Beschluss vom Landesarbeitsgericht Hamm - 14 Ta 179/22
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Hamm vom 31. Mai 2022 (3 Ca 1493/21) aufgehoben.
Das Verfahren wird zur erneuten Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag des Klägers an das Arbeitsgericht zurückverwiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
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Arbeitsgericht Hamm |
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Landesarbeitsgericht Hamm Beschluss In dem Beschwerdeverfahren |
hat die 14. Kammer des Landesarbeitsgerichts Hamm
4durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Henssen
5ohne mündliche Verhandlung am 5. September 2022
6beschlossen:
7Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Hamm vom 31. Mai 2022 (3 Ca 1493/21) aufgehoben.
8Das Verfahren wird zur erneuten Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag des Klägers an das Arbeitsgericht zurückverwiesen.
9Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
10Gründe
11I. Der Kläger erhob unter dem 30. Dezember 2021 eine Kündigungsschutzklage. Zugleich beantragte er die Bewilligung von Prozesskostenhilfe, was er wie folgt begründete:
12Der Kläger ist aufgrund seiner persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht der Lage, für die Kosten des Verfahrens aufzukommen, entsprechende verhält sich beigefügte Erklärung nebst Belegen.
13Eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers unter Verwendung des amtlichen Vordrucks nebst Belegen war nicht beigefügt. Ein Hinweis des Arbeitsgerichts hierauf erfolgte während des gesamten Verfahrens nicht.
14Im Termin vom 11. Mai 2022 schlossen die Parteien einen bestandskräftigen Vergleich über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses, mit dem zugleich ein weiteres vor einer anderen Kammer des Arbeitsgerichts später anhängig gewordenes Verfahren über Zahlungsansprüche miterledigt wurde. In diesem Verfahren (4 Ca 267/22) hatte der Kläger ebenfalls Prozesskostenhilfe beantragt und zunächst zur Begründung auf die Erklärung nebst Belegen in einem weiteren Verfahren verwiesen, das unter dem Aktenzeichen 3 Ca 1401/21 in der Kammer anhängig war, welche die hier angefochtene Entscheidung erlassen hat. Später (am 30. März 2022) hatte er eine aktuelle Erklärung nebst Belegen in dem Verfahren vor der 4. Kammer eingereicht, welche sodann unter dem 25. April 2022 Prozesskostenhilfe bewilligte.
15Im vorliegenden Verfahren wies das Arbeitsgericht mit Beschluss vom 31. Mai 2022 unter Hinweis auf die fehlende Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse den Prozesskostenhilfeantrag des Klägers zurück. Gegen die am 1. Juni 2022 zugestellte Entscheidung legte der Kläger am 7. Juni 2022 sofortige Beschwerde ein. Zur Begründung verwies er auf das Verfahren 4 Ca 267/22 und allgemein auf weitere vorher in der erkennenden Kammer anhängig gewesenen Verfahren und vertrat die Ansicht, dass er eine neue Erklärung nicht habe vorlegen müssen, weil das Gericht auf die Vorverfahren habe zugreifen können. Das Arbeitsgericht hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und dies damit begründet, die Bezugnahme auf einen im Parallelverfahren eingereichten Vordruck sei nur zulässig, wenn dieser in Kopie beigefügt werde mit der Erklärung, dass sich an den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nichts geändert habe.
16II. Die gemäß § 46 Abs. 2 Satz 3, § 78 Satz 1 ZPO, § 127 Abs. 2 Satz 2 und 3, §§ 567 ff. ZPO zulässige sofortige Beschwerde des Klägers ist begründet und führt zur Zurückverweisung des Bewilligungsverfahrens an das Arbeitsgericht. Zwar hat der Kläger bis zur Beendigung des Rechtsstreits keine Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vorgelegt. Dies steht einer – rückwirkenden – Bewilligung nicht entgegen, weil das Arbeitsgericht seine Hinweispflicht verletzt hat und davon auszugehen ist, dass bei rechtzeitiger Erteilung eines Hinweises der Kläger noch vor Beendigung des Verfahrens die Erklärung zu den Akten gereicht hätte. Dazu hat das Arbeitsgericht zunächst die aktuellen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers aufzuklären.
171. Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass eine Prozesskostenhilfebewilligung ausgeschlossen ist, wenn bis zur Beendigung der Instanz ein bewilligungsfähiger Antrag nicht vorgelegt wird. Dazu gehört gemäß § 117 Abs. 2 und 4 ZPO zwingend die Verwendung des amtlichen Vordrucks für die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse (vgl. BVerfG 8. November 2018 – 1 BvR 1020/17 – juris, Rn. 1; 27. Oktober 2017 – 1 BvR 1746/16 – juris, Rn. 3; BAG 3. Dezember 2003 – 2 AZB 19/03 – juris, Rn. 10; BGH 29. November 2012 – III ZA 32/12 – juris, Rn. 3 f.; BFH 19. Oktober 2017 – X S 9/17 (PKH) – juris, Rn. 13 f.; LAG Hamm 24. Juni 2019 – 14 Ta 204/19 – juris, Rn. 6). Dies gilt insbesondere nach den zum 1. Januar 2014 in Kraft getretenen Änderungen des Prozesskostenhilferechts und der danach bestehenden Belehrungspflicht im Formular über die Verpflichtungen, welche einer Prozesskostenhilfe beantragenden Partei nach § 120a Abs. 2 ZPO obliegen (vgl. Sächsisches OVG 16. November 2018 – 3 D 71/18 – juris, Rn. 4; LAG Hamm, aaO.).
18Bis zum Abschluss des am 11. Mai 2022 vereinbarten bestandskräftigen gerichtlichen Vergleichs lag eine solche Erklärung des Klägers nicht vor. Das steht grundsätzlich einer rückwirkenden Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach Beendigung des Rechtsstreits entgegen.
192. Das Arbeitsgericht hat jedoch seine Hinweispflicht verletzt, als es den Kläger nicht darauf hinwies, dass entgegen der Begründung in der Klageschrift die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht beigefügt war.
20a) Das Gebot der Rechtsschutzgleichheit von bemittelten und unbemittelten Parteien erfordert es bei der Ablehnung eines Prozesskostenhilfeantrags, dass hinsichtlich der richterlichen Hinweispflichten ein ebenso strenger Maßstab anzulegen ist wie in einem Hauptsacheverfahren (vgl. BVerfG 12. November 2007 – 1 BVR 48/05 – juris, Rn. 17). Verbleibende Ungewissheiten bezüglich des Vortrags eines Antragstellers können und müssen im Prozesskostenhilfeverfahren durch diesbezügliche Hinweise ausgeräumt werden, wenn dies für die Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung ausschlaggebend ist. Das Arbeitsgericht ist verpflichtet, vor einer Entscheidung, mit der es Prozesskostenhilfe zurückweist, auf Mängel der Klagebegründung, die eine Erfolgsaussicht in Frage stellen oder eine Mutwilligkeit der Klageerhebung begründen können, zeitnah hinzuweisen, statt zunächst einen Antrag unbearbeitet zu lassen und erst kurz vor bzw. nach Instanzbeendigung das Prozesskostenhilfegesuch aus diesem Grund abzulehnen (vgl. BVerfG, 12. November 2007, aaO.; LAG Hamm 21. Juni 2011 – 5 Ta 334/11 – juris, Rn. 10; 17. Juni 2013 – 14 Ta 77/13 – juris, Rn. 12).
21b) Gleiches gilt für etwaige Mängel bei der Darlegung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse. Nach Eingang eines Prozesskostenhilfegesuchs darf das Arbeitsgericht nicht bis zur Instanz- bzw. Verfahrensbeendigung warten und dann den Prozesskostenhilfeantrag wegen Unvollständigkeit des Vordrucks und/oder der Unterlagen zurückweisen. Es muss vielmehr so rechtzeitig unter Fristsetzung auf die Mängel des Gesuchs hinweisen, dass diese vor dem (nächsten) Termin, der je nach dem Zeitpunkt der Einreichung des Prozesskostenhilfeantrags bzw. der Unterlagen der Güte-oder Kammertermin sein kann, und damit vor der (möglichen) Instanz- oder Verfahrensbeendigung behoben werden können. Die Behebung von Mängeln der Antragstellung nach Instanzbeendigung kann nicht zu Lasten der PKH-Partei gehen, wenn das Arbeitsgericht auf vorhandene Mängel überhaupt nicht hingewiesen und/oder keine Frist zur Beseitigung derselben gesetzt hat (vgl. LAG Hamm 8. November 2001 – 4 Ta 708/01 – juris, Rn. 15; 8. Oktober 2007 – 18 Ta 509/07 – juris, Rn. 15; 17. Juni 2013 – 14 Ta 77/13 – juris, Rn. 13).
22c) Bei der fehlenden Erklärung des Klägers über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse handelt es sich um einen Mangel. Dieser war seit Eingang der Klageschrift vom 30. Dezember 2021, welche auch den Prozesskostenhilfeantrag enthielt, bekannt. Ein Hinweis auf diesen Mangel des Antrages durch das Arbeitsgericht ist weder dem PKH-Beiheft noch der Hauptakte zu entnehmen. Das PKH-Beiheft enthält vor Erlass der angefochtenen Entscheidung lediglich den Antrag, das Protokoll der Sitzung vom 11. Mai 2022 sowie den Antrag des Prozessbevollmächtigten des Klägers auf Festsetzung der Vergütung des beigeordneten Rechtsanwalts vom 17. Mai 2022. Gerichtlicherseits sind dem PKH-Beiheft lediglich ein das Wort „Gesehen“ enthaltender Vermerk der Vertreterin der Vorsitzenden vom 3. Januar 2022 sowie interne Bearbeitungsvermerke des Sachbearbeiters und der Rechtspflegerin im Rahmen der Vorprüfung vom 13. bzw. 19. Mai 2022 vor Erlass der angefochtenen Entscheidung zu entnehmen.
23d) Die Auffassung des Bundesarbeitsgerichts, ein Arbeitsgericht sei weder nach § 118 Abs. 2 Satz 4 ZPO verpflichtet, vor einer Instanzbeendigung (im dort entschiedenen Fall durch Feststellung des Zustandekommens eines Vergleichs) auf das Fehlen der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse hinzuweisen, noch lasse sich eine entsprechende Hinweispflicht aus § 139 ZPO herleiten (vgl. BAG 31. Juli 2017 – 9 AZB 32/17 – juris, Rn.6), ist unzutreffend, ihr ist nicht zu folgen.
24aa) Zur Begründung seiner Auffassung verweist das Bundesarbeitsgericht darauf, einem Rechtsanwalt müsse die Notwendigkeit der Einreichung der formularmäßigen Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse bekannt sein. Es sei für eine fehlende Hinweispflicht nicht zusätzlich erforderlich, dass er ankündige, die Erklärung nachreichen zu wollen. Zudem stehe es der anwaltlich vertretenen Partei frei, einen Vergleich zunächst abzulehnen und weiterhin die Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu verlangen.
25bb) Soweit eine Hinweispflicht aus § 118 Abs. 2 Satz 4 ZPO verneint wird, ist dem entgegenzuhalten, dass die Setzung einer Frist nach dieser Vorschrift es stets erfordert, die Angaben und Belege und damit die Mängel zu konkretisieren, welche innerhalb der gesetzten Frist von der Partei zu beheben sind. Ein allgemeiner Hinweis auf Mängel genügt nicht (vgl. LAG Hamm 17. Juni 2013 – 14 Ta 77/13 – juris, Rn. 15 ff.; LAG Schleswig-Holstein 18. Dezember 2015 – 3 Ta 142/15 – juris, Rn. 15 ff.). Dies gilt auch für den Mangel, dass die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse fehlt, wenn das Gericht sich entschließt, unter Setzung einer Frist nach § 118 Abs. 2 Satz 4 ZPO die Partei aufzufordern, diesen zu beheben.
26Allerdings begründet diese Vorschrift keine allgemeine Hinweispflicht, auf Mängel des Prozesskostenhilfegesuchs hinzuweisen (vgl. LAG Baden-Württemberg 27. Februar 2017 – 14 Ta 18/16 – juris, Rn. 16). Nur dann, wenn eine Fristsetzung erfolgen soll, ist das Gericht zur Konkretisierung der innerhalb der Frist zu behebenden Mängel verpflichtet.
27cc) § 139 ZPO gilt aufgrund seiner Stellung in den allgemeinen Vorschriften für alle Verfahren und Rechtszüge der ZPO, in und außerhalb der mündlichen Verhandlung, im Partei- wie im Anwaltsprozess (vgl. BeckOK ZPO/Vorwerk/Wolf, 45. Edition, Stand 1. Juli 2022, § 139 ZPO Rn. 11; Musielak/Voit/Stadler, 19. Auflage, 2022, § 139 ZPO Rn. 3; MüKoZPO/Fritsche, 6. Aufl. 2020, § 139 ZPO Rn. 4 f.; jeweils m. w. N.). Dementsprechend gilt er auch im Verfahren über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe. Eine Einschränkung der richterlichen Hinweispflichten allein auf den Bereich der Erfolgsaussicht lässt sich damit nicht vereinbaren. Das verpflichtet das Gericht nach § 139 Abs. 1 Satz 2 ZPO bei Mängeln in der Darlegung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse hierauf hinzuweisen, bevor es eine Entscheidung zulasten der Partei treffen kann.
28dd) Es ist unerheblich, dass einem Rechtsanwalt die Notwendigkeit der Einreichung der formularmäßigen Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse bekannt sein muss. Dies schließt, wenn diese Erklärung fehlt, eine Hinweispflicht nicht aus.
29(1) Die Reichweite einer Hinweispflicht nach § 139 ZPO bei anwaltlich vertretenen Parteien ist umstritten. Einerseits wird vertreten, die richterliche Hinweispflicht bestehe prinzipiell ohne Einschränkung auch bei anwaltlicher Vertretung (vgl. MüKoZPO/Fritsche, aaO., § 139 ZPO Rn. 5); andererseits soll eine verhaltenere Aufklärung durch das Gericht geboten sein (so Musielak/Voit/Stadler, aaO., § 139 ZPO Rn. 6). Insoweit gilt allgemein, dass eine Hinweispflicht grundsätzlich in Prozessen, in denen die Partei durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten wird, jedenfalls dann besteht, wenn der Rechtsanwalt die Rechtslage ersichtlich falsch beurteilt hat oder darauf vertrauen konnte, dass sein schriftsätzliches Vorbringen ausreichend sei. Etwas anderes gilt hinsichtlich solcher Anforderungen an den Sachvortrag, mit denen ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf rechnen musste (vgl. BGH 5. Juni 2003 – I ZR 234/00 – juris, Rn. 28).
30Das Gericht kann daher die unterschiedlichen Erwartungen, die sich an die juristischen Kenntnisse und Fertigkeiten von Laien und Rechtskundigen richten, in seine Prüfung einbeziehen, ob Aufklärungsmaßnahmen oder Hinweise erforderlich sind oder nicht (vgl. BeckOK ZPO/Vorwerk/Wolf, aaO., § 139 ZPO Rn. 3.1). Die bei einem Rechtsanwalt vorauszusetzende Rechtskunde kann und wird deshalb häufig dazu führen, dass für das Gericht nicht erkennbar ist, wenn der Anwalt die Rechtslage verkennt (vgl. BeckOK ZPO/von Selle, aaO., § 139 ZPO Rn. 17). Die Prozessleitung hängt jedoch nicht davon ab, ob den Anwalt ein Verschulden trifft (vgl. BeckOK ZPO/von Selle, aaO.); anders als § 233 ZPO ist § 139 ZPO nicht nach dem Verschuldensprinzip konstruiert (vgl. MüKoZPO/Fritsche, aaO., § 139 ZPO Rn. 5; ebenso Musielak/Voit/Stadler, aaO., § 139 ZPO Rn. 22).
31(2) Zwar hat ein Rechtsanwalt grundsätzlich als gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter zu wissen, dass die Bewilligung von Prozesskostenhilfe es erfordert, eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst Belegen dem Antrag beizufügen, damit über diesen – positiv – entschieden werden kann. Daraus allein lässt sich jedoch nicht eine fehlende Hinweispflicht ableiten. Denn zu beurteilen ist der Mangel, der in der Nichterfüllung dieser Anforderung besteht. Ein solcher Mangel kann auch einem gewissenhaften Prozessbevollmächtigten unterlaufen und im konkreten Einzelfall möglicherweise auch vorwerfbar sein. Das entbindet das Gericht nicht davon, auf den Mangel gemäß § 139 Abs. 1 Satz 2 ZPO hinzuweisen, bevor es darauf eine ablehnende Entscheidung stützt. Denn es kommt nicht auf ein Verschulden an. Das Gericht ist trotzdem verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass die Partei sich rechtzeitig und vollständig über alle erheblichen Tatsachen erklärt, insbesondere ungenügenden Angaben – hier aufgrund des fehlenden Erklärungsvordrucks – ergänzt.
32(3) Zudem verpflichtet der aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip folgende Anspruch des Rechtsuchenden auf ein faires Verfahren das Gericht zur Rücksichtnahme auf die Parteien. Das Gebot der Rücksichtnahme gilt im Prozesskostenhilfeverfahren in besonderem Maße. Dementsprechend ist es in Rechtsprechung und Literatur anerkannt, dass das Gericht einen Antrag auf Prozesskostenhilfe nicht wegen unterlassener Einreichung des in § 117 Abs. 4 ZPO vorgeschriebenen Vordrucks ablehnen darf, wenn es die Partei nicht zuvor erfolglos auf die Unvollständigkeit ihres Antrags hingewiesen und ihr eine Frist gesetzt hat, innerhalb welcher der Vordruck einzureichen ist (vgl. BGH 27. August 2019 – VI ZB 32/18 – juris, Rn. 14 ff.; Zöller/Schultzky, ZPO, 34. Auflage, 2022, § 117 ZPO Rn.27; jeweils m. w. N.).
33Zwar ist es zutreffend, dass die vorstehend zitierte Entscheidung des Bundesgerichtshofs (27. August 2019 – VI ZB 32/18 – juris) den Fall der Antragstellung durch eine „rechtsunkundige“ Partei betrifft. Die allgemeinen Grundsätze einer Rücksichtnahme im Prozesskostenhilfeverfahren sowie die daraus folgende Hinweispflicht vor einer ablehnenden Entscheidung sind aber ausweislich der Begründung ohne Beschränkung auf diesen Fall formuliert (vgl. BGH aaO., Rn. 14 ff.). Dementsprechend kann aus der anwaltlichen Vertretung keine Einschränkung der Hinweispflicht abgeleitet werden.
34ee) Darüber hinaus handelt es sich– jedenfalls nach teilweise vertretener Auffassung im Prozesskostenhilferecht – um eine von Amts wegen zu prüfende Zulässigkeitsvoraussetzung der ordnungsgemäßen Antragstellung (vgl. Gottschalk/Schneider, Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, Beratungshilfe, 10. Auflage 2022, Rn. 107 f. m. w. N. auch zur Gegenauffassung, u. a. LAG Hamm 20. November 2002 – 4 Ta 96/02 – juris, Rn. 8), so dass auf Bedenken gemäß § 139 Abs. 3 ZPO hinzuweisen ist (vgl. BeckOK ZPO/von Selle, aaO., § 139 ZPO Rn 42.1).
35ff) Unabhängig davon, ob die Beifügung des Erklärung Zulässigkeitsvoraussetzung des Prozesskostenhilfeantrags ist oder nicht, bleibt ein Hinweis erforderlich, wenn diese fehlt (a. A. LAG Baden-Württemberg 27. Februar 2017 – 14 Ta 18/16 – juris, Rn. 23). Etwas anderes gilt nur dann, wenn in der Begründung des Antrags angekündigt wird, dass die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nachgereicht wird. In diesem Fall ist der Partei (und ihrem Anwalt) die Notwendigkeit bekannt, dass der amtliche Vordruck nebst Belegen noch einzureichen ist (vgl. BAG 5. Dezember 2012 – 3 AZB 40/12 – juris, Rn. 13), d. h. es besteht Kenntnis von dem Mangel der Antragstellung. In allen anderen Fällen ist genau dies unklar, so dass Anhaltspunkte dafür bestehen, dass dieser Mangel schlicht übersehen worden ist. Dies zu klären, dient die Hinweispflicht des § 139 Abs. 1 Satz 2 ZPO. Das gilt erst recht in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem der Antrag die Erklärung enthält, der Vordruck nebst Belegen sei beigefügt (vgl. LAG Rheinland-Pfalz 24. Juli 2015 – 2 Ta 101/15 – juris, Rn. 2; LAG Köln 7. März 2014 – 1 Ta 37/14 – juris, Rn. 7; LAG Hamm 27. Mai 2013 – 5 Ta 157/13 – juris, Rn. 10). Das verpflichtet zusätzlich nach § 139 Abs. 2 ZPO zu einem Hinweis, weil die Partei vertreten durch ihren Anwalt erkennbar übersehen hat, dass die Beifügung unterblieben ist.
36gg) Die Meinung, eine Hinweispflicht würde gegen die Verpflichtung zur Neutralität verstoßen und würde zudem eine genauere Buchführung des Gerichts als die der Partei in eigener Angelegenheit voraussetzen (so LAG Baden-Württemberg 27. Februar 2017 – 14 Ta 18/16 – juris, Rn. 24; 3. April 2012 – 12 Ta 28/11 – juris, Rn. 19 f.) ist weder in den genannten Entscheidungen begründet worden noch sachlich nachvollziehbar. Zum einen geht es nicht um Buchführung, sondern um eine ordnungsgemäße Bearbeitung des Prozesskostenhilfeantrages durch das Gericht. Zum anderen wird die Verpflichtung zur Neutralität gegenüber dem Gegner der die Prozesskostenhilfe beantragenden Partei nicht durch sachlich gebotene Hinweise im Bewilligungsverfahren verletzt.
37hh) Die Möglichkeit der Partei, einen Vergleich erst dann abzuschließen, wenn die Prozesskostenhilfe bewilligt wurde, lässt eine Hinweispflicht nicht entfallen. Gerade in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem über Monate hinweg eine sachliche Bearbeitung des Prozesskostenhilfeantrages gerichtlicherseits nicht erfolgt, besteht kein Anlass für die Partei, aufgrund der aus ihrer Sicht mangels gegenteiligen Hinweises lediglich hypothetischen Möglichkeit einer mangelhaften Antragstellung und daher bestehender Gefahr einer Zurückweisung des Prozesskostenhilfegesuchs auf den Vergleichsabschluss zu verzichten.
38e) Bei einem rechtzeitig erteilten Hinweis, der bei einer unmittelbar durchgeführten Bearbeitung des Prozesskostenhilfeantrages noch vor dem erstmals für den 2. Februar 2022 anberaumten und schließlich nach mehrfacher Verlegung am 30. März 2022 durchgeführten Gütetermin hätte ergehen können, ist davon auszugehen, dass der Kläger bzw. sein Prozessbevollmächtigter spätestens bis zu diesem Zeitpunkt entweder eine neue Erklärung vorgelegt oder unter Bezugnahme auf die in dem zuvor vor der erkennenden Kammer anhängigen bzw. anhängig gewesenen Verfahren 3 Ca 1401/21 vorgelegte Erklärung seinen aktuellen Antrag begründet hätte (wie in dem nachfolgenden Verfahren 4 Ca 267/22). Ob die Vorlage einer Kopie der dort abgegebenen Erklärung erforderlich gewesen wäre (so generell LAG Schleswig-Holstein 4. Juni 2013 – 5 Ta 82/13 – juris, Rn. 12), ist zweifelhaft, da anders als die von diesem Gericht in Bezug genommenen Entscheidungen es weder um ein Hindernis in Bezug auf eine andere zeitnah innerhalb bestimmter Frist zu treffende Entscheidung geht (so bei BGH 9. Februar 2005 – XII ZB 118/04 – juris, Rn. 12) noch um den ausdrücklich einer Bezugnahme auf vorher eingereichte Unterlagen entgegenstehenden richterlichen Hinweis (so in OLG Frankfurt 17. Juni 2010 – 5 WF 131/10 – juris, Rn. 6). In einem Kündigungsschutzverfahren bestehen hinreichende zeitliche Möglichkeiten, durch Hinweise Mängel der Antragstellung aufzuklären.
393. Das Arbeitsgericht wird nunmehr die aktuellen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers nach Zurückverweisung unter Anforderung einer neuen Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst aktuellen Belegen aufzuklären haben. Hinsichtlich der Erfolgsaussicht wird es dabei unter Berücksichtigung allgemeiner Grundsätze (vgl. dazu LAG Hamm 22 Juli 2013 – 14 Ta 138/13 – juris) auf einen Zeitpunkt vor Abschluss des Verfahrens abzustellen haben.
404. Gründe für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde bestehen nicht. Der Kläger ist nicht beschwert, für die Staatskasse besteht kein Beschwerderecht nach § 127 Abs. 3 ZPO.
41Rechtsmittelbelehrung
42Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.
43Henssen
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