Urteil vom Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz (7. Kammer) - 7 Sa 438/11
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 22.06.2011, Az.: 4 Ca 2899/10, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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Die Parteien des vorliegenden Rechtsstreits streiten darüber, ob die Beklagte noch zur Zahlung von Annahmeverzugslohn an den Kläger verpflichtet ist.
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Der Kläger war auf der Grundlage eines schriftlichen Arbeitsvertrages vom 08.12.1999 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängern seit dem 01.09.1997 als CAD-Konstrukteur beschäftigt; zuletzt erhielt er eine Bruttomonatsvergütung von 4.020,00 Euro.
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Die Beklagte ist ein Unternehmen der Automobilzuliefererindustrie. Sie unterhielt im Jahr 2010 zwei Betriebe, in B-Stadt einen Betrieb für Forschung und Entwicklung mit zirka 170 Arbeitnehmern sowie in A-Stadt einen Produktionsbetrieb mit zirka 270 Arbeitnehmern.
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Bei Abschluss des Arbeitsvertrags des Klägers mit der Rechtvorgängerin der Beklagten vom 08.12.1999 unterhielt die damalige Arbeitgeberin nur einen einzigen Betrieb am Standort B-Stadt (vgl. Bl. 73 d.A). Der Arbeitsvertrag hat, soweit vorliegend von Belang, u.a. folgenden Wortlaut:
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„1. Der Mitarbeiter wird als Technischer Angestellter im Bereich Werkzeugbau eingestellt.
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Die A.-GMBH behält sich vor, dem Mitarbeiter innerhalb des Unternehmens eine andere, gleichwertige Tätigkeit zu übertragen.
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Dienstsitz ist B-Stadt.“
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Nachdem der für das Betriebsgrundstück der Beklagten in B-Stadt abgeschlossene Mietvertrag zum 31.12.2010 endete, beschloss die Unternehmensleitung der Beklagten bereits zuvor, den Betrieb bis zum 31.12.2010 an den Standort A-Stadt zu verlegen. Der Betrieb sollte als eigenständiger zweiter Betrieb in A-Stadt neben dem dort bereits bestehenden Produktionsbetrieb auf dem firmeneigenen Gelände angesiedelt und im Übrigen unverändert fortgeführt werden.
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Mit Schreiben vom 28.09.2010 hat die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 31.03.2011 gekündigt und dem Kläger zugleich mit Wirkung vom 01.04.2011 die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses in A-Stadt zu im Übrigen unveränderten Arbeitsbedingungen angeboten. Der Kläger hat dagegen zunächst Kündigungsschutzklage erhoben, diese sodann jedoch zurückgenommen.
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Mit Schreiben vom 26.11.2010 hat die Beklagte unter anderem auch den Kläger gebeten, bereits ab dem 13.12.2010 in A-Stadt zu arbeiten. Mit Schreiben vom 09.12.2010 hat die Beklagte den Kläger sodann aufgefordert, seine Arbeitsleistung ab diesem Zeitpunkt bis zum Ablauf der Kündigungsfrist in A-Stadt zu erbringen; zugleich hat sie für den Weigerungsfall Lohnkürzungen angekündigt.
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Die Arbeitsplätze der von der Versetzung betroffenen Arbeitnehmer waren ab dem 13.12.2010 nicht mehr in B-Stadt, sondern in A-Stadt eingerichtet. Für den Kläger bestand folglich keine andere Einsatzmöglichkeit in B-Stadt mehr.
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Die geplante Betriebsverlagerung wurde zum 31.12.2010 abgeschlossen. Seit dem 01.01.2011 wurden in B-Stadt nur noch Aufräumarbeiten für die Übergabe des Betriebsgrundstücks ausgeführt.
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Der Kläger fand sich in der Zeit vom 13.12.2010 bis einschließlich 17.12.2010 an seinem bisherigen Arbeitsplatz in B-Stadt ein. Er war in dieser Zeit auch arbeitsfähig, obwohl er außerhalb der Arbeitszeit sich in ärztlicher Behandlung wegen eines Bandscheibenleidens befand.
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Ausweislich der Lohnabrechnung für Dezember 2010 hat die Beklagte die Vergütung des Klägers für die 50. Kalenderwoche 2010 um 873,75 Euro brutto gekürzt. Dagegen wendet sich der Kläger.
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Der Kläger hat vorgetragen,
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die Lohnkürzung sei rechtswidrig erfolgt, weil er nicht verpflichtet gewesen sei, in A-Stadt zu arbeiten. Die Änderung des Arbeitsorts sei auch unbillig, weil die einfache Wegstrecke vom Wohnort des Klägers zum neuen Arbeitsort 179 km betrage und eine Fahrzeit von zirka zwei Stunden bzw. - mit öffentlichen Verkehrsmitteln - von zirka 3,5 Stunden erforderlich mache. Zudem lasse die gesundheitliche Situation des Klägers längere Anfahrtszeiten nicht zu. Letztlich sei der Arbeitsplatz in A-Stadt in der Zeit vom 13.12. bis 17.12.2010 gar nicht eingerichtet gewesen, sondern habe sich vielmehr noch im Trockenbaustadium befunden.
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Der Kläger hat beantragt,
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die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 873,75 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 12. Januar 2011 zu zahlen.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage wird abzuweisen.
- 21
Die Beklagte hat vorgetragen,
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sie sei zur Zahlung von Annahmeverzugsentgelt nicht verpflichtet, weil sie dem Kläger einen funktionsfähigen vertragsgerechten Arbeitsplatz in A-Stadt angeboten habe. Dort habe er seine Arbeitsleistung tatsächlich anbieten müssen. Die Versetzung vom 09.12.2010 sei auf der Grundlage der vertraglichen Versetzungsklausel rechtswirksam. Die Formulierung „innerhalb des Unternehmen“ sei unsinnig, wenn der Kläger allein in B-Stadt habe eingesetzt werden können. Bei der Ausübung des Direktionsrechts seien die Interessen des Klägers angemessen berücksichtigt worden; es sei - unstreitig - ein Bustransfer eingerichtet und - unstreitig - im Sozialplan Mobilitätshilfen vereinbart worden.
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Sollte dem entgegen die Versetzung gleichwohl unwirksam sein, so habe der Kläger dennoch keinen Zahlungsanspruch, weil er es dann i.S.d. § 615 Satz 2 BGB böswillig unterlassen habe, die zumutbare Arbeit in A-Stadt aufzunehmen. Die Entfernung zum neuen Arbeitsort stehe dem nicht entgegen, weil jegliche Beschäftigungsmöglichkeit am bisherigen Arbeitsort B-Stadt zum 13.12.2010 entfallen sei und die Beklagte umfangreiche Mobilitätshilfen zur Verfügung gestellt habe.
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Das Arbeitsgericht Koblenz hat daraufhin die Beklagte durch Urteil vom 22.06.2011 - 4 Ca 2899/10 - verurteilt, an den Kläger 873,75 EUR brutto nebst Zinsen zu zahlen. Hinsichtlich des Inhalts von Tatbestand und Entscheidungsgründen wird auf Bl. 102 bis 115 d.A. Bezug genommen.
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Gegen das ihr am 13.07.2011 zugestellte Urteil hat die Beklagte durch am 25.07.2011 beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt. Sie hat die Berufung durch am 12.08.2011 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz begründet.
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Die Beklagte wiederholt ihr erstinstanzliches Vorbringen und hebt insbesondere hervor, die streitgegenständliche Versetzungsklausel sei rechtswirksam vereinbart worden; selbst wenn man anderer Auffassung sei, habe der Kläger zumindest durch die Nichtaufnahme der Tätigkeit in A-Stadt anderweitigen Verdienst böswillig unterlassen im Sinne des § 615 Satz 2 BGB. Alle von der Mitwirkung zum 13.12.2010 erfolgten Versetzung betroffenen Arbeitsplätze, insbesondere auch der des Klägers, hätten bereits in der 49. Kalenderwoche 2010 den gesetzlichen Arbeitsschutzbestimmungen genügt. Von einer Mehrdeutigkeit der Versetzungsklausel im schriftlich abgeschlossenen Arbeitsvertrag könne keine Rede sein. Auch habe diese Maßnahme billigem Ermessen entsprochen.
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Zur weiteren Darstellung der Auffassung der Beklagten wird auf die Berufungsbegründungsschrift vom 11.08.2011 (Bl. 171 bis 201 d.A.) nebst Anlagen (Bl. 202 bis 206 d.A.) sowie deren Schriftsatz vom 10.10.2011 (Bl. 222 bis 224 d.A.) nebst Anlage (Bl. 225 bis 227 d.A.) Bezug genommen.
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Die Beklagte beantragt,
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das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 22.06.2011, Az.: 4 Ca 2899/10, aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Der Kläger verteidigt die angefochtene Entscheidung unter Wiederholung seines erstinstanzlichen Vorbringens und hebt insbesondere hervor, die Versetzungsklausel im Arbeitsvertrag der Parteien sei unklar, mit der Maßgabe, dass die Zuweisung des Arbeitsorts A-Stadt zum Nachteil des Klägers rechtswidrig sei. Zudem sei dem Kläger vor Abschluss des schriftlichen Arbeitsvertrages mitgeteilt worden, dass der neue Arbeitsvertrag zu keinerlei Nachteilen für ihn führen werde. Auch habe er durch die Aufnahme der Tätigkeit in A-Stadt anderweitigen Verdienst nicht böswillig unterlassen.
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Zur weiteren Darstellung der Auffassung des Klägers wird auf die Berufungserwiderungsschrift vom 28.09.2011 (Bl. 214 bis 217 d.A.) Bezug genommen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der Schriftsätze der Parteien, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, sowie die zu den Akten gereichten Schriftstücke verwiesen.
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Schließlich wird Bezug genommen auf das Sitzungsprotokoll vom 24.10.2011.
Entscheidungsgründe
I.
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Das Rechtsmittel der Berufung ist nach §§ 64 Abs. 1, 2 ArbGG statthaft. Die Berufung ist auch gem. §§ 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 ArbGG in Verbindung mit §§ 518, 519 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.
II.
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Das Rechtsmittel der Berufung hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
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Denn das Arbeitsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger Annahmeverzugslohn (§ 293 ff., 615 BGB) für den streitgegenständlichen Zeitraum verlangen kann; er hat es insbesondere nicht böswillig unterlassen, anderweitigen Verdienst zu erzielen.
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Gemäß § 615 Abs. 1 BGB kann der Arbeitnehmer für die in Folge des Verzuges nicht geleisteten Dienste die vereinbarte Vergütung verlangen, ohne zur Nachleistung verpflichtet zu sein, wenn der Arbeitgeber mit der Annahme der Dienste in Verzug gerät. Gemäß § 293 BGB ist das dann der Fall, wenn der Arbeitgeber die ihn angebotene Leistung nicht annimmt. Dabei muss die Leistung gemäß § 294 BGB grundsätzlich so, wie sie auch tatsächlich zu bewirken ist, angeboten werden.
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Der Kläger hat, davon ist das Arbeitsgericht zu Recht ausgegangen, im streitgegenständlichen Zeitraum seine Arbeitsleistung so angeboten, wie sie auch tatsächlich zu bewirken war, in dem er an seinem bisherigen Arbeitsplatz in B-Stadt erschienen ist. Er war nicht zur Erbringung der Arbeitsleistung in A-Stadt verpflichtet, weil die Beklagte zu einer entsprechenden Weisung nach dem Arbeitsvertrag der Parteien nicht befugt war. Die Versetzungsanordnung im Schreiben vom 09.12.2010 ist unwirksam.
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Mit dem Direktionsrecht (§ 106 GewO; vgl. BAG 15.09.2009 EzA § 106 GewO Nr. 4 = NZA 2009, 1333; Dörner/Luczak/Wildschütz, Handbuch des Fachanwalts für Arbeitsrecht, 9. Aufl. 2011, S. 145 ff.) kann der Arbeitgeber zwar primär die jeweils konkret zu leistende Arbeit und die Art und Weise ihrer Erbringung festlegen. Das Weisungsrecht des Arbeitgebers erstreckt sich gemäß § 106 Satz 1, 2 GewO auf "Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung" sowie auf die "Ordnung und Verhalten im Betrieb". Das Weisungsrecht findet allerdings seine Grenzen in einzelvertraglichen, gesetzlichen und kollektivvertraglichen Regelungen, auch dispositiven, soweit sie nicht im Einzelfall durch Vereinbarung abgedungen sind. Das Weisungsrecht kann insbesondere nicht einseitig die im Arbeitsvertrag festgelegten Bedingungen verändern (vgl. LAG Köln 28.01.2004 LAG-Report 2004, 270). Der Arbeitgeber kann also Inhalt, Ort und Umfang der Arbeitspflichtkraft seines Weisungsrechts nur im Rahmen eines jeweiligen Arbeitsvertrages festlegen (BAG 23.06.2007, EZA § 106 GewO Nr. 2 = EZA 2007, 974). Je genauer die Tätigkeit des Arbeitnehmers sowie die Modalitäten der Beschäftigung, also insbesondere auch der Einsatzort, aber auch zum Beispiel Umfang und die Lage der Arbeitszeit im Arbeitsvertrag beschrieben sind, um so weniger Spielraum hat der Arbeitgeber zum Beispiel bei der Zuweisung verschiedenartiger Tätigkeiten (vgl. BAG 23.11.2004, EZA § 4 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 134). Befindet sich deshalb zum Beispiel in einem Arbeitsvertrag keine Versetzungsklausel, so ist die einseitige Versetzungsmöglichkeit durch Direktionsrecht des Arbeitgebers an einen anderen Ort außerhalb des Betriebes - und sei diese auch nur 13 km entfernt - nicht gegeben (LAG Nürnberg 17.02.2004 NZA - RR 2204, 628; Dörner/Luczak/Wildschütz, a.a.O., S. 150).
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Vorliegend haben die Arbeitsvertragsparteien nach Auffassung der Kammer im schriftlich abgeschlossenen Arbeitsvertrag als Arbeitsort B-Stadt unter Einschränkung des gesetzlichen Weisungsrechts vertraglich vereinbart. Aus der Sicht des klagenden Arbeitnehmers (§ 133, 157 BGB) kann die Formulierung "… ist B-Stadt" nur so verstanden werden, dass eine das Weisungsrecht ausschließende Festlegung der Arbeitstätigkeit auf den Ort B-Stadt geregelt werden sollte. Denn dieser Satz enthält keinerlei Vorbehalt einer abweichenden Zuweisung, zum Beispiel durch die ergänzenden Formulierungen "derzeit", "einstweilen", "vorbehaltlich einer anderen Bestimmung" und dergleichen mehr. Für diese Auslegung spricht auch der Zusammenhang zum Vorsatz, in dem sowohl eine das Weisungsrecht betreffende Flexibilität des Einsatzes des Klägers in tätigkeitsbezogener Hinsicht als auch durchaus bezogen auf einen anderen Betrieb des Unternehmens zu sehen ist ("gleichwertige Tätigkeit", "innerhalb des Unternehmens"). Hätten es die Vertragsparteien hinsichtlich des Arbeitsortes insoweit lediglich beim gesetzlichen Weisungsrecht belassen wollen, hätte der Nachsatz, bezogen auf den Dienstort, entweder insgesamt entfallen müssen oder aber es wäre klarzustellen gewesen, dass es sich um eine Beschreibung des "Ist-Zustandes" handelte, für den im Übrigen das normale Weisungsrecht gilt. Daran fehlt es vorliegend, so dass davon auszugehen ist, dass eine vertragliche Vereinbarung der Beschränkung der Ableistung der Tätigkeit in B-Stadt erfolgt ist.
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Sollte man der hier vertretenen Auffassung nicht folgen, so wäre mit dem Arbeitsgericht davon auszugehen, dass die formularvertragliche Vereinbarung jedenfalls einer AGB-Kontrolle unterliegt. Denn die dann gegebene Versetzungsklausel im Arbeitsvertrag ist Bestandteil eines Formulararbeitsvertrages, der für eine Vielzahl von Verträgen vorformuliert wurde; es handelt sich also um eine allgemeine Geschäftsbedingung im Sinne von § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB, die der Auslegung bedarf. Hinsichtlich des Prüfungsmaßstabes für die Auslegung wird insoweit zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts (S. 9, 10 = Bl. 108, 109 d.A.) in der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen (vgl. auch Dörner/Luczak/Wildschütz, a.a.O., S. 181 ff.).
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Entscheidend ist insoweit letztlich, dass der die allgemeinen Geschäftsbedingungen verwendende Arbeitgeber bei Unklarheiten die im ungünstigsten Auslegungsmöglichkeit gegen sich gelten lassen muss.
- 45
Vor diesem Hintergrund wäre, die zuvor dargestellte Auslegung des Arbeitsvertrages durch die Kammer als unzutreffend unterstellt, davon auszugehen, dass die Parteien in Ziffer 1 Satz 2 des Arbeitsvertrages zunächst eine örtliche Versetzungsbefugnis vereinbart haben. Zur Begründung dessen wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts in der angefochtenen Entscheidung (S. 11, 12 = Bl. 110, 111 d.A.) Bezug genommen. Dieses Auslegungsergebnis ist dann aber nicht das einzig denkbare, denn der Wortlaut der Vertragsbestimmung kann auch dahingehend verstanden werden, dass nur die Art der Tätigkeit flexibel gestaltet werden soll. Insoweit wird auf S. 12 der angefochtenen Entscheidung (= Bl. 111 d.A.) Bezug genommen.
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Die damit festgestellte Unklarheit geht zu Lasten des Verwenders (§ 305 c Abs. 2 BGB). Führt die "kundenfeindlichste" Auslegung nicht zur Unwirksamkeit der Klausel, so ist die "kundenfreundlichste" Auslegung zugrunde zu legen. Ersteres (örtliche Versetzung vorbehalten) führt vorliegend deshalb nicht zur Unwirksamkeit der Klausel, weil mit dem Angebot die Hauptleistungspflicht geregelt wurde; das ist kontrollfrei möglich (§ 307 Abs. 3 Satz 1 BGB). Folglich ist die "kundenfreundlichste" Auslegungsvariante heranzuziehen, wonach sich die Arbeitgeberin so behandeln lassen muss, als sei die Versetzung nach A-Stadt nicht vertraglich vorbehalten worden.
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Der Anspruch aus § 615 Satz 1 BGB, der somit gegeben ist, ist auch nicht gemäß § 615 Satz 2 BGB ausgeschlossen. Danach muss sich der Arbeitnehmer den Wert desjenigen anrechnen lassen, was er in Folge des Unterbleibens der Dienstleistung erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt. Denn eine derartige Obliegenheit des Klägers, Zwischenverdienst bei seiner bisherigen Arbeitgeberin in A-Stadt zu erzielen, bestand aufgrund der Besonderheiten des vorliegend zu entscheidenden Einzelfalles nicht.
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Zwar kann böswilliges unterlassen im Sinne des § 615 Satz 2 BGB auch darin liegen, dass der Arbeitnehmer nach Ausspruch einer Änderungskündigung durch den Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu den geänderten Arbeitsbedingungen oder zumindest zu den bisherigen Arbeitsbedingungen ablehnt (BAG, 11.01.2006 EzA § 615 BGB 2002 Nr. 11 = NZA 2006, 314; 07.02.2007 EzA § 615 BGB 2002 Nr. 19 = NZA 2007, 561; Dörner/Luczak/Wildschütz, a.a.O., S. 739 ff.).
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Ob der Arbeitnehmer es böswillig unterlassen hat, eine zumutbare Arbeit anzunehmen, ist nach den gesamten Umständen des konkreten Einzelfalles im Rahmen einer Interessenabwägung zu beurteilen. Bei der Prüfung sind das dem Arbeitnehmer gemäß Art. 12 GG zustehende Grundrecht der freien Arbeitsplatzwahl sowie der Grundsatz von Treu und Glauben zu beachten. Die Unzumutbarkeit der Arbeit kann sich aus verschiedenen Gesichtspunkten ergeben. Sie kann in der Person des Arbeitgebers, der Art der Arbeit oder auch in den sonstigen Arbeitsbedingungen ihren Grund haben. Auch vertragsrechtliche Umstände sind zu berücksichtigen. Demgegenüber kann auf die Zumutbarkeitskriterien des § 121 SGB III nicht abgestellt werden, weil es dort um einen anderen Regelungszweck, nämlich den Schutz der Versichertengemeinschaft, geht. Böswillig handelt der Arbeitnehmer, der in Kenntnis der objektiven Umstände, d.h. der Arbeitsmöglichkeit, der Zumutbarkeit der Arbeit und der Nachteilsfolge für den Arbeitgeber, gleichwohl vorsätzlich untätig bleibt oder die Arbeitsaufnahme verhindert hat; nicht erforderlich ist Schädigungsabsicht des Arbeitnehmers. Dabei kann eine Unzumutbarkeit sowohl bei ungerechtfertigter wie auch bei gerechtfertigter Änderungskündigung gegeben sein. Auf die Erhebung einer Änderungs- (Kündigungs-) Schutzklage kommt es nicht an (vgl. BAG 16.07.2004 - 5 AZR 508/03 ZTR 2004, 655; BAG 26.09.2007 EzA § 615 BGB 2002 Nr. 121 = NZA 2008, 1063; Dörner/Luczak/Wildschütz, a.a.O., S. 741).
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Wird dem Arbeitnehmer vom Arbeitgeber unter Überschreitung des Direktionsrechts eine andere Arbeit zugewiesen, als der Arbeitnehmer sie vertraglich schuldet, ist die Ablehnung dieser Arbeit grundsätzlich keine böswillige Unterlassung im Sinn des § 615 Satz 2 BGB. Bietet der Arbeitgeber objektiv vertragswidrige Arbeit an, sind im Hinblick auf § 615 Satz 2 BGB allerdings die Art dieser Arbeit und die sonstigen Arbeitsbedingungen im Vergleich zu der bisherigen Arbeit zu prüfen. Das Maß der gebotenen Rücksichtnahme beim Arbeitnehmer hängt regelmäßig davon ab, aus welchen Gründen der Arbeitgeber nicht die vertragsgemäße Arbeit anbietet. Dies ist vom Arbeitgeber darzulegen. Bestehen für die Änderung dringende Gründe, denen nicht von vornherein eine Billigung versagt werden kann, handelt der Arbeitnehmer dann nicht rücksichtsvoll (vgl. auch § 241 Abs. 2 BGB), wenn er die Arbeit allein deshalb ablehnt, weil sie nicht vertragsgemäß ist, und deshalb ohne Erwerb bleibt. Die beiderseitigen Gründe für die Zuweisung bzw. Ablehnung der neuen Arbeit sind zu benennen und sodann gegeneinander abzuwägen. Bei einem Irrtum des Arbeitgebers über die Vertragsmäßigkeit ist auch die Vertretbarkeit seines (Rechts-) Standpunkts zu berücksichtigen (BAG 07.02.2007 EzA § 615 BGB 2002 Nr. 19 = NZA 2007, 561).
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Daraus folgt, dass während des Laufs einer Kündigungsfrist nur ausnahmsweise dann eine Obliegenheit zur Aufnahme vertragswidriger Arbeit besteht, wenn der Arbeitgeber den Wegfall der bisherigen Beschäftigungsmöglichkeit nicht selbst durch zurechenbares Verhalten herbeigeführt hat. Vor Ablauf der Kündigungsfrist muss der Arbeitnehmer in der Regel keine vertragswidrige Arbeit aufnehmen.
- 52
Vorliegend, insoweit folgt die Kammer dem Arbeitsgericht, beruht der Wegfall der bisherigen vertragsgemäßen Beschäftigungsmöglichkeit auf der freien unternehmerischen Entscheidung der Beklagten von Anfang Juni 2010 bzw. deren tatsächlicher Umsetzung. Dass die Beklagte dem Kläger bereits im Dezember 2010 keine vertragsgemäße Arbeit mehr in B-Stadt zuweisen konnte, ist Ergebnis dieser unternehmerischen Entscheidung und zugleich auch Ausdruck ihres unternehmerischen Risikos. Zwar mag in Einzelfällen eine Arbeitsobliegenheit im Sinne des § 615 Satz 2 BGB in Fällen des Eintretens eines unvermeidbaren Betriebsrisikos, insbesondere bei höherer Gewalt, unter Umständen bestehen (BAG 07.02.2007 a.a.O.), der Arbeitnehmer ist aber andererseits nicht gehalten, das allgemeine Wirtschaftsrisiko der Beklagten zu tragen. Denn anderenfalls könnte der Arbeitgeber ohne Kostenrisiko vertragswidrigen Arbeiten zuweisen und von einer Änderungskündigung insgesamt absehen. Besondere Umstände, die zu Gunsten der Beklagten zu einem anderen Ergebnis führen könnten, sind vorliegend nicht ersichtlich (vgl. auch LAG Hamm 24.05.2007 NZA - RR 2008, 175).
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Da hinsichtlich der Höhe der Klageforderung keine Meinungsverschiedenheiten zwischen den Parteien bestehen, hat das Arbeitsgericht folglich der Klage zu Recht stattgegeben.
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Das Berufungsvorbringen der Beklagten rechtfertigt keine abweichende Beurteilung des hier maßgeblichen Lebenssachverhalts.
- 55
Denn neben einer umfassenden Darstellung der tatsächlichen Ereignisse, die zur Verlegung des Betriebes B-Stadt geführt haben, wiederholt die Beklagte lediglich ihre Rechtsauffassung, wonach sie sich auf eine vertragliche Versetzungsklausel berufen konnte, bzw. darauf, dass der Kläger durch die Nichtleistung der Arbeit in A-Stadt anderweitigen Verdienst böswillig unterlassen habe. Neue, nach Inhalt, Ort, Zeitpunkt und beteiligten Personen substantiierte Tatsachenbehauptungen, die ein anderes Ergebnis rechtfertigen könnten, werden nicht vorgetragen; gleiches gilt für rechtliche Argumente, die die rechtliche Bewertung des hier maßgeblichen Lebenssachverhalts in einem anderen Licht erscheinen lassen könnten. Das Berufungsvorbringen macht insbesondere lediglich deutlich, dass die Beklagte - aus ihrer Sicht verständlich - die gegenteilige Auffassung des Arbeitsgerichts, die die Kammer für letztlich zutreffend hält, nicht teilt. Weitere Ausführungen sind folglich nicht veranlasst.
- 56
Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.
- 57
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
- 58
Für eine Zulassung der Revision war angesichts der gesetzlichen Kriterien des § 72 ArbGG keine Veranlassung gegeben.
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