Beschluss vom Bundesverwaltungsgericht (9. Senat) - 9 B 4/18

Gründe

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1. Soweit das Beschwerdevorbringen dahin zu verstehen ist, dass der Kläger sein früher gestelltes Ablehnungsgesuch gegen einzelne Mitglieder des Senats aufrecht erhält oder erneuert, war dieses als offensichtlich unzulässig zu verwerfen. Die Besorgnis der Befangenheit kann nicht darauf gestützt werden, dass der Senat der ständig, auch im vorliegenden Verfahren, wiederholten, im Kern gleichen Rechtsansicht des Klägers zu dem angeblich rechtzeitigen Zugang seiner per Telefax eingereichten Beschwerdebegründung vom 9. Februar 2015 und der - im Zusammenhang damit - vermeintlichen Unvollständigkeit der Gerichtsakte nicht zu folgen vermochte (s. dazu insbesondere BVerwG, Beschlüsse vom 13. Oktober 2015 - 9 B 31.15 - juris Rn. 8 und vom 3. Mai 2017 - 9 B 1.17 - juris Rn. 4, 13).

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Davon abgesehen stellen sich die erwähnten Fragen in dem hier vorliegenden Beschwerdeverfahren ohnehin nicht. Denn sein Gegenstand ist das Wiederaufnahmebegehren nur, soweit die Entscheidung in die sachliche Zuständigkeit des Berufungsgerichts fällt. Demgegenüber hat der Senat über den Wiederaufnahmeantrag bezüglich seiner eigenen Feststellung, die Beschwerdebegründungsschrift vom 9. Februar 2015 sei nicht rechtzeitig in den Machtbereich des Berufungsgerichts gelangt, bereits durch Beschluss vom 3. Mai 2017 - 9 B 1.17 - (vgl. juris Rn. 7 f.) abschließend entschieden.

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2. Die auf sämtliche Beschwerdegründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet.

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a) Wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) kann die Revision nicht zugelassen werden. Denn die vom Kläger sinngemäß aufgeworfene Frage,

ob § 130a VwGO auf die Entscheidung des Berufungsgerichts über eine Wiederaufnahmeklage anwendbar ist,

lässt sich ohne weiteres beantworten, ohne dass es der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf. Die Verweisung in § 585 ZPO auf die "allgemeinen Vorschriften" des Zivilprozessrechts bezieht sich im Anwendungsbereich des § 153 VwGO nicht auf die Form der Entscheidung, die sich vielmehr allein aus der Verwaltungsgerichtsordnung ergibt. Soweit die Wiederaufnahmeklage in die sachliche Zuständigkeit des Berufungsgerichts fällt (§ 153 VwGO i.V.m. § 584 Abs. 1 ZPO) und somit der Sache nach auf die Ersetzung der Berufungsentscheidung gerichtet ist, kommen für sie die hierfür vorgesehenen Entscheidungsformen in Betracht. Eine solche Klage kann daher bei Unzulässigkeit entsprechend § 125 Abs. 2 Satz 2 VwGO und bei einstimmiger Annahme der Unbegründetheit entsprechend § 130a VwGO durch Beschluss abgewiesen werden (VGH Mannheim, Beschluss vom 1. Oktober 1996 - 9 S 1560/96 - NJW 1997, 145; vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 15. September 1995 - 11 PKH 9.95 - juris Rn. 3; Meyer-Ladewig/Rudisile, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Juni 2017, § 153 Rn. 24 f.; Guckelberger, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 153 Rn. 82 f.; Rennert, in: Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 153 Rn. 17).

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b) Die Revision ist auch nicht wegen Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zuzulassen. Der angefochtene Beschluss weicht entgegen der Ansicht der Beschwerde in seinen tragenden Rechtssätzen nicht von dem Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. Januar 2003 - 9 B 84.02 - ab. Der Umstand, dass das Bundesverwaltungsgericht dort die Beschlussform für die Abweisung einer unzulässigen Wiederaufnahmeklage bestätigt hat, rechtfertigt nicht den Schluss, dass nur in diesem Fall durch Beschluss entschieden werden darf.

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c) Schließlich kann die erstrebte Zulassung der Revision nicht auf einen Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO gestützt werden.

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aa) Soweit der Kläger sein Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) dadurch verletzt sieht, dass die Senatsmitglieder des Berufungsgerichts über seinen Ablehnungsantrag in unzulässiger Weise selbst entschieden hätten, fehlt es an der rechtzeitigen Darlegung eines Beschwerdegrundes (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO). In der Beschwerdeentscheidung können nur Zulassungsgründe berücksichtigt werden, die der Antragsteller bis zum Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist dargelegt hat. Späterer Vortrag kommt nur als Erläuterung der fristgerecht geltend gemachten und dargelegten Zulassungsgründe in Betracht (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 12. Januar 2015 - 4 BN 18.14 - juris Rn. 4; Czybulka, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 133 Rn. 49 m.w.N.). Der Schriftsatz des Klägers vom 6. Februar 2018, der als einziger innerhalb der Beschwerdebegründungsfrist (§ 133 Abs. 3 Satz 1 VwGO) eingegangen ist, beschränkt sich auf die Behauptung einer Besorgnis der Befangenheit wegen des beanstandeten "Selbstentscheids" der Richter des Berufungsgerichts sowie die Ankündigung weiteren Vortrags dazu. Erst mit Schriftsatz vom 8. Februar 2018, mithin außerhalb der Beschwerdebegründungsfrist, hat der Kläger die näheren Einzelheiten des gerügten Verfahrensfehlers dargelegt.

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bb) Die Verfahrensweise des Berufungsgerichts verletzt nicht den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Das gilt zunächst insoweit, als der Verwaltungsgerichtshof, nachdem er den Kläger mit Schreiben vom 9. Oktober 2017 unter Fristsetzung bis 10. November 2017 zu der beabsichtigten Verfahrensweise nach § 130a VwGO angehört hatte, vor Erlass des angefochtenen Beschlusses nicht mehr über die begehrte Verlängerung der Äußerungsfrist entschieden hat.

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Will das Berufungsgericht an der Durchführung eines vereinfachten Berufungsverfahrens ohne mündliche Verhandlung festhalten, obwohl ein Beteiligter diesem Verfahren widerspricht und hilfsweise Fristverlängerung zur Ergänzung seines Vortrags beantragt, ist es regelmäßig verpflichtet, vorab über den Verlängerungsantrag zu entscheiden (§ 57 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 224 Abs. 2, § 225 Abs. 1 ZPO). Das gilt unabhängig davon, ob erhebliche Gründe für eine Verlängerung der richterlichen Frist glaubhaft gemacht sind oder nicht (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 2. Juli 1998 - 9 B 535.98 - Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 26 S. 19, vom 29. Juli 2010 - 8 B 10.10 - Buchholz 11 Art. 103 Abs. 1 GG Nr. 90 Rn. 11 und vom 22. März 2017 - 9 B 50.16 - juris Rn. 2).

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Der vorliegende Fall weist allerdings Besonderheiten auf, die es dem Verwaltungsgerichtshof ausnahmsweise erlaubten, trotz des mit Schriftsatz vom 10. November 2017 gestellten und mit Schriftsatz vom 11. November 2017 begründeten Fristverlängerungsantrags des Klägers unmittelbar zur Sache zu entscheiden. So gehört das Stellen immer neuer Verlängerungsanträge, regelmäßig am Ende der jeweils gesetzten Äußerungsfrist, offensichtlich zu einem festen, den Rechtsstreit prägenden Verhaltensmuster des Klägers. Allein in dem Verfahrensabschnitt, der den Antrag auf Wiederaufnahme des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens betraf, hat der Kläger nach der Bitte um eine abschließende Antragsbegründung (gerichtliches Schreiben vom 12. Januar 2017, Bl. 1483 GA) und anschließend dreimal bewilligter Fristverlängerung (gerichtliche Schreiben vom 9. März 2017, Bl. 1509 f. GA, vom 24. März 2017, Bl. 1533 f. GA und vom 4. April 2017, Bl. 1562 GA) wiederum einen Verlängerungsantrag gestellt (Schriftsätze vom 25. April 2017, Bl. 1567/1572 GA und vom 26. April 2017, Bl. 1577/1580 GA), über den der Senat vor Erlass seines Beschlusses vom 3. Mai 2017 nicht mehr entschieden hat.

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Auch das hier in Rede stehende Gesuch des Klägers um Verlängerung der ihm vom Verwaltungsgerichtshof mit Verfügung vom 9. Oktober 2017 gesetzten Stellungnahmefrist passt in dieses Verhaltensmuster. So hat der Kläger die begehrte Fristverlängerung erst nach Ablauf der Äußerungsfrist in seinem schon erwähnten, auf den 11. November datierten und am 13. November 2017 eingegangenen Schriftsatz mit einer Reihe von familiären bzw. gesundheitlichen Erschwernissen begründet, die allerdings sämtlich bereits in dem Zeitraum vor Fristbeginn aufgetreten waren. Soweit er auf eine zwischenzeitliche Urlaubsabwesenheit hinwies, hatte diese schon am 18. Oktober 2017 geendet. Angesichts dieser Umstände und der oben geschilderten Vorgeschichte hätte der Verwaltungsgerichtshof für einen ordnungsgemäßen, d.h. erkennbar nicht auf Verzögerung angelegten Fristverlängerungsantrag einen Hinweis darauf erwarten dürfen, in welcher Hinsicht der Kläger eine weitere Vertiefung seines in dem genannten Schriftsatz "vorsorglich" formulierten, immerhin mehrere Druckseiten umfassenden Sachvortrages überhaupt noch für erforderlich hielt. Das gilt umso mehr, als sich der Kläger darin mit den aus seiner Sicht entscheidungserheblichen Nachberechnungen der Straßenreinigungsgebühren der Jahre 2010 bis 2014 sowie der Planung für 2015 unter Vorlage von Auszügen der betreffenden Dokumente substantiiert auseinandergesetzt hat.

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Im Hinblick darauf, dass einerseits die genannten Urkunden, soweit beim Kläger vorhanden, schon mit der Erhebung der Wiederaufnahmeklage hätten eingereicht werden müssen (§ 153 VwGO i.V.m. § 588 Abs. 2 ZPO), andererseits jeder Hinweis auf konkret beabsichtigtes weiteres Vorbringen fehlte, war die gerügte Verfahrensweise des Verwaltungsgerichtshofs unter den hier vorliegenden besonderen Umständen nicht geeignet, dem Kläger das rechtliche Gehör abzuschneiden.

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cc) Auch der Umstand, dass der Verwaltungsgerichtshof den Kläger zwar auf eine mögliche Abweisung der Wiederaufnahmeklage als unbegründet hingewiesen hatte, nicht aber darauf, dass er die Klage teilweise (im Hinblick auf den Prüfbericht für das Jahr 2012) schon für unzulässig hielt, verletzt den Kläger nicht in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör.

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Eine ordnungsgemäße Anhörung zum Beschlussverfahren - sowohl nach § 125 Abs. 2 als auch nach § 130a VwGO - setzt voraus, dass sie das beabsichtigte Entscheidungsergebnis unmissverständlich erkennen lässt. Fehlt es an einer ordnungsgemäßen Anhörung, verstößt das Absehen von der mündlichen Verhandlung regelmäßig gegen das Gebot rechtlichen Gehörs, ohne dass es hierfür auf weitere Darlegungen des beschwerten Prozessbeteiligten ankommt (BVerwG, Urteil vom 21. März 2000 - 9 C 39.99 - BVerwGE 111, 69 <73 f.>; Beschluss vom 24. März 2006 - 10 B 55.05 - juris Rn. 4 m.w.N.). Diesen Anforderungen wird die Anhörungsmitteilung des Verwaltungsgerichtshofs (noch) gerecht.

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Das Zulässigkeitsbedenken, auf das der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Beschluss auch stützt, bezieht sich isoliert nur auf einen einzigen der in der Wiederaufnahmeklage erwähnten Prüfberichte, weil dieser dem Kläger bereits während des Berufungsverfahrens vorgelegen habe (§ 153 VwGO i.V.m. § 582 ZPO). Es erstreckt sich demgegenüber nicht auf die - jenen Bericht einschließenden - Gesamtheit aller die umstrittene Kalkulationsperiode 2010 bis 2014 betreffenden Berichte. Auf einen Gesamtvergleich dieser Berichte mit der denselben Zeitraum betreffenden Gebührenkalkulation der Beklagten hatte der Kläger aber zur Begründung seiner Wiederaufnahmeklage maßgeblich abgestellt (s. Schriftsatz vom 11. November 2017, S. 3 ff.; ebenso die Beschwerdebegründung vom 6. Februar 2018, S. 2).

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Ausgehend davon hat der Verwaltungsgerichtshof die Klage in Bezug auf "die" vom Kläger benannten Wirtschaftsprüferberichte insgesamt einer Sachprüfung unterzogen und sie als unbegründet erachtet. Die Regel, dass eine von der Vorinstanz einer Prozessabweisung beigefügte Sachbeurteilung bei der Bestimmung des maßgeblichen Entscheidungsinhalts als nicht geschrieben behandelt wird (BVerwG, Urteil vom 12. Juli 2000 - 7 C 3.00 - BVerwGE 111, 306 <312>; Beschluss vom 24. Oktober 2006 - 6 B 47.06 - Buchholz 442.066 § 24 TKG Nr. 1 Rn. 18), kann daher auf die spezifische Begründung des hier angefochtenen Beschlusses nicht angewendet werden. Vielmehr handelt es sich bei der darin enthaltenen Feststellung, dass die Klage in Bezug auf den Prüfbericht für 2012 - bei isolierter Betrachtung - (sogar) unzulässig sei, um ein überschießendes Begründungselement, das hinweggedacht werden kann, ohne dass sich das Entscheidungsergebnis wesentlich ändert. Bei dieser Sachlage wird der angefochtene Beschluss von der Anhörungsmitteilung hinreichend gedeckt.

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dd) Schließlich hat der Verwaltungsgerichtshof den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör nicht dadurch verletzt, dass er seine beabsichtigte Entscheidungsbegründung nicht vorab mitgeteilt hat. Zwar muss die Anhörung, wie schon erwähnt, das Entscheidungsergebnis unmissverständlich erkennen lassen. Die - vor der Schlussberatung nur vorläufigen - Gründe für die in Betracht gezogene Entscheidung müssen jedoch in der Anhörungsmitteilung nicht angegeben werden. Etwas anderes gilt nur, falls das Gericht auf einen rechtlichen Gesichtspunkt abstellen will, mit dem nach bisherigem Prozessverlauf nicht zu rechnen war (vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 4. Oktober 2010 - 9 B 17.10 - juris Rn. 6 m.w.N.).

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Die zuletzt genannte Ausnahme lag hier nicht vor. Dass der Verwaltungsgerichtshof nach seiner materiellen Rechtsauffassung, die der Beurteilung des gerügten Verfahrensfehlers zugrunde zu legen ist, die nachträglich gefertigten Prüfberichte im Hinblick auf die Rechtmäßigkeit der Gebührenkalkulation für unerheblich hielt, war nicht überraschend. Denn im Berufungsurteil vom 20. November 2014 (S. 23 UA, Bl. 542 GA) hatte er bereits einen diesbezüglichen Beweisantrag des Klägers mit der entsprechenden Begründung abgelehnt.

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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwertes auf § 52 Abs. 3 GKG.

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