Urteil vom Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern (5. Kammer) - 5 Sa 25/17
Tenor
1. Die Berufungen der Klägerin gegen die Urteile des Arbeitsgerichts Rostock vom 05.01.2017 - 1 Ca 1178/16 - und vom 19.10.2017 - 1 Ca 414/17 - werden auf ihre Kosten zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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Die Parteien streiten noch über die Zahlung einer Entschädigung wegen Diskriminierung und die Abgeltung von Resturlaub.
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Die 1954 geborene Klägerin nahm zum 18.01.1993 bei einer Rechtsvorgängerin der Beklagten eine Vollzeitbeschäftigung als Buchhalterin im Steuerberatungsbüro auf. Zum 01.10.2008 ging das Arbeitsverhältnis im Wege eines Betriebsübergangs (§ 613a BGB) auf die heutige Geschäftsführerin der Beklagten über, die das Steuerberatungsbüro zunächst als Inhaberin weiterbetrieb.
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Die Klägerin erlitt im Juni 2013 einen Herzinfarkt, in dessen Folge sie vorläufig arbeitsunfähig war und schließlich einen Antrag auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente stellte. Der Rentenversicherungsträger bewilligte ihr mit Bescheid vom 06.12.2013 eine auf den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 30.11.2014 befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung. Einen Antrag auf Feststellung der Behinderung stellte die Klägerin nicht. Ausweislich der Lohnabrechnung vom 18.12.2013 erhielt die Klägerin eine Urlaubsabgeltung für 21 Tage in Höhe von € 1.308,72 brutto. Das monatliche Gehalt belief sich seinerzeit bei 38 Wochenstunden auf € 1.350,- brutto.
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Da die Klägerin ihre berufliche Tätigkeit nicht gänzlich aufgeben und ihre Fachkenntnisse auf dem aktuellen Stand halten wollte, bat sie die heutige Geschäftsführerin der Beklagten und damalige Arbeitgeberin um eine Weiterbeschäftigung in verringertem Umfang. Die Geschäftsführerin schloss daraufhin am 20.12.2013 mit der Klägerin einen schriftlichen Arbeitsvertrag für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 30.11.2014 über eine geringfügige Beschäftigung als Buchhalterin. Nach diesem Arbeitsvertrag beläuft sich die regelmäßige Arbeitszeit auf 12 Stunden in der Woche bei einer monatlichen Vergütung von € 450,00. Der Urlaubsanspruch beträgt 26 Werktage je Kalenderjahr. Der Vertrag ist beiderseits gemäß den gesetzlichen Bestimmungen kündbar. Nach den Schlussbestimmungen unter § 11 des Vertrags sind weitere Vereinbarungen außerhalb dieses Arbeitsvertrages nicht getroffen. Mündliche Nebenabreden bestehen nicht.
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Am 20.06.2014 beantragte die Klägerin eine Verlängerung der Erwerbsminderungsrente. Dem kam der Rentenversicherungsträger mit Bescheid vom 28.07.2014 nach und gewährte ihr im unmittelbaren Anschluss an den vorangegangenen Rentenzeitraum erneut eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung für weitere drei Jahre, d. h. bis einschließlich November 2017. Daraufhin schloss die Geschäftsführerin der Beklagten mit der Klägerin einen Änderungsvertrag, nach dem die Befristung des Vertrages über die geringfügige Beschäftigung nunmehr ebenfalls bis zum 30.11.2017 gilt.
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Zum 05.01.2015 ging das Arbeitsverhältnis der Klägerin im Wege eines weiteren Betriebsübergangs auf die Beklagte über. Die Beklagte beschäftigt regelmäßig vier Arbeitnehmer. Geschäftsführerin der Gesellschaft ist die vormalige Inhaberin des Steuerberatungsbüros. Die Klägerin arbeitete regelmäßig an drei Tagen in der Woche jeweils 4 Stunden, zuletzt üblicherweise am Dienstag-, Mittwoch- und Donnerstagvormittag, wobei es ihr möglich war, die Arbeitszeiten zu verlagern.
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Am 26.01.2016 übergab die Beklagte der Klägerin eine schriftliche Arbeitsanweisung, die die Klägerin durch Unterschrift bestätigte. Neben allgemeinen, für alle Mitarbeiter geltenden Vorgaben zu den Arbeitsabläufen ist dort auch eine von der Klägerin verursachte Bankdifferenz angesprochen sowie die Übertragung von bestimmten Mandaten auf andere Bearbeiter.
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Unter dem 09.06.2016 verfasste die Beklagte eine weitere Arbeitsanweisung für die Buchhaltung, in der es heißt:
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"…
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Ab sofort werden von mir, Geschäftsführer, alle Buchhaltungen, die von den Arbeitnehmern erstellt werden, kontrolliert. Bevor die UStVA gesendet, die Rechnung geschrieben und der Mandant die Unterlagen erhält.
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Wenn die Buchhaltung erstellt ist, werde ich per mail zur Kontrolle aufgefordert. Nach meiner Kontrolle informiere ich per Email zurück, ob die Buchhaltung fertiggestellt werden kann.
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Für die endgültige Fertigstellung der Buchhaltung ist
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1. Pro Check abzuarbeiten
2. Daten an den Mandanten übermitteln (auszudrucken (Unternehmen online) der per Mail oder Post
3. Rechnung zu erstellen
4. Auftragsinfo auszutragen
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Gelesen und bestätigt
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Arbeitnehmer
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Arbeitgeber
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Bei Zuwiderhandlung wird eine Abmahnung erteilt.
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…"
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Hierzu fand eine Mitarbeiterbesprechung statt. Als die Klägerin am Dienstag, 28.06.2016, aus dem Urlaub zurückkehrte, sprach die Geschäftsführerin der Beklagten sie erneut auf die Unterzeichnung der Arbeitsanweisung vom 09.06.2016 an. Die Klägerin lehnte dies ab. Am Nachmittag desselben Tages fand eine weitere Besprechung zwischen den Parteien statt, in der die Klägerin eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung ansprach. Das lehnte die Beklagte mangels rechtlicher Verpflichtung und Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes ab. Die Parteien wollten das Gespräch am Donnerstag, 30.06.2016, fortsetzen.
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Mit Schreiben vom 29.06.2016 kündigte die Beklagte "das derzeit bestehende Arbeitsverhältnis für geringfügig beschäftigte Arbeitnehmer und das ruhende Arbeitsverhältnis" fristgemäß zum 31.01.2017 und stellte die Klägerin ab sofort von der Pflicht zur Arbeitsleistung frei. Zugleich forderte sie die Klägerin auf, den Resturlaub nach Absprache in der Kündigungsfrist zu nehmen. Dieses Schreiben fand die Klägerin am 30.06.2016 in ihrem Briefkasten vor. An diesem Tag war sie wegen eines Arzttermins nicht im Büro, worüber sie die Beklagte am Abend des 29.06.2016 per WhatsApp informiert hatte.
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Mit der Klage vom 14.07.2016, beim Arbeitsgericht eingegangen am darauffolgenden Tag, hat sich die Klägerin gegen die Kündigung des ruhenden Vollzeitarbeitsverhältnisses gewandt und zugleich eine Entschädigung wegen der diskriminierenden Kündigung gefordert. Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses über eine geringfügige Beschäftigung hat sie ausdrücklich nicht angegriffen. Mit der Klage vom 29.03.2017 hat sie zudem die Abgeltung von Resturlaub aus dem ruhenden Arbeitsverhältnis eingefordert. Das Landesarbeitsgericht hat die beiden Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung miteinander verbunden.
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Die Klägerin hat erstinstanzlich die Ansicht vertreten, die Kündigung des ruhenden Vollzeitarbeitsverhältnisses sei unwirksam. Soweit die Beklagte mit der Arbeitsleistung in dem geringfügigen Beschäftigungsverhältnis unzufrieden gewesen sei, könne dies nicht zur Kündigung des ruhenden Arbeitsverhältnisses herangezogen werden. Gerade darin liege die Diskriminierung, weil es hier eben keinen Zusammenhang mit der Krankheit und der Behinderung der Klägerin sowie der eingeschränkten Leistungsfähigkeit gebe. Bei Beginn der geringfügigen Beschäftigung habe die Geschäftsführerin der Beklagten der Klägerin eine Liste mit Mandaten vorgelegt, um eine Auswahl zu treffen. Dabei habe die Klägerin in der Tat ihre Leistungsfähigkeit überschätzt und habe nur ungern Mandate abgeben wollen. Die Klägerin habe der Beklagten zu keinem Zeitpunkt eine wissentliche Manipulation von Buchungen unterstellt; dennoch habe es korrigierte Buchungen gegeben, die ja irgendjemand vorgenommen haben müsse. Die Geschäftsführerin der Beklagten habe am 18.12.2015 gegenüber anderen Mitarbeitern erklärt, dass die Klägerin ein schlechtes Karma verbreite und nicht mehr gelacht werde, wenn sie im Büro sei. Anlässlich des Geburtstagsfrühstücks einer Mitarbeiterin habe sich die Geschäftsführerin dahingehend geäußert, dass es nicht einzusehen sei, wenn sich die Klägerin, obwohl nur zeitweise im Hause, hier auch noch durchfresse. Des Weiteren habe sich die Geschäftsführerin ihr gegenüber nicht entschuldigt, wenn sie die ihr vorgeworfenen Fehler habe widerlegen können. Als geringfügig Beschäftigte habe sie keinen Tankgutschein mehr erhalten. Die Arbeitsanweisung vom 09.06.2016 habe sie nur deshalb nicht unterzeichnet, weil dort die Möglichkeit einer Abmahnung enthalten gewesen sei, was die Beklagte in der vorangegangenen Besprechung nicht erwähnt habe. Die Beklagte habe das Arbeitsverhältnis letztlich nur deshalb gekündigt, weil die Klägerin nicht mehr die Leistung wie ein gesunder, junger Mensch erbringen könne.
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Die Beklagte sei verpflichtet, den Resturlaub aus dem ruhenden Hauptarbeitsverhältnis aus den Jahren 2015 bis 2017 im Umfang von insgesamt 57 Tagen abzugelten. Dieses Arbeitsverhältnis habe nicht zum 31.12.2013 geendet. Soweit der frühere Arbeitsvertrag eine Beendigung im Rentenfall vorsehe, halte die Klausel einer Prüfung nach dem Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht Stand. Die Klausel differenziere weder danach, ob die Rente befristet oder unbefristet, noch danach, ob sie in vollem Umfang oder nur teilweise gewährt werde. Der Arbeitsvertrag über eine geringfügige Beschäftigung habe den vorherigen Arbeitsvertrag nicht aufgehoben, zumal er nicht hierauf Bezug nehme. Die Beklagte habe den Urlaubsanspruch nicht durch die Freistellung in der Kündigungsfrist erfüllt. Die Beklagte habe die Klägerin gerade nicht unwiderruflich freigestellt, und zwar weder mit dem Kündigungsschreiben vom 29.06.2016 noch durch eine spätere mündliche Erklärung. Der Urlaubsanspruch sei auch nicht verfallen. Da das Arbeitsverhältnis geruht habe, sei es wie im Falle einer längeren Arbeitsunfähigkeit gar nicht möglich gewesen, Urlaub zu nehmen und zu gewähren. Ein neues Arbeitsverhältnis mit einem anderen Arbeitgeber habe die Klägerin erst nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten begründet; zuvor sei sie nur ehrenamtlich in der Kirchengemeinde tätig gewesen.
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Die Klägerin hat im erstinstanzlichen Rechtsstreit unter dem Aktenzeichen 1 Ca 1178/16 beantragt
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festzustellen, dass die Kündigungserklärung der Beklagten vom 29.06.2016 bzgl. des ruhenden Arbeitsverhältnisses unwirksam ist, und
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die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin wegen der diskriminierenden Kündigung vom 29.06.2016 einen Ausgleich in Geld zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, welcher aber nicht unter € 3.000,- liegen sollte,
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und in dem nach rechtskräftiger Abweisung der Kündigungsschutzklage eingeleiteten erstinstanzlichen Rechtsstreit unter dem Aktenzeichen 1 Ca 414/17,
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die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin zur Abgeltung von Resturlaub € 3.551,67 brutto zu zahlen.
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Die Beklagte hat beantragt, die Klagen abzuweisen. Sie habe die Klägerin nicht diskriminiert. Vielmehr sei ihr die Kündigung nach der jahrelangen Zusammenarbeit menschlich schwergefallen. Sie habe jedoch keine andere Möglichkeit mehr gesehen zu verhindern, dass es zu noch mehr Fehlern komme und sie sich noch häufiger bei Mandanten entschuldigen müsse. Die Klägerin habe durchaus den Willen gehabt zu arbeiten, sich dabei aber selbst überschätzt. Wenn die Beklagte ihr ein Mandat weggenommen habe, um sie zu entlasten, habe sich die Klägerin bei ihr beschwert. Die Klägerin sei immer unzufriedener geworden und habe sich bei Besprechungen stets angegriffen gefühlt. Das Arbeitsklima habe sich dadurch immer weiter verschlechtert. Dies habe die Geschäftsführerin der Beklagten gegenüber der Klägerin angesprochen und sie aufgefordert, Probleme offen zu benennen und nicht mit sich herumzutragen. Den Tankgutschein habe die Klägerin in dem Minijob nicht mehr erhalten, da sie ansonsten unter Berücksichtigung aller Leistungen besser als die anderen Mitarbeiter behandelt worden wäre. Die Klägerin habe Schwierigkeiten mit der zunehmenden Technisierung der Arbeitsabläufe gehabt. Zwar mache jeder bei seiner Arbeit gelegentlich Fehler; die Klägerin sei jedoch nicht kritikfähig gewesen und habe Fehler schlichtweg abgestritten und z. B. der Beklagten vorgeworfen, den PC zu manipulieren. Hierzu habe es allein im Januar 2016 mehrere Besprechungen gegeben. Die Arbeitsanweisung vom 09.06.2016 sei von allen Mitarbeitern unterzeichnet worden, nur nicht von der Klägerin. Da die Beklagte mit dem Verhalten und der Arbeitsleistung der Klägerin nicht mehr zufrieden gewesen sei, habe sie schließlich nach reiflicher Überlegung das Arbeitsverhältnis gekündigt.
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Eine Urlaubsabgeltung aus einem ruhenden Arbeitsverhältnis könne die Klägerin nicht verlangen. Mit dem Abschluss eines neuen Arbeitsvertrages sei das vorherige Arbeitsverhältnis aufgehoben bzw. abgeändert worden. Jedenfalls habe es nach dem ursprünglichen Arbeitsvertrag, der eine Beendigung im Rentenfall vorsehe, aufgrund des Bezugs der Erwerbsminderungsrente geendet. Soweit in dem Kündigungsschreiben von zwei Arbeitsverhältnissen die Rede sei, habe sich die Beklagte nur an der Wortwahl der Klägerin orientiert, die das ihr gegenüber so dargestellt habe. Letztlich habe die Beklagte mit der Bezugnahme auf ein ruhendes Arbeitsverhältnis nur zum Ausdruck gebracht, dass sie bei einem evtl. Auslaufen der Erwerbsminderungsrente zum 30.11.2017 kein neues Vollzeitarbeitsverhältnis mit der Klägerin mehr begründen wolle. Die Beklagte habe der Klägerin in den Gesprächen am 30.06. und 05.07.2016 ausdrücklich erklärt, dass eine Weiterbeschäftigung aufgrund des zerrütteten Arbeitsverhältnisses und der aufgetretenen Fehler nicht möglich sei und dass sie unter vollständiger Urlaubsanrechnung unwiderruflich bei Fortzahlung der Bezüge freigestellt werde. Die Klägerin habe die Freistellung akzeptiert. Im Übrigen habe die Klägerin bereits zum 01.11.2016 bei der Evangelisch-Lutherischen Kirchengemeinde K. eine Beschäftigung als Gemeindesekretärin aufgenommen, und zwar ohne die Beklagte hierüber zu informieren. Unabhängig davon sei ein evtl. Urlaubsanspruch zum Jahresende 2016 verfallen, da es keinen Grund für eine Übertragung auf das Folgejahr gegeben habe.
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Das Arbeitsgericht hat beide Klagen abgewiesen. Die Kündigung verstoße weder gegen das Diskriminierungsverbot (§ 7 AGG) noch gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB). Es könne dahinstehen, ob eine Behinderung im Sinne des § 1 AGG vorliege. Die Kündigung hänge nicht mit einer Behinderung zusammen, sondern beruhe auf dem gestörten Vertrauensverhältnis und der fehlerhaften Arbeit. Aus diesen Gründen sei es auch nicht treuwidrig, das Arbeitsverhältnis insgesamt zu beenden. Eine Entschädigung könne die Klägerin nicht beanspruchen, da die Beklagte nicht gegen das Diskriminierungsverbot verstoßen habe. Ebenso wenig sei eine Urlaubsabgeltung zu zahlen. Sofern das frühere Vollzeitarbeitsverhältnis nicht schon aufgrund des Rentenbezugs geendet haben sollte, so seien diese Arbeitsbedingungen jedenfalls durch den Abschluss des neuen Arbeitsvertrages über eine geringfügige Beschäftigung abgelöst worden. Damit sei das Arbeitsverhältnis auf eine neue Rechtsgrundlage gestellt worden, die nunmehr für den Urlaubsanspruch maßgeblich sei.
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Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihren fristgerecht eingelegten und begründeten Berufungen, mit denen sie die Entschädigungs- und die Urlaubsabgeltungsklage weiterverfolgt. Das Arbeitsgericht habe verkannt, dass die Klägerin gemäß § 22 AGG lediglich Indizien für eine Diskriminierung vortragen müsse, die eine Benachteiligung wegen der Behinderung vermuten ließen. Die Beklagte handele grob rechtsmissbräuchlich, wenn sie sich zur Begründung der Kündigung auf eine Minderleistung in dem geringfügigen Beschäftigungsverhältnis berufe, die erkennbar ihre Ursache in der Behinderung habe.
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Das Arbeitsgericht habe auch die Klage auf Urlaubsabgeltung zu Unrecht abgewiesen. Das ruhende Arbeitsverhältnis habe bis zum 31.01.2017 fortbestanden, wovon die Beklagte in ihrem Kündigungsschreiben und in der ausgestellten Arbeitsbescheinigung selbst ausgegangen sei. Der Vertrag über die geringfügige Beschäftigung sei nicht als Änderungsvertrag ausgestaltet. Allenfalls hätte das Arbeitsgericht den Urlaubsabgeltungsanspruch aus dem ruhenden Arbeitsverhältnis um denjenigen Betrag kürzen können, der, da der Urlaub im geringfügigen Beschäftigungsverhältnis tatsächlich gewährt worden sei, diesem Wert entspreche.
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Die Klägerin beantragt,
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1. das Urteil des Arbeitsgerichts Rostock vom 05.01.2017 - 1 Ca 1178/16 - abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin einen Ausgleich in Geld zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, welcher aber nicht unter € 3.000,- liegen sollte, und
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2. das Urteil des Arbeitsgerichts Rostock vom 19.10.2017 - 1 Ca 414/17 - abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin zur Abgeltung des Resturlaubs € 3.551,67 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab 01.04.2017 zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufungen zurückzuweisen.
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Sie verteidigt die erstinstanzlichen Entscheidungen. Die Beklagte habe die Klägerin nicht wegen einer Behinderung diskriminiert. Es sei schon fraglich, ob überhaupt eine Behinderung vorliege; die Erwerbsminderungsrente indiziere dies jedenfalls nicht. Die Kündigung beruhe schlicht auf dem gestörten Vertrauensverhältnis sowie der Fehlerhäufung und habe nichts mit einer evtl. Behinderung zu tun. Die Beklagte wäre mit anderen, nicht behinderten Mitarbeitern ebenso verfahren.
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Ein eigenständiges ruhendes Arbeitsverhältnis habe es nicht gegeben. An die Stelle des früheren Arbeitsvertrages sei zum 01.01.2014 der Arbeitsvertrag über die geringfügige Beschäftigung getreten. Damit sei das Arbeitsverhältnis auf eine neue Rechtsgrundlage gestellt worden. Die Rechtsvorgängerin der Beklagten habe den alten Vertrag ordnungsgemäß abgewickelt und den Resturlaub abgegolten. Die Beklagte habe im Wege des Betriebsübergangs nur das geringfügige Beschäftigungsverhältnis übernommen. Der in diesem Arbeitsverhältnis entstandene Urlaubsanspruch sei unstreitig vollständig erfüllt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen, die Sitzungsprotokolle sowie das angegriffene arbeitsgerichtliche Urteil verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die Berufungen der Klägerin sind zulässig, aber nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat die Klagen zu Recht abgewiesen. Das Berufungsgericht nimmt Bezug auf die zutreffenden Ausführungen der Vorinstanz.
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1. Entschädigung wegen Diskriminierung
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Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen die Beklagte aus § 15 Abs. 2 Satz 1 AGG auf Zahlung einer Entschädigung wegen des Ausspruchs der Kündigung oder einer sonstigen Maßnahme der Beklagten.
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Nach § 15 Abs. 2 Satz 1 AGG kann eine Beschäftigte bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, vom Arbeitgeber eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. Beschäftigte dürfen nicht wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes, also aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität, benachteiligt werden (§ 7 Abs. 1 AGG). Benachteiligungen aus einem dieser Gründe sind u. a. unzulässig in Bezug auf die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen bei der Durchführung oder Beendigung von Beschäftigungsverhältnissen (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG).
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Das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG erfasst nicht jede Ungleichbehandlung, sondern nur eine Ungleichbehandlung „wegen“ eines in § 1 AGG genannten Grundes. Zwischen der benachteiligenden Behandlung und einem in § 1 AGG genannten Grund muss demnach ein Kausalzusammenhang bestehen. Dafür ist es nicht erforderlich, dass der betreffende Grund im Sinne von § 1 AGG das ausschließliche oder auch nur ein wesentliches Motiv für das Handeln des Benachteiligenden ist; er muss nicht - gewissermaßen als vorherrschender Beweggrund, Hauptmotiv oder „Triebfeder“ des Verhaltens - handlungsleitend oder bewusstseinsdominant gewesen sein; vielmehr ist der Kausalzusammenhang bereits dann gegeben, wenn die Benachteiligung an einen Grund im Sinne von § 1 AGG anknüpft oder durch diesen motiviert ist, wobei bloße Mitursächlichkeit genügt (BAG, Urteil vom 21. November 2017 - 9 AZR 141/17 - Rn. 22, juris; BAG, Urteil vom 26. Januar 2017 - 8 AZR 73/16 - Rn. 23, juris = NZA-RR 2017, 342; BAG, Urteil vom 11. August 2016 - 8 AZR 375/15 - Rn. 22, juris = NZA 2017, 43).
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Eine unmittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde (§ 3 Abs. 1 Satz 1 AGG). Es ist erforderlich, dass die betreffende Person einer weniger günstigen Behandlung ausgesetzt ist als eine in einer vergleichbaren Situation befindliche Person, bei der das Merkmal nicht vorliegt (BAG, Urteil vom 28. April 2011 - 8 AZR 515/10 - Rn. 27, juris = NJW 2011, 2458; BAG, Urteil vom 22. Oktober 2009 - 8 AZR 642/08 - Rn. 23, juris = NZA 2010, 280; LAG Sachsen, Urteil vom 09. Mai 2014 - 3 Sa 695/13 - Rn. 67, juris). Die Feststellung der Vergleichbarkeit der Situation erfordert, dass es außer der anderen Ausprägung des Diskriminierungsmerkmals keine wesentlichen Unterschiede zwischen der benachteiligten und der Vergleichsperson gibt (BAG, Urteil vom 19. Dezember 2013 - 6 AZR 190/12 - Rn. 48 = NZA 2014, 372).
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Für den Rechtsschutz bei Diskriminierungen sieht § 22 AGG im Hinblick auf den Kausalzusammenhang eine Erleichterung der Darlegungslast, eine Absenkung des Beweismaßes und eine Umkehr der Beweislast vor. Wenn im Streitfall die eine Partei Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen, trägt nach § 22 AGG die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat. Danach genügt eine Person, die sich durch eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes für beschwert hält, ihrer Darlegungslast bereits dann, wenn sie Indizien vorträgt, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen, dass eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes erfolgt ist. Besteht die Vermutung einer Benachteiligung, trägt die andere Partei die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht verletzt worden ist. Hierfür gilt jedoch das Beweismaß des sog. Vollbeweises. Der Arbeitgeber muss demnach Tatsachen vortragen und ggf. beweisen, aus denen sich ergibt, dass ausschließlich andere als die in § 1 AGG genannten Gründe zu einer ungünstigeren Behandlung geführt haben (BAG, Urteil vom 26. Januar 2017 - 8 AZR 73/16 - Rn. 24 ff., juris = NZA-RR 2017, 342; BAG, Urteil vom 11. August 2016 - 8 AZR 375/15 - Rn. 24, juris = NZA 2017, 43; BAG, Urteil vom 11. August 2016 - 8 AZR 406/14 - Rn. 28, juris = AP Nr. 22 zu § 15 AGG).
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Die Klägerin hat keine Indizien vorgetragen, die eine Benachteiligung wegen ihrer Behinderung - die hier zu ihren Gunsten unterstellt werden kann - oder wegen ihres Alters vermuten lassen. Die Beklagte hat weder ihr Kündigungs- noch ihr Direktionsrecht in einer Weise ausgeübt, die mit dem Benachteiligungsverbot des AGG nicht vereinbar ist. Es gibt keine reale oder hypothetische Vergleichsperson, die jünger bzw. nicht behindert ist, und besser behandelt wird, wurde oder würde. Die Klägerin hat keine Tatsachen dargelegt, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen, dass die Beendigung der jahrelangen Zusammenarbeit und die Arbeitsanweisungen der Beklagten ihre Ursache in der Behinderung oder dem Alter der Klägerin haben.
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Die vermeintliche Äußerung der Geschäftsführerin über die Klägerin, ein schlechtes Karma zu verbreiten, steht in keinem Zusammenhang mit der Behinderung oder dem Lebensalter. Hierbei handelt es sich um eine persönliche Einschätzung, die behinderte und nicht behinderte Mitarbeiter ebenso treffen kann wie jüngere und ältere. Selbst wenn eine solche Äußerung gefallen sein sollte, so ergeben sich daraus dennoch keine Rückschlüsse auf einen Bezug zu der Behinderung oder dem Alter. Rückschlüsse lassen sich allenfalls darauf ziehen, wie die Geschäftsführerin im Dezember 2015 die gemeinsame Zusammenarbeit in menschlicher Hinsicht persönlich empfunden hat. Ausschlaggebend hierfür war aber nicht die Behinderung der Klägerin, sondern waren die Störungen in der täglichen Zusammenarbeit durch aufgetretene Fehler und aufkeimendes Misstrauen, die zu verschiedenen Aussprachen und Arbeitsanweisungen geführt hatten. Die Klägerin hat keine Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass die Beklagte solche Störungen bei nicht behinderten oder jüngeren Mitarbeitern - anders als bei ihr - geduldet hat, geduldet hätte oder dulden würde. Gegen eine Anknüpfung an die Behinderung oder das Lebensalter spricht auch das bisherige Verhalten der Beklagten. Die Geschäftsführerin der Beklagten hat die Klägerin wunschgemäß im Rahmen der vom Rentenversicherungsträger festgestellten Leistungsfähigkeit weiterbeschäftigt und ihr im Falle der Genesung die Möglichkeit einer Rückkehr in die Vollbeschäftigung offengehalten, ohne der Behinderung oder dem Alter eine Bedeutung beizumessen. Zudem hat sie trotz der spätestens im Dezember 2015 aufgetretenen Störungen in der Zusammenarbeit nicht überstürzt reagiert, sondern das Arbeitsverhältnis noch mehrere Monate fortgesetzt.
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Soweit die Geschäftsführerin der Beklagten bei der zeitlichen Planung eines Geburtstagsfrühstücks keine Rücksicht auf die Anwesenheitszeiten der Klägerin genommen hat, fehlt es wiederum an einem Zusammenhang mit der Behinderung und dem Alter. Vielmehr liegt die Ursache in der Teilzeitbeschäftigung. Da die Klägerin nur an drei Tagen der Woche in der Kanzlei war, konnte sie zwangsläufig nicht an allem, was dort stattfand, teilhaben. Die Beklagte hat andere Mitarbeiter nicht besser gestellt als die Klägerin, weil diese jünger oder nicht behindert sind. Selbst wenn die Geschäftsführerin in diesem Zusammenhang zu einer drastischen Formulierung gegriffen haben sollte (durchfressen), so mag diese Äußerung zwar wenig höflich gewesen sein. Sie verstößt deshalb allerdings noch nicht gegen das Benachteiligungsverbot. Von einer Behinderung bzw. Erkrankung oder von dem Alter ist nicht die Rede. Eine indirekte Anspielung auf diese Merkmale ist ebenso wenig erkennbar. Im Übrigen sind Erklärungen stets im Gesamtzusammenhang zu bewerten. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, in welchem Rahmen und aus welchem Anlass eine Äußerung gefallen ist. Diese Umstände sind nicht ersichtlich.
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Dass die Klägerin ab 2014 keinen Tankgutschein mehr erhalten hat, geht auf den Wechsel in die Teilzeitbeschäftigung zurück, nicht aber auf eine Behinderung oder das Lebensalter. Anhaltspunkte für einen Zusammenhang mit der Behinderung oder dem Lebensalter sind nur dann gegeben, wenn andere teilzeitbeschäftigte - nicht behinderte oder jüngere - Arbeitnehmer besser behandelt worden sind, besser behandelt werden oder besser behandelt würden. Hierzu fehlt es an Sachvortrag. Abgesehen davon hat die Beklagte den Stundenlohn der Klägerin beim Wechsel in die Teilzeitbeschäftigung - zumindest geringfügig - erhöht.
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Die Arbeitsanweisungen der Beklagten haben unabhängig davon, ob sie nur für die Klägerin oder für alle Mitarbeiter gültig sind, keinen Bezug zur Behinderung oder dem Lebensalter. Die Arbeitsanweisungen dienen allein dazu, eine ordnungsgemäße Buchhaltung und Kundenbetreuung sicherzustellen. Die Beklagte ist berechtigt, die Arbeitsergebnisse ihrer Mitarbeiter zu kontrollieren bzw. sich die Kontrolle vorzubehalten. Dabei darf sie die unterschiedlichen Fähigkeiten und Fachkenntnisse sowie das Leistungsvermögen der Mitarbeiter berücksichtigen. Pflichtverletzungen können eine Abmahnung rechtfertigen. All das lässt noch keine Rückschlüsse auf eine schlechtere Behandlung wegen einer Behinderung oder wegen des Alters zu.
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2. Urlaubsabgeltung
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Die Klägerin hat keinen Anspruch aus § 7 Abs. 4 BUrlG auf eine Urlaubsabgeltung. Nach dieser Vorschrift ist der Urlaub, wenn er wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden kann, abzugelten.
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Der Klägerin stand bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 31.01.2017 kein Resturlaub mehr zu. Das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien bestimmte sich zum Zeitpunkt der Beendigung nach den Bedingungen des Arbeitsvertrages über eine geringfügige Beschäftigung vom 20.12.2013, dessen Laufzeit die Parteien mit dem undatierten Vertrag aus dem Jahr 2014 auf den 30.11.2017 verlängert haben. Die Urlaubsansprüche aus diesem Vertragsverhältnis sind nach dem Vorbringen der Klägerin vollständig erfüllt.
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Nach §§ 133, 157 BGB sind Verträge so auszulegen, wie die Parteien sie nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen mussten, wobei vom Wortlaut auszugehen ist. Zur Ermittlung des wirklichen Willens der Parteien sind auch die außerhalb der Vereinbarung liegenden Umstände einzubeziehen, soweit sie einen Schluss auf den Sinngehalt der Erklärung zulassen. Vor allem sind die bestehende Interessenlage und der mit dem Rechtsgeschäft verfolgte Zweck zu berücksichtigen. Im Zweifel ist der Auslegung der Vorzug zu geben, die zu einem vernünftigen, widerspruchsfreien und den Interessen beider Vertragspartner gerecht werdenden Ergebnis führt. Haben alle Beteiligten eine Erklärung übereinstimmend in demselben Sinne verstanden, so geht der wirkliche Wille dem Wortlaut des Vertrags und jeder anderweitigen Interpretation vor und setzt sich auch gegenüber einem völlig eindeutigen Vertragswortlaut durch (BAG, Urteil vom 15. Februar 2017 - 7 AZR 223/15 - Rn. 26, juris = NZA 2017, 908; BAG, Urteil vom 14. Dezember 2016 - 7 AZR 797/14 - Rn. 31, juris = ZTR 2017, 314).
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Der Arbeitsvertrag vom 20.12.2013 über eine geringfügige Beschäftigung verdrängt und ersetzt während seiner zeitlichen Geltungsdauer den vorangegangenen Arbeitsvertrag. Mit diesem Arbeitsvertrag haben die Parteien ihr Arbeitsverhältnis auf eine neue rechtliche Grundlage gestellt. Der Arbeitsvertrag regelt nicht nur einzelne Bestandteile oder Bedingungen aus dem Arbeitsverhältnis, wie z. B. das Gehalt, den Urlaub etc. Er regelt sämtliche Arbeitsbedingungen neu und für den Zeitraum seiner Geltung abschließend. Unter § 11 des Arbeitsvertrages heißt es, dass weitere Vereinbarungen außerhalb dieses Arbeitsvertrages nicht getroffen sind. Der Wortlaut ist insofern eindeutig. Von einem fortbestehenden ruhenden Arbeitsverhältnis ist dort nicht die Rede.
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Aus Sinn und Zweck des Vertrages ergibt sich nichts anderes. Zwar ist es grundsätzlich möglich, auch bei demselben Arbeitgeber mehrere Arbeits- oder Beschäftigungsverhältnisse, beispielsweise über verschiedene Teilzeittätigkeiten, zu begründen (vgl. BSG, Urteil vom 21. Juni 2001 - B 7 AL 54/00 R - Rn. 23, juris = NZS 2002, 326 zum Anspruch auf Teilarbeitslosengeld). Hierfür hatten die Parteien jedoch keinen Anlass. Sie hatten nicht den Willen, eine Arbeitspflicht im Umfang von insgesamt 50 Wochenstunden zu begründen, die sich bei einer Zusammenrechnung der Teilzeitbeschäftigung von 12 Wochenstunden mit der bisherigen Vollbeschäftigung von 38 Wochenstunden ergibt. Vielmehr ging es darum, das Arbeitsverhältnis dem eingeschränkten gesundheitlichen Leistungsvermögen der Klägerin und den monatlichen Rentenbezügen anzupassen. Die Klägerin erhielt ab Januar 2014 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. Voll erwerbsgemindert ist derjenige, der wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI). Aufgrund dessen war es zwingend erforderlich, die bisherige Arbeitszeit zu verringern. Eine Erhöhung der Gesamtarbeitszeit durch Begründung eines zusätzlichen Arbeitsverhältnisses war gerade nicht mit der vollen Erwerbsminderung vereinbar.
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Nach Sinn und Zweck des Arbeitsvertrages und dem übereinstimmenden Willen der Parteien ist lediglich die Befristungsregelung in einer den Wortlaut einschränkenden Weise auszulegen. Trotz des weit gefassten Wortlauts bezieht sich die Befristung des Vertrags auf den 30.11.2014, später verlängert auf den 30.11.2017, nicht auf das Arbeitsverhältnis als Ganzes, sondern nur auf die während des Rentenbezugs maßgeblichen Arbeitsbedingungen. Die Befristungszeiträume entsprechen denen der Rentenbewilligung. Die Parteien waren sich darüber einig, dass die Klägerin im Falle ihrer Genesung und dem Wegfall der Erwerbsminderungsrente wieder im Umfang der früheren Wochenarbeitszeit von zuletzt 38 Stunden arbeiten soll. In diesem Punkt bezieht der Arbeitsvertrag die früheren Arbeitsbedingungen ein und hält diese für den Fall der Genesung im Interesse der Klägerin aufrecht. Insofern sollte der alte Arbeitsvertrag "ruhen" und ggf. später wieder aufleben. In der Zwischenzeit sollten jedoch anstelle der bisherigen ausschließlich die neuen Arbeitsbedingungen des Vertrages vom 20.12.2013 gelten. Das Interesse der Klägerin, bei Wegfall der Rente wieder in die Vollbeschäftigung zurückzukehren, war damit ausreichend geschützt. Der Begründung eines weiteren, zusätzlichen Arbeitsverhältnisses bedurfte es nicht. Diese Vertragsgestaltung haben die Parteien - möglicherweise missverständlich - als ruhendes Arbeitsverhältnis bezeichnet, welche Seite auch immer diesen Begriff zuerst in den Raum gestellt hat. Das ändert aber nichts an dem tatsächlichen Willen der Parteien, nicht ein doppeltes Arbeitsverhältnis mit einer Gesamtarbeitszeit von 50 Wochenstunden zu begründen, sondern aufgrund der gegebenen Umstände die Vertragsbedingungen befristet abzuändern. Mehr konnte und durfte die Klägerin im Hinblick auf den Bezug der befristeten Rente wegen voller Erwerbsminderung von der Beklagten nicht erwarten.
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Zu einem Wiederaufleben der Vollbeschäftigung zu den früheren Arbeitsbedingungen ist es nicht mehr gekommen, da das Arbeitsverhältnis der Parteien zuvor durch arbeitgeberseitige Kündigung geendet hat.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Der Rechtsstreit wirft keine entscheidungserheblichen Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung auf.
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