfall der Erwerbsvoraussetzungen konnte das Grundrecht aber nicht schützen (vgl. etwa VGH Mannheim, Beschluss vom 17. Juli 2001 - 13 S 221/01 - AuAS 2001, 256 <257>; OVG Hamburg, Beschluss vom 10. Februar 2004 - 3 Bf 238/03 - NVwZ-RR 2005, 212 <213>; dazu auch Marx, in: GK-StAR, Stand Dezember, 2014 § 4 StAG Rn. 176 und 178; offenlassend BVerwG, Urteil vom 3. Juni 2003 - 1 C 19.02 - BVerwGE 118, 216 <220>).

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Dieser Betrachtungsweise ist das Bundesverfassungsgericht (erstmals) im Urteil des Zweiten Senats zur Rücknahme erschlichener Einbürgerungen vom 24. Mai 2006 - 2 BvR 669/04 - (BVerfGE 116, 24 <46> = juris Rn. 54) entgegengetreten, um zu verhindern, dass der Schutz des Grundrechts gegenüber jeder gesetzlichen Regelung, die eine Wegnahme der Staatsangehörigkeit mit Wirkung ex-tunc vorsieht oder ermöglicht, leer läuft. Das Grundrecht könnte dann selbst gegen Maßnahmen nicht mehr schützen, die im Kern seiner historischen Schutzrichtung liegen. In der Folge hat das Bundesverfassungsgericht auch für den konkreten Fall eines rückwirkenden Wegfalls gesetzlicher Erwerbsvoraussetzungen entschieden, dass hierin ein Verlust im verfassungsrechtlichen Sinne zu sehen ist. Die gesetzgeberische Regelungstechnik einer Rückwirkung auf den Erwerbszeitpunkt macht die zwischenzeitlich Realität gewordene rechtliche Anerkennung von Vaterschaft bzw. Staatsangehörigkeit nicht ungeschehen und ihre Schutzwürdigkeit nicht automatisch hinfällig (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 24. Oktober 2006 - 2 BvR 696/04 - NJW 2007, 425 Rn. 15, Vaterschaftsanfechtung durch den "Scheinvater"; Beschluss vom 17. Dezember 2013 - 1 BvL 6/10 - BVerfGE 135, 48 Rn. 24 = juris Rn. 27, Vaterschaftsanfechtung durch Behörden).

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bb) Der Wegfall der deutschen Staatsangehörigkeit der Klägerin verletzt nicht Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG, wonach die deutsche Staatsangehörigkeit nicht entzogen werden darf. Mit dem Entziehungsverbot trat der Parlamentarische Rat missbräuchlichen Aberkennungen der Staatsangehörigkeit entgegen, wie sie von den nationalsozialistischen und kommunistischen Diktaturen vorgenommen waren bzw. wurden. Beeinträchtigungen des Staatsangehörigkeitsstatus durch Aufspaltung in Zugehörigkeitsverhältnisse besserer und minderer Güte und Wegnahmen der Staatsangehörigkeit nach Maßgabe unterschiedlicher Kriterien der Würdigkeit raubten der Staatsangehörigkeit ihre Bedeutung als verlässliche Grundlage gleichberechtigter Zugehörigkeit und verkehrten sie damit in ein Mittel der Ausgrenzung statt der Integration. Dem sollte für die Zukunft vorgebeugt werden. Ausgehend von diesem historischen Hintergrund und erkennbaren Zweck des Entziehungsverbots betrachtet das Bundesverfassungsgericht als Entziehung "jede Verlustzufügung, die die - für den Einzelnen und für die Gesellschaft gleichermaßen bedeutsame - Funktion der Staatsangehörigkeit als verlässliche Grundlage gleichberechtigter Zugehörigkeit beeinträchtigt" (grundlegend BVerfG, Urteil vom 24. Mai 2006 - 2 BvR 669/04 - BVerfGE 116, 24 <44> = juris Rn. 49 f.). Eine Beeinträchtigung der Verlässlichkeit und Gleichheit des Zugehörigkeitsstatus liege insbesondere in jeder Verlustzufügung, die der Betroffene nicht oder nicht auf zumutbare Weise beeinflussen kann (BVerfG, Urteil vom 24. Mai 2006 - 2 BvR 669/04 - BVerfGE 116, 24 <44> = juris Rn. 49 f., ebenso Beschluss vom 17. Dezember 2013 - 1 BvL 6/10 - BVerfGE 135, 48 Rn. 28 = juris Rn. 31).

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Es kann im Ergebnis offenbleiben, ob eine zumutbare Beeinflussungsmöglichkeit im vorliegenden Fall bestanden hat. Die Klägerin selbst konnte den infolge der Vaterschaftsanfechtung eintretenden Verlust ihrer Staatsangehörigkeit nicht beeinflussen. Zwar kommt in Betracht, Kindern die Einflussmöglichkeiten ihrer Eltern zuzurechnen, und kann unter besonderen Umständen bereits ein Einfluss auf den Erwerbsvorgang als Einfluss auch auf den Staatsangehörigkeitsverlust zu werten sein (BVerfG, Beschluss vom 17. Dezember 2013 - 1 BvL 6/10 - BVerfGE 135, 48 Rn. 31 ff. = juris Rn. 34 ff.). Der Verzicht auf eine anfechtbare Vaterschaftsanerkennung ist nach dieser Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts jedoch nur dann zumutbar, wenn die Vaterschaftsanerkennung gerade auf die Erlangung aufenthaltsrechtlicher Vorteile zielt (vgl. näher BVerfG, Beschluss vom 17. Dezember 2013 - 1 BvL 6/10 - BVerfGE 135, 48 Rn. 43 ff. = juris Rn. 46 ff.). Hierfür spricht vorliegend nach Lage der Akten zwar sehr viel; der Senat ist jedoch an die Tatsachenfeststellungen des Berufungsgerichts gebunden (§ 137 Abs. 1 VwGO) und kann nicht selbst zusätzliche (nicht erkennbar unstreitige) Tatsachen feststellen. Das Berufungsgericht hat lediglich festgestellt, der (vormalige) rechtliche Vater habe die Vaterschaft in sicherer Kenntnis anerkannt, nicht der biologische Vater zu sein. Fest steht auch, dass die Mutter der Klägerin bei der Vaterschaftsanerkennung einen ungesicherten Aufenthaltsstatus hatte. Dies allein reicht für die Annahme einer rechtsmissbräuchlich auf die Umgehung des Aufenthaltsrechts zielenden Vaterschaftsanerkennung aber nicht aus (BVerfG, Beschluss vom 17. Dezember 2013 - 1 BvL 6/10 - BVerfGE 135, 48 Rn. 48 ff. = juris Rn. 51 ff.; siehe nunmehr auch die Vermutungsregelungen in § 85a Abs. 2 AufenthG). Allerdings kann in der streitgegenständlichen Fallkonstellation der Vaterschaftsanfechtung durch den "Scheinvater" dieser den Staatsangehörigkeitsverlust unmittelbar beeinflussen, indem er auf die Anfechtung der Vaterschaft verzichtet. Neben der Frage, ob dessen Entscheidung dem Kind staatsangehörigkeitsrechtlich auch dann zuzurechnen wäre, wenn der anfechtende Elternteil nicht (allein) personensorgeberechtigt ist, bedürfte der Prüfung, ob es für einen "Scheinvater" unzumutbar ist, im Interesse der Staatsangehörigkeit des Kindes auf die Vaterschaftsanfechtung - und damit auf die Beseitigung seiner Unterhaltspflicht - zu verzichten. Das gilt insbesondere dann, wenn eine Anerkennung der Vaterschaft vorausgegangen ist, die - was vorliegend nicht abschließend beurteilt werden kann - nicht gezielt gerade zur Umgehung der gesetzlichen Voraussetzungen eines Aufenthaltsrechts erfolgte.

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Ob der Staatsangehörigkeitsverlust der Klägerin durch Entscheidungen ihrer Eltern in zumutbarer Weise beeinflusst werden konnte, bedarf indes keiner abschließenden Entscheidung. Denn der Senat erachtet diese Frage mit dem Berufungsgericht und dem Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Oktober 2006 - 2 BvR 696/04 - (NJW 2007, 425) in der vorliegenden Fallkonstellation für nicht entscheidungserheblich.

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Das Bundesverfassungsgericht hat für den - auch hier streitgegenständlichen - Fall eines kraft Gesetzes eintretenden Staatsangehörigkeitsverlusts infolge einer Vaterschaftsanfechtung durch den "Scheinvater" nicht darauf abgestellt, ob der Verlust durch das Kind oder eine ihm zuzurechnende Entscheidung seiner Eltern beeinflusst werden kann. Denn die Funktion der Staatsangehörigkeit als verlässliche Grundlage gleichberechtigter Zugehörigkeit wird durch einen Staatsangehörigkeitsverlust infolge einer derartigen Vaterschaftsanfechtung jedenfalls dann nicht beeinträchtigt, wenn sich das betroffene Kind in einem Alter befindet, in dem Kinder üblicherweise ein eigenes Bewusstsein ihrer Staatsangehörigkeit und Vertrauen auf deren Bestand noch nicht entwickelt haben. Den Aspekt der Gleichheit des Zugehörigkeitsstatus aller Staatsangehörigen sah das Bundesverfassungsgericht deshalb gewahrt, weil die herkömmlichen familienrechtlichen Vorschriften über die Vaterschaftsanfechtung allgemeiner Natur, insbesondere in ihrem Anwendungsbereich rein biologisch determiniert, frei von irgendeinem diskriminierenden Gehalt und nicht auf eine zielgerichtete Beseitigung der Staatsangehörigkeit bezogen sind. Die Verbindung, die das Staatsangehörigkeitsrecht zu diesen Regelungen mittelbar herstellt, indem es, seinerseits diskriminierungsfrei, den Geburtserwerb der deutschen Staatsangehörigkeit an die deutsche Staatsangehörigkeit mindestens eines Elternteils knüpft, läuft daher dem Sinn und Zweck des Entziehungsverbots nicht zuwider. Auch die gebotene Verlässlichkeit ist jedenfalls dann nicht beeinträchtigt, wenn der Staatsangehörige in einem Alter von dem Verlust betroffen wird, in dem Kinder normalerweise noch kein eigenes Bewusstsein ihrer Staatsangehörigkeit und kein eigenes Vertrauen auf deren Bestand entwickelt haben.

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Dies steht auch im Einklang mit dem kurz zuvor ergangenen Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Mai 2006 - 2 BvR 669/04 - (BVerfGE 116, 24 <44> = juris Rn. 49 f.); jedenfalls hat die - an die Senatsrechtsprechung gebundene - Kammer in dieser Entscheidung offensichtlich keinen Widerspruch gesehen. Die Bindungswirkung verfassungsgerichtlicher Entscheidungen nach § 31 Abs. 1 BVerfGG schließt es nicht aus, die auf die Beeinflussbarkeit abstellende konkretisierende Definition des Entziehungsbegriffes in den Senatsentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Mai 2006 (- 2 BvR 669/04 -) und vom 17. Dezember 2013 (- 2 BvL 6/10 -) in der vorliegenden Fallkonstellation zu modifizieren und eine Entziehung aus anderen Gründen zu verneinen. Nach dieser Vorschrift binden die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts die Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden. Die Reichweite der Bindungswirkung abstrakter verfassungsrechtlicher Obersätze kann aber nur in Verbindung mit der verfassungsrechtlichen Bewertung des konkret entschiedenen Sachverhalts bestimmt werden. § 31 Abs. 1 BVerfGG setzt daher unausgesprochen voraus, dass der Fall, welcher der Bindungswirkung auslösenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zugrunde liegt, und der Fall, welcher vom Fachgericht als Adressat der Bindungswirkung zu entscheiden ist, ein hohes Maß an Deckungsgleichheit aufweisen (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. März 1999 - 6 C 9.98 - BVerwGE 108, 355 <359 ff.>; Beschluss vom 15. März 2005 - 6 B 5.05 - juris Rn. 7 m.w.N.), es sich um einen bloßen Wiederholungs- oder Parallelfall handelt (BVerfG, Urteil vom 22. November 2001 - 2 BvE 6/99 - BVerfGE 104, 151 <197 f.>). Daran fehlt es hier. Denn vorliegend geht es weder um die Rücknahme einer erschlichenen Einbürgerung noch um einen Staatsangehörigkeitsverlust aufgrund einer behördlichen Vaterschaftsanfechtung.

29

Bei der hier streitgegenständlichen Vaterschaftsanfechtung durch den "Scheinvater" nicht maßgeblich auf eine zumutbare Beeinflussungsmöglichkeit durch das Kind oder seine Eltern abzustellen, gründet in für die verfassungsrechtliche Beurteilung wesentlichen Unterschieden zur behördlichen Vaterschaftsanfechtung sowie zur Rücknahme einer erschlichenen Einbürgerung, die ein zusätzliches Abstellen auf eine "Beeinflussbarkeit" hier sachwidrig machen. Beim rückwirkenden Wegfall einer allgemein anerkannten Voraussetzung für den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit aufgrund der allgemein anerkannten, unstreitig sachlich begründeten und seit jeher vorgesehenen Möglichkeit nachträglicher Beseitigung einer rechtlichen Vaterschaft durch den "Scheinvater" ist der Zweck des Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG, vor willkürlicher Instrumentalisierung des Staatsangehörigkeitsrechts zu schützen (vgl. dazu auch BVerfG, Beschluss vom 17. Dezember 2013 - 1 BvL 6/10 - BVerfGE 135, 48 Rn. 36 = juris Rn. 39), von vornherein nicht beeinträchtigt. Anders als bei der vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärten Vaterschaftsanfechtung durch Behörden wird der kraft Gesetzes eintretende Staatsangehörigkeitsverlust vorliegend allein durch eine private Entscheidung ausgelöst und ist von daher der freien Verfügung des Staates entzogen. Aus diesem Grund liegt in der Übernahme des vom Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts im Urteil vom 24. Mai 2006 entwickelten Entziehungsbegriffs im Beschluss vom 17. Dezember 2013 - 1 BvL 6/10 - (BVerfGE 135, 48 Rn. 28 = juris Rn. 31) auch keine Abkehr von der zur Vaterschaftsanfechtung durch den "Scheinvater" getroffenen Kammerentscheidung. Davon ausgehend kann in dieser Konstellation allenfalls noch die Verlässlichkeit des Staatsangehörigkeitsstatus beeinträchtigt sein. Auch das ist aber jedenfalls dann nicht der Fall, wenn sich ein Betroffener bei Rechtskraft der Feststellung des Nichtbestehens der Vaterschaft in einem Alter befindet, in dem Kinder üblicherweise noch kein eigenes Bewusstsein ihrer Staatsangehörigkeit und kein eigenes Vertrauen auf deren Bestand entwickelt haben. So liegt der Fall hier, weil die Klägerin zu diesem Zeitpunkt noch keine zwei Jahre alt war.

30

Entgegen der Auffassung der Klägerin bedeutet dies nicht, dass Kleinkinder vom Grundrechtsschutz des Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG ausgeschlossen wären. Diese - auch in der Literatur (vgl. Silagi, StAZ 2007, 133) vereinzelt geäußerte - Kritik beruht auf einem Missverständnis der entscheidungstragenden Ausführungen des Kammerbeschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Oktober 2006 - 2 BvR 696/04 - (NVwZ 2007, 425). Darin hat das Bundesverfassungsgericht den Schutzbereich des Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG als eröffnet gesehen und das Nichtvorliegen einer unzulässigen Entziehung nicht allein mit dem geringen Alter des betroffenen Kindes begründet, sondern kumulativ auch darauf abgestellt, dass der Staatsangehörigkeitsverlust bei der Vaterschaftsanfechtung durch den "Scheinvater" auf nichtdiskriminierenden Regelungen beruht (s.o.). Vor willkürlicher Aberkennung der Staatsangehörigkeit sind damit - unbestritten - auch Kleinkinder geschützt; ebenso können sie sich im Grundsatz auf Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG berufen.

31

cc) Der Staatsangehörigkeitsverlust der Klägerin ist auch mit Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG vereinbar. Nach dieser Vorschrift darf der Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit nur aufgrund eines Gesetzes und gegen den Willen des Betroffenen nur dann eintreten, wenn der Betroffene dadurch nicht staatenlos wird. Diese Voraussetzungen sind bei dem Wegfall der Staatsangehörigkeit infolge einer erfolgreichen Vaterschaftsanfechtung durch den "Scheinvater" erfüllt, sofern der Verlust den Betroffenen - wie hier - im Kleinkindalter trifft und dieser nicht staatenlos wird.

32

(1) § 4 Abs. 1 StAG i.V.m. § 1599 Abs. 1, § 1592 Nr. 2, § 1600 Abs. 1 Nr. 1 BGB stellen eine hinreichende gesetzliche Grundlage für den Staatsangehörigkeitsverlust bei erfolgreicher Vaterschaftsanfechtung durch den "Scheinvater" dar. Diese genügt dem Gesetzesvorbehalt des Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG und ist hinreichend bestimmt.

33

Der Gesetzesvorbehalt des Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG soll Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit im Bereich der staatsangehörigkeitsrechtlichen Regelungen sicherstellen. Diese sind durch ein mit § 4 Abs. 1 StAG i.V.m. § 1599 Abs. 1 BGB, ergänzt durch zwei unbestrittene "ungeschriebene Rechtsregeln", verbundenes Abhängigbleiben eines nur über den Vater erfolgten Staatsangehörigkeitserwerbs von einem Fortbestehen der rechtlichen Vatereigenschaft im Regelfall nicht gefährdet. Es ist aufgrund ständiger Rechtsprechung vorhersehbar und auch für nicht juristisch Vorgebildete einsichtig, dass ein Staatsangehörigkeitserwerb nach dem Vater im Rechtssinne davon abhängt, dass die Vaterschaft nicht erfolgreich angefochten wird. Wird der Staatsangehörigkeitserwerb nach § 4 Abs. 1 StAG an die Abstammung von einem deutschen Staatsangehörigen geknüpft, so ergibt sich daraus der Sache nach zugleich ein Verlustgrund, wenn eine zunächst rechtlich vorhandene Abstammung später mit Rückwirkung auf den Zeitpunkt der Geburt wegfällt und damit eine Erwerbsvoraussetzung rückwirkend beseitigt wird. Dieser "Automatismus" ist in § 4 Abs. 1 StAG i.V.m. § 1599 BGB selbst angelegt, wenngleich dabei zwar ungeschriebene, aber unumstrittene Rechtsregeln - die zivilrechtliche Rückwirkung des Vaterschaftsanfechtungsurteils sowie das rückwirkende Entfallen der staatsangehörigkeitsrechtlichen Erwerbsvoraussetzungen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. Dezember 2013 - 1 BvL 6/10 - BVerfGE 135, 48 Rn. 79 = juris Rn. 82) - mitgedacht werden müssen. Darin liegt eine hinreichende gesetzliche Grundlage für den Staatsangehörigkeitsverlust als - nicht behördlicherseits ausgelöste und bezweckte - gesetzliche Nebenfolge einer herkömmlichen, privatautonomen Vaterschaftsanfechtung durch den bisherigen Vater im Rechtssinne.

34

Dem steht nicht entgegen, dass § 4 Abs. 1 StAG i.V.m. § 1599 Abs. 1 BGB nicht ausdrücklich als Verlustvorschrift gefasst und in der Aufzählung der Verlustgründe in § 17 Abs. 1 StAG nicht enthalten ist, sondern sich der Verlust nur implizit aus dem rückwirkenden Wegfall einer maßgeblichen Erwerbsvoraussetzung ergibt. Bei der impliziten Verlustregelung ist es selbst nach der aktuellen, hier noch nicht maßgeblichen Fassung des § 17 Abs. 2 und 3 StAG i.d.F. des Gesetzes zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes vom 5. Februar 2009 (BGBl. I S. 158) geblieben, weil auch diese einen anderweitig gesetzlich vorgesehenen Verlust voraussetzt, ohne ihn selbst zu regeln. Dies belegt nachträglich auch für den hier maßgeblichen Zeitpunkt vor Inkrafttreten dieser Regelungen, dass der Gesetzgeber selbst davon ausgeht, dass es sich bei den in § 17 Abs. 1 StAG ausdrücklich benannten Verlustgründen um keine abschließende Aufzählung handelt, sondern "Entscheidungen nach anderen Gesetzen, die den rückwirkenden Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit Dritter zur Folge hätten", daneben möglich sind und bleiben. Hiervon ist auch das Bundesverfassungsgericht im Urteil zur Rücknahme erschlichener Einbürgerungen ausgegangen, soweit die die Entscheidung tragenden Richter § 48 VwVfG als hinreichende Rechtsgrundlage für eine solche Entscheidung angesehen haben (BVerfG, Urteil vom 24. Mai 2006 - 1 BvR 669/04 - BVerfGE 116, 24 <51 ff.>).

35

Bei der - hier streitgegenständlichen - Vaterschaftsanfechtung durch den Scheinvater entspricht es einer jahrzehntelangen Rechtspraxis und allgemeiner Rechtsüberzeugung, dass die Rechtskraft eines das Nichtbestehen der Vaterschaft feststellenden Urteils eine Voraussetzung für den Staatsangehörigkeitserwerb rückwirkend beseitigt und somit ein Staatsangehörigkeitserwerb aus der ex-post-Betrachtung nicht stattgefunden hat. Einfachrechtlich ist der Wegfall der Staatsangehörigkeit also seit jeher nicht als Verlust konstruiert, sondern als rückwirkender "Nichterwerb". Dies erklärt, warum der Gesetzgeber diesen bis heute nicht in den zusammenfassenden Katalog der Verlustgründe nach § 17 Abs. 1 StAG aufgenommen hat (so auch BVerwG, Beschluss vom 27. Januar 2014 - 10 B 2.14 - juris Rn. 10). Die Klarstellung des Bundesverfassungsgerichts im Jahr 2006, wonach eine solche gesetzliche Konstruktion verfassungsrechtlich nicht zur Folge haben kann, dass ein durch sie bewirktes Entfallen der Staatsangehörigkeit einer Prüfung am Maßstab des Art. 16 Abs. 1 GG entgeht, dass also - verfassungsrechtlich betrachtet - auch hier ein Verlust vorliegt, begründete für den einfachen Gesetzgeber keinen Zwang, die Konstruktion als rückwirkender Wegfall des Erwerbs als solche aufzugeben (a.A. etwa Oberhäuser, in: Hofmann , Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 17 StAG Rn. 23).

36

Keine andere Beurteilung rechtfertigen die weitergehenden Bestimmtheitsanforderungen an die erforderliche Verlustgrundlage, die das Bundesverfassungsgericht im Falle einer gerade auf die Beseitigung der Staatsangehörigkeit des Kindes zielenden, staatlich veranlassten Vaterschaftsanfechtung stellt (BVerfG, Beschluss vom 17. Dezember 2013 - 1 BvL 6/10 - BVerfGE 135, 48 Rn. 78 ff. = juris Rn. 81 ff.). Diese weitergehenden Anforderungen folgen aus der größeren Eingriffsintensität einer behördlichen Anfechtung der Vaterschaft, die in die privaten Familienrechtsverhältnisse staatlicherseits eingreift, um die Staatsangehörigkeit des Kindes zielgerichtet zu beseitigen. Auf diesen Unterschied hat zu Recht bereits das Verwaltungsgericht in der hier zugrunde liegenden erstinstanzlichen Entscheidung hingewiesen (VG Oldenburg, Urteil vom 11. Februar 2015 - 11 A 2497/14 - UA S. 6 f.). Diesen Unterschied vernachlässigt die Auffassung, die in den familienrechtlichen Regelungen über die Vaterschaftsanfechtung durch an der Familie im weiten Sinne beteiligte Privatpersonen eine gesetzliche Regelung über einen möglichen Verlust der Staatsangehörigkeit des betroffenen Kindes sucht und vermisst (so OVG Schleswig, Beschluss vom 11. Mai 2016 - 4 O 12/16 - juris Rn. 14). Mangels verfassungsrechtlich vergleichbarer Problemstellung und Schutzbedarfe besteht auch insoweit keine Bindung (§ 31 Abs. 1 BVerfGG) an den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Dezember 2013 - 1 BvL 6/10 - (BVerfGE 135, 48).

37

Eine Anwendung der im Beschluss vom 17. Dezember 2013 entwickelten verfassungsrechtlichen Grundsätze zur Behördenanfechtung ist vorliegend auch nicht deshalb geboten, weil es sich um eine "verkappte Behördenanfechtung" handelte. Das Berufungsgericht hat für den Senat bindend festgestellt, dass die Vaterschaftsanfechtung ungeachtet der Einwirkungen der Ausländerbehörde des Beklagten auf den (zeitweiligen) rechtlichen Vater auf dessen freiem Willensentschluss beruhte.

38

(2) § 4 Abs. 1 StAG i.V.m. § 1599 Abs. 1, § 1592 Nr. 2 BGB verfehlen auch nicht deshalb schon insgesamt die verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine hinreichend bestimmte und verhältnismäßige gesetzliche Verlustgrundlage im Sinne von Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG, weil sie keine Altersgrenze (oder anderweitige zeitliche Befristung) für den Verlust vorsehen. Die Verlustgrundlage ist in Fällen, die dazu Anlass geben, einer verfassungskonformen - einschränkenden - Auslegung dahin zugänglich, dass ein Staatsangehörigkeitsverlust nicht eintritt, wenn das betroffene Kind ein "relativ frühes Kindesalter" überschritten hat. Vorliegend liegt ein solcher Fall jedenfalls nicht vor.

39

Ein Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit infolge gerichtlicher Feststellung des Nichtbestehens der Vaterschaft ist verhältnismäßig, wenn ihm zeitliche Grenzen gesetzt sind. Er verfolgt mit der Durchsetzung des staatsangehörigkeitsrechtlichen Abstammungsprinzips und der Einheit der Rechtsordnung einen legitimen Zweck, der der Sache nach auch völkerrechtlich anerkannt ist. Denn nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. f des Europäischen Übereinkommens über die Staatsangehörigkeit vom 6. November 1997 (BGBl. 2004 II, 579 - EuStAngÜbk) darf ein Vertragsstaat in seinem innerstaatlichen Recht den Verlust der Staatsangehörigkeit kraft Gesetzes oder auf seine Veranlassung u.a. dann vorsehen, wenn während der Minderjährigkeit eines Kindes festgestellt wird, dass die durch innerstaatliches Recht bestimmten Voraussetzungen, die zum Erwerb der Staatsangehörigkeit geführt haben, nicht mehr erfüllt sind.

40

Wegen der erheblichen Belastungswirkung des kraft Gesetzes eintretenden Staatsangehörigkeitsverlusts, die - auch bei einer privatautonom veranlassten Vaterschaftsanfechtung - mit dem Alter des Kindes und mit der Dauer des Innehabens der deutschen Staatsangehörigkeit steigt, sind dem Staatsangehörigkeitsverlust jenseits des relativ frühen Kindesalters zeitliche Grenze zu setzen (vgl. näher BVerfG, Beschluss vom 17. Dezember 2013 - 1 BvL 6/10 - BVerfGE 135, 48 Rn. 82 ff. = juris Rn. 85 ff.). Dem Vertrauen von Kindern in den Bestand der deutschen Staatsangehörigkeit ist durch spezifische Regelungen Rechnung zu tragen, die die Möglichkeit des Staatsangehörigkeitsverlusts einschränken (BVerfG, Urteil vom 24. Mai 2006 - 2 BvR 696/04 - BVerfGE 116, 24 <60>, Beschluss vom 17. Dezember 2013 - 1 BvL 6/10 - BVerfGE 135, 48 Rn. 86 = juris Rn. 89). Um diesem Postulat Rechnung zu tragen, hat der Gesetzgeber zwischenzeitlich Altersgrenzen für den Verlust der Staatsangehörigkeit bei Kindern geschaffen. Nach der Regelung in § 17 Abs. 2 und 3 Satz 1 StAG berühren Entscheidungen nach anderen Gesetzen, die den rückwirkenden Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit Dritter zur Folge hätten, nicht die kraft Gesetzes erworbene deutsche Staatsangehörigkeit von Kindern, die mindestens fünf Jahre alt sind. Das gilt insbesondere auch bei der Feststellung des Nichtbestehens der Vaterschaft. Diese Regelungen waren aber zum Zeitpunkt der Geburt der Klägerin - und auch bei Rechtskraft der Feststellung des Nichtbestehens der deutschen Staatsangehörigkeit - noch nicht in Kraft und finden daher hier unmittelbar noch keine Anwendung.

41

Eine solche gesetzliche Festlegung einer Altersgrenze ist unbestritten sinnvoll und der Rechtsklarheit dienlich. Dies zwingt in der vorliegenden Fallkonstellation aber nicht zu dem Schluss, dass ihr Fehlen zur Verfassungswidrigkeit der Verlustgrundlage als solcher führt. Wie die in der Rechtsprechung entschiedenen Sachverhalte zeigen, betreffen Vaterschaftsanfechtungen in aller Regel Kinder in ihren ersten Lebensjahren. So liegt der Fall auch hier, denn die Klägerin war bei Rechtskraft des Urteils über das Nichtbestehen der Vaterschaft noch keine zwei Jahre alt. Unter dem Aspekt der Verhältnismäßigkeit bestehen gegen einen Staatsangehörigkeitsverlust in einem solchen Alter keine Bedenken. Ein derart kleines Kind hat regelmäßig noch kein schutzwürdiges Vertrauen auf den Bestand seiner Staatsangehörigkeit entwickelt, dem in der Abwägung gegenüber der Durchsetzung des Abstammungsprinzips ein höheres Gewicht zukommen könnte. Es hat die deutsche Staatsangehörigkeit zudem nur über einen an staatsangehörigkeitsrechtlichen Maßstäben gemessen relativ kurzen Zeitraum besessen. Das Fehlen einer gesetzlich exakt bestimmten Altersgrenze, ab der ein Staatsangehörigkeitsverlust durch die Feststellung des Nichtbestehens der Vaterschaft nicht mehr eintritt, führt auch nicht zu einer Rechtsunsicherheit oder zu einem Bestimmtheitsdefizit bei betroffenen Kindern, die sich zweifellos noch diesseits einer - verfassungsrechtlich wo auch immer anzusiedelnden - Altersgrenze befinden. Das Bundesverfassungsgericht führt daher überzeugend aus, es gebe keinen Verfassungsgrundsatz, nach dem die Anwendung gesetzlicher Regelungen auch in materiell-verfassungsrechtlich eindeutig unproblematischen Fällen allein deshalb ausgeschlossen wäre oder gesetzliche Regelungen allein deshalb insgesamt verfassungswidrig wären, weil eine verfassungsrechtliche Grenze, die die Anwendung in besonderen Einzelfällen ausschließen kann, nicht durch die Regelungen selbst ausdrücklich bestimmt ist (BVerfG, Kammerbeschluss vom 24. Oktober 2006 - 2 BvR 696/04 - NJW 2007, 425; vgl. auch Urteil vom 24. Mai 2006 - 2 BvR 669/04 - BVerfGE 116, 24 <59>). Dem schließt sich der Senat an.

42

Es liegt danach auch kein Bestimmtheitsmangel vor, der die zum Wegfall der Staatsangehörigkeit führenden gesetzlichen Vorschriften insgesamt verfassungswidrig und einer verfassungskonform begrenzenden Auslegung im Bedarfsfall unzugänglich machte. Die im maßgeblichen Zeitpunkt geltenden gesetzlichen Regelungen zur Anfechtung der Vaterschaft (§§ 1599 ff. BGB, §§ 640 ff. ZPO a.F.) und zu den Voraussetzungen des Geburtserwerbs der deutschen Staatsangehörigkeit (§ 4 Abs. 1 StAG) weisen weder nach ihrem Wortlaut noch nach ihrem Zweck eine besondere Unbestimmtheit auf. Die Frage, welche verfassungsrechtlichen Grenzen Art. 16 Abs. 1 GG in Fällen erfolgreicher Vaterschaftsanfechtung dem Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit des betroffenen Kindes setzt, stellt sich ernsthaft nur in dem - ausweislich der vorliegenden Rechtsprechung atypischen - Fall, in dem die Anfechtung ungeachtet der Zweijahresfrist des § 1600b Abs. 1 BGB jenseits eines relativ frühen Kindesalters erfolgt (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 24. Oktober 2006 - 2 BvR 696/04 - NJW 2007, 425 = juris Rn. 28). Diese "Randunbestimmtheit" kann auch für die noch nicht vom zeitlichen Anwendungsbereich der § 17 Abs. 2 und 3 StAG erfassten Fälle bei Bedarf ohne Übergriff in den Kompetenzbereich des Gesetzgebers im Wege verfassungskonformer Auslegung ausgeräumt werden, d.h. indem der zuständige Richter in Grenzfällen die von der Verfassung gezogene Grenze selbst festlegt. Damit ist die Verfassungskonformität der geltenden Vorschriften und ihrer Anwendung im - hier gegebenen - typischen Fall jedenfalls nicht in Frage gestellt (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 24. Oktober 2006 - 2 BvR 696/04 - NJW 2007, 425 = juris Rn. 29).

43

(3) Aus vergleichbaren Gründen steht der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Verlustgrundlage (§ 4 Abs. 1 StAG i.V.m. § 1599 BGB) nicht entgegen, dass diese keine Ausnahme für den Fall ansonsten eintretender Staatenlosigkeit vorsieht.

44

Gegen den Willen des Betroffenen darf ein Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit nur eintreten, wenn dieser dadurch nicht staatenlos wird (Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG). Es spricht wenig dafür, dass bei der Feststellung des Nichtbestehens der Vaterschaft auf Betreiben des rechtlichen Vaters Staatenlosigkeit entgegen dem ausdrücklichen Wortlaut dieser Regelung generell hingenommen werden sollte. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht für den Fall der Rücknahme einer durch Täuschung erlangten Einbürgerung eine Ausnahme zugelassen (BVerfG, Urteil vom 24. Mai 2006 - 2 BvR 669/04 - BVerfGE 116, 24 <45 ff.> = juris Rn. 52 ff.). Wegen des strikt formulierten Verbots des Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG ist jedoch bei einer Weiterung der für den Rücknahmefall angestellten Rechtfertigungsüberlegungen auf andere Konstellationen äußerste Zurückhaltung geboten (BVerfG, Beschluss vom 17. Dezember 2013 - 1 BvL 6/10 - BVerfGE 135, 48 Rn. 75 = juris Rn. 78). Ob eine Inkaufnahme von Staatenlosigkeit bei Feststellung des Nichtbestehens der Vaterschaft zumindest in Fällen rechtlich missbilligten Erwerbs der deutschen Staatsangehörigkeit (etwa: Vaterschaftsanerkennung allein zu aufenthaltsrechtlichen Zwecken nach Inkrafttreten von §§ 1597a BGB, 85a AufenthG) danach verfassungs- und völkerrechtlich zulässig wäre, bedarf hier aber keiner Vertiefung.

45

Im konkreten Fall wirkt sich diese Einschränkung schon deshalb nicht aus, weil die Klägerin durch den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit nicht staatenlos geworden ist. Sie hat nach den für den Senat bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts durch Geburt - abgeleitet von ihrer Mutter - die Staatsangehörigkeit von Serbien und Montenegro erworben, die nach Auflösung der Staatengemeinschaft Serbien und Montenegro zur serbischen Staatsangehörigkeit geworden ist.

46

Auch in diesem Punkt führt die fehlende Vorkehrung der Verlustgrundlage für den Fall drohender Staatenlosigkeit nicht zur generellen Verfassungswidrigkeit der Verlustfolge. § 4 Abs. 1 StAG ist in seiner "Verlustdimension" bei Bedarf einer verfassungskonformen Auslegung dahin zugänglich, dass der rückwirkende Fortfall des den Staatsangehörigkeitserwerb vermittelnden Vaters im Rechtssinne den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit aus Gründen vorrangigen Verfassungsrechts dann nicht beseitigt, wenn der Betroffene dadurch staatenlos würde. Dies liegt in der Konsequenz der Ausführungen des Kammerbeschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Oktober 2006 - 2 BvR 696/04 - (NJW 2007, 425) zur Altersgrenze bei der Vaterschaftsanfechtung durch den "Scheinvater", wenngleich dort die Vereinbarkeit des Verlusts mit Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG mangels Rüge nicht geprüft worden ist. Dass demgegenüber der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts die Verfassungswidrigkeit der Behördenanfechtung der Vaterschaft auch auf das Fehlen gesetzlicher Vorkehrungen für den Fall der Staatenlosigkeit gestützt und betont hat, der Wortlaut biete keinen Anhaltspunkt für eine verfassungskonforme Auslegung (BVerfG, Beschluss vom 17. Dezember 2013 - 1 BvL 6/10 - BVerfGE 135, 48 Rn. 72 = juris Rn. 75), zwingt hier nicht zu einer anderen Entscheidung. Die dortigen Ausführungen beziehen sich ausdrücklich auf die vormals in § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB geregelte Behördenanfechtung, sind auf den Wegfall der Staatsangehörigkeit infolge einer - verfassungsrechtlich als solche unbedenklichen - Vaterschaftsanfechtung durch den "Scheinvater" nicht übertragbar und entfalten auch keine Bindungswirkung nach § 31 BVerfGG (s.o.). Das gilt auch, soweit sie der Sache nach ersichtlich dahin zu verstehen sind, dass auch in § 4 Abs. 1 StAG ein Anknüpfungspunkt für eine verfassungskonforme Auslegung fehle.

47

In der Sache besteht für die Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung in der vorliegenden Fallkonstellation auch ein größerer Spielraum, weil der Verlust der Staatsangehörigkeit nicht unmittelbar durch eine staatliche Entscheidung veranlasst und bezweckt ist, sondern bloße gesetzliche Folge einer privatautonom erhobenen, auf andere Rechtsfolgen zielenden Klage, so dass an die Ausgestaltung der gesetzlichen Grundlage weniger strenge Anforderungen gestellt werden können. Im Übrigen ist die verfassungsrechtliche Grenze der Staatenlosigkeit, die Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG statuiert, derart eindeutig, dass sie ohne wesentliche Einbußen an Rechtssicherheit und ohne Eingriff in einen gesetzgeberischen Konkretisierungsspielraum einer unmittelbaren Anwendung zugänglich ist. Darüber hinaus handelt es sich auch hier - wie bei der ausnahmsweisen Betroffenheit älterer Kinder - um atypische "Randfälle", deren Nichtberücksichtigung im Gesetz keine hinreichende Veranlassung gibt, die Verlustfolge - auch im materiell-verfassungsrechtlich unproblematischen Fall - für insgesamt verfassungswidrig zu halten. Denn im Regelfall dürfte wegen einer zusätzlichen, durch Abstammung von der Mutter erworbenen ausländischen Staatsangehörigkeit keine Staatenlosigkeit eintreten.

48

b) Die gesetzliche Grundlage für den Staatsangehörigkeitsverlust verletzt nicht das Zitiergebot (Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG). Sie unterfällt - wie das Oberverwaltungsgericht zutreffend entschieden hat - schon nicht dem Anwendungsbereich dieser Regelung.

49

Das Zitiergebot verlangt, dass ein Gesetz, welches ein Grundrecht einschränkt, das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennt. Gesetze, die einen Verlust der Staatsangehörigkeit im Sinne von Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG vorsehen oder ermöglichen, müssen das Zitiergebot grundsätzlich beachten. Das soll nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch für Gesetze gelten, die - wie hier - einen rückwirkenden Fortfall schon des Staatsangehörigkeitserwerbs bewirken (BVerfG, Beschluss vom 17. Dezember 2013 - 1 BvL 6/10 - BVerfGE 135, 48 Rn. 78 = juris Rn. 81).

50

Das Zitiergebot findet aber keine Anwendung auf vorkonstitutionelle Gesetze sowie auf nachkonstitutionelle Gesetze, die bereits geltende Grundrechtsbeschränkungen unverändert oder mit geringen Abweichungen wiederholen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Oktober 2011 - 2 BvR 236/08 u.a. - BVerfGE 129, 208 <237> = juris Rn. 179). Dabei kommt es - anders als die Klägerin meint - nicht auf das Gesetz (hier: das Staatsangehörigkeitsgesetz) als Ganzes an, sondern darauf, ob die konkrete Grundrechtsbeschränkung (hier: die konkrete Verlustregelung) im Wesentlichen bereits im vorkonstitutionellen Recht vorgesehen gewesen war.

51

Davon ausgehend handelt es sich bei § 4 Abs. 1 StAG i.V.m. § 1599 BGB um ein nachkonstitutionelles Gesetz, das lediglich eine vorkonstitutionell begründete Grundrechtsbeschränkung fortschreibt bzw. mit geringen Abweichungen wiederholt. Ungeachtet abweichender Ausgestaltungen der Vorläuferregelungen im Einzelnen und abweichender Begrifflichkeiten gab es schon vor Erlass des Grundgesetzes Regelungen zur rückwirkenden Beseitigung der den Staatsangehörigkeitserwerb vermittelnden Vaterstellung auf eine (Ehelichkeitsanfechtungs-)Klage des Vaters im Rechtssinne (damals: Ehemann der Mutter) und ließ dies auch bereits nach § 4 Abs. 1 Satz 1 RuStAG 1913 den - bei ehelichen Kindern seinerzeit nur über den Vater möglichen - Staatsangehörigkeitserwerb des Kindes rückwirkend auf den Zeitpunkt der Geburt entfallen. Die heutige Regelung in § 4 Abs. 1 StAG, § 1599 BGB setzt dies in der Sache fort und enthält - bei Abweichungen in Einzelheiten - nichts qualitativ anderes.

52

Ohne Erfolg hält die Revision dem entgegen, dass das Bundesverfassungsgericht bei dieser Betrachtung auch die in § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB geregelte Behördenanfechtung als vorkonstitutionell hätte einstufen müssen. Sie stützt diese Annahme darauf, dass § 1595a BGB in der Fassung des Gesetzes über die Änderung und Ergänzung familienrechtlicher Vorschriften und über die Rechtsstellung der Staatenlosen vom 12. April 1938 (RGBl. I 1938 S. 380) bereits ein - das Anfechtungsrecht des Ehemannes subsidiär ergänzendes - Recht des Staatsanwalts vorgesehen hat, die Ehelichkeit eines Kindes anzufechten, wenn "er dies im öffentlichen Interesse oder im Interesse des Kindes für geboten erachtet". Nach einer 1943 erfolgten Änderung war die Anfechtung durch den Staatsanwalt darüber hinaus auch "im Interesse der Nachkommenschaft des Kindes" möglich (vgl. Verordnung über die Angleichung familienrechtlicher Vorschriften, RGBl. I 1943 S. 80). Diese Regelung sollte ausweislich der Gesetzesbegründung sicherstellen, dass dem nationalsozialistischen Staat die Letztentscheidungskompetenz über die "Sippenzugehörigkeit" und vor allem über die "rassische Einordnung" eines Kindes zukam. Bei der Bedeutung, die der Rassen- und Sippenzugehörigkeit eines Menschen nach nationalsozialistischer Auffassung zukomme, müsse das Interesse an einer möglichst frühzeitigen und endgültigen Festlegung des Familienstandes hinter das öffentliche Interesse an einer Klarstellung der wirklichen Abstammung zurücktreten (vgl. dazu Löhnig, Die Justiz als Gesetzgeber. Zur Anwendung nationalsozialistischen Rechts in der Nachkriegszeit, 2010, S. 12; siehe auch BVerfG, Beschluss vom 4. Dezember 1974 - 1 BvL 14/73 - BVerfGE 38, 241 = juris Rn. 4). Von diesem staatsanwaltlichen Ehelichkeitsanfechtungsrecht, das bis 1962 fortgalt, wurde auch noch nach 1945 zur "Herstellung abstammungsmäßiger Ordnung" und "Klärung des Personenstands des Kindes" Gebrauch gemacht (Löhnig, a.a.O. S. 22 ff.).

53

Demgegenüber stellt sich die im Jahr 2008 geschaffene, vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärte Regelung zur Behördenanfechtung der Vaterschaft schon deshalb als neuer, ausschließlich nachkonstitutioneller Grundrechtseingriff dar, weil sie - inhaltlich wie zeitlich - in keinem Zusammenhang zu dem im Nationalsozialismus geschaffenen Anfechtungsrecht des Staatsanwalts stand. Sie bezweckte, eine missbräuchliche Umgehung des Aufenthaltsrechts durch Vaterschaftsanerkennungen zu verhindern, und war dementsprechend in ihren Anwendungsvoraussetzungen auf Fälle zugeschnitten, in denen durch die Anerkennung rechtliche Voraussetzungen für die erlaubte Einreise oder den erlaubten Aufenthalt des Kindes oder eines Elternteils geschaffen werden. Dabei ging es gerade darum, durch die Vaterschaftsanfechtung die deutsche Staatsangehörigkeit des Kindes zu beseitigen.

54

3. Dem mit dem Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit einhergehenden Verlust der Unionsbürgerschaft der Klägerin stehen keine unionsrechtlichen Regelungen entgegen. Ein Verlust der Unionsbürgerschaft tritt hier deshalb ein, weil diese nach Art. 9 Satz 2 EUV, Art. 20 Abs. 1 AEUV an die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats geknüpft ist, der Klägerin nach dem Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit aber nur die Staatsangehörigkeit eines Drittstaats - Serbiens - verblieben ist.

55

a) Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) fällt die Festlegung der Voraussetzungen für den Erwerb und den Verlust der Staatsangehörigkeit nach dem Völkerrecht in die Zuständigkeit der einzelnen Mitgliedstaaten (vgl. EuGH, Urteile vom 7. Juli 1992 - C-369/90 [ECLI:EU:C:1992:295], Micheletti u.a. - Rn. 10 und vom 2. März 2010 - C-135/08 [ECLI:EU:C:2010:104], Rottmann - Rn. 39). Bei der Ausübung ihrer Zuständigkeit im Bereich der Staatsangehörigkeit haben die Mitgliedstaaten aber das Unionsrecht zu beachten. Diese Ausübung unterliegt - soweit sie die von der Rechtsordnung der Union verliehenen und geschützten Rechte berührt - der gerichtlichen Kontrolle im Hinblick auf das Unionsrecht (vgl. EuGH, Urteil vom 2. März 2010 - C-135/08 - Rn. 45 und 48). Die Sachverhalte, in denen der Gerichtshof bisher eine Kontrolle am Maßstab des Unionsrechts vorgenommen hat, wiesen allerdings - anders als der vorliegende Fall - regelmäßig einen innerhalb der Union in irgendeiner Weise grenzüberschreitenden Bezug auf. Ungeachtet dessen unterstellt der Senat zu Gunsten der Klägerin, dass der unionsrechtliche Vorbehalt vorliegend allein deshalb zu beachten ist, weil der Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit bei ihr auch zum Verlust der Unionsbürgerschaft führt und insoweit die von der Rechtsordnung der Union verliehenen und geschützten Rechte berührt.

56

Im Urteil "Rottmann" (ebd.) hat der EuGH die unionsrechtlichen Grenzen für den mit einem Verlust der Staatsangehörigkeit verbundenen Verlust des Unionsbürgerstatus grundlegend bestimmt und hinreichend geklärt. Die dort entwickelten Maßstäbe für den Fall der Rücknahme einer durch arglistige Täuschung erwirkten Einbürgerung lassen sich auf den Fall eines kraft Gesetzes eintretenden Verlusts aufgrund Vaterschaftsanfechtung sinngemäß übertragen, ohne dass es eines weiteren Vorabentscheidungsersuchens bedarf.

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b) Die grundsätzliche Rechtmäßigkeit eines unter das Unionsrecht fallenden Staatsangehörigkeitsverlusts beurteilt sich nach dieser Entscheidung danach, ob der Verlust einem im Allgemeininteresse liegenden, legitimen Grund entspricht. Dabei können einschlägige völkerrechtliche Verträge, die den im nationalen Recht vorgesehenen Staatsangehörigkeitsverlust ausdrücklich für zulässig erklären, als Indiz für das Bestehen eines legitimen staatlichen Interesses herangezogen werden (vgl. EuGH, Urteil vom 2. März 2010 - C-135/08 - Rn. 51 ff.).

58

Nach diesem Maßstab ist von einem legitimen staatlichen Interesse auszugehen, Kinder nicht weiter als eigene Staatsangehörige betrachten zu müssen, bei denen sich nachträglich herausstellt, dass sie eine Voraussetzung für den Geburtserwerb der Staatsangehörigkeit nicht (mehr) erfüllen, etwa weil eine dafür erforderliche Verwandtschaftsbeziehung später mit Rückwirkung auf den Geburtszeitpunkt wegfällt. Die damit bezweckte effektive Durchsetzung des Abstammungsprinzips und der Einheit der Rechtsordnung ist ein legitimes Ziel. Dass der Gesichtspunkt der öffentlichen Sicherheit durch ein Belassen der Staatsangehörigkeit hier (jedenfalls ohne weitere Feststellungen zu den Motiven der Vaterschaftsanerkennung) nicht berührt ist, führt zu keinem anderen Ergebnis. Denn auch das einschlägige Völkervertragsrecht spiegelt ein legitimes Interesse der Staaten wider, in einer solchen Situation einen Staatsangehörigkeitsverlust kraft Gesetzes in ihrer Rechtsordnung vorzusehen. So steht dieser Verlust im Einklang mit dem auf Europaratsebene beschlossenen und seit dem 1. September 2005 für Deutschland in Kraft getretenen Europäischen Übereinkommen über die Staatsangehörigkeit vom 6. November 1997 (BGBl. 2004 II S. 579 - EuStAngÜbk). Nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. f EuStAngÜbk darf ein Vertragsstaat in seinem innerstaatlichen Recht den Verlust der Staatsangehörigkeit kraft Gesetzes oder auf seine Veranlassung u.a. vorsehen bei "Feststellung während der Minderjährigkeit eines Kindes, dass die durch innerstaatliches Recht bestimmten Voraussetzungen, die zum Erwerb der Staatsangehörigkeit geführt haben, nicht mehr erfüllt sind". Dies gilt lediglich dann nicht, wenn der Betreffende dadurch staatenlos würde (Art. 7 Abs. 3 EuStAngÜbk).

59

Diesen Anforderungen entspricht der sich aus § 4 Abs. 1 StAG i.V.m. § 1599 BGB als Folge einer erfolgreichen Vaterschaftsanfechtung nach allgemeiner Rechtsüberzeugung ergebende Staatsangehörigkeitsverlust. Dass dieser Verlust bei Staatenlosigkeit nicht eintritt, gewährleistet in der deutschen Rechtsordnung der insoweit unmittelbar anwendbare Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG; ungeachtet dessen wird die Klägerin im konkreten Fall nicht staatenlos.

60

Angesichts der - jedenfalls auf Europaratsebene bestehenden - völkerrechtlichen Übereinkunft, in der vorliegenden Situation ein legitimes Interesse an einem kraft Gesetzes vorgesehenen Staatsangehörigkeitsverlust zu sehen, steht dieser auch im Einklang mit dem in Art. 15 Abs. 2 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (Resolution 217A (III) vom 10. Dezember 1948) und Art. 4 Buchst. c EuStAngÜbk niedergelegten allgemeinen völkerrechtlichen Grundsatz, wonach niemandem seine Staatsangehörigkeit willkürlich entzogen werden darf. Art. 4 Buchst. b EuStAngÜbk, wonach Staatenlosigkeit zu vermeiden ist, ist ebenfalls Rechnung getragen. Das Übereinkommen zur Verminderung von Staatenlosigkeit vom 30. August 1961 (BGBl. 1977 II S. 598) enthält rechtliche Grenzen für einen Staatsangehörigkeitsverlust nur für den - hier nicht vorliegenden - Fall, dass der Betroffene dadurch staatenlos würde.

61

c) Der mit dem Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit verbundene Verlust der Unionsbürgerschaft genügt auch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Nach dem Urteil des EuGH in der Rechtssache "Rottmann" muss das nationale Gericht bei der Rücknahme einer erschlichenen Einbürgerung prüfen, ob die "in Rede stehende Rücknahmeentscheidung hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die unionsrechtliche Stellung des Betroffenen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahrt" (EuGH, Urteil vom 2. März 2010 - C-135/08 - Rn. 55). Da der Staatsangehörigkeitsverlust im vorliegenden Fall einer rückwirkenden Feststellung des Nichtbestehens der Vaterschaft kraft Gesetzes eintritt, was Art. 7 Abs. 1 Buchst. f EuStAngÜbk völkerrechtlich ausdrücklich für zulässig erklärt, kann aus dieser Formulierung nicht darauf geschlossen werden, dass der Verlust nur durch eine am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierte - behördliche oder richterliche - Einzelfallentscheidung eintreten dürfe. Bei einem kraft Gesetzes eintretenden Verlust ist die Verhältnismäßigkeitsprüfung vielmehr auf das Gesetz selbst zu beziehen.

62

Gemessen daran ist der durch § 4 Abs. 1 StAG i.V.m. § 1599 BGB vorgesehene Staatsangehörigkeitsverlust bei rückwirkender Feststellung des Nichtbestehens der Vaterschaft auf eine Vaterschaftsanfechtung des "Scheinvaters" in allen bei verfassungskonformer Auslegung erfassten Fällen verhältnismäßig. Keiner Entscheidung bedarf, ob und inwieweit die durch Art. 7 Abs. 1 Buchst. f EuStAngÜbk völkerrechtlich gezogene Altersgrenze der Volljährigkeit im unionsrechtlichen Kontext aus Gründen der Verhältnismäßigkeit weiter abzusenken ist. Denn nach der deutschen Rechtsordnung tritt ein Staatsangehörigkeitsverlust in diesen Fällen unmittelbar kraft Verfassungsrechts nicht ein, wenn sich der Betroffene bereits "jenseits eines relativ frühen Kindesalters" befindet; dies gewährleistet auf abstrakter Ebene die Verhältnismäßigkeit. Im Fall der Klägerin, die der Verlust im Alter von weniger als zwei Jahren getroffen hat, ist diese Altersgrenze zudem keinesfalls überschritten. Auch unionsrechtlich ist hier zu berücksichtigen, dass sich derart kleine Kinder noch nicht auf den Bestand ihrer Staatsangehörigkeit verlassen und eingerichtet haben und dass bei ihnen zudem auch die absolute Zeitdauer des Besitzes der Staatsangehörigkeit naturgemäß sehr gering ist. Bei solcher Sachlage begegnet es generell keinen unionsrechtlichen Bedenken, dass die deutsche Rechtsordnung das Gewicht ihres Interesses am Erhalt der Unionsbürgerschaft dem staatlichen Interesse an einer effektiven Durchsetzung des Abstammungsprinzips unterordnet. Das gilt auch, wenn sie dadurch - wie dann regelmäßig auch die jeweilige Mutter - das Aufenthaltsrecht im Gebiet der Union verlieren.

63

Ein anderes Ergebnis der Verhältnismäßigkeitsprüfung ergibt sich insoweit auch nicht aus Art. 7 Grundrechte-Charta (GRC), Art. 8 EMRK. Zwar kann die willkürliche Entziehung der Staatsangehörigkeit wegen der Auswirkungen auf das Privatleben des Betroffenen unter Umständen eine Frage nach Art. 8 EMRK aufwerfen und sind dabei etwaige aufenthaltsrechtliche Folgen einer solchen Entziehung mit zu berücksichtigen (vgl. EGMR, Urteil vom 21. Juni 2016 - Nr. 76136/12, Ramadan/Malta - NVwZ 2018, 387). Eine willkürliche Entziehung liegt hier jedoch wie ausgeführt nicht vor. Mit einem Staatsangehörigkeitsverlust ist nach der deutschen Rechtsordnung auch nicht automatisch eine Aufenthaltsbeendigung verbunden. Diese wäre vielmehr Gegenstand weiterer aufenthaltsrechtlicher Entscheidungen, gegen die gesondert vorgegangen werden kann. Das Aufenthaltsrecht gewährleistet dabei die angemessene Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens (vgl. etwa §§ 60a, 25 Abs. 5 AufenthG). Ein Recht auf eine bestimmte Art der Aufenthaltsgenehmigung garantieren Art. 8 EMRK, Art. 7 GRC jedenfalls nicht (vgl. EGMR, Urteil vom 21. Juni 2016 - Nr. 76136/12 - NVwZ 2018, 387 Rn. 91). Gegen die Klägerin und ihre Mutter selbst sind im Übrigen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nie ergriffen worden; sie verfügen inzwischen beide über eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG.

64

Weitere Erwägungen, die im vorliegenden Zusammenhang in eine - spezifisch unionsrechtliche - Überprüfung der Verhältnismäßigkeit einzustellen wären, sind nicht ersichtlich. Insbesondere kann die Klägerin im vorliegenden Zusammenhang keine weitergehenden Vorteile daraus herleiten, dass ihr keine Täuschung oder ein anderes Fehlverhalten vorzuhalten ist. Soweit der EuGH ausgeführt hat, es sei insbesondere zu prüfen, ob der Verlust gerechtfertigt ist im Verhältnis zur Schwere des vom Betroffenen begangenen Verstoßes (Urteil vom 2. März 2010 - C-135/08 - Rn. 56), betrifft dies den speziellen Fall der Rücknahme einer durch Täuschung erlangten Einbürgerung und ist auf die vorliegende Fallkonstellation nicht übertragbar. Denn der völkerrechtlich ermöglichte Staatsangehörigkeitsverlust infolge einer nachträglichen Korrektur der familienrechtlichen Abstammungsverhältnisse durch die an dem Familienverhältnis Beteiligten dient einer effektiven Durchsetzung des Abstammungsprinzips und setzt daher - anders als die Rücknahme einer erschlichenen Einbürgerung - ein solches Fehlverhalten von vornherein nicht voraus.

65

4. Die Verfahrensrüge greift nicht durch. Die Klägerin rügt eine Verletzung ihres Rechts auf den gesetzlichen Richter gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG i.V.m. § 138 Nr. 1 VwGO, weil das Berufungsgericht dem EuGH nicht die - im Einzelnen ausformulierte - Frage zur Vereinbarkeit des Verlusts der Unionsbürgerschaft mit Unionsrecht zur Vorabentscheidung vorgelegt habe. Mit dieser Rüge kann sie schon deshalb nicht durchdringen, weil das Berufungsgericht nicht letztinstanzlich tätig geworden ist und deshalb nicht zur Vorlage gemäß Art. 234 Abs. 3 EGV verpflichtet war (vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 15. Oktober 2009 - 6 B 27.09 - NVwZ 2010, 525 Rn. 13). Zwar hat es die Revision nicht zugelassen; diese Entscheidung war jedoch mit der Nichtzulassungsbeschwerde angreifbar, die auch erfolgreich eingelegt worden ist. Im Übrigen liegen die geltend gemachten Zweifel an der richtigen Auslegung und Anwendung der Bestimmungen des Unionsrechts über die Unionsbürgerschaft nach den vorstehenden Ausführungen nicht vor.

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5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

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