Urteil vom Landesarbeitsgericht Köln - 6 Sa 224/19
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 14.02.2019 - 8 Ca 6959/18 – wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten der Berufung hat die Beklagte zu tragen.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
1
T a t b e s t a n d
2Die Parteien streiten um die Auslegung einer tariflichen Regelung zur Berechnung des Urlaubsentgelts. Dabei streiten sie insbesondere um die Frage, ob der vom Tarifvertrag gewählte Begriff „vorausgehendes Beschäftigungsjahr“ gleichbedeutend mit dem Begriff „vorausgehendes Kalenderjahr“ ist.
3Die Beklagte betreibt eine öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt mit Sitz in K . Für die bei der Beklagten tätigen arbeitnehmerähnlichen Personen besteht ein Haustarifvertrag, nämlich der „Tarifvertrag für arbeitnehmerähnliche Personen im D funk“ (im Folgenden: „aäPTV“), auf dessen vollständigen Text Bezug genommen wird (Bl. 14 ff d.A.). Weiter gilt der „Urlaubstarifvertrag für arbeitnehmerähnliche Personen im D funk vom 09.06.1978“ (Im Folgenden: „Urlaubstarifvertrag“). Auch auf dessen vollständigen Text wird Bezug genommen (Bl. 6 ff d.A.). Nach dessen Abschnitt 1.2 gelten, soweit tarifvertraglich nichts anderes vereinbart ist, die Bestimmungen des Bundesurlaubsgesetzes. Zur Berechnung des Anspruches auf Urlaubsentgelt heißt es dort im Unterabschnitt 3.1 wörtlich (Unterstreichungen und eingefügte Absätze nur hier):
4„3.1. Der Mitarbeiter erhält von Deutschlandfunk unverzüglich nach Antragsbewilligung eine Urlaubsvergütung für die Urlaubstage, die ihm nach Abschnitt 2.1 dieses Tarifvertrages zustehen. Das Urlaubsentgelt wird wie folgt berechnet:
5Die Summe der Entgelte, die der Mitarbeiter im Bemessungszeitraum vom Deutschlandfunk erhalten hat, wird dividiert durch die Anzahl der Werktage, (ohne Samstage) im Bemessungszeitraum und dann mit der Zahl der Urlaubstage multipliziert.
6Ist der Mitarbeiter ein volles Beschäftigungsjahr für den D funk tätig gewesen, ist der Bemessungszeitraum das vorausgehende Beschäftigungsjahr.
7Anderenfalls
8ist der Bemessungszeitraum die tatsächliche vorausgehende Zeit der Beschäftigung bis zu 12 Monaten.“
9Bei der Auslegung dieser Tarifnorm streiten die Parteien um die Frage, ob mit dem „vorausgehenden Beschäftigungsjahr“ in der ersten Alternative das vorausgehende Kalenderjahr gemeint ist, ob es also beispielweise um das Kalenderjahr 2017 geht für einen im Kalenderjahr 2018 beantragten, bewilligten und genommenen Urlaub.
10Die Klägerin ist am geboren und seit Juli 2012 für die Beklagte als freie Mitarbeiterin tätig. Sie begann ihre Einsätze zunächst im Rahmen einer geringfügigen Beschäftigung während des Studiums. Erst ab dem Jahre 2014 galt sie unstreitig als arbeitnehmerähnliche Person im Sinne des aäPTV. Hierzu heißt es in Abschnitt 5 aäPTV:
11„Das arbeitnehmerähnliche Rechtsverhältnis … beginnt mit dem Eintritt der Voraussetzungen nach den Abschnitten 2 und 3, ohne dass es im Einzelfall einer ausdrücklichen Erklärung oder Feststellung bedarf.“
12In den so in Bezug genommenen Abschnitten 2 und 3 heißt es (Unterstreichung nur hier):
13„2. […] die wirtschaftliche Abhängigkeit des Mitarbeiters ist gegeben, wenn er … mehr als die Hälfte seiner erwerbsmäßigen Gesamtentgelte … in den letzten sechs Monaten vor Geltendmachung eines Anspruchs aus diesem Tarifvertrag … bezogen hat […]“
14„3. […] die soziale Schutzbedürftigkeit des Mitarbeiters ist gegeben, wenn er in dem Erwerbszeitraum von sechs Monaten gemäß Abschnitt 2 mindestens an 42 Tagen (einschließlich Urlaubs- und Krankheitstage) … aufgrund vertraglicher Verpflichtung tätig war. […]“
15Aus Abschnitt 5 und dessen Bezugnahme auf Abschnitt 2 und 3 ergibt sich also ausdrücklich, dass der Status der arbeitnehmerähnlichen Person nach diesem Tarifvertrag erst dann festgestellt und als gegeben und anspruchsbegründend angenommen werden kann, wenn von der freien Mitarbeiterin oder dem freien Mitarbeiter ein (Entgeltfortzahlungs- oder Urlaubs-)Anspruch aus diesem Tarifvertrag bzw. dem Urlaubstarifvertrag geltend gemacht wird. Aus den Unterabschnitten 5.2 bis 5.9 des aäPTV ergibt sich für die Folgezeit ein Bestandsschutz hinsichtlich dieses einmal festgestellten Status. Dieser besondere Bestandsschutz ist gestaffelt nach „Beschäftigungsjahren“. In Abschnitt 2.2.1 heißt es in Absatz 4 wörtlich:
16„Das Kalenderjahr, in dem ein Urlaubsanspruch berechtigt geltend gemacht wird, gilt als Beschäftigungsjahr.“
17Nach Unterabschnitt 5.9 ist die Unterbrechung dieser anrechenbaren Beschäftigungszeit „bei Vorliegen wichtiger Gründe“ möglich.
18In der Zeit vom 01.04.2015 bis zum 30.09.2017 war die Klägerin so gut wie gar nicht für die Beklagte tätig. In dieser Zeit hatte sie nämlich ein befristetes Vollzeit-Arbeitsverhältnis bei einer anderen Rundfunkanstalt. In der vorgenannten Zeit erhielt die Klägerin von der Beklagten nur noch in ganz geringem Umfang Bezüge. Nach Beendigung der Tätigkeit für diese andere Rundfunkanstalt nahm die Klägerin ab Ende des Jahres 2017 wieder verstärkt die Tätigkeit für die Beklagte auf. Zwischen den Parteien ist in rechtlicher Hinsicht unstreitig, dass der Status der Klägerin als arbeitnehmerähnlicher Person ohne Unterbrechung fortbestand. Weder hat die Beklagte nämlich der Klägerin eine Mitteilung nach Abschnitt 5.2.1 aäPTV gemacht noch ist das arbeitnehmerähnliche Dauerrechtsverhältnis auf Antrag der Klägerin gemäß Abschnitt 5.9 aäPTV aus wichtigem Grund unterbrochen worden. Im gesamten Jahr 2017, besonders aber im letzten Quartal, flossen insgesamt EUR an Honoraren von der Beklagten an die Klägerin. In der Zeit vom 01.01.2018 bis 06.05.2018 erhielt die Klägerin weitere EUR.
19Würde also im Falle der Klägerin als Bemessungszeitraum für die Berechnung des Urlaubsentgelts eines Urlaubs im Jahre 2018 das vorangegangene Kalenderjahr (2017) herangezogen, so wären Einkünfte in Höhe von EUR zu berücksichtigen; würden demgegenüber die 365 Tage der Beschäftigung vor einem Urlaub im Mai 2018 (oder dem Urlaubsantrag oder der Urlaubsbewilligung) im hier zu entscheidenden Fall als Bemessungszeitraum angesehen, so wären Einkünfte von über EUR zur berücksichtigen. Über die sich hieraus ergebende Differenz bei der Berechnung des Urlaubsentgelts streiten die Parteien.
20Am 07.05.2018 rechnete die Klägerin weitere Honorare ab und stellte zugleich bei der Beklagten einen Urlaubsantrag für die Zeit vom 14.05.2018 bis zum 30.05.2018. Die Beklagte bewilligte den Urlaub. Als Urlaubsentgelt zahlte die Beklagte der Klägerin einen Betrag in Höhe von EUR netto aus. Das ist der Klägerin zu wenig.
21Mit der seit dem 12.10.2018 anhängigen Klage hat die Klägerin die Zahlung von EUR an Urlaubsentgelt begehrt, abzüglich der tatsächlich von der Beklagten geleisteten EUR.
22Zur Klagebegründung hat die Klägerin vorgetragen, nach ihrem Verständnis der Tarifnorm entspreche der maßgebliche Bemessungszeitraum für die Berechnung des Urlaubsentgelts exakt den 12 Monaten vor dem Stellen des Antrages. Zusammen mit den zuletzt in Rechnung gestellten Honorarleistungen sei so ein Betrag in Höhe von EUR zu berücksichtigen. Werde dieser Betrag durch die während der unmittelbar zuvor verstrichenen 12 Monate angefallenen 249 Arbeitstage dividiert und mit den beantragten zwölf Urlaubstagen multipliziert, so ergebe sich ihre Klageforderung.
23Die Klägerin hat beantragt,
24die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin EUR brutto (Urlaubsentgelt) abzüglich bereits gezahlter EUR netto nebst Zinsen hierauf in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.06.2018 zu zahlen.
25Die Beklagte hat beantragt,
26die Klage abzuweisen.
27Nach ihrem Verständnis habe die tarifliche Regelung zwei Berechnungsmöglichkeiten. Im Rahmen der ersten Möglichkeit, nämlich bei einer Beschäftigungsdauer von bis zu 12 Monaten, seien die Einkünfte der gesamten Beschäftigungszeit zu Grunde zu legen; im Rahmen der zweiten Möglichkeit, nämlich bei einer längeren Beschäftigungsdauer, sei nicht auf die vergangenen 12 Monate zurück zu schauen. Relevant sei dann vielmehr das vorangegangene Kalenderjahr. Wenn im Tarifvertrag statt von „Kalenderjahr“ die Rede sei von „Beschäftigungsjahr“, dann sei dies auf eine versehentliche Ungenauigkeit der Tarifparteien zurück zu führen. Gemeint sei jedenfalls das Kalenderjahr.
28Das Arbeitsgericht Köln hat mit Urteil vom 14.02.2018 - 8 Ca 6959/18 – der Klage weitgehend, nämlich in Höhe von EUR abzüglich gezahlter EUR nebst Verzugszinsen, stattgegeben; dies geschah mit der Begründung, für die Berechnung des Urlaubsentgelts maßgeblich sei das Beschäftigungsjahr und nicht das Kalenderjahr. Alle Auslegungskriterien für die Auslegung von abstrakt-generellen Regelungen sprächen für dieses Ergebnis, insbesondere tue dies bereits der Wortlaut der Vorschrift.
29Gegen dieses ihr am 20.03.2019 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 18.04.2019 Berufung eingelegt und diese nach entsprechender Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist am 21.06.2019 begründet.
30Die Beklagte trägt zur Begründung der Berufung vor, das Arbeitsgericht orientiere sich bei seiner Auslegung fehlerhaft an § 11 BUrlG. Es lasse sich leiten von einem arbeitsrechtlichen Vorverständnis ohne zu berücksichtigen, dass es sich bei den hier betroffenen Mitarbeitern um freie Mitarbeiter handele, eben nur arbeitnehmerähnliche Beschäftigte.
31Bereits der Wortlaut des Abschnitts 3.1. des Urlaubstarifvertrages sei nicht so eindeutig, wie es das Arbeitsgericht annehme. Die Tatsache, dass das Wort „Kalenderjahr“ einen nicht auslegungsbedürftigen Sinngehalt habe, bedeute nicht, dass der Begriff des „Beschäftigungsjahres“ gleichfalls so eindeutig sei, dass es nicht als Kalenderjahr verstanden werden könne. Dies werde bestätigt durch die Formulierung der „tatsächlich vorausgehenden Zeit der Beschäftigung bis zu zwölf Monaten“ in der zweiten Alternative der Vorschrift. Dieses Wort „tatsächlich“ grenze das „normale“ Beschäftigungsjahr, das deshalb als Kalenderjahr verstanden werden müsse, von der Zeit der tatsächlichen Beschäftigung ab. Die Unterscheidung habe keinen Sinn, wenn im Beschäftigungsjahr nicht das Kalenderjahr gesehen werde, denn dann habe es ausreichend sein können, sich auf die 2. Alternative der Regelung zu beschränken.
32Aus den tariflichen Regelungen zu Urlaub und Krankheit ergebe sich, dass die hier anwendbaren Tarifverträge für die arbeitnehmerähnlichen Personen von anderen Strukturprinzipien ausgingen, als die entsprechenden gesetzlichen Normen für Arbeitnehmer. So spreche im Falle der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall der Abschnitt 6 aäPTV von der „Vorjahresvergütung“ als Referenzzeitraum. Sie verstehe dies als Vor-Kalender-Jahresvergütung. Daraus könne geschlossen werden, dass es hier bei der Bemessung des Urlaubsentgelts genauso gemeint sei wie bei der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle.
33Als Strukturprinzip der tariflichen Regelung zeige sich daher das Abstellen auf das Vorkalenderjahr als richtig und eben nicht auf den aktuellen oder unmittelbar vorangehenden Zeitraum. Das von ihr hier vertretene Verständnis des „Beschäftigungsjahres“ als „Kalenderjahr“ liege ihrer betrieblichen Praxis der vergangenen 40 Jahre zu Grunde und finde ihren Spiegel in entsprechenden Regelungen anderer Rundfunkanstalten. Dieses Verständnis sorge für Transparenz und jederzeitige Berechenbarkeit. Dabei sei zu berücksichtigen, dass sie als Körperschaft des öffentlichen Rechts an Haushaltsvorschriften gebunden sei und ein besonderes Interesse an der Voraussehbarkeit der im nächsten Haushaltsjahr anstehenden Ausgaben habe.
34Die Klägerin habe es selber in der Hand gehabt, ihre (höheren) Ansprüche zu sichern, es sei ihr nämlich möglich gewesen, vor Antritt des befristeten Arbeitsverhältnisses bei dem anderen Sender eine Unterbrechung aus wichtigem Grund im Sinne des Unterabschnitts 5.9 zu erwirken. Für diesen Fall vertrete sie die Auffassung, dass sich die Klägerin auf die zweite Alternative habe berufen können, also auf die Berücksichtigung der „tatsächlich vorausgehenden Zeit der Beschäftigung bis zu 12 Monaten“.
35Die Beklagte beantragt,
36das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 14.12.2019 – 8 Ca 6959/18 – abzuändern und die Klage abzuweisen.
37Die Klägerin beantragt,
38die Berufung zurückzuweisen.
39Sie verteidigt das Urteil des Arbeitsgerichts und vertieft ihren erstinstanzlichen Vortrag zu dem von ihr erzielten Auslegungsergebnis, nach dem unter „Beschäftigungsjahr“ auch „Beschäftigungsjahr“ und eben nicht „Kalenderjahr“ zu verstehen sei.
40Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.
41E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
42I. Die Berufung der Beklagten ist zulässig, weil sie statthaft (§ 64 Abs. 1 und 2 ArbGG) und frist- sowie formgerecht eingelegt und begründet worden ist (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).
43II. Das Rechtsmittel bleibt jedoch in der Sache ohne Erfolg. Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht und mit zutreffender und ausführlicher Begründung abgewiesen. Die hier erkennende Kammer schließt sich der Begründung des Arbeitsgerichts an, auf die Bezug genommen wird. Mit Blick auf die Berufungsbegründung der Beklagten ist nur noch auf die folgenden Punkte hinzuweisen.
441. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Zahlung von Urlaubsentgelt aus § 611 BGB in Verbindung mit dem Dienstvertrag sowie in Verbindung mit Abschnitt 3.1 des Urlaubstarifvertrages und Abschnitt 5 des aäPTV.
45In der Berufungsinstanz ist der Anspruch der Klägerin der Höhe nach rechnerisch unstreitig ( EUR brutto abzüglich EUR netto), wenn der Tarifauslegung der Klägerin gefolgt wird, dass nämlich unter „vorheriges Beschäftigungsjahr“ die unmittelbar vergangenen 365 Tage zu verstehen sind und nicht etwa das vorangegangene Kalenderjahr (hier: 01.01.2017 bis 31.12.2017). Im hier konkret zu entscheidendem Fall kann es dabei dahin gestellt bleiben, ob der Tag der Antragstellung, der Tag der Antragsbewilligung oder der Tag des Urlaubsantritts für die Bestimmung des Bemessungszeitraumes relevant sein soll. Alle drei Varianten führen hier zum gleichen Ergebnis; der erste Halbsatz des Abschnitts 3.1 des Urlaubstarifvertrages spricht allerdings für den Tag der Antragsbewilligung („Der Mitarbeiter erhält von D funk unverzüglich nach Antragsbewilligung eine Urlaubsvergütung …“).
46Die Angriffe der Berufung können für die erkennende Kammer das vom Arbeitsgericht sorgfältig begründete Auslegungsergebnis nicht in Frage stellen. Auch unter Berücksichtigung der Berufungsbegründung bleibt es dabei, dass unter dem Begriff „vorausgehendes Beschäftigungsjahr“ die vorausgegangenen 365 Tage zu verstehen sind, dass also von dem Zeitpunkt der Urlaubsbewilligung zurückgerechnet werden muss.
47a. Wie schon vom Arbeitsgericht dargestellt und ausführlich begründet, ist bereits der Wortlaut der Tarifnorm so eindeutig, dass nach den Auslegungsgrundsätzen für abstrakt-generelle Reglungen (vgl. hierzu die Nachweise auf den Seiten 8 und 9 des arbeitsgerichtlichen Urteils) kaum Platz für die Anwendung weitere Auslegungskriterien bleibt. Denn ein Beschäftigungsjahr ist nur in einem einzigen von 365 Fällen gleichbedeutend mit einem Kalenderjahr.
48(1.) Für das Beschäftigungsjahr ist der jeweils 1. Januar genauso unbedeutend wie der jeweils 31. Dezember. Der Zeitraum „Ein Jahr“ entspricht 12 aufeinanderfolgenden Monaten und im Nichtschaltjahr 365 aufeinanderfolgenden Tagen. Wann der Zeitraum dieser 365 Tage beginnen und enden soll, kann bei einem zusammengesetzten Wort über das erste Teil des Wortes bestimmt werden. Lautet dieses „Kalender-“, so handelt es sich um ein Kalenderjahr. Damit sind - nicht auslegbar, weil schon im allgemeinen Sprachgebrauch eindeutig - diejenigen 365 Tage gemeint, die alle dem numerisch gleichen Jahr im Kalender zuzuordnen sind, die also alle auf dem gleichen Kalenderblatt stehen, unter der gleichen Jahreszahl, die sich numerisch aufsteigend ab Beginn unserer Zeitrechnung errechnet, jeweils beginnend mit dem ersten Tag im ersten Monat. Unabhängig von diesem Kalenderjahr gibt es andere Jahreszeiträume, die mit dem Kalenderjahr möglicherweise deckungsgleich sein können, aber nicht müssen. Mit ihren Worteinleitungen nehmen sie Bezug auf andere Anfangs- und Enddaten oder Ereignisse: das Geschäftsjahr (§ 242 HGB), das Wirtschaftsjahr (§ 4a EStG oder § 28 Abs. 1 Satz 1 WEG); das Vereinsjahr (§ 39 Abs. 2 BGB); das Bilanzjahr; das Lebensjahr; das Vertragsjahr (Versicherungsvertrag, Mobilfunkvertrag, Mietvertrag); das Bezugsjahr (Zeitungsabonnement, Energie, Wasser); etc. Alle diese vorgenannten Jahre beginnen und enden nicht zwingend am 01.01. und 31.12. So hat auch das hier streitige Wort „Beschäftigungsjahr“ keinerlei grammatikalischen oder semantischen Bezug zum numerischen Jahr oder zum Kalenderblatt. Es geht hier um ein „Jahr“, also um 365 Tage, während dem „Beschäftigung“ stattgefunden hat. Wenn vor diesem Begriff das Wort „vorausgehend“ fällt, dann ist nur noch die Frage zu klären, ab welchem Zeitpunkt diese 365 Tage Beschäftigung vor- oder zurückgerechnet werden müssen. Das Argument der Beklagten, dass nämlich der Begriff „Kalenderjahr“ zwar eindeutig sei, der Begriff „Beschäftigungsjahr“ aber nicht, und deshalb nicht von der Eindeutigkeit des einen auf eine vermeintliche Eindeutigkeit des anderen geschlossen werden könne, überzeugt die erkennende Kammer nicht, da sie von einer gleichermaßen beschaffenen Eindeutigkeit des Begriffs „Beschäftigungsjahr“ ausgeht. Auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass es sich hier um ein freies Dienstverhältnis handelt und eben nicht um ein Arbeits-, Beamten-, Praktikums- oder Ausbildungsverhältnis, gilt nichts anderes, denn es ist keine gesetzliche Regelung ersichtlich, die Arbeits-, Dienst- oder Ausbildungsjahre ab dem jeweils 1. Januar rechnet.
49(2.) Die somit nicht an ein Kalenderjahr gebundenen 365 Tage sind nicht etwa von einem bestimmten Zeitpunkt (z.B. Eintritt in den Betrieb, erste Aufnahme der Tätigkeit ...) vorzurechnen, sondern vom Zeitpunkt der Urlaubsbewilligung zurückzurechnen. Schon dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut „vorausgehend“. Wie bereits dargestellt ist es für das Ergebnis des Berufungsverfahrens unerheblich, ob der Tag der Antragstellung, der Tag der Antragsbewilligung oder der Tag des Urlaubsantritts maßgeblich soll. Der erste Halbsatz des Abschnitts 3.1 des Urlaubstarifvertrages spricht allerdings für den Tag der Antragsbewilligung. Was dabei unter „Beschäftigung“ zu verstehen ist, ergibt sich aus den Abschnitten 2 und 3 des aäPTV; nämlich eine Tätigkeit, für die mindestens die Hälfte der Erwerbseinkünfte der letzten 6 Monate vor Anspruchsstellung erzielt worden sind und die in diesem Zeitraum an mindestens 41 Tagen erfolgt sein muss. Damit wird auch deutlich: Die Gesamtschau, nicht nur mit Blick auf Abschnitt 3 des Urlaubstarifvertrages sondern auch mit Blick auf Abschnitt 5 aäPTV mit seiner rückblickenden Status-Feststellung, zeigt, dass von der Urlaubsbewilligung zurückgerechnet werden muss und nicht etwa vom Beginn der Beschäftigung nach vorne. Dies entspricht auch der Struktur des § 11 BurlG, der zur Bestimmung des Bemessungszeitraums ebenfalls eine Rückrechnung vorsieht und dessen Grundprinzipien auch hier Anwendung finden, denn nach Abschnitt 1.2 des Urlaubstarifvertrages „gelten die Bestimmungen des Bundesurlaubsgesetzes“, soweit tarifvertraglich nichts anderes vereinbart worden ist. Die umgekehrte Betrachtung, also die Berechnung der 365 Beschäftigungstage in die Zukunft, findet in den Tarifwerken der Beklagten nur beim besonderen Kündigungsschutz nach Abschnitt 5.2.1 des aäPTV statt. Konsequent ist es daher, wenn dort ausdrücklich geregelt wurde: „Das Kalenderjahr, in dem ein Urlaubsanspruch berechtigt geltend gemacht wird, gilt als Beschäftigungsjahr“. Wäre dies nicht eine Ausnahmeregelung sondern die Normierung des allgemeinen tariflichen Verständnisses, dann stünde sie nicht allein in Abschnitt 5.2.1 aäPTV sondern im „Allgemeinen Teil“ am Anfang des Tarifvertrages.
50b. Obwohl angesichts dieses eindeutigen Wortlauts nach den Grundsätzen der Auslegung abstrakt-genereller Vorschriften weitere Auslegungskriterien nahezu ausgeschlossen sind, ist festzuhalten, dass auch die weiteren Angriffe der Berufung zu keinem anderen Ergebnis führen.
51(1.) Das Arbeitsgericht hat sich nicht in fehlerhafter Weise vom „Arbeitsrecht leiten“ lassen. Dies taten hier nämlich vielmehr die Tarifparteien bei Abschluss des Urlaubstarifvertrages selbst, indem sie ausdrücklich in Abschnitt 1.2 des Urlaubstarifvertrages auf die Regelungen des BUrlG Bezug genommen haben. Das Bundesurlaubsgesetz geht bei der Bemessung des Urlaubsentgelts vom Lohnausfallprinzip aus. Die Beschäftigten sollen also für die Zeit der urlaubsbedingten Freistellung so viel Entgelt erhalten, wie sie erhalten hätten, wenn gearbeitet worden wäre. Als Bemessungszeitraum legt § 11 Abs. 1 Satz 1 BUrlG die 13 Wochen vor Urlaubsantritt fest. Nach § 13 Abs. 1 BurlG kann diese Regelung durch Tarifvertrag abgeändert werden. Hier haben die Tarifparteien eine solche andere Lösung gefunden. Unabhängig von der zwischen den hier streiten Parteien umstrittenen Frage, wann welcher Zeitraum beginnt und endet, zeigt die Bezugnahme auf ein ganzes Jahr als Bemessungszeitraum jedenfalls, dass die Tarifparteien den gesetzlichen Zeitraum von 13 Wochen als zu kurz erachtet haben. Das ist nachvollziehbar, weil es nicht um Arbeitsverhältnisse mit regelmäßigen Einkünften geht, sondern um selbständige Dienstverhältnisse mit zum Teil sehr unterschiedlich hohen Monatshonoraren. Mit einem so verlängerten Bemessungszeitraum kann verhindert werden, dass der Urlaub kaum vergütet wird, nur weil zufällig in den drei Monaten zuvor wenig Honorare verdient wurden und umgekehrt kann verhindert werden, dass für den Urlaub exorbitant viel Urlaubsentgelt gezahlt wird, nur weil in den drei Monaten zuvor besonders viel gearbeitet wurde. Die Verlängerung des Bemessungszeitraums gewährleistet also einen Ausgleich der Interessen beider Vertragsparteien und ein möglichst ausgewogenes Berechnungsergebnis ohne statistische Spitzen. Das Gegenteil würde erreicht, wenn als Bemessungszeitraum ein solcher gewählt würde, dessen Ende bis fast 12 Monate zurückliegt. Der hier streitige Fall zeigt, dass eine solche Berechnung wieder zu zufälligen Ergebnissen führen würde, die mit dem Lohnausfallprinzip nicht in Einklang zu bringen wären.
52(2.) Aus dem Vorgesagten folgt nicht, dass die Tarifparteien vom Lohnausfallprinzip abrücken wollten. Die Wortwahl des Tarifvertrages spricht für das Gegenteil, wenn nämlich dort von „Urlaubsentgelt“ die Rede ist. In Abschnitt 3.1 des Urlaubstarifvertrages heißt es „Urlaubsvergütung“ und „Urlaubsentgelt“ und nicht Urlaubsgeld, Urlaubsabgeltung, Sonderzahlung oder Gratifikation. Wenn die Tarifparteien „Urlaubsentgelt“ schreiben, dann meinen sie auch Urlaubsentgelt. Verwenden die Tarifvertragsparteien einen Rechtsbegriff, ist anzunehmen, dass sie ihn in seiner rechtlichen Bedeutung verwenden wollen. Enthält eine Tarifnorm einen bestimmten Fachbegriff, ist im Zweifel davon auszugehen, dass er im Geltungsbereich des betreffenden Tarifvertrags in seiner allgemeinen fachlichen Bedeutung gelten soll (st. Rspr. des BAG zB. Urteil v. 24.05.2012 – 6 AZR 703/10 -). Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist auf diese Weise „im Zweifel“ vorzugehen. Hier gibt es aber nach der Auffassung der erkennenden Kammer in Übereinstimmung mit dem Arbeitsgericht nicht einmal einen Anlass für einen solchen Zweifel. Der klassische regulatorische Weg, den Tarifparteien üblicherweise einschlagen, um Meinungsverschiedenheiten wie die vorliegenden zu vermeiden, ist ein dem Tarifvertrag vorangestellter Abschnitt mit Definitionen. Diesen Weg haben die Tarifparteien nicht gewählt. Auch deshalb ist - selbst wenn es Zweifel gäbe - unter „Urlaubsentgelt“, das zu verstehen, was der Rechtsbegriff Urlaubsentgelt besagt, nämlich Vergütung ohne Arbeit in der Höhe, in der die Vergütung gezahlt worden wäre, wenn der zum Dienst Verpflichtete seinen Dienst geleistet hätte.
53(3.) Die Bezugnahme der Beklagten auf die Regelungen zur Entgeltfortzahlung hilft ihr nicht weiter. Im Gegenteil: auch bei Tarifnormen ist davon auszugehen, dass gleiche Worte gleich gemeint sind und ungleiche ungleich. Die ungleiche Formulierung in der Regelung zur Entgeltfortzahlung spricht somit eher für die Annahme, dass die Berechnung der Entgeltfortzahlung anders erfolgen soll, als die Berechnung für das Urlaubsentgelt.
54(4.) Auch die Tatsache, dass nach der Darlegung der Beklagten schon seit 40 Jahren der Tarifvertrag so ausgelegt werde, wie sie ihn hier verstehe, führt zu keinem anderen Ergebnis. Die Grundsätze der Betrieblichen Übung finden auf einen Fall wie den vorliegenden keine Anwendung, denn es ist weder auf Seiten der Beklagten noch auf Seiten der Klägerin ein schützenswerter Vertrauenstatbestand ersichtlich. Hinzukommt, dass die Berechnungsmethode der Beklagte nicht zwangsläufig zu Ergebnissen führen muss, die immer zu ihren Gunsten von den Ergebnissen abweicht, die sich aus der hier bestätigten Berechnungsmethode der Klägerin ergibt. Es sind statistisch gleichfalls viele Fälle denkbar, in denen im vorangegangenen Kalenderjahr deutlich mehr an Honorar verdient worden ist, als in den unmittelbar vorangehenden 365 Tagen. Bei langjährig Beschäftigten nivelliert sich die Differenz aus den beiden Berechnungsmethoden ohnehin über die Mehrzahl der Jahre.
55(5.) Das von der Beklagten vorgebrachte Argument, die Unterscheidung der beiden Alternativen in Abschnitt 3 des Urlaubstarifvertrages sei bei dem von der Klägerin vertretenen Verständnis des „Beschäftigungsjahres“ obsolet, hat die erkennende Kammer nicht überzeugt. Die Unterscheidung bleibt durchaus sinnvoll. Abschnitt 3.1 des Urlaubstarifvertrages sieht ein regulatorisch übliches Regel-Ausnahme-Verhältnis vor: Bemessungszeitraum sind regelmäßig die 365 Tage vor Urlaubsbewilligung. Das gilt für solche Mitarbeiterinnen, die schon 365 Tage beschäftigt sind; Anderenfalls (jetzt kommt die Ausnahme), wenn also die Mitarbeiterin noch keine 365 Tage beschäftigt ist, gelten nicht etwa volle (Kalender-?) Monate oder volle Wochen als Bemessungszeitraum sondern die „tatsächlich vorausgehende Zeit der Beschäftigung“ gemessen in Werktagen (vgl. den Absatz 1 des Abschnitts 3.1. des Urlaubstarifvertrages).
562. Der Zinsanspruch der Klägerin folgt aus §§ 286, 288 BGB.
57III. Nach allem bleibt es somit bei der stattgebenden Entscheidung des Arbeitsgerichts. Als unterliegende Partei hat die Beklagte gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Berufung zu tragen. Gründe für eine Revisionszulassung sind nicht gegeben, da die Entscheidung auf den Umständen des vorliegenden Einzelfalls beruht.
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