Urteil vom Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz (10. Kammer) - 10 Sa 85/13

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern - Auswärtige Kammern Pirmasens - vom 31. Januar 2013, Az. 6 Ca 557/12, abgeändert und die Klage abgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Klägerin verlangt vom Beklagten die Rückzahlung von zwei Arbeitgeberdarlehen, die sie ihm zum Erwerb von Musterberechtigungen für zwei Flugzeugtypen gewährt hat.

2

Die Klägerin ist ein Luftfahrtunternehmen mit derzeit 15 Arbeitnehmern. Ihre Flotte bestand bei der Einstellung des Beklagten aus drei Propellerflugzeugen des Typs „Dornier 228“. Im Frühjahr 2011, im Juli 2011 und nach dem Ausscheiden des Beklagten nahm sie noch drei Jetflugzeuge des Typs „Embraer Phenom 100“ in Betrieb.

3

Der Beklagte schloss mit der Klägerin am 26.07.2010 einen Arbeitsvertrag ua. als Copilot (First Officer, Abk. F/O). Im Vertrag heißt es - auszugsweise - wie folgt:

4

Anstellungsvertrag für Besatzungsmitglieder und Bodenpersonal

5

§ 1 - Tätigkeit/ Bereich

6

Der Arbeitnehmer wird ab 01.10.2010 jeweils mit der Hälfte seiner Arbeitszeit als F/O auf dem Flugzeugmuster DO 228 und als Angestellter im Bereich Operations und Verwaltung eingestellt. Stationierungsort und Büro sind zurzeit der Flughafen C.

7

§ 3 - Gehalt und Sozialleistungen

8

Das monatliche nachträglich und bargeldlos zu zahlende Bruttogehalt beträgt

9

ab 01.10.2010

 € 2.250,00

ab 01.04.2011

 € 2.500,00

10

…“

11

Das am 01.10.2010 begonnene Arbeitsverhältnis endete durch Kündigung des Beklagten vom 29.04. zum 31.05.2012. Er wechselte zum 01.06.2012 zu einem Luftfahrtunternehmen nach Österreich und flog dort den Flugzeugtyp „Embraer Phenom 100“.

12

Der Beklagte verfügte bei Abschluss des Arbeitsvertrags über eine Verkehrsflugzeugführerlizenz (ATPL), nicht jedoch über die erforderliche Musterberechtigung (Type-Rating) für den Flugzeugtyp „Dornier 228“. Da es seine finanzielle Situation nicht zuließ, die Kosten für das Type-Rating zu zahlen, schloss er mit der Klägerin zeitgleich mit dem Arbeitsvertrag am 26.07.2010 einen Darlehensvertrag. Dieser hat ua. folgenden Wortlaut:

13

Darlehensvertrag über Fortbildungskosten

14

§ 1 Fortbildungsmaßnahme

15

Der Darlehensnehmer beabsichtigt, auf eigene Kosten an folgender Fortbildungsmaßnahme teilzunehmen: „Type-Rating for Dornier 228“.

16

§ 2 Kosten der Fortbildungsmaßnahme

17

Die Kosten der Fortbildungsmaßnahme belaufen sich voraussichtlich auf € 14.000,00. Eine vertragliche Beziehung kommt ausschließlich zwischen dem Darlehensnehmer und dem Träger der Fortbildungsmaßnahme zustande.

18

Der Darlehensgeber gewährt dem Darlehensnehmer ein Darlehen über die aufzuwendenden Fortbildungskosten, welches mit 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz jährlich zu verzinsen ist.

19

§ 3 Rückzahlung

20

Das Darlehen nebst Zinsen ist in monatlichen Raten à € 419,59 vom Darlehensnehmer an den Darlehensgeber zurückzuzahlen. Die Rückzahlungsverpflichtung beginnt mit dem ersten des Monats, der auf den erfolgreichen Abschluss der Fortbildungsmaßnahme folgt.

21

Bei Beendigung des zwischen den Parteien bestehenden Arbeitsverhältnisses, gleich aus welchem Grunde, ist das Darlehen nebst Zinsen sofort in der dann noch zurückzuzahlenden Höhe fällig und, ohne dass es einer Aufforderung durch den Darlehensgeber bedarf, ohne Abzug zahlbar.

22

Der Darlehensgeber verpflichtet sich im Gegenzug, das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis während der Dauer der Fortbildungsmaßnahme, längstens für einen Zeitraum von drei Monaten seit Beginn der Fortbildungsmaßnahme, nicht zu kündigen.
…“

23

Der Beklagte erwarb die Musterberechtigung für die „Dornier 228“ im September 2010. Die Klägerin zahlte auf die Rechnung des zertifizierten Ausbildungsbetriebs (Fa. S. GmbH) vom 17.09.2010 den Betrag von € 13.775,00. Hinzu kamen Hotel- und Reisekosten.

24

Im August 2011 erwarb der Beklagte eine weitere Musterberechtigung für den Flugzeugtyp „Embraer Phenom 100“. Da er auch diese Kosten nicht selbst tragen konnte, schlossen die Parteien am 11.08.2011 einen zweiten Darlehensvertrag. Dieser hat ua. folgenden Wortlaut:

25

Darlehensvertrag über Fortbildungskosten

26

§ 1 Fortbildungsmaßnahme

27

Der Darlehensnehmer beabsichtigt, auf eigene Kosten an folgender Fortbildungsmaßnahme teilzunehmen: „Type-Rating for Embraer Phenom 100 Pilot Initial“. Diese soll vom 15.08. bis 29.08.2011 in Burgess Hill stattfinden.

28

§ 2 Kosten der Fortbildungsmaßnahme

29

Die Kosten der Fortbildungsmaßnahme belaufen sich voraussichtlich auf € 14.000,00. Eine vertragliche Beziehung kommt ausschließlich zwischen dem Darlehensnehmer und dem Träger der Fortbildungsmaßnahme zustande.

30

Der Darlehensgeber gewährt dem Darlehensnehmer ein Darlehen über die aufzuwendenden Fortbildungskosten, welches mit 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz jährlich zu verzinsen ist.

31

§ 3 Rückzahlung

32

Das Darlehen nebst Zinsen ist in monatlichen Raten à € 519,59 vom Darlehensnehmer an den Darlehensgeber zurückzuzahlen. Die Rückzahlungsverpflichtung beginnt mit dem 01.01.2012, frühestens aber nach Zahlung der letzten Rate aus dem Darlehensvertrag vom 20.07.2010.

33

Bei Beendigung des zwischen den Parteien bestehenden Arbeitsverhältnisses, gleich aus welchem Grunde, ist das Darlehen nebst Zinsen sofort in der dann noch zurückzuzahlenden Höhe fällig und, ohne dass es einer Aufforderung durch den Darlehensgeber bedarf, ohne Abzug zahlbar.

34

Der Darlehensgeber verpflichtet sich im Gegenzug, das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis während der Dauer der Fortbildungsmaßnahme, längstens für einen Zeitraum von drei Monaten seit Beginn der Fortbildungsmaßnahme, nicht zu kündigen.
…“

35

Die Klägerin zahlte auf die Rechnung des Ausbildungsbetriebs (Fa. E. Services (UK) Ltd.) vom 17.08.2011 den Betrag von $ 19.000,00. Hinzu kamen Hotel- und Reisekosten.

36

Der Beklagte wurde im Anschluss an diese Ausbildung nur noch auf dem Flugzeugtyp „Embraer Phenom 100“ eingesetzt. Das erste Darlehen tilgte er bis zu seinem Ausscheiden am 31.05.2012 durch monatliche Ratenzahlungen iHv. € 8.391,75. Auf den zweiten Darlehensvertrag leistete er keine Zahlung. Im Mai 2012 behielt die Klägerin den letzten abgerechneten Nettobetrag iHv. € 2.446,01 vollständig ein. Mit ihrer am 19.09.2012 erhobenen Klage macht sie die Rückzahlung der noch offenen Valuta aus beiden Darlehensverträgen iHv. € 17.162,24 nebst Zinsen geltend.

37

Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt,

38

den Beklagten zu verurteilen, an sie € 17.162,24 nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11.07.2012 zu zahlen.

39

Der Beklagte hat beantragt,

40

die Klage abzuweisen.

41

Von einer weitergehenden Darstellung des unstreitigen Tatbestandes und des erstinstanzlichen Parteivorbringens wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen und auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Kaiserslautern - Auswärtige Kammern Pirmasens - vom 31.01.2013 Bezug genommen.

42

Das Arbeitsgericht hat der Klage mit Urteil vom 31.01.2013 stattgegeben und im Wesentlichen ausgeführt, der Beklagte sei gem. § 488 Abs. 1 BGB iVm. den zwei Darlehensverträgen zur Zahlung der noch offenen Valuta von € 17.162,24 verpflichtet. Bei den Verträgen handele es sich nicht um Fortbildungsvereinbarungen mit Rückzahlungsklauseln, denn es sei gerade nicht vereinbart worden, dass die Rückzahlungspflicht nach einer gewissen Bindungsdauer entfalle. Die gewährten Darlehen seien vielmehr immer zurückzuzahlen. Bei seinem Ausscheiden sei der Beklagte lediglich verpflichtet worden, den Darlehensrestbetrag sofort zu zahlen. Die sofortige Fälligstellung des Restbetrages bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses führe nicht zu einer unzulässigen Bindung des Beklagten und stelle auch keine unangemessene Benachteiligung iSd. § 305 ff. BGB dar. Wegen der Einzelheiten der Entscheidungsgründe des Arbeitsgerichts wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG auf Seite 6 bis 10 des erstinstanzlichen Urteils vom 31.01.2013 Bezug genommen.

43

Gegen das Urteil, das ihm am 11.03.2013 zugestellt worden ist, hat der Beklagte am 22.02.2013 Berufung eingelegt und diese innerhalb der bis zum 13.06.2013 verlängerten Begründungsfrist mit am 12.06.2013 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz begründet.

44

Der Beklagte macht geltend, die von der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts entwickelten Grundsätze zur Zulässigkeit von Vereinbarungen über die Rückzahlung von Ausbildungskosten seien auch dann anwendbar, wenn - wie hier - der Rückzahlungsbetrag als Darlehen geschuldet werde. Bei den Verträgen vom 26.07.2010 und vom 11.08.2011 handele es sich um vorformulierte Vertragsbedingungen iSv. § 305 Abs. 1 BGB. Die in § 3 der Verträge vereinbarte Rückzahlungspflicht sei schon deshalb unwirksam, weil der Arbeitnehmer jeweils für einen Zeitraum von mehr als zwei Jahren an den Arbeitgeber gebunden werde. Die Bindungswirkung ergebe sich aus der sofortigen Fälligstellung des Gesamtrestbetrags, wenn das Arbeitsverhältnis vor vollständiger Tilgung beendet werde. Der Arbeitnehmer werde durch die drohende Verpflichtung, den gesamten Restbetrag sofort zahlen zu müssen, von der Wahl eines anderen Arbeitsplatzes abgehalten. Die Rückzahlungspflicht sei auch deshalb unwirksam, weil die Gesamtfälligstellung der Restdarlehenssumme nur von einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses abhänge, ohne nach dem Grund des vorzeitigen Ausscheidens zu unterscheiden. Eine geltungserhaltende Reduktion der Rückzahlungsklausel scheide aus. Wegen weiterer Einzelheiten der Berufungsbegründung wird auf den Inhalt der Schriftsätze des Beklagten vom 12.06.2013 und vom 16.09.2013 Bezug genommen.

45

Der Beklagte beantragt zweitinstanzlich,

46

das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern - Auswärtige Kammern Pirmasens - vom 31.01.2013, Az. 6 Ca 557/12, abzuändern und die Klage abzuweisen.

47

Die Klägerin beantragt,

48

die Berufung zurückzuweisen.

49

Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil nach Maßgabe ihrer Schriftsätze vom 19.08.2013 und vom 18.09.2013, auf die Bezug genommen wird, als zutreffend. Die Grundsätze, die die Rechtsprechung zur Überprüfung von Fortbildungsvereinbarungen mit Rückzahlungsklauseln entwickelt habe, seien vorliegend nicht anwendbar, weil die Parteien „schlichte“ Darlehensverträge abgeschlossen hätten. Darlehensverträge seien dadurch gekennzeichnet, dass der Darlehensnehmer die Darlehensvaluta in jedem Fall - und nicht nur bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses - zurückzahlen müsse. Dies sei dem Beklagten bei Vertragsunterzeichnung von vornherein klar gewesen. Ob die Rückzahlung in Raten oder in einer Summe zu erfolgen habe, sei unerheblich und stelle auch keine unangemessene Benachteiligung iSd. § 305 ff. BGB dar. Die Darlehensverträge seien nicht vorformuliert, sondern von ihren jetzigen Prozessbevollmächtigten konkret für den Beklagten erarbeitet worden.

50

Die Behauptung des Beklagten, der Erwerb der zwei Musterberechtigungen habe allein dem Zweck gedient, ihn überhaupt für eine Tätigkeit bei ihr zu qualifizieren, sei falsch. Der Beklagte habe sich bei ihr mit der Maßgabe beworben, dass er die Musterberechtigung mitbringe. Dies sei ein wesentliches Einstellungskriterium gewesen. Sie habe nur Piloten berücksichtigt, die bereits über das erforderliche Type-Rating und eine gewisse Mindesterfahrung verfügten. Der Beklagte sei mehrfach zu ihr gekommen und habe darum gebeten, doch trotzdem eingestellt zu werden. Ihr Geschäftsführer habe sich letztlich „breitklopfen“ lassen. Der Beklagte habe erklärt, dass er das Type-Rating für die „Dornier 228“ auf eigene Kosten erwerben werde, wenn er einen Arbeitsvertrag erhalte. Da sie zu dieser Zeit genügend Bewerber gehabt habe, die bereits über ein Type-Rating verfügten, sei der Erwerb der Musterberechtigung im alleinigen Interesse des Beklagten erfolgt. Es sei treuwidrig, wenn der Beklagte das Darlehen für den Erwerb der Musterberechtigung für die „Dornier 228“ im Nachhinein nicht zurückzahlen wolle.

51

Noch deutlicher werde die Situation im Jahr 2011. Der Beklagte sei auf ihren Geschäftsführer zugekommen und habe ihm erklärt, er wolle künftig nur noch Jet fliegen und deshalb auf die „Embraer Phenom 100“ umgeschult werden. Ihr Geschäftsführer habe den Beklagten darauf hingewiesen, dass hierfür kein Bedarf bestehe. Er halte eine Umschulung auch nicht für sinnvoll, der Beklagte solle zunächst mit der „Dornier 228“ weitere Flugerfahrung sammeln. Der Beklagte habe erwidert, dass er unbedingt auf den Jet wechseln wolle, er werde auch das Type-Rating bezahlen, „koste es, was es wolle“. Da es ihrem Geschäftsführer nicht gelungen sei, den Beklagten von seinem Vorhaben abzubringen, habe er bei ihr ein zweites Darlehen aufgenommen, um das Type-Rating zu finanzieren. Der Erwerb der Musterberechtigung für die „Embraer Phenom 100“ habe im ausschließlichen Interesse des Beklagten gelegen, der damit zu einem neuen Arbeitgeber gewechselt sei. Dies habe er wahrscheinlich bereits beim Erwerb der Musterberechtigung geplant.

52

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

53

Die nach § 64 ArbGG statthafte Berufung des Beklagten ist gemäß §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. §§ 517, 519 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und in ausreichender Weise begründet worden. Sie ist somit zulässig.

II.

54

Die Berufung des Beklagten hat auch in der Sache Erfolg. Die Klage ist unbegründet. Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Rückzahlung von € 17.162,24 nebst Zinsen aus den Darlehensverträgen. Auch ein bereicherungsrechtlicher Anspruch steht der Klägerin nicht zu. Das Urteil des Arbeitsgerichts war deshalb abzuändern und die Klage abzuweisen.

55

1. Die Klägerin hat weder einen Rückzahlungsanspruch aus § 488 Abs. 1 Satz 2 BGB noch aus § 3 der beiden Darlehensverträge, die sie am 26.07.2010 und am 11.08.2011 mit dem Beklagten abgeschlossen hat. Die Rückzahlungsklauseln in beiden Verträgen belasten den Beklagten unangemessen und sind damit nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam.

56

a) Die Klägerin schloss mit dem Beklagten am 26.07.2010 einen Arbeitsvertrag und zeitgleich einen Darlehensvertrag ab. Die zweite Darlehensvereinbarung erfolgte am 11.08.2011. Der erste Darlehensvertrag wurde abgeschlossen, weil der Beklagte im Zeitpunkt des Abschlusses des Arbeitsvertrags nicht über das erforderliche Type-Rating für das Flugzeugmuster „Dornier 228“ verfügte. Die darlehensfinanzierten Ausbildungskosten von € 14.000,00 sind angefallen, um den Beklagten überhaupt in die Lage zu versetzen, ab dem 01.10.2010 seine arbeitsvertraglich geschuldete Arbeitsleistung als Copilot auf diesem Flugzeugmuster zu erbringen. Der zweite Darlehensvertrag zur Finanzierung von Ausbildungskosten von weiteren € 14.000,00 wurde abgeschlossen, weil der Beklagte über kein Type-Rating für das Flugzeugmuster „Embraer Phenom 100“ verfügte, nachdem die Klägerin ihre Flotte seit Frühjahr 2011 um diesen Flugzeugtyp erweitert hatte.

57

Entgegen der Ansicht der Klägerin haben die Parteien nicht einen Arbeitsvertrag und zwei „schlichte“ Darlehensverträge über eine Gesamtdarlehenssumme von € 28.000,00 abgeschlossen, die einer isolierten Betrachtung unterliegen, weil sie in getrennten Vertragsurkunden niedergelegt sind. Vielmehr sind unter Berücksichtigung der Interessenlage die verschiedenen Rechtsgeschäfte als Einheit zu betrachten. Denn durch die abgeschlossenen Darlehensverträge wurde der Beklagte überhaupt erst in die Lage versetzt, seine arbeitsvertraglich geschuldete Leistung als Copilot im Luftfahrtunternehmen der Klägerin auf den Flugzeugmustern „Dornier 228“ und „Embraer Phenom 100“ zu erbringen, die zur Flotte der Klägerin gehören.

58

Die Verträge bilden eine rechtliche Einheit. Auch äußerlich selbständige Vereinbarungen können eine rechtliche Einheit bilden, wenn die Verträge nach dem Willen der Parteien derart voneinander abhängen, dass sie miteinander "stehen und fallen" sollen. Der maßgebliche Verknüpfungswille ist dabei aufgrund der Erklärungen und der Interessenlage der Vertragsschließenden mit Rücksicht auf die Verkehrssitte zu ermitteln. Im Streitfall genügt für die Annahme einer rechtlichen Einheit, dass Verwendungszweck der Darlehenssummen iHv. € 28.000,00 der Erwerb der Type-Ratings für zwei Flugzeugmuster waren, die zur Flotte der Klägerin gehörten und die der Beklagte in Erfüllung seiner arbeitsvertraglichen Pflichten als Copilot für die Klägerin geflogen ist.

59

Auf die vorliegende Vertragsgestaltung sind die von der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts entwickelten Grundsätze zur Zulässigkeit von Vereinbarungen über die Rückzahlung von vom Arbeitgeber vorfinanzierten Ausbildungskosten anwendbar. Dadurch dass der Arbeitnehmer bei der gewählten Vertragskonstruktion in jedem Fall mit einer vollständigen Rückzahlungspflicht für entstandene Ausbildungskosten belastet wird, weil er noch nicht einmal die Chance hat, durch Betriebstreue - zumindest einem Teil - der Rückzahlungspflicht zu entgehen, verschiebt sich der Prüfungsmaßstab - entgegen der Ansicht der Klägerin - nicht. Bei der unbedingten Kostenbeteiligung geht es erst Recht um die Frage, ob der Zahlung des Arbeitnehmers ein angemessener Gegenwert gegenübersteht. Das Bundesarbeitsgericht hat bereits 1994 dem Versuch, die Grundsätze zur Rückzahlung von Ausbildungskosten dadurch zu umgehen, dass die Arbeitgeber zur Finanzierung der Ausbildung mit den Arbeitnehmern Darlehensverträge schließen, eine deutliche Absage erteilt (BAG 26.10.1994 - 5 AZR 390/92 - AP § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe Nr. 19).

60

Die unbedingte Beteiligung an den Ausbildungskosten bedeutet für den Arbeitnehmer uU. eine erhebliche finanzielle Hürde, das Arbeitsverhältnis überhaupt antreten zu können. Andererseits ist der Vorteil, der in dem Zustandekommen eines Arbeitsverhältnisses für den Arbeitnehmer liegen kann, zu berücksichtigen. Auf der anderen Seite steht das Interesse des Arbeitgebers, seinen über Leistung und Gegenleistung im Arbeitsverhältnis hinausgehenden Aufwand zu verringern, insbesondere wenn nach einem baldigen Ausscheiden des Arbeitnehmers ein erneuter Ausbildungsaufwand entsteht. Der Arbeitgeber hat außerhalb des Berufsbildungsgesetzes ein anerkennenswertes Interesse daran, Arbeitnehmer einzusetzen, die die vertragliche Arbeitsleistung ohne weiteres erbringen können, die erforderlichen Voraussetzungen also bereits (anderweitig) auf eigene Kosten erworben haben. Die von vornherein auf Grund der zu tragenden Kosten bestehende Einschränkung, einen bestimmten Beruf auszuüben, ist aber nur dann gerechtfertigt, wenn dem Arbeitnehmer auf der anderen Seite entsprechende Vorteile infolge der Ausbildung erwachsen. Die Frage, ob ein angemessener Interessenausgleich vorliegt, beantwortet sich auch für die im Voraus geleistete Kostenbeteiligung danach, ob der Arbeitnehmer eine angemessene Gegenleistung erhält (vgl. BAG 21.11.2001 - 5 AZR 158/00 - Rn. 42, AP § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe Nr. 31).

61

Die Anwendung der Grundsätze zur Inhaltskontrolle von Rückzahlungsklauseln scheitert nicht daran, dass die Klägerin behauptet, der Erwerb der zwei Musterberechtigungen habe ausschließlich im Interesse des Beklagten gelegen. Es mag sein, dass der Beklagte ihren Geschäftsführer im Jahr 2010 „breitgeklopft“ hat, ihn als Copiloten für das Propellerflugzeug „Dornier 228“ einzustellen. Es kann auch unterstellt werden, dass der Beklagte im Jahr 2011 den großen Wunsch geäußert hat, das Jetflugzeug „Embraer Phenom 100“ zu fliegen. Die Klägerin hat dem Beklagten nicht uneigennützig seine Wünsche erfüllt. Vielmehr lag der Erwerb der zwei Musterberechtigungen auch in ihrem Interesse, weil sie den Beklagten sonst nicht als Copilot auf den zwei Flugzeugtypen hätte einsetzen können. Sie benötigte jedoch Flugzeugführer, die die von ihr verwendeten Flugzeuge fliegen dürfen. Die Entscheidung, den Beklagten auf beiden Flugzeugtypen einzusetzen, wurde von der Klägerin getroffen. Verluste aufgrund von Investitionen, die nachträglich wertlos werden, hat grundsätzlich der Arbeitgeber zu tragen (BAG 13.12.2011 - 3 AZR 791/09 - Rn. 26, AP § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe Nr. 45).

62

b) Die Klauseln zur Rückzahlung der Ausbildungskosten in § 3 der beiden Darlehensverträge vom 26.07.2010 und vom 11.08.2011 sind am Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen nach §§ 305 ff. BGB zu messen. Die Verträge enthalten entgegen der Ansicht der Klägerin Allgemeine Geschäftsbedingungen iSd. § 305 Abs. 1 BGB.

63

Nach § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB sind Allgemeine Geschäftsbedingungen alle für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierten Vertragsbedingungen, die eine Vertragspartei (Verwender) der anderen Vertragspartei bei Abschluss eines Vertrags stellt. Hiervon ist vorliegend auszugehen, weil schon das äußere Erscheinungsbild der Vereinbarungen eine tatsächliche Vermutung hierfür begründet.

64

Ungeachtet dessen findet § 307 BGB jedenfalls nach § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB auf die Rückzahlungsvereinbarungen Anwendung. Nach § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB ist § 307 BGB bei Verbraucherverträgen auf vorformulierte Vertragsbedingungen auch dann anzuwenden, wenn diese nur zur einmaligen Verwendung bestimmt sind und soweit der Verbraucher aufgrund der Vorformulierung auf ihren Inhalt keinen Einfluss nehmen konnte.

65

Die Klägerin hat nach ihrem neuen Vorbringen die zwei Darlehensverträge zur Finanzierung der Type-Ratings von ihren jetzigen Prozessbevollmächtigten vorformulieren lassen, dem Beklagten in dieser Form angeboten und damit im Rechtssinne gestellt. Ob es sich dabei um für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte Vertragsbedingungen handelte, bedarf keiner weiteren Aufklärung, denn das Vertragswerk der Parteien ist ein Verbrauchervertrag iSv. § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB (BAG 13.02.2013 - 5 AZR 2/12 - Rn. 14 mwN, Juris). Die Klägerin behauptet selbst nicht, dass der Beklagte auf die von ihren jetzigen Prozessbevollmächtigten vorformulierten Regelungen Einfluss nehmen konnte.

66

Auch § 307 Abs. 3 BGB steht der Inhaltskontrolle nicht entgegen. Diese beschränkt sich nach der Vorschrift auf Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, durch die von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen vereinbart werden. Hier geht es um die Frage, unter welchen Bedingungen die Arbeitnehmer der Klägerin als Verwenderin der Allgemeinen Geschäftsbedingungen zur Rückzahlung der von dieser finanzierten Ausbildungskosten für das erworbene Type-Rating verpflichtet sind. Es handelt sich um Regelungen, die die Umstände des vom Beklagten gemachten Leistungsversprechens - Rückzahlung der verauslagten Kosten - ausgestalten. Derartige Vereinbarungen unterliegen der Inhaltskontrolle nach dem Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (vgl. BAG 18.11.2008 - 3 AZR 192/07 - Rn. 29 mwN, NZA 2009, 435).

67

c) Die Regelungen in § 3 der von der Klägerin formulierten Verträge, nach der der Beklagte in jedem Fall verpflichtet ist, die vollständigen Kosten für das jeweilige Type-Rating zurückzuzahlen, sind nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam. Der Beklagte wird durch die Rückzahlungsklauseln unangemessen benachteiligt.

68

Eine formularmäßige Vertragsbestimmung ist unangemessen, wenn der Verwender durch einseitige Vertragsgestaltung missbräuchlich eigene Interessen auf Kosten seines Vertragspartners durchzusetzen versucht, ohne von vornherein auch dessen Belange hinreichend zu berücksichtigen und ihm einen angemessenen Ausgleich zu gewähren. So liegt es hier.

69

Die Feststellung einer unangemessenen Benachteiligung setzt eine wechselseitige Berücksichtigung und Bewertung anzuerkennender Interessen der Vertragspartner voraus. Dabei sind auch grundrechtlich geschützte Positionen zu beachten. Es ist ein genereller, typisierender, vom Einzelfall losgelöster Maßstab anzulegen. Art, Gegenstand, Zweck und besondere Eigenarten des jeweiligen Geschäfts sind zu berücksichtigen (vgl. BAG 18.11.2008 - 3 AZR 192/07 - Rn. 32 mwN, NZA 2009, 435).

70

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, der die Berufungskammer folgt, stellt eine Rückzahlungsklausel nur dann eine ausgewogene Gesamtregelung dar, wenn es der Arbeitnehmer selbst in der Hand hat, durch eigene Betriebstreue der Rückzahlungsverpflichtung zu entgehen. Verluste aufgrund von Investitionen, die nachträglich wertlos werden, hat grundsätzlich der Arbeitgeber zu tragen. Hätte der Arbeitnehmer die in seine Aus- und Weiterbildung investierten Betriebsausgaben auch dann zu erstatten, wenn die Gründe für die vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausschließlich dem Verantwortungs- und Risikobereich des Arbeitgebers zuzurechnen sind, würde er mit den Kosten einer fehlgeschlagenen Investition des Arbeitgebers belastet. Sieht eine Vertragsklausel auch für einen solchen Fall eine Rückzahlungspflicht vor, berücksichtigt sie entgegen § 307 Abs. 1 BGB nicht die wechselseitigen Interessen beider Vertragspartner, sondern nur diejenigen des Arbeitgebers. Dadurch wird der Arbeitnehmer unangemessen benachteiligt (vgl. ausführlich BAG 28.05.2013 - 3 AZR 103/12 - Rn. 18 mwN, Juris; vgl. auch BGH 17.09.2009 – III ZR 207/08 – Rn. 19, NZA 2010, 37).

71

Im vorliegenden Fall ist der Beklagte nach dem eindeutigen Wortlaut der Klauseln in § 3 der beiden Darlehensverträge vom 26.07.2010 und vom 11.08.2011 bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses - „gleich aus welchem Grunde“ - verpflichtet, den Darlehensrestbetrag nebst Zinsen sofort zurückzuzahlen. Daraus ergibt sich die Unwirksamkeit der Klauseln. Sie differenziert ausdrücklich nicht nach dem Grund der Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Es unterliegt keinem Zweifel, dass diese Regelung dazu geeignet ist, den Beklagten im Falle einer Vertragsbeendigung - egal durch welche Seite - finanziell erheblich zu belasten. Eine Klausel, die bei jeder Vertragsbeendigung eine sofortige Gesamtfälligkeit des Darlehensrestbetrags vorsieht, behindert den Arbeitnehmer zum einen aufgrund einer faktischen Kündigungserschwerung in unzulässiger Weise in seiner durch Art. 12 GG garantierten Berufsfreiheit. Zum anderen würde der Arbeitnehmer im Falle einer betriebsbedingten Kündigung durch die Arbeitgeberin aufgrund der Gesamtfälligkeit des Darlehensrestbetrags nicht nur seinen Arbeitsplatz verlieren, sondern darüber hinaus mit erheblichen Rückzahlungsforderungen belastet, obwohl die Kündigung nicht in seinen Verantwortungsbereich fällt. Die Klägerin hat sich in § 3 der Verträge lediglich verpflichtet, das Arbeitsverhältnis längstens für einen Zeitraum von drei Monaten seit Beginn der Fortbildungsmaßnahme nicht zu kündigen. Das ist keine ausreichende Gegenleistung für die Verpflichtung des Beklagten, selbst im Falle einer betriebsbedingten Kündigung den Darlehensrestbetrag sofort zurückzuzahlen.

72

d) Die Unwirksamkeit der Rückzahlungsklausel führt zu ihrem ersatzlosen Wegfall bei Aufrechterhaltung des Vertragswerks im Übrigen. Unwirksame Klauseln sind grundsätzlich nicht auf einen mit dem Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen zu vereinbarenden Regelungsgehalt zurückzuführen. § 306 BGB sieht eine solche Rechtsfolge - sog. geltungserhaltende Reduktion - nicht vor. Eine Aufrechterhaltung mit eingeschränktem Inhalt wäre auch nicht mit dem Zweck der §§ 305 ff. BGB vereinbar (vgl. ausführlich BAG 13.12.2011 - 3 AZR 791/09 - Rn. 29 ff., AP § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe Nr. 45).

73

2. Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen den Beklagten auf Rückzahlung von € 17.162,24 aus bereicherungsrechtlichen Vorschriften, § 812 ff. BGB.

74

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, der die Berufungskammer folgt, stehen Sinn und Zweck des Rechtsfolgensystems des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen bereicherungsrechtlichen Ansprüchen entgegen. Der Zweck der Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 BGB würde unterlaufen, wenn der Klauselverwender einen vertraglich vereinbarten Rückzahlungsanspruch infolge einer unangemessen benachteiligenden Vertragsgestaltung verlieren, anschließend aber über den Bereicherungsausgleich das nach §§ 305 ff. BGB missbilligte Ziel erreichen würde. Das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen verfolgt mit dem beim Klauselverwender eintretenden Rechtsverlust den Zweck, die erfolgte Vermögensverschiebung bestehen zu lassen. Nur bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 306 Abs. 3 BGB kommt ein Bereicherungsanspruch nach § 812 BGB in Betracht (vgl. ausführlich BAG 28.05.2013 - 3 AZR 103/12 - Rn. 28 mwN, Juris). Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Umstände, die für die Klägerin eine unzumutbare Härte begründen würden, vermag die Berufungskammer nicht zu erkennen.

III.

75

Als unterlegene Partei hat die Klägerin nach § 91 Abs. 1 ZPO die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz zu tragen.

76

Ein Grund, der nach den hierfür maßgeblichen gesetzlichen Kriterien des § 72 Abs. 2 ArbGG die Zulassung der Revision rechtfertigen könnte, besteht nicht.

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