Beschluss vom Landesarbeitsgericht Köln - 12 Ta 298/15
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Aachen vom 28. Juli 2015 - 2 Ca 4950/14 - aufgehoben und die Sache zur Prüfung der Voraussetzungen der Prozesskostenhilfe an das Arbeitsgericht Aachen zurückverwiesen.
1
Gründe
2I.
3Der Kläger - verheiratet und Vater von drei Kindern in Lebensgemeinschaft mit zwei weiteren Kindern - begehrt Prozesskostenhilfe für die Durchsetzung einer Zahlungsforderung iHv. 1.050,05 Euro wegen Überpfändung seines Arbeitseinkommens im Arbeitsverhältnis bei der Beklagten.
4Im Gütetermin vor dem Arbeitsgericht - zu dem beide Parteien erschienen sind - hat der Kläger erklärt, keine Unterlagen der Klage beigefügt zu haben. Er werde diese nachreichen. Daraufhin hat das Gericht das Ruhen des Verfahrens angeordnet.
5Mit der Klage hat der Kläger Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt und die Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse abgegeben.
6Das Arbeitsgericht hat sechs Monate nach dem Gütetermin den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe am 28. Juli 2015 mit dem Hinweis darauf zurückgewiesen, das Verfahren sei im Termin ruhend gestellt worden. Mangels Antrags auf Terminierung gelte die Klage nach § 54 Abs. 5 ArbGG iVm. § 269 ZPO als zurückgenommen.
7Mit der sofortigen Beschwerde vom 31. August 2015 wendet sich der Klägervertreter gegen den Beschluss und beantragt Fortsetzung des Verfahrens.
8In der Nichtabhilfeentscheidung vom 1. September 2015 bekräftigt das Gericht seine Ausführungen zur fehlenden Verhandlung der Parteien in der Gütesitzung.
9II.
10Die frist- und formgerecht eingelegte Beschwerde ist begründet. Die gemäß § 127 Abs. 2 Satz 2 u. 3 ZPO, § 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, § 11a Abs. 1 ArbGG zulässige sofortige Beschwerde hat in der Sache Erfolg. Jedenfalls mit der vom Arbeitsgericht gegebenen Begründung durfte die Bewilligung der Prozesskostenhilfe nicht verweigert werden.
111. Nach § 114 Satz 1 ZPO kann Prozesskostenhilfe lediglich für eine „beabsichtigte“ Rechtsverfolgung gewährt werden. Nach § 117 Abs. 2 Satz 1 ZPO sind dem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe eine Erklärung der Partei über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie entsprechende Belege beizufügen. § 117 Abs. 4 ZPO schreibt vor, dass sich die Parteien für die Erklärung der amtlichen Vordrucke zu bedienen haben. Grundsätzlich kann erst zu dem Zeitpunkt, in dem diesen Anforderungen genügt ist, Prozesskostenhilfe bewilligt und ein Rechtsanwalt beigeordnet werden (BGH 8. Oktober 1991 - XI ZR 174/90 - NJW 1992, 839; BFH 13. Mai 1992 - II S 1/92 - zu II der Gründe). Jedoch kann die Rückwirkung bis zu dem Zeitpunkt erstreckt werden, in dem der Antragsteller durch einen formgerechten Bewilligungsantrag von seiner Seite aus alles für die Bewilligung Erforderliche und Zumutbare getan hat (BAG 16. Februar 2012 - 3 AZB 34/11 - Rn. 13, EzA ZPO 2002 § 114 Nr. 3; 8. November 2004 - 3 AZB 54/03 - zu II 2 b der Gründe, BAG-Report 2005, 379; BGH 8. Oktober 1991 - IX ZR 174/90 - zu 2 der Gründe, aaO). Soweit die Voraussetzungen für eine rückwirkende Bewilligung vorliegen, sind aus der Staatskasse die Tätigkeiten des beigeordneten Rechtsanwalts zu vergüten, die dieser auf die Hauptsache bezogen bei oder nach dem Eingang des Prozesskostenhilfeantrags erbracht hat (BGH 10. Oktober 1995 - VI ZR 396/94 - zu II 1 der Gründe, AGS 1997, 141). Nach Abschluss der Instanz ist die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht mehr möglich (BAG 5. Dezember 2012 - 3 AZB 40/12 -; 16. Februar 2012 - 3 AZB 34/11 - Rn. 13, EzA ZPO 2002 § 114 Nr. 3; 3. Dezember 2003 - 2 AZB 19/03 - zu II 2 b der Gründe, MDR 2004, 415).
122. Bereits aus diesem Gesichtspunkt erweist sich der Beschluss des Arbeitsgerichts als fehlerhaft. Der Kläger hat vor dem Beschluss des Arbeitsgerichts durch seinen formgerechten Bewilligungsantrag von seiner Seite aus alles für die Bewilligung Erforderliche und Zumutbare getan hat. Das Gericht hat ihn auch nicht aufgefordert, an seiner Erklärung Ergänzungen vorzunehmen oder ergänzende Nachweise vorzulegen. Es hat die Frage der rückwirkenden Bewilligung erkennbar weder erwogen noch geprüft.
133. Darüber hinaus ist das Verfahren durch fingierte Klagerücknahme nicht beendet. Die Voraussetzungen des § 54 Abs. 5 ArbGG lagen nicht vor.
14a) Nach Satz 1 dieser Vorschrift ist das Ruhen des Verfahrens anzuordnen, wenn beide Parteien in der Güteverhandlung nicht erscheinen oder nicht verhandeln. Liegen diese Voraussetzungen vor, ist auf Antrag einer Partei Termin zur streitigen Verhandlung zu bestimmen. Dieser Antrag kann jedoch nur innerhalb von sechs Monaten nach der Güteverhandlung gestellt werden. Nach Ablauf dieser Frist gelten die Regeln des § 269 Abs. 3 bis 5 ZPO über die Wirkungen der Klagerücknahme entsprechend (§ 54 Abs. 5 Satz 2 bis 4 ArbGG). Das Gesetz definiert nicht näher, wann die Parteien im Sinne der Bestimmung verhandeln, jedoch kann es nicht darauf ankommen, dass sie - wie dies § 137 Abs. 1 ZPO für die Einleitung der mündlichen Verhandlung vorsieht - ihre Anträge stellen (vgl. zu dieser Regelung: BAG 4. Dezember 2002 - 5 AZR 556/01 - BAGE 104, 86; 23. Januar 2007 - 9 AZR 492/06 - zu II 1 der Gründe, BAGE 121, 67). Das folgt daraus, dass in der Güteverhandlung eine Antragstellung überhaupt nicht möglich ist. Selbst dann, wenn die Parteien eine Alleinentscheidung durch den Vorsitzenden beantragen, ist dies nur in der Verhandlung, die sich unmittelbar an die Güteverhandlung anschließt, nicht jedoch in der Güteverhandlung selbst möglich (§ 55 Abs. 3 ArbGG). Demgemäß ist für die Frage, ob die Parteien verhandeln, auf den Zweck der Güteverhandlung abzustellen. Dieser besteht nach § 54 Abs. 1 ArbGG darin, eine gütliche Einigung der Parteien herbeizuführen. Die Parteien verhandeln deshalb im Sinne von § 54 Abs. 5 Satz 1 ArbGG dann, wenn sie bezogen auf diesen Zweck Erklärungen abgeben. Weitergehende Anforderungen können nicht gestellt werden. Insbesondere kann es nicht darauf ankommen, ob die Parteien „ausreichend verhandeln wollen“. Es liegt allein in der Entscheidung der Parteien, was sie als ausreichendes Verhandeln ansehen oder nicht. Weitergehende Anforderungen an die Parteien ergeben sich auch nicht aus § 54 Abs. 1 Satz 2 ArbGG, wonach der Vorsitzende zum Zwecke der gütlichen Einigung das gesamte Streitverhältnis mit den Parteien unter freier Würdigung aller Umstände zu erörtern hat. Diese Bestimmung richtet sich allein an den Vorsitzenden, nicht an die Parteien (BAG 22. April 2009 - 3 AZB 97/08 - Rn. 9 ff.).
15b) Die Parteien haben im Gütetermin verhandelt. Die Folgen des § 54 Abs. 5 ArbGG sind damit nicht eingetreten. Beide Parteien sind in der Güteverhandlung nicht nur erschienen, sie haben auch verhandelt. Sie haben ausweislich des Protokolls bezogen auf diesen Zweck Erklärungen abgeben. Der Kläger wollte Nachweise nachreichen. Dem ist die Beklagte nicht entgegengetreten. Weitergehende Anforderungen können an ein Verhandeln idS nicht gestellt werden. Wenn die Parteien zusätzlich übereinstimmend das Ruhen des Verfahrens wegen laufender Vergleichsverhandlungen beantragen, was hier aufgrund der Beweiskraft des Protokolls der Güteverhandlung (§ 165 ZPO) noch nicht einmal feststeht, haben sie gegenüber dem Gericht eine vergleichsbezogene Mitteilung gemacht und damit im hier maßgeblichen Sinne verhandelt. Wenn das Gericht deshalb danach das Ruhen des Verfahrens angeordnet hat, rechtfertigt sich dies nicht aus § 54 Abs. 5 Satz 1 ArbGG, sondern allenfalls aus § 251 ZPO.
164. Das Beschwerdegericht kann den angefochtenen Beschluss ausnahmsweise aufheben und das Verfahren statt einer eigenen Sachentscheidung an das Prozessgericht zurückverweisen.
17a) Das ist etwa geboten, wenn das Ausgangsgericht die Bewilligung ohne Prüfung der Erfolgsaussicht bereits wegen fehlender Bedürftigkeit versagt hat. Beurteilt das Beschwerdegericht diese Frage anders, so hat es nach Berechnung einer etwaigen Ratenzahlungspflicht ohne Entscheidung in der Sache das Verfahren zur Prüfung der Erfolgsaussicht und nochmaliger Entscheidung über das Gesuch an das Ausgangsgericht zurückzuverweisen (vgl. MüKoZPO/Motzer 3. Aufl. § 127 Rn. 33; Büttner/Wrobel-Sachs/Gottschalk/Dürbeck Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, Beratungshilfe 7. Aufl. Rn. 900).
18b) Das gilt auch, wenn das Ausgangsgericht wegen der vermeintlichen Beendigung des Verfahrens auch unter Missachtung der Vorgaben zur mgl. rückwirkenden Bewilligung von Prozesskostenhilfe die Bewilligung allein aus diesem Grund ohne Hinweise in der Sache und ohne Prüfung der hinreichenden Aussicht auf Erfolg oder der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse verweigert.
195. Gegen diesen Beschluss ist mangels Zulassung der Rechtsbeschwerde, für die kein Anlass besteht, ein weiteres Rechtsmittel nicht gegeben (§ 78 Satz 2 ArbGG iVm. § 72 Abs. 2 ZPO, § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO).
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