Urteil vom Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz (2. Kammer) - 2 Sa 621/11
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Trier vom 19.10.2011 - 1 Ca 611/11 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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Gegenstand des Rechtsstreits ist die Wirksamkeit der von der Beklagten ausgesprochenen außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung. Diese wurde am 20.04.2011 erklärt.
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Der Kläger ist bei der Beklagten, welche ein Unternehmen der Tabakindustrie mit ca. 1700 Mitarbeitern betreibt, seit dem Jahre 1982 als Einrichter beschäftigt. Er bezog zuletzt ein Bruttomonatsgehalt von 4.330,00 EUR.
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Der Kläger ist am … 1962 geboren und einem Kind zum Unterhalt verpflichtet.
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Im Betrieb existiert eine Betriebsordnung. In deren Ziffer 2.2.2 ist vorgesehen, dass Kontrollen möglich sind. Der Diebstahl von Tabak und Tabakerzeugnissen sei Steuerhinterziehung, daher würden beim Verlassen der Betriebe Kontrollen durchgeführt. Bei Beginn seiner Tätigkeit unterzeichnete der Kläger unter dem 01.10.1982 einen an ihn gerichteten Hinweis zur Kenntnisnahme, der wie folgt wörtlich lautet:
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"Sie nehmen Ihre Tätigkeit in einem Betrieb auf, in dem Zigaretten hergestellt werden. Zigaretten unterliegen einer besonderen steuerrechtlichen Behandlung. Wir weisen Sie darauf hin, dass jede widerrechtliche Entnahme von Zigaretten sowie das Verbringen von Zigaretten vom Werksgelände sofort eine fristlose Auflösung des Arbeitsverhältnisses zur Folge hat. "
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Auf diese Folge wurde durch die Beklagte auch in Betriebsversammlungen, zuletzt in der vom 07.10.2010, hingewiesen.
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Am 13.04.2011 fand bei Beendigung der Spätschicht eine sog. Vollkontrolle statt. Diese Vollkontrolle wurde von einem seitens der Beklagten engagierten Sicherheitsdienst durchgeführt. Sie erfasste alle Mitarbeiter, die in dem Kontrollzeitraum das Werksgelände verließen. Beim Verlassen des Betriebsgeländes wurde der Kläger gefragt, ob er Zigaretten bei sich führte. Der kontrollierenden Person zeigte der Kläger sodann eine Schachtel Zigaretten, die er aus einer Jackentasche nahm. Die Packung war geöffnet und angebrochen. Durch den auf der Zigarettenschachtel eingeprägten Code war erkennbar, dass die Schachtel weder im Handel erworben noch als Deputatzigaretten an die Mitarbeiter herausgegeben worden ist. Die Personalien des Klägers wurden anschließend aufgenommen. Nachdem die Produktionsleitung und Geschäftsführung der Beklagten über den Sachverhalt unterrichtet worden war, leitete sie die außerordentliche hilfsweise ordentliche Kündigung des Klägers ein. Der Betriebsrat äußerte mit Schreiben vom 18.04.2011 Bedenken gegen die außerordentliche Kündigung. Das Kündigungsschreiben vom 20.04.2011 ging dem Kläger am gleichen Tage zu, wobei der Kläger behauptet, dieses sei bereits vor Abschluss des Anhörungsverfahrens beim Betriebsrat unterzeichnet gewesen. In diesem Kündigungsschreiben kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich ersatzweise fristgerecht zum 31.12.2011.
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Mit der am 03. Mai 2011 beim Arbeitsgericht Trier eingegangenen Klage verfolgt der Kläger die Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung und Weiterbeschäftigung. Er hat vorgetragen, bei den vorgefundenen Zigaretten habe es sich um seine Deputatzigaretten gehandelt. Er habe festgestellt, dass die Deputatpackung in seiner Brusttasche innen in der Jacke durch Reinigungsarbeiten an der Dosenanlage vom Körperschweiß beeinträchtigt und aufgeweicht gewesen sei. Nach seiner Erinnerung hätten sich noch ca. 10 - 12 Zigaretten dort befunden, diese hätten unzweifelhaft aus seinem eigenen Deputat bestanden. Da die Zigaretten noch unbeschädigt waren und er befürchtet habe, dass die Zigaretten durch die aufgeweichte und feuchte Packung in Mitleidenschaft gezogen werden, habe er die Zigaretten entnommen und zunächst lose in seine Straßenjacke gesteckt. Nach Zeitstempeln gegen 22:05 Uhr habe er nach Verlassen der Halle einen Standaschenbecher gesehen, auf welchem eine leere Packung "C.", welche für das Inland bestimmt gewesen sei, lag. Dies habe er, obwohl es draußen dunkel war, an der Schrift und der Sprache der Packung erkannt. Die Packung sei nach außen hin vollständig intakt aber leer gewesen, er habe die Packung leicht mit den Fingern geöffnet und festgestellt, dass sie leer war und das Silberpapier in der Packung auch noch intakt. Da er sich in Eile befunden habe und nach Hause wollte, habe er nicht darauf geachtet, ob sich eine Banderole auf der Packung befinde und habe aus der Brusttasche dann seine losen Deputatzigaretten entnommen und diese in die Packung eingesteckt. Als er bei der Kontrolle gefragt wurde, ob er Zigaretten dabei habe, habe er geantwortet, er hätte seine Zigaretten dabei. Auf Frage des Kontrolleurs, ob er diese Zigaretten sehen könnte, habe er frank und frei die Packung aus der Jacke genommen und sie dem Kontrolleur gegeben. Bei der Überprüfung habe er direkt darauf hingewiesen, dass es sich um seine eigenen Deputatzigaretten gehandelt habe und lediglich die Packung eben von ihm aufgefunden und falsch benutzt wurde.
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Der Kläger hat beantragt,
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festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche noch durch die hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten vom 20.04.2011 beendet wird,
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festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet sondern auf unbestimmte Zeit fortbesteht,
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im Falle des Obsiegens mit dem Antrag zu 1.) und/oder zu 2.) die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Einrichter weiter zu beschäftigen.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hat vorgetragen, die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger sei wegen des von ihm begangenen Diebstahls nicht weiter zumutbar. Die Erklärung des Klägers zu seinem Besitz an der unstreitig nicht rechtmäßig aus dem Werksgelände hinauszutragenden Zigarettenschachtel sei nicht plausibel. Wenn alle Mitarbeiter täglich auch nur wenige Zigaretten mitnähmen, würde ihr ein erheblicher, nicht in Kauf zu nehmender finanzieller Schaden entstehen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes erster Instanz wird auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Trier vom 19.10.2011 verwiesen.
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Das Arbeitsgericht hat der Klage überwiegend entsprochen und festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 20.04.2011 und durch die gleichzeitig erklärte ordentliche Kündigung beendet worden ist. Das Arbeitsgericht hat dabei zu Gunsten der Beklagten für die weitere Beurteilung der Wirksamkeit der Kündigung unterstellt, dass der Kläger tatsächlich bewusst die nicht in seinem Eigentum stehenden Zigaretten aus dem Betriebsgelände herausgetragen habe. Es läge zwar ein an sich geeigneter Grund zur fristlosen Kündigung vor, die Kündigung halte aber einer Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht stand. Hierzu führt das Arbeitsgericht ins Einzelne gehend aus und vertritt die Auffassung, eine Abmahnung sei vorliegend nicht entbehrlich gewesen. Allein aus der Betriebsordnung und den regelmäßig durchgeführten Betriebsversammlungen ergebe sich nicht, dass eine Abmahnung konkret entbehrlich wäre. Der Arbeitgeber hätte es dann weitestgehend in der Hand, durch regelmäßige Anprangerung bestimmter Verhaltensweisen bei Betriebsversammlungen erleichterte Kündigungsvoraussetzungen zu schaffen. Es könne daher nicht alleine auf die subjektive Bewertung des Pflichtenverstoßes angekommen, sondern es müsse stets eine objektive Komponente hinzukommen. Für die Entbehrlichkeit einer Abmahnung müsse es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handeln, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich auch für den Arbeitnehmer erkennbar ausgeschlossen sei. Die Erkennbarkeit müsse auf der Schwere der Pflichtverletzung beruhen, nicht oder zumindest nicht allein auf einer vorherigen Ankündigung des Arbeitgebers. Eine solche Schwere der Pflichtverletzung sei vorliegend nicht gegeben. Der der Kündigung zugrunde liegende, vom Kläger bestrittene Pflichtenverstoß, sei einmalig und habe eine geringwertige Sache betroffen. Wenn die Beklagte vortrage, sie könne nicht wissen, ob der Kläger erstmals versucht habe, Zigaretten zu stehlen oder ob er lediglich erstmals dabei ertappt worden sei und diese Ungewissheit führe für sie zu einer unwiederbringlichen Zerstörung des Vertrauens in die Redlichkeit des Klägers, überzeuge dies nicht. Es handele sich hierbei um reine Spekulation. Die Geringwertigkeit der Sache sei auch nicht aus einem steuerrechtlichen oder steuerstrafrechtlichen Hintergrund anders zu beurteilen. In diesem Zusammenhang sei auch der Vortrag der Beklagten zu berücksichtigen, nachdem ihr zwar die entwendete einzelne Schachtel keinen schmerzlichen Schaden zufügte, wohl aber das Verschwinden von Tabak in seiner Gesamtheit. Diese Argumentation sei zwar beachtlich, da sie ein nachvollziehbares Interesse der Beklagten begründe, Tabakdiebstahl in besonderem Maße entgegenzutreten. Eine solches Verhindern von Diebstählen und Unterschlagungen ließe sich zweifelsohne durch konsequente Sanktionen erreichen. Die Beklagte könne auch nicht darauf verwiesen werden, Diebstählen durch aufwendige Kontrollen entgegenzutreten. Ein Produzieren ohne freien Zugriff auf die Tabakerzeugnisse und auch eine lückenlose Ausgangskontrolle sei nicht möglich. Zudem habe jeder Arbeitnehmer auch ohne Kontrolle das Eigentum seines Arbeitgebers zu achten und könne sich nicht durch fehlende Überprüfungen entlasten. In dem von der Beklagten vorgetragenen Sachverhalt gehe es um eine Schachtel Zigaretten. Dass an Ostern oder insgesamt im Laufe der letzten Jahre im größeren Umfang Tabak entwendet wurde, könne nicht im Ausschlag gebenden Maße zu Lasten des Klägers gereichen. Die generalpräventiven Erwägungen seien daher zwar nicht unbeachtlich, führten aber nicht dazu, dass die Kündigung von der Kammer im konkreten Fall als verhältnismäßig und angemessen erachtet werde. Bei der objektiven Beurteilung der Frage der Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung sei zu berücksichtigen, ob der Arbeitnehmer bereits geraume Zeit in einer Vertrauensstellung beschäftigt sei, ohne vergleichbare Pflichtverletzungen begangen zu haben. Hier sei die zugunsten des Klägers die fast 30 Jahre bestehende beanstandungsfreie Betriebszugehörigkeit zu berücksichtigen. Der Kläger habe sich in dieser Zeit nicht durch einschlägiges Vorverhalten hervorgetan. Wie die Beklagte selbst vorgetragen habe, fänden regelmäßig sowohl Vollkontrollen, bei denen alle Mitarbeiter bei Verlassen der Schicht kontrolliert werden, als auch Ausgangskontrollen in Form von einzelnen Stichproben nach Zufallsprinzip statt. Diese Proben liefen schon seit mehreren Jahren. Anlässlich dieser Kontrollen sei der Kläger nie aufgefallen. Aufgrund der Einmaligkeit des behaupteten Vorfalls und der wirtschaftlichen Geringwertigkeit sei das Weiterbeschäftigungsinteresse des Klägers höher zu bewerten als das Beendigungsinteresse der Beklagten. Die Beklagte hätte zunächst mit einer Abmahnung reagieren müssen. Die fristlose Kündigung sei unverhältnismäßig und damit unwirksam. Gleiches gelte für die Erwägungen zur sozialen Rechtfertigung der ausgesprochenen ordentlichen Kündigung.
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Der Weiterbeschäftigungsantrag sei wegen fehlender Beendigung des Arbeitsverhältnisses begründet.
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Wegen der weiteren Einzelheiten der umfangreichen Urteilsbegründung wird auf die vorbezeichnete Entscheidung verwiesen.
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Das Urteil wurde der Beklagten am 07.11.2011 zugestellt. Am gleichen Tag hat die Beklagte hiergegen Berufung eingelegt und ihre Berufung, nachdem die Frist zur Begründung bis zum 23.01.2012 verlängert worden war, mit am 20.01.2012 eingegangenem Schriftsatz begründet.
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Die Beklagte greift im Wesentlichen die rechtliche Würdigung des arbeitsgerichtlichen Urteils an. Es liege ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung vor. Die Prüfung gem. § 626 Abs. 1 BGB vollziehe sich in zwei Stufen. Es müsse ein Grund vorliegen, der ohne Berücksichtigung der besonderen Umstände überhaupt an sich geeignet sei, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Dieser Grund müsse im Rahmen einer Interessenabwägung und unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles, insbesondere auch unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zum Überwiegen der berechtigten Interessen des Kündigenden an der vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses führen. An diesen Maßstäben habe sich auch nichts durch die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts im Urteil vom 10.06.2010 (Fall Emmely) geändert. Das Arbeitsgericht habe die beiden Stufen der Überprüfung nicht nacheinander geprüft sondern miteinander vermischt. Es bleibe offen, ob der vorsätzliche Versuch des Klägers, Zigaretten aus dem Betrieb und vom Betriebsgelände der Beklagten zu verbringen, an sich ein zur Begründung einer fristlosen Kündigung geeigneter Grund darstelle oder nicht. Auf den geringen Wert komme es nicht an. Die Schlussfolgerung des Arbeitsgerichts, eine Kündigung setze regelmäßig eine Abmahnung voraus, sei in dieser Allgemeinheit nicht haltbar. Das Arbeitsgericht habe auch nicht alle wesentlichen Gesichtspunkte in die Interessenabwägung einbezogen und zutreffend abgewogen. Das Fehlverhalten des Klägers sei als so schwerwiegend zu bewerten, dass eine Abmahnung im vorliegenden Falle entbehrlich und die Beklagte zum Ausspruch einer fristlosen Kündigung berechtigt sei. Nicht nur sei in Ziffer 2.2.2 der Betriebsordnung ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Diebstahl von Tabak und Tabakerzeugnissen den Straftatbestand der Steuerhinterziehung erfülle. Damit werde jedem verständigen Mitarbeiter klar, dass die Erfüllung eines Straftatbestandes im Arbeitsverhältnis eine Sanktion nach sich ziehen werde und Straftaten in der Regel die außerordentliche Kündigung zur Folge haben müssten. Die Beklagte verweist des Weiteren auf die vom Kläger bei seiner Einstellung am 01.10.1982 unterzeichnete Belehrung. In Kenntnis der Pflichtwidrigkeit seines Verhaltens habe der Kläger gleichwohl versucht, Zigaretten vom Werksgelände zu verbringen mit der Folge, dass er die fristlose Kündigung bewusst billigend in Kauf genommen habe. Weil es sich bei diesen Zigaretten um Erzeugnisse der Beklagten handele, mit denen er jeden Tag arbeite und durch welche er täglich verleitet werden könne, diese unerlaubt vom Werksgelände zu verbringen, sei die Beklagte in besonderer Weise auf die Ehrlichkeit und Redlichkeit ihrer Mitarbeiter und des Klägers angewiesen, um darauf vertrauen zu können, dass nicht täglich Zigaretten vom Betriebsgelände verbracht und damit das Eigentum der Beklagten erheblich geschädigt werde. Das Gericht messe auch dem anzuerkennenden Interesse der Beklagten zu wenig Gewicht bei, auch im Interesse der Abschreckung anderer Arbeitnehmer Verstöße gegen das Eigentum hart zu ahnden. Der Beklagten sei es unmöglich, ihre Produktion in gänzlich abgeschlossenen nicht zugänglichen Produktionsanlagen abzuwickeln, so dass einzelne Zigaretten und auch Zigarettenpackungen über offen zugängliche Förderbänder laufen, was es den Mitarbeitern ohne Weiteres ermögliche, hierauf zuzugreifen. Eine lückenlose Kontrolle sei daher trotz einzelner Stichproben nach dem Zufallsprinzip und auch nach sog. Vollkontrollen nicht möglich, so dass die Beklagte sich auf die Redlichkeit und die Ehrlichkeit ihrer Mitarbeiter verlassen müsse. Das Gericht habe auch die vollkommen widersprüchlichen Angaben des Klägers nicht hinreichend gewürdigt. Er habe zunächst behauptet, während der Anlagenreinigung in der Dosenabfüllung eine Schachtel seiner Personalzigaretten beschädigt und die Zigaretten in Folge dessen lose in seiner Jacke getragen zu haben. Diese Einwendung stehe jedoch im Widerspruch zu seinen Angaben gegenüber dem Werkschutzmitarbeiter Herrn A.. Zur Herkunft der Schachtel habe er sich hierbei darauf berufen, es handele sich um Deputatzigaretten. Wenn der Kläger nach seinem Vortrag seine eigenen Zigaretten zunächst lose in der Jackentasche getragen habe und dann in eine aus dem Aschenbecher genommene Schachtel füllte, müssten sowohl Zigaretten als auch die Schachtel Gebrauchsspuren aufweisen. Dies sei jedoch nicht der Fall. Die lange Betriebszugehörigkeit des Klägers könne nicht zu einem Bonus im Sinne für den betreffenden Arbeitnehmer führen, dass dieser allein dadurch einen Vertrauensvorschuss erwerbe, der eine Rechtfertigung für das Begehen von Straftatbeständen im Arbeitsverhältnis darstelle und ihn vor jedweden Sanktionen schütze. Die jahre- und jahrzehntelange ordnungsgemäße und korrekte Erfüllung der arbeitsvertraglichen Pflichten sei eine Selbstverständlichkeit und nicht eine Ausnahme, die zu einem Bonus führen könnte. Jedenfalls habe die vorsorglich ausgesprochene ordentliche Kündigung das Arbeitsverhältnis beendet. Ein Weiterbeschäftigungsanspruch des Klägers komme nicht in Betracht, auch hier sei die Interessenabwägung des Arbeitsgerichts fehlerhaft.
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Die Beklagte beantragt,
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das Urteil des Arbeitsgerichts Trier vom 19.10.2011 - 1 Ca 611/11 - abzuändern und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.
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Er verteidigt das angefochtene Urteil. Einen Diebstahl habe er nicht begangen und auch nicht versucht. Er wiederholt seinen erstinstanzlichen Vortrag bezüglich der beschädigten Zigaretten. Er habe lediglich fahrlässig eine nicht zu den Deputatzigaretten gehörende Verpackung benutzt, um seine Deputatzigaretten mit zu nehmen. Der Betriebsrat sei auch nicht ordnungsgemäß angehört worden. Bereits mit Einleitung des Anhörungsverfahrens habe die unterschriebene Kündigungserklärung der Beklagten vorgelegen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes im Berufungsverfahren wird auf den vorgetragenen Inhalt der Schriftsätze der Parteien, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, verwiesen. Weiter wird verwiesen auf die Feststellungen zu den Sitzungsprotokollen vom 15.03.2012 und 03.05.2012. Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen A.. Wegen der Einzelheiten dessen Aussage wird auf das Sitzungsprotokoll vom 03.05.2012 verwiesen. Das Gericht hat auch die Zigarettenschachtel mit der Prägenummer KDH12B70 in Augenschein genommen. Hier wird ebenfalls auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I.
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Die Berufung der Beklagten ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 ArbGG i. V. m. § 520 ZPO).
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Das Rechtsmittel hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.
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Im Ergebnis zutreffend hat das Arbeitsgericht entschieden, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche Kündigung vom 20.04.2011 und die gleichzeitig erklärte ordentliche Kündigung nicht beendet ist. Aus der Unwirksamkeit dieser Kündigungen folgt ein Weiterbeschäftigungsanspruch des Klägers bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens.
II.
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Die außerordentliche Kündigung ist unwirksam. Es fehlt an einem wichtigen Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Das Gesetz kennt keine "absoluten" Kündigungsgründe. Vielmehr ist jeder Einzelfall gesondert zu beurteilen. Daher ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände "an sich", d. h. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht.
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In diesem Zusammenhang hat das Arbeitsgericht, bei unterstellter Richtigkeit des Sachvortrages der Beklagten, dass der Kläger die Zigaretten sich rechtswidrig aneignen wollte, jedenfalls die auf der zweiten Stufe der Prüfung vorzunehmende Interessenabwägung zu Gunsten des Klägers entschieden. Die Beklagte hätte zumindest eine Abmahnung aussprechen müssen.
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Dieser Rechtsauffassung folgt die Kammer nicht. Der vom Arbeitsgericht unterstellte Sachverhalt ist an sich als wichtiger Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB geeignet. Zum Nachteil des Arbeitgebers begangene Eigentums- oder Vermögensdelikte, aber auch nicht strafbare ähnlich schwerwiegende Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen des Arbeitgebers kommen typischerweise unabhängig vom Wert des Tatobjektes und der Höhe eines eingetretenen Schadens als Grund für eine außerordentliche Kündigung in Betracht. Begeht der Arbeitnehmer bei oder im Zusammenhang mit seiner Arbeit rechtswidrige und vorsätzliche gegebenenfalls strafbare Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen seines Arbeitgebers, verletzt er zugleich in schwerwiegender Weise seine schuldrechtliche Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) und missbraucht das in ihn gesetzte Vertrauen. Ein solches Verhalten kann auch dann einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB darstellen, wenn die rechtswidrige Handlung Sachen von nur geringem Wert betrifft oder zu einem nur geringfügigen möglicherweise sogar zu gar keinem Schaden geführt hat (ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, vgl. BAG Urteil vom 10.06.2010, 2 AZR 541/09). Die vom Arbeitsgericht unterstellte Tathandlung des Klägers, nämlich der Diebstahl auch nur von einigen Zigaretten stellt eine erhebliche, die Schwelle zum wichtigen Grund überschreitende Pflichtverletzung dar. Bei unterstellter Richtigkeit des Vortrags der Beklagten hätte sich der Kläger gegenüber der Beklagten einen Vermögensvorteil verschafft, der ihm nicht zusteht. Die Pflicht zur einschränkungslosen Wahrung der Vermögensinteressen der Beklagten gehört zum Kernbereich der Aufgaben des Klägers. Die Schwere der Pflichtverletzung hängt von einer exakten Zuordnung nicht ab.
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Es spricht auch einiges dafür, dass bei erwiesener Straftat zu Lasten der Beklagten das Arbeitsverhältnis des Klägers, welches seit langer Zeit bestanden hat, außerordentlich gekündigt werden konnte. Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, etwa im Hinblick auf das Maß eines durch sie bewirkten Vertrauensverlustes, das Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Als mildere Reaktion sind insbesondere Abmahnung und ordentliche Kündigung anzusehen. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck (die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen) zu erreichen. Das Erfordernis der Prüfung, ob nicht schon eine Abmahnung oder eine ordentliche Kündigung ausreichend gewesen wäre, folgt aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und trägt zugleich dem Prognoseprinzip bei der verhaltensbedingten Kündigung Rechnung. Das Erfordernis gilt auch bei Störungen im Vertrauensbereich. Es ist nicht stets und von vorneherein ausgeschlossen, verlorenes Vertrauen durch künftige Vertragstreue zurück zu gewinnen. Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann. Die ordentliche wie auch die außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Einer Abmahnung bedarf es in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwerwiegende Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich auch für den Arbeitnehmer erkennbar ausgeschlossen ist. Diese Grundsätze gelten selbst bei Störungen des Vertrauensbereiches durch Straftaten gegen das Vermögen oder das Eigentum des Arbeitgebers. Stets ist konkret zu prüfen, ob nicht objektiv die Prognose berechtigt ist, der Arbeitnehmer werde sich jedenfalls nach einer Abmahnung künftig wieder vertragstreu verhalten.
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Es spricht viel dafür, dass eine Abmahnung hier entbehrlich war. Dem Kläger war bekannt, welchen großen Wert die Beklagte hinsichtlich der Mitnahme von Zigaretten aus dem Betriebsbereich auf unbedingte Einhaltung der Regeln und Achtung ihres Eigentums legte. Dies ergibt sich einmal aus der Betriebsordnung, einmal aus den unstreitigen Betriebsversammlungen, in denen gerade die Wichtigkeit dieses Punktes wiederholt wurde, und auch der vom Kläger bei Vertragsbeginn unterzeichneten Bestätigung, dass die Verbringung von Zigaretten zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses führen muss. Gleichwohl hätte sich der Kläger nicht an diese Regeln gehalten und damit bewusst seinen Arbeitsplatz aufs Spiel gesetzt, wäre ihm der Diebstahl nachzuweisen gewesen.
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Es handelt sich bei dem Diebstahl von Zigaretten auch offensichtlich um eine so schwerwiegende Pflichtverletzung, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich auch für den Arbeitnehmer erkennbar ausgeschlossen ist. Dieserhalb wäre also eine Abmahnung entbehrlich gewesen.
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Ob die Interessenabwägung im Einzelfall angesichts der jahrelangen Betriebszugehörigkeit des Klägers ohne bisherige Beeinträchtigung durch Fehlverhalten im Ergebnis dazu führt, dass die außerordentliche Kündigung als unverhältnismäßig oder auch eine ordentliche Kündigung als unverhältnismäßig angesehen werden musste, konnte die Kammer offen lassen.
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Die Kündigung sowohl als außerordentliche als auch als verhaltensbedingte ordentliche ist im Ergebnis deswegen unwirksam, weil die Kündigungsgründe nicht nachgewiesen sind.
III.
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Dies ergibt sich im Einzelnen aus nachfolgenden Erwägungen:
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Darlegungs- und beweisbelastet für sämtliche Kündigungsgründe ist der kündigende Arbeitgeber. Die Beklagte hat die Kündigung ausschließlich nur als Tatkündigung ausgesprochen. Eine Verdachtskündigung ist nicht erklärt worden. Dies ergibt sich aus dem Vortrag der Beklagten und auch aus dem Umstand, dass der Betriebsrat nicht zu einer Verdachtskündigung angehört wurde.
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Nach § 286 Abs. 1 ZPO hat das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten ist (§ 286 Abs. 1 S. 1 ZPO).
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Eine Behauptung ist bewiesen, wenn das Gericht von ihrer Wahrheit überzeugt ist, ohne dabei unerfüllbare Anforderungen zu stellen. Hierfür genügt, da eine absolute Gewissheit nicht zu erreichen ist, und jede Möglichkeit des Gegenteils nicht auszuschließen ist, ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewissheit (vgl. BGH NJW 1993, 935). Die Rechtsprechung des BGH fordert ein für einen "vernünftigen, die Lebensverhältnisse klar überschauenden Menschen so hohen Grad von Wahrscheinlichkeit, dass er den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen" (vgl. BGH NJW 2000, 953).
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Innere Tatsachen werden bewiesen, in dem Umstände festgestellt werden, die den Schluss hierauf zulassen.
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Für die Tatsachenfeststellung im vorliegenden Fall gilt Folgendes:
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Die Beklagte wirft dem Kläger vor, er habe Zigaretten, die aus der laufenden Produktion stammten und die nicht zu seinem Deputat gehörten, aus dem Werk verbringen wollen, als er nach Schichtende den Betrieb verließ. Die Beklagte stützt sich hierbei auf äußere objektive Umstände, nämlich dass der Kläger bei der Kontrolle Zigaretten in einer angebrochenen Schachtel bei sich führte, die den Prägestempel mit dem Code KDA12B70 trug. Diese Zigarettenschachtel wurde für den deutschen Markt am 12.04.2011 produziert. Somit steht objektiv zwar fest, dass die Schachtel nicht als Deputat an den Kläger herausgegeben werden konnte und auch vom Kläger nicht im Handel erworben sein konnte.
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Die Beklagte hat weiter die Einlassung des Klägers, er habe seine eigenen Deputatzigaretten in eine leere aufgefundene Zigarettenschachtel umgefüllt, als Schutzbehauptung bezeichnet, weil dies äußerst unplausibel erscheint und auch anhand des äußeren Anscheins der vorgefundenen Schachtel mit Zigaretten nicht davon ausgegangen werden könne, dass der Kläger die von ihm behauptete Umfüllaktion vorgenommen hat.
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Nach durchgeführter Beweisaufnahme kann die Kammer allerdings den von der Beklagten vorgetragenen Sachverhalt der inneren Tatseite , also die Entwendung von nicht zum Deputat des Klägers gehörenden Zigaretten nicht mit der für die Überzeugungsbildung erforderlichen Sicherheit feststellen. Der von der Beklagten benannte und vom Gericht vernommene Zeuge A. hat ausgesagt, dass der Kläger auf seine Frage hin aus der Brusttasche ein Päckchen C. herausgegeben hat. Der Zeuge A. hatte sich in seiner Zeugenaussage auch noch daran erinnern wollen, dass der Kläger erklärt habe, ihm sei ein Päckchen kaputt gegangen und er habe die Zigaretten in eine andere Packung getan. Deutlich hat der Zeuge ausgesagt, der Kläger habe von Anfang an darauf bestanden, es handele sich um seine Deputatzigaretten. Von einem Deputatpäckchen war ausdrücklich nicht die Rede. Der Zeuge hat dann auch die sich aus den Gerichtsakten ergebende Niederschrift gefertigt, in dem die Rede davon war, dass der Kläger darauf hingewiesen hat, es handele sich um seine Deputatzigaretten.
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Auch wenn der Zeuge auf Nachfrage eine etwas unsichere Aussage gemacht hat, dass er nämlich vor der Vernehmung auf dem Gang vom Kläger angesprochen wurde, der ihn darauf hingewiesen hat, er habe schon damals auf eine defekte Zigarettenpackung hingewiesen, konnte die Kammer nicht mit der erforderlichen Sicherheit feststellen, dass der Kläger diese Einlassung nicht bereits bei der Kontrolle gemacht hat.
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Die Kammer hat nämlich den Beweisbeschluss deswegen erlassen, weil unter Umständen aus widersprüchlichen Angaben, etwaigen erst im Laufe des Verfahrens wechselhaften Einlassungen, der Schluss gezogen werden kann, die Einlassung sei nicht plausibel und glaubhaft.
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Zwar spricht zu Lasten des Klägers, dass die in Augenschein genommene fragliche Zigarettenschachtel, unterstellt es handele sich um die damals sichergestellte Packung, vom äußeren Anschein her nicht so aussieht, als hätte ein Wechsel vom Inhalt stattgefunden, also erst Herausnahme der ursprünglich darin befindlichen Zigaretten, Wegwerfen der Schachtel in einen Aschenbecher und Hineinlegen der Deputatzigaretten des Klägers, die nach dem äußeren Anschein auch nicht Spuren davon tragen, dass sie etwa in einer Jackentasche lose gelegen sind. Es ist aber nicht vollständig ausgeschlossen, dass ein in Umgang mit Zigaretten fingerfertiger Raucher die Zigaretten so sorgfältig in eine leere Schachtel einlegt, dass Spuren dieser Handlung nicht auf den ersten Blick ersichtlich sind.
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Bei ihrer Entscheidung hat die Kammer auch abschließend und insbesondere besonders gewichtig den Umstand berücksichtigt, dass, falls der Kläger die Absicht hatte, ihm nicht gehörende Zigaretten aus dem Betrieb zu entfernen, er ganz einfach bei der Kontrolle dem kontrollierenden Mitarbeiter A. gesagt hätte, er habe keine Zigaretten einstecken. Der Zeuge hat bekundet, dass er zunächst eine Kontrolle des vollständigen Fahrzeuges mit Kofferraum, Ersatzradabdeckung und Handschuhfach gemacht hat und dort nichts Auffälliges gefunden hat. Auf die Frage, ob der Kläger sonst noch Zigaretten bei sich hatte, habe der Kläger ihm vorbehaltlos und unvoreingenommen das in seiner Jackentasche steckende Päckchen gegeben. Da dem Kläger offensichtlich bekannt war, dass Leibesvisitationen nur bei begründetem Verdacht angeordnet werden können und der kontrollierende Mitarbeiter bei Beantwortung nach Besitz von Zigaretten mit "Nein" den Kläger hätte durchfahren lassen, ist davon auszugehen, dass der Kläger, hätte er wirklich die Absicht gehabt, ihm nicht gehörende Zigaretten zu stehlen, gegenüber dem Zeugen A. die Frage nach dem Besitz von Zigaretten verneint hätte. Aus diesem Grunde kann allein auf Grund des äußeren Umstandes der fraglichen Zigarettenpackung und der Einlassungen des Klägers nicht zwingend der Schluss daraus gezogen werden, es habe sich um der Beklagten gehörende nicht dem Kläger zustehende Zigaretten gehandelt, die der Kläger in Diebstahlsabsicht aus dem Betrieb habe bringen wollen.
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Da der Kläger von Anfang an behauptet hat, es handele sich um seine Deputatzigaretten, liegen auch keine widersprüchlichen Aussagen vor. Der Hinweis auf Deputatzigaretten kann auch als Hinweis darin verstanden werden, dass die Deputatzigaretten in einer anderen Verpackung transportiert wurden, die nicht zum ursprünglichen Deputat gehörten.
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Einen unmittelbaren Beweis dafür, dass es sich bei den vorgefundenen Zigaretten um solche aus der Vortagesproduktion handelten, hat die Beklagte nicht angetreten. Sie hat auch, wie dargestellt, die Kündigung nicht auf den dringenden Tatverdacht einer strafbaren Handlung gestützt, so dass diesbezügliche Erwägungen von der Kammer nicht angestellt werden können und müssen.
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Erweist sich aus tatsächlichen Gründen die ausgesprochene Kündigung somit als rechtsunwirksam, war die gegen die außerordentliche Kündigung gerichtete Klage des Klägers erfolgreich. Gleiches gilt für die auf vorsätzliche Vertragsverletzung gestützte ordentliche verhaltensbedingte Kündigung, die gem. § 1 Abs. 2 KSchG sozial nicht gerechtfertigt ist.
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Weil das Arbeitsverhältnis durch die außerordentliche und die ordentliche Kündigung nicht beendet ist, hat der Kläger aus dem Arbeitsvertrag gem. §§ 611, 613 i. V. m. § 242 BGB unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Wertentscheidung der Art. 1 und 2 GG über den Persönlichkeitsschutz einen Anspruch auf tatsächliche Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzrechtsstreits (vgl. BAG Beschluss vom 27.02.1985 GS 1/84). Eine Vertragspflichtverletzung des Klägers ist nicht erwiesen. Das Beschäftigungsinteresse des Klägers überwiegt schutzwürdige Interessen der Beklagten an der Nichtbeschäftigung während des Laufes des Kündigungsschutzrechtsstreits.
IV.
- 56
Nach allem war die Berufung der Beklagten mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
- 57
Gründe für eine Zulassung der Revision bestehen angesichts der Kriterien des § 72 Abs. 2 ArbGG nicht.
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Referenzen
- ZPO § 286 Freie Beweiswürdigung 2x
- ZPO § 520 Berufungsbegründung 1x
- ArbGG § 66 Einlegung der Berufung, Terminbestimmung 1x
- BGB § 242 Leistung nach Treu und Glauben 1x
- BGB § 241 Pflichten aus dem Schuldverhältnis 1x
- ArbGG § 64 Grundsatz 1x
- 1985 GS 1/84 1x (nicht zugeordnet)
- 1 Ca 611/11 2x (nicht zugeordnet)
- 2 AZR 541/09 1x (nicht zugeordnet)
- § 1 Abs. 2 KSchG 1x (nicht zugeordnet)
- BGB § 626 Fristlose Kündigung aus wichtigem Grund 5x
- ArbGG § 72 Grundsatz 1x
- ZPO § 97 Rechtsmittelkosten 1x